Verwaltungsgericht München Beschluss, 06. Mai 2015 - M 16 S 15.30523

bei uns veröffentlicht am06.05.2015

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I.

Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom ... März 2015 (Az. ...) wird angeordnet.

II.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist eigenen Angaben zufolge armenischer Staatsangehörigkeit. Sie reiste am 9. Juni 2013 zusammen mit ihrem Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte hier am 13. Juni 2013 ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Bei ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 21. Januar 2014 gab die Antragstellerin im Wesentlichen an, sie und ihr Ehemann hätten Armenien verlassen, weil dieser Probleme an seinem Arbeitsplatz bekommen habe. Genaues habe ihr Mann nicht erzählt. Sie wisse nur, dass er bei den Präsidentschaftswahlen Stimmen hätte sammeln müssen und dass es dabei nicht so geklappt habe, wie er sich das vorgestellt habe. Sie und ihr Ehemann seien in Gefahr gewesen. Der Ehemann der Antragstellerin trug im Rahmen der Anhörung in seinem Asylverfahren am 21. Januar 2014 vor, er hätte im Jahr 2013 im Vorfeld der Präsidentschaftswahl Wähler bestechen sollen. Dafür seien ihm Geldmittel zur Verfügung gestellt worden. Die Geldgeber hätten ihm nach der Wahl vorgeworfen, er habe die ihm gestellte Aufgabe nicht erfüllt, und mit dieser Begründung das Zehnfache der zuvor bereit gestellten Geldsumme zurückverlangt und ihn sowie die Antragstellerin bedroht.

Bei einer Vorsprache bei der Stadt ... am ... Februar 2015 erklärte der Ehemann der Antragstellerin, dass er die für sich und eine Tochter gestellten Asylanträge zurücknehme. In der Mitteilung der Stadt ... an das Bundesamt vom selben Tag betreffend die Antragsrücknahme wird erwähnt, dass der Ehegatte derzeit kein gutes Verhältnis zu seiner Frau und zu seiner Schwiegermutter habe.

Mit Bescheid vom ... März 2015, der Antragstellerin mit Schreiben vom 16. April 2015 zugestellt, lehnte das Bundesamt deren Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides) sowie auf Asylanerkennung (Ziffer 2) jeweils als offensichtlich unbegründet ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3) und verneinte das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (Ziffer 4). Die Antragstellerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche ab Bekanntgabe des Bescheides zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Armenien oder in einen anderen Staat angedroht, in den die Antragstellerin einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist (Ziffer 5).

Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen offensichtlich nicht vor. Die Antragstellerin sei kein Flüchtling i. S. des § 3 AsylVfG. Sie habe ausdrücklich vorgetragen, dass sie persönlich keine eigenen Asylgründe habe. Im Übrigen sei auch der Sachvortrag, ihr Ehemann habe wegen politischer Aktivitäten Probleme bekommen, nicht glaubhaft, da dieser durch Rücknahme seines Asylantrags zu erkennen gegeben habe, dass er keine Verfolgungsmaßnahmen im Heimatland befürchte. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 AsylVfG und Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Antragstellerin sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Es drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde.

Am 24. April 2015 erhob die Antragstellerin Asylklage (Az. M 16 K 15.30522) und stellte einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Ehemann der Antragstellerin habe sich als gewalttätig erwiesen. Es sei zu polizeilichen Eingriffen zum Schutz der Antragstellerin gekommen. Vermutlich aufgrund drohender strafrechtlicher Sanktionen habe sich der Ehemann entschlossen, nach Armenien zurückzukehren. Die Antragstellerin müsse befürchten, im Falle einer Rückkehr nach Armenien erneut den körperlichen Übergriffen des Ehemanns ausgesetzt zu sein. Mittlerweile sei vor ca. 4 Monaten ein zweites Kind zur Welt gekommen. Die Antragstellerin habe in Armenien keine Möglichkeit der Existenzsicherung. Eine Rückkehr zum gewalttätigen Ehemann komme nicht in Betracht. Ihre derzeitige Situation gebe zumindest Anlass zur Prüfung ihres Antrags im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens. Der Antragstellerin beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.

Die Antragsgegnerin übersandte mit Schreiben vom 30. April 2015 die Behördenakte und stellte keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Verfahren M 16 K 15.30522 sowie auf die vorgelegte Behördenakte verwiesen.

II.

Mit ihrem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 36 Abs. 3 und 4 AsylVfG begehrt die Antragstellerin, die kraft Gesetzes (vgl. § 75 Abs. 1 AsylVfG) ausgeschlossene aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung in Ziffer 5 des streitgegenständlichen Bescheides vom... März 2015 anzuordnen.

Der zulässige Antrag ist begründet, da ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen (vgl. Art. 16 a Abs. 4 GG, § 36 Abs. 4 AsylVfG).

2.1. Entsprechend der Gesetzeslage des Art. 16 a GG, § 36 Abs. 4 AsylVfG kann das Verwaltungsgericht auf Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO die Aussetzung der Abschiebung anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen. Tatsachen und Beweismittel, die von den Beteiligten nicht angegeben worden sind, bleiben unberücksichtigt, es sei denn, sie sind gerichtsbekannt oder offenkundig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts liegen ernstliche Zweifel i. S. v. Art. 16 a Abs. 4 Satz 1 GG vor, wenn erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1516/93 - BVerfGE 94, 166 ff.).

Im Rahmen der Entscheidung über einen solchen Antrag ist im Hinblick auf den durch Art. 19 Abs. 4 GG gebotenen effektiven Rechtsschutz zu prüfen, ob das Bundesamt zu Recht davon ausgegangen ist, dass der geltend gemachte Anspruch auf Asylanerkennung bzw. auf die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG offensichtlich nicht besteht - wobei eine nur summarische Prüfung nicht ausreicht - und ob diese Ablehnung weiterhin Bestand haben kann (BVerfG B. v. 2.5.1984 - 2 BvR 1413/83 - DVBl 84, 673 ff. - juris Rn. 40). Offensichtlich unbegründet ist ein Asylantrag dann, wenn die Voraussetzungen für eine Anerkennung als Asylberechtigter (Art. 16 a GG) und die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylVfG) offensichtlich nicht vorliegen (§ 30 Abs. 1 AsylVfG). Dies ist nach ständiger Rechtsprechung dann anzunehmen, wenn an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich die Abweisung bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B. v. 5.2.1993 - 2 BvR 1294/92 - InfAuslR 1993, 196).

Bei der Berufung auf eine Individualverfolgung kann das Offensichtlichkeitsurteil unter anderem dann gerechtfertigt sein, wenn die im Einzelfall behauptete Gefährdung offensichtlich nicht asylrelevant ist, den erforderlichen Grad der Verfolgungsintensität nicht erreicht oder sich das Vorbringen des Asylbewerbers insgesamt als eindeutig unglaubhaft erweist.

2.2. Gemessen an diesen Grundsätzen bestehen hier ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vom Bundesamt getroffenen Entscheidungen.

Nach derzeitigem Sach- und Streitstand erscheint es jedenfalls als nicht offensichtlich ausgeschlossen, dass der Antragstellerin ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG bzw. auf subsidiären Schutz gemäß § 4 AsylVfG zustehen könnte.

Das angeblich erlittene Verfolgungsschicksal, welches der Ehemann der Antragstellerin gegenüber dem Bundesamt vorgetragen hat, könnte insbesondere eine individuelle konkrete Gefährdung auch der Antragstellerin aus politischen Motiven im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. m. § 3 a AsylVfG begründet haben. Vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen Lage in Armenien könnte sich das behauptete Geschehen tatsächlich ereignet haben. Nach Angaben des Auswärtigen Amtes (vgl. Lagebericht zu Armenien vom 24.04.2015, dort Ziffer II.2.) ist es in der Vergangenheit u. a. im Rahmen des Präsidentschaftswahlkampfes zumindest gelegentlich zur Gewaltanwendung durch Dritte gekommen, gegen die die Polizei im Einzelfall nicht bzw. nicht effektiv eingeschritten ist. Zudem ist angesichts der berichteten politischen Lage in Armenien anzunehmen, dass es auch im Vorfeld der Präsidentschaftswahl am 19. Februar 2013 zu Stimmenkäufen gekommen ist. Der alleinige Umstand, dass der Ehemann der Antragstellerin am ... Februar 2015 seinen Asylantrag zurückgenommen hat, lässt nicht den sicheren Schluss zu, dass die zuvor von ihm berichtete Verfolgungsgeschichte nicht der Wahrheit entsprechen kann.

Ferner könnte sich eine Verfolgungshandlung nach § 3 a AsylVfG bzw. eine Gefährdung gemäß § 3 a i. V. m. § 4 Abs. 3 AsylVfG ergeben, wenn der Antragstellerin im Falle einer Rückkehr nach Armenien tatsächlich eine (erneute) Misshandlung durch ihren Ehemann drohen würde. Bei Erlass des streitgegenständlichen Bescheids wurde dieser Vortrag der Antragstellerin nicht berücksichtigt; die Thematik ist wohl erst nach der Anhörung der Antragstellerin aufgetreten, welche über ein Jahr vor Bescheidserlass durchgeführt worden war. Inwieweit der Sachvortrag der Antragstellerin hierzu glaubhaft ist und wie er ggf. vor dem Hintergrund der Verhältnisse in Armenien zu bewerten wäre wird - falls dies entscheidungserheblich sein sollte - im Hauptsacheverfahren zu klären sein.

Die erheblichen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung vom 27. März 2015 erstrecken sich gleichermaßen auf die nach Maßgabe der §§ 34, 36 Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 59 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung.

Dem Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG stattzugeben.

Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylVfG unanfechtbar.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht München Beschluss, 06. Mai 2015 - M 16 S 15.30523

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Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 80


(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 19


(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels
Verwaltungsgericht München Beschluss, 06. Mai 2015 - M 16 S 15.30523 zitiert 6 §§.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 60 Verbot der Abschiebung


(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 59 Androhung der Abschiebung


(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfal

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Verwaltungsgericht München Beschluss, 06. Mai 2015 - M 16 S 15.30523 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

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Verwaltungsgericht München Urteil, 15. Sept. 2015 - M 16 K 15.30522

bei uns veröffentlicht am 15.09.2015

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom ... März 2015 wird in den Nrn. 4 und 5 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlic
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Verwaltungsgericht München Beschluss, 06. Mai 2015 - M 16 S 15.30523.

Verwaltungsgericht München Urteil, 15. Sept. 2015 - M 16 K 15.30522

bei uns veröffentlicht am 15.09.2015

Tenor I. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom ... März 2015 wird in den Nrn. 4 und 5 aufgehoben. Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlic

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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

Tenor

I.

Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom ... März 2015 wird in den Nrn. 4 und 5 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Armenien vorliegen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die am ... ... 1987 geborene Klägerin ist armenischer Staatsangehörigkeit. Sie reiste eigenen Angaben zufolge am 9. Juni 2013 gemeinsam mit ihrem Ehemann in das Bundesgebiet ein und stellte hier am 20. Juni 2013 einen Asylantrag.

Bei Anhörungen durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 20. Juni 2013 und am 21. Januar 2014 erklärte die Klägerin u. a., sie habe mit ihrem Ehemann in der armenischen Stadt ... gelebt. Ihre Mutter lebe in der Türkei, ihr Vater sei 1997 verstorben. Eine ihrer Schwestern lebe bei der Mutter in der Türkei, ein Bruder sei verheiratet und lebe in Russland. Eine ebenfalls verheiratete Schwester lebe in ..., drei Tanten würden sich ebenfalls noch in Armenien aufhalten. Im Februar 2013 habe ihr Mann Probleme bekommen, weil er für die Präsidentschaftswahlen am 18. oder 19. Februar 2013 Stimmen hätte „sammeln“ müssen; dies habe nicht wie erwartet funktioniert. Das Ehepaar sei daraufhin in Gefahr gewesen und habe Armenien verlassen müssen. Einzelheiten zu den Aktivitäten des Ehemanns konnte die Klägerin nicht angeben.

Am 20. Februar 2015 erklärte der Ehemann der Klägerin gegenüber der Stadt ..., dass er seinen am 20. Juni 2013 gestellten Asylantrag sowie einen am 16. August 2013 für die am ... ... 2013 geborene Tochter gestellten Asylantrag zurücknehme. In einem Schreiben der Stadt ... an das Bundesamt vom 20. Februar 2015 wird die Niederschrift über die Antragsrücknahme übermittelt und mitgeteilt, der Ehemann der Klägerin habe derzeit kein gutes Verhältnis zu dieser und zu seiner Schwiegermutter. Er bitte deshalb darum, an ihn gerichtete Schreiben an eine andere Adresse zu schicken. Der Ehemann der Klägerin habe mitgeteilt, dass er dringend wieder in sein Heimatland zurückkehren wolle.

Mit Bescheid vom ... März 2015, der Klägerin mit Schreiben vom 16. April 2015 übermittelt, wurden deren Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1 des Bescheides) und auf Asylanerkennung (Ziffer 2) jeweils als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Weiter wurde der subsidiäre Schutzstatus nicht zuerkannt (Ziffer 3) und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4). Die Klägerin wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach Armenien oder in einen anderen Staat, in den die Klägerin einreisen darf oder der zu ihrer Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht (Ziffer 5). Zur Begründung wurde u. a. ausgeführt, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen offensichtlich nicht vor. Die Klägerin habe ausdrücklich erklärt, dass sie persönlich keine eigenen Asylgründe habe. Im Übrigen sei auch der Sachvortrag, der Ehemann der Klägerin habe wegen politischer Aktivitäten Probleme an seinem Arbeitsplatz bekommen, nicht glaubhaft, da dieser durch die Rücknahme seines Asylantrags zu erkennen gegeben habe, dass er keine Verfolgungsmaßnahmen im Heimatland befürchte. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus und Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Armenien würden nicht zu der Annahme führen, dass bei Abschiebung der Klägerin eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Klägerin sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Individuelle gefahrerhöhende Umstände seien von der Klägerin weder glaubhaft gemacht noch seien diese ersichtlich. Es drohe der Klägerin auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führen würde.

Am 24. April 2015 erhob die Klägerin über ihren Bevollmächtigten Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom ... März 2015 und stellte einen Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO. Zur Begründung trug sie im Wesentlichen vor, ihr Ehemann habe bereits in Armenien Alkoholprobleme gehabt. Als die Klägerin nach der Geburt ihrer Tochter am ... ... 2013 aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen sei, habe sie leere Alkoholflaschen in der ganzen Wohnung vorgefunden. Die Klägerin schildert weiter Vorfälle im Januar 2014 und Mitte 2014, bei denen sie vom Ehemann geschlagen worden sei. Nach einem Vorfall am 4. März 2015 habe die Klägerin den Ehemann nicht mehr in die Wohnung gelassen. Nach dem 6. März 2015 habe sie ihn nicht wiedergesehen und schließlich erfahren, dass er nach Armenien ausgereist sei. Bei einer Rückkehr der Klägerin nach Armenien sei zu befürchten, dass der Ehemann hiervon durch einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland erfahre. Derzeit seien familienrechtliche Anträge anhängig zur Ehescheidung und Übertragung des Sorgerechts auf die Mutter. Es sei damit zu rechnen, dass der Ehemann der Klägerin bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung Ansprüche zur Aufenthaltsbestimmung der Kinder aus dem Sorgerecht herleite und neben der Klägerin auch die Kinder gefährdet sein würden.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom ... März 2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,

hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5, 7 Satz 1 AufenthG festzustellen.

Mit Schreiben vom 29. April 2015 legte das Bundesamt die Behördenakte vor, ohne einen Antrag zu stellen.

Mit Beschluss vom 6. Mai 2015 ordnete das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom ... März 2015 an (Az.: M 16 S 15.30523).

Der Rechtsstreit wurde mit Beschluss vom 21. Mai 2015 gemäß § 76 Abs. 1 AsylVfG zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.

Zu weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 15. September 2015, die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren und im Verfahren M 16 S 15.30523 sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Klägerin steht ein Anspruch auf die Feststellung zu, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Armenien vorliegen. Der Bescheid des Bundesamtes vom ... März 2015 erweist sich insoweit als rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO), als in Nr. 4 das Vorliegen dieses Abschiebungsverbots verneint und in Nr. 5 die Abschiebung angedroht wird. Soweit die Klägerin dagegen einen weitergehenden Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes geltend macht, ist die Klage unbegründet.

1. Aufgrund der besonderen Sachlage im konkreten Einzelfall der Klägerin liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Armenien vor.

a) Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten - EMRK - ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand u. a. einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden. Eine derartige Behandlung kann sich sowohl aus konkret gegen den Betroffenen gerichteten Maßnahmen wie auch aus einer schlechten allgemeinen Situation mit unzumutbaren Lebensbedingungen ergeben. Nach obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris; BayVGH, U.v. 21.11.2014 - 13a B 14.30284 - juris Rn. 17) berücksichtigt diese Vorschrift nicht nur Gefahren für Leib und Leben, die seitens eines Staates oder einer staatsähnlichen Organisation drohen. Humanitäre Verhältnisse verletzen Art. 3 EMRK zum einen in ganz außergewöhnlichen Fällen, wenn die humanitären Gründe gegen die Ausweisung „zwingend“ sind. Zum anderen kann eine Verletzung dieser Vorschrift darin zu sehen sein, dass es dem Betroffenen nicht mehr gelingt, seine elementaren Bedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu befriedigen. Es ist darauf abzustellen, ob es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass der Betroffene tatsächlich Gefahr läuft, einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden.

b) Aufgrund der ausführlichen, glaubwürdigen und im Wesentlichen widerspruchsfreien Schilderung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 15. September 2015 ist anzunehmen, dass diese aller Wahrscheinlichkeit nach alleine mit ihren 2013 und 2014 geborenen Kindern in die Stadt ... zurückkehren würde, aus der sie stammt. Sie hat sich endgültig von ihrem Ehemann getrennt, der bislang in die beantragte Scheidung nicht eingewilligt hat. Die Ursachen der Trennung - insbesondere wiederholte Drohungen und Gewalttätigkeiten und die Vernachlässigung der gemeinsamen Kinder, im Zusammenhang mit massivem Alkoholkonsum - hat die Klägerin vor Gericht plastisch und einleuchtend geschildert. Ihre Angaben stehen ferner in Einklang mit den Aussagen des Ehemanns gegenüber der Stadt ... im Rahmen der Vorsprache am 20. Februar 2015. Weiter ist der Beurteilung zugrunde zu legen, dass die Klägerin in Armenien nicht über Verwandtschaft verfügt, von der sie materielle Unterstützung und Schutz vor Übergriffen Dritter erhalten könnte. Der diesbezügliche Vortrag entspricht weitgehend früheren Angaben der Klägerin gegenüber dem Bundesamt, auch wenn sich die familiären Verhältnisse teilweise weiter entwickelt haben. So hält sich die Mutter der Kläger sei Mai 2014 nicht mehr in der Türkei, sondern im Bundesgebiet auf; eine Schwester lebt in der Türkei, eine andere - zu der der Kontakt abgebrochen ist - mittlerweile wohl in Russland. Es kann nicht angenommen werden, dass die Klägerin nennenswerte Unterstützung von den beiden noch in Armenien lebenden Tanten erhalten würde, zu denen sie kaum Kontakt hat. Der Aufenthaltsort des Ehemanns ist unbekannt.

c) Nach Angaben des Auswärtigen Amtes (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 24.4.2015, dort Ziff. II.1.8.) ist die Rolle der Frau in Armenien durch das in der Bevölkerung verankerte patriarchalische Rollenverständnis geprägt. Nach dem „Global Gender Gap Report 2014“ belege Armenien hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter den 103. von 142 Plätzen. Häusliche Gewalt bleibe weiterhin ein akutes Problem. In den ersten 8 Monaten des Jahres 2014 seien laut Polizeiangaben 1.501 Fälle von häuslicher Gewalt registriert worden; in 11 Fällen seien weibliche Opfer an den Folgen gestorben. Bei Fällen häuslicher Gewalt gegen Frauen sei von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. In ganz Armenien gebe es lediglich ein Frauenhaus in Eriwan, das Platz für zehn Frauen biete und meist voll belegt sei. Im Mai 2013 sei von der Nationalversammlung ein Gesetz zur konkreten Umsetzung der Gleichstellung von Mann und Frau angenommen worden. Die NRO „Women’s Rights Centre“ habe 2009 dem Sozialministerium einen Gesetzentwurf zum Thema Gewalt in der Familie vorgelegt, der lange beraten und schließlich abgelehnt worden sei. Laut einer Stellungnahme des Sozialministeriums vom Januar 2013 sollten die Anregungen in bereits bestehende Gesetze einfließen. Es gebe einen „Nationalen Aktionsplan zur Eindämmung geschlechtsspezifischer Gewalt“. Es gebe belastbare Berichte, wonach armenische Frauen und Mädchen zur Prostitution sowohl in die Vereinigten Arabischen Emirate als auch in die Türkei verbracht würden. Die Regierung bemühe sich darum, den Menschenhandel einzudämmen. Der Opferschutz werde in der Praxis jedoch häufig vernachlässigt. Nach dem Bericht von amnesty international „No Pride in silence - countering violence in the family in Armenia” vom November 2008 unterstützt der armenische Staat Frauen, die von häuslicher Gewalt betroffen sind, u. a. nicht bei der Wohnungs- und Arbeitssuche. In der Realität sei die Rückkehr in das Elternhaus die einzig verfügbare Option für die große Mehrheit von Opfern häuslicher Gewalt. Nach den sozialen Normen in Armenien werde eine verheiratete Frau jedoch dem Verantwortungsbereich der Familie des Ehemanns zugeordnet, sobald sie geheiratet hat. Dies erschwere eine Hilfestellung durch eigene Angehörige der Frau erheblich. Die sozialen Normen würden Frauen, welche die Ehewohnung verlassen haben, streng bestrafen. Regelmäßig werde eine Versöhnung mit dem Täter und die Rückkehr zu diesem erwartet. Nach Einschätzung der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (vgl. Bericht „Armenien: Zwangsheirat jesidischer Witwen, Verbrechen im Namen der Ehre und Sorgerecht“ vom 6.5.2014) können in Armenien Frauen ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder nicht ohne familiäre Unterstützung bestreiten. Zudem würden geschiedene und allein stehende Frauen von der Gesellschaft stigmatisiert. Nur eine Minderheit versuche mit Hilfe von Nichtregierungsorganisationen, ein selbstständiges Leben aufzubauen, was in Jerewan zudem eher möglich erscheine als in anderen Regionen Armeniens. Aufgrund der ausgeprägten patriarchalischen Strukturen in Armenien und des Drucks durch Familie und Gemeinschaft stünden betroffene Frauen vor großen Hindernissen, wenn sie sich Entscheidungen des Familienoberhaupts widersetzten oder sich zur Durchsetzung ihrer Rechte an Behörden wenden würden. Dem Bericht der US-Regierung vom 25. Juni 2015 zur Menschenrechtspraxis in Armenien für 2014 zufolge werden u. a. Vergewaltigungen innerhalb der Familie aufgrund sozialer Normen in Armenien selten angezeigt, obwohl sie weit verbreitet seien. Diese Straftaten seien mit einem sozialen Stigma behaftet. Die Schuld für solche Vorfälle werde oftmals dem Opfer zugeschrieben. Staatliche Stellen würden Fälle häuslicher Gewalt nicht effektiv verfolgen. Die Arbeitslosigkeit bei Frauen sei überdurchschnittlich hoch. Diese seien überwiegend in Niedriglohnbereichen beschäftigt. Hinzu komme, dass Frauen in 2012 durchschnittlich nur ungefähr 60 Prozent des Verdienstes von Männern erhalten hätten. Die Stereotypen über die Geschlechterrollen in der Familie und der Gesellschaft seien tief verankert und würden im Bildungssystem verstärkt. Nach Informationen des Bundesamtes für Migration der Schweiz (vgl. Bericht „Fokus Armenien - Häusliche Gewalt: Staatlicher Schutz und nichtstaatliche Unterstützung“ vom 2.7.2013) haben geschiedene Frauen in der armenischen Gesellschaft einen tieferen Stellenwert. Die soziale Kontrolle insbesondere auf dem Land sei groß, womit sich die Angst davor erkläre, sich gesellschaftlich zu exponieren. Eine Studie zeige, dass nur 3,4% der Frauen, die innerhalb der Familie misshandelt würden, die Polizei aufsuchten. Die Mehrheit der Frauen kehre nach einem Aufenthalt in einem Frauenhaus von durchschnittlich ein bis drei Monaten zum Ehemann und dessen Familie zurück, wofür vor allem sozioökonomische Gründe maßgeblich seien. Den Frauen sei es häufig nicht möglich, ihren eigenen und den Lebensunterhalt der Kinder ohne familiäre Unterstützung zu bestreiten. Geschiedene und allein stehende Frauen seien zudem mit einem sozialen Stigma behaftet.

Das Auswärtige Amt gibt weiter an (vgl. Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien vom 24.4.2015, dort Ziff. IV.1.1.), ein beachtlicher Teil der Bevölkerung sei nach wie vor finanziell nicht in der Lage, seine Versorgung mit den zum Leben notwendigen Gütern ohne Unterstützung durch humanitäre Organisationen sicherzustellen. Amtlichen Angaben für das Jahr 2013 zufolge würden 32 Prozent der Armenier unterhalb des Existenzminimums leben. Der Großteil der Armenier gehe mehreren Erwerbstätigkeiten und darüber hinaus privaten Geschäften und Gelegenheitsarbeiten nach.

d) Das Gericht geht aufgrund der vorgenannten Erkenntnismittel und den Ergebnissen der informatorischen Befragung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 15. September 2015 im vorliegenden Einzelfall davon aus, dass die Klägerin bei Rückkehr nach Armenien mit hoher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre.

Diese konkrete Gefahr droht im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung nicht allein aufgrund der allgemeinen humanitären Situation in Armenien. Vielmehr wäre die Klägerin aufgrund ihrer besonderen familiären Verhältnisse in Armenien aller Wahrscheinlichkeit nach einer sozialen Isolation ausgesetzt. Die Klägerin hat sich wegen häuslicher Gewalt von ihrem Ehemann getrennt; nach den herrschenden sozialen Normen in Armenien ist sie jedoch weiter für den Zusammenhalt der gesamten Familie verantwortlich; ihr würde die Berechtigung zu einem vom Ehemann unabhängigen Leben abgesprochen. Erschwert wird die Situation der Klägerin durch die bislang unterbliebene Scheidung; sie dürfte in Armenien erst recht nicht als legitimiert angesehen werden, eine dauerhafte eigenständige Existenz als alleinerziehende Mutter aufzubauen. Mit diesem sozialen Stigma wäre die Klägerin in ... bei allen Bekannten behaftet; sowohl sie wie ihr Ehemann stammen aus diesem Ort und haben dort als Ehepaar gelebt, so dass der Status der Klägerin für den dortigen Bekanntenkreis sofort offensichtlich wäre. Aus Sicht vieler Armenier würde sie als weitgehend schutz- und wehrlos erscheinen. Bei der Klägerin bestünde eine erheblich erhöhte Gefahr, Opfer von Übergriffen Dritter zu werden, z. B. in Form einer Verschleppung in das Ausland, wie sie nach den genannten Berichten in Armenien häufig vorkommt. Weiter ist nach den vorliegenden Informationen davon auszugehen, dass der armenische Staat weder willens noch in der Lage ist, alleinstehende Frauen in einer derartigen Situation vor Gewaltakten und Diskriminierungen effektiv zu schützen und Auswege aus dieser Lage zu ermöglichen. Bereits diese besondere Sachlage im vorliegenden Einzelfall ist als Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK zu qualifizieren.

Hinzu käme - in Verbindung mit dieser gesellschaftlichen Ausgrenzung - eine möglicherweise prekäre wirtschaftliche Lage der Klägerin. Es kann nicht angenommen werden, dass sie als alleinerziehende Mutter von zwei Kleinkindern genügend Unterstützung erfahren würde, um ihren eigenen Lebensunterhalt zu sichern. Die ohnehin gravierenden Probleme für alleinstehende Frauen in Armenien, durch eigene Erwerbsarbeit ihre Existenz zu sichern, würden durch die Notwendigkeit der Betreuung zweier Kleinkinder weiter verschärft. Auch ist nicht anzunehmen, dass die mit einem gesellschaftlichen Makel behaftete Klägerin von (früheren) Bekannten oder sonstige Personen Unterstützung bei der Arbeits- und Wohnungssuche und Kinderbetreuung erfahren würde.

Bei der Gefahrenprognose im Rahmen der Prüfung eines Abschiebungsverbots ist auf den tatsächlichen Zielort des Ausländers bei einer Rückkehr abzustellen, regelmäßig auf dessen Herkunftsregion. Kommt diese als Zielort wegen der dem Betroffenen dort drohenden Gefahr nicht in Betracht, kann er nur unter den Voraussetzungen des Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG auf eine andere Region des Landes verwiesen werden (BVerwG, U.v. 31.1.2013 - 10 C 15/12 - juris). Es kann hier nicht angenommen werden, dass die Klägerin z. B. nach Jerewan gehen würde, weil dort möglicherweise etwas günstigere Rahmenbedingungen für eine alleinstehende Frau bestehen, um sich eine eigenständige Existenz aufzubauen. Die Klägerin hat in Armenien stets in ... gelebt. Es ist ihr nicht zumutbar, sich andernorts niederzulassen, wo sie mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut und über keinerlei Kontakte verfügen würde. Dieser Nachteil würde zudem den eventuellen Vorteil, dass alleinstehende Frauen in Jerewan unter Umständen grundsätzlich eher gesellschaftlich akzeptiert werden, voraussichtlich wieder aufwiegen.

2. Der Klägerin steht dagegen kein Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG zu.

Dem Vortrag der Klägerin lassen sich keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass sie im Falle einer Rückkehr nach Armenien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Übergriffe ihres Ehemanns als nichtstaatlichem Akteur im Sinne von § 3 c Nr. 3 AsylVfG ausgesetzt sein könnte. Der Aufenthaltsort des Ehemanns ist derzeit unbekannt; weiter hat er mit der Klägerin seit der letzten Begegnung im März 2015 keinen Kontakt mehr gesucht. Aufgrund ihrer glaubwürdigen Angaben ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin unter keinen Umständen mehr zu ihrem Mann zurückkehren will. Es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass der Ehemann die Klägerin in Armenien suchen, auffinden und versuchen würde, sie und die beiden Kinder gewaltsam zu sich zu holen. Aus diesen Umständen ist derzeit keine erhebliche konkrete Gefahr erneuter Drohungen oder Misshandlungen von Seiten des Ehemanns herzuleiten.

Der Tatbestand des § 60 Abs. 7 AufenthG ist gegenüber dem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG materiell nachrangig (vgl. BayVGH, B.v. 4.8.2015 - 13a ZB 15.30032 - juris Rn.9); es bedarf daher hier keiner weiteren Klärung, ob er hier vorliegen würde.

Infolge des festzustellenden Abschiebungsverbots ist auch die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids aufzuheben. Im Umkehrschluss zu § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG ist der Erlass einer Abschiebungsandrohung unzulässig, wenn die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen (vgl. BayVGH, U.v. 23.11.2012 - 13a B 12.30061 - juris Rn. 28). Auch Nr. 5 des streitgegenständlichen Bescheids ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Die Abschiebung ist unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Ausnahmsweise kann eine kürzere Frist gesetzt oder von einer Fristsetzung abgesehen werden, wenn dies im Einzelfall zur Wahrung überwiegender öffentlicher Belange zwingend erforderlich ist, insbesondere wenn

1.
der begründete Verdacht besteht, dass der Ausländer sich der Abschiebung entziehen will, oder
2.
von dem Ausländer eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht.
Unter den in Satz 2 genannten Voraussetzungen kann darüber hinaus auch von einer Abschiebungsandrohung abgesehen werden, wenn
1.
der Aufenthaltstitel nach § 51 Absatz 1 Nummer 3 bis 5 erloschen ist oder
2.
der Ausländer bereits unter Wahrung der Erfordernisse des § 77 auf das Bestehen seiner Ausreisepflicht hingewiesen worden ist.
Die Ausreisefrist kann unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls angemessen verlängert oder für einen längeren Zeitraum festgesetzt werden. § 60a Absatz 2 bleibt unberührt. Wenn die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht oder der Abschiebungsandrohung entfällt, wird die Ausreisefrist unterbrochen und beginnt nach Wiedereintritt der Vollziehbarkeit erneut zu laufen. Einer erneuten Fristsetzung bedarf es nicht. Nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise darf der Termin der Abschiebung dem Ausländer nicht angekündigt werden.

(2) In der Androhung soll der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll, und der Ausländer darauf hingewiesen werden, dass er auch in einen anderen Staat abgeschoben werden kann, in den er einreisen darf oder der zu seiner Übernahme verpflichtet ist. Gebietskörperschaften im Sinne der Anhänge I und II der Verordnung (EU) 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. L 303 vom 28.11.2018, S. 39), sind Staaten gleichgestellt.

(3) Dem Erlass der Androhung steht das Vorliegen von Abschiebungsverboten und Gründen für die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nicht entgegen. In der Androhung ist der Staat zu bezeichnen, in den der Ausländer nicht abgeschoben werden darf. Stellt das Verwaltungsgericht das Vorliegen eines Abschiebungsverbots fest, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Androhung im Übrigen unberührt.

(4) Nach dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung bleiben für weitere Entscheidungen der Ausländerbehörde über die Abschiebung oder die Aussetzung der Abschiebung Umstände unberücksichtigt, die einer Abschiebung in den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat entgegenstehen und die vor dem Eintritt der Unanfechtbarkeit der Abschiebungsandrohung eingetreten sind; sonstige von dem Ausländer geltend gemachte Umstände, die der Abschiebung oder der Abschiebung in diesen Staat entgegenstehen, können unberücksichtigt bleiben. Die Vorschriften, nach denen der Ausländer die im Satz 1 bezeichneten Umstände gerichtlich im Wege der Klage oder im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach der Verwaltungsgerichtsordnung geltend machen kann, bleiben unberührt.

(5) In den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 bedarf es keiner Fristsetzung; der Ausländer wird aus der Haft oder dem öffentlichen Gewahrsam abgeschoben. Die Abschiebung soll mindestens eine Woche vorher angekündigt werden.

(6) Über die Fristgewährung nach Absatz 1 wird dem Ausländer eine Bescheinigung ausgestellt.

(7) Liegen der Ausländerbehörde konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Ausländer Opfer einer in § 25 Absatz 4a Satz 1 oder in § 25 Absatz 4b Satz 1 genannten Straftat wurde, setzt sie abweichend von Absatz 1 Satz 1 eine Ausreisefrist, die so zu bemessen ist, dass er eine Entscheidung über seine Aussagebereitschaft nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 3 oder nach § 25 Absatz 4b Satz 2 Nummer 2 treffen kann. Die Ausreisefrist beträgt mindestens drei Monate. Die Ausländerbehörde kann von der Festsetzung einer Ausreisefrist nach Satz 1 absehen, diese aufheben oder verkürzen, wenn

1.
der Aufenthalt des Ausländers die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder
2.
der Ausländer freiwillig nach der Unterrichtung nach Satz 4 wieder Verbindung zu den Personen nach § 25 Absatz 4a Satz 2 Nummer 2 aufgenommen hat.
Die Ausländerbehörde oder eine durch sie beauftragte Stelle unterrichtet den Ausländer über die geltenden Regelungen, Programme und Maßnahmen für Opfer von in § 25 Absatz 4a Satz 1 genannten Straftaten.

(8) Ausländer, die ohne die nach § 4a Absatz 5 erforderliche Berechtigung zur Erwerbstätigkeit beschäftigt waren, sind vor der Abschiebung über die Rechte nach Artikel 6 Absatz 2 und Artikel 13 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24), zu unterrichten.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.