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Das Gericht konnte über die Klage entscheiden, obwohl die Beklagte an der mündlichen Verhandlung nicht teilgenommen hat; denn darauf war sie in der Ladung hingewiesen worden (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist aufzuheben; denn er ist unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Rechtsgrundlage für den Widerruf der Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG (bzw. früher § 51 Abs. 1 AuslG) vorliegen, ist § 73 Abs. 1 AsylVfG in der Fassung von Art. 3 Nr. 46a des Richtlinienumsetzungsgesetzes vom 19.08.2007 (BGBl. I S. 1970). Danach sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist u.a. insbesondere dann der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Dies gilt nicht, wenn sich der Ausländer auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Rückkehr in diesen Staat abzulehnen (vgl. Art. 1 C Nr. 5 Satz 1 GFK). Ein Wegfall der Umstände im Sinne der Vorschrift liegt nicht vor, wenn sich im Nachhinein lediglich die Beurteilung der Verfolgungslage ändert. Eine solche Änderung rechtfertigt den Widerruf nicht, selbst wenn die andere Beurteilung auf erst nachträglich bekannt gewordenen oder neuen Erkenntnismitteln beruht. Ein Widerrufsgrund kann dagegen etwa aus einem Wechsel des politischen Systems entstehen, wenn eine weitere Verfolgung nicht mehr zu befürchten ist (BVerwG, Urt. v. 01.11.2005 - 1 C 21.04 - BVerwGE 124, 276 a.a.O.; Urt. v. 18.07.2006 - 1 C 15.05 - BVerwGE 126, 243); VGH Bad.-Württ., Urt. v. 4.5.2006 - A 2 S 1046/05 - u. v. 21.06.2006 - A 2 S 571/05 -).
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Hat das Bundesamt die Anerkennung als Asylberechtigter bzw. die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in Befolgung eines rechtskräftig gewordenen gerichtlichen Urteils ausgesprochen, ist ein Widerruf dieser Entscheidung allerdings nur zulässig, soweit dem die Rechtskraft des Urteils gemäß § 121 VwGO nicht entgegensteht (vgl., auch zum Folgenden, BVerwG, Urt. v. 18.09.2001 - 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 m.w.N.). Dessen Rechtskraftwirkung endet - in zeitlicher Hinsicht - erst, wenn sich die für die gerichtliche Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage nachträglich verändert hat. Dabei lässt nicht jegliche nachträgliche Änderung der Verhältnisse die Rechtskraftwirkung entfallen. Gerade im Asylrecht liefe diese ansonsten weitgehend leer. Ihr Zweck, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit zu gewährleisten, wäre nicht mehr gewährleistet. Naturgemäß sind insbesondere die allgemeinen Verhältnisse im Heimatland des Asylbewerbers ständigen Änderungen unterworfen. Die Rechtskraftbindung eines stattgebenden Urteils in Asylsachen entfällt somit erst dann, wenn neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist. Dies ist nur dann der Fall, wenn das rechtskräftige Urteil zu der geänderten Sachlage keine verbindlichen Aussagen mehr enthält.
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Daraus folgt, dass sich allein aus dem Zeitablauf grundsätzlich noch keine für eine Beendigung der Rechtskraftwirkung hinreichende Änderung der Sachlage ergibt. Freilich kann, je länger der Zeitraum ist, der seit dem Erlass des rechtskräftigen Urteils vergangen ist, umso eher die Annahme gerechtfertigt sein, dass die Entwicklung im Heimatland zu einer Änderung der tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose geführt hat. Dies bedarf jedoch jeweils einer umfassenden Würdigung der für das Rechtsschutzbegehren maßgeblichen Verhältnisse im Zeitpunkt des Erlasses des rechtskräftigen Urteils einerseits und der Entscheidung über den Widerruf andererseits.
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Die Erheblichkeit der Änderung der Sachlage hängt dabei jedoch nicht notwendig davon ab, ob die Behörde oder das Gericht, welche die mögliche Rechtskraftbindung zu prüfen haben, auf der Grundlage des neuen Sachverhalts zu einem anderen Ergebnis kommen als das rechtskräftige Urteil. So kann die Rechtskraft des früheren Urteils auch dann enden, wenn eine nachträgliche wesentliche Änderung der Sachlage, etwa ein politischer Umsturz im Heimatland des Asylbewerbers, die im rechtskräftigen Urteil getroffene Entscheidung im Ergebnis bestätigt, weil der Asylberechtigte auch unter dem neuen Regime Verfolgung zu erwarten hat. Regelmäßig endet die Rechtskraft des früheren Urteils dann, wenn die geänderte Sachlage ein anderes Ergebnis als im früheren Urteil begründet. Hätte allerdings das damals entscheidende Gericht schon aufgrund der damals gegebenen Sachlage zu dem anderen, auf der Grundlage der jetzigen Verhältnisse gewonnenen Ergebnis kommen müssen, ergibt sich aus der Ergebnisabweichung für sich allein noch keine Lösung von der Rechtskraft. Denn auch (und gerade) einem falschen Urteil kommt die Rechtskraftwirkung zu. Offen ist nur, ob dies auch dann noch gilt, wenn der so geschaffene Zustand „schlechthin unerträglich“ wäre.
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Ansonsten endet die Rechtskraftwirkung nicht etwa, wenn neue Erkenntnisse über zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits vorhandene Tatsachen vorliegen, das Gericht die damals festgestellten Tatsachen nunmehr neu würdigt oder sich die einschlägige obergerichtliche Rechtsprechung geändert hat. Das rechtskräftige Urteil kann auch nicht mit der Behauptung angegriffen werden, das Gericht habe entscheidungserhebliche Umstände übersehen oder falsch gewürdigt. Insoweit „präkludiert“ die Rechtskraft späteres Vorbringen der Beteiligten. Davon erfasst sind alle Umstände, die zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt objektiv bereits vorlagen und bei natürlicher Betrachtungsweise dem von dem Streitgegenstand umfassten Lebenssachverhalt zuzurechnen sind (Clausing, in: Schoch - Schmidt-Aßmann - Pietzner, VwGO, § 121 Rdnr. 69 ff.; vgl. zum Ganzen auch VGH Bad.-Württ., Urt. v. 01.06.2005 - A 13 S 952/04 - juris sowie VG Freiburg, Urt. v. 07.08.1997 - A 3 K 12700/96 - NVwZ-RR 1999, 683, jeweils m.w.N.).
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Nach diesen Maßstäben haben sich die Umstände nicht wesentlich geändert, welche der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG für den Kläger zu Grunde lagen.
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Wegen des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 22.09.2000 (7 A 188/97 MD) steht rechtskräftig fest, dass sich der Kläger nach seiner Einreise in das Bundesgebiet exilpolitisch in einer Weise betätigt hat, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils geeignet war, im Falle seiner Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein asylrechtlich erhebliches Verfolgungsrisiko zu begründen. Es können deshalb im vorliegenden Verfahren weder die tatsächlichen Grundlagen dieser Würdigung noch die Würdigung selbst in Zweifel gezogen werden. Demzufolge ist unerheblich, ob der Kläger über die damals getroffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts hinaus (exilpolitisch) in Erscheinung getreten ist. Unerheblich ist auch, ob die damals noch anhängigen Strafverfahren, von denen eines bis zur Anklage gediehen war, später eingestellt worden sind. Denn das Verwaltungsgericht hat die Verfolgungsgefahr für den Kläger nicht (u.a.) aus einer (wahrscheinlichen) Verurteilung wegen räuberischer Erpressung („Sammlung von Spenden“ für die PKK) geschlossen, sondern daraus, dass gegen den Kläger ein entsprechender, auch öffentlich bekannt gewordener Verdacht vorlag; allein diesen Umstand hat es ersichtlich als hinreichend dafür angesehen, dass die unterstützende Tätigkeit des Klägers für die PKK in Deutschland auch von türkischen Ermittlungsbehörden als „exilpolitisch exponiert“ wahrgenommen würde. Das Verwaltungsgericht ist ferner ersichtlich davon ausgegangen, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr in die Türkei deshalb von Ermittlungsbehörden mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in asylerheblicher Weise belangt worden wäre; insoweit hat es seine Einschätzung der allgemeinen Lage auf eine Entscheidung des Oberwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen gestützt (Urt. v. 25.01.2000 - 8 A 1292/96.A - juris, Rdnr. 776 ff.). Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 AuslG (Terrorismusvorbehalt) hat es - ohne dies auszuführen - nicht als gegeben erachtet. Unerheblich ist schließlich auch, ob Unterstützungshandlungen für die PKK, wie sie das Verwaltungsgericht im angefochtenen Urteil festgestellt bzw. zu Grunde gelegt hat, heute noch in der Türkei strafbar sind. Denn das angefochtene Urteil ist nicht darauf gestützt, dass der Kläger bei seiner Rückkehr strafverfolgt werden könnte, sondern darauf, dass er wegen hervorgehobener Aktivitäten für die PKK durch Polizeidienststellen befragt und dabei der Folter ausgesetzt werden könnte.
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Stützen lässt sich der angefochtene Widerruf auch nicht auf eine Änderung der allgemeinen Verhältnisse für Personen, die wegen hervorgehobener exilpolitischer Betätigung im Bundesgebiet im Jahr 2000 mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit bei einer Rückkehr in die Türkei davon bedroht waren, von staatlichen Stellen festgehalten und in asylerheblicher Weise belangt zu werden (vgl. zu Asylberechtigten, die wegen vor der Ausreise entstandenem Separatismusverdacht als asylberechtigt anerkannt worden sind, VG Karlsruhe, Urteile vom 02.02.2007 - A 5 K 696/06 -, vom 08.12.2006 - A 7 K 99/06 -, vom 16.04.2008 - A 5 K 391/07 -; VG Stuttgart Urteil vom 15.05.2006 – A 11 K 711/06 -; VG Minden Urteil vom 28.07.2006 – 8 K 275/06.A-; VG Ansbach Urteil vom 20.03.2007 - AN 1 K 06.30862 -).
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Dabei kann die Kammer offen lassen, ob dies schon deshalb gilt, weil, wofür manches spricht, die Verfolgungsprognose im rechtskräftigen Urteil nicht ohne Weiteres als zutreffend erscheint. Weder lässt sich der Kläger aufgrund der festgestellten Tatsachen ohne Weiteres dem Kreis der exilpolitisch hervorgehoben Aktiven zuordnen, wie er in dem vom VG Magdeburg in Bezug genommenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster beschrieben sind, noch lässt sich jenem Urteil eine hinreichend sichere Verfolgungsprognose für Angehörige dieses Kreises entnehmen (vgl. OVG NW, Urt. v. 25.01.2000 a.a.O. Rdnrn. 778 ff., 821 ff.); es befasst sich mit dieser Frage gar nicht, weil der Kläger jenes Verfahrens gerade nicht exilpolitisch hervorgetreten war. Würde sich die Beurteilung im rechtskräftigen Urteil insoweit als fehlerhaft erweisen, wäre dieses „von Anfang an“ fehlerhaft; auf eine Änderung der allgemeinen Verhältnisse käme es nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in einem solchen Fall nicht an (Urt. v. 01.06.2005 a.a.O.). Den insoweit sich stellenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen braucht die Kammer jedoch nicht abschließend nachzugehen; denn jedenfalls im Vergleich zum Herbst 2000 haben sich die maßgeblichen allgemeinen Verhältnisse für die Beurteilung der Frage ob türkische Staatsangehörige wegen exilpolitisch hervorgehobener Aktivität für die PKK bei ihrer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit asylerhebliche Nachteile hinnehmen müssen, nicht hinreichend geändert.
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Zwar hat sich die innenpolitische Situation in der Türkei, soweit sie die politischen Anliegen der Kurden betrifft, in den letzten Jahren merklich entspannt. Die positive Entwicklung erscheint aber bei allen Anstrengungen als zerbrechlich und damit noch nicht als unumkehrbar; auch lässt sich noch nicht mit der notwendigen Gewissheit feststellen, dass die vor allem auf der Gesetzesebene vorgenommenen Änderungen insbesondere in den Polizeidienststellen im Wesentlichen befolgt werden. Die von der PKK ausgehenden Gefahren für den türkischen Staat bestehen nach wie vor. Dementsprechend wird die PKK nach wie vor von den zuständigen türkischen Stellen auch heute noch mit großer Härte und immer wieder auch unter Einsatz von Folter gegen wirkliche oder vermeintliche Unterstützer bekämpft. Ob die in den letzten Jahren ins Werk gesetzten rechtsstaatlichen Verbesserungen von den nachgeordneten Behörden in der Regel beachtet werden, kann erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums beurteilt werden.
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Insgesamt wurden seit 2002 acht sog. „Reformpakete“ verabschiedet, die in kurzer Zeit umwälzende gesetzgeberische Neuerungen brachten. Am 01.06.2005 traten u.a. ein neues Strafgesetzbuch, eine neue Strafprozessordnung sowie ein neues Strafvollzugsgesetz in Kraft. Die neuen Gesetze sollen den Maßstäben des EU-Rechts gerecht werden. Allerdings geht die Umsetzung einiger dieser Gesetze langsamer vonstatten als erwartet. Mit Beschluss vom 16./17.12.2004 entschied der Europäische Rat, am 03.10.2005 Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Der Beschluss setzt voraus, dass die Türkei die politischen Kriterien für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen hinreichend erfüllt. Damit hat der Europäische Rat die Anstrengungen zu mehr Rechtsstaatlichkeit sowie die Reformbereitschaft von Regierung, Parlament und weiten Teilen der Bevölkerung anerkannt. Am 03.10.2005 kam es zu der Einigung der Türkei in der Europäischen Union über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die Glaubwürdigkeit des Regierungsbekenntnisses zur „Null-Toleranz-Politik“ gegenüber Menschenrechtsverletzungen wird auch von dem türkischen Staat gegenüber kritisch eingestellten Menschenrechtsorganisationen nicht bestritten. Allerdings zeigten sich diese Organisationen angesichts einer im Jahr 2005 offenbar stagnierenden Entwicklung in manchen Bereichen enttäuscht. Die Umsetzung einiger Reformen geht langsamer als erwartet voran. Strukturelle Probleme bestehen fort. Amnesty international (vgl. Länderkurzinfo v. 31.07.2005) berichtet etwa, es gebe laut türkischen Anwalts- und Menschenrechtsorganisationen nach wie vor Fälle, in denen Aussagen und Geständnissen mit Folter erpresst würden. Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) hält in seinem Dienstreisebericht vom 25.04.2006 fest, dass die schweren Menschenrechtsverletzungen in den Jahren 2004 und 2005 zwar erheblich zurückgegangen seien, sich seit Ende 2005 jedoch wieder ein Anstieg von Folter und Misshandlungen durch „subtilere“ Methoden abzeichnet. Auch das Auswärtige Amt bezeichnet die Strafverfolgung von Foltertätern trotz aller gesetzgeberischen Maßnahmen und trotz einiger Verbesserungen immer noch als unbefriedigend. Allerdings haben die Übergriffe an Zahl und vor allem an Intensität nachgelassen, Fälle schwerer Folter kommen nur noch vereinzelt vor (vgl. Lageberichte des AA v. 11.01.2007, insbesondere S. 5, 9, 37 f. und 47 und vom 25.10.2007, insbesondere S. 29; Kaya v. 08.08.2005 an VG Sigmaringen; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 09.02.2006 - A 12 S 1505/04 - und Nieders. OVG, Urt. v. 18.07.2006 - 11 LB 75/06 -, juris).
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Verbessert hat sich die Lage der Kurden hinsichtlich Minderheitenschutz und Ausübung kultureller Rechte. Mit den Reformen des Jahres 2002 wurde bereits das Verbot kurdischsprachiger Rundfunk- und Fernsehsendungen aufgehoben. Ermöglicht wurden sie allerdings nur in einem recht begrenzten Umfang. Das Lehren der kurdischen Sprache wurde zugelassen, als offizielle Sprache ist Kurdisch aber nach wie vor nicht anerkannt.
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Auch haben die bewaffneten Auseinandersetzungen im Südosten der Türkei insgesamt abgenommen. Die 1984 von der PKK begonnenen und bis 1999 andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den türkischen Sicherheitskräften im Südosten der Türkei haben fast 35.000 Menschenleben unter PKK-Kämpfern, türkischen Sicherheitskräften und der Zivilbevölkerung gefordert. Die Stärke der PKK wird derzeit aber nur noch auf 5.000 bis 5.500 Kämpfer geschätzt, von denen die meisten sich in den Nordirak zurückgezogen haben dürften. Die PKK verkündete jedoch zum 01.06.2004 die Beendigung des von ihr ausgerufenen Waffenstillstands. Seitdem kam es im Südosten der Türkei nach offiziellen Angaben wieder vermehrt zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen türkischem Militär und PKK-Kämpfern, die seit Mai 2005 weiter eskaliert sind, obwohl die PKK in den Jahren 2005 und 2006 jeweils einseitig einen Waffenstillstand ausrief. So sollen nach Angaben türkischer Stellen in den letzten drei Jahren 359 PKK-Terroristen, 203 türkische Soldaten, 21 Polizisten und 22 Dorfschützer zu Tode gekommen sein. Allein seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe im Jahr 2006 sollen nach Presseangaben mindestens 110 PKK-Mitglieder und 78 Soldaten ums Leben gekommen sein. Einen weiteren negativen Wendepunkt für das sich über die letzten Jahre langsam verbessernde Verhältnis zwischen kurdischstämmiger Bevölkerung und türkischem Zentralstaat bildete ein von Gendarmerieangehörigen begangener Anschlag auf das Buchgeschäft des ehemaligen PKK-Mitglieds in einer Kleinstadt im Südosten der Türkei (Semdinli) im November 2005. Danach war ein weiterer deutlicher Anstieg der Spannungen in der Region zu verzeichnen. Ein vorläufiger Höhepunkt der jüngsten Spannungen wurde nach den friedlich verlaufenden Newroz-Feierlichkeiten im Jahr 2006 erreicht, als es zwischen dem 28. und 31.03. in Diyarbakir und anderen Orten im Südosten zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen mehreren Tausend meist jugendlichen Demonstranten aus dem Umfeld der PKK sowie türkischen Sicherheitskräften kam. Auslöser der Unruhen war die Beerdigung von vier in einem Gefecht mit türkischen Sicherheitskräften getöteten PKK-Terroristen. Die Ausschreitungen haben in der gesamten Türkei mindestens 15 Todesopfer, darunter mindestens drei Kinder unter 10 Jahren, sowie mehr als 350 Verletzte, hierunter knapp 200 Sicherheitskräfte, gefordert. Erstmals seit langer Zeit hat die PKK 2005 und 2006 wieder Bombenattentate gegen touristische Ziele verübt, so am 02.04.2006 in Istanbul und bei einer Anschlagsserie am 27. und 28 August 2006 in Marmaris, Istanbul und Antalya, die drei Todesopfer und zahlreiche Verletzte forderte. Am 22.05.2007 hat es bei einem von türkischen Sicherheitsbehörden der PKK zugerechneter Bombenanschlag im Zentrum Ankaras mehrere Todesopfer und zahlreiche Verletzte unter der Zivilbevölkerung gegeben. Weitere Terroranschläge auf Sicherheitskräfte, vorwiegend im Südosten der Türkei, führten vor den türkischen Wahlen zu einer zusätzlichen Anspannung der innenpolitischen Situation. Am 06. Juni 2007 erklärte der türkische Generalstab vier Gebiete in den Provinzen Siirt, Sirnak und Hakkari zu zeitweiligen Sicherheitszonen und militärischen Sperrgebieten, deren Betreten zunächst vom 09.06.2007 bis 09.09.2007 grundsätzlich verboten war und die einer strengen Kontrolle unterlagen (vgl. hierzu Lageberichte d. AA v. 11.01.2007, S. 20 f. und v. 25.10.2007
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S. 18). Beim Eindringen türkischer Streitkräfte in den Nordirak im Februar 2008 kam es zu Kämpfen um Stützpunkte der PKK und zu erheblichen Verlusten auf beiden Seiten. Die Kämpfe flammen seither immer wieder auf. Deshalb wurden im Juni 2008 in den Grenzprovinzen zum Irak und zum Iran erneut sogenannte Sicherheitszonen eingerichtet (Die Welt vom 11.06.2008).
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In Reaktion auf die Rückkehr der PKK zur Gewalt hat das türkische Parlament schon im Jahr 2006 ein Anti-Terror-Gesetz verabschiedet. Die von Menschenrechts-Organisationen und den Medien stark kritisierten Änderungen sehen u.a. eine Wiedereinführung des abgeschafften Straftatbestands für separatistische Propaganda, eine wenig konkret gefasste Terrordefinition, eine Ausweitung von Straftatbeständen, die Schwächung der Rechte von Verhafteten und eine Ausweitung der Befugnisse der Sicherheitskräfte vor. Diese gesetzlichen Änderungen drohen die Meinungsfreiheit erneut zu beschneiden und ermöglichen für viele Handlungen, die nicht im Zusammenhang mit Gewaltakten stehen, eine Verurteilung wegen Beteiligung an Terrordelikten. Dieses Anti-Terror-Gesetz wird allgemein als Konzession an die türkischen Sicherheitskräfte angesehen (Lagebericht d. AA v. 11.01.2007, S. 16).
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Nach wie vor können bekannt gewordene oder vermutete Verbindungen zur PKK bei der Einreise zur vorübergehenden Ingewahrsamnahme, zum Verhör durch die Grenzpolizei und ggf. durch die Terrorabteilung der Polizei führen (vgl. AA v. 21.11.2005 an VGH Hessen, Az. 508-516.80/44245). Auch der Sachverständige Kaya führt aus, dass es möglich sei, als vermeintlicher PKK-Sympathisant oder -Unterstützer bei der Einreise in die Türkei festgenommen und einige Zeit festgehalten zu werden, wobei in einem solchen Fall mit einem Festhalten für maximal 24 Stunden zu rechnen sei (Kaya v. 09.08.2006 an VG Berlin und v. 08.08.2005 an VG Sigmaringen). Die Feststellung des Auswärtigen Amtes, dass in den letzten Jahren kein einziger Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter oder abgeschobener abgelehnter Asylbewerber gefoltert oder misshandelt worden sei, sei zwar zutreffend; unter den Zurückgekehrten oder Abgeschobenen habe sich nach seinen Informationen aber keine Person befunden, die Mitglied oder Kader der PKK oder einer anderen illegalen, bewaffneten Organisation gewesen oder als solche verdächtigt worden sei (Nieders. OVG, Urt. v. 18.07.2006 - 11 LB 75/06 -). Auch nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist es der Türkei bislang nicht gelungen, Folter und Misshandlungen weitestgehend zu unterbinden (Lageberichte d. AA v. 11.01.2007, S. 37 f. und vom 25.10.2007, S. 29).
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Bei der Beurteilung, ob sich aus all dem gegenüber den Tatsachen, die dem rechtskräftigen Urteil zu Grunde liegen, eine qualitative und nachhaltige Verbesserung hinsichtlich der Bedrohung von Rückkehrern in die Türkei ergibt, in asylerheblicher Weise wegen herausgehobener exilpolitischer Aktivitäten für die PKK belangt zu werden, ist zudem noch zu berücksichtigen, dass sich die Entwicklung im hier maßgeblichen Zeitpunkt im September 2000 bereits zum Guten gewendet hatte. Insbesondere war die Sorge, es könne wegen der Verhaftung und Verurteilung des PKK-Führers Öcalan zu einem Wiederaufflammen der Gewalt kommen, schon im Jahr 1999 nicht mehr begründet (OVG NW, Urt. v. 25.01.2000 a.a.O. Rdnr. 327 ff.). Das rechtskräftige Urteil ist zu einem Zeitpunkt ergangen, in dem sich die Wende zum Besseren bereits abzeichnete und teilweise eingeleitet war. So war schon 1999 die Strafdrohung für den staatliche Folter erfassenden Straftatbestand verschärft worden. Schon damals war, wohl auch wegen der Aufmerksamkeit von Regierungen (vgl. auch den deutsch-türkischen Schriftwechsel vom 10.03.1995, mit dem für Rückkehrer ein rechtsstaatliches Verfahren gesichert werden sollte) und Nichtregierungsstellen insoweit, die Gefahr für Angehörige der genannten Rückkehrergruppe, bei im Anschluss an die Einreise der Folter unterzogen zu werden, geringer als für Personen unter PKK-Verdacht, die anlässlich konkreter Vorfälle in den westlichen Großstädten der Türkei oder in den südöstlichen Provinzen festgenommen wurden (vgl. AA, Lagebericht v. 20.03.2002, III Nr. 2, unter Bezugnahme auf ältere Lageberichte).
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Wegen der Aufhebung des Widerrufs ist die im Widerrufsbescheid ebenfalls enthaltene Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG gegenstandslos (BVerwG, Urt. v. 26.06.2002 - 1 C 17.01 - BVerwGE 116, 326).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b Abs. 1 AsylVfG). Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
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