Verwaltungsgericht München Beschluss, 15. Dez. 2014 - M 11 S 14.50690
Gericht
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller ist ukrainischer Staatsangehöriger und reiste nach eigenen Angaben über Polen mit einem polnischen Visum, gültig bis
Der Bevollmächtigte des Antragstellers beantragte mit Schreiben vom
Am
Mit Bescheid vom ... November 2014 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Nr. 1 des Bescheids) und ordnete die Abschiebung nach Polen an (Nr. 2 des Bescheids). Zur Begründung wurde ausgeführt, der Asylantrag sei gem. § 27 a AsylVfG unzulässig, da Polen aufgrund des erteilten Visums gem. Art. 12 Abs. 2 Dublin-III-VO für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin-III-VO seien nicht ersichtlich. Die Überstellung nach Polen sei innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 bzw. 2 Dublin-III-VO festgesetzten Fristen durchzuführen. Die Anordnung der Abschiebung beruhe auf § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG.
Am
Mit Telefax vom 27. November 2014 erhob der Bevollmächtigte des Antragstellers Klage beim Bayerischen Verwaltungsgericht München, mit dem Antrag, den Bescheid des Bundesamtes vom ... November 2014 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Asylverfahren durchzuführen (Klageverfahren M 11 K 14.50689). Gleichzeitig beantragte der Bevollmächtigte des Antragstellers im vorliegenden Eilverfahren,
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung wurde ausgeführt, es bestünde ein inländisches Vollstreckungshindernis. Der Antragsteller sei reiseunfähig. Er leide an einer schweren depressiven Periode und einer posttraumatischen Belastungsstörung mit beachtlicher Suizidgefahr, die im Falle einer Abschiebung akut werde. Eine fachärztliche Stellungnahme werde nachgereicht. Das Gericht werde ersucht, hierfür eine Frist von nicht weniger als zwei Wochen zu gewähren.
Mit Schreiben vom
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vorgelegten Behördenakte Bezug genommen.
II.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage bezüglich der Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids anzuordnen, bleibt ohne Erfolg. Der Antrag ist zulässig, insbesondere rechtzeitig binnen Wochenfrist gestellt (§ 34a Abs. 2 Satz 1 AsylVfG), jedoch nicht begründet.
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage im Fall des hier einschlägigen § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung. Es hat abzuwägen zwischen dem sich aus § 75 AsylVfG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung der Abschiebungsanordnung und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs. Bei dieser Abwägung sind die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO allein erforderliche summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage, dass die Klage voraussichtlich erfolglos bleiben wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück. Erweist sich dagegen der angefochtene Bescheid schon bei kursorischer Prüfung als rechtswidrig, so besteht kein öffentliches Interesse an dessen sofortiger Vollziehung; nicht erforderlich sind insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids, denn die Regelung des § 36 Abs. 4 AsylVfG ist hier nicht (entsprechend) anwendbar (vgl. VG Trier, B.v. 18.9.2013 - 5 L 1234/13.TR - juris; VG Göttingen, B. v. 9.12.2013 - 2 B 869/13 - juris, Rn. 16). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens nicht hinreichend absehbar, verbleibt es bei einer allgemeinen Interessenabwägung.
Nach der hier gebotenen und ausreichenden summarischen Prüfung ist im vorliegenden Fall davon auszugehen, dass die Klage nach derzeitiger Einschätzung aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Damit überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung das persönliche Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG kommt es für den vorliegenden Beschluss im Eilverfahren, der ohne mündliche Verhandlung ergeht, maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung an.
Die Anfechtungsklage gegen die Abschiebungsanordnung ist zulässig, insbesondere innerhalb der 2-Wochen-Frist des § 74 Abs. 2 AsylVfG erhoben worden, aber aller Voraussicht nach unbegründet, da die Abschiebungsanordnung nach Polen nicht zu beanstanden ist.
Rechtsgrundlage für die Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung des Ausländers in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Nach § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrags für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
Im vorliegenden Fall ist gem. Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1 Dublin-III-VO ist, wenn der Antragsteller ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedsstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Dies gilt gem. Art. 12 Abs. 4 Satz 1 Dublin-III-VO auch dann, wenn das Visum, aufgrund dessen der Antragsteller in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten nicht verlassen hat. Der Regelung des Art. 12 Dublin-III-VO liegt das Verursacherprinzip zugrunde, wonach derjenige Staat, der durch die Erteilung von Aufenthaltstitel oder Visum eine Ursache für die Einreise des Schutzsuchenden gesetzt hat, auch für die Durchführung des Verfahrens zur Gewährung von internationalem Schutz zuständig ist.
Polen hat in Beantwortung des Aufnahmegesuchs des Bundesamts mit Schreiben vom
Die Antragsgegnerin war auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO wegen systemischer Mängel im Aufnahmestaat gehalten, die Prüfung der in Kapitel III der Dublin-III-VO vorgesehenen Kriterien fortzusetzen, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Es sind keine wesentlichen Gründe für die Annahme ersichtlich, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Polen systemische Schwachstellen aufweisen würden, die die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikel 4 der EU-Grundrechtscharta (GRCh) mit sich brächten.
Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93
Ausgehend von diesen Maßstäben und im Einklang mit der bislang ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung (vgl. die umfangreichen Nachweise im angefochtenen Bescheid) ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass die Antragsteller in Polen aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, dort einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu sein (vgl. VG Bremen, B. v. 4.3.2014 - 1 V 220/14
Asylbewerber werden über den Ablauf des Asylverfahrens informiert und erhalten Unterkunft, Verpflegung, medizinische und psychologische Betreuung (siehe auch Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Wiesbaden
Asylbewerber haben in gleichem Umfang Anspruch auf - kostenlose - medizinische Versorgung wie polnische Staatsangehörige, wozu auch die psychologische Betreuung gehört (vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 25.9.2013, BT-Drs. 17/14795 S. 6f.). Damit sind in Polen auch posttraumatische Belastungsstörungen, an denen der Antragsteller leiden soll, behandelbar.
Der Abschiebung der Antragsteller stehen auch keine inlandsbezogenen Abschiebungshindernisse entgegen, zu deren Prüfung das Bundesamt in Fällen der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG verpflichtet ist (vgl. BayVGH, B. v. 12.3.2014 - 10 CE 14.427 - juris).
Eine Reiseunfähigkeit liegt dabei nur vor, wenn sich der Gesundheitszustand unmittelbar durch die Reise selbst oder als unmittelbare Folge hiervon voraussichtlich wesentlich verschlechtern würde (BayVGH, B. v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris RdNr. 6).
Die Reiseunfähigkeit wegen einer posttraumatischen Belastungsstörung und Suizidgefahr wurde erstmals im gerichtlichen Verfahren vorgetragen, aber nicht glaubhaft gemacht. Ein ärztliches Attest wurde trotz Ankündigung nicht vorgelegt.
Sollte die Suizidgefährdung konkret belegt werden, wäre die Abschiebung nach amtsärztlicher Abklärung ggf. unter (fach-) ärztlicher Aufsicht durchzuführen.
Der Antragsteller hat gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.