Verwaltungsgericht Köln Urteil, 18. Juni 2015 - 20 K 4052/14.A
Gericht
Tenor
Soweit der Kläger die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2014 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und der Kläger je zur Hälfte.
1
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.0000 geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Am 03.06.2014 wurde er auf der BAB A 3 durch die Bundespolizei Passau aufgegriffen und in die JVA Mühldorf eingeliefert. Eine Eurodac-Recherche ergab einen Treffer für Bulgarien. Nach seinen Angaben im Rahmen der Beschuldigtenvernehmung bei der Bundespolizei befand sich der Kläger seit dem 22.05.2014 in Bulgarien in einem Asylverfahren.
3Am 05.06.2014 ersuchte das Bundesamt Bulgarien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b) der Dublin III-VO um Wiederaufnahme des Klägers. Mit Schreiben vom 09.06.2014 stimmte Bulgarien dem Ersuchen zu. Mit Bescheid vom 11.06.2014 ordnete die Beklagte darauf die Abschiebung nach Bulgarien an. Der Bescheid wurde am 12.06.2014 zwecks Zustellung an den Kläger zur Post gegeben.
4Mit Beschluss vom 11.06.2014 wies das Amtsgericht Mühldorf den Antrag der Bundespolizei zur Sicherung der Zurückschiebung zurück und ordnete die umgehende Haftentlassung an.
5Mit Schreiben vom 05.06.2014, beim Bundesamt eingegangen am 13.06.2014, stellte der Kläger in der Bundesrepublik einen Asylantrag, den die Beklagte mit Bescheid vom 18.07.2014 als unzulässig ab lehnte. Zugleich ordnete sie (erneut) die Abschiebung nach Bulgarien an. Der Bescheid wurde dem Kläger am 21.07.2014 zugestellt.
6Am 28.07.2014 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, dass in Bulgarien ein rechtlichen Maßstäben entprechendes Asylverfahren nicht zu erwarten sei. Im Übrigen bezieht er sich auf die Situation in Syrien.
7Ein gleichzeitig gestellter Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage war erfolgreich (Beschluss vom 20.08.2014 – 20 L 1389/14.A).
8In der mündlichen Verhandlung vom 05.02.2015 hat der Kläger die Klage hinsichtlich der Anerkennung als Asylberechtigter zurückgenommen.
9Im Übrigen beantragt der Kläger,
10die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 18.07.2014 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie
11hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
12weiter hilfsweise, nationale Abschiebungsverbote festzustellen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie bezieht sich zur Begründung im Wesentlichen auf den Inhalt des angefochtenen Bescheides.
16Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in dem Verfahren 20 L 1389/14.A und den Inhalt des beigezogenen Verwaltungsvorganges verwiesen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
18Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen.
19Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
20Der auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise Zuerkennung subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise auf Feststellung nationaler Abschiebungsverbote gerichtete Klageantrag ist als Verpflichtungsantrag gemäß § 42 Abs. 1 VwGO zulässig. Das Verpflichtungsbegehren entspricht nicht nur dem ausdrücklich gestellten Klageantrag, sondern auch dem eigentlichen Klageziel des Klägers, das bei sachdienlicher Auslegung nicht lediglich auf die Aufhebung des angefochtenen Bescheides, sondern auf die Gewährung internationalen Schutzes durch die Bundesrepublik gerichtet ist.
21Gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO spricht das Gericht die Verpflichtung der Behörde zum Erlass des begehrten Verwaltungsaktes aus, soweit die Ablehnung oder Unterlassung des begehrten Verwaltungsaktes rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Dabei hat das Gericht die Streitsache in vollem Umfang spruchreif zu machen. Es ist daher grundsätzlich nicht zulässig, bei rechtswidriger Verweigerung des begehrten Verwaltungsaktes lediglich die Ablehnung aufzuheben und die Sache zur Prüfung und Feststellung der Anspruchsvoraussetzungen an die Behörde gewissermaßen zurückzuverweisen. Dieser grundsätzliche Vorrang der Verpflichtungsklage entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gerade auch in Asylverfahren,
22vgl. BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 – 9 C 28/97 – E 106, 171-177,
23und es sind zur Überzeugung des Gerichts in sog. Dublin-Fällen keine Gesichtspunkte erkennbar, die eine Abweichung hiervon rechtfertigen. Nicht zuletzt unter dem Aspekt der im Asylverfahren geltenden Konzentrations- und Beschleunigungsmaxime gilt vielmehr auch hier, dass Zurückverweisungen an das Bundesamt zu vermeiden und Spruchreife herzustellen ist.
24Vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 23.05.2013 – 20 K 5506/12.A -; s. auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.06.2012 – A 2 S 1355/11 -; VG Braunschweig, Urteil vom 21.02.2013 – 2 A 126/11 -; VG Göttingen, Urteil vom 25.07.2013 – 2 A 652/12 -; VG Bremen, Gerichtsbescheid vom 10.04.2014 – 1 K 61/14 -.
25Soweit in der Rechtsprechung die Auffassung vertreten wird, dass in sog. Dublin-Verfahren grundsätzlich nur eine Anfechtungsklage zulässige Klageart ist,
26vgl. u.a. OVG NRW, Urteil vom 07.03.2014 - 1 A 21.12.A – und Beschluss vom 18.05.2015 – 11 A 2639/14.A -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 16.04.2014 – A 11 S 1721/13 - ,
27teilt die Kammer diese Auffassung unverändert nicht. Dabei kann offen bleiben, ob je nach Klageantrag und Fallkonstellation im Einzelfall der grundsätzliche Vorrang der Verpflichtungsklage in Dublin-Fällen stets zur Unzulässigkeit einer isolierten Anfechtungsklage wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses führt,
28vgl. OVG NRW, Urteil vom 10.05.2011 – 3 A 133/10.A -; Eyermann, VwGO, § 42 Rn. 18 ff; Redeker/von Oertzen. VwGO, § 42 Rn. 19.
29Jedenfalls aber steht im Falle eines tatsächlich gestellten Verpflichtungsantrages – wie hier – der Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, wonach bei Ausfall des an sich zuständigen Mitgliedstaates wegen systemischer Mängel kraft Unionsrecht die Prüfung der Zuständigkeit anhand der Kriterien der Dublin III-Verordnung fortzusetzen ist,
30vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-4/11 – Puid,
31nicht entgegen. Diese nach Unionsrecht von den Mitgliedstaaten geforderte weitere Prüfung der Zuständigkeit nimmt die Bundesrepublik bzw. das Bundesamt vor Erlass eines Bescheides bereits regelmäßig vor, soweit sich etwa auf der Grundlage von Eurodac-Treffern oder anderer konkreter Umstände, wie z.B. erteilte Visa, Anhaltspunkte für eine Fortsetzung der Zuständigkeitsprüfung ergeben. Liegen etwa in einem Verfahren zwei Eurodac-Treffer aus Griechenland und einem weiteren Mitgliedstaat wie Ungarn oder Bulgarien vor – was nicht selten der Fall ist -, so wendet sich das Bundesamt im Hinblick auf die systemischen Mängel in Griechenland an den zweiten in Betracht kommenden Mitgliedstaat mit dem Ersuchen um Übernahme des Verfahrens. Nach Erlass eines Bescheides durch das Bundesamt bzw. bei Klageerhebung vor dem Verwaltungsgericht ist eine weitere Fortsetzung der Suche nach einem anderen zuständigen Staat dagegen in der Regel nicht mehr möglich. Dies gilt zunächst deshalb, weil bereits keine weiteren, vom Bundesamt noch nicht berücksichtigten konkreten Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines weiteren Mitgliedstaates gegeben sein werden. Zu einer Fortsetzung der Prüfung „ins Blaue hinein“ bzw. einer Rückverweisung des Verfahrens an das Bundesamt zur Vornahme einer entsprechenden Überprüfung „ins Blaue hinein“ besteht aber keine Verpflichtung. Eine weitere Fortsetzung der Suche nach einem anderen zuständigen Staat ist in der Regel zudem deshalb nicht mehr möglich, weil die Fristen für die Stellung von Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmeersuchen gemäß Art. 21 Abs. 1 bzw. Art. 23 Abs. 2 und 3 Dublin III-VO von nur zwei, allenfalls drei Monaten, bereits abgelaufen sein werden, so wie dies auch vorliegend der Fall ist.
32Hinzukommt gerade in Verfahren syrischer Asylbewerber, dass im Falle der Klärung der Zuständigkeitsfrage die Herstellung der Spruchreife bzw. die Prüfung der materiellen Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft in der Regel keiner umfangreichen weiteren Aufklärung mehr bedarf, sondern die Flüchtlingseigenschaft ohne Weiteres zuzuerkennen ist. Eine Zurückverweisung der Verfahren an das Bundesamt in dieser Situation wäre daher reine Formsache und liefe der Beschleunigungs- und Konzentrationsmaxime in besonders hohem Maße zuwider.
33Die Klage ist auch begründet.
34Der Asylantrag ist zunächst zulässig.
35Der Zulässigkeit steht § 27 a AsylVfG nicht entgegen. Denn die Bundesrepublik ist nunmehr aufgrund der Auffangzuständigkeit des Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig für die Entscheidung über das Asylbegehren des Klägers, da einer Überstellung nach Bulgarien systemische Mängel des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen entgegenstehen und eine weitere Prüfung nach einem zuständigen Mitgliedstaat nach Ablauf der Fristen für die Stellung von Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchen nicht mehr möglich ist.
36Vgl. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 – C-4/11 – Puid – ; Thym, Anmerkung zu Puid, NvwZ 2014, 130 ff.
37Die Dublin III-VO beruht auf der Annahme, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Aufgrund dieses Prinzips des gegenseitigen Vertrauens gilt daher grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht. Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine unwiderlegbare Vermutung. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das System in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt, so dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar ist. Allerdings genügt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat und nicht jeder geringste Verstoß gegen die Richtlinien, um die Überstellung eines Asylbewerbers an den normalerweise zuständigen Mitgliedstaat zu vereiteln. Falls dagegen ernsthaft zu befürchten ist, das das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so ist die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar. In solchen Situationen obliegt es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedstaat“ im Sinne der Verordnung zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der EU ausgesetzt zu werden.
38Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C 411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. – Juris; EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/09 – M.S.S./Belgien u. Giechenland - und Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel/Italien -.
39Der Begriff des systemischen Mangels ist weit zu verstehen. Mit „Asylverfahren und Aufnahmebedingungen“ ist der Gesamtkomplex des Asylsystems im Zielstaat gemeint. Dieses umfasst den Zugang zum Asylverfahren, das Asylverfahren selbst, die Behandlung während des Asylverfahrens, die Handhabung der Anerkennungsvoraussetzungen, das Rechtsschutzsystem und auch die in der Genfer Flüchtlingskonvention und der Qualifikationsrichtlinie geregelte Behandlung nach der Anerkennung.
40Vgl. Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff; Bank/Hruschka, ZAR 2012, 182 ff.
41Systemische Mängel im Sinne der vorgenannten Rechtsprechung des EuGH sind dabei nicht auf solche flächendeckenden gravierenden Systemausfälle, wie dies in Griechenland der Fall war und ist, beschränkt, sondern erfassen generell solche, die im Rechtssystem des zuständigen Mitgliedstaates angelegt sind oder dessen Vollzugspraxis strukturell prägen und deshalb den Einzelnen vorhersehbar und regelhaft treffen. Auch tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird, können einen systemischen Mangel darstellen. Nicht systemisch ist ein Mangel – im Unterschied dazu - dann, wenn es lediglich in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GR-Charta bzw. Art. 3 EMRK kommt.
42Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 – 10 B 6.14 – und 06.06.2014 – 10 B 35.14 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 - .
43Nicht erforderlich ist aber, dass sich der systemische Mangel bzw. die strukturelle – systemische – Schwachstelle auf eine unüberschaubare Vielzahl, die Mehrheit aller Asylbewerber oder gar auf alle Asylbewerber auswirkt. Ein systemischer Mangel kann vielmehr auch dann vorliegen, wenn nur eine geringe Anzahl von Asylbewerbern betroffen ist, soweit dies vorhersehbar und regelhaft geschieht.
44Vgl. Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.03.2015 – A 11 S 2042/14 – und vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 -.
45Bei der Beurteilung der Situation in einem Mitgliedstaat und der für einen Asylbewerber dort bestehenden tatsächlichen Risiken im Falle einer Überstellung sind Stellungnahmen des UNHCR ebenso heranzuziehen wie regelmäßige und übereinstimmende Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen sowie sonstige Berichte der europäischen Institutionen, insbesondere der Kommission.
46Vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 – Rs C 411/10 und C-493/10, N.S. und M.E. –.
47Auch bei Vorliegen systemischer Mängel bleibt es aber erforderlich, dass der einzelne Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, hiervon im Falle einer Überstellung in den Zielstaat selbst betroffen zu sein. Bei flächendeckenden systemischen Mängeln bedarf dies keiner besonderen Darlegung. Bei systemischen Mängeln, die sich nur auf Teilgruppen oder vereinzelt auswirken, müssen weitere besondere Umstände des Einzelfalls vorliegen bzw. geltend gemacht werden, die eine Betroffenheit des Einzelnen beachtlich wahrscheinlich machen.
48Vgl. Lübbe, „Systemische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, 105 ff.
49Wesentliche Kriterien für die Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung vorliegt, sind der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu entnehmen. Allerdings werden diese – eher niedrigen - völkerrechtlichen Schutzstandards durch die verbindlichen Festlegungen von Mindeststandards im Rahmen des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, die für alle Mitgliedstaaten verbindlich vorgeben, was deren Asylsystem zu leisten im Stande sein muss, überlagert und konkretisiert. Die konkreten Anforderungen an die immer kumulativ festzustellende Schwere der Schlechtbehandlung sind daher niedriger anzusetzen, wobei gleichwohl die typischerweise für die Mehrheit der einheimischen Bevölkerung geltenden Standards nicht aus den Augen verloren werden dürfen.
50Vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 – 30696/9 - M.S.S./Belgien u. Griechenland -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 – Juris.
51Wenngleich also Art. 3 EMRK die Vertragsparteien nicht dazu verpflichtet, jedem in ihrem Hoheitsgebiet ein Zuhause zur Verfügung zu stellen und auch keine allgemeine Verpflichtung einschließt, finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen zu ermöglichen, einen bestimmten Lebensstandard aufrechtzuerhalten, ist die Verpflichtung, Asylsuchenden Unterkunft und anständige materielle Bedingungen zu gewähren, Bestandteil des positiven Rechts in den EU-Mitgliedstaaten, wie sie insbesondere in der Aufnahmerichtlinie dargelegt sind. Eine Situation extremer materieller Armut kann zudem stets eine für Art. 3 EMRK relevante Frage darstellen, wenn Personen vollkommen von staatlicher Unterstützung abhängig sind und in einer Lage schwerwiegender Entbehrungen und Not, die nicht mit der Menschenwürde vereinbar ist, mit behördlicher Gleichgültigkeit konfrontiert sind. Stets ist eine gründliche und individuelle Prüfung der Situation der betroffenen Person vorzunehmen und zu berücksichtigen, dass Asylsuchende eine besonders unterprivilegierte und verletzliche Gruppe darstellen und besonderen Schutz benötigen. Der Situation von Minderjährigen und der extremen Verletzlichkeit von Kindern ist Rechnung zu tragen.
52Vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel/Italien -.
53Die Ursache für eine etwaige Gefahr einer Verletzung der Rechte aus Art. 3 EMRK hat keinerlei Auswirkungen auf das Schutzniveau.
54Vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 – 29217/12 – Tarakhel/Italien -.
55Neben dem Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK sind zudem solche Gewährleistungen in den Blick zu nehmen, die Teil des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems sind, aber von vorneherein nicht von der EMRK erfasst sind. Dies gilt namentlich für den gemäß Art. 18 GR-Charta gewährten Anspruch auf Asyl und den effektiven Zugang zu einem Asylverfahren, das den Anforderungen der einschlägigen EU-Rechtsnormen entspricht.
56Gemessen an diesen Kriterien liegen zur Überzeugung des Gerichts in Bezug auf Bulgarien – unverändert - systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen vor.
57Vgl. zuletzt Urteil der Kammer vom 22.05.2014 – 20 K 3425/13.A -; ebenso: VG Oldenburg, Beschluss vom 27.01.2015 – 12 B 245/15 -; VG Stuttgart, Urteil vom 24.06.2014 – A 11 K 741/14 -; VG München, Urteil vom 19.09.2014 – M 24 K 14.50343 -; a.A.: VGH München, Urteil vom 29.01.2015 – 13a B 14.50039 -; OVG NRW, Beschluss vom 29.01.2015 – 14 A 134/15.A – und Beschluss vom 13.05.2015 – 14 B 525/15.A -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 10.11.2014 – A 11 S 1778/14 -; VG Magdeburg, Urteil vom 08.04.2015 – 9 A 208/15 MD -; VG Minden, Urteil vom 10.02.2015 – 10 K 1660/14.A -.
58Ausgangspunkt der Beurteilung des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Bulgarien muss dabei – jenseits des Prinzips des gegenseitigen Vertrauens - der Umstand sein, dass das System infolge einer starken Zunahme der Flüchtlingsströme im Herbst 2013 praktisch vollständig kollabiert war, was den UNHCR – ähnlich wie im Falle Griechenlands - zu der generellen Empfehlung veranlasste, von Überstellungen nach Bulgarien abzusehen. In seinem Bericht vom 2. Januar 2014 bejahte der UNHCR für Asylsuchende in Bulgarien eine ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung wegen systemischer Mängel der Aufnahmebedingungen und des Asylverfahrens in dem Land.
59Vgl. Observations on the Current Situation of Asylum in Bulgaria, 02.01.2014, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/52c598354.html.
60Diese Empfehlung hielt UNHCR in seinem Update vom April 2014 nicht mehr uneingeschränkt aufrecht und konstatierte signifikante Verbesserungen im Aufnahmesystem und in der Durchführung der Asylverfahren. Gleichwohl wurden weiterhin erhebliche Schwachstellen festgestellt nicht nur hinsichtlich der Situation besonders schutzbedürftiger Personen, sondern darüber hinaus u.a. hinsichtlich der Verhältnisse in zwei von sieben Aufnahmezentren (Vrazdebhna und Voenna Rampa) und auch hinsichtlich der Qualität der Anerkennungsverfahren. Vor allem aber bestanden aus Sicht des UNHCR Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit der unternommenen Anstrengungen. Zahlreiche Maßnahmen wurden nur auf einer ad hoc-Basis mit massiver Unterstützung der EU, von Nichtregierungsorganisationen und des UNHCR selbst durchgeführt, so dass die dauerhafte Sicherstellung der erreichten Verbesserungen auf mittlere und lange Sicht durch das staatliche bulgarische Aufnahmesystem nicht gewährleistet schien. Zudem wurde Besorgnis darüber ausgedrückt, dass der erhebliche Rückgang der Asylbewerberzahlen im ersten Quartal 2014 im Vergleich zu 2013 durch eine massive Verstärkung der Grenzkontrollen und den Einsatz auch brutaler Push-backs an der türkischen Grenze bedingt war.
61Vgl. Observations on the current asylum system in Bulgaria, April 2014, abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/534cd85b4.html.
62Auf – trotz durchgeführter Verbesserungen - fortbestehende erheblich unzureichende Bedingungen in einigen Aufnahmezentren (Überbelegung, schlechte sanitäre und sonstige materielle Bedingungen wie regelmäßige Verfügbarkeit von Warmwasser und Strom, unzureichende Versorgung mit Lebensmitteln) und Defizite im Asylverfahren wiesen auch weitere Berichte von Nichtregierungsorganisationen hin. Asylsuchende würden zudem nach wie vor routinemäßig inhaftiert. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung und die Bereitstellung von Medikamenten seien unzureichend. Zugang zu Unterricht oder Schule gebe es für asylsuchende Kinder kaum. Infolge der Praxis der „externen Wohnadressen“ außerhalb der Lager bestehe das Risiko der Obdachlosigkeit. Es bestünden begründete Zweifel hinsichtlich der Nachhaltigkeit der erzielten Verbesserungen. Dublin-Überstellungen seien daher weiterhin auszusetzen.
63Vgl. Amnesty international, Suspension of Asylum-seekers to Bulgaria must continue, März 2014, Index: EUR 15/002/2014 (Deutsche Fassung Juli 2014, Rücküberstellungen von Asylsuchenden nach Bulgarien sind weiterhin auszusetzen); Ecre (European Council on Refugees and Exiles), Pressemitteilung vom 07.04.2014, www.asylumineurope.org; Pro Asyl/Flüchtlingsrat Niedersachsen, Syrische Flüchtlinge in Bulgarien: Misshandelt, erniedrigt, im Stich gelassen, Bericht vom 23.05.2014; Bordermonitoring EU, Trapped in Europe's Quagmire: The Situation of Asylum Seekers and Refugees in Bulgaria, Juli 2014 (Deutsche Fassung, Gefangen in Europas Morast: Die Situation von Asylsuchenden und Flüchtlingen in Bulgarien).
64Inzwischen ist das bulgarische Asyl- und Aufnahmesystem erneut an seine Grenzen gestoßen. Die erhoffte weitere Konsolidierung der maßgeblich mit Hilfe externer Unterstützung begonnenen positiven Entwicklung,
65vgl. VG Köln, Urteil vom 16.04.2014 – 20 K 3425/13.A -,
66ist zur Überzeugung des Gerichts nicht eingetreten. Mit der Einstellung bzw. Reduzierung der Unterstützung durch UNHCR und anderer Nichtregierungsorganisationen bei gleichzeitigem erneuten massiven Anstieg der Flüchtlingszahlen ist es im Gegenteil zu einem Stillstand oder gar Verschlechterung der Bedingungen gekommen.
67Die Flüchtlingszahlen sind seit Ende 2014 und zu Beginn des Jahres 2015 erneut massiv angestiegen. Beantragten im Jahr 2013 insgesamt 7144 Personen Asyl gegenüber nur 1387 Personen im Jahr 2012, so waren es im Jahr 2014 insgesamt 11.081 Personen bei kontinuierlicher Steigerung der Zugangszahlen seit August 2014,
68vgl. Bordermonitoring EU, Trapped in Europe’s Quagmire, Juli 2014; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
69Seit Januar 2015 ist der Zustrom weiter angeschwollen mit 3190 Asylanträgen im ersten Quartal 2015. Zusätzlich warten ca. 7.000 Dublin-Rückkehrer auf ihre Überstellungen nach Bulgarien, die im Falle ihrer Durchführung das Asylsystem zusätzlich erheblich belasten würden.
70Vgl. http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/index.php/File:First_time_asylum_applicants,_Q1_2014_-_Q1_2015.png; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
71Die Strategien der bulgarischen Regierung zur Bewältigung dieses Zustroms, mit dessen Versiegen nicht zu rechnen ist, oder das Fehlen notwendiger Strategien offenbaren an mehreren Stellen gravierende systemische Mängel.
72Dies gilt zunächst für die exzessiven Maßnahmen der Grenzsicherung, in deren Rahmen seit 2014 Grenzpatrouillen massiv ausgeweitet wurden und die Sicherung durch Stacheldrahtzäune erheblich verlängert wurde, Maßnahmen, die noch nicht abgeschlossen sind. Zudem dauern illegale und mit erheblicher Gewaltanwendung einhergehende Push-back-Aktionen an der türkisch-bulgarischen Grenze trotz scharfer internationaler Kritik an.
73Vgl. Bordermonitoring EU, Trapped in Europe‘s Quagmire, Juli 2014; UNHCR, Pressemitteilung vom 31.03.2015, “Todesfälle an bulgarischer Grenze aufklären”, Human Rights Watch, September 2014, Bulgaria: UPR Submission sowie Pressemitteilung vom 31.03.2015, “Dispatches: Stopping Pushbacks at Bulgaria‘s Border”.
74Gelingt der Zutritt zum bulgarischen Territorium haben Asylbewerber unverändert regelmäßig mit Inhaftierung in einem der Haftzentren für illegale Migranten – Busmantsi, Lyubimets und Elhovo – zu rechnen. Von 11.081 Personen, die im Jahr 2014 Asyl beantragt haben, haben 9843 Personen ihren Asylantrag in einem dieser Haftzentren gestellt. Die Haftdauer konnte während des Jahres 2014 von 45 Tagen durchschnittlich reduziert werden auf 9 Tage pro Person. Es liegt aber ein Gesetzentwurf vom 19.11.2013 vor, der Ende 2014 erneut dem Parlament vorgelegt wurde, wonach generell und voraussetzungslos die Inhaftierung aller Asylbewerber in geschlossenen Haftzentren die Regel sein soll, die Unterbringung in offenen Aufnahmeeinrichtungen dagegen die Ausnahme. Zudem gibt es unverändert keine wirksamen Mechanismen zur Identifizierung besonders schutzbedürftiger Personen. Die Haftzentren sind häufig überfüllt, verbale Erniedrigungen sind ebenfalls häufig. Die hygienischen Bedingungen sind unzureichend ebenso wie die Versorgung mit Nahrungsmitteln und die medizinische Versorgung. Hinzukommen wiederholte Berichte des Anti-Folter-Komitees des Europarats über erniedrigende und unmenschliche Behandlung von Insassen, auch konkret bezogen auf die Haftzentren, in denen Asylbewerber untergebracht werden. In einem jüngst veröffentlichten Bericht wird erneut auf schlechter werdende Haftbedingungen und zahlreiche Fälle von physischer Misshandlung hingewiesen sowie den Umstand, dass die bulgarische Regierung bis heute keine wirksamen Schritte zur Beseitigung der Missstände unternommen habe.
75Vgl. Aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; European Committee for the Prevention of Torture an Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT), Public Statement concerning Bulgaria, 26.03.2015.
76Wegen der seit Anfang 2014 erhöhten Aufnahme- und Bearbeitungskapazitäten funktionierte das Asylsystem nach Weiterleitung der Asylbewerber an eine Aufnahmeeinrichtung der Staatlichen Agentur für Flüchtlinge (SAR) „einigermaßen“. Zur Beibehaltung der erfolgten Verbesserungen benötigte die SAR allerdings weitere Mittel,
77vgl. UNHCR, Stellungnahme vom 23.12.2014 an VG Minden zum Verfahren 10 L 530/14.A -,
78über deren aktuelle Bereitstellung nichts bekannt ist.
79Die Lage in den Aufnahmeeinrichtungen bleibt schwierig. Es wird immer wieder von überfüllten Flüchtlingsunterkünften, Nahrungsmangel, katastrophalen hygienischen Bedingungen sowie von Schlägen und Misshandlungen durch das Lagerpersonal und Verweigerung notwendiger Gesundheitsversorgung berichtet. Unterstützungsleistungen durch NGO‘s und UNHCR, ohne die notwendige Verbesserungen etwa im Bereich der Information und Rechtsberatung nicht erreicht worden wären, wurden zu Beginn des Jahres 2015 eingestellt.
80Vgl. Pro Asyl, Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
81Die in den SAR-Einrichtungen untergebrachten Dublin-Rückkehrer haben grundsätzlich ein Recht auf dieselben Hilfe-/Dienstleistungen, die anderen Asylbewerbern zustehen. Es gibt aber auch hier keine hinreichende Systematik bei der Identifizierung von Personen mit besonderen Bedürfnissen, und kein System, um auf gegebenenfalls einmal identifizierte Bedürfnisse einzugehen. Im Übrigen ist die Behandlung von Dublin-Rückkehrern und deren Asylverfahren unklar bzw. hängt davon, welchen Stand der frühere Asylantrag des Asylbewerbers hatte. Erfolgt der Transfer mehr als drei Monate und 10 Tage nach der Registrierung des Asylantrags – was vorliegend der Fall ist – oder wurde der Anspruch während der Abwesenheit des Antragstellers abgelehnt, wird der Aufenthalt des Antragstellers als illegal angesehen und er kommt in Abschiebehaft. Er kann dann zwar grundsätzlich einen Folgeantrag unter Aufzeigen neuer zusätzlich Gründe im Vergleich zu seinem Erstverfahren stellen, werden aber neue Kriterien als nicht-existent befunden, wird der Folgeantrag als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Auch wenn der Folgeantrag zur sachlichen Prüfung zugelassen wird, ist eine Haftfortdauer wahrscheinlich und kann sich auf einen längeren Zeitraum erstrecken, ohne dass es hinreichenden Rechtsschutz gibt.
82Vgl. UNHCR, Stellungnahme vom 23.12.2014 an VG Minden zum Verfahren 10 L 530/14.A -; aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015.
83Bei dieser Auskunftslage besteht für jeden Dublin-Rückkehrer derzeit das tatsächliche Risiko, dass sein Asylbegehren nicht mehr geprüft wird und er als illegaler Migrant auf unbestimmte Zeit in Abschiebehaft kommt. Diese Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass das Bundesamt auf konkrete Anfrage des Gerichts, mit welcher Behandlung des Asylantrages des Klägers vor dem Hintergrund der vorgenannten Stellungnahme des UNHCR zu rechnen ist, keine Antwort gegeben hat.
84Die Lage von Personen mit Schutzstatus in Bulgarien ist aussichtslos. Seit dem Auslaufen des Nationalen Integrationsprogramm im Jahr 2013 gibt es kein operatives Integrationsprogramm mehr in Bulgarien. Ein neues Programm wurde am 25.06.2014 veröffentlicht und sollte abhängig von der Finanzierung im Jahr 2015 beginnen, die Finanzierung ist bis heute nicht erfolgt. 2014 wird daher als „zero integration year“ bezeichnet, mit einer Änderung im laufenden Jahr 2015 ist nicht zu rechnen.
85Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015; Bordermonitoring EU, Trapped in Europe‘s Quagmire, Juli 2014.
86Gerade die Entwicklung eines neuen Integrationsprogramms hatte auch UNHCR in seiner oben zitierten Stellungnahme vom April 2014 für entscheidend gehalten.
87Personen mit Schutzstatus haben zwar formal bis zu einem Zeitraum von 6 Monaten nach der positiven Entscheidung einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung wie Asylbewerber in Höhe von 65 BGN/33,23 € pro Person, was dem Minimum der staatlichen Sozialhilfe in Bulgarien entspricht. Dieser Betrag reicht aber anerkanntermaßen nicht aus, um selbst grundlegende Bedürfnisse wie Nahrung zu befriedigen, geschweige denn eine Unterkunft oder Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erlangen. Die einzige Option zur Erlangung einer Unterkunft während dieser sechsmonatigen Zeit besteht in dem weiteren Verbleib in einem der Aufnahmezentren, was nur ausnahmsweise der Fall ist und durch wiederholte Zwangsräumungsaktionen, von denen auch besonders schutzbedürftige Personengruppen betroffen sind, erschwert wird. In der Regel bleiben anerkannten Flüchtlingen nur 14 Tage, bevor sie des Lagers verwiesen werden.
88Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015.
89Außerhalb der Aufnahmezentren besteht ein hohes Risiko von Obdachlosigkeit, das wegen des Fehlens eines Integrationsprogramms dadurch erhöht wird, dass Flüchtlinge keinerlei finanzielle Unterstützung wie Wohngeld oder Sozialhilfe erhalten und auch keine Unterkunft in Obdachlosenunterkünften oder Sozialwohnungen finden können. Ohne Wohnung ist auch der Zugang zu jeglichen anderen staatlichen und medizinischen Leistungen unmöglich, da hierfür eine Meldeadresse vorgewiesen werden muss. Mangels Integrationsprogramm, ohne Sprachkenntnisse und in Abwesenheit von Sozialarbeitern ist dies Schutzberechtigten nahezu unmöglich. So wurden bei ca. 7000 Personen, die allein 2014 einen Schutzstatus erhalten haben, nur in 12 Fällen Sozialleistungen ausgezahlt. Ebenso aussichtslos sind die Möglichkeiten, sich durch Erwerbstätigkeit das Existenzminimum zu sichern, zumal unter den in Bulgarien herrschenden schlechten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen mit einer ohnehin hohen Arbeitslosenquote. Auch der Zugang zu Schule/Bildung ist für Flüchtlingskinder praktisch nicht gewährleistet.
90Vgl. aida, Asylum Information Database, Country Report Bulgaria, 31.01.2015; Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015.
91Der Zugang zur Gesundheitsversorgung ist für Personen mit Schutzstatus ebenfalls nicht gewährleistet. Der monatliche Beitrag für das Gesundheitssystem muss selbst bezahlt werden, eine staatliche Unterstützung gibt es hierfür nicht. Selbst wenn der Beitrag irgendwie aufgebracht werden kann, sind Aufwendungen für Arzneimittel und psychologische Behandlung nicht abgedeckt. Auch kassenfinanzierte Leistungen können kaum in Anspruch genommen werden, da man hierzu auf eine Patientenliste eines Hausarztes gelangen muss, was oft mit unüberwindbaren Schwierigkeiten verbunden ist.
92Vgl. Pro Asyl, Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien, April 2015; Bordermonitoring EU, Trapped in Europe‘s Quagmire, Juli 2014, a.a.O.
93Die Darstellung in den zuvor ausgewerteten Berichten des UNHCR und von Nichtregierungsorganisationen wird durch eine Fülle von Medienberichten bestätigt,
94vgl. z.B. Deutsche Welle vom 16.01.2015: Flüchtlinge in Bulgarien nicht willkommen; Le Monde diplomatique vom März 2015: In Europa werde ich Zuflucht finden,
95und spiegelt sich auch in den zahlreichen Schilderungen der Kläger in Verfahren syrischer Staatsangehöriger vor der Kammer wider. Die Mehrheit der Asylsuchenden in Bulgarien im Jahr 2014 waren syrische Staatsangehörige, für die bulgarische Behörden inzwischen ein beschleunigtes Verfahren durchführen, das regelmäßig mit der Zuerkennung eines Schutzstatus endet. Ungeachtet dessen waren Zahllose von illegalen Zurückweisungen an der Grenze betroffen und anschließender Haft, viele berichten von katastrophalen hygienischen Bedingungen, Mangelernährung, der Verweigerung oder unangemessen langen Hinauszögerung medizinischer Versorgung, Beleidigungen und gewalttätigen Übergriffen durch Polizei und Lagerpersonal. Solche, die einen Schutzstatus in Bulgarien erhalten haben, berichten von existenzbedrohender Mittellosigkeit, Obdachlosigkeit und ständiger Angst vor fremdenfeindlichen Übergriffen, die sie oftmals selbst erlebt haben oder deren Zeugen sie waren.
96Die Auswertung aller zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel einschließlich der unmittelbaren Schilderung Betroffener offenbaren zur Überzeugung des Gerichts systemische Mängel, die alle Bereiche des bulgarischen Asylsystems erfassen und von denen jeder Schutzsuchende in jedem Stadium, vom Versuch, das bulgarische Territorium zu betreten angefangen, jederzeit betroffen sein kann. Ausgehend von dem oben dargelegten weiten Begriff des systemischen Mangels, der den Gesamtkomplex des Asylsystems im Zielstaat erfasst, können bei der Bewertung auch nicht von vorne herein Teilkomplexe ausgeklammert werden. Es ist daher etwa nicht gerechtfertigt, im Falle von Dublin-Rückkehrern die Situation von Personen mit Schutzstatus in Bulgarien nicht mit in den Blick zu nehmen, zumal wenn es sich um eine Person handelt, die die materiellen Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Schutzstatus erfüllt, wie dies im Falle syrischer Staatsangehöriger regelmäßig der Fall ist. Dies gilt gerade in einer Situation wie in Bulgarien, in der institutionelle Regelungen und Rahmenbedingungen und eigene oder von Dritten bereit gestellte notwendige finanzielle Ressourcen einem ständigen Wandel unterliegen, mögliche Verbesserungen in einem Bereich mit Verschlechterungen in einem anderen Bereich einhergehen und generell eine hinreichende Stabilisierung des Systems nicht erreicht ist.
97Die dargelegten Mängel begründen auch das tatsächliche Risiko für jeden einzelnen, einer Verletzung seiner Rechte aus Art. 3 EMRK und Art. 4 GR-Charta sowie Art. 18 GR-Charta ausgesetzt zu sein.
98Hinsichtlich der Mängel bei der Situation von Personen mit Schutzstatus berücksichtigt das Gericht dabei, dass die sozialen Gewährleistungen bereits hinter den Anforderungen der Qualifikationsrichtlinie einer Inländergleichbehandlung zurückbleiben. Allenfalls in den ersten 6 Monaten nach Zuerkennung des Schutzstatus wird der Minimalsatz der staatlichen Sozialhilfe gezahlt. Unabhängig davon aber muss in den Blick genommen werden, dass sich die Situation von Schutzberechtigten und Inländern auch bei formaler Gleichbehandlung strukturell und grundlegend unterscheidet. Bei Sozialleistungen, die – wie in Bulgarien unbestritten der Fall – so bemessen sind, dass sie objektiv nicht zum Überleben ausreichen und nicht die grundlegendsten Bedürfnisse an Unterkunft und medizinischer Versorgung decken, ist der Schutzberechtigte ohne Sprachkenntnisse, ohne jegliche sozialen Kontakte oder familiären Netzwerke und ohne eigene Mittel zu einem menschenunwürdigen Leben am Rande des Existenzminimums verdammt. Zudem stehen ihnen bei einem weitgehend verschlossenen Arbeitsmarkt auch keine Ausweichmöglichkeiten zur Existenzsicherung, wie etwa die Abwanderung auf andere Arbeitsmärkte in der EU, zur Verfügung, da sie anders als Inländer keine Freizügigkeit genießen. Insofern erweist sich bei der gegebenen völligen Abhängigkeit von staatlichen Zuwendungen das Fehlen eines Integrationsprogramms als Ausdruck einer institutionellen manifesten Gleichgültigkeit, die nach der Rechtsprechung des EGMR auch ohne die besonderen Gewährleistungen der Qualifikationsrichtlinie bereits zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK führen kann.
99Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass syrische Asylbewerber infolge der lang andauernden bewaffneten Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland regelmäßig in erheblichem Maße traumatische Erfahrungen gemacht haben und häufig bereits einmal ihre gesamte Existenzgrundlage verloren haben. Sie sind daher in besonders hohem Maße vulnerabel und schutzbedürftig.
100Das Gericht weist klarstellend nochmals auf die oben bereits zitierte Rechtsprechung des EGMR hin, dass die Ursachen einer Verletzung des Art. 3 EMRK keine Auswirkungen auf das Schutzniveau haben. Es kommt deshalb in diesem Zusammenhang auch nicht auf politische oder gar moralische Schuldzuweisungen an, deren sich das Gericht vollständig enthält, insbesondere in Bezug auf die bulgarische Regierung und bulgarische Behörden. Maßgeblich sind ausschließlich die Bewertung der objektiv feststellbaren Bedingungen und deren Auswirkungen auf Schutzsuchende, hier insbesondere syrische Asylbewerber.
101Der nach alledem zulässige Asylantrag des Klägers ist auch materiell begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
102Nach § 3 AsylVfG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), wenn er sich 1) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe 2) außerhalb des Landes befindet a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Weitere Einzelheiten zum Begriff der Verfolgung, den maßgeblichen Verfolgungsgründen sowie zu den in Betracht kommenden Verfolgungs- bzw. Schutzakteuren regeln nunmehr die §§ 3 a – d AsylVfG in Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Abl. L 337. Vom 20.12.2011, S. 9-26).
103Gemessen an diesen Kriterien liegen hinsichtlich des Klägers die Voraussetzungen des § 3 AsylVfG vor.
104Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob der Kläger vorverfolgt aus Syrien ausgereist ist. Denn auch unabhängig davon ist das Gericht davon überzeugt, dass die Furcht des Klägers vor einer Verfolgung im Falle einer Rückkehr unter Berücksichtigung der gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Syrien, der illegalen Ausreise und der Asylantragstellung sowie der Ausbreitung der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in Syrien, u.a. in der Herkunftsregion des Klägers, begründet ist.
105Es entspricht unter Berücksichtigung der verschärften politischen Situation in Syrien seit langem der ständigen Entscheidungspraxis der Beklagten, dass Rückkehrer im Falle einer Abschiebung nach Syrien eine obligatorische Befragung durch syrische Sicherheitskräfte unter anderem zur allgemeinen Informationsgewinnung über die Exilszene zu erwarten haben und davon auszugehen ist, dass bereits diese Befragung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine konkrete Gefährdung in Form menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter auslöst.
106Vgl. hierzu auch: OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012, 14 A 2708/10.A – Juris; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Syrien – Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation, April 2011.
107Es sind keinerlei Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich an dieser Einschätzung etwas geändert haben könnte. Im Gegenteil ist im Zuge der seit März 2011 anhaltenden Eskalation der politischen Konflikte in Syrien davon auszugehen, dass sich die Gefährdungslage weiterhin erheblich verschärft hat und der syrische Staat eine illegale Ausreise, Aufenthalt im westlichen Ausland und Asylantragstellung inzwischen generell als Ausdruck einer regimekritischen Überzeugung auffasst.
108Vgl. zuletzt u.a. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 – 3 L 147/12 –
109Juris.
110Die Gefährdung des Klägers knüpft daher zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls auch an eine bei ihm vermutete politische Gesinnung und damit an eines der Konventionsmerkmale an, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.
111Vgl. hierzu u.a.: VGH Baden-Württemberg, Beschlüsse vom 29.10.2013 – A 11 S 2046/13 – und vom 19.06.2013 – A 11 S 927/13 -; VGH Hessen, Beschluss vom 27.01.2014 – 3 A 917/13.Z.A.; OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 – 3 N 91.13 -; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss 24.04.2014 – 2 L 16/13; a.A. OVG NRW, Urteil vom 14.02.2012 – 14 A 2708/10.A – sowie zuletzt Beschluss vom 13.02.2014 – 14 A 215/14.A -.
112Eine weitere Zuspitzung der Gefährdungslage ist nun durch die Ausbreitung der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in Nordsyrien eingetreten, die eine akute Gefährdung für alle Nichtmuslime und auch Muslime, die die radikalen Ansichten des IS nicht teilen, darstellt, die inzwischen zu Zehntausenden geflohen sind,
113Vgl. Stefan Rosiny, „Des Kalifen neue Kleider“: Der Islamische Staat in Irak und Syrien, GIGA Focus, Nr. 6, 2014; Spiegel online vom 07.10.2014, „Was die IS-Miliz so gefährlich macht“, und Spiegel online vom 02.02.2015 – So regiert der „Islamische Staat“.
114Dies gilt in besonderer Weise für den aus der Region Aleppo stammenden Kläger, der schiitischen Glaubens ist.
115Der Bescheid vom 18.07.2014 war nach alledem aufzuheben.
116Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 155 Abs. 2, 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.