Verwaltungsgericht Gelsenkirchen Urteil, 10. März 2015 - 6a K 3465/14.A
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der am 11. Dezember 1979 geborene Kläger ist georgischer Staatsangehöriger und Volkszugehöriger christlich-orthodoxen Glaubens. Er ist verheiratet und hat drei Kinder; seine Ehefrau und die Kinder halten sich in Georgien auf.
3Im Juli 2013 verließ der Kläger nach eigenen Angaben Georgien und reiste über Armenien und Weißrussland nach Schweden ein. Dort stellte er ausweislich der EURODAC-Datenbank am 29. Juli 2013 einen Asylantrag. Am 12. April 2014 reiste der Kläger in die Bundesrepublik ein und stellte hier am 17. April 2014 einen weiteren Asylantrag.
4Bei der – auf die Frage der Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats beschränkten – Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 17. April 2014 gab der Kläger an, er habe bereits in Schweden Asyl beantragt. Er wolle nicht, dass sein Antrag in einem anderen Staat als Deutschland geprüft werde. Gründe dafür nannte er nicht.
5Am 10. Juli 2014 wandte die Beklagte sich an die schwedischen Behörden und ersuchte um die Übernahme des Klägers auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 („Dublin III“). Mit Schreiben vom 15. Juli 2014 stimmte das Swedish Migration Board – Dublin Unit – der Rücküberstellung zu.
6Mit Bescheid vom 23. Juli 2014 lehnte die Beklagte den Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Schweden an. Zur Begründung wies die Beklagte auf die Regelungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 hin, aufgrund derer Schweden für das Asylverfahren zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die Veranlassung zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts geben könnten, seien nicht erkennbar. Der Bescheid wurde dem Kläger am 28. Juli 2014 zugestellt.Am 4. August 2014 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung führt er (im zugehörigen Eilverfahren) aus: Die Beklagte habe keine Anhörung durchgeführt. Daher habe er nicht vortragen können, dass er in Schweden mehrfach gewaltsame Auseinandersetzungen „mit arabischstämmigen Personen“ gehabt habe. Dieser Personenkreis bedrohe ihn auch heute noch, so dass die Beklagte ihr Selbsteintrittsrecht ausüben müsse.
7Der Kläger beantragt (schriftsätzlich sinngemäß),
8den Bescheid der Beklagten vom 23. Juli 2014 aufzuheben.
9Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich),
10die Klage abzuweisen.
11Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
12Die Kammer hat einen Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes mit Beschluss vom 15. August 2014 (6a L 1165/14.A) abgelehnt.
13Mit Schriftsätzen vom 28. November 2014 und vom 28. Januar 2015 hat das Bundesamt mitgeteilt, dass der Kläger sich der beabsichtigten Überstellung durch Untertauchen entzogen habe. Die Überstellungsfrist ende nun am 15. Februar 2016.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Das Gericht kann gemäß § 102 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) trotz des Ausbleibens der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten ordnungsgemäß geladen und auf die Folgen eines Fernbleibens von der mündlichen Verhandlung hingewiesen worden sind.
17Die Klage ist sowohl unzulässig als auch unbegründet.
18Die Klage ist unzulässig, weil ein Rechtsschutzbedürfnis des Klägers nicht festgestellt werden kann. Das geltend gemachte Klagebegehren setzt voraus, dass der Kläger am Fort- und Ausgang seines Verfahrens ernsthaft interessiert ist. Dieses Interesse hat der Kläger offensichtlich nicht (mehr). Der Aufenthaltsort des Klägers ist unbekannt. Eine aktuelle ladungsfähige Anschrift hat er nicht, auch nicht bei seinem Bevollmächtigten, hinterlassen. Die Angabe der ladungsfähigen Anschrift dient dem Zweck, den Kläger zu individualisieren und dessen Erreichbarkeit für das Gericht sicherzustellen. § 10 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) sieht daher ausdrücklich vor, dass der Asylbewerber für die angerufenen Gerichte stets erreichbar sein muss und er jeden Wechsel seiner Anschrift mitzuteilen hat. Kommt der Asylbewerber dieser Pflicht nicht nach, deutet dies regelmäßig darauf hin, dass er am Fortgang seines Verfahrens nicht interessiert ist.
19Vgl. zu alledem BVerwG, Urteil vom 6. August 1996 – 9 C 169.95 -, BVerwGE 101, 323; OVG NRW, Urteil vom 17. März 1998 – 18 A 4002/96 – und Beschluss vom 1. Februar 2002 – 21 A 1550/01.A -; BayVGH, Beschluss vom 10. September 2001 – 21 B 00.31685 -; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30. Mai 2007 – 2 M 153/07 -, alle bei juris veröffentlicht.
20Die Kammer hat den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Verfügung vom 23. Dezember 2014 und im Rahmen der Terminsladung vom 29. Januar 2015 aufgefordert, eine aktuelle Anschrift des Klägers mitzuteilen. Dem Prozessbevollmächtigten ist es indessen nicht gelungen, eine andere als die frühere Anschrift des Klägers, unter der er nicht mehr wohnt, beizubringen.
21Die Klage ist im Übrigen auch unbegründet.
22Der Bescheid des Bundesamtes vom 23. Juli 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht als unzulässig abgelehnt. Die Kammer hat dazu in ihrem Beschluss vom 15. August 2014 (6a L 1165/14.A) betreffend das Eilverfahren des Klägers ausgeführt:
23„Ein Asylantrag ist gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In diesem Falle ist gemäß § 34a Abs. 1 AsylVfG durch das Bundesamt die Abschiebung in den zuständigen Staat anzuordnen; einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht.
24Vorliegend ist nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, (sog. „Dublin III-Verordnung“) vom 26. Juni 2013 das Königreich Schweden der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat. Da der Antragsteller ausweislich der EURODAC-Datenbank in Schweden den ersten Asylantrag gestellt hat und aus Schweden in das Bundesgebiet eingereist ist, ist gemäß Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 7 Abs. 1 und Art. 13 der VO (EU) Nr. 604/2013 dieser Staat für die Prüfung des Asylantrags zuständig und hat gemäß Art. 18 der VO (EU) Nr. 604/2013 den Antragsteller wieder aufzunehmen. Diese Verpflichtung hat das Königreich Schweden mit Schreiben an das Bundesamt vom 15. Juli 2014 auch anerkannt. Der Antragsteller hat keine Gesichtspunkte vorgetragen, die diese Einschätzung in Frage stellen könnten.
25Die Antragsgegnerin ist auch nicht etwa gemäß Art. 3 Abs. 2 VO (EU) Nr. 604/2013 verpflichtet, den Antrag selbst zu prüfen, weil Flüchtlingen in Schweden in verfahrens- oder materiell rechtlicher Hinsicht kein hinreichender Schutz gewährt würde oder sonstige „systemische Schwachstellen“ bei der Behandlung von Asylbewerbern bestünden.
26Allgemein zur Frage der systemischen Mängel EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – Rs. C-411/10 und Rs. C-493/10 -, NVwZ 2012, 417, und BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6.14 -, juris.
27Für entsprechende Mängel in Bezug auf das Königreich Schweden sieht das Gericht nach Recherche in den einschlägigen Datenbanken keine Anhaltspunkte.
28Ebenso in jüngerer Zeit VG Aachen, Beschluss vom 6. Juni 2014 – 7 L 322/14 -, juris; VG Osnabrück, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 5 B 12/14 -, juris; VG München, Beschluss vom 24. Januar 2014 – M 4 S 14.30061 -, juris; VG Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 2 B 844/13 -, juris (jeweils mit weiteren Nachweisen).
29Nähere und aktuelle Informationen über das schwedische Asylsystem und die dortigen Unterbringungs- und Versorgungsbedingungen bietet etwa der von der schwedischen Caritas und dem Europäischen Flüchtlingsrat erstellte „National Country Report Sweden“ (Stand: Dezember 2013), abrufbar in der Datenbank „aida“ (www.asylumineurope.org).
30Sonstige Umstände, aufgrund derer die Antragsgegnerin zu Gunsten des Antragstellers ihr Selbsteintrittsrecht nach Art. 17 der VO (EU) Nr. 604/2013 hätte ausüben müssen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.“
31An diesen Überlegungen hält die Kammer nach nochmaliger Überprüfung fest. Soweit der Kläger in einer „Gegenvorstellung“ gegen den Eilbeschluss vom 15. August 2014 geltend gemacht hat, die Bundesrepublik müsse von ihrem Selbsteintrittsrecht Gebrauch machen, da er in Schweden gewaltsame Auseinandersetzungen mit „arabischstämmigen Personen“ gehabt habe, fehlt es seinem Vortrag entschieden an Substanz. Die ernsthafte Prüfung einer Selbsteintrittspflicht der Bundesrepublik ist auf der Grundlage der wenigen, pauschalen Erklärungen des Klägers nicht möglich.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83 b AsylVfG.
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(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.