Verwaltungsgericht Düsseldorf Urteil, 18. Sept. 2015 - 13 K 2288/15.A
Tenor
Ziffer 2 des Bescheides vom 2. März 2015 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Kläger sind staatenlose Palästinenser und beantragten am 31. Oktober 2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) ihre Anerkennung als Asylberechtigte.
3In der Befragung beim Bundesamt vom 31. Oktober 2014 gaben sie unter anderem an, im Oktober 2013 mit dem Auto über Syrien in die Türkei gereist zu sein. Nach zwei Wochen seien sie nach Bulgarien gegangen, wo sie 10 Monate geblieben seien. Anschließend seien sie nach F. geflogen, von wo aus sie mit dem Zug nach Deutschland gereist seien.
4Das Bundesamt richtete am 23. Dezember 2014 ein Übernahmeersuchen nach der Dublin III-VO an Bulgarien. Die bulgarischen Behörden lehnten die Übernahme der Kläger unter dem 13. Januar 2015 ab. Da ihnen bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt worden sei, handle es sich um kein Dublin-Verfahren. Die Beklagte wurde darauf hingewiesen, an welche Stelle ihre Anfrage stattdessen zu richten sei.
5Mit Bescheid vom 2. März 2015 lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Ziffer 1) und forderte die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen (Ziffer 2). Der Bescheid wurde am 17. März 2015 als Einschreiben zur Post gegeben.
6Am 23. März 2015 haben die Kläger Klage erhoben.
7Die Kläger sind der Ansicht, die schweren Erkrankungen der Klägerin zu 2.) und des Klägers zu 3.) stünden einer Abschiebung nach Bulgarien entgegen. Die Klägerin zu 2.) werde wegen einer Reaktivierung einer ausgedehnten Lungentuberkulose behandelt. Die Therapie müsse noch bis Ende 2015 fortgeführt werden. Bei einer Unterbrechung oder inadäquaten Behandlung bestehe die Gefahr von Resistenzen und dann eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben. Der Kläger zu 3.) leide an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Überdies seien die Kläger zu 3.) und 4.) knapp vier bzw. gerade sechs Jahre alt und die Klägerin zu 2.) sei erneut schwanger. Daher unterfielen sie der besonders schutzbedürftigen Personengruppe. Schließlich erscheine fraglich, ob eine Abschiebung nach Bulgarien tatsächlich möglich sei, da die bulgarischen Behörden ihre Übernahme abgelehnt hätten.
8Die Kläger beantragen,
9den Bescheid des Bundesamtes vom 2. März 2015 aufzuheben.
10Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
11die Klage abzuweisen.
12Zur Begründung bezieht sie sich auf ihr bisheriges Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
13Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Klage- und des Eilverfahrens sowie des Verwaltungsvorgangs der Beklagten ergänzend Bezug genommen.
14Entscheidungsgründe:
15Über die Klage entscheidet die Einzelrichterin, nachdem ihr die Sache durch Beschluss der Kammer vom 22. Mai 2015 übertragen worden ist (§ 76 Absatz 1 AsylVfG).
16Die zulässige Anfechtungsklage in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet.
17Der angegriffene Bescheid des Bundesamtes vom 2. März 2015 ist zwar hinsichtlich Ziffer 1 rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO (I). Ziffer 2 des vorstehend genannten Bescheides begegnet hingegen rechtlichen Bedenken (II.).
18I. Der Asylantrag ist unzulässig, da den Klägern in Bulgarien, einem sicheren Drittstaat, bereits internationaler Schutz gewährt worden ist. Bulgarien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union „sicherer Drittstaat“ im Sinne von § 26a AsylVfG. Nach § 26a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG kann sich ein Ausländer nicht auf Artikel 16a Absatz 1 Grundgesetz (GG) berufen, wenn er aus einem Drittstaat im Sinne des Artikel 16a Absatz 2 Satz 1 GG eingereist ist.
191. Der Anwendung des Artikel 16a Absatz 2 GG und des § 26a AsylVfG geht nicht die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (sog. Dublin III-VO) vor. Denn diese findet auf Ausländer, die in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben, nachdem ihnen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union hier: Bulgarien – die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Richtlinie 2011/95/EU) zuerkannt worden ist, keine Anwendung,
20vgl. angedeutet in Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7.13 –, juris, Rn. 26; VG Düsseldorf, Urteil vom 9. September 2014 – 17 K 2897/14.A –, n.V.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. Juli 2014 – 17 L 1194/14.A –, juris, Rn. 14; so auch zur Vorgängerregelung Dublin II VO Nr. 343/2003: VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Januar 2013 – 6 L 104/13.A –, juris Rn. 20; VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Juni 2013 – 6 K 7204/12.A –, juris; Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, Stand: November 2013, § 27a AsylVfG Rn. 34.
21Die Dublin III-VO unterscheidet ausdrücklich zwischen „Antragsteller“, Artikel 2 Buchstabe c) Dublin III-VO und „Begünstigter internationalen Schutzes“, Artikel 2 Buchstabe f) Dublin III-VO. Antragsteller im Sinne der Verordnung ist danach derjenige, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde, wohingegen „Begünstigter internationalen Schutzes“ derjenige ist, dem internationaler Schutz zuerkannt wurde. Das Verfahren zur Bestimmung des für eine Bearbeitung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaates wird nach Artikel 20 Absatz 1 Dublin III-VO (nur) eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. Dieses Verfahren ist indes nicht mehr einschlägig, wenn der Ausländer bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach dortigem Antrag auf internationalen Schutz die Flüchtlingseigenschaft oder den subsidiären Schutzstatus erhalten hat. Dementsprechend sieht auch Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a) bis d) Dublin III-VO keine Pflicht des zuständigen Mitgliedstaates im Falle des positiven Bescheides über einen Antrag auf internationalen Schutz vor. Für eine Ausübung des in Artikel 17 Absatz 1 Dublin III-VO geregelten Selbsteintrittsrechts der Mitgliedstaaten ist dann ebenfalls von vornherein kein Raum mehr. Sollte im Übrigen der gegebene Fall noch nach dem Regime der Dublin II-VO (vgl. Artikel 49 Absatz 2 der Dublin III-VO) zu beurteilen sein, folgte nichts anderes, denn auch auf Personen mit einem subsidiären Schutzstatus wäre die Vorgängerverordnung nicht anwendbar,
22vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. November 2014 – 17 L 2404/14.A – n.V.; VG Düsseldorf, Urteil vom 17. Februar 2015 – 17 K 6764/14.A –, n.V.
232. Bulgarien ist als Mitgliedstaat der Europäischen Union jedenfalls für die Fälle des Antragstellern gewährten internationalen Schutzes ein „sicherer Drittstaat“ im Sinne von Artikel 16a Absatz 2 Satz 1 GG.
24a) Der vorgenannten Verfassungsnorm liegt das „Konzept der normativen Vergewisse-rung“ über die Sicherheit im Drittstaat zugrunde. Diese normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den nach der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Konvention zum Schutze der Menschenrechte (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK) und den Grundfreiheiten gebotenen Schutz vor politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt. Damit entfällt das Bedürfnis, ihm Schutz in der Bundesrepublik Deutschland zu bieten. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union gelten als sicher kraft Entscheidung der Verfassung,
25vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, – 2 BvR 22 BvR 2315/93 –, juris, Rn. 181.
26Dieses nationale Konzept steht im Einklang mit dem hinter der Schaffung eines Gemein-samen Europäischen Asylsystems (vgl. Artikel 78 des Vertrags über die Arbeitsweise der Eu-ropäischen Union – AEUV) stehenden „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“. Selbiges beruht auf der Annahme, alle daran beteiligten Staaten, ob Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, beachteten die Grundrechte, einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Richtlinie 2011/95/EU, der GFK sowie in der EMRK finden, und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Unter diesen Bedingungen muss die – freilich widerlegbare – Vermutung gelten, die Behandlung des Klägers als eines schutzberechtigt anerkannten Ausländers stehe in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den genannten Rechten,
27vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 –und – C-493/10 –, juris, Rn. 10 ff., 75, 78, 80.
28Diese Annahmen zugrunde gelegt, greift die „sichere Drittstaatenregelung“ (nur) dann nicht, wenn sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, der Ausländer sei von einem Sonderfall betroffen, der von dem „Konzept der normativen Vergewisserung“ bzw. dem „Prinzip des gegenseitigen Vertrauens“ nicht aufgefangen werde,
29vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 –, juris, Rn. 52 f., 60 zum „Prinzip des gegen-seitigen Vertrauens“; BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, juris, Rn. 189 zum „Konzept der normativen Vergewisserung“.
30Von einem solchen Fall ist dann auszugehen, wenn es ernst zu nehmende und durch Tatsachen gestützte Gründe dafür gibt, dass in dem Mitgliedstaat, in den abgeschoben werden soll, in verfahrensrechtlicher oder materieller Hinsicht nach aktuellen Erkenntnissen kein hinreichender Schutz gewährt wird.
31Der Bezugspunkt für die Beurteilung des hinreichenden Schutzes hängt davon ab, ob der Ausländer bereits einen Schutzstatus in dem Land, in das er abgeschoben werden soll, erhalten hat oder nicht. Nur in letzterem Fall ist darauf abzustellen, ob das Asylverfahren und/oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische, dem ersuchenden Mitgliedstaat nicht unbekannte Mängel aufweisen, die für den Asylbewerber eine tatsächliche Gefahr begründen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in dem ersuchten Mitgliedstaat im Sinne von Artikel 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-GR-Charta) bzw. dem inhaltsgleichen Artikel 3 EMRK ausgesetzt zu sein,
32vgl. etwa EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 – C-411/10 – und – C-493/10 –, juris Rn. 78 f., 84 ff. und 94.
33Hat der Ausländer indes – wie hier – bereits einen Schutzstatus erhalten, ist darauf abzu-stellen, ob der gebotene Inhalt des jeweiligen Schutzstatus hinreichend eingehalten wird oder ein Verstoß gegen die GFK vorliegt bzw. für den Inhaber des Schutzstatus eine tat-sächliche Gefahr besteht, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung in dem ersuchten Mitgliedstaat im Sinne von Artikel 4 EU-GR-Charta bzw. dem inhaltsgleichen Artikel 3 EMRK ausgesetzt zu sein.
34Dass die Verhältnisse in Bulgarien diesbezüglich hinter dem unionsrechtlich vorgesehenen Schutz dergestalt zurückbleiben, ist nach dem für die Entscheidung nach § 77 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt nicht zu erkennen.
35Soweit die Genfer Flüchtlingskonvention für anerkannte Flüchtlinge Wohlfahrtsregelungen enthält (Artikel 20 ff. GFK), die vom anerkennenden Drittstaat zu beachten und vom Konzept der normativen Vergewisserung mit umfasst sind, gehen diese im Wesentlichen über Diskriminierungsverbote gegenüber den jeweiligen Inländern nicht hinaus. Namentlich im Bereich der öffentlichen Fürsorge und der sozialen Sicherheit verpflichtet die Genfer Flüchtlingskonvention den Drittstaat zur Inländergleichbehandlung (vgl. Artikel 23, 24 GFK). Letztere ist nach den aktuellen Erkenntnissen gegeben. Eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung des Klägers im Sinne von Artikel 3 EMRK ist gleichfalls nicht ersichtlich.
36Der Inhalt des internationalen Flüchtlingsschutzes wird unionsrechtlich vorgegeben durch die Regelungen in Artikel 20 bis 35 der Richtlinie 2011/95/EU. So gelten einheitliche Vorgaben etwa für die Erteilung des Aufenthaltstitels (Artikel 24) und der Reisedokumente (Artikel 25). Einem anerkannten Schutzberechtigten stehen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung (Artikel 26), zur Bildung (Artikel 27), zum Erhalt von Sozialhilfeleistungen (Artikel 29) und medizinischer Versorgung (Artikel 30) dieselben Rechte wie den jeweiligen Staatsangehörigen zu.
37Danach ist im Hinblick auf Bulgarien zwar anzuerkennen, dass die Lebensbedingungen (auch) für Personen mit zuerkannter Flüchtlingseigenschaft bzw. subsidiärem Schutzsta-tus dort nach den gegebenen Erkenntnissen schwierig sind. Weder ist aber eine Verletzung der in Artikel 26 ff. der Richtlinie 2011/95/EU vorgesehenen Gleichbehandlungsgebote er-kennbar noch herrschen in Bulgarien derart handgreiflich eklatante Missstände, die die Annahme rechtfertigten, anerkannte Flüchtlinge bzw. subsidiär Schutzberechtigte würden einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt und dem Kläger müsste unabweisbar Schutz gewährt werden. Eine solche Behandlung muss vielmehr ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um als unmenschlich oder erniedrigend im Sinne von Artikel 3 EMRK zu gelten. Dieses Mindestmaß erreichen die Verhältnisse, denen anerkannte Flüchtlinge bzw. subsidiär Schutzberechtigte in Bulgarien ausgesetzt sind, derzeit nicht.
38vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 29. Januar 2015 – 14 A 134/15.A – , juris; VG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2015 – 23 K 418/14.A – juris, m.w.N.
39Das Gericht hat hierzu die aktuellen Erkenntnisse zur Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien, insbesondere den Länderbericht für Bulgarien der Asylum Information Database vom 31. Januar 2015 (im Folgenden: AIDA), den Bericht „Missing the point - Lack of adequate investigation of hate crimes in Bulgaria" von Amnesty International aus Februar 2015 (im Folgenden: Amnesty) und den Bericht „Erniedrigt, misshandelt, schutzlos: Flüchtlinge in Bulgarien" von Pro Asyl aus April 2015 (im Folgenden: Pro Asyl) gewürdigt. Weiter hat sie den „Special Support Plan to Bulgaria" des European Asylum Support Office vom 5. Dezember 2014 (im Folgenden: EASO) sowie den Bericht des UNHCR „Current Situation of Asylum in Bulgaria“ aus April 2014 berücksichtigt. Den letztgenannten Organisationen kommt bei der Beurteilung der Situation in den Mitgliedstaaten eine besondere Bedeutung zu (vgl. Artikel 33 und Erwägungsgrund 22 der Dublin III-Verordnung und Artikel 9 der Verordnung EU 439/2010).
40Die Berichte von Amnesty International und Pro Asyl begegnen schon Zweifeln, ob sie tatsächlich geeignet sind, eine strukturelle Durchbrechung des grundgesetzlich vermuteten menschenrechtskonformen Verhaltens des bulgarischen Staates zu belegen. So hat der Amnesty-Bericht nicht die besondere Situation anerkannter Schutzberechtigter zum Gegenstand, sondern untersucht ganz allgemein die Diskriminierung von Minderheiten in Bulgarien. Zu den befragten Betroffenen gehörten neben Asylantragstellern und Flüchtlingen auch Angehörige der Roma und der türkischen Minderheit sowie Opfer homophober Bedrohungen (Amnesty, S. 8f.). Die Untersuchung gelangt überdies zu dem Ergebnis, dass das bulgarische Recht, insbesondere die Strafgesetzgebung, grundsätzlich Schutz vor rassistisch motivierten oder fremdenfeindlichen Straftaten bietet (Amnesty, S. 41), und stellt auch die tatsächliche Einleitung von Ermittlungs- und Strafverfahren durch die bulgarischen Behörden als solches nicht grundsätzlich in Frage. Die Zielrichtung dieses Berichts scheint daher in erster Linie eine gesellschaftspolitische zu sein, die auf eine Bezeichnung der Motive derartiger Straftaten abzielt. Die Dokumentation von Pro Asyl stützt sich auf bereits bekannte Berichte anderer Organisationen und die konkreten Schilderungen einzelner Betroffener. Die skizzierten Einzelfallschicksale, die als solche nicht geeignet sind, die grundgesetzliche Vermutung des Artikel16a Absatz 2 Satz 1 GG zu durchbrechen, stammen bereits aus dem Jahr 2013. Hinzukommt, dass sie vor allem die Situation im laufenden Asylverfahren betreffen, nicht hingegen die hier allein interessierende Lage anerkannter Schutzberechtigter.
41VG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2015 – 23 K 418/14.A – juris, S. 9 f.
42Ungeachtet der konkreten Situation der anerkannten Schutzberechtigten lässt sich schon nicht – wie vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gefordert – feststellen, dass Bulgarien dieser gleichgültig gegenübersteht. So hat Bulgarien im Juli 2014 eine „Nationale Strategie zur Integration von international Schutzberechtigten in Bulgarien" für die Jahre 2014 bis 2020 entwickelt (Pro Asyl, S. 32; EASO, S. 11). Die Integration Begünstigter internationalen Schutzes ist auch Ziel des mit dem European Asylum Support Office vereinbarten aktuellen Support Plan (EASO, S. 11). Eines der zentralen Ziele ist es, das drängende Problem der Obdachlosigkeit durch die Schaffung von Wohnraum zu bekämpfen (EASO, S. 17). Auch wenn diese Pläne bisher noch wenig konkret und ihre Finanzierung fraglich erscheinen, vermag das Gericht nicht festzustellen, dass der bulgarische Staat ihre Umsetzung von vornherein nicht ernsthaft beabsichtigt. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, Bulgarien wolle lediglich seine internationalen Verpflichtungen auf dem Papier erfüllen. Maßgeblich gegen eine derartige Annahme spricht, dass Bulgarien im Jahr 2014 auf ähnlicher Grundlage hinsichtlich der Situation der Asylantragsteller mit der Unterstützung des EASO und anderer internationaler Organisationen maßgebliche Verbesserungen tatsächlich erreicht hat.
43VG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2015 – 23 K 418/14.A – juris, S. 10.
44Schließlich belegen die vorliegenden Berichte für die Lebensbedingungen anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien auch unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen, die anders als bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland nicht auf ihre Sprachkenntnisse und ein soziales Netz zurückgreifen können,
45vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2 0 1 4 – 2 BvR 1795.14 –, juris, Rn. 13,
46im Einzelnen keine Verletzungen der aus Artikel 3 EMRK folgenden Schutzpflichten des bulgarischen Staates. Ein Verstoß Bulgariens gegen seine Pflicht, Schutz vor Angriffen auf die körperliche Unversehrtheit zu gewähren, lässt sich nicht feststellen. Soweit rassistisch motivierte Gewalttaten an Asylantragstellern und Flüchtlingen dokumentiert werden (Amnesty, S. 18, 39; Pro Asyl, S. 16, 21 und 30 ff.), ist ein strukturelles staatliches Versagen nicht erkennbar. Die bulgarischen Behörden verfolgen grundsätzlich derartige Straftaten (Amnesty, S. 39, 4 1 ; Pro Asyl, S. 30).
47VG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2015 – 23 K 418/14.A – juris, S. 10.
48Auch die Obdachlosigkeit, die anerkannt Schutzberechtigten in Bulgarien mit einiger Wahrscheinlichkeit droht, stellt als solche keine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung dar. Nach der Anerkennung bleiben Flüchtlinge in der Regel nur 14 Tage in den Aufnahmeeinrichtungen für Asylantragsteller; nur in Ausnahmefällen können besonders Schutzbedürftige bis zu sechs Monate nach Anerkennung in den Lagern bleiben (hierzu wie zum Folgenden: Pro Asyl, S. 33f.). Anerkannte Flüchtlinge können auch in Obdachlosenunterkünften oder Sozialwohnungen kein Obdach finden, weil hierfür mindestens ein Familienmitglied die bulgarische Staatsbürgerschaft besitzen muss. Die einzig verbleibende Möglichkeit ist, auf dem freien Wohnungsmarkt eine Wohnung suchen. Dies ist jedenfalls für Flüchtlinge, die keine Arbeit haben und über keine finanzielle Unterstützung von Angehörigen oder Freunden verfügen, nur schwer möglich. Allerdings gibt es auch Beispiele dafür, dass es im Einzelfall durchaus gelingen kann, zumindest eine vorübergehende Unterkunft zu finden (vgl. Pro Asyl, S. 16, 20, 21 und 25). Ungeachtet dessen vermittelt Artikel 3 EMRK nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jedenfalls keinen Anspruch auf ein Obdach.
49VG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2015 – 23 K 418/14.A – juris, S. 11.
50Artikel 3 EMRK begründet schließlich auch keine allgemeine Pflicht, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu bieten, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen,
51vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), Urteil vom 21. Januar 2011 – 30969/09 –, juris, Rn. 249.
52Gleichwohl gewährt Bulgarien international Schutzberechtigten Sozialhilfeleistungen. Der monatliche Leistungssatz beträgt 33,23 Euro und entspricht damit der Mindestsozialhilfe, die auch bulgarische Staatsangehörige erhalten (vgl. AIDA, S. 41). Diese Sozialleistungen werden auch tatsächlich ausgezahlt (vgl. Pro Asyl, S. 35). Wenn Pro Asyl in seinem Bericht feststellt, dass die Leistungen im Jahr 2014 bei 7.000 Personen, denen internationaler Schutz gewährt wurde, nur in zwölf Fällen ausgezahlt worden seien, bleibt zum einen völlig offen, ob die Leistungsansprüche in den übrigen Fällen überhaupt (erfolglos) geltend gemacht wurden, und zum anderen unberücksichtigt, dass zahlreiche Flüchtlinge Bulgarien unmittelbar nach ihrer Anerkennung verlassen haben.
53VG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2015 – 23 K 418/14.A – juris, S. 11.
54Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass Bulgarien für anerkannte Schutzberechtigte nicht zumindest auch eine unabdingbare medizinische Grundversorgung gewährleistet. Auch anerkannte Schutzberechtigte sind im nationalen Gesundheitssystem versichert. Voraussetzung ist - wie bei bulgarischen Staatsangehörigen - die Zahlung eines monatlichen Beitrags in Höhe von 8,70 Euro (UNHCR, Observations on the current Situation of Asylum in Bulgaria, April 2014, S. 12), der jedenfalls theoretisch mit den gewährten Sozialhilfeleistungen bestritten werden kann. Der Umstand, dass hiermit die Kosten für Arzneimittel und eine psychologische Versorgung nicht abgedeckt sind (vgl. UNHCR, Observations on the current Situation of Asylum in Bulgaria, April 2014, S. 12), belegt für sich genommen nicht, dass nicht jedenfalls eine – nach Artikel 3 EMRK allein gebotene – lebenserhaltende Behandlung grundsätzlich sichergestellt ist. Gleiches gilt für die von Pro Asyl als maßgebliche tatsächliche Zugangshürde identifizierten Patientenlisten, wonach Patienten faktisch nur dann Zugang zu Versicherungsleistungen haben, wenn sie bei einem Hausarzt auf einer Liste geführt werden (Pro Asyl, S. 36). Der in den aktuellen Berichten weiter bemängelte unzureichende Zugang zum Bildungssystem und zum Arbeitsmarkt berührt schon den Schutzbereich des Artikel 3 EMRK ersichtlich nicht.
55VG Berlin, Urteil vom 31. Juli 2015 – 23 K 418/14.A – juris, S. 11.
56Generell reicht die drohende Zurückweisung in ein Land, in dem die eigene wirtschaftliche Situation schlechter sein wird als in dem ausweisenden Vertragsstaat nicht aus, die Schwelle der unmenschlichen Behandlung, wie sie von Artikel 3 EMRK verboten wird, zu überschreiten,
57vgl. EGMR, Beschluss vom 2. April 2013 – 27725/10 –, juris.
58Artikel 3 EMRK ist im Kern ein Abwehrrecht gegen unwürdiges Staatsverhalten im Sinne eines strukturellen Versagens bei dem durch ihn zu gewährenden angemessenen materiellen Mindestniveau und weniger ein individuelles Leistungsrecht einzelner Antragsteller auf bestimmte materielle Lebens- und Sozialbedingungen selbst,
59vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. April 2013 – 17 L 660/13.A –, juris, Rn. 43, m.w.N.
60Die Kläger müssen sich daher auf den in Bulgarien für alle bulgarischen Staatsangehörigen geltenden Versorgungsstandard verweisen lassen, auch wenn dieser dem hiesigen Niveau nicht entspricht,
61vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. April 2013 – 17 L 660/13.A –, juris, Rn. 42, s.a. OVG NRW, Beschluss vom 5. August 2004 – 13 A 2160/04.A –, juris, (noch zu § 53 Absatz 6 Satz 1 Ausländergesetz [AuslG 1990], heute § 60 Absatz 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz [AufenthG]).
62Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die zur Frage der Ausgestaltung des Asylver-fahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Bulgarien ergangene Rechtsprechung und die hierzu dem Gericht vorliegenden Berichte etwa des UNHCR, von Amnesty International und Asylum Information Database nicht heranzuziehen sind. Denn diese betreffen maßgeblich die Einhaltung der Mindeststandards für Asylbewerber und die Ausgestaltung des Asylverfahrens, also den Zugang zum Asyl- bzw. Flüchtlingsschutz bzw. die Durchführung des Verfahrens, nicht aber die Umsetzung des gewährten internationalen Schutzes,
63vgl. einen systemischen Mangel aufgrund der Auswertung der diesbezüglichen Erkenntnisse für Asyl-suchende in Bulgarien verneinend etwa: VGH BW, Urteil vom 10. November 2014 – A 11 S 1636/14 –, juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 12. September 2014 – 13 L 1690/14.A – n.V.; VG Ansbach, Urteil vom 10. Juli 2014 – AN 11 K 14.30366 –, juris; VG Potsdam, Beschluss vom 14. November 2013 – 6 L 787/13.A –, juris; VG Regensburg, Beschluss vom 20. August 2012 – RN 9 S 12.30284 –, juris, alle m.w.N.
64b) Ungeachtet der vorstehenden Ausführungen kann es zwar im Einzelfall aus individuellen, in der Person der Kläger liegenden und damit von dem "Konzept der normativen Vergewisserung" bzw. dem "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens" von vornherein nicht erfassten Gründen – wenn auch nur vorübergehend – geboten sein, von Überstellungen in den anderen Mitgliedstaat abzusehen.
65Anhaltspunkt für das Vorliegen eines solchen Ausnahmefalls kann geben, ob die Kläger als Person mit besonderen Bedürfnissen gemäß Artikel 20 Absatz 3 Richtlinie 2011/95/EU eingestuft wurden. Zu diesen können (unter anderem) gehören unbegleitete Minderjährige, Behinderte, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern sowie Personen mit psychischen Störungen.
66Allein die Minderjährigkeit der Kläger zu 3.) und 4.) begründet eine solche besondere Schutzbedürftigkeit nicht. Denn sie sollen gemeinsam mit den Eltern, den Klägern zu 1.) und 2.), nach Bulgarien zurückgeführt werden. Ob die Klägerin zu 2.) und der Kläger zu 3.) aufgrund ihrer Erkrankungen besonders schutzbedürftige Personen sind, kann demgegenüber dahingestellt bleiben. Denn es ist jedenfalls nicht nachvollziehbar vorgetragen, dass die Tuberkuloseerkrankung der Klägerin zu 2.) und die psychische Erkrankung des Klägers zu 3.) in Bulgarien nicht behandelbar wären. Entsprechendes ist nach der derzeitigen Erkenntnislage auch nicht ersichtlich. Mangels gegenteiliger durchgreifender Erkenntnisse ist der Zugang zur Gesundheitsversorgung in Bulgarien für anerkannte Schutzberechtigte trotz der zuweilen bereits geschilderten – die bulgarischen Staatsangehörigen gleichermaßen betreffenden – auftretenden praktischen Erschwernisse grundsätzlich hinreichend gewährleistet. Schließlich kann nicht festgestellt werden, dass Bulgarien für anerkannte Schutzberechtigten nicht zumindest auch eine unabdingbare medizinische Grundversorgung gewährleistet. Auch anerkannte Schutzberechtigte sind im nationalen Gesundheitssystem versichert. Insoweit wird auf die vorstehenden Erwägungen Bezug genommen.
67c) Schließlich liegt auch keine (weitere) der vom Bundesverfassungsgericht zur Abschie-bungsanordnung nach §§ 34a Absatz 1, 26a AsylVfG gebildeten Fallgruppen zur Bestim-mung der Ausnahmen vom „Konzept der normativen Vergewisserung“ vor,
68vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, juris, Rn. 189.
69Weder droht den Klägern in Bulgarien die Todesstrafe, noch besteht die erhebliche konkrete Gefahr, dass sie in unmittelbarem Zusammenhang mit der Überstellung nach dort Opfer eines Verbrechens werden, welches zu verhindern nicht in der Macht Bulgariens steht. Zudem ist nicht ersichtlich, dass Bulgarien selbst zum Verfolgerstaat wird.
70II. Indes ist die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes vom 2. März 2015 geregelte Abschiebungsandrohung rechtswidrig (1.) und verletzt die Kläger in ihren Rechten (2.), § 113 Absatz 1 Satz 1 VwGO.
711. Nach § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG ordnet das Bundesamt die Abschiebung an, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a AsylVfG) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a AsylVfG) abgeschoben werden soll, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Rechtsgrundlage deckt ihrer Rechtsfolge nach den Erlass einer Abschiebungsandrohung nicht ab. Der Wortlaut des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG lässt dies eindeutig nicht zu („ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an“). Die Regelung räumt dem Bundesamt bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von vornherein kein Ermessen ein; diese Folge ist vielmehr zwingend, und damit ist für andere Mittel kein Raum.
72VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 34; VG Ansbach, Urteil vom 22. April 2015 – AN 14 K 15.50044 –, juris, Rn. 23.
73Die Androhung der Abschiebung stellt auch kein zulässiges milderes Mittel gegenüber der Anordnung dar. Zwar bedarf es vor dem Erlass einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Absatz 1 Satz 3 AsylVfG keiner vorherigen Androhung und Fristsetzung. Indes spricht neben dem klaren Wortlaut des Satzes 1 dieser Vorschrift der Umstand, dass der Gesetzgeber die Formulierung „bedarf es nicht“ in anderen Regelungszusammenhängen so versteht, dass die erwähnte Alternative gerade ausgeschlossen sein soll (vgl. zu § 68 Absatz 1 Satz 2 VwGO).
74VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 35; a.A. VG Ansbach, Urteil vom 22. April 2015 – AN 14 K 15.50044 –, juris, Rn. 24.
75Auch systematische Erwägungen sprechen dafür, § 34a Absatz 1 AsylVfG als Spezialvorschrift zu § 34 Absatz 1 AsylVfG anzusehen. Grundsätzlich kann zwar für den Fall, dass ein Ausländer abgeschoben werden soll, dem im Ausland bereits internationaler Schutz gewährt worden ist (§ 60 Absatz 1 Satz 3 Aufenthaltsgesetz – AufenthG), nach § 60 Absatz 10 AufenthG nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. Die Vorschrift erfasst damit Fälle, in denen der Ausländer über eine von einem Drittstaat zugesprochene Flüchtlingsanerkennung verfügt (§ 60 Absatz 1 Satz 3, 3. Alt. AufenthG) bzw. dem subsidiärer Schutz zugesprochen wurde (§ 60 Absatz 2 Satz 2 AufenthG) und der in den Drittstaat, keinesfalls aber den Herkunftsstaat, abgeschoben werden soll. Durch die enge Verknüpfung von § 34a Absatz 1 mit § 26a AsylVfG hat der Gesetzgeber indes klargestellt, dass die Regelung im Sonderfall der Rückführung in den sicheren Drittstaat keine Geltung beanspruchen soll.
76VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 37.
77Diese Deutung entspricht überdies dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 34a AsylVfG sieht gerade deshalb von einer Abschiebungsandrohung ab, weil eine Rückführung in den Drittstaat regelmäßig nur kurzfristig durchgeführt werden kann,
78vgl. BT-Drucks. 12/4450, S. 23 sowie OVG NRW, Urteil vom 30. September 1996 – 25 A 790/96 A –, juris, Rn. 35.
79Der vorherige Erlass einer Abschiebungsandrohung verzögerte somit das vom Gesetzgeber gewollte beschleunigte Verfahren. Dieser hat abweichend von der grundsätzlich im Asylverfahrens- und im Ausländerrecht geregelten Aufgabenverteilung in § 34a AsylVfG gerade das Bundesamt dazu bestimmt, bereits bei Erlass einer Entscheidung nach den §§ 26a, 27a AsylVfG namentlich auch inländische Vollstreckungshindernisse zu prüfen, um den Ausländer rasch und ohne die Möglichkeit einer divergierenden Entscheidung der Ausländerbehörde insoweit abschieben zu können.
80OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 1. Dezember 2012 – OVG 2 S 6.12 –, juris Rn. 5f.; OVG Hamburg, Beschluss vom 3. Dezember 2010 – 4 Bs 223/10 –, juris Rn. 9 ff.
81Hier entledigt sich das Bundesamt endgültig dieser bewussten Zuständigkeitsverteilung des Gesetzgebers offenbar zu Lasten des Ausländers, der abgeschoben werden soll, weil im weiteren Verlauf die Ausländerbehörde für die Prüfung der inlandbezogenen Abschiebungshindernisse zuständig sein soll.
82Vgl. hierzu VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 38.
83Mit dieser der Kompetenzverteilung des Gesetzgebers widersprechenden Verlagerung der weiteren Prüfung auf die Ausländerbehörde geht zudem eine im Lichte von Artikel 19 Absatz 4 GG bedenkliche Verkürzung des Rechtsschutzes für den Ausländer einher, was die Androhung gegenüber der Anordnung einer Abschiebung keinesfalls als das mildere Mittel erscheinen lässt. Denn dem Adressaten einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG steht seit der mit Gesetz vom 28. August 2013 (BGBl. I S. 3474) vorgenommenen Änderung des § 34a Absatz 2 AsylVfG ein deutlich besserer Rechtsschutz gegenüber Abschiebungen auf dieser Grundlage zu. Nach dessen Satz 1 sind Anträge nach § 80 Absatz 5 VwGO gegen die Abschiebungsanordnung innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen, und nach § 34a Absatz 2 Satz 2 AsylVfG ist die Abschiebung bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Nach dem bis dahin geltenden Absatz 2 des § 34a AsylVfG durfte demgegenüber die Abschiebung nach Absatz 1 gerade nicht nach § 80 oder § 123 VwGO ausgesetzt werden. Demgegenüber können Anträge im vorläufigen Rechtsschutz, mit denen im Rahmen von § 34 Absatz 1 AsylVfG zu berücksichtigende Abschiebungsverbote geltend gemacht werden, nur über § 123 Absatz 1 VwGO verfolgt werden, was den jeweiligen Antragsteller vor deutlich höhere Darlegungshürden stellt.
84VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 39.
85Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung kann vorliegend auch nicht § 34 Absatz 1 AsylVfG sein. Danach erlässt das Bundesamt nach den §§ 59 und 60 Absatz 10 AufenthG eine schriftliche Abschiebungsandrohung, wenn der Ausländer nicht als Asylberechtigter anerkannt wird, dem Ausländer nicht die Flüchtlingseigenschaft zu-erkannt wird, ihm kein subsidiärer Schutz gewährt wird, die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Absatz 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist und der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt. Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, weil die Vorschrift nicht anwendbar ist. Denn wenn das Bundesamt einen Asylantrag – wie hier – nur nach § 26a AsylVfG ablehnt, ist nach § 31 Absatz 4 Satz 1 AsylVfG lediglich festzustellen, dass dem Ausländer auf Grund seiner Einreise aus einem sicheren Drittstaat kein Asylrecht zusteht. Diese Entscheidung ist gemäß § 31 Absatz 1 Satz 4 AsylVfG „zusammen“ – dass heißt zeitgleich – mit „der Abschiebungsanordnung nach § 34a“ zu treffen und dann „dem Ausländer selbst zuzustellen“. Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber von einer Verknüpfung des § 26a AsylVfG und im Übrigen auch des § 27a AsylVfG allein mit § 34a AsylVfG ausging. Nach der Gesetzessystematik besteht danach ein untrennbarer Zusammenhang zwischen der Asylversagung wegen der Einreise aus einem sicheren Drittstaat bzw. der Zuständigkeit eines anderen Staates und der Anordnung der Abschiebung in diesen Staat
86OVG NRW, Beschluss vom 25. September 2000 – 18 B 1783/99 –, juris, Rn. 11 und 21, und Urteil vom 30. September 1996, – 25 A 790/96 A –, juris, Rn. 9; vgl. auch Marx, AsylVfG, 8. Auflage, 2014, § 31 Rn. 17.
87In diesen Konstellationen nimmt das Bundesamt keine sachliche Prüfung eines Asylantrags vor, sondern verweist den Asylbewerber auf die Zuständigkeit eines anderen bzw. eines sicheren Drittstaates. Hier soll allein Raum für eine Abschiebungsanordnung sein, was darauf hinweist, dass § 34a AsylVfG bei einer Entscheidung (nur) nach den §§ 26a, 27a AsylVfG gegenüber § 34 Absatz 1 AsylVfG spezieller ist.
88VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 40.
89Bestätigt wird dies dadurch, dass die Möglichkeit, auf § 34 Absatz 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Absatz 10 AufenthG zurückzugreifen und eine Abschiebungsandrohung zu erlassen, nicht voraussetzungslos ist. Grundsätzlich darf das Bundesamt in Fällen der vorliegenden Art die in § 34 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG genannten tatbestandlichen Voraussetzungen jedoch gerade nicht prüfen (vgl. § 31 Absatz 4 Satz 1 AsylVfG), weil sich Entscheidungen nach §§ 26a, 27a AsylVfG allein zur Zulässigkeit des Asylgesuchs im Bundesgebiet verhalten. So ist es auch im konkreten Fall geschehen. Diesbezüglich ist der angegriffene Bescheid vom 13. April 2014 eindeutig. Der Erlass einer Abschiebungsandrohung setzt – anders als derjenige einer Abschiebungsanordnung – nach § 34 Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 AsylVfG zudem stets voraus, dass die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen und bedarf einer ausdrücklichen Entscheidung des Bundesamtes. Insofern passt das Prüfprogramm des § 34 Absatz 1 AsylVfG von vornherein nicht zu der hier gegebenen Konstellation des § 26a AsylVfG.
90VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 41.
91Nur wenn die Abschiebung in einen sicheren Drittstaat nicht möglich ist, kommt § 31 Absatz 4 AsylVfG nicht zum Zuge mit der Folge, dass nicht nach dem reduzierten, sondern gemäß § 31 Absatz 2 und 3 AsylVfG nach dem „gewöhnlichen Entscheidungsprogramm“ über das Asylbegehren zu befinden ist. Dies ist schon deswegen unvermeidlich, weil sich in einem solchen Fall nur die Alternative stellt, entweder dem Ausländer ein Bleiberecht für die Bundesrepublik Deutschland zu gewähren oder ihn ins Herkunftsland abzuschieben. Die Entscheidung darüber lässt sich aber ohne Prüfung der in §§ 60 Absatz 1, 5 und 7 AufenthG normierten Abschiebungshindernisse nicht treffen. Nur wenn also die Durchführung der Abschiebung im Sinne des § 34a Absatz 1 Satz 1 AsylVfG nicht möglich ist, ist ungeachtet der Einreise aus einem sicheren Drittstaat das volle Entscheidungsprogramm zu beachten. Ein solcher Fall ist hier aber nicht gegeben.
92VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 42 m.w.N.
932. Schließlich verletzt die Abschiebungsandrohung die Kläger auch in ihren Rechten. Denn durch den Erlass einer Abschiebungsandrohung entzieht sich das Bundesamt nach den obigen Ausführungen seinem ihm gesetzlich zugewiesenen Prüfungsauftrag hinsichtlich des Bestehens inländischer Abschiebungshindernisse. Während derartige Vollstreckungshindernisse – etwa das Vorliegen einer krankheitsbedingten Reiseunfähigkeit – beim Erlass einer Abschiebungsanordnung unmittelbar von dieser Behörde geprüft werden müssen, nimmt das Bundesamt in der hiesigen Konstellation diese Prüfung nicht vor. Liegen solche Hindernisse aber vor, kann der betroffene Asylsuchende diese – wie bereits ausgeführt – nur gegenüber der Ausländerbehörde geltend machen und vorläufigen Rechtsschutz im Streitfall nur nach § 123 Absatz 1 VwGO erreichen. Sind damit die Rechtsschutzmöglichkeiten des Ausländers daher jedenfalls hinsichtlich der Prüfung inländischer Vollstreckungshindernisse empfindlich eingeschränkt, kommt es nicht darauf an, dass dem Kläger durch die geänderte Entscheidung statt der ursprünglichen Verpflichtung zur sofortigen Ausreise eine auf 30 Tage verlängerte Ausreisefrist zugestanden wird.
94VG Berlin, Urteil vom 24. Juni 2015 – 23 K 906.14 A –, juris, Rn. 43 m.w.N.; a.A. VG Ansbach, Urteil vom 22. April 2015 – AN 14 K 15.50044 –, juris, Rn. 24.
95Da Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides nach alldem rechtswidrig ist, kann dahingestellt bleiben, ob ein Abschiebungshindernis nach § 60 Absatz 7 AufenthG und/oder § 60a Absatz 2 Satz 1 AufenthG besteht und ob Bulgarien zur Übernahme der Kläger bereit ist.
96Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Absatz 1 Satz 1 VwGO, § 83b AsylVfG.
97Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 Absatz 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 ZPO.