Verwaltungsgericht Köln Urteil, 10. Feb. 2015 - 19 K 609/14.A
Gericht
Tenor
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. 01. 2014 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger ist ivorischer Staatsangehöriger. Er beantragte im Bundesgebiet am 12. 06. 2013 die Anerkennung als Asylberechtigter.
3Nach Abgleich der Fingerabdrücke mit der sog. EURODAC-Datei wurde ein Übernahmeersuchen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.02.2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatenanhörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist - Dublin-II-VO - an Italien gerichtet.
4Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt - vom 27. 01. 2014 erging die Entscheidung, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig sei. Die Abschiebung nach Italien wurde angeordnet. Zur Begründung wurde unter anderem auf die Zuständigkeit Italiens für die Behandlung des Asylantrags gemäß Art. 16 Abs. 1 Dublin II VO verwiesen.
5Der Kläger hat am 03. 02. 2014 Klage erhoben.
6Er macht u. a. geltend und führt aus, dass die Situation in Italien für Asylbewerber unzumutbar und menschenrechtswidrig sei.
7Der Kläger beantragt,
8den Bundesamtsbescheid vom 27. 01. 2014 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid und führt ergänzend aus, dass Italien gegenüber Ausländern, die dort einen Asylantrag stellen oder Aufenthalt begehren, die Mindeststandards erfülle.
12Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägers vom 04. 02. 2015, Allgemeine Prozesserklärung der Beklagten gegenüber dem Verwaltungsgericht Köln vom 02. 11. 2012).
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten sich insoweit vorab einverstanden erklärt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
16Die Klage hat Erfolg.
17Die Klage ist zulässig. Sie ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 VwGO statthaft.
18Eine Verpflichtungsklage auf Flüchtlingsanerkennung scheidet aus, denn im Falle einer fehlerhaften Ablehnung des Asylantrags als unzulässig mangels Zuständigkeit ist der Antrag in der Sache von der zuständigen Behörde noch gar nicht geprüft worden. Wäre nunmehr das Gericht verpflichtet, die Sache spruchreif zu machen und durchzuentscheiden, ginge dem Kläger eine Tatsacheninstanz verloren, die ihm umfassendere Verfahrensgarantien einräumt. Im Übrigen würde ein „Durchentscheiden“ des Gerichts im Ergebnis dazu führen, dass das Gericht nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren würde, sondern anstelle der Behörde selbst entschiede, was im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung aus Art. 20 Abs. 2 GG zumindest bedenklich wäre. Im Falle der Aufhebung eines auf der Grundlage von § 27a AsylVfG ergangenen Bescheides und der hierauf gestützten Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG ist daher das Asylbegehren selbst nicht durch das Gericht zu prüfen.
19Ebenso etwa VG Hannover, Urteil vom 07.11.2013 - 2 A 4696/12 -, juris; VG Gießen, Urteil vom 25. 11. 2013 - 1 K 844/11.GI.A - juris; VG Frankfurt, Urteil vom 09.07.2013 - 7 K 560/11 F.A. -, juris; VG Trier, Urteil vom 30. 09.2013 – 5 K 987/13.TR - , juris; VG Stuttgart, Urteil vom 20. 09. 2012 - A 11 K 2519/12 -, juris; VG Regensburg, Urteil vom 02. 08. 2012 - RO 7 K 12.30025 -, juris; Funke-Kaiser in: GKG-AsylVfG, § 34a Rdnr. 64, im Ergebnis auch OVG NRW, Beschluss vom 07. 03. 2014 - 1 A 21/12.A -, juris.
20Der Klageantrag wurde entsprechend ausgelegt.
21Die Klage ist auch begründet.
22Die Anordnung der Abschiebung nach Italien ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
23Die Anordnung der Abschiebung nach Italien kann nicht aufgrund der Dublin-II-VO erfolgen.
24Die Dublin-II-VO scheidet vorliegend als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung der Abschiebung aus, da der nach der Dublin-II-VO für die Prüfung des Asylantrags zuständige Mitgliedstaat - Italien - die europarechtlichen Mindeststandards für Aufnahme und Unterbringung von Asylbewerbern nicht gewährleistet und hierdurch für diese die Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
25Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 21.12.2011
26- C-411/10 - NVwZ 2012, 417 und juris -
27entschieden, dass dem Unionsrecht keineswegs eine unwiderlegbare Vermutung in dem Sinne innewohnt, der gem. Art. 3 Abs. 1 Dublin-II-Verordnung als zuständig bestimmte Mitgliedstaat werde die Unionsgrundrechte beachten. Vielmehr ist nach dieser Entscheidung Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – EU-Grundrechte-Charta - so auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt zu prüfen, ob es Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für den Antragsteller führen, im Falle der Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
28Diese Prüfung ergibt hinsichtlich Italiens systemische Mängel der dortigen Aufnahmebedingungen für Asylbewerber mit der Folge der ernstlichen Gefahr für den Kläger, im Falle seiner Rückführung einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-Grundrechte-Charta ausgesetzt zu sein.
29Nach den vorliegenden Erkenntnissen zur Situation in Italien bei der Durchführung von Asylverfahren, u. a.
30-Stellungnahme des UNHCR vom 24.04.2012 an das VG Braunschweig
31- Associazione per gli Studi Giuridici sull’Immigratione (ASGI), Die derzeitige Situation von Asylbewerbern in Italien vom 20.11.2012
32- Gutachten der Flüchtlingsorganisation "borderline-europe, Menschenrechte ohne Grenzen e.V.“ von Dezember 2012;
33- Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Italien: Aufnahmebedingungen“, Oktober 2013.
34ist - auch unter Berücksichtigung der Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes vom 29.11.2011 an das VG Darmstadt, vom 11.07.2012 an das VG Freiburg und vom 21.01.2013 an das OVG des Landes Sachsen-Anhalt - davon auszugehen, dass die praktische Ausgestaltung des Asyl- und Schutzverfahrens in Italien ganz erhebliche und deutliche Mängel aufweist, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Italien i.S.v. Art. 4 der „Grundrechtecharta der Europäischen Union“ beachtlich wahrscheinlich erscheinen lassen; es ist zudem nicht gewährleistet, dass die europarechtlich vorgegebenen Mindeststandards (vgl. Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27.01.2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten) für eine Unterbringung eingehalten werden.
35Aus dem vorgenannten Bericht von borderline-europe ergibt sich für Asylsuchende in Italien folgende Sachlage:
36Die Zeit zwischen dem ersten Vorsprechen des Asylsuchenden und der formellen Asylantragstellung (der "Verbalisation" durch Ausfüllen des sog. C3-Formulars) kann mehrere Wochen bis zu Monaten dauern, da die zuständigen Polizeibehörden, die Questure, mit den Anträgen überfordert sind. In der Zeit bis zur Antragstellung bei der Questura leben die meisten Asylsuchenden auf der Straße, da ihnen erst ein Platz in den staatlichen Zentren wie etwa CDA, CARA oder SPRAR zusteht, wenn sie sich bei der Questura registriert haben (S. 9, 27). Während dieser Zeit erhalten Asylsuchende weder finanzielle Unterstützung noch werden Grundbedürfnisse wie Nahrung und Kleidung durch Sach- oder Geldleistungen abgedeckt. die Betroffenen sind auf die Unterstützung von NGO's angewiesen, die jedoch überlastet sind (S. 21, 40).
37Erhält die Person keinen Platz in einem der staatlichen Unterbringungssysteme, ist sie auf die Hilfe von kirchlichen oder sonstigen privaten Einrichtungen oder auf Freunde und Verwandte angewiesen (S. 10). Sozialleistungen wie in Deutschland gibt es in Italien nicht, weder für Italiener noch für anerkannte Flüchtlinge oder Schutzberechtigte (S. 10).
38In den Erstaufnahmeeinrichtungen CARA/CDA waren im Jahr 2012 insgesamt 6.107 Plätze vorhanden, für 2013 sind 5.000 Plätze vorgesehen. Die Kapazität in den Gemeinschaftsunterkünften mit Integrationsangebot SPRAR, einer Kooperation zwischen Innenministerium, lokalen Gemeinden und NGO's, beträgt 3.163 Plätze (S. 11, 15 f.).
39Eine Chance für Dublin-II-Rückkehrer, in einer CARA/CDA-Einrichtung aufgenommen zu werden, besteht nur, soweit sie sich noch im Asylverfahren befinden und noch nicht im CARA gewesen sind. Dublin-II-Rückkehrer, die vor ihrer Ausreise schon einmal einen SPRAR-Platz in Anspruch genommen haben, können ebenfalls nicht erneut aufgenommen werden (S. 12, 16).
40Das Gesetz sieht vor, dass der Asylsuchende in einem Zeitraum von (je nach Fallkonstellation) 20 bis zu 35 Tagen in einem sog. CARA untergebracht wird. (S. 13). Nicht jedes CARA meldet jedoch die Asylsuchenden und die evtl. inzwischen Schutzberechtigten für die Zweitunterkunft SPRAR an. Ist dort kein Platz vorhanden oder wurde der Betroffene vom CARA nicht gemeldet und auf die Liste gesetzt, hat er nach der Entlassung aus dem CARA keine Unterkunft mehr. Um also nicht mittel- und obdachlos auf der Straße zu leben, müsste er bereits zu diesem Zeitpunkt in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt selbst durch Arbeit zu bestreiten, was jedoch aufgrund der Arbeitsmarktlage, ohne Wohnsitz, ohne soziales oder familiäres Netz, in vielen Fällen ohne Schul- oder sonstige Ausbildung und ohne ausreichende Sprachkenntnisse völlig unrealistisch ist (S. 14, 51).
41Viele Dublin-Rückkehrer erhalten am Flughafen keine behördliche Mitteilung, die sie zur Aufnahme in das CARA berechtigt. Dublin-II-Rückkehrer, die noch nie einen SPRAR-Platz hatten, können einen solchen erhalten, wenn die italienische Dublin-Einheit für sie beim SPRAR anfragt. Aufgrund der Statistiken des SPRARs und des Flughafens Rom ist eine Unterbringung in einem der Zentren (kommunal, staatlich oder kirchlich) nur in maximal 12,5 % der Fälle erfolgt. Nach Auskunft der Hilfsorganisation Arciconfraternita haben von den von Januar bis August 2012 betreuten 1.148 Rückkehrern nur 88 eine CARA- oder SPRAR-Unterkunft erhalten, 134 ausdrücklich nur eine Kurzunterkunft (S. 14 f., 25, 43 f.). Die SPRAR-Zentren sind völlig überlastet, die Nachfrage weit höher als das Angebot. Für jede Person, die ein SPAR verlässt, warten schon die nächsten 10, die diesen Platz übernehmen möchten (S. 19). Kommunale und kirchliche/organisationsgebundene Unterkünfte sind zwar möglich, ihr Erhalt aber aufgrund der wenigen Plätze unwahrscheinlich (S. 19 ff., S. 25). Die Situation für Asylsuchende, die aufgrund der Dublin-II-Verordnung nach Italien zurückkehren müssen, ist von Unsicherheiten und Konfusion über den Erhalt eines Unterkunftplatzes geprägt. Nach Darstellung vom ASGI Rom, der Vereinigung für juristische Studien zur Migration, haben 80 % der Dublin-II-Rückkehrer kein Recht auf einen Unterbringungsplatz. Der Organisationsmissstand des Aufnahmesystems sei verbunden mit der willkürlichen Interpretation der Gesetzeslage durch einige Behörden, was den Lebensunterhalt und die Unterbringung von Asylsuchenden betreffe (S. 41, 49 f., 63 f.).
42Die Wartezeit für einen kommunalen Unterbringungsplatz beträgt drei bis sechs Monate, die Betroffenen sind in dieser Wartezeit obdachlos. Die Aufenthaltsdauer in den normalen Zentren beträgt 6 - 12 Monate, in den Notfallzentren einen bis zu drei Monate. Danach müssen die Asylsuchenden und die Schutzberechtigten die Heime verlassen, es sei denn, es handelt sich um kranke Personen (S. 19 f.; S. 34 f., 65 f.).
43Einen Großteil der Notfallunterbringung der Kommunen decken kirchliche Einrichtungen ab. Diese Einrichtungen sind aber nicht für einen längeren Verbleib, sondern nur als kurzzeitige Notfallunterbringung gedacht, so dass Asylsuchende und Schutzberechtigte dort i.d.R. nur maximal drei Monate bleiben können (S. 21)
44In Italien gibt es kein Sozialhilfesystem. Asylsuchende und Schutzberechtigte, die nicht (mehr) in einer staatlichen Unterkunft leben, haben keinen Anspruch auf Unterkunft, Nahrung, Kleidung, Taschengeld oder sonstige materielle Leistungen. Die durch Dekret vorgesehene Regelung, dem Asylsuchenden bei Nichtaufnahme in einem SPRAR oder CARA eine finanzielle Leistung zukommen zu lassen, bis er einen Platz gefunden hat, existiert nur auf dem Papier. In der Praxis erfolgen diese Zahlungen nicht (S. 24 f.; 57 f.).
45Das nicht Vorhandensein der Unterkunft bedeutet daher Obdachlosigkeit, keine Versorgung und nicht selten Hunger, soziale und sonstige Verelendung und Marginalisierung (S. 49 f.). Wer keinen festen Wohnsitz nachweisen kann, hat große Schwierigkeiten, eine legale, sozialversicherungspflichtige Arbeit zu finden. Die Betroffenen arbeiten deshalb, wenn sie Arbeit finden, größtenteils in unsicheren, vertragslosen Verhältnissen und finden sich nicht selten in einer Ausbeutungssituation wieder (S. 58).
46Aus der Not geboren, leben viele Asylsuchende und Schutzberechtigte wegen der mangelnden Versorgung mit Unterbringungsplätzen in besetzten Häusern, die baufällig und ohne adäquate sanitäre Anlagen sind, in entwürdigenden Verhältnissen (S. 20 f.; S. 39).
47Asylsuchende, die über eine Bestätigung der erstmaligen Registrierung ihres Asylgesuchs verfügen, haben Anrecht auf freie staatliche Gesundheitsversorgung während des Asylverfahrens. Der Zugang ist mit einem Versicherungsausweis und er Registrierung im nationalen Gesundheitsdienst (tessera sanitaria) gewährleistet. Da es die Gesundheitskarte nur bei regulärem Wohnsitz gibt, sind viele Asylsuchende und Schutzberechtigte von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen, da sie diesen nicht haben. Eine weitere Hürde ist die notwendige Zahlung der "Praxisgebühr", die deutlich höher als in Deutschland ist (S. 24, 45 f.; S. 58 f.).
48Die größten Probleme stellen sich für Flüchtlinge, die schon einen Schutzstatus erhalten haben. Alle Unzulänglichkeiten im nicht einheitlichen Unterbringungssystem treffen insbesondere Flüchtlinge mit humanitärem und subsidiären Schutz sowie anerkannte Flüchtlinge. Ist das Asylverfahren abgeschlossen, verlieren sie das Anrecht auf eine Aufnahme in einem CARA. Sie können sich - sollten sie dort noch nicht gewesen sein - auf die Warteliste des SPRAR-Systems eintragen lassen. Diese ist jedoch sehr lang (S. 52 f.). Schutzberechtigte Dublin-Rückkehrer sind daher einem hohen Verelendungsrisiko ausgesetzt. Ihre Situation ist paradoxerweise wesentlich prekärer als die eines Asylsuchenden, der sich noch im Verfahren befindet (S. 53 f.; 57 ff.; 63 f.)
49Es gibt keine spezifischen Maßnahmen der Behörden zur Erreichbarkeit der Asylsuchenden, die nicht in Einrichtungen untergebracht sind. Es kommt daher zu massiven Problemen bei der Erreichbarkeit, wenn der Betroffene auf der Straße oder in besetzen Häusern lebt (S. 36 f.).
50Zusammenfassung entnommen dem Beschluss des VG Gelsenkirchen vom 27.02.2013 - 15a L 194/13.A -, juris.
51Diese Ausführungen von borderline-europe werden im Kern bestätigt durch die Ausführungen der ASGI in ihrer Stellungnahme vom 20.11.2012 an das VG Darmstadt: Italien verfüge zwar grundsätzlich über ein öffentliches Aufnahmesystem für Asylbewerber, an dem auch zentrale und lokale Einrichtungen beteiligt seien; grundsätzlich sollten Maßnahmen zur Aufnahme von Asylbewerbern und Schutzberechtigten sicherstellen, dass die betroffenen Personen Ernährung und Unterkunft erhalten sowie Zugang zu Informations-, Unterstützungs- und Orientierungsmaßnahmen erhalten. Entscheidend sei allerdings die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze im Verhältnis zur Anzahl der Anträge. So dauere es im Durchschnitt insgesamt 207 Tage bis zur Aufnahme eines Begünstigten in das SPRAR-System. Unterstützungen könnten auf lokaler Ebene unterschiedlich sein bzw. sich auf die Zurverfügungstellung einer vorübergehenden Unterkunft beschränken. Im Hinblick darauf, dass zum 31.12.2012 der Zustand des „humanitären Notstands“ infolge der erheblichen Flüchtlingszahlen aus Nordafrika ablaufe, sei die Situation weiterhin schwierig und heikel. Anzahl und Qualität der Maßnahmen seien insgesamt inadäquat, weil sie sich unterschiedlicher Systeme bedienten, die häufig in einem nicht homogenen Rahmen stattfänden, in dem die Aufnahmestandards unterschiedlich seien und die Inanspruchnahme von Begünstigungen durch die betroffenen Personen dem Zufall überlassen werde. Letztlich wird insbesondere zur Situation der nach Italien rücküberstellten Personen ausgeführt, dass eine Aufnahmegarantie für die Unterbringung in einer Einrichtung aufgrund der begrenzten Kapazitäten des gesamten Systems nicht gewährleistet sei und Antragsteller zur Überbrückung der Wartefrist lediglich eine Liste der kommunalen Schlafsäle erhalten würden.
52Diese Zustände haben sich auch nach jüngsten Berichten nicht gebessert. An der Einschätzung, dass in Italien auch zum jetzigen Zeitpunkt noch systemische Mängel des Asylverfahrens bestehen, die dazu führen, dass Flüchtlinge überwiegend wahrscheinlich menschenrechtswidrigen Verhältnissen ausgesetzt werden, hält die Kammer deshalb auch unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des 1. Senats des Oberverwaltungsgerichts NRW
53- Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12.A -, juris -
54fest. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass die Zahl der in Italien aufzunehmenden Flüchtlinge 2014 weiter erheblich angestiegen ist. Im Vergleich zu 2013, als etwa 28.000 Asylanträge zu verzeichnen waren, sind bis Ende September 2014 in Italien bereits etwas über 43.000 Asylanträge registriert worden. Dies entspricht allein bis Ende September einem Anstieg von 75 % gegenüber dem gesamten Vorjahr. Damit wird 2014 auch der bisherige Höchststand in der jüngeren Vergangenheit von etwa 37.000 Asylanträgen im Jahr 2011 bei weitem überschritten.
55Zum Zahlenmaterial insoweit vgl. VG Minden, Beschluss vom 30. 12. 2014 - 10 L 860/14.A -, juris; VG Schwerin, Beschluss vom 16. 10. 2014 - 3 B 915/14 As -, juris.
56Erkenntnisse darüber, dass Italien angesichts der gestiegenen Zahlen die ohnehin überfüllten Unterbringungskapazitäten entsprechend aufgestockt hätte und den weiteren dargestellten Mängeln im Aufnahmeverfahren wirksam begegnet wäre, liegen nicht vor.
57In der Gesamtschau besteht für Rückkehrer nach Italien bei der im vorliegenden Verfahren gebotenen summarischen Prüfung weiterhin die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer systemisch begründeten, ernsthaften Gefahr der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der EU-Grundrechte-Charta.
58Der angefochtene Bundesamtsbescheid ist auch aufzuheben, soweit er die Unzulässigkeit des Asylantrags feststellt.
59Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides ergibt sich insoweit schon daraus, dass die Beklagte keinen gestaltenden, sondern einen feststellenden Bescheid erlassen hat, in dem sie die Unzulässigkeit des klägerischen Asylantrags festgestellt hat. Für einen solchen feststellenden Bescheid fehlt es an einer möglichen Rechtsgrundlage. Das Asylverfahrensgesetz regelt nämlich, dass der Asylantrag im Falle seiner Unzulässigkeit abzulehnen, also ein rechtsgestaltender Verwaltungsakt zu erlassen ist (§ 31 Abs. 1 Satz 4, Absatz 6 i.V.m. § 27a AsylVfG).
60Vgl. VG Frankfurt/Main, Urteil vom 09.07.2013 – 7 K 560/11.F.A -, juris.
61Zudem ist die Beklagte nach der Rechtsprechung des EuGH
62- Urteil vom 14. 11. 2013, C-4/11 -
63dann, wenn die Überstellung eines Antragstellers an den ursprünglich nach den Kriterien der Dublin-II-VO als zuständig bestimmten Mitgliedstaat - wie vorliegend - nicht möglich ist, vorbehaltlich der Befugnis, den Antrag im Sinne von Art. 3 Abs. 2 der Verordnung selbst zu prüfen, verpflichtet, die Prüfung der Kriterien des 3. Kapitels der Dublin-II-VO fortzuführen, um festzustellen, ob anhand eines dieser Kriterien ein anderer Mitgliedstaat als für die Prüfung des Asylantrags zuständig bestimmt werden kann. Diese Zuständigkeitsprüfung hat Festlegungen des Bundesamtes zur Unzulässigkeit des Asylantrags im Bundesgebiet zwingend vorauszugehen.
64Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG.
65Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 der ZPO.
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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.