Verwaltungsgericht Köln Beschluss, 21. Juli 2016 - 20 K 3726/15
Gericht
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
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Gründe:
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist unbegründet, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (§§ 166 VwGO, 114 Abs.1 ZPO).
3Der Bescheid des Beklagten vom 01.06.2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger
4nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
5Rechtsgrundlage für die angefochtene Maßnahme ist § 81 b 2. Alt. StPO. Danach dürfen Lichtbilder und Fingerabdrücke des Beschuldigten auch gegen seinen Willen aufgenommen und Messungen und ähnliche Maßnahmen an ihm vorgenommen werden, soweit dies für die Zwecke des Erkennungsdienstes notwendig ist.
6Der Kläger war im Zeitpunkt der Anordnung Beschuldigter im Sinne des § 81 b Alt. 2 StPO in dem o.g. Anlassverfahren. Dass eine erkennungsdienstliche Behandlung nach dieser Vorschrift nur gegen einen Beschuldigten angeordnet werden darf, besagt lediglich, dass die Anordnung der erkennungsdienstlichen Behandlung nicht an beliebige Tatsachen anknüpfen und zu einem beliebigen Zeitpunkt ergehen kann, sondern dass sie aus einem konkret gegen den Betroffenen als Beschuldigten geführten Strafverfahren hervorgehen und sich jedenfalls auch aus den Ergebnissen dieses Verfahrens die gesetzlich geforderte Notwendigkeit der erkennungsdienstlichen Behandlung herleiten muss. Der spätere Wegfall der Beschuldigteneigenschaft infolge der Beendigung des Strafverfahrens durch Einstellung, Verurteilung oder Freispruch lässt die Rechtmäßigkeit der angeordneten Maßnahmen demgemäß unberührt,
7BVerwG, Urteil vom 19.10.1982, - 1 C 29/79 -, BVerwGE 66, 192, Beschluss vom 06.07.1988, - 1 B 61/88 -, Buchholz 306 § 81 B StPO Nr. 1 sowie Urteil vom 23.11.2005, – 6 C 2/05 -, NJW 2006, 1225.
8Die Notwendigkeit der Anfertigung von erkennungsdienstlichen Unterlagen bemisst sich insoweit danach, ob der anlässlich des gegen den Betroffenen gerichteten Ermittlungs- oder Strafverfahrens festgestellte Sachverhalt nach kriminalistischer Erfahrung angesichts aller Umstände des Einzelfalls – insbesondere angesichts der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten, seiner Persönlichkeit sowie unter Berücksichtigung des Zeitraums, während dessen er strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist – Anhaltspunkte für die Annahme bietet, dass der Betroffene künftig mit guten Gründen als Verdächtiger in den Kreis potentieller Beteiligter an einer strafbaren Handlung einbezogen werden könnte und dass die erkennungsdienstlichen Unterlagen die dann zu führenden Ermittlungen fördern könnten, indem sie den Betroffenen überführen oder entlasten,
9vgl. ständige Rechtsprechung des BVerwG, Beschluss vom 06.07.1988 - 1 B
1061/88 -, BVerwGE 66, 192 ff. sowie Urteil vom 23.11.2005, - 6 C 2/05 -, NJW 2006, 1225.
11Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der präventive Charakter der erkennungsdienstlichen Maßnahmen verlangen hierbei eine Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Verhinderung und Aufklärung von Straftaten und dem Interesse des Betroffenen, entsprechend dem Menschenbild des Grundgesetzes nicht bereits deshalb als potentieller Rechtsbrecher behandelt zu werden, weil er sich irgendwie verdächtig gemacht hat oder angezeigt worden ist,
12vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 24.11.1999 – 5 B 1785/99 – und vom 13.01.1999 – 5 B 2562/98 -, NWVBl. 1999, 257.
13In Anwendung dieser Maßstäbe stellt sich die angefochtene Verfügung als rechtmäßig dar, denn die hieraus abzuleitenden Voraussetzungen Restverdacht, Wiederholungsgefahr und Verhältnismäßigkeit sind erfüllt.
14Im Hinblick auf das Geständnis des Klägers im Strafverfahren und das rechtskräftige Urteil des Amtsgerichts Bergheim vom 11.04.2016 steht fest, dass er sich durch den Besitz von kinderpornografischen und jugendpornografischen Schriften strafbar gemacht hat.
15In diesem Zusammenhang ist sein Vortrag, vom Beklagten seien Indizien für eine Schuldunfähigkeit nicht berücksichtigt worden, rechtlich nicht von Bedeutung. Für die Rechtmäßigkeit der Anordnung einer erkennungsdienstlichen Behandlung kommt es nicht darauf an, ob Straftaten schuldhaft begangen wurden. Denn diese Maßnahme dient der späteren Aufklärung von Straftaten, nicht der Sicherstellung einer Verurteilung des Täters.
16Eine Wiederholungsgefahr hinsichtlich des Besitzes von kinderpornographischem und jugendpornografischem Material ist vorliegend gegeben.
17Angesichts der Art des seinerzeit im Besitz des Klägers befindlichen pornografischen Materials ist davon auszugehen, dass bei ihm eine pädosexuelle Disposition vorliegt.
18Da es sich bei Sexualstraftaten um sogenannte Neigungsdelikte handelt, muss grundsätzlich mit Wiederholungsgefahr gerechnet werden.
19Soweit der Kläger geltend macht, das Sammeln des kinder- und jugendpornografischen Materials sei nur auf die Einnahme des Medikaments Pramipexol-ratiopharm zurückzuführen und könne ihm daher nicht angelastet werden, mit der Absetzung des Medikaments sei eine Normalisierung des Sexualverhaltens eingetreten, vermag er damit nicht durchzudringen. Denn dieses Vorbringen steht in deutlichem Widerspruch zu den Gegebenheiten des Strafverfahrens. Denn hatte der Verteidiger des Klägers dort zunächst schriftlich die Einholung eines diesbezüglichen Sachverständigengutachtens beantragt, war ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung in dieser davon nicht mehr die Rede. Das Urteil des Amtsgerichts lässt auch –trotz der vom Kläger in der Hauptverhandlung nochmals erwähnten Medikamenteneinnahme- nicht andeutungsweise erkennen, dass die Steuerungsfähigkeit und damit die Schuld des Klägers zweifelhaft sein oder zumindest Gründe für eine Schuldminderung vorliegen könnten. Im Gegenteil ist ausdrücklich die Umwandlung der Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe aus spezial- und generalpräventiven Gründen abgelehnt worden. Der Kläger hat im Übrigen sofort auf Rechtsmittel gegen das Urteil verzichtet. Schon von daher sieht die Kammer keinen Anlass und keine Grundlage, zu einer vom strafgerichtlichen Urteil abweichenden Bewertung zu kommen.
20Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass der vom Kläger vorgelegte Beipackzettel des Medikaments auch aus Sicht der Kammer nicht geeignet ist, seine Argumentation zu stützen. Denn die dortigen Warnhinweise geben keinen Anhaltspunkt für die Annahme, dass sich durch die Einnahme des Medikaments die sexuelle Orientierung ändern könnte. Der ärztlichen Bescheinigung des Dr. B. vom 27.7.2015 ist zu entnehmen, dass diesem eine entsprechende Wirkung ebenfalls nicht bekannt ist.
21Allerdings ergibt sich allein aus dieser abstrakten Wiederholungsgefahr nicht die Notwendigkeit erkennungsdienstlicher Behandlung. Erforderlich ist immer eine auf den Einzelfall bezogene Prognose.
22So ausdrücklich das BVerfG mit Beschluss vom 01.06.2006 – 1 BvR 2293/03
23– juris Rn. 15 zu Sexualstraftätern.
24Unter Berücksichtigung der Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts - Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Art, Schwere und Begehungsweise der dem Betroffenen im strafrechtlichen Anlassverfahren zur Last gelegten Straftat, seiner Persönlichkeit und des Zeitraums, in dem der Betroffene strafrechtlich nicht (mehr) in Erscheinung getreten ist - und vor dem Hintergrund, dass es sich um einen Eingriff in das grundrechtlich geschützten informationelle Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen handelt, muss die Prognose die Person des Klägers, einzelne Tatumstände und den Umstand einbeziehen, ob es sich um ein erstmaliges strafrechtliches Auffälligwerden handelt oder ob sich dies wiederholt hat.
25Vgl. BVerwG, Beschluss vom 06.07.1988 – 1 B 61/88 – juris.
26Eine Wiederholungsgefahr ist hier auch aufgrund der Umstände des Einzelfalls gegeben. Denn angesichts der Zahl der beim Kläger gefundenen Bild- und Videodateien ist davon auszugehen, dass er diese über einen gewissen Zeitraum gesammelt hat, er also im Laufe der Zeit immer mehr kinder- und jugendpornografisches Material „brauchte“. Erschwerend kommt hinzu, dass sich auf einem USB-Stick des Klägers, der auf seiner damaligen Arbeitsstelle auf einem Mitarbeiterrechner steckend aufgefunden wurde, 21 kinderpornografische Bilddateien befanden, was immerhin die Vermutung nahelegt, dass er auch dort den „Drang“ verspürte, entsprechendes Material anzusehen.
27Die durch das Amtsgericht Köln ausgesprochene Strafaussetzung zur Bewährung mit der darin vorausgesetzten günstigen Sozialprognose steht der Annahme einer Wiederholungsgefahr nicht entgegen, da die jeweils anzulegenden Maßstäbe unterschiedlich sind.
28Die erkennungsdienstlichen Unterlagen erscheinen auch geeignet, potentielle zukünftige Straftaten – insbesondere auch nach § 184 b StGB - aufzuklären zu helfen, indem sie zur Feststellung oder zum Ausschluss einer Tatbeteiligung beitragen können. Denn im Rahmen dieses Deliktfeldes ist neben einer Beschaffung von einschlägigen Daten über das Internet mittels eines Computers auch ein Datenaustausch über einen USB-Stick, CD-Rom und DVD in Betracht zu ziehen, so dass daher insbesondere durch Fingerabdrücke, aber auch durch die übrigen Standartmaßnahmen strafrechtliche Ermittlungen gefördert werden können. Auch ein Austausch mittels Printmedien erscheint in diesem Zusammenhang nicht unwahrscheinlich.
29Vgl. dazu OVG NRW, mit Beschluss 27.08.2014 – 5 A 1692/13 – und vom 15.11.2012 – 5 A 2507/11 – aus juris.
30Die Anfertigung erkennungsdienstlicher Unterlagen erweist sich bei dieser Sachlage aller Voraussicht nach auch als verhältnismäßig. Der mit der erkennungsdienstlichen Behandlung verbundene Grundrechtseingriff ist in Abwägung mit dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung hinzunehmen.
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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.