Verwaltungsgericht Köln Urteil, 01. Juli 2015 - 4 K 6004/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Der Kläger kandidierte als Einzelbewerber („Liste 2“) für die Wahl des Integrationsrates der Beklagten vom 25. Mai 2014. Er begehrt, die Wahl für ungültig erklären und wiederholen zu lassen.
3Das Ergebnis der Wahl des Integrationsrates stellte der Wahlausschuss der Beklagten in seiner Sitzung vom 28. Mai 2014 fest. Bekannt gemacht wurde es im Amtsblatt der Beklagten vom 4. Juni 2014 (Nummer 26, Seite 742). Danach wurde der Kläger nicht gewählt.
4Mit Schreiben vom 27. Mai 2014, eingegangen am 5. Juni 2014, fragte der Kläger bei der Beklagten an, was der Grund für die insgesamt 911 ungültigen Stimmen gewesen und bei wie vielen von diesen Stimmen auch die Liste 2 angekreuzt worden sei. Vorsorglich und hilfsweise fechte er das Wahlergebnis an. Eine ausführliche Begründung erfolge, sobald die beiden Fragen beantwortet worden seien.
5Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 erläuterte die Beklagte dem Kläger, nahezu alle Stimmzettel, die als ungültig gewertet worden seien, seien leer abgegebene Stimmzettel gewesen. Nur in wenigen Fällen seien die Stimmzettel durchgestrichen gewesen oder mehrere Kreuze gemacht worden. Das sei nicht ungewöhnlich. Viele Wählerinnen und Wähler mit EU-Staatsangehörigkeit hätten zwar neben den Stimmzetteln für die Kommunalwahl auch die Stimmzettel zur Wahl des Integrationsrates erhalten, an letzterer Wahl aber nicht teilnehmen wollen. Die Stimmzettel seien dann ohne Kennzeichnung im Umschlag in die Urne geworfen worden, um die Nichtteilnahme nicht weiter erklären zu müssen. Pro Wahlbezirk seien durchschnittlich lediglich fünf Stimmzettel ungültig gewesen. Bei keinem der ungültigen Stimmzettel sei die Liste 2 angekreuzt worden.
6Mit Schreiben vom 16. Juni 2014, eingegangen am 20. Juni 2014, sowie mit E-Mail vom 17. Juni 2014 erklärte der Kläger, er halte seine Wahlanfechtung aufrecht. Eine Begründung werde er aber erst Anfang August 2014 einreichen. Wegen zahlreicher Ungereimtheiten sei eine gründliche Prüfung erforderlich. Das nehme viel Zeit in Anspruch. Er sei auch anderweitig verhindert.
7Mit Schreiben vom 11. September 2014, bei der Beklagten eingegangen am 16. September 2014, begründete der Kläger seine Wahlanfechtung. Die Partei „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“ (im Folgenden: BIG) habe den Namen des Klägers auf ihre Homepage gesetzt und damit vorsätzlich bei vielen wahlberechtigten Migranten den Irrtum erregt, sie wählten automatisch auch den Kläger. Das sei Manipulation und eine unzulässige, bewusste und zielgerichtete Wahlbeeinflussung. Der Wahlfehler sei auch für das Wahlergebnis erheblich gewesen. Die C. SPD habe u. a. auf ihrer Homepage ebenfalls einen entsprechenden Irrtum erregt und damit in erheblicher Weise die Wähler manipuliert. Die SPD-Liste sei zudem willkürlich zustande gekommen. Die Kandidatenaufstellung sei nicht demokratisch einwandfrei erfolgt. Auch der Oberbürgermeister der Beklagten habe die Wähler manipuliert. Er habe in zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Wahl ausdrücklich und ausschließlich die SPD-Liste unterstützt. So sei er auf Fotos in Facebook zu sehen gewesen, wo er die SPD-Liste ausdrücklich unterstützt habe. Die anderen Kandidaten seien dadurch ungleich behandelt worden. Der Fehler sei geeignet gewesen, die Wähler zu beeinflussen. Der Oberbürgermeister habe ferner nicht gestattet, dass die Kandidaten ‑ anders als bei der Integrationsratswahl 2009 ‑ direkt in Schulen und sonstigen Einrichtungen, in denen Migranten hätten angesprochen werden können, werben könnten. Auch damit habe er die SPD‑Liste bevorzugt. Außerdem seien den Einzelkandidaten die Meldedaten der Migranten verwehrt worden. Begründet worden sei dies damit, die Integrationsratswahl sei keine Kommunalwahl und auch keine gleichgestellte Wahl. Das sei rechtswidrig. Die Parteien hätten u. a. die Meldedaten von wahlberechtigten Migranten für die Integrationsratswahl erhalten, da die EU-Bürger sowohl für die Kommunalwahl als auch für die Integrationsratswahl wahlberechtigt seien. Ein weiterer Wahlfehler, genauer ein massiver Verstoß gegen das Wahlgeheimnis, liege darin, dass die SPD intensiv auf Wähler zugegangen sei und Vollmachten erlangt habe. Mit diesen seien dann Briefwahlen beantragt und die SPD-Liste angekreuzt worden, und zwar unabhängig davon, ob die Migranten dies gewollt hätten oder nicht. Auch das Verhalten eines Bewerbers auf der SPD-Liste lasse auf Wahlmanipulationen schließen. Er habe dem Kläger am Vortrag der Wahl erklärt, dass dieser ca. 400 Stimmen benötige, um gewählt zu werden. Nur jemand, der eine Wahl manipuliert habe, könne eine solche Aussage treffen. Auch eine Kandidatin der Liste „Christdemokraktischer Freundeskreis für Integration“ habe dem Kläger bestätigt, dass die CDU-nahe Partei vorab Vollmachten eingeholt und somit die eigene Liste gewählt habe, ohne die Wählerinnen und Wähler selbst entscheiden zu lassen. Anfechtbar sei das Wahlergebnis ferner deshalb, weil das Wahlamt nicht aufgelistet habe, aus welchem Stadtteil die meisten Stimmen gekommen seien. Nur durch eine solche, von der Stadt rechtswidrig unterlassene Auflistung aber hätte eine Manipulation nachgewiesen werden können. Das Wahlgeheimnis stehe einer solchen Auflistung nicht entgegen. Schließlich gehe der Kläger mit Blick auf die angeblich 911 leer abgegebenen und somit ungültigen Wahlzettel von einer Manipulation aus. Er habe den Eindruck, die abgegebenen und gültigen Wahlzettel seien durch leere Wahlzettel ausgetauscht worden. Zeit dazu sei ausreichend gewesen. Die Wahlzettel der Integrationsratswahlen seien erst einen Tag nach der Wahl ausgezählt worden. Das sei sehr unüblich und zudem diskriminierend, weil die zeitgleich abgehaltene Kommunalwahl noch am Wahltag ausgezählt worden sei.
8Der Wahlprüfungsausschuss prüfte den Einspruch in seiner Sitzung vom 17. September 2014 vor und empfahl dem Rat, den Einspruch des Klägers als unbegründet zurückzuweisen und die Wahl für gültig zu erklären.
9Daraufhin beschloss der Rat der Beklagten in seiner Sitzung vom 30. September 2014, den Einspruch des Klägers als unbegründet zurückzuweisen und die Wahl für gültig zu erklären.
10Mit Bescheid vom 1. Oktober 2014, zugestellt am 2. Oktober 2014, teilte die Beklagte dem Kläger die Ratsentscheidung mit. Zur Begründung hieß es: Der Flyer der BIG enthalte einen Musterstimmzettel, in dem die Liste 3 (BIG) sichtbar sei. Die abgedeckte Liste 2 sei schemenhaft zu erkennen. Wahlrelevante Verwechselungen seien nicht festzustellen. Hinsichtlich der gerügten Kandidatenaufstellung sei es nicht Aufgabe der Wahlbehörde festzustellen, welche Bewerber im Vorfeld bei den Parteien oder Wählergemeinschaften gehandelt hätten. Der Name des Klägers sei auf der eingereichten Niederschrift der Nominierungsversammlung der SPD auch nicht enthalten. Fehler seien insoweit auch im Übrigen nicht ersichtlich. Das Wahlwerbungsverbot in städtischen Gebäuden betreffe alle Wahlbewerber gleichermaßen und gelte auch für andere politische Wahlen. Keiner Partei, Wählergemeinschaft oder Einzelperson seien Listen mit Meldedaten von Migranten für die Integrationsratswahl weitergeben worden. Die behaupteten Fehler bei der Briefwahl hätten nicht festgestellt werden können. Die Unterlagen seien den Antragstellern persönlich nach Hause oder an eine andere angegebene Adresse (z. B. die Urlaubsadresse) geschickt worden. Das geschulte Personal des zentralen Briefwahlbüros achte auch auf mögliche Sammeladressen (z. B. von Kulturvereinen). Dass die (Brief‑)Wähler von den Kandidaten umworben würden, sei nicht zu beanstanden. Die zentrale Auszählung der Stimmen sei in der Wahlordnung vorgesehen. Damit solle das Wahlgeheimnis gewahrt werden. Vermieden werden solle, dass in einzelnen Stimmbezirken erkennbar sei, wie die Wählerinnen und Wähler abgestimmt hätten. Der Vorwurf des Wahlbetrugs grenze an eine böswillige Unterstellung. In Köln sei die Zahl der abgegebenen ungültigen Stimmen höher gewesen.
11Am 3. November 2014, einem Montag, hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seine Ausführungen im Einspruchsverfahren. Ergänzend führt er aus, der Verwaltungsakt vom 30. September 2014 sei auch formell rechtswidrig. Die Beklagte sei verpflichtet gewesen, den Kläger vor Erlass des Bescheides anzuhören, habe dies jedoch unterlassen.
12Der Kläger beantragt,
13den Beschluss des Rates der Beklagten vom 30. September 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, auf den Einspruch des Klägers vom 5. Juni 2014, begründet unter dem 11. September 2014, die Wahl des Integrationsrates vom 25. Mai 2014 für ungültig zu erklären und eine Wiederholungswahl anzuordnen,
14Die Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Sie tritt der Klage entgegen und verteidigt die angegriffene Entscheidung unter Wiederholung und Vertiefung ihrer Ausführungen im Wahlanfechtungsverfahren.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe
19Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
201. Der Beschluss des Rates der Beklagten vom 30. September 2014 (TOP 1.7.2) ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die fragliche Wahl des Integrationsrates gemäß § 40 Abs. 1 Buchstabe b KWahlG NRW i. V. m. § 27 Abs. 11 Satz 1 GO NRW, § 13 der Wahlordnung für den Integrationsrat der Stadt C1. (WahlO) für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet wird.
21a) Ein solcher Anspruch scheitert bereits an § 39 Satz 1 KWahlG i. V. m. § 27 Abs. 11 Satz 1 GO NRW, § 13 WahlO. Danach können unter anderem Wahlberechtigte des Wahlgebiets binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses Einspruch erheben, wenn sie eine Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl gemäß § 40 Abs. 1 Buchstaben a bis c für erforderlich halten.
22Einspruch in diesem Sinne ist nicht bereits jede an den Wahlleiter gerichtete Erklärung eines Einspruchsführers des Inhalts, es sei ein Wahlprüfungsverfahren einzuleiten. Bei verständiger Würdigung des Gesetzes liegt ein Einspruch vielmehr erst und nur dann vor, wenn die Erklärung so begründet wird, dass aus ihr selbst heraus erkennbar ist, worin ein mandatsrelevanter Wahlfehler liegen soll. Für dieses Normverständnis spricht schon der Gesetzestext. In ihm wird zwar nicht ausdrücklich gefordert, dass eine Einspruchsbegründung vorzulegen ist. Dem Normhalbsatz „wenn sie eine Entscheidung ... für erforderlich halten“ lässt sich aber entnehmen, dass ein hinreichend substantiierter Einspruchsgrund vorgebracht werden muss und die bloße Formalerklärung, man fechte das Wahlergebnis an, nicht ausreicht. Gestützt wird diese Auslegung durch den Zweck und die Genese des in den §§ 39 ff. KWahlG vorgesehenen Wahlprüfungsverfahrens. Der Gesetzgeber beabsichtigt insbesondere mit § 39 Satz 1 KWahlG, die richtige Zusammensetzung der Vertretung in angemessener Zeit zu klären. Das ist nur gewährleistet, wenn bereits innerhalb der Einspruchsfrist der Sachverhalt aus sich heraus verständlich dargelegt wird und erkennbar ist, worin genau der Einspruchsführer einen mandatsrelevanten Wahlfehler erblickt. Dabei sind zwar keine überspannten Anforderungen zu stellen. Verlangt werden müssen aber jedenfalls hinreichend konkrete Ausführungen dazu, dass und aus welchen Beweggründen der Einspruchsführer den Einspruch für erforderlich hält. Auf seine Ausführungen hin muss es den Wahlprüfungsorganen sodann ohne Weiteres möglich sein, das jeweilige Vorbringen einer der Varianten des § 40 Abs. 1 Buchstaben a bis c KWahlG zuzuordnen und den konkreten Überprüfungsgegenstand zu erkennen. Unbelegte Vermutungen und Andeutungen genügen insoweit nicht.
23Eingehend zur Genese des § 39 Satz 1 KWahlG und den daraus folgenden Substantiierungsanforderungen an einen Einspruch VG Köln, Urteil vom 25. März 2015 ‑ 4 K 7076/14 ‑, juris Rn. 28 ff.; zur Einspruchsbegründungsfrist Schl.‑Holst. OVG, Urteile vom 30. September 1997 ‑ 2 K 9/97 ‑, juris Rn. 34 ff., vom 26. Oktober 2010 ‑ 2 LB 28/09 ‑, juris Rn. 22 ff., sowie Beschluss vom 13. Mai 2015 ‑ 3 LA 14/14 ‑, juris Rn. 4 ff., zu vergleichbarem dortigen Landesrecht; siehe auch BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 1991 ‑ 2 BvR 562/91 ‑, juris Rn. 38; Schneider in: Kallerhoff u.a., Handbuch zum Kommunalwahlrecht in NRW, F. III. 4.2, sowie Bätge, Wahlen und Abstimmungen in Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand: Mai 2014, § 39 KWahlG Rn. 8.
24Unberücksichtigt bleiben müssen deshalb auch Einspruchsgründe, die erstmals nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgebracht werden. Das gilt selbst dann, wenn derart verspätete Ausführungen von dem zuständigen Wahlorgan erwogen und beschieden werden. Bei den Vorschriften der §§ 39 ff. KWahlG NRW handelt es sich im Interesse der Rechtssicherheit um zwingendes Recht, das nicht zur Disposition der für die Durchführung der Wahl zuständigen kommunalen Gremien steht. Bereits vor dem Wahltag an den Wahlleiter gerichtete Wahlanfechtungen oder Wahlbeschwerden sind deshalb ebenso wenig Einspruch wie eine in der (rechtzeitigen) Einspruchserklärung lediglich angekündigte Begründung.
25Vgl. Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 13. Mai 2015 ‑ 3 LA 14/14 ‑, juris Rn. 4 ff., zu vergleichbarem dortigen Landesrecht.
26Auf dieser Grundlage hat der Kläger keinen fristgerechten Einspruch im Sinne von § 39 Satz 1 KWahlG erhoben. Innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses sind lediglich die Schreiben vom 27. Mai und 16. Juni 2014 bei der Beklagten eingegangen. Beide Erklärungen genügen nicht den vorstehend dargestellten Anforderungen an einen wirksamen Einspruch.
27Bei dem Schreiben vom 27. Mai 2014 geht die Kammer zunächst zu Gunsten des Klägers davon aus, dass es erst nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses am 4. Juni 2014 und damit fristgerecht, d. h. nicht vor Beginn der Einspruchsfrist bei der Beklagten eingegangen ist. Ein wirksamer Einspruch kann in dem Schreiben gleichwohl nicht gesehen werden. Der Kläger hat darin zwei Fragen zu den nach der Integrationsratswahl insgesamt festgestellten 911 ungültigen Stimmen an die Beklagte gerichtet, die der Aufklärung des Sachverhalts dienten und die den zunächst nur „vorsorglich, hilfsweise“ gestellten Wahlanfechtungsantrag erst vorbereiten sollten. Einen mandatsrelevanten Wahlfehler behauptet der Kläger in dem Schreiben hingegen nicht. Er erhebt weder konkrete Manipulationsvorwürfe noch bringt er sonst etwas vor, was auf Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung der Wahl oder bei der Wahlhandlung oder auf Fehler bei der Feststellung des Wahlergebnisses schließen lässt. Die Ausführungen des Klägers in dem Schreiben können deshalb auch keiner der Varianten des § 40 Abs. 1 Buchstaben a bis c KWahlG zugeordnet werden. Von Einwendungen gegen die Wahl will der Kläger im Übrigen ‑ wie er in der mündlichen Verhandlung betont hat ‑ seinerzeit ganz bewusst abgesehen haben, weil er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sicher gewesen sei, wie es zu 911 ungültigen Stimmen habe kommen können.
28Auch aus dem weiteren, innerhalb der Einspruchsfrist eingegangenen Schreiben vom 16. Juni 2014 kann der Kläger nichts Günstiges herleiten. Darin hat er lediglich erklärt, dass er seinen Einspruch erst Anfang August 2014 begründen könne. Einen mandatsrelevanten Wahlfehler führt er hingegen nicht an.
29Angebliche Unregelmäßigkeiten und sonstige Wahlfehler benannt und gerügt hat der Kläger vielmehr erstmals mit Schreiben vom 11. September 2014 und damit deutlich nach Ablauf der gesetzlichen Monatsfrist. Das ist mit Blick auf die vorstehend dargestellten Anforderungen an einen wirksamen Einspruch zu spät. Die in dem Schreiben behaupteten und in mehreren Unterpunkten thematisierten Wahlfehler müssen deshalb unberücksichtigt bleiben.
30b) Der Klage bleibt der Erfolg aber auch dann versagt, wenn man zu Gunsten des Klägers berücksichtigt, dass er die 911 ungültigen Stimmen immerhin in seinem Schreiben vom 27. Mai 2014 thematisiert hat und vor diesem Hintergrund annimmt, er habe insoweit die Einspruchsfrist gewahrt. In diesem Fall ist das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 11. September 2014 zwar zu berücksichtigen, soweit er nähere Ausführungen zu den vorgenannten ungültigen Stimmen enthält. Der Einspruch ist aber gleichwohl zurückzuweisen, weil die erhobenen Manipulationsvorwürfe unsubstantiiert sind. Der Kläger hat lediglich reklamiert, 911 gültige Stimmzettel seien absichtlich gegen 911 ungültige Stimmzettel ausgetauscht worden. Konkrete und belastbare, seinen Vortrag stützende Tatsachen hat er hingegen auch auf mehrfache Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht benennen können. Er hat sich vielmehr auf die bloße Behauptung beschränkt, für einen Austausch habe genügend Zeit bestanden, weil die Stimmzettel erst am auf die Wahl folgenden Tag ausgezählt worden seien. Damit lassen sich die Manipulationsvorwürfe auch bei Anlegung eines großzügigen Maßstabs nicht hinreichend sicher einem der in § 40 Abs. 1 Buchstaben a bis c KWahlG aufgelisteten Wahlfehler zuordnen. Das geht in einem Wahlprüfungsverfahren nach den §§ 39 ff. KWahlG, das nicht auf unbelegte Vermutungen gestützt werden kann, zu Lasten des Klägers.
31c) Hat der Kläger nach alledem aus Rechtsgründen keinen Anspruch darauf, dass die Wahl für ungültig erklärt und eine Wiederholungswahl angeordnet wird, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob er unmittelbar vor Erlass des Bescheides vom 1. Oktober 2014 hätte angehört werden müssen oder nicht.
322. Nicht Streitgegensand des Verfahrens war und ist die in der Klageschrift zusätzlich thematisierte Frage, ob der Kläger die Daten der Wahlberechtigten nach § 35 MeldeG NRW beanspruchen könne und wie diese Norm auszulegen sei. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass er einen solchen Anspruch nicht bereits im Rahmen des anhängigen kommunalwahlrechtlichen Verfahrens habe geltend machen wollen. Er habe vielmehr lediglich ankündigen wollen, die melderechtlichen Fragen rechtzeitig vor der kommenden Integrationsratswahl zum Gegenstand eines gesonderten Rechtsstreits zu machen. Vor diesem Hintergrund sieht die Kammer in dem in der mündlichen Verhandlung gestellten und auf kommunalwahlrechtliche Fragen beschränkten Klageantrag keine sinngemäße (und gesondert kostenpflichtige) Klagerücknahme des Klägers in Bezug auf etwaige, in der Klageschrift noch näher erläuterte melderechtliche Ansprüche.
333. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO.
344. Die Berufung ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor.
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Köln Urteil, 01. Juli 2015 - 4 K 6004/14
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Verwaltungsgericht Köln Urteil, 01. Juli 2015 - 4 K 6004/14 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
Die Beschlüsse des Rates der Beklagten vom 13. November 2014 (TOP 10.23 III: Gültigerklärung der Ratswahl vom 25. Mai 2014) und vom 30. September 2014 (TOP 10.19.1: Zurückweisung des Einspruchs der Kläger) werden aufgehoben. Der Rat der Beklagten wird verpflichtet, die Feststellung des Wahlergebnisses für ungültig zu erklären, sie aufzuheben und die Neufeststellung mit der Maßgabe anzuordnen, dass ein gegenüber der Feststellung vom 30. Mai 2014 verändertes Wahlergebnis nur aufgrund von rechnerischen Berichtigungen im Stimmbezirk 20874 unter Bindung an die Grundsätze dieses Urteils festgestellt werden darf.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
1
Tatbestand
2Die Kläger begehren Beschlüsse des Rates der Beklagten, mit denen dieser die bisherige Feststellung des Ergebnisses der Kommunalwahl 2014 für ungültig erklären, sie aufheben und die Feststellung eines aufgrund rechnerischer Berichtigungen im Stimmbezirk 20874 veränderten Wahlergebnisses anordnen soll.
3Am 25. Mai 2014 fand in Nordrhein-Westfalen u.a. die Kommunalwahl statt. Die endgültigen Wahlergebnisse der Kommunalwahl für die Stadt Köln stellte der Wahlausschuss in seiner Sitzung vom 30. Mai 2014 fest. Die öffentliche Bekanntmachung des Wahlergebnisses erfolgte im Amtsblatt der Stadt Köln vom 4. Juni 2014 unter der laufenden Nr. 271, Seite 791.
4Im (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 des Wahlbezirks 14 (Rodenkirchen II Weiß Sürth) erreichten danach von insgesamt 703 gültigen Stimmen die SPD-Bewerberin 298 Stimmen (=42,39%) und die CDU-Bewerberin 175 Stimmen (=24,89%). In den weiteren Stimmbezirken des Wahlbezirks 14 lauteten die Ergebnisse wie folgt:
5Stimm-bezirk Briefwahl |
Ergebnis in % |
Vorsprung CDU vor SPD in % |
Stimm-bezirk |
Ergebnis in % |
Vorsprung CDU vor SPD in % |
Ø Vorsprung in % |
Vorteil Briefwahl in % |
20873 |
CDU 47,51 SPD 18,94 |
28,57 |
20806 20807 20808 |
CDU 47,99 / SPD 13,28 CDU 43,83 / SPD 17,59 CDU 35,37 / SPD 19,94 |
34,71 26,24 15,43 |
25,46 |
3,11 |
20874 |
CDU 24,90 SPD 42,39 |
- 17,49 |
20809 20810 20811 |
CDU 35,69 / SPD 25,88 CDU 35,47 / SPD 23,57 CDU 33,92 / SPD 26,86 |
9,81 11,9 7,06 |
9,59 |
-27,08 |
20875 |
CDU 48,4 SPD 22,4 |
26 |
20812 20813 20814 |
CDU 36,33 / SPD 18,75 CDU 47,24 / SPD 15,86 CDU 37,10 / SPD 19,43 |
17,58 31,38 17,67 |
22,21 |
3,79 |
20971 |
CDU 43,44 SPD 25,88 |
17,56 |
20901 20902 20903 |
CDU 31,67 / SPD 23,17 CDU 36,10 / SPD 25,63 CDU 30,33 / SPD 27,67 |
8,5 10,47 2,66 |
7,21 |
10,35 |
20972 |
CDU 35,86 SPD 22,94 |
12,92 |
20904 20905 20906 |
CDU 23,75 / SPD 28,35 CDU 32,45 / SPD 23,94 CDU 30,97 / SPD 20,90 |
- 4,6 8,51 10,07 |
4,66 |
8,26 |
21071 |
CDU 33,55 SPD 24,52 |
9,03 |
21001 21002 21003 |
CDU 25,90 / SPD 28,42 CDU 25,10 / SPD 24,28 CDU 30,00 / SPD 21,07 |
- 2,52 0,82 8,93 |
2,41 |
6,62 |
21072 |
CDU 33,47 SPD 20,87 |
12,6 |
21004 21005 21006 |
CDU 22,88 / SPD 25,99 CDU 30,06 / SPD 26,97 CDU 26,99 / SPD 20,42 |
- 3,11 3,09 6,57 |
2,18 |
10,42 |
21073 |
CDU 33,96 SPD 13,64 |
20,32 |
21007 21008 21009 |
CDU 26,68 / SPD 13,85 CDU 23,23 / SPD 20,54 CDU 29,25 / SPD 12,45 |
12,83 2,69 16,8 |
10,77 |
9,55 |
Ø ohne 20874: 18,14 % |
Ø der 21 von CDU gewonnenen: 12,56% |
Mit Schreiben vom 18. Juni 2014, ergänzt durch Schreiben vom 26. Juni und 2. Juli 2014, erhoben die Kläger Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl des Rates. Zur Begründung führten sie im Wesentlichen aus, es liege der Verdacht nahe, dass es bei der Übertragung der ausgezählten Stimmen des Stimmbezirks 20874 in das Protokoll der Ratswahl für den Wahlbezirk 14 zu einem Übertragungsfehler zulasten der CDU gekommen sei. Dies ergebe sich aufgrund der festgestellten Ergebnisse für die Ratswahl im Stimmbezirk 20874. Hier liege die SPD-Bewerberin mit 298 Stimmen (=42,39%) vor der Klägerin, die auf 175 Stimmen (=24,89%) gekommen sei. Ein Blick auf das Gesamtergebnis des Wahlbezirks 14 zeige, dass die CDU-Bewerberin in 21 von 24 Stimmbezirken deutlich vor der SPD-Bewerberin liege. Der Vorsprung betrage im Schnitt 12,56%. In den drei übrigen Stimmbezirken, in denen die SPD-Bewerberin vor der CDU-Bewerberin liege, belaufe sich der Vorsprung im Schnitt auf nur 3,41%. In sieben (Briefwahl-)Stimmbezirken sei der Vorsprung der CDU-Bewerberin vor der SPD-Bewerberin nochmals um 5,58% besser. Er liege im Schnitt bei 18,14%. Lediglich im (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 liege die SPD-Bewerberin mit einem Vorsprung von 17,5% vor der CDU-Bewerberin. Mit Blick auf die erzielten Ergebnisse aller Stimmbezirke, in denen die SPD-Bewerberin vor der CDU-Bewerberin gelegen habe, hielten sie die Differenz für sehr unwahrscheinlich. Dass es bei der Übertragung der ausgezählten Stimmen zu einem Fehler gekommen sei, ergebe sich weiterhin aus einem Vergleich mit den Ergebnissen der Wahl zur Bezirksvertretung. Dort liegt die CDU im (Briefwahl‑)Stimmbezirk 20874 mit 38,275% deutlich vor der SPD mit nur 24,17%. Nach dem in der Sitzung vom 30. Mai 2014 festgestellten Wahlergebnis stünden der CDU im Kölner Rat 24 Sitze zu. Für den 25. Sitz würden mittlerweile nur noch 8 Stimmen fehlen.
7Der Wahlprüfungsausschuss beriet über den Einspruch der Kläger in seiner Sitzung vom 22. August 2014. Er beschloss, der Wahleinspruch sei zulässig, aber unbegründet und daher zurückzuweisen. In der selben Sitzung beschloss der Wahlprüfungsausschuss außerdem, dem Rat zu empfehlen, die Wahl des Rates und der Bezirksvertretung in Köln am 25. Mai 2014 mit den in der öffentlichen Bekanntmachung im Amtsblatt der Stadt Köln, Ausgabe vom 04. Juni 2014 unter den laufenden Nummern 271 und 272, festgestellten Wahlergebnissen für gültig zu erklären.
8In seiner öffentlichen Sitzung am 30. September 2014 beschloss der Rat der Beklagten, den Einspruch der Kläger als unzulässig zurückzuweisen. Gleichzeitig vertagte er die Beschlussfassung über die Feststellung der Gültigkeit der Rats-, Bezirksvertretungs- und Integrationsratswahl in Köln am 25. Mai 2014 gemäß § 40 Abs. 1 d) in Verbindung mit § 46a KWahlG (TOP 10.19.9). Unter TOP 10.19.10 fasste der Rat schließlich den folgenden Beschluss:
9„Der Rat beschließt und beauftragt die Verwaltung, das Ergebnis der Wahl des Rates der Stadt Köln vom 25.05.2014 komplett zu überprüfen, indem alle 1024 Stimmbezirke erneut ausgezählt werden.“
10Diesen Beschluss beanstandete der Oberbürgermeister der Beklagten. In seiner Sondersitzung am 22. Oktober 2014 lehnte der Rat mehrheitlich die Aufhebung seines Beschlusses vom 30. September 2014 ab. Der Oberbürgermeister legte den Vorgang der Bezirksregierung Köln als Kommunalaufsicht zur Entscheidung vor. Mit Verfügung vom 6. November 2014 hob die Bezirksregierung unter Anordnung der sofortigen Vollziehung den Beschluss des Rates vom 30. September 2014 zu TOP 10.19.10 gemäß § 122 Abs. 1 Satz 2 GO NRW auf. Dagegen hat die Beklagte Klage im Verfahren 4 K 6708/14 erhoben.
11In der öffentlichen Sitzung vom 13. November 2014 wurde die Wahl des Rates und der Bezirksvertretungen in Köln am 25. Mai 2014 mit den in der öffentlichen Bekanntmachung im Amtsblatt der Stadt Köln, Ausgabe vom 4. Juni 2014 unter der laufenden Nummer 271 festgestellten Wahlergebnissen für die Kommunalwahl für gültig erklärt. Dieser Ratsbeschluss wurde im Amtsblatt der Stadt Köln vom 19. November 2014 unter der laufenden Nummer 420, Seite 1006 öffentlich bekannt gemacht.
12Am 18. Dezember 2014 haben die Kläger Klage erhoben. Unter Bezugnahme auf ihre Einspruchsgründe tragen sie ergänzend im Wesentlichen vor: Das Wahlverhalten der Wahlberechtigten in den Stimmbezirken 20809 bis 20811 sei stringent. Im Schnitt habe die CDU bei der Europawahl 34,35%, bei der Bezirksvertreterwahl 35,11% und bei der Ratswahl 35,02% erzielt. Bei der Briefwahl habe sie noch zulegen können. Bei der Europawahl habe sie 37,35% erzielt, was einem Stimmenplus von 3,58% entspreche. Bei der Wahl zur Bezirksvertretung habe sie bei 35,11% gelegen, woraus sich ein Stimmenplus von 3,16% ergebe. Lediglich bei der Ratswahl habe die CDU nur 24,89% erzielt. Dies sei ein Stimmenminus von 10,13%. Da ausweislich der Analyse der Kommunalwahl des Amtes für Statistik traditionell CDU- und FDP-Wähler von der Briefwahl Gebrauch machten, hätte die CDU-Bewerberin den (Briefwahl-)Stimmbezirk mit einem Stimmenplus in Höhe von rund 3% im Vergleich zum Ergebnis der Urnenwahl für sich entscheiden müssen. Die aktuellen Strukturdaten des Wahlkreises lieferten keine Hinweise auf soziografische Sondereinflüsse des (Briefwahl-)Stimmbezirks 20874. Es müsse zu einem Übertragungsfehler der ausgezählten Stimmen gekommen sein.
13Deutlich werde die Abweichung auch durch einen Vergleich der Ergebnisse von Rats- und Bezirksvertretungswahl. Die Ergebnisse beider Wahlen unterlägen nur einer geringen Schwankungsbreite von bis zu 30 Stimmen. Nur in zwölf Wahlkreisen gebe es Ausreißer. Dort erreiche die Schwankungsbreite bis zu maximal 50 Stimmen. Im (Briefwahl‑)Stimmbezirk 20874 sei ein absolut singuläres Ereignis festzustellen. Hier stünden 175 CDU-Stimmen bei der Ratswahl 268 CDU-Stimmen bei der Bezirksvertretungswahl gegenüber, so dass hier eine Schwankung von nahezu 100 Stimmen festzustellen sei. Bei der SPD stünden 298 Stimmen bei der Ratswahl 106 Stimmen bei der Bezirksvertretungswahl gegenüber. Dies entspreche einer Schwankungsbreite von fast 200 Stimmen.
14Da das Kommunalwahlgesetz NRW – anders als viele andere Landeskommunalwahlgesetze und das Wahlprüfungsgesetz des Bundes – kein Begründungserfordernis formuliere, könne auch das Substantiierungsgebot nicht in dem von der Beklagten angeführten Maß auf das nordrhein-westfälische Kommunalwahlgesetz übertragen werden. Insbesondere seien die strengeren Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts zur Begründungs- und Substantiierungspflicht nicht übertragbar. Ausreichend sei vielmehr, dass der Einspruch ein Minimum an Substantiierung enthalte und nicht ohne jede Begründung abgegeben worden sei. Diesen Anforderungen genüge der Einspruch der Kläger. Das klägerische Vorbringen erfülle aber auch die Voraussetzungen einer hohen Substantiierungspflicht. Es gehe nicht um bloße statistische Auffälligkeiten. Es liege vielmehr eine aus mehreren Blickrichtungen belegte drastische Verschiebung des ausgezählten und/oder niedergeschriebenen Ergebnisses bezogen auf den (Briefwahl‑)Stimmbezirk 20874 bei der Ratswahl vor.
15Auch Zweck und Grundsätze der Wahlprüfung sprächen für eine teilweise Neuauszählung. Darüber hinaus sei das Vertrauen vieler Kölner Bürger in die Rechtmäßigkeit des Wahlergebnisses nicht mehr gegeben. Dies liege insbesondere daran, dass eine Neuauszählung mit dem von den Klägern vermuteten Ergebnis signifikante Auswirkungen auf die Mehrheitsverhältnisse im Rat hätte. Nur durch eine zeitnah durchzuführende Neuauszählung der Briefwahlstimmen in dem Stimmbezirk 20874 würde dieses Vertrauen wieder hergestellt werden. Der Rat könnte seine Arbeit als rechtmäßig demokratisch legitimiertes Organ fortsetzen. Die Sorge, dass zukünftig stets bei einem knappen Wahlausgang Nachzählungen gefordert werden könnten, bestehe nicht. Die aufgeführten drastischen Anhaltspunkte tauchten kaum ein zweites Mal auf.
16Die Kläger beantragen,
17die Beschlüsse des Rates der Beklagten vom 13. November 2014 (TOP 10.23 III: Gültigerklärung der Ratswahl vom 25. Mai 2014) und vom 30. September 2014 (TOP 10.19.1: Zurückweisung des Einspruchs der Kläger) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, auf den Einspruch der Kläger vom 18. Juni 2014, ergänzt am 26. Juni und 3. Juli 2014, die Feststellung des Wahlergebnisses für ungültig zu erklären, sie aufzuheben und die Neufeststellung unter rechnerischer Berichtigung des Ergebnisses im Stimmbezirk 20874 anzuordnen.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Die Beklagte trägt unter Bezugnahme auf durch sie beauftragte gutachterliche Stellungnahmen von Prof. Dr. Bätge vom 17. Juli 2014, 29. August 2014 und 3. September 2014 im Wesentlichen vor: In der Sache habe sie die Einsprüche zu Recht zurückgewiesen. Aus dem KWahlG, insbesondere § 40 Abs. 1 Satz 1 KWahlG, ergebe sich ein Begründungserfordernis. Aus diesem folge auch ein Substantiierungsgebot; es wohne dem Wahlprüfungsrecht allgemein inne. Der Vortrag der Kläger genüge diesen Anforderungen nicht. Die Kläger legten nicht substantiiert dar, dass es zu Unregelmäßigkeiten bei der Stimmenzählung und/oder Ergebnisermittlung gekommen sei. Die Auffälligkeit des Ergebnisses stelle keinen Verstoß gegen wahlrechtliche Vorschriften und demnach keinen Wahlfehler dar. Vielmehr mache die Unvergleichbarkeit und Unvorhersehbarkeit der Wahlergebnisse in verschiedenen Stimmbezirken gerade den Charakter von freien Wahlen aus. Aber selbst wenn ein auffälliges Wahlergebnis in einem Stimmbezirk als Wahlfehler eingestuft werden sollte, hätten es die Kläger nicht vermocht deutlich zu machen, wann das Wahlergebnis in einem Stimmbezirk als so abweichend von der Norm einzuordnen sei, dass eine Auffälligkeit im Sinne eines Wahlfehlers vorliege. Die Kläger hätten auch nicht dargelegt, in welcher Höhe eine Abweichung vorliegen müsse, um sie als statistisch auffällig, also signifikant bezeichnen zu können. Die Statistik erfordere es jedoch, dass erst eine Schwelle festgelegt werde. Erst daraus könne ein Einzelwert als signifikant bezeichnet werden.
21Für andere Wahlfehler, etwa eine fehlerhafte Auszählung durch den Wahlvorstand, lägen keine Anhaltspunkte vor. Die Prüfung der Wahlniederschriften der Stimmbezirke habe keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten ergeben. Die Ergebnisse seien auf Niederschrift und Schnellmeldezettel identisch und eindeutig eingetragen. Der Wahlvorstand habe zudem in der Niederschrift einvernehmlich bestätigt, dass sich bei der Zählung keine Unstimmigkeiten ergeben hätten.
22Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
23Entscheidungsgründe
24Die Klage hat Erfolg.
25I. Die Klage ist zulässig.
26Die Verpflichtungsklage setzt wie die Anfechtungsklage nur eine mögliche Betroffenheit in eigenen Rechten voraus, § 42 Abs. 2 VwGO. Diese mögliche Rechtsverletzung ergibt sich aus dem Beschluss des Rates der Beklagten vom 30. September 2014, mit dem der Einspruch der Kläger zurückgewiesen wurde. Der Kläger zu 1) ist als Wahlberechtigter, der Kläger zu 2) als für das Wahlgebiet zuständige Leitung einer Partei einspruchs- und auf die Zurückweisung des Einspruchs hin jeweils auch klagebefugt (vgl. § 39 Abs. 1 KWahlG i.V.m. § 11 Abs. 3 Satz 2 Parteiengesetz).
27II. Die Klage ist auch begründet.
28Die Beschlüsse des Rates der Beklagten vom 30. September 2014 (TOP 10.19.1: Zurückweisung des Einspruchs der Kläger) und vom 13. November 2014 (TOP 10.23 III: Gültigerklärung der Ratswahl vom 25. Mai 2014) sind rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten. Die Kläger haben auf ihren Einspruch hin einen Anspruch gegen den Rat der Beklagten auf die Ungültigerklärung des Wahlergebnisses, dessen Aufhebung und die Neufeststellung mit der einschränkenden Maßgabe, dass ein gegenüber der Feststellung vom 30. Mai 2014 verändertes Wahlergebnis nur aufgrund von rechnerischen Berichtigungen im Stimmbezirk 20874 unter Bindung an die Grund-sätze dieses Urteils festgestellt werden darf (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 43 KWahlG).
29Die Zurückweisung des Einspruchs der Kläger durch den Ratsbeschluss vom 30. September 2014 ist rechtswidrig. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Einspruch der Kläger zulässig (1.). Er ist auch begründet (2.).
301. Die Kläger haben nach § 39 Abs. 1 Satz 2 KWahlG form- und fristgerecht Einspruch erhoben. Die Zulässigkeit ihres Einspruchs scheitert entgegen der Auffassung der Beklagten nicht an mangelnder Substantiierung.
31Auch das kommunale Wahlprüfungsverfahren ist ausschließlich dazu bestimmt, die richtige Zusammensetzung der Vertretung zu gewährleisten und damit dem Grundsatz der Wahlgleichheit aus Art. 28 Abs. 1 Satz 2 GG sowie § 42 Abs. 1 Satz 1 GO NRW zum Durchbruch zu verhelfen. Dementsprechend können auch ohne ausdrückliche weitere Postulierung im einfachen Gesetz grundsätzlich nur solche festgestellten Fehler zu Eingriffen der Wahlprüfungsinstanzen führen, die auf die gesetzmäßige Zusammensetzung der Volksvertretung, also auf die konkrete Mandatsverteilung, von Einfluss sind oder sein können. Dagegen vermögen Wahlfehler, welche die Ermittlung des Wahlergebnisses betreffen, den Wahleinspruch und die folgende Klage dann nicht zu rechtfertigen, wenn sie angesichts des Stimmenverhältnisses keinen Einfluss auf die Mandatsverteilung haben konnten.
32Vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.1975 - 2 BvC 1/74 -, juris Rn. 65; Beschluss vom 12.12.1991 - 2 BvR 562.91 -, juris Rn. 36ff.; vgl. Schneider in: Kallerhoff u.a. , Handbuch zum Kommunalwahlrecht in NRW, F. III 5.3.3.1.
33Selbst wenn ein mandatsrelevanter Wahlfehler in Rede steht, darf die Zusammensetzung des Parlaments bzw. hier des Rates nicht vorschnell in Frage gestellt werden. Deshalb sind Einsprüche als unsubstantiiert (und damit unzulässig) zurückzuweisen, wenn lediglich unbelegte Vermutungen angestellt werden oder die Möglichkeit eines Wahlfehlers bloß angedeutet wird. Zulässig ist der Einspruch hingegen, wenn der Einspruchsführer konkrete, der Überprüfung zugängliche Tatsachen vorträgt. Der Tatsachenvortrag muss einen der in § 40 Abs. 1 a) bis c) KWahlG aufgelisteten Wahlfehler charakterisieren. Indes dürfen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Anforderungen daran, was ein Einspruchsführer vortragen muss, auch nicht überspannt werden.
34Vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.1991 - 2 BvR 562.91 -, juris Rn. 38.
35Gemessen an diesen hergebrachten höchstrichterlichen Grundsätzen, denen das Gericht uneingeschränkt folgt, hat die Beklagte die Anforderungen an den Einspruch der Kläger in Bezug auf seine Zulässigkeit zu hoch angesetzt. Eine Wahlprüfungsentscheidung nach § 40 Abs. 1 c) KWahlG kann zwar nicht bereits dann ergehen, wenn sich das Einspruchsvorbringen in den Kanon der möglichen Wahlfehler des § 40 Abs. 1 a), b) oder c) KWahlG einordnen lässt. Im Lichte der Wahlrechtsgrundsätze scheidet eine solche Möglichkeit von vornherein aus. Es kann auch nicht genügen, wenn Einspruchsführer gemäß dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 1 KWahlG eine Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl jedenfalls ihrerseits für erforderlich halten. Die bloß subjektive Einschätzung eines Einspruchsführers ist kein tauglicher Maßstab, den grundgesetzlich bestimmten Wahlrechtsgrundsätzen zu genügen. Der nur auf eine subjektive Bewertung durch den Einspruchsführer hindeutende Wortlaut des § 39 KWahlG ist also entsprechend einschränkend auszulegen. Indes zeigt die Entstehungsgeschichte der Vorschrift auf, dass der Landesgesetzgeber für die Zulässigkeit des Einspruchs bereits ein Mindestmaß an (objektivierbarer) Substantiierung genügen lassen wollte. Anders als in anderen Wahlgesetzen, wie z.B. § 2 Abs. 1 Satz 1 Wahlprüfungsgesetz NRW (für Einsprüche bei Landtagswahlen), hat der Gesetzgeber kein ausdrückliches Begründungserfordernis in das Gesetz aufgenommen. Nach dem Entwurf der Landesregierung vom 22. Dezember 1953 zur Änderung des Gemeindewahlgesetzes (LT-Drs. 1411) lautete die maßgebliche Einspruchsvorschrift (damals noch § 40) zunächst dahin, dass der Einspruch schriftlich einzureichen oder mündlich zur Niederschrift zu erklären sei. Auf den Bericht des Kommunalpolitischen Ausschusses vom 18. Mai 1954 (LT-Drs. 1611) erfuhr § 40 des Gesetzentwurfs die Anreicherung auf das heute noch vorhandene Maß, wonach Einspruch erhoben werden kann, wenn eine Entscheidung gemäß § 40 Abs. 1 Buchstaben a bis c für erforderlich gehalten wird. Danach obliegen dem Einspruchsführer im Rahmen der Zulässigkeit des Einspruchs nicht weniger, aber auch nicht mehr als hinreichend konkrete Ausführungen dazu, dass und aus welchen Beweggründen er den Einspruch für erforderlich hält. Auf seine Ausführungen hin muss es den Wahlprüfungsorganen sodann ohne Weiteres möglich sein, das jeweilige Vorbringen einer der Varianten des § 40 Abs. 1 a) bis c) KWahlG zuzuordnen und den konkreten Überprüfungsgegenstand zu erkennen.
36Nur ein Mindestmaß an Substantiierung für die Zulässigkeit des Einspruchs verlangen auch Schneider in: Kallerhoff u.a., Handbuch zum Kommunalwahlrecht in NRW, F. III. 4.2 sowie ebenfalls Bätge, Wahlen und Abstimmungen in Nordrhein-Westfalen, Kommentar, Stand: Mai 2014, § 39 KWahlG Rn. 8. Höhere Anforderungen an die Zulässigkeit des Einspruchs stellt Bätge wohl erstmals in: Rechtsgutachten zum Kommunalwahlrecht, erstattet im Auftrag der Stadt Köln im Juli 2014.
37Der Einspruch der Kläger ist demnach zulässig, weil sie einen Wahlfehler mit Einfluss auf die Mandatsverteilung gerügt haben (a), der von der Regelung in § 40 Abs. 1 c) Satz 1 KWahlG erfasst ist (b). Zudem haben die Kläger zur Substantiierung dieses Fehlers konkrete, der Überprüfung zugängliche Tatsachen vorgetragen, die den Schluss auf den angeführten Fehler zulassen (c).
38a) Die Kläger haben einen mandatsrelevanten Wahlfehler in Bezug auf die Zuteilung von Ratsmandaten aus der Reserveliste vorgetragen. Da der CDU ausweislich des bisher festgestellten Wahlergebnisses für die Zuteilung eines weiteren Ratsmandats lediglich 8 Stimmen fehlen, ist die Mandatsrelevanz des behaupteten Fehlers offensichtlich. Auf die CDU wären ohne den von den Klägern angenommenen Fehler 123 Stimmen mehr entfallen. Es sollen 298 (Briefwahl-)Stimmen statt für die CDU-Bewerberin fälschlicherweise für die SPD-Bewerberin in die Wahlniederschrift eingetragen worden sein, 175 (Briefwahl-)Stimmen demgegenüber statt für die SPD-Bewerberin fälschlicherweise für die CDU-Bewerberin.
39b) Die Kläger gehen (jedenfalls ab dem Zeitpunkt und aufgrund ihres dahin lautenden Antrags in der mündlichen Verhandlung) nur von Fehlern nach Abschluss der Wahlhandlung aus und erstreben deshalb konsequenterweise und erkennbar die Korrektur des festgestellten Wahlergebnisses auf der Grundlage von § 40 Abs. 1 c) KWahlG.
40c) Die Kläger gehen von einer zweifachen Verletzung des § 51 KWahlO aus. Nach dessen Abs. 6 werden die für die einzelnen Bewerber abgegebenen Stimmen vom Schriftführer des Wahlvorstands in die Wahlniederschrift eingetragen, zwei Beisitzer überprüfen die Eintragungen. Da die Kläger bei der Zählung der Stimmen nicht anwesend waren, sind sie nicht in der Lage, konkrete Tatsachen zum Geschehen bei der Zählung der Stimmen am Wahlabend vorzutragen. Um ihren Einspruch genügend zu substantiieren, haben sie deshalb Tatsachen vorgetragen, mit deren Hilfe sie auf das Vorhandensein des Eintragungsfehlers in der Wahlniederschrift schlussfolgern. Da auch der indizielle Beweis ein Vollbeweis ist, folgt daraus für die Zulässigkeit des Einspruchs, dass die sog. Hilfstatsachen konkret vorgetragen werden müssen und dass sie es jedenfalls ermöglichen müssen, auf die Haupttatsache, hier: den Eintragungsfehler zu schlussfolgern.
41Die Kläger haben ihren Einspruch auf überprüfbare statistische Auswertungen der Wahlergebnisse und die Betrachtung soziografischer Sondereinflüsse gestützt, die jedenfalls auch den Schluss zulassen, dass die Stimmenzahl bei der Eintragung in die Niederschrift vertauscht worden ist.
42Ob das Vorbringen der Kläger aus sich heraus genügend Substanz hat, einem Wahlprüfungsorgan Anlass zu geben, die Richtigkeit der Eintragungen in der Wahlniederschrift anzweifeln und daraufhin weitere Ermittlungen anstellen zu dürfen, ist nach den eingangs beschriebenen Grundsätzen keine Frage mehr der Zulässigkeit des Einspruchs, sondern vielmehr schon seiner Begründetheit.
43Vgl. zu einem zulässigen, aber mangels Substanz dann unbegründeten Einspruch Deutscher Bundestag, WP 105/09, BT-Drs. 17/6300, Anlage 25. Auf diese Drucksache verweist auch Bätge in: Rechtsgutachten zum Kommunalwahlrecht, erstattet im Auftrag der Stadt Köln im Juli 2014, verneint dann aber gleichwohl bereits die Zulässigkeit des Einspruchs.
442. Der nach alledem zulässige Einspruch der Kläger ist auch begründet.
45Das klägerische Vorbringen weckt derart gewichtige Zweifel an der Richtigkeit des festgestellten Wahlergebnisses, dass das Verwaltungsgericht als Wahlprüfungsorgan zu einer Überprüfung der Wahlniederschriften für den Stimmbezirk 20874 von Amts wegen befugt ist (a). Im Rahmen dieser Überprüfung fallen Fehler in der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift für den Stimmbezirk 20874 auf, die den Verdacht nähren, dass dem Wahlvorstand der klägerseitig beanstandete Eintragungsfehler bei der Ergebnisermittlung tatsächlich unterlaufen sein könnte (b). Auch sonst spricht alles, insbesondere eine vertiefte wahlstatistische Auswertung von Amts wegen für eine mögliche Vertauschung der Zahl der Stimmen für die CDU- und die SPD-Bewerberin (c). Die Abwägung zwischen den Wahlrechtsgrundsätzen, die durch den in Rede stehenden Wahlfehler betroffen sind, führt zur Ungültigerklärung und Aufhebung des bisher festgestellten Wahlergebnisses. Eine (nicht auszuschließende) dauerhafte Verletzung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl wiegt ungleich schwerer als eine (in diesem Fall lediglich vorübergehende) Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl (d). Die Neufeststellung ist möglich i.S.d. § 40 Abs. 1 c) Satz 2 KWahlG, allerdings mit der einschränkenden Maßgabe anzuordnen, dass ein gegenüber der Feststellung vom 30. Mai 2014 verändertes Wahlergebnis nur aufgrund von rechnerischen Berichtigungen im Stimmbezirk 20874 unter Bindung an die Grundsätze dieses Urteils festgestellt werden darf (e).
46a) Gemäß § 40 Abs. 1 c) Satz 1 KWahlG hat der Rat die Feststellung des Wahlergebnisses aufzuheben und eine Neufeststellung nach § 43 KWahlG anzuordnen, wenn er die Feststellung des Wahlergebnisses für ungültig erklärt. § 40 Abs. 1 c) KWahlG knüpft zeitlich und inhaltlich an den Bereich der Feststellung des Wahlergebnisses an und bezieht sich damit auf Fehler nach Abschluss der Wahlhandlung. Wird – wie hier – die Verletzung von Vorschriften beanstandet, die das Verfahren der Stimmenzählung und der Ermittlung des Wahlergebnisses regeln, müssen die Wahlorgane im Allgemeinen den mit dem Einspruch vorgetragenen Sachverhalt durch geeignete Ermittlungen aufklären. Die Besonderheit vorliegend besteht allerdings darin, dass direkte Beweismittel fehlen. Die Kläger selbst waren bei der Auszählung nicht zugegen. Auch können sie keine Person benennen, die den behaupteten Eintragungsfehler beobachtet hätte. Überdies ist das Gericht trotz seiner Aufgaben als Wahlprüfungsorgan nicht ohne weiteres zu eigenen amtlichen Ermittlungen befugt. So ist es dem Gericht verwehrt, seiner Entscheidung von ihm etwa gefundene, eigene Ungültigkeitsgründe zu Grunde zu legen. Inhaltlich wird der Prüfungsumfang vorgegeben und bestimmt durch die zunächst in den Einsprüchen der Kläger und dann im Klageverfahren von ihnen fortgesetzt gerügten Sachverhalte.
47Vgl. OVG NRW, Urteil vom 15.12.1971 - 3 A 35/71 -, OVGE 27, 209 und Beschluss vom 11.03.1966 - 3 A 1039/65 -, OVGE 22, 141; VG Aachen, Urteil vom 13.05.2004 - 4 K 1142/02 -, juris Rn. 47.
48Auch wenn der wahlgesetzliche Prüfungsauftrag (an Wahlprüfungsausschuss, Rat und Gericht) die Befugnis einschließt, zu seiner Erledigung in alle bei der Gemeinde entstandenen, die Wahl betreffenden Unterlagen Einblick zu nehmen,
49vgl. OVG NRW, Beschluss vom 07.01.1985 - 15 B 2697/84 -, NVwZ 1985, 843.
50ist doch eine besondere Zurückhaltung bei weiteren Ermittlungen immer dann angezeigt, wenn sie sich auf die Wahlniederschriften selbst beziehen. Die Notwendigkeit der besonderen Zurückhaltung im Umgang mit den Wahlniederschriften findet ihre ausdrückliche Bestätigung in den kommunalwahlrechtlichen Vorschriften. Nach § 34 KWahlG ist allein der Wahlausschuss berechtigt, Änderungen an den Niederschriften vorzunehmen. Auch er ist aber nur berechtigt, Rechenfehler zu berichtigen. Die Wahlniederschriften werden durchgängig amtlich verwahrt (vgl. §§ 54 Abs. 3, 58 Abs. 5 KWahlO). Der Wahlvorsteher und im Anschluss an die Stimmenzählung der Wahlleiter haben nach § 54 Abs. 4 KWahlO sicherzustellen, dass die Wahlniederschriften mit den Anlagen Unbefugten nicht zugänglich sind. Diese besondere Behandlung erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die etwa auch hier in Rede stehende Briefwahlniederschrift und ihre Ergänzung als öffentliche Urkunden den vollen Beweis für die Richtigkeit der in ihnen vom Wahlvorstand beurkundeten Tatsachen erbringen. Auch kommt den Mitgliedern des Wahlvorstands grundsätzlich eine besondere Vertrauenswürdigkeit zu. Sie werden für dieses Ehrenamt besonders berufen, neutralitätsverpflichtet und geschult. Sie gewährleisten mit der Öffentlichkeit der Wahl einen wichtigen Wahlrechtsgrundsatz. Diese Öffentlichkeit bietet Schutz sowohl gegen etwaige Manipulationen als auch gegen Fehler bei der Auszählung der Stimmen. Die Tätigkeit der Wahlvorstandsmitglieder darf daher nicht schon auf einen zulässigen Einspruch hin unter einen nicht weiter substantiierten Generalverdacht der Fehlerhaftigkeit gestellt werden.
51Vgl. Staatsgerichtshof Bremen, Urteil vom 22.05.2008 - St 1/07 -, juris Rn. 96; zur Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsprinzips: VerfGH NRW, Urteil vom 19.03.1991 - 10/90 -, NVwZ 1991, 1175 (1179).
52Innerhalb des so begrenzten Prüfungsumfangs entscheidet das Gericht allerdings gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO enthält keine generellen Maßstäbe für den Aussage- und Beweiswert einzelner zum Prozessstoff gehörender Beweismittel, Erklärungen und Indizien.
53Vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15.07.2009 - 10 L 353/06 -, juris Rn. 37.
54Auch der indizielle Beweis ist ein Vollbeweis. Er besitzt insoweit einen logischen Aufbau, als Folgerungen auf das zu beweisende Tatbestandsmerkmal mit Hilfe von Erfahrungstatsachen gezogen werden. Der Indizienbeweis erfordert damit zum einen Indizien (sog. Hilfstatsachen), zum anderen allgemeine Erfahrungssätze und schließlich Denkgesetze und logische Operationen, um auf das Vorhandensein der Haupttatsache folgern zu können. Es ist je nach Sachlage auch denkbar, Indizienbeweis und Anscheinsbeweis miteinander zu verbinden.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.01.1990 - 4 C 28.89 -, juris Rn. 20.
56Nach Maßgabe dieser Grundsätze haben die Kläger hinreichend konkret Indiztatsachen vorgetragen, die einen Zählfehler im Stimmbezirk 20874 jedenfalls insoweit nahe legen, dass das Gericht daraus sowohl die Befugnis herleitet als zugleich auch Anlass geboten sieht, nunmehr eigene Einsicht in die Wahlniederschriften zu nehmen und diese genau in der Art zu überprüfen, wie es zur Feststellung des Wahlergebnisses nach §§ 34 KWahlG, 61 KWahlO grundsätzlich exklusiv dem Wahlausschuss und dem ihm vorsitzenden Wahlleiter obliegt. Entgegen der Auffassung der Beklagten haben die Kläger die Auszählung im Stimmbezirk 20874 nicht pauschal und unsubstantiiert angegriffen. Die von ihnen im Einzelnen vorgetragenen statistischen Auffälligkeiten sind objektiviert und verleihen dem Verdacht einer fehlerhaften Eintragung von Stimmen nachprüfungswürdige Konturen. Die statistischen Auffälligkeiten sind in Bezug auf den behaupteten Zählfehler valide und aussagekräftig.
57Zunächst deutet insbesondere das (von den Klägern herangezogene) stringente Wahlverhalten der Wahlberechtigten in den Stimmbezirken 20809 bis 20811, die den (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 räumlich abdecken, auf eine Vertauschung hin. Die extrem niedrige Stimmenzahl der CDU-Bewerberin im (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 weicht so signifikant von den Werten in den räumlich zugeordneten (Urnen-)Stimmbezirken ab, dass sie ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Wahlergebnisses weckt. Im Schnitt hat die CDU-Bewerberin in den (Urnen-)Stimmbezirken 35,02%, die SPD-Bewerberin hingegen nur 25,44% der Stimmen erzielt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Einzelwerte sehr gleichbleibend sind. Der Vorsprung der CDU- vor der SPD-Bewerberin beträgt in den (Urnen-)Stimmbezirken durchschnittlich 9,59%. Im Vergleich dazu hat die CDU-Bewerberin im (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 nur 24,9% der Stimmen erzielt, während die SPD-Bewerberin auf 42,39% gekommen ist. Dies entspricht einem Stimmenminus bei der CDU-Bewerberin von 10,12% und einem Stimmenplus von 16,95% für die SPD-Bewerberin. Berücksichtigt man, dass ausweislich der Analyse der Kommunalwahl des Amtes für Stadtentwicklung und Statistik vom 26. Mai 2014 (Beiakte Heft 14, Seite 12) traditionell vorwiegend die CDU- und FDP-Wählerinnen und -Wähler von der Briefwahl Gebrauch machen, hätten Wahrscheinlichkeit und Trend erwarten lassen, dass die CDU-Bewerberin den (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 für sich entscheidet.
58Des Weiteren wird durch den klägerseitig gezogenen Vergleich mit den übrigen (Briefwahl-)Stimmbezirken im Wahlbezirk 14 deutlich, dass auch in dieser Hinsicht eine signifikante und nicht durch soziografische Sondereinflüsse erklärbare Abweichung vorliegt, die ebenfalls ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Wahlergebnisse im Stimmbezirk 20874 nährt. Die Werte im Stimmbezirk 20874 liegen aufgrund statistischer Auffälligkeiten so außerhalb der üblichen Bandbreite, dass sich die Vertauschung der Stimmen geradezu aufdrängt. In den übrigen sieben (Briefwahl-)Stimmbezirken setzte sich die CDU-Bewerberin gegen die SPD-Bewerberin mit einem deutlichen Vorsprung von im Schnitt 18,14% durch. Auch in den insgesamt 24 (Urnen-)Stimmbezirken konnte die CDU-Bewerberin 21 Stimmbezirke für sich entscheiden. In diesen betrug ihr durchschnittlicher Vorsprung 12,56%. Der Vorsprung in den drei von der SPD-Bewerberin gewonnenen Stimmbezirken betrug dagegen nur 3,41%. Da wie oben bereits ausgeführt Briefwähler eher CDU-Wähler sind, erklärt das den um nochmals rund 5,5% gesteigerten durchschnittlichen Vorsprung der CDU-Bewerberin bei der Briefwahl gegenüber der Urnenwahl.
59Haben die Kläger auf diese Weise ihre Behauptung eines Eintragungsfehlers unter Angabe von konkreten Tatsachen präzisiert, kann auch ausnahmsweise der von ihnen zusätzlich angestellte Vergleich mit den Ergebnissen der Bezirksvertretungswahl im Stimmbezirk 20874 die Zweifel verstärken. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass es sich um Wahlen zu unterschiedlichen Gremien handelt. Dem Gericht ist durchaus bewusst, dass das Wahlverhalten der Wähler in beiden Fällen nicht identisch oder auch nur vergleichbar sein muss. Immerhin erweist sich aber das Ergebnis der Ratswahl im Stimmbezirk 20874 als bemerkenswert singulär. Große Schwankungsbreiten sprechen für den von den Klägern vorgetragenen Zählfehler. Im Stimmbezirk stehen 175 Stimmen für die CDU-Bewerberin bei der Ratswahl 268 CDU-Stimmen bei der Bezirksvertretungswahl gegenüber. Dies entspricht einer Schwankungsbreite von 93 Stimmen. Für die SPD-Bewerberin stehen 298 Stimmen bei der Ratswahl nur 106 Stimmen bei der Bezirksvertretungswahl gegenüber. Dies entspricht einer Schwankungsbreite von 192 Stimmen.
60b) Zur Briefwahlniederschrift für den Stimmbezirk 20874 und der zugehörigen Ergänzung kann das Gericht – anders als die Beklagte – nicht feststellen, dass letztere überdurchschnittlich sorgfältig und ohne Unregelmäßigkeiten erstellt worden ist. Vielmehr erschüttern die nachfolgend aufgeführten Fehler in ihrer Gesamtheit das Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses durch den Wahlvorstand derart, dass dessen Tätigkeit daraufhin unter den Verdacht der Fehlerhaftigkeit gestellt werden darf. Die mehrfach fehlerhafte Ergänzung zur Briefwahlniederschrift gibt begründeten Anlass zu der Annahme, dem Wahlvorstand im Stimmbezirk 20874 könnte der von den Klägern angeführte und für den Ausgang der Wahl bedeutsame Eintragungsfehler unterlaufen sein.
61So ist unter Ziffer 3.2.1 b) der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift die Zahl der Briefwähler/innen fehlerhaft mit 707 Personen angegeben. Der (Brief-)Wahlvorstand hätte die Zahl der Briefwähler/innen gemäß Ziffer 2.8 der Briefwahlniederschrift, in concreto die Zahl 708 übernehmen und eintragen müssen.
62In der Folge hat der (Brief-)Wahlvorstand aufgrund der eigentlich einzutragenden Differenz zwischen den Angaben unter Ziffer 3.2.1 a) (707 Personen) und 3.2.1 b) (708 Personen) versäumt, das in Ziffer 3.2.1 c) vorgesehene Verfahren durchzuführen. Er hätte daraufhin die Stimmzettelumschläge öffnen und die Stimmzettel zählen müssen, um die für das Auszählungsverfahren maßgebliche Anzahl an Briefwähler/innen zu bestimmen. Der (Brief-)Wahlvorstand hat dies hingegen unterlassen und ungeprüft die Zahl 707 aus Ziffer 3.2.1 b) in die Zeile „B2 Briefwähler/innen“ der Tabelle unter Ziffer 4 der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift übernommen.
63Da die Zeile „B2 Briefwähler/innen“ originärer Bestandteil der Tabelle unter Ziffer 4 der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift ist, bleibt der Einwand der Beklagten in der mündlichen Verhandlung ohne Erfolg, der Wahlleiter und der von ihr beauftragte externe Gutachter hätten die Ordnungsgemäßheit der Niederschrift nur und demgemäß zutreffend für den aus ihrer Sicht allein maßgeblichen Tabellenteil unter Ziffer 4 festgestellt. Auch die Auffassung der Beklagten, es habe keine Relevanz für die Zuteilung der Mandate aus der Reserveliste, dass in die Zeile „B2 Briefwähler/innen“ eine nur um einen Wähler abweichende Zahl von 707 oder 708 habe eingetragen werden müssen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Anders als die Beklagte meint, steht die Prüfung der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift nicht im Kontext einer Ergebnisrelevanz. Nur der behauptete Eintragungsfehler muss von Relevanz sein und weist diese Relevanz auch auf (s.o. zur Zulässigkeit des Einspruchs). Die Prüfung der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift ist dagegen Teil der Amtsermittlung zu der Frage, ob hinreichende Verdachtsmomente vorliegen, die den logischen Schluss auf den bereits benannten, relevanten Eintragungsfehler zulassen. Sind einem Wahlvorstand nachweislich (andere) Fehler unterlaufen und ist insbesondere das Verfahren der Stimmenzählung nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden, kann nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass auch der behauptete und dem direkten Nachweis nicht zugängliche (hier: Eintragungs-)Fehler passiert ist. Über einen oder mehrere nachgewiesene anderweitige Fehler gerät die Tätigkeit des Wahlvorstands insgesamt unter den Verdacht von Fehlern.
64Des Weiteren hat der (Brief-)Wahlvorstand unter Ziffer 5.2 der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift angekreuzt, dass der Zählvorgang aufgrund des Antrags eines seiner Mitglieder wiederholt worden sei. Es fehlt aber die erforderliche Angabe, welches Mitglied des Briefwahlvorstands diese erneute Zählung beantragt hat und welche Gründe dafür angegeben wurden. Die Erklärung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, es werde routinemäßig jeweils zweimal gezählt, kann das Versäumnis in der Niederschrift nicht erklären. Weder das Gesetz noch die Kommunalwahlordnung sehen eine routinemäßige zweite Zählung vor. Für ein anlassloses und ohne Beschluss erfolgendes Nachzählen ist das Kreuz an der in dem Vordruck vorhandenen Stelle nicht vorgesehen.
65Schließlich ist unter Ziffer. 6.2 der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift aufgrund fehlender Unterschriften nicht dokumentiert, dass dem Beauftragten des Oberbürgermeisters die Wahlniederschrift samt Anlagen, die Umschläge mit den Nummern 1 bis 4, die Wahlurne mit Schloss und Schlüssel sowie die sonstigen Gegenstände und Unterlagen übergeben wurden. Dabei entsprach bereits das verwendete Formular in Ziffer 6.2 nicht der Musterniederschrift gemäß Anlage 20b zu §§ 60 Satz 4, 74, 75a KWahlO, da die Unterschrift der/s Briefwahlvorsteher/in in dem verwendeten Formular nicht vorgesehen war.
66c) Auch in Ansehung der Fehler in der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift und des damit einhergehenden Vertrauensverlustes in die Arbeit des Briefwahlvorstandes im Stimmbezirk 20874 muss das Gericht dem verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen und darf nicht den einen oder den anderen Wahlrechtsgrundsatz vorschnell aufgeben. Das bedeutet, eine Neufeststellung kann erst zum Tragen kommen, wenn alle Umstände ermittelt worden sind, die für oder gegen den in Rede stehenden Fehler sprechen. Auch sonst spricht hier indes alles für eine mögliche Vertauschung der Zahl der Stimmen für die CDU- und die SPD-Bewerberin. Dies ergibt die vertiefte wahlstatistische Auswertung der Wahlergebnisse im Wahlbezirk 14 von Amts wegen durch das Gericht.
67Nicht nur das Wahlverhalten der Wahlberechtigten in den Stimmbezirken 20809 bis 20811 ist stringent. Mit vergleichbarer Konsequenz wurde in den anderen sieben (Briefwahl-)Stimmbezirken und den 21 (Urnen-)Stimmbezirken gewählt, die die (Briefwahl-)Stimmbezirke räumlich abdecken. Die Ergebnisse für die CDU bei der Briefwahl sind stets besser als in den räumlich zugehörigen (Urnen-)Stimmbezirken und erhärten dadurch die Aussage, dass Briefwähler eher CDU-Wähler sind. Die Bandbreite des Vorteils der Briefwahl beträgt zwischen 3,11% und 10,42% bezogen auf den durchschnittlichen Vorsprung der CDU vor der SPD in den (Urnen-)Stimmbezirken. Nur im Stimmbezirk 20874 resultiert aus der Briefwahl ein Nachteil zulasten der CDU in Höhe von 27,08% im Vergleich zu dem zugehörigen (Urnen-)Stimmergebnis. Dieser Wert liegt mit einem Vielfachen außerhalb der dargestellten Bandbreite, so dass er den Verdacht einer fehlerhaften Ergebnisermittlung erhärtet.
68Hinzu kommt, dass selbst in den drei (Briefwahl-)Stimmbezirken (20972, 21071, 21072), in denen die SPD-Bewerberin je einen (Urnen-)Stimmbezirk (20904, 21001, 21004) für sich entschieden hat, die CDU-Bewerberin die meisten Stimmen bei den Briefwählern erhielt. Konsequenterweise fällt ihr Vorsprung bei den Briefwahlergebnissen mit Werten von 9,03% bis 12,92% und dazu entsprechend ihr durchschnittlicher Vorsprung in den Urnenstimmbezirken mit Werten von 2,18% bis 4,66% geringer aus als in den übrigen vier (Briefwahl-)Stimmbezirken (20873, 20875, 20971, 21073, Werte: 17,56% bis 28,57%) bzw. den zugehörigen (Urnen-)Stimmbezirken (Werte: 7,21% bis 25,46%). Die eklatante Abweichung des Ergebnisses im (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 im Vergleich zu den Ergebnissen in den zugehörigen (Urnen-)Stimmbezirken 20809 bis 20811 wird vor diesem Hintergrund umso unerklärlicher.
69Grundsätzlich ist selbst bei diesen Werten eine plausible Erklärung für die Alleinstellung des Ergebnisses im (Briefwahl-)Stimmbezirk 20874 nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings bestehen im konkreten Fall keine Anhaltspunkte für eine Persönlichkeitswahl der SPD-Bewerberin ungeachtet ihrer Parteizugehörigkeit. Beide Bewerberinnen wohnen seit vielen Jahren in Rodenkirchen und engagieren sich vergleichbar in sozialer Weise. Im Unterschied zur CDU-Bewerberin ist die SPD-Bewerberin zwar seit dem Jahr 2004 Bezirksvertreterin im Stadtbezirk Rodenkirchen. Es liegt indes gleichwohl nicht nahe, aus diesem Umstand einen „Überstrahleffekt“ abzuleiten. Denn die Ergebnisverbesserungen beider Parteien bei den Bezirksvertretungswahlen in den Jahren 2009 und 2014 ähneln sich zu sehr. Die SPD steigerte ihr Ergebnis von 2009 (22,46%) um ca. 1% auf 23,54%, die CDU erzielte mit 31,52% etwa ein halbes Prozent mehr als im Jahr 2009, in dem 31,00% der Stimmen auf sie entfielen.
70d) Kann nach alledem der behauptete Eintragungsfehler weder sicher ausgeschlossen noch mit Sicherheit angenommen werden, entscheidet das Gericht in der daraus resultierenden Pattsituation auf der Grundlage einer Folgenabwägung. Diese ist allein sachgerecht, weil das Gericht einerseits die Wahlrechtsgrundsätze zu beachten und ihnen zur Geltung zu verhelfen hat, andererseits mit seiner Entscheidung aber auch nur den geringstmöglichen Eingriff in die Wahlrechtsgrundsätze zulassen darf.
71Im Streit stehen hier auf der einen Seite der Grundsatz der Gleichheit der Wahl (one person – one vote), der verletzt wäre, wenn die Stimmen irrtümlich nicht für die CDU-Bewerberin, sondern für die SPD-Bewerberin und umgekehrt gezählt worden wären. Auf der anderen Seite ist der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl in der Weise betroffen, dass das Vertrauen in die Wahlvorstände und den ordnungsgemäßen Ablauf der Wahl unter den Augen der Öffentlichkeit in Frage gestellt wird. Dieses Spannungsverhältnis gilt es aufzulösen, ohne dabei den einen oder den anderen Wahlrechtsgrundsatz vorschnell aufzugeben oder allzu leichtfertig einer Verletzung preiszugeben. Gegeneinander abzuwägen ist der Nachteil einer Beeinträchtigung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl mit der Beeinträchtigung des Grundsatzes der Gleichheit der Wahl, wenn eine Neufeststellung angeordnet oder unterlassen würde.
72Die Folgenabwägung ist hier zugunsten der Gleichheit der Wahl zu treffen, da dem dauerhaft verletzten Grundsatz der Gleichheit der Wahl mehr Gewicht zu geben ist als dem nur vorübergehend verletzten Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl.
73Wenn die Ergebnisse im Stimmbezirk 20874 tatsächlich vertauscht worden sein sollten, eine „Neuauszählung“ aber unterbliebe, wäre der Grundsatz der Gleichheit der Wahl irreparabel verletzt. Wenn sich bei einer Neuauszählung herausstellen sollte, dass die Stimmen nicht vertauscht wurden, wäre der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl verletzt. Die zuletzt genannte Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes wäre aber nicht dauerhaft, sondern nur vorübergehend und auch nicht irreparabel. Zum einen unterläge die Neufeststellung gleichermaßen dem Grundsatz der Öffentlichkeit wie die ursprüngliche Feststellung des Wahlergebnisses. Zum anderen wäre die Neufeststellung von einem unabhängigen Gericht veranlasst worden. Angesichts der umfangreichen Diskussionen in der Presse und deren Wahrnehmung durch die Wählerinnen und Wähler könnte die Bestätigung des Wahlergebnisses nach einer Neufeststellung das Vertrauen in die Öffentlichkeit der Wahl sogar bestärken, den Wahlrechtsgrundsatz gleichsam rehabilitieren. Der Schaden, den ein Wahlrechtsgrundsatz nehmen könnte, verspricht mithin im Fall der Neufeststellung deutlich geringer auszufallen als wenn das bisherige Wahlergebnis ohne weitere Überprüfung gehalten würde.
74e) Die vom Rat der Beklagten anzuordnende Neufeststellung ist auch möglich. Eine Neufeststellung könnte gemäß § 40 Abs. 1 c) Satz 2 KWahlG nur dann nicht angeordnet werden, wenn Wahlunterlagen verloren gegangen sind oder wesentliche Mängel aufweisen. Kann dies von entscheidendem Einfluss auf das Wahlergebnis oder auf die Zuteilung der Mandate aus der Reserveliste sein, wird statt der Neufeststellung die Wiederholungswahl angeordnet.
75Dass ein versiegelter Umschlag mit der Nummer 4 fehlt, kann sich auf die Neufeststellung nicht auswirken. Ein versiegelter Umschlag mit der Nummer 4 müsste zwar laut Ziffer 2.6 der Briefwahlniederschrift existieren und 23 beanstandete Wahlbriefe enthalten. Dem fehlenden Umschlag fehlt indes der Einfluss auf das Wahlergebnis bzw. die Zuteilung der Mandate aus der Reserveliste. Ob die Wahlbriefe zu beanstanden waren oder nicht, wird bei erneuter Feststellung des Wahlergebnisses nicht mehr geprüft.
76Die übrigen, dem Gericht vorgelegten Umschläge weisen keine wesentlichen Mängel auf. Sie sind ordnungsgemäß versiegelt und auch im Übrigen nicht wesentlich beschädigt. Der Mangel, dass die Umschläge mit den Nummern 1 und 2 jeweils mehrfach vorhanden sind, ohne dass auf ihnen selbst oder anderweitig, insbesondere in der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift vermerkt ist, in welcher Anzahl insgesamt Umschläge mit der jeweiligen Nummer angelegt und versiegelt worden sind, hat das Gericht zwar in der mündlichen Verhandlung bemängelt. Es hat den Mangel aber noch nicht als wesentlich angesehen. Ohne anderweitige Anhaltspunkte konnte das Gericht davon ausgehen, dass das Wahlergebnis auch in Ermangelung einer verlässlichen Dokumentation zur Anzahl der vom Wahlvorstand befüllten und versiegelten Umschläge gleichwohl noch mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden kann. Das Fehlen einer ordnungsgemäßen Dokumentation gibt für sich genommen keinen Anlass, erstens, die Existenz und zweitens, zugleich auch schon den Verlust weiterer Umschläge anzunehmen.
77Soweit die Beklagte am 1. April 2015 u.a. einen weiteren ordnungsgemäß versiegelten Umschlag mit der Nummer 2 (gültige Stimmzettel) zu den Gerichtsakten nachgereicht hat, bleibt dies ohne Auswirkungen auf das vorliegende verwaltungsgerichtliche Urteil. Das erkennende Gericht hatte sich seiner Entscheidung durch die Urteilsverkündung am 25. März 2015 bereits endgültig entäußert. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zum Zwecke der näheren Befassung mit den nachgereichten, nicht nachgelassenen Ausführungen der Beklagten und den Umschlägen war deshalb von vornherein ausgeschlossen. Allerdings könnten die nachgereichten Unterlagen die Sphäre der Kläger berühren, wenn ihnen an einer Wiederholungswahl anstelle der vom Gericht tenorierten Neufeststellung des Wahlergebnisses gelegen ist. Dagegen könnte stehen, dass sie in Ansehung der vom Gericht in der mündlichen Verhandlung aufgezeigten (und als nicht wesentlich eingestuften) Mängel der Umschläge ohne jede Änderung oder auch nur Gegenäußerung in der mündlichen Verhandlung an ihrem Antrag auf Neufeststellung festgehalten haben. Für einen etwaigen Antrag auf Zulassung der Berufung der Kläger mit der Ziel einer Wiederholungswahl im Stimmbezirk 20874 hätten die Beteiligten den Vortrag der Beklagten zu berücksichtigen, sie habe nunmehr alle Umschläge aus 1024 Stimmbezirken auf weitere Umschläge zum Stimmbezirk 20874 durchsucht und außer dem leeren und nicht versiegelten Umschlag mit der Nummer 4 und dem schon erwähnten dritten Umschlag mit der Nummer 2 keinen weiteren zugehörigen Umschlag mehr entdeckt. Drei Umschläge mit der Nummer 2 gebe es schließlich auch für die Wahl zur Bezirksvertretung im Stimmbezirk 20874 (vgl. die Beiakten Hefte 21 bis 27).
78Die gemäß dem bisherigen Antrag der Kläger vom Gericht tenorierte (bloße) Neufeststellung unterliegt nach § 43 KWahlG der Maßgabe, dass ein gegenüber der ursprünglichen Feststellung verändertes Wahlergebnis nur aufgrund von rechnerischen Berichtigungen im Stimmbezirk 20874 festgestellt werden darf. Damit wird dem Grundsatz des geringst möglichen (notwendigen) Eingriffs in die Wahl genüge getan. Der Eingriff in den Bestand der Wahl darf nur soweit reichen, wie es die Fehler erfordern.
79Des Weiteren sind der Rat und der Wahlausschuss an die folgenden Grundsätze gebunden (§ 43 KWahlG):
80- 81
1. Der Rat der Beklagten ist verpflichtet, die folgenden Beschlüsse zu fassen:
- 83
a. Der Rat der Beklagten beschließt, die Feststellung des Wahlergebnisses für ungültig zu erklären und sie aufzuheben.
- 84
b. Der Rat der Beklagten beschließt, die Neufeststellung des Ergebnisses für die Wahl zum Rat der Beklagten durch den in der Ratssitzung am 5. Februar 2015 unter TOP 17.2 gewählten Wahlausschuss mit der Maßgabe anzuordnen, dass ein gegenüber der Feststellung vom 30. Mai 2014 verändertes Wahlergebnis nur aufgrund von rechnerischen Berichtigungen im Stimmbezirk 20874 unter Bindung an die Grundsätze dieses Urteils festgestellt werden darf.
- 86
2. Zur Neufeststellung beraumt der Wahlausschuss gemäß den allgemeinen Vorschriften (vgl. insbesondere § 6 KWahlO) eine öffentliche Sitzung an.
- 88
3. In dieser Sitzung verfährt der Wahlausschuss mit der Ergänzung zur Briefwahlniederschrift zur Wahl des Rates der Beklagten für den Stimmbezirk 20874 wie folgt:
- 90
a. Der Wahlausschuss berichtigt in Ziffer 3.2.1 b) die Zahl der Briefwähler von bisher 707 auf 708 Personen.
- 91
b. Sodann[*] entnimmt der Wahlausschuss alle Stimmzettel aus dem Umschlag mit der Nummer 3 und zählt sie. Sollte diese Zählung nicht die Zahl ergeben, die in Ziffer 4 Unterpunkt „Ergebnis der Wahl“ in Zeile C) eingetragen ist, nimmt der Wahlausschuss eine Berichtigung vor und trägt die neu ermittelte Zahl ein.
- 92
c. Daraufhin entnimmt der Wahlausschuss alle Stimmzettel aus allen Umschlägen mit der Nummer 2. Bei der Entnahme ist darauf zu achten, dass die Stimmzettel getrennt nach Bewerbern sortiert (bleiben) und jeweils bewerberbezogene Stapel (hier: 10 Bewerber = 10 Einzelstapel) gebildet werden. Der Wahlausschuss zählt alle Stimmzettel.
- 93
d. Sodann addiert der Wahlausschuss die zu b. und c. gewonnenen Ergebnisse der Einzelzählungen der Stimmzettel aus den Umschlägen mit den Nummern 2 und 3. Ist die Summe ungleich 707, nimmt der Wahlausschuss in der Ergänzung zur Niederschrift unter Ziffer 3.2.1 c) die entsprechende Berichtigung vor und trägt die aktuell ermittelte Summe ein. Ferner berichtigt er die Zahl unter Ziffer 4 in der Zeile B2 (= Briefwähler/innen) von bisher 707 auf die aktuell ermittelte Summe.
- 94
e. Danach zählt der Wahlausschuss die einzelnen bewerberbezogenen Stapel für alle Bewerber und stellt für jede/n Bewerber/in fest, wie viele Stimmen auf sie/ihn entfallen sind.
- 95
f. Die für den jeweiligen Bewerber aktuell ermittelte Stimmenzahl ist mit der Stimmenzahl zu vergleichen, die bereits unter Ziffer 4 in der Tabelle „Von den gültigen Stimmen entfielen auf“ in der dem jeweiligen Bewerber zugehörigen Zeile eingetragen ist. Bei Abweichungen berichtigt der Wahlausschuss die bereits eingetragene Stimmenzahl auf die aktuell von ihm ermittelte Stimmenzahl.
- 96
g. Danach addiert der Wahlausschuss die auf die jeweiligen Bewerber entfallenen Stimmenzahlen. Im Fall von Berichtigungen hat er die „Summe D“ in der genannten Tabelle aus den Zahlen zu den Kennbuchstaben D1-D8, D13 und D15 neu zu bilden und die Eintragung auch dieser Summe zu berichtigen.
- 97
h. Bei Unstimmigkeiten zählt der Wahlausschuss erneut, bis sich Übereinstimmung ergibt.
- 99
4. Im Anschluss daran stellt der Wahlausschuss das Ergebnis der Wahl für den Rat der Beklagten nach §§ 34 KWahlG, 61 KWahlO neu fest.
- 101
5. Der Wahlleiter gibt das Wahlergebnis neu bekannt (§ 43 Abs. 2 Satz 1 KWahlG).
Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass auf die Nachprüfung des (neuen) Wahlergebnisses die Vorschriften der §§ 39 bis 41 KWahlG Anwendung finden.
103Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
104Gründe für die Zulassung der Berufung im Sinne des § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere ist das Gericht entgegen der Auffassung der Beklagten nicht von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abgewichen.
Tenor
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Hinsichtlich der Kostenentscheidung ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Beteiligten streiten um den Verhältnisausgleich nach dem Ergebnis der Kommunalwahl vom Mai 2008 zur Stadtvertretung der Beklagten.
- 2
Die Stadtvertretung der Beklagten umfasst nach § 8 Nr. 1 GKWG 31 Mitglieder. Bei der Wahl zur Gemeindevertretung am 25. Mai 2008 entfielen auf die CDU insgesamt 3.219 gültige Stimmen, auf die SPD 2.318 Stimmen, auf das IBF 973 Stimmen, auf Die Linke 922 Stimmen. Bündnis 90/Die Grünen erhielt 906 Stimmen, die FDP 833 Stimmen, die UWI 674 Stimmen, Demokratie 31 Stimmen, Einzelbewerber Jauß 9 Stimmen und Einzelbewerberin Künzl-Jauß 7 Stimmen. Nach dieser Stimmverteilung standen nach dem Verhältnisausgleich – ohne Berücksichtigung der unmittelbar gewählten Vertreter - der CDU 11 Sitze, der SPD 7 Sitze, dem IBF drei, der Linken drei, den Grünen drei, der FDP zwei und der UWI zwei Sitze zu.
- 3
In den 17 Wahlkreisen entfiel auf 15 Kandidaten der CDU und zwei der SPD die relative Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Diese Kandidaten erhielten als unmittelbar gewählte Vertreter einen Sitz in der Ratsversammlung.
- 4
Der Gemeindewahlausschuss stellte am 27.05.2008 folgende Sitzverteilung für die Ratsversammlung der Beklagten fest: Insgesamt wurden – um die 4 Mehrsitze der CDU auszugleichen - anstatt der regulären 31 Sitze insgesamt 41 Sitze vergeben. Danach entfielen auf die CDU insgesamt 15 Sitze, die SPD 10, die IBF vier, die Linke vier, die Grünen drei, die FDP drei und die UWI zwei Sitze.
- 5
Gegen diese Feststellung des Gemeindewahlausschusses legte der Kläger als Fraktionsvorsitzender der Partei Bündnis90/D IE GRÜNEN am 05.06.2008 Einspruch ein, den seine Prozessbevollmächtigten am 20.06.2008 begründeten. Herr … werde in seiner Eigenschaft als gewählter Stadtvertreter und gleichzeitig als Vertreter der Partei Bündnis90/DIE GRÜNEN vertreten. Die Feststellung sei fehlerhaft. Die Sitzverteilung beruhe auf einer fehlerhaften Auslegung des § 10 Abs. 4 GKWG. Der Gesetzeswortlaut unterscheide zwischen „Mehrsitzen“ und „weiteren Sitzen“, wobei „Mehrsitze“ sogar in § 10 Abs. 4 Satz 1 GKWG legaldefiniert würden. Richtigerweise seien aufgrund der vier Mehrsitze der CDU-Fraktion solange nach d’Hondt weitere Sitze zu verteilen, bis auch der letzte Sitz verhältnismäßig abgedeckt sei. Demgemäß seien für die von der CDU errungenen Mehrsitze 8 Ausgleichsmandate zu verteilen gewesen. Dabei wären die zwei weiteren Sitze zwischen „Bündnis 90/Die Grünen“ (4 statt 3) und der UWI (3 statt 2) zu verteilen gewesen. Bei der vom Kläger vertretenen Auslegung des § 10 Abs. 4 GKWG wären die Verzerrungseffekte somit erheblich geringfügiger.
- 6
Auf die Empfehlung des Wahlprüfungsausschusses vom 21. Juli 2008 beschloss die Ratsversammlung am 25. September 2008, dass die Feststellung des Wahlergebnisses nicht fehlerhaft sei. Dieser Beschluss wurde dem Kläger nicht zugestellt.
- 7
Die daraufhin vom Kläger am 06. Oktober 2008 erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 06. Juli 2009 abgewiesen. Die Feststellung des Gemeindewahlergebnisses einschließlich der Sitzverteilung nach dem Verhältnisausgleich sei rechtmäßig, weil sie der Bestimmung des § 10 Abs. 4 GKWG entspreche. Wegen der Einzelheiten der Begründung hat das Gericht auf eine Entscheidung der Kammer vom 18. Dezember 2008 zum Verfahren 6 A 150/08 verwiesen.
- 8
Dem Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat der Senat mit Beschluss vom 08. Dezember 2009 entsprochen.
- 9
Der Kläger trägt vor, die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Auslegung des § 10 GKWG berücksichtige nicht die von Verfassungs wegen erforderliche Gewährleistung der Prinzipien der Wahlgleichheit und Chancengleichheit. Dies werde durch das Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 30. August 2010 – LVerfG 1/10 – zum gleichlautenden
§ 3 Abs. 5 LWahlG bestätigt. Durch die Überhangmandate und die gleichzeitige Deckelung der Zahl der Ausgleichsmandate werde der Proporz verzerrt.
- 10
Es werde daher angeregt, das Verfahren auszusetzen und die Frage der Verfassungsgemäßheit des § 10 Abs. 4 GKWG dem Landesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
- 11
Der Kläger beantragt,
- 12
das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 06. Juli 2009 i. d. F. des Berichtigungsbeschlusses vom 19. August 2009 zu ändern und den Beschluss der Beklagten vom 25. September 2008 aufzuheben.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Sie ist der Auffassung, dass bei der Verteilung der „weiteren Sitze“, die nach den nächstfolgenden Höchstzahlen zum Zuge kämen, im Rahmen des Verhältnisausgleichs auch die Mehrsitze der CDU zu berücksichtigen seien.
- 16
Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten haben dem Gericht bei Beratung und Entscheidung vorgelegen und sind zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden; wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten wird auf den Akteninhalt sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
- 17
Die Berufung des Klägers ist zurückzuweisen, da sich das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts als im Ergebnis richtig erweist. Die vom Kläger in seinem Einspruch vom 05.06.2008 und in der hierzu abgegebenen Begründung vom 17.06.2008 vorgebrachten Erwägungen stellen die Richtigkeit der Beschlüsse des Gemeindewahlausschusses vom 27.05.2008 und der Ratsversammlung vom 25. September 2008 nicht in Frage.
- 18
Die Klage ist zulässig; sie ist insbesondere nicht verfristet. Die gem. § 40 Abs. 1 GKWG geltende zweiwöchige Klagefrist war noch nicht verstrichen, weil der gem. § 39 Nr. 4 GKWG gefaßte Beschluss der Ratsversammlung dem Kläger entgegen § 70 Abs. 1 Nr. 2 GKWO nicht zugestellt worden und die Klagefrist deshalb gem. § 70 GKWO noch nicht angelaufen war.
- 19
Der Kläger ist auch gemäß § 40 Abs. 1 GKWG klagebefugt. Er hat mit Schriftsatz vom 17. Juni 2008 und damit binnen der einmonatigen Einspruchsfrist des § 38 Abs. 1 GKWG klargestellt, dass er den Einspruch auch in seiner Eigenschaft als gewählter Stadtvertreter gestellt habe.
- 20
Die Klage ist gem. § 40 Abs. 1 GKWG „gegen den Beschluss der Vertretung“ zu richten. Der Antrag ist – wie geschehen – als Anfechtungsantrag zu formulieren, da das Gericht bei Klagstattgabe den Feststellungsbeschluss aufzuheben hat (vgl. § 42 Abs. 2 GKWG). Anfechtungsgegenstand ist jedoch nicht – wie zunächst beantragt – die formlose Mitteilung vom 10. Oktober 2008 über den Beschluss der Ratsversammlung, sondern der Beschluss der neuen Vertretung vom 25. September 2008.
- 21
Die Klage ist jedoch unbegründet.
- 22
Prüfungsgegenstand ist lediglich das, was zuvor Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen ist (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Mai 2002 – 2 L 257/01 -). Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 40 GKWG, der als klagebefugt allein die Person benennt, die den Einspruch erhoben hat, sowie die Person, deren Wahl für ungültig erklärt worden ist. Auch wenn § 38 GKWG ausdrücklich keine Pflicht zur Begründung des Einspruchs vorsieht, folgt diese Bindung des gerichtlichen Prüfungsumfanges an die vom Kläger geltend gemachten und substantiierten Einspruchsgründe aus dem Sinn und Zweck des gesamten Wahlprüfungsrechts, das das objektive Wahlrecht schützen und baldmöglichst über die Gültigkeit einer Wahl verlässliche Klarheit erreichen will. Dementsprechend sind im Wahlanfechtungsverfahren nur diejenigen Einspruchsgründe zu berücksichtigen, die fristgerecht vorgebracht worden sind und die konkret, unmissverständlich und hinreichend substantiiert mit Tatsachen belegt sind, so dass sie eine – im Anschluss daran erfolgende - Nachprüfung rechtserheblicher Tatsachen zulassen (Senatsurteil vom 30. September 1997 – 2 K 9/97 -, NordÖR 1998, 70 zum insofern vergleichbaren Landeswahlrecht m.w.N.).
- 23
Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist deshalb allein der Vortrag des Klägers, dass die Feststellung des Kommunalwahlergebnis deshalb fehlerhaft sei, weil die Sitzverteilung auf einer fehlerhaften Auslegung des § 10 Abs. 4 GKWG beruhe. Dem ist jedoch nicht zu folgen. Im Auszählungs- und Sitzverteilungsverfahren sind die Bestimmungen des § 10 Abs. 4 GKWG dem Regelungsinhalt der Norm entsprechend angewandt worden.
- 24
Der erkennende Senat hat zur Auslegung des § 10 Abs. 4 Sätze 2 und 3 GKWG und zur Frage, ob der Begriff „weitere Sitze“ der Oberbegriff für „Mehrsitze“ und „Ausgleichsmandate“ ist, in mehreren Verfahren, so z.B. im Beschluss vom 15. September 2009
– 2 LA 35/09 - ausgeführt:
- 25
„Die Beklagte verweist zu Recht darauf, dass das Gesetz den Begriff „Ausgleichsmandate“ gar nicht verwendet. Es ist vielmehr die Frage zu beantworten, ob die Mehrsitze i.S.v. § 10 Abs. 4 Satz 1 GKWG in die Verteilung der „weitere(n) Sitze“ einzubeziehen sind, darin also gleichsam aufgehen. Diese Frage hat der Senat sinngemäß bereits bejaht (Urt. v. 22.11.2000 – 2 L 25/00 -, Die Gemeinde 2001, 69 = NordÖR 2001, 69 = SchlHA 2001, 190). Obwohl es in jenem Verfahren vorrangig um das Nachrücken eines Listennachfolgers nach einer Mandatsniederlegung ging, wird doch in den Gründen auf den nach § 10 Abs. 4 GKWG vorzunehmenden Mehrsitzausgleich eingegangen. Danach entspricht es den gesetzlichen Vorgaben, die Partei, die über einen Mehrsitz verfügt, in den (weiteren) Verhältnisausgleich einzubeziehen. Die Fortsetzung des Berechnungsverfahrens nach d’Hondt führte in dem Fall dazu, dass die nächstfolgende Höchstzahl auf die Partei mit dem Mehrsitz fiel, so dass den übrigen Parteien keine „weiteren Sitze“ zugewiesen wurden. Der „Mehrsitz“, der sich aus dem Vergleich der gewählten Bewerber einer Partei oder Wählergruppe mit deren verhältnismäßigem Sitzanteil ergibt, war danach der einzige „weitere Sitz“ i.S.v. § 10 Abs. 4 Satz 2 GKWG.
- 26
Die dem zugrunde liegende Auffassung, dass die Partei, die einen oder mehrere Mehrsitze erlangt, bei der Fortsetzung des Berechnungsverfahrens einzubeziehen ist, wird sowohl durch das Vorgehen bei der Sitzverteilung durch die Beklagte als auch durch die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts umgesetzt. Zwar mag es zu Missverständnissen Anlass geben, wenn es in dem Urteil im Anschluss an die (zutreffende) Feststellung, dass sich aus dem Wortlaut des Gesetzes kein inhaltlicher Widerspruch zwischen dem „weiteren Sitz“ und dem „Mehrsitz“ ergebe, weiter heißt, vielmehr sei der „weitere Sitz“ der Oberbegriff für „Mehrsitze“ und „Ausgleichsmandate“. Damit wird nicht nur ein in dem hier maßgeblichen Gesetz nicht verwendeter Begriff eingeführt, sondern auch unberücksichtigt gelassen, dass die Bezugsgruppen verschieden sind. „Mehrsitze“ ergeben sich
– wie ausgeführt - aus dem Vergleich der gewählten Bewerber einer Partei oder Wählergruppe mit deren verhältnismäßigem Sitzanteil, „weitere Sitze“ hingegen aus dem Vergleich der gesetzlich für den Normalfall vorgesehenen Anzahl der Sitze und deren Anzahl nach Durchführung des Verhältnisausgleichs gemäß § 10 Abs. 4 GKWG. Diejenigen weiteren Sitze, die die anderen Parteien und Wählergruppen erhalten, nennt man im sonstigen Wahlrecht „Ausgleichsmandate“ (vgl. Asmussen/Thiel, GKWG, Komm., § 10 Anm. 5). Für das Ergebnis der Entscheidung sind diese Aspekte aber – wie ausgeführt – unerheblich, weil es allein darauf ankommt, dass die Mehrsitze der CDU in den Verhältnisausgleich einzubeziehen waren und dies auch so geschehen ist.“
- 27
An dieser Rechtsauffassung ist festzuhalten. Der Senat sieht sich in seiner Auffassung durch das Urteil des Landesverfassungsgerichts vom 30. August 2010 – LVerfG 1/10 – bestätigt, das den von den dortigen Klägern beanspruchten „großen Ausgleich“ ablehnte. Der Gesetzgeber habe die Gefahr vermehrter Überhangmandate zwar gesehen, etwaige Folgerungen aber nur auf anderer Ebene ziehen wollen (S. 33 des Urteilsabdrucks,
Rn 64).
- 28
Der Ansicht des Klägers, die von ihm aus für zutreffend angesehene Auslegung des § 10 Abs. 4 GKWG sei aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, vermag sich das Gericht nicht anzuschließen. Das vom Kläger Geforderte überschreitet die Grenzen des durch den möglichen Wortsinn begrenzten Inhalts der gesetzlichen Bestimmung. Der Kläger verkennt, dass unterschiedliche Stimmgewichte, die Unterschiede in „Zählwert“ und „Erfolgswert“, nicht durch die Regelung zu den „Mehrsitzen“ (der Fraktion) und den „weiteren Sitzen“ (der Gemeindevertretung), sondern durch die Begrenzung der Zahl dieser „weiteren Sitze“ erreicht werden; allein durch diese Deckelung kommt es zu „ungedeckten Mehrsitzen“ einer Fraktion.
- 29
Die Statthaftigkeit dieser in § 10 Abs. 4 Satz 3 GKWG angeordneten Beschränkung der „weiteren Sitze“ war mit dem Einspruchsvorbringen jedoch nicht bezweifelt worden. Zwar hat der Kläger in seiner Einspruchsbegründung die Ansicht vertreten, aufgrund der vier Mehrsitze der CDU seien solange nach d’Hondt weitere Sitze zu verteilen, bis auch der letzte Sitz verhältnismäßig abgedeckt sei, doch ergibt sich aus den weiteren Ausführungen, dass der Kläger diese Forderung aus dem von ihm für richtig gehaltenen Verfahren des Mehrsitzausgleichs ableitete, bei der die Deckelung des § 10 Abs. 4 Satz 3 GKWG nicht relevant geworden wäre. Der Kläger hatte demnach lediglich gerügt, dass die Vorschriften des § 10 Abs. 4 GKWG unrichtig angewandt worden seien, die Verfassungsgemäßheit der Norm ihrerseits jedoch nicht in Frage gestellt. Bereits deshalb kommt in dieser Sache ein Aussetzen des Verfahrens und eine Vorlage an das Landesverfassungsgericht gem. Art. 44 Abs. 2 Nr. 3 LVerf nicht in Betracht.
- 30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Nebenentscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
- 31
Die Revision ist nicht zuzulassen, da Gründe hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
- 32
Beschluss
- 33
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 2 GKG auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Tenor
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 6. Kammer - vom 30.01.2014 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf
5.000 Euro
festgesetzt.
Gründe
- 1
Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Es bestehen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch kommt der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu.
- 2
Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen nach ständiger Rechtsprechung auch des erkennenden Senats vor, wenn ein Erfolg des Rechtsmittels, dessen Zulassung begehrt wird, mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie dessen Misserfolg (Schl.-Holst. OVG, Beschl. v. 14.05.1999, - 2 L 244/98 -, NordÖR 1999, 285). Dabei müssen die Zweifel das Ergebnis der Entscheidung betreffen (Schl.-Holst. OVG, Beschl, v. 14.12.1999, - 4 M 102/99 -, NVwZ 2000, 341).
- 3
Die klägerischen Darlegungen sind nicht geeignet, ernstliche Zweifel in diesem Sinne zu begründen. Der Kläger vertritt die Auffassung, dass seine Einwendungen gegen die Einladung zur Mitgliederversammlung am 30. Januar/06. März 2013 zur Aufstellung der Wahlbewerber der Partei „Bündnis 90/DIE GRÜNEN" und damit gegen die Zusammensetzung des anschießend gewählten Kreistages hinreichend substantiiert seien. Diese Einwendungen habe er vorab am 04. April 2013 gegenüber der Kreiswahlleiterin erhoben und in der Sitzung des Kreiswahlausschusses vom 12. April 2013 sowie mit Schreiben vom 30. Mai 2013 an den Kreiswahlausschuss wiederholt. Durch die Verlängerung der Einspruchsfrist habe der Beklagte nicht nur die Begründungsfrist verlängert, sondern auch Gelegenheit dazu gegeben, die inhaltlich offenkundigen und bekannten Einspruchsgründe zu vertiefen.
- 4
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Kläger - entgegen dem sich aus dem gesamten Wahlprüfungsrecht ergebenden Grundsatz, dass hinsichtlich der Gültigkeit der Wahl baldmöglichst verlässliche Klarheit bestehen soll und deshalb auch ohne explizite Regelung in § 38 GKWG für die Begründung des Einspruchs ebenfalls die Monatsfrist gilt - seinen Einspruch nicht fristgemäß begründet hat mit der Folge, dass seine nachträgliche Begründung keine Berücksichtigung finden konnte. Im Wahlanfechtungsverfahren sind nur diejenigen Einspruchsgründe zu berücksichtigen, die fristgerecht vorgebracht worden sind und die konkret, unmissverständlich und hinreichend substantiiert mit Tatsachen belegt sind, so dass sie eine Nachprüfung rechtserheblicher Tatsachen zulassen (Schl.-Holst. OVG, Urt. v. 26.10.2010 - 2 LB 28/09 -, juris, Rn. 22 mwN).
- 5
Mit diesen Grundsätzen geht es weder konform, die Einspruchsfrist zu verlängern, noch kann sich der Kläger darauf berufen, seine Einwendungen seien bereits vorab bekannt gewesen und daher offenkundig. Bei den Vorschriften der §§ 38 ff. GKWG handelt es sich im Interesse der Rechtssicherheit nämlich um zwingendes Recht, das nicht zur Disposition der für die Durchführung der Wahl zuständigen kommunalen Gremien steht (so bereits schon Schl.-Holst. OVG, Urt. v. 19.11.1991 - 2 L 8/91 -, juris Rn. 6). Bereits vor dem Wahltag an den Wahlleiter gerichtete „Wahlanfechtungen“ oder „Wahlbeschwerden“ begründen ebenso wenig die Voraussetzung einer Begründung im Sinne des Wahlprüfungsrechts wie eine im (rechtzeitigen) Einspruchsschreiben lediglich angekündigte Begründung. Hätte der Kläger sich auf seine bisherigen gegen die ordnungsgemäße Kandidatenaufstellung und damit gegen die Gültigkeit der Kreistagswahl angeführten (schriftlichen) Einwendungen gegenüber den für die Durchführung der Wahl zuständigen Gremien beziehen wollen, hätte es hierfür zumindest einer Bezugnahme im Rahmen seines Einspruchsschreibens vom 5. Juli 2013 bedurft (vgl. Kommunalverfassungsrecht S.-H., GKWG-Komm, Stand: Juli 2002, § 38 Nr. 5). Der Einspruch ist hingegen explizit zunächst zur Fristwahrung ohne Begründung eingelegt worden. Die vom Kläger angeführte Vertiefung seiner Einwendungen im Nachhinein kommt daher nicht in Betracht. Auch der Umstand, dass der Beklagte die im Rahmen der nachträglich außerhalb der Begründungsfrist mit Schreiben vom 01.08.2013 vorgetragenen Einwendungen in seinem den Einspruch zurückweisenden Schreiben vom 30. September 2013 einer rechtlichen Würdigung unterzogen hat, vermag dem Vorbringen des Klägers nicht zum Erfolg zu verhelfen. Denn wie ausgeführt handelt es sich bei den Vorschriften der §§ 38ff. GKWG nicht um disponibles Recht mit der Folge, dass außerhalb der Einspruchsbegründungsfrist vorgebrachte Einwendungen, die gleichwohl einer behördlichen Würdigung unterzogen worden sind, nicht dazu führen können, diese quasi auf dem Umweg in das gerichtliche Wahlprüfungsverfahren miteinzubeziehen.
- 6
Mangelt es an einem fristgemäß begründeten Einspruch, ergibt sich keine Pflicht der Wahlprüfungsorgane zu weiteren Ermittlungen. Dies gilt - wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat - ebenfalls für die verwaltungsgerichtliche Aufklärungspflicht, denn Prüfungsgegenstand des gerichtlichen Verfahrens sind nur die Gründe, die zuvor Gegenstand des Einspruchsverfahrens gewesen sind (vgl. Schl.-Holst. OVG, Urt. v. 26.10.2010, a.a.O, juris Rn. 22).
- 7
Mithin sind die vom Kläger angeführten Bedenken gegen die Einhaltung des Demokratieprinzips und den Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht gerechtfertigt. Denn auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BVerfG, Kammerbeschl. v. 24.08.1993 - 2 BvR 1858/92 -, juris Rn. 17 mwN) dürfen Wahlbeanstandungen, die einen konkreten, der Überprüfung zugänglichen Tatsachenvortrag nicht enthalten, als unsubstantiiert zurückgewiesen werden.
- 8
Da das Verwaltungsgericht seine Entscheidungsgründe tragend auf die Verfristung der Einspruchsbegründung gestützt hat, kam es auf die weiteren Darlegungen hinsichtlich der gerügten Wahlfehler (Ziffer 2 der Zulassungsantragsschrift) nicht mehr an.
- 9
Der Rechtssache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu. Grundsätzliche Bedeutung in diesem Sinne weist eine Rechtssache dann auf, wenn sie eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich ist und im Sinne der Rechtseinheit der Klärung bedarf (Kopp/Schenke, VwGO-Komm., 20. Aufl., § 124 Rn. 10). Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, „ob der Einspruch des Klägers hinreichende Substanz hat und der Verfahrensgegenstand auch durch die Sachentscheidung der zuständigen Behörde determiniert ist", ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig in diesem Sinne. Es liegt mit dem Urteil des damals für das Kommunalwahlrecht zuständigen 2. Senats des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 26.10.2010 - bereits eine rechtskräftige Entscheidung zu der Frage, welche Anforderungen an einen Einspruch nach § 38 GKWG zu stellen sind, vor. Im Übrigen ermangelt es der formulierten Frage an rechtsgrundsätzlicher Bedeutung. Auch die weiterhin gestellte Frage, „ob das bloße Absenden einer inhaltlich unbestimmten Email an einen nicht authentifizierten Empfängerkreis ohne jede weitere Zugangskontrolle dem Erfordernis des rechtlich möglichen und organisatorisch zumutbaren Bemühen genügt, also lediglich intern gegen Satzungsrecht verstößt, oder aber nicht doch gegen den Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl", ist bereits nicht grundsätzlich klärungsbedürftig im oben genannten Sinne.
- 10
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
- 11
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 2 GKG.
- 13
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.