Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 12. Juni 2015 - 22 L 2072/15.A
Gericht
Tenor
Der Beschluss vom 8. Mai 2015 in dem Verfahren 22 L 428/15.A wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 22 K 1030/15.A gegen Ziffer 2 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. Januar 2015 wird angeordnet.
Die Kostenentscheidung im Beschluss vom 8. Mai 2015 bleibt unverändert.
1
Gründe:
2Das Gericht ändert ‑ der Anregung des Antragstellers entsprechend – von Amts wegen den im Tenor genannten Beschluss (§ 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO), weil es für ein überwiegendes Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage hinreichend wahrscheinlich ist, dass die Voraussetzungen für die angefochtene Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) nicht mehr vorliegen.
3Nach dieser Vorschrift ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens nach § 27a AsylVfG zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen sind hier nicht mehr erfüllt.
4Italien ist nicht mehr auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig.
5Die ursprüngliche Zuständigkeit Italiens ist mittlerweile auf die Antragsgegnerin übergegangen. Dies folgt aus Art. 29 Abs. 2 Dublin-III-VO. Danach ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über, wenn die Überstellung nicht innerhalb der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO genannten Frist von sechs Monaten, die unter bestimmten Voraussetzungen auf höchstens 18 Monate verlängert werden kann, durchgeführt wird.
6Im vorliegenden Fall ist die Überstellung nicht in diesem Sinne fristgemäß erfolgt. Die sechsmonatige Frist beginnt nach Art. 29 Abs. 1 Dublin-III-VO mit der Annahme des Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO aufschiebende Wirkung hat. Die Frist begann nach diesen Maßstäben hier mit der (fingierten) Annahme des Übernahmeersuchens durch Italien mit Ablauf des 27. November 2014, also am 28. November 2014.
7Die Frist zur Überstellung des Antragstellers wurde nicht durch den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung vom 11. Februar 2015 (22 L 428/15.A) für die Dauer des gerichtlichen Eilverfahrens, hier also bis zum ablehnenden Eilbeschluss vom 8. Mai 2015,
8der wegen der deutlich verspäteten Vorlage des angeforderten Verwaltungsvorganges durch die Antragsgegnerin nicht früher ergehen konnte,
9unterbrochen oder gehemmt,
10vgl. dazu OVG NRW, Beschluss vom 8. September 2014, - 13 A 1347/14.A -, juris, Rdn. 5 ff. m.w.N..
11Auch sind keine Gründe für eine Verlängerung der Frist nach Art. 29 Abs. 2 S. 2 Dublin‑III‑VO ersichtlich. Die sechsmonatige Frist endete nach alledem mit Ablauf des 28. Mai 2015.
12Das Verstreichen der Überstellungsfrist hat gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 1 Dublin-III-VO zur Folge, dass der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet ist und die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht. Die Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages des Antragstellers ist damit auf die Antragsgegnerin übergegangen.
13Der Antragsteller kann sich im vorliegenden Verfahren auch auf den Übergang der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin berufen.
14Vgl. VG Düsseldorf, Urteile vom 5. Februar 2015, ‑ 22 K 2262/14.A ‑ und vom 5. Mai 2015 ‑ 22 K 2179/15.A ‑, m.w.N., juris; im Ergebnis ebenso: VG Minden, Urteil vom 19. März 2015 - 10 K 2658/14.A -, juris; VG Hannover, Beschluss vom 24. Februar 2015 - 6 B 341/15 -, juris; VG Frankfurt, Beschluss vom 5. Februar 2015 - 5 K 567/14.F.A -, Rn. 11, juris; VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 17. Februar 2015 - 6a L 239/15.A -, juris; zur Rechtsfolge einer Gegenstandslosigkeit des auf § 27a AsylVfG gestützten Ablehnungsbescheides bei Ablauf der Überstellungsfrist kommt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. März 2015 - 21 ZB 15.50025 -, juris
15Davon abgesehen begegnet die Abschiebungsanordnung nach Italien zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedenfalls deshalb rechtlich durchgreifenden Bedenken, weil entgegen den Vorgaben des § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG derzeit nicht feststeht, dass der Antragsteller nach Italien abgeschoben werden kann, obwohl die Zuständigkeit für die Prüfung seines Asylgesuchs auf die Antragsgegnerin übergegangen ist.
16Dem Bundesamt obliegt vor Erlass der Abschiebungsanordnung nicht nur die Prüfung zielstaatsbezogener Abschiebungshindernisse, sondern auch von inlandsbezogenen Vollzugshindernissen und Duldungsgründen. Für eine diesbezüglich originäre Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde ist daneben kein Raum, auch wenn solche der Abschiebung entgegenstehende Gründe erst nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftreten.
17Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2014, ‑ 2 BvR 1795/14 ‑, juris.
18Ein Duldungsgrund (§ 60 a Absatz 2 Satz 1 AufenthG) liegt vor, wenn die Abschiebung aus tatsächlichen Gründen unmöglich ist, etwa weil die Rückübernahmebereitschaft des Zielstaates der Abschiebung (noch) nicht geklärt ist,
19Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015, ‑ 14 B 102/15.A ‑, juris sowie vom 10. März 2015, ‑ 14 B 162/15.A ‑, n. v.
20Da § 34a Abs. 1 S. 1 AsylVfG den Erlass der Abschiebungsanordnung tatbestandlich daran anknüpft, dass feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann, steht ihre (andauernde) Rechtmäßigkeit unter dem (andauernden) Vorbehalt, dass die Bereitschaft des Zielstaates der Abschiebung, den Abzuschiebenden aufzunehmen, außer Zweifel steht.
21Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 3. März 2015, ‑ 14 B 102/15.A ‑, juris sowie vom 10. März 2015, ‑ 14 B 162/15.A ‑, n. v.; Funke-Kaiser in: GK AsylVfG 1992, Loseblattsammlung (Stand: November 2014), § 34a Rdn. 20.
22Dies ist hier nicht der Fall. Nichts spricht dafür, dass Italien den Antragsteller noch aufnehmen wird, obwohl es für die Prüfung seines Schutzgesuchs in Folge der abgelaufenen Überstellungsfrist nicht mehr zuständig ist. Zwar ist Italien befugt, von seinem Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III‑VO Gebrauch zu machen und das Schutzgesuch des Antragstellers trotz des hier aus Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO folgenden Übergangs der Zuständigkeit auf die Antragsgegnerin selbst zu prüfen. Indes ist weder dargetan noch sonst ersichtlich, dass Italien von dieser Befugnis Gebrauch gemacht hat oder Gebrauch machen wird.
23Es verbleibt bei der Kostenentscheidung im Beschluss vom 8. Mai 2015.
24Vgl. Kopp/ Schenke, VwGO, 20. Aufl., § 80 Rdnr. 191, Eyermann/Schmidt, VwGO, 13. Aufl., § 80 Rdnr. 108.
25Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG.
26Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
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Annotations
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) In Klageverfahren nach dem Asylgesetz beträgt der Gegenstandswert 5 000 Euro, in den Fällen des § 77 Absatz 4 Satz 1 des Asylgesetzes 10 000 Euro, in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes 2 500 Euro. Sind mehrere natürliche Personen an demselben Verfahren beteiligt, erhöht sich der Wert für jede weitere Person in Klageverfahren um 1 000 Euro und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes um 500 Euro.
(2) Ist der nach Absatz 1 bestimmte Wert nach den besonderen Umständen des Einzelfalls unbillig, kann das Gericht einen höheren oder einen niedrigeren Wert festsetzen.