Verwaltungsgericht Köln Urteil, 06. März 2014 - 20 K 4905/13.A
Gericht
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 01.08.2013 verpflichtet, der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und die Klägerin zu je 1/2.
1
T a t b e s t a n d
2Die am 00.00.0000 in Damaskus geborene Klägerin ist syrische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Am 20.03.2012 stellte sie in der Bundesrepublik einen Asylantrag.
3Im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 21.03.2012 gab die Klägerin an, sie sei über Italien in die Bundesrepublik eingereist. Am 03.02.2012 habe sie – gemeinsam mit ihrem Bruder, dem Kläger des Verfahrens 20 K 4906/13.A - in Rom am Flughafen Asyl beantragt. Sie sei etwa 5 Tage am Flughafen gewesen. Sie habe nichts zu essen gehabt, zum Trinken habe man sie auf die Toilette geschickt. Nach 5 Tagen habe man sie rausgelassen. Man habe ihnen eine Anschrift von einer Unterkunft gegeben, wo sie dann 2 Wochen geblieben sei. Zu den Gründen der Ausreise erklärte die Klägerin, ihr Vater sei Mitglied der Syrisch-demokratischen Partei, sie seien insgesamt eine politische Familie. Es hätten viele Veranstaltungen und Demonstrationen an verschiedenen Orten stattgefunden. Auch am 23.12.2011 habe eine Demonstration im Stadtteil Abun stattgefunden, bei der die Gewalt eskaliert sei. Sie habe sich danach zunächst bei einer Tante versteckt und sei von dort geflohen, nachdem Sicherheitskräfte in ihrem Elternhaus eine Durchsuchung gemacht hätten. Im Laufe des Verwaltungsverfahrens legte die Klägerin ferner verschiedene ärztliche Bescheinigungen zu psychischen und physischen Beschwerden bzw. Erkrankungen vor.
4Über ein Jahr nach der Stellung des Asylantrages in der Bundesrepublik ersuchte das Bundesamt am 02.05.2013 Italien nach der Dublin II-VO um Wiederaufnahme der Klägerin. Mit Schreiben vom 15.05.2013 stimmte Italien dem Wiederaufnahmersuchen zu.
5Ein Antrag der Klägerin vom 03.05.2013 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Abschiebung nach Italien war erfolgreich (Beschluss der Kammer vom 03.06.2013 – 20 L 655/13.A).
6Mit Bescheid vom 01.08.2013 lehnte die Beklagte den Asylantrag sodann als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung der Klägerin nach Italien an.
7Am 09.08.2013 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Beklagte sei zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts und Durchführung des Asylverfahrens verpflichtet.
8Ein weiteres Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wurde im Hinblick auf den vorgenannten Beschluss der Kammer vom 03.06.2013 übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt (20 L 1337/13.A).
9Die Klägerin beantragt sinngemäß,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.08.2013 zu verpflichten, von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen und das Asylverfahren durchzuführen,
11hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 01.08.2013 zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen und der Klägerin die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,
12hilfsweise der Klägerin den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie bezieht sich auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides und vertieft die Ausführungen zur Aufnahmesituation in Italien.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in den Verfahren 20 L 655/13.A und 20 L 1337/13.A und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges verwiesen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Der Hauptantrag auf Verpflichtung der Beklagten zur Durchführung des Asylverfahrens in der Bundesrepublik ist wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses unzulässig, da die Klägerin ihr eigentliches Begehren auf Gewährung internationalen Schutzes in der Bundesrepublik aus den nachfolgenden Gründen vorrangig mit einem entsprechend umfassenden Verpflichtungsbegehren verfolgen kann.
19Denn der hilfsweise auf Anerkennung als Asylberechtigte und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weiter hilfsweise auf Zuerkennung subsidiären Schutzes, gerichtete Klageantrag ist als Verpflichtungsantrag gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig.
20Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Behörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes aus, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten Verwaltungsaktes rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dabei hat das Gericht die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen. Es ist daher grundsätzlich nicht zulässig, bei rechtswidriger Verweigerung des begehrten Verwaltungsaktes lediglich die Ablehnung aufzuheben und die Sache zur Prüfung und Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen an die Behörde gewissermaßen zurückzuverweisen. Dieser grundsätzliche Vorrang der Verpflichtungsklage entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade auch in Asylverfahren,
21vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 – 9 C 28/97 – E 106, 171-177,
22und es sind zur Überzeugung des Gerichts in sog. Dublin-Fällen keine Gesichtspunkte erkennbar, die eine Abweichung hiervon rechtfertigen könnten. Nicht zuletzt unter dem Aspekt der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gilt vielmehr auch hier, dass Zurückverweisungen an das Bundesamt zu vermeiden und Spruchreife herzustellen ist.
23Vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 23.05.2013 – 20 K 5506/12.A -; s. auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 – A 2 S 1355/11 -; VG Braunschweig, Urteil vom 21.02.2013 – 2 A 126/11 -; VG Göttingen, Urteil vom 25.07.2013 – 2 A 652/12 -.
24Die Klage ist auch hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft begründet.
25Der Asylantrag ist zunächst zulässig. Der Zulässigkeit steht § 27 a AsylVfG nicht entgegen. Denn die Klägerin hat einen Anspruch darauf, dass die Beklagte von ihrem Selbsteintrittsrecht nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der hier noch gemäß Art. 49 der Verordnung (EG) Nr. 604/2013 vom 26.06.2013 (Dublin III-VO) anwendbaren Verordnung Nr. 343/2003 vom 18.02.2003 (Dublin II-VO) Gebrauch macht. Das der Beklagten insoweit zustehende Ermessen ist vorliegend auf Null reduziert.
26Als unmittelbar geltendes Gemeinschaftsrecht bildet die Dublin-II-VO eine geeignete Grundlage für die Begründung subjektiver Rechte. Dies gilt hinsichtlich der Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-II-VO für Ausländer jedenfalls dann, wenn die Entscheidung – wie hier im Hinblick auf den unzureichenden Zugang zum Asylverfahren und die mangelhafte Sicherstellung des Lebensunterhaltes einschließlich der gesundheitlichen Versorgung im nach der Dublin-II-VO zuständigen Mitgliedstaat – durch nationales Verfassungsrecht, namentlich durch die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Schutzpflichten, geprägt wird. Diese Auslegung steht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in Einklang, wonach es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden. Erforderlichenfalls muss der Mitgliedstaat, in dem sich der Asylbewerber befindet, den Antrag selbst prüfen.
27Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C 411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. – Juris.
28Eine derartige Situation, die die Bundesrepublik zur Ausübung ihres Selbsteintrittsrechts verpflichtet, liegt zur Überzeugung des Gerichts gegenwärtig in Bezug auf Italien vor. Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer reichen die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Italien nicht an die zu fordernden und bei Einfügung des § 27 a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards heran. Zur weiteren Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf den zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss des Gerichts vom 03.06.2013 im Verfahren 20 L 655/13.A verwiesen.
29An der dortigen Einschätzung der Situation von Asylsuchenden in Italien insbesondere im Hinblick auf die materiellen Aufnahmebedingungen hält des Gericht auch unter Berücksichtigung neuerer Erkenntnisquellen fest.
30Insbesondere ist die Aufnahmekapazität in Italien unverändert völlig unzureichend, so dass zahlreichen Asylsuchenden Obdachlosigkeit droht oder sie auf prekäre Notunterkünfte in besetzten Häusern angewiesen sind.
31Vgl. borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V., Gutachten vom Dezember 2012 an das VG Braunschweig im Verfahren 2 A 126/11; s. hierzu auch VG Braunschweig, Urteil vom 21.02.2013 – 2 A 126/11 -; UNHCR-Empfehlungen zu wichtigen Aspekten des Flüchtlingsschutzes in Italien, Juli 2013; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Italien: Aufnahmebedingungen - Aktuelle Situation von Asylsuchenden und Schutzberechtigten, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, Oktober 2013.
32Nach der Veröffentlichung der vorgenannten Berichte hat sich zudem die Zahl der in Italien ankommenden Flüchtlinge weiter dramatisch erhöht. So sind nach Angaben von UNHCR alleine im Zeitraum von August 2013 bis 30.09.2013 über 6.000 Schutzsuchende nach Italien gekommen, darunter überwiegend syrische Flüchtlinge,
33vgl. UNHCR, Artikel vom 13.09.2013 „Tausende Syrer über Seeweg in Italien angekommen“ und vom 18.10.2013 „UNHCR mahnt Länder Grenzen für Syrer offen zu halten“,
34wodurch alleine das Aufnahmesystem bereits nahezu ausgelastet wäre. Insgesamt hat sich die Zahl neu angekommener Flüchtlinge in Italien 2013 mit ca. 43.000 im Vergleich zu 2012 etwa verdreifacht. Dieser zunehmende Druck auf das italienische Aufnahmesystem manifestiert sich in zahlreichen Medienberichten über skandalöse Praktiken in Aufnahmelagern und Aufnahmezentren.
35Vgl. etwa Tagesschau-Bericht „Das ist Italien“ vom 19.12.2013, http:// www.tagesschau.de/ausland/lampedusa-video108.html, „Mehr als 1.000 Flüchtlinge gerettet“ vom 4.01.2014, https://www.tagesschau.de/ausland/mittelmeer-fluechtlinge100.html ; VG Köln, Beschluss vom 17.02.2014 – 8 L 212/14.A – m.w.N.
36Die Entscheidung des EGMR vom 02.04.2013 betreffend das Verfahren S. Mohammed Hussein a.O./Niederlande – Nr. 27725/10 –führt zu keiner anderen Bewertung der Aufnahmesituation in Italien. Der EGMR hat in seiner Entscheidung zwar die Rückschiebung der dortigen Antragstellerin und ihrer zwei minderjährigen Kinder nach Italien für zulässig erachtet, allerdings unterschied sich der Fall insoweit von dem hier zu entscheidenden Fall erheblich, da der dortigen Antragstellerin, die tatsächlich Aufnahme in einem CARA gefunden hatte, kurz nach ihrer Einreise im Jahr 2008 in Italien subsidiärer Schutz gewährt und eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis sowie eine Arbeitserlaubnis erteilt worden war. Soweit der EGMR über diesen Einzelfall hinaus den Nachweis für systemische Mängel hinsichtlich der materiellen Aufnahmebedingungen, die den Grad einer Verletzung von Art. 3 der EMRK erreichen, nicht als erbracht angesehen hat, lagen ihm bei seiner Entscheidung weder die oben zitierten neueren Gutachten und Stellungnahmen vor noch die aktuellen Zahlen über die dramatische Zunahme des Flüchtlingsstroms.
37Die Zuständigkeit für die Durchführung des Asylverfahrens ist hier aber auch deshalb auf die Bundesrepublik übergegangen, weil sie das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates unzumutbar lange hinausgezögert hat.
38Zwar ist für Wiederaufnahmeersuchen nach Art. 20 Dublin II-VO eine Frist von drei Monaten ab Antragstellung und ein Zuständigkeitsübergang auf den Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag gestellt wurde, für den Fall einer Überschreitung dieser Frist anders als für Fälle eines Aufnahmeersuchens nicht ausdrücklich geregelt. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der um Wiederaufnahme ersuchende Mitgliedstaat das Verfahren beliebig lange hinauszögern kann. Vielmehr ist ein Mitgliedstaat stets verpflichtet, eine möglichst rasche Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates zu ermöglichen, um einen effektiven Zugang zu dem Verfahren über die Zuerkennung internationalen Schutzes und eine zügige Bearbeitung der Schutzanträge zu gewährleisten (Erwägungsgrund 4 der Verordnung). Insbesondere hat jeder Mitgliedstaat darauf zu achten, dass eine Situation, in der die Grundrechte eines Antragstellers verletzt werden, nicht durch ein unangemessen langes Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates verschlimmert wird. Erforderlichenfalls muss er den Antrag nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II – VO selbst prüfen,
39vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – 4 C 411/10 u.a. – Juris, s. auch: VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 07.08.2012 – 22 L 1158/12.A – und 10.05.2013 – 25 L 454/13.A -; VG Göttingen, Beschluss vom 25.07.2013 – 2 A 652/12 -.
40Ab welchem Zeitraum eine derart unangemessene und unzumutbare Verzögerung des Verfahrens anzunehmen ist, entzieht sich nach Auffassung des Gerichts einer allgemeinen Festlegung. Die Wertung des Verordnungsgebers, der in der Neufassung der Verordnung nun auch für Wiederaufnahmeersuchen eine Zwei- bzw. Dreimonatsfrist ausdrücklich festgelegt hat, darf dabei aber nicht außer Acht gelassen werden. Zusätzlich sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls in die Beurteilung mit einzubeziehen.
41Vorliegend hat die Beklagte die Dreimonatsfrist um das Fünffache und die im Falle von Eurodac-Treffern geltende Zweimonatsfrist um das Siebenfache überschritten, obwohl sie bereits bei Stellung des Asylantrages Kenntnis von einem Eurodac-Treffer hatte. Gründe für diese erheblich verzögerte Stellung des Wiederaufnahmeersuchens sind dem Verwaltungsvorgang auch nicht ansatzweise zu entnehmen. Solche liegen insbesondere nicht in der Person bzw. in dem Verhalten der Klägerin vor, etwa einer Inhaftierung oder einem Untertauchen, was grundsätzlich zu einer Verlängerung der Verfahrensfristen führen kann (vgl. Art. 19, 20 Dublin II – VO). Im Gegenteil hatte die Klägerin die vorherige Asylantragstellung in Italien selbst bereits bei der Anhörung vor dem Bundesamt offenbart. Das Gericht ist daher davon überzeugt, dass sich vorliegend das Selbsteintrittsrecht der Beklagten wegen einer überlangen Verfahrensdauer zu einer Selbsteintrittspflicht verdichtet hat.
42Der Asylantrag der Klägerin ist hinsichtlich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auch materiell begründet.
43Nach § 3 AsylVfG idF der Änderung vom 28.08.2013 (BGBl v. 28.08.2013) ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) -, wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a – d AsylVfG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337. Vom 20.12.2011, S. 9-26).
44Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich der Klägerin die Voraussetzungen des
45§ 3 AsylVfG vor.
46Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob die Klägerin vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Denn auch unabhängig davon ist das Gericht davon überzeugt, dass die Furcht der Klägerin vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung begründet ist.
47Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
48Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012, 14 A 2708/10.A – Juris; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
49Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
50Vgl. zuletzt u.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –
51Juris.
52Die Gefährdung der Klägerin knüpft daher zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls auch an eine bei ihr vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
53Vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 – und vom 19.06.2013 – A 11 S 927/13 -; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 03.01.2014 – OVG 3 N 92.13 -; a.A. OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A – sowie Beschlüsse vom 07.05.2013 – 14 A 1008/13.A - und vom 27.06.2013 – 14 A 1517/13.A -.
54Die Abschiebungsanordnung nach Italien (Nr. 2 des Bescheides) war nach alledem aufzuheben.
55Ein Anspruch der Klägerin auf Anerkennung als Asylberechtigte besteht allerdings mit Rücksicht auf die Einreise über Italien nicht (§ 26 a AsylVfG).
56Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
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Annotations
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.