VGMAGDE 8 B 394/17
Gericht
Gründe
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Die Antragsteller wenden sich im Wege der einstweiligen Anordnung gegen ihre für den 11.09.2017 angeordnete Überstellung in die Slowakische Republik (Slowakei) nach den Dublin-Vorschriften.
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Das (Dublin)-Hauptsacheverfahren der Antragstellerin zu 1. der Mutter der minderjährigen in Deutschland geborenen Kinder (Antragsteller zu 2. und 3.), ist zuletzt mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 13.03.2017 (4 L 45/17) rechtskräftig abgeschlossen und die Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts A-Stadt vom 27.01.2017 (5 A 69/14 MD) abgelehnt worden. Damit läuft die 6-monatige Überstellungsfrist in die Slowakei – mindestens – bis zum 13.09.2017. Die Slowakei hat ihre Übernahmebereitschaft erklärt.
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Für die 2015 und 2016 in Deutschland geborenen Kinder, die Antragsteller zu 2. und 3., erging unter dem 01.02.2017 der ablehnende Dublin-Bescheid, welcher auf Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO gestützt wurde.
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Auch die Kinder, die Antragsteller zu 2. und 3., teilen damit nach Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO das Abschiebungsschicksal der Mutter, der Antragstellerin zu 1. Denn ihre Verfahren sind untrennbar mit dem ihrer Mutter verbunden. Die dazu selbständig ergangen Bescheide ändern daran nichts. Denn eine neue Überstellungsfrist dürfte damit gerade nicht begründet sein.
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Gleichwohl hat der Eilantrag Erfolg. Denn es bestehen Abschiebungshindernisse. Nach der ständigen Rechtsprechung der Gerichte ist eine Abschiebung in den zuständigen Dublin-Staat nur rechtlich zulässig, wenn die Flüchtlinge dort keiner unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sind, weil sie etwa ausschließlich auf staatliche Hilfe angewiesen sind oder sich in einer besonderen Situation befinden (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 98; BVerfG, Beschluss vom 17.09.2014 - 2 BvR 732/14 -, juris; s. a. BVerwG, Urteil vom 31.01.2013 - 10 C 15.12 – juris, United Kingdom Supreme Court, Urteil vom 19.02.2014 - EM (Eritrea) and others of the Secretary of the State for the Home Department, [2014] UKSC 12 - Rn. 62.). Dies gilt insbesondere im Fall der Betroffenheit von Kindern. Hierbei ist entscheidend auf ihre besondere Verletzlichkeit abzustellen, der der Vorrang gegenüber dem Gesichtspunkt ihres Status als illegaler Einwanderer einzuräumen ist (EGMR, Urteil vom 4. November 2014 - 29217/12 (Tarakhel/Schweiz) -, HUDOC Rn. 99). In diesen Fällen bedarf es einer besonderen Zusicherung zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge durch den aufnehmenden Dublin-Staat.
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Dies gilt auch vorliegend. Zur Überzeugung des Gerichts ist nicht hinreichend gesichert, dass die Antragstellerin zu 1 als Mutter mit ihren ein- und zweijährigen Kindern in der Slowakei besonders hinsichtlich der Unterkunft und der Lebensverhältnisse eine ausreichende staatliche Unterstützung erfährt. Dies gilt gerade und besonders in den ersten Tagen und Wochen der Ankunft. Dabei ist die Auskunft- und Erkenntnislage zur Slowakischen Republik äußerst dürftig. Aus dem Bericht von ACCORD vom 7. März 2014 www.ecoi.net/local_link/270779/399322_de.html) ist zu entnehmen, dass zwar Ausländern, die innerhalb des Dublin-Verfahrens überstellt werden, in der Slowakei Unterkunft, Nahrungsmittel und notwendige medizinische Dienste in den Einrichtungen des Migrationsamtes oder in den Hafteinrichtungen zugestanden werden. Aus dem Bericht des UNHCR „Where is my home?“, 2013, ergibt sich ebenfalls, dass Asylbewerber im Asylverfahren hinreichend mit Wohnraum versorgt werden und im Falle des Abschlusses des Asylverfahrens für eine Übergangszeit von sechs Monaten ebenfalls eine Versorgung besteht bzw. von sozialen Organisationen zur Verfügung gestellt wird. Prekär stellt sich danach die Lage der als subsidiär schutzbedürftig anerkannten Flüchtlinge dar. Subsidiär Schutzbedürftige sowie sonstige Asylsuchende, die außerhalb der Unterbringungszentren leben, müssen für ihre Lebenshaltungskosten selbst aufkommen und erhalten keine Form der Sozialhilfe (Länderbericht Slowakische Republik – www.asyl.at/projekt/icf_slowakei.pdf -S. 127).
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Es ist nicht zu erwarten, dass die Antragsteller sich als Familie eine zureichende, gemeinsame Unterkunft und eine Sicherung des Lebensunterhalts zeitnah im erforderlichen Umfang in der Slowakei selbst realisieren können. Denn im Hinblick auf die auffallend geringe Rate erfolgreicher Asylverfahren in der Slowakei besteht insbesondere die konkrete Gefahr für die Flüchtlinge, nach Somalia zurückgeschoben zu werden, ohne dass eine ordnungsgemäße Prüfung ihres Schutzersuchens erfolgt ist (VG Frankfurt, Urteil v. 11.05.2016, 9 K 1085/14.F.A; juris). Nach dem ECRI Bericht über die Slowakei vom 16.09.2014 (www.coe.int/t/dghl/monitorin/ecri/Country-by- country/Slovakia/SVK-CbC-V-2014-037-ENG.pdf) haben in den letzten zwanzig Jahren nur 618 Asylbewerber den Flüchtlingsstatus und 518 Bewerber den Staus als subsidiär Schutzberechtigte in der Slowakischen Republik erhalten. Im Bericht USDOS-US Department of State: Country Report on Human Rights Practices 2015–Slovakia, 13. April 2013 (www.ecoi.net/local_link/322581/462058_de.html)wird ausgeführt, dass ab August 2015 lediglich in sieben Fällen Asyl gewährt worden sei und im letzten Jahr fast 99 Prozent aller Asylanträge abgelehnt worden sein. Auch in dem Bericht des Menschenrechtsrats der VN vom11. November 2013, Ziffer 63ff.(www.refworld.org/publisher, UNHCR,,SVK,52fOe1084,0.html)wird Besorgnis im Hinblick auf die sehr geringe Rate der erfolgreichen Asylverfahren geäußert (vgl. auch: VG Frankfurt, Urteil v. 11.05.2016, 9 K 1085/14.F.A; juris).
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Dazu kommt aktuell, dass die Slowakei das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 06.09.2017, wonach Flüchtlinge aufzunehmen sind, als "irrelevant" bezeichnet (ZEITONLINE). Für das erkennende Gericht ist daher nicht nachvollziehbar, wie die Slowakei bei dieser eindeutig belegbaren und gerichtbekannten negativen Einstellung zur europäischen Flüchtlingspolitik die Unterbringung, Ernährung und staatliche Fürsorge für die hier zurückzuschiebende, alleinstehende junge Mutter mit zwei Kleinkindern bewerkstelligen kann bzw. überhaupt will. Schließlich bestimmt auch Art. 20 Abs. 3 Dublin-III-VO die besondere Schutzbedürftigkeit der minderjährigen Kinder. Diese ausweglose Lage für die Antragsteller gilt es unter dem Gebot effektiven Rechtsschutzes zu verhindern.
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Dem stehen auch die bezüglich des Verfahrens der Antragstellerin zu 1. ergangenen gerichtlichen Entscheidungen nicht entgegen. Denn dort war Prüfungsgegenstand stets "nur" das Verfahren der Mutter; nicht jedoch die besondere Schutzwürdigkeit der erst während des Verfahrens der Mutter geborenen Kinder. Ganz offensichtlich haben die Instanzgerichte diese Familien-Situation nicht geprüft. Das erstinstanzliche Urteil führt dazu nur aus, dass, auch soweit die Klägerin nunmehr einer Unterbringung mit ihrer knapp zweijährigen Tochter bedarf, bestehe kein Anknüpfungspunkt dafür, dass das Asylsystem und die Aufnahmeeinrichtungen in der Slowakei dies nicht zu leisten in der Lage wären. Die sich durch das weitere geborene Kleinkind entstandene prekäre Familiensituation wird nicht gesehen. Auch das Oberverwaltungsgericht geht darauf nicht ein. Schließlich ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass die Antragstellerin zu 1. aufgrund ihrer Haft in der Slowakei dort einem besonderen Personenkreis zugerechnet werden wird, woraus sich die Bewerkstelligung des allgemeinen Lebensalltags für sie und ihre Kleinkinder weiter verschlechtern wird.
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Letztendlich ist belegt, dass das Kleinkind, die Antragstellerin zu 2. laut Notfall-Bericht des Klinikum A-Stadt vom 05.09.2017 seit Tagen fieberhaft mit Erbrechen erkrankt ist, sodass die Reisefähigkeit am geplanten Abschiebetag nicht gewährleistet sein dürfte.