Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 22. Apr. 2015 - 22 L 246/15.A
Gericht
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 554/15.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Januar 2015 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der am 27. Januar 2015 sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 554/15.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12. Januar 2015 anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Der Antrag ist zulässig und begründet.
6Der Antrag ist nach § 34a Abs. 2 S. 1 AsylVfG zulässig, insbesondere ist die dort bestimmte Antragsfrist von einer Woche nach Bekanntgabe gewahrt.
7Der Antrag ist auch begründet.
8Das Gericht folgt der bislang zu § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, dass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht erst bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes erfolgen darf, wie dies in den Fällen der Ablehnung eines Asylantrags als offensichtlich unzulässig oder unbegründet gemäß § 36 Absatz 4 Satz 1 AsylVfG vom Gesetzgeber vorgegeben ist. Eine derartige Einschränkung der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis hat der Gesetzgeber für die Fälle des § 34a Absatz 2 AsylVfG gerade nicht geregelt. Eine solche Gesetzesauslegung entspräche auch nicht dem Willen des Gesetzgebers, denn eine entsprechende Initiative zur Ergänzung des § 34a Absatz 2 AsylVfG n.F. fand im Bundesrat keine Mehrheit;
9vgl. hierzu bereits mit ausführlicher Darstellung des Gesetzgebungsverfahrens Verwaltungsgericht Trier, Beschluss vom 18. September 2013 – 5 L 1234/13.TR ‑, juris Rn 5 ff. m.w.N.; Verwaltungsgericht Göttingen, Beschluss vom 17. Oktober 2013 – 2 B 844/13 ‑, juris Rn 3 f.; siehe auch bereits Verwaltungsgericht Düsseldorf, Beschlüsse vom 7. Januar 2014 – 13 L 2168/13.A ‑ und 24. Februar 2014 – 13 L 2685/13.A ‑, juris.
10Die danach vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin mit dem privaten Aussetzungsinteresse des Antragstellers hat sich maßgeblich ‑ nicht ausschließlich ‑ an den Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu orientieren, wie diese sich bei summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren abschätzen lassen. Diese Interessenabwägung fällt vorliegend zu Gunsten des Antragstellers aus, denn die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes begegnet nach diesen Maßstäben zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erheblichen rechtlichen Bedenken.
11Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die hierfür erforderlichen Voraussetzungen im vorliegenden Fall derzeit erfüllt sind. Denn nach der hier allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung ist Italien nicht der für die Durchführung des Asylverfahrens zuständige Staat gem. § 27a AsylVfG ist und liegen daher die Tatbestandsvoraussetzungen des § 34 a Abs. 1 S. 1 AsylVfG derzeit nicht vor.
12Gemäß § 27a AsylVfG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. In einem solchen Fall prüft die Antragsgegnerin den Asylantrag nicht, sondern ordnet die Abschiebung in den zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann, § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG.
13Maßgebliche Rechtsvorschrift zur Bestimmung des zuständigen Staates ist die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Dublin III‑VO). Diese findet gemäß ihres Art. 49 Unterabsatz 2 Satz 1 auf Schutzgesuche Anwendung, die nach dem 31. Dezember 2013 gestellt werden, mithin auch auf den von dem Antragsteller am 27. Oktober 2014 gestellten Asylantrag.
14Italien ist nicht nach Art. 12 Abs. 4 der Dublin III‑VO für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers zuständig. Zwar ist dem Antragsteller nach eigenen Angaben ein Visum mit Gültigkeit vom 4. Juni 2014 bis zum 26. Juni 2014 erteilt worden. Nach Art. 12 Abs. 2 Satz 1, 1. Halbsatz Dublin III‑VO ist in den Fällen, in denen der Antragsteller ein gültiges Visum besitzt, der Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz zuständig, der das Visum erteilt hat. Dies gilt gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO auch, wenn das Visum, aufgrund dessen ein Antragsteller in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, bei Stellung des Asylantrages (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) zwar nicht mehr gültig ist, aber seit weniger als sechs Monaten abgelaufen ist, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat. Dies ist hier nicht der Fall. Die Gültigkeit des Visums war bei Asylbeantragung am 27. Oktober 2014 zwar weniger als sechs Monate abgelaufen. Der Antragsteller hat jedoch bereits vor Stellung des Asylantrages das Gebiet der Mitgliedsstaaten verlassen. Er kehrte bereits am 21. Juni 2014 in den Iran zurück. Diese Rückkehr in den Iran hat der Antragsteller durch Vorlage mehrerer Dokumente ausreichend glaubhaft gemacht. Insbesondere der ärztliche Beleg über die ab dem 1. August 2014 benötigte Bettruhe des Antragstellers sowie die Nachweise über die am 26. August 2014 und 28. August 2014 in einer Bankfiliale der H. -Bank im Iran erfolgten Abhebungen lassen jedenfalls mit der im Eilverfahren erforderlichen Gewissheit darauf schließen, dass der Antragsteller das Gebiet der Europäischen Union nach seinem Aufenthalt in Italien wieder verlassen hat.
15Die Zuständigkeit Italiens ergibt sich auch nicht, wie die Antragsgegnerin ment, allein aus Art. 22 Abs. 7 Dublin III‑VO. Zwar hat Italien auf das am 29. Oktober 2014 gestellte Übernahmeersuchen nicht innerhalb der Frist von 2 Monaten geantwortet, so dass insoweit der Tatbestand des § 22 Abs. 7 Dublin III-VO erfüllt ist. Art. 22 Abs. 7 Dublin III‑VO setzt aber die Zuständigkeit eines Mitgliedstaats gerade voraus und begründet sie demzufolge nicht.
16a.A. wohl Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Januar 2015 – A 11 S 2508/14 –, juris; VG Hannover, Beschluss vom 16. Februar 2015 – 10 B 403/15 –, juris, jeweils ohne weitere Begründung.
17Dies ergibt sich schon aus Wortlaut und systematischer Stellung der Vorschrift. Die Zuständigkeit eines Mitgliedsstaates bestimmt sich gem. Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO nach den Vorschriften des Kapitels III, darüber hinaus mit Einschränkungen auch nach den Vorschriften des Kapitels IV. Die Regelungen des Kapitels VI, zu denen auch Art. 22 Dublin III-VO gehört, befassen sich dagegen allein mit Verfahrensvorschriften. Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO regelt die Folgen des Schweigens auf ein fristgerecht gestelltes Aufnahmegesuch und statuiert für den – nach den hierfür einschlägigen Vorschriften der Dublin III-VO zuständigen – ersuchten Mitgliedsstaat allein die Verpflichtung, die betroffene Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen, so dass Italien gegenüber der Bundesrepublik Deutschland die Überstellung des Antragstellers nicht mehr erfolgreich wegen einer objektiv vorliegenden Unzuständigkeit ablehnen könnte. Dem Antragsteller ist es hingegen nicht verwehrt, sich auf die Unzuständigkeit Italiens zu berufen.
18Andere Gründe, die für eine Zuständigkeit Italiens für die Prüfung des Asylantrages sprechen könnten, sind nicht ersichtlich.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
20Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.
(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.