Verwaltungsgericht Minden Urteil, 01. März 2016 - 5 K 3/15
Gericht
Tenor
Der Vergnügungssteuerbescheid der Beklagten vom 05.12.2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist nur wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in derselben Höhe leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Eigentümerin des mit einem mehrgeschossigen Gebäude bebauten Grundstücks mit der Lagebezeichnung T.-------- in H. . In dem Gebäude befindet sich eine größere Anzahl von Appartements, die überwiegend längerfristig als Wohnungen, z.T. aber auch hotelähnlich nur kurzfristig vermietet werden. Als die Beklagten davon Kenntnis erhielt, dass einige dieser Appartements von Prostituierten angemietet und zur Ausübung der Prostitution genutzt werden, wies sie die Klägerin mit Schreiben vom 12.02.2013 auf die vom Rat der Stadt H. am 14.12.2012 beschlossene VI. Nachtragssatzung zur Satzung über die Vergnügungssteuer in der Stadt H. (nachfolgend: VGSt) hin, nach der nunmehr ab dem 01.01.2013 „die gezielte Einräumung der Gelegenheit zu sexuellen Vergnügungen in Bars, Sauna, FKK- und Swingerclubs sowie ähnlichen Einrichtungen“ der Vergnügungssteuer unterliegt. Gleichzeitig forderte sie die Klägerin auf, monatlich entsprechende Steuererklärungen einzureichen, da eine Heranziehung zur Vergnügungssteuer beabsichtigt sei. Nach mehreren Besprechungen zwischen den Beteiligten übermittelte die Klägerin Vergnügungssteueranmeldungen für November 2013, in denen sie bezogen auf die einzelnen Appartements die Vergnügungssteuer nach der Zahl der Veranstaltungstage und einer Raumgröße bis 10 qm errechnete. Nach weiteren Ermittlungen setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin mit Bescheid vom 05.12.2014 die Vergnügungssteuer für den Monat November 2013 abweichend von den Steueranmeldungen auf 1.296 € fest. Zur Begründung für die Abweichung gab die Beklagte an, die Raumgröße der einzelnen Appartements sei nach der Bauakte ermittelt worden. Danach seien die genutzten Räume jeweils größer als 10 qm. Als Rechtsgrundlage verwies sie nicht nur auf § 1 Nr. 6 VGSt, sondern nunmehr auch auf deren Nr. 7, nach der „das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt außerhalb der in Nr. 6 genannten Einrichtungen, z.B. in Beherbergungsbetrieben, Privatwohnungen, Wohnwagen und Kraftfahrzeugen“ ebenfalls vergnügungssteuerpflichtig ist.
3Am 02.01.2015 hat die Klägerin Klage erhoben.
4Sie trägt vor, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig. Die neu geschaffenen Steuertatbestände seien nicht erfüllt. Sie – die Klägerin – vermiete zum einen unmöblierte Wohnungen auf Dauer und zum anderen möblierten Wohnraum an diverse Personen, insbesondere an Handwerker, Vertreter und weitere Personen mit kurzfristigem Unterbringungsbedarf. Bei den hotelähnlichen Vermietungen sei der Mietzins unabhängig von dem tatsächlichen Nutzungszweck immer gleich. Inwieweit dort zum Teil auch der Prostitution nachgegangen werde, entziehe sich ihrer Kenntnis. Sie könne deshalb die von der Beklagten geforderten Angaben zur Nutzung der Wohnungen an sich und der Räumlichkeiten im Einzelnen nicht machen. Da sie keine Veranstalterin im Sinne der von der Beklagten geltend gemachten Steuertatbestände sei, könne sie auch nicht als Steuerschuldnerin herangezogen werden. Ebenso wenig sei ihr eine Abwälzung der Steuer möglich.
5Die Klägerin beantragt,
6den Vergnügungssteuerbescheid der Beklagten vom 05.12.2014 aufzuheben.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie trägt vor, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Grundlage der Heranziehung sei allein § 1 Nr. 7 VGSt; auf den unter Nr. 6 beschriebenen Steuergegenstand werde nicht abgestellt. In verschiedenen Räumen des Gebäudes der Klägerin werde der Prostitution nachgegangen. Dies sei der Klägerin auch bekannt. Am Gebäude und auch vor den jeweiligen Appartements befänden sich entsprechende Hinweise. Im Internet werde ebenfalls auf die sexuellen Dienste hingewiesen. Die Klägerin sei auch die richtige Steuerschuldnerin, weil sie als Eigentümerin gleichzeitig Veranstalterin im Sinne der Satzung sei. Indem sie den Prostituierten die entsprechenden Räume zur Verfügung stelle, werde das Angebot sexueller Handlungen ermöglicht. Wegen des nicht kontrollierbaren Mieterwechsels wäre eine Heranziehung der Mieterinnen kaum oder nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Deshalb sei eine Heranziehung der Eigentümerin gerechtfertigt. Auch der Höhe nach sei die Steuer zutreffend festgesetzt worden. Die Festsetzung richte sich nach den tatsächlichen Raumgrößen.
10Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
11Entscheidungsgründe:
12Die zulässige Klage hat Erfolg. Der Steuerbescheid der Beklagten vom 05.12.2014 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der angefochtene Bescheid findet seine Rechtsgrundlage nicht in der Satzung über die Erhebung von Vergnügungssteuer in der Stadt H. (Vergnügungssteuersatzung) vom 06.12.2002 in der Fassung der VI. Nachtragssatzung vom 14.12.2012, die nach deren Art. 3 am 01.01.2013 in Kraft getreten ist und den hier in Rede stehenden Steuerzeitraum November 2013 erfasst. Die Klägerin erfüllt nicht den steuerbegründenden Tatbestand des Art. 2 § 1 Nr. 7 VGSt, auf den die Beklagte die Festsetzung nach ihrer ausdrücklichen Erklärung in der mündlichen Verhandlung allein stützen will.
13Nach Wortlaut und Systematik der in § 1 VGSt unter den Nrn. 6 u. 7 genannten, sich gegenseitig ausschließenden Steuertatbestände knüpft die Satzung einerseits an einen einrichtungsbezogenen, andererseits an einen einrichtungslosgelösten Gegenstand an, unterscheidet aber keineswegs zwischen prostitutionsbezogenen und nicht prostitutionsbezogenen Handlungen. Dementsprechend zeichnen sich die unter der Nr. 7 beispielhaft genannten Räumlichkeiten alle dadurch aus, dass sie nicht schon von ihrer Eigenart zur Veranstaltung sexueller Vergnügungen bestimmt sind. So mag in einem Beherbergungsbetrieb auch Prostitution stattfinden (Hotelprostitution), aber die Prostituierten haben dort in der Regel kein Zimmer angemietet, um ihre Leistungen anzubieten. Besondere Räumlichkeiten zu einer Anbahnung der sexuellen Kontakte finden sich dort typischerweise nicht. Eine Infrastruktur zur Ausübung der Prostitution ist nicht vorhanden. Entsprechendes gilt für Privatwohnungen, Wohnwagen und Kraftfahrzeuge. Insbesondere Wohnungen mögen zwar auch für Zwecke der Prostitution angemietet werden, dienen aber in der Regel der Befriedigung des allgemeinen Wohnbedürfnisses.
14Vgl. im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 11.12.2013 - 14 A 1948/13 ‑, juris, bestätigt durch BVerwG, Beschluss vom 21.11.2014 – 9 B 20.14 -, NVwZ 2015, 378.
15Damit knüpft der hier von der Beklagten ausschließlich geltend gemachte Steuertatbestand in § 1 Nr. 7 VGSt nicht etwa an einer Eigentumsstellung oder einer Vermietung an, stattdessen geht es bei der Besteuerung allein um das personifizierte, von der Einrichtung unabhängige Angebot sexueller Handlungen, so dass im Ergebnis nur die Prostituierte selbst Unternehmerin der Veranstaltung „Angebot sexueller Dienstleistungen gegen Entgelt“ sein kann.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 09.09.2014 - 14 A 662/14 ‑, KStZ 2014, 216.
17Eine Besteuerung der Klägerin auf der Grundlage dieses einrichtungslosgelösten Tatbestandes scheidet vor diesem Hintergrund schon deshalb offensichtlich aus, weil sie als juristische Person nur einrichtungsbezogen agieren kann. Davon abgesehen vermietet sie zwar Appartements auch an Prostituierte, bietet indessen keine entsprechenden Leistungen eigenverantwortlich an.
18Dieser Beurteilung steht die Regelung in § 3 VGSt nicht entgegen, nach der bezogen auf § 1 Nr. 7 VGSt Unternehmer der Veranstaltung (Veranstalter) u.a. der Eigentümer der Räume sein soll, in denen die Veranstaltungen stattfinden. Eine entsprechende Regelung ist schon deshalb unwirksam, weil sie dem Modell des ausschließlich personenbezogenen einrichtungslosgelösten Steuergegenstands widerspricht. Der Eigentümer von Räumen ist tatsächlich nicht in der Lage, aus seiner sachenrechtlichen Position heraus entsprechende personengebundene Angebote zu erbringen. Zwar wird dem Satzungsgeber ein Spielraum eröffnet, wen er als Steuerschuldner bestimmt. Er ist dabei aber an die Grundentscheidung des Kommunalabgabengesetzes gebunden, dass das Entstehen der Abgabeschuld an einen Abgabetatbestand anzuknüpfen hat (vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 2 b KAG i.V.m.§ 43 Satz 1 AO). Daraus folgt, dass zum Steuerschuldner nur bestimmt werden darf, wer den Steuertatbestand erfüllen kann. Dazu muss der Steuerschuldner zumindest in einer besonderen rechtlichen oder wirtschaftlichen Beziehung zum Steuergegenstand stehen oder einen maßgeblichen Beitrag zur Verwirklichung des steuerbegründenden Tatbestandes leisten.
19Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23.10.2013 – 14 A 316/13 –, NRWE Rn. 121 ff.
20An beidem fehlt es, weil der Steuertatbestand gerade nicht objektbezogen gestaltet ist und der Eigentümer keine selbständige Leistung in Bezug auf das Steuergut, also dem vom sich sexuell Vergnügenden aufgewandten Betrag zur Erlangung des Vergnügens (Konsumaufwand), erbringt.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.08.2012 – 14 A 1521/12 –, NRWE Rn. 10.
22Lediglich ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass der nach § 9 Abs. 3 VGSt vorgesehene flächenbezogene Steuermaßstab den zu besteuernden Aufwand wohl nicht sachgerecht abbilden dürfte. Bei einer einrichtungsgebundenen Prostitution, wie sie in § 1 Nr. 6 VGSt benannt wird, ist der Flächenmaßstab durchaus geeignet, das Steuergut angemessen zu erfassen, bei einer Prostitution außerhalb von Einrichtungen – wie sie hier vorliegt – dürfte das wohl nicht sinnvoll gelingen.
23Vgl. OVG NRW, Urteil vom 11.12.2013 - 14 A 1948/13 -, juris.
24Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Die Steuergesetze bestimmen, wer Steuerschuldner oder Gläubiger einer Steuervergütung ist. Sie bestimmen auch, ob ein Dritter die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.