Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 08. Dez. 2015 - B 5 K 13.747

published on 08/12/2015 00:00
Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 08. Dez. 2015 - B 5 K 13.747
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Tenor

1. Der Beklagte wird verpflichtet, unter Aufhebung des Bescheids des Landesamts für Finanzen vom 5. Juni 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 2. September 2013 als weitere Folge des Dienstunfalls vom 13. Dezember 2010 die Fraktur des Zahns 15 festzustellen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Zahnfraktur als weitere Folge eines anerkannten Dienstunfalls.

1. Die im Jahr 1984 geborene Klägerin steht als Polizeiobermeisterin (Besoldungsgruppe A 8 der Bayerischen Besoldungsordnung - BayBesO) im Dienst des Beklagten. Sie ist bei der Polizeiinspektion Bamberg-Land tätig. Am 13. Dezember 2010 erlitt die Klägerin auf dem Weg von ihrer damaligen Familienwohnung zu ihrer damaligen Dienststelle auf der Autobahn A 9, Fahrtrichtung München, Höhe Parkplatz ..., einen Verkehrsunfall. Ausweislich der Dienstunfallmeldung und der beigezogenen Akte der Staatsanwaltschaft Ingolstadt (1 Cs 23 Js 1109/11) trug sich folgender Unfallhergang zu: Die Klägerin musste am Ende eines Staus anhalten. Ein anderes Kraftfahrzeug fuhr von hinten auf. Der Unfallverursacher war unmittelbar vor dem Unfall mit einer Geschwindigkeit von 126 km/h unterwegs; bei welcher Geschwindigkeit der Aufprall auf das Fahrzeug der Klägerin erfolgte, konnte nicht festgestellt werden. Durch die Wucht des Aufpralls wurde das Kraftfahrzeug der Klägerin mit der Fahrerseite nach rechts gegen den Aufleger eines rechts vor ihr stehenden Lastkraftwagens geschleudert. Das Kraftfahrzeug der Klägerin kam anschließend auf dem Standstreifen zum Stehen. Die Klägerin wurde mit dem Rettungshubschrauber ins Klinikum Ingolstadt verbracht, wo sie bis zum 22. Dezember 2010 stationär behandelt wurde.

Das Landesamt für Finanzen, Dienstelle Regensburg (im Folgenden: Landesamt), erkannte mit Bescheid vom 17. Januar 2011 das Ereignis als Dienstunfall an und stelle als Unfallfolgen fest: Commotio cerebri, Halswirbelsäulen-Distorsion, Sternumfraktur, Schulterprellung rechts, Fraktur der Brustwirbelkörper 7, 10, 11, nicht dislozierte Radiusfraktur rechts. Mit Schreiben vom 17. Januar 2011 meldete die Klägerin weitere Körperschäden aufgrund des Dienstunfalls: Aufgrund eines Risses sei ein Backenzahn gebrochen; an weiteren (mindestens fünf) Zähnen seien Risse festgestellt worden.

2. Das Landesamt holte daraufhin Stellungnahmen verschiedener Zahnärzte ein. Der behandelnde Hauszahnarzt der Klägerin, Dr. L., teilte dem Landesamt mit Schreiben vom 7. April 2011 mit, er habe bei der Klägerin am 13. Januar 2011 Schmelzrisse an den Zähnen 13, 11, 21 sowie Schmelzabplatzungen im Zahnhalsbereich bei den Zähnen 11 und 21 befundet. Des Weiteren habe er Abplatzungen im bukkalen Bereich bei den Zähnen 34, 33, 31, 41 und 46 festgestellt. Am Zahn 15 habe er eine Querfraktur befundet. Er habe zunächst die palatinale Wand entfernt, wobei sich gezeigt habe, dass der ganze Zahn gespalten sei. Der Zahn habe daraufhin komplett entfernt werden müssen. Bei der Untersuchung am 13. Januar 2011 wurde eine Röntgen-Panoramaaufnahme gefertigt. Die Aufwendungen in Höhe von 593,81 EUR unter anderem für die Entfernung des Zahns (Rechnung Zahnarzt Dr. L. vom 31.10.2011) erstattete das Landesamt zunächst vorläufig (Schreiben vom 17.11.2011), dann endgültig (Bescheid vom 18.7.2012).

Mit Schreiben vom 8. April 2011 übersandte die Klägerin dem Landesamt ein „Feststellungsgutachten“ von Dr. C. vom 24. Februar 2011, das sich auf die Röntgen-Panoramaaufnahme vom 13. Januar 2011 sowie eine klinische Untersuchung und Befragung der Klägerin am 24. Februar 2011 stützte. Ausweislich des Feststellungsgutachtens fanden sich bei der Klägerin am Zahn 15 eine zahnbegrenzte Lücke, im Bereich der Zähne 13, 11, 21 Schmelzrisse, im Bereich der Zahnhälse 11 und 21 sowie 34, 31, 33 und am Zahn 41 und 46 Schmelzentblößungen, jeweils im bukkalen Bereich. In dem Gutachten heißt es, auf der Röntgen-Panoramaaufnahme vom 13. Januar 2011 sei der Zahn 15 noch vorhanden gewesen; er sei wurzelkanalbehandelt und zeige im koronalen Bereich eine Querfrakturlinie. Der Zahn 16 sei ebenfalls wurzelkanalbehandelt. Alle vorhandenen Zähne seien apikal unauffällig; ein leichter Höhenabbau auf etwa 90% Wurzellänge liege vor. Bei Kraftfahrzeugunfällen beziehungsweise Unfällen mit Kopfbeteiligung könne immer wieder beobachtet werden, dass es zu Frakturen im Bereich des Schmelzes oder aber auch im Wurzelbereich komme. Folglich könne davon ausgegangen werden, dass die Fraktur des Zahnes 15, die dann zur späteren Extraktion geführt habe, als Folge des Dienstunfalls am 13. Dezember 2010 anzusehen sei. Eine entsprechende prothetische Versorgung etwa mittels Implantation und anschließender Kronenversorgung sei medizinisch angezeigt.

Für die Zeit vor dem Dienstunfall am 13. Dezember 2010 liegen folgende zahnärztliche Berichte vor: Eine Befunddokumentation des Zahnarztes K. vom 3. April 2007 versah die Zähne 14 bis 17 jeweils mit der Bemerkung „vf“ (vgl. sein Schreiben an das Landesamt vom 21.6.2011). Zahnarzt Dr. T. berichtete dem Landesamt (Schreiben vom 21.6.2011) von folgenden zahnärztlichen Behandlungen: 22. März 2008: Notdienstbehandlung, Trepanation und Vitalexstirpation Zahn 16 mit medikamentöser Einlage; 16. Mai 2008: Vorsorgeuntersuchung mit Zahnreinigung; 26. März 2009: Röntgenbild Zahnfilm 15, 16 zur Abklärung unklarer Beschwerden Oberkiefer rechts, Behandlung Gingivitis 15, 16. Ausweislich der von Zahnärztin Dr. K.-S. übersandten Unterlagen wurden im Zeitraum September 2007 bis September 2008 der Zahn 15, die benachbarten Zähne, aber auch andere Zähne mehrfach behandelt.

Eine vom Landesamt eingeholte Stellungnahme des zahnmedizinischen Dienstes der Polizei vom 13. Juni 2012 gelangte aufgrund des übersandten Aktenmaterials sowie einer Untersuchung der Klägerin am 15. Mai 2012 zu folgendem Ergebnis: Aufgrund des Unfallhergangs und der dadurch erlittenen körperlichen Schäden sei das Ausüben einer Parafunktion zum Verarbeiten des erlittenen Traumas durchaus nachvollziehbar. Üblicherweise würden durch den behandelnden Zahnarzt sogenannte okklusal adjustierte Aufbissschienen im Ober- oder Unterkiefer eingegliedert, um die Kiefergelenke samt Kaumuskulatur zu entlasten. Eine Äußerung zu den von der Klägerin geltend gemachten Zahnverletzungen erfolgte nicht. Auf Nachfrage des Landesamts, ob dies sämtliche Dienstunfallfolgen sein könnten, erklärte der zahnmedizinische Dienst in seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2012 nach Einsichtnahme in die Röntgen-Panoramaaufnahme von Dr. L.: Am Zahn 15 sei keine eindeutige Frakturlinie zu erkennen, lediglich ein Füllungsverlust im mesialen Anteil. Weiterhin zeige sich der Verdacht einer Sekundärkaries bis auf Knochenniveau, der mit hoher Wahrscheinlichkeit als sogenannte Sollbruchstelle für den Füllungsverlust durch das erlittene Trauma fungiert habe. Eine wesentliche Ursache zum Dienstunfall und der einhergehenden Nichterhaltungswürdigkeit des Zahnes sei zu verneinen. Die weiterhin dokumentierten Schmelzrisse stünden ebenfalls nicht in einem eindeutigen Zusammenhang mit dem Dienstunfall.

Daraufhin stellte das Landesamt mit Erweiterungsbescheid vom 11. Juli 2012 als weitere Dienstunfallfolgen fest: BWK-12-Fraktur, kurzzeitige Parafunktion (Zähnepressen). Ein Rechtsbehelf wurde gegen den Bescheid nicht eingelegt.

3. Mit Schreiben vom 4. Februar 2013 beantragte die Klägerin die Übernahme von Kosten in Höhe von 3.352,99 EUR gemäß dem Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Dr. L. vom 31. Januar 2013 für ein „Implantat regio 15“ und ein „Bone Level“ sowie für eine vollverblendete okklusal verschraubte Metallkeramikverblendung auf dem Implantat. Daraufhin bat das Landesamt mit Schreiben vom 13. Februar 2013 den Ärztlichen Dienst der Bayerischen Polizei erneut um polizeizahnärztliche Stellungnahme. Der zahnmedizinische Dienst vertrat in seiner Stellungnahme vom 25. April 2013 wiederum die Auffassung, die Nichterhaltungswürdigkeit des Zahns 15 sei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht durch den Dienstunfall verursacht, sondern auf einen degenerativen Vorschaden (großflächig gefüllter Endozahn mit Verdacht auf Sekundärkaries bis auf Knochenniveau) zurückzuführen.

Daraufhin lehnte das Landesamt mit Bescheid vom 5. Juni 2013 den Antrag der Klägerin auf Gewährung beamtenrechtlicher Unfallfürsorge ab. Zur Begründung wurde auf die polizeizahnärztliche Stellungnahme vom 25. April 2013 Bezug genommen. Hiergegen legte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Juni 2013 Widerspruch ein, den sie unter Hinweis auf das Feststellungsgutachten von Dr. C. und die Schwere des Unfalls sowie der dabei erlittenen Verletzungen begründete. Das Landesamt wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. September 2013 zurück. Zur Begründung wurde auf die polizeizahnärztlichen Stellungnahmen vom 3. Juli 2012 und 25. April 2013 verwiesen. Der Widerspruchsbescheid wurde der Klägerin am 5. September 2013 zugestellt.

4. Mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom Montag, den 7. Oktober 2013, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am selben Tag eingegangen, ließ die Klägerin Klage erheben und zunächst beantragen, den Bescheid des Landesamts vom 5. Juni 2013 und den Widerspruchsbescheid vom 2. September 2013 aufzuheben. Zur Klagebegründung wurde auf das Feststellungsgutachten von Dr. C. vom 24. Februar 2011 Bezug genommen, aus dem die Unfallkausalität des Zahnbruchs bei dem Zahn 15 hervorgehe.

Der Beklagte trägt zur Begründung des angekündigten Klageabweisungsantrags vor, es handele sich bezüglich des Unfallhergangs und der behaupteten massiven Krafteinwirkungen auf Kiefer und Zähne um bloße Behauptungen der Klägerin. Auf welche Tatsachen bzw. Untersuchungen sich Dr. C. stütze, sei nicht erkennbar. Dass der Zahnarzt Dr. L. einen Monat nach dem Dienstunfall eine Querfraktur festgestellt habe, beweise nicht zwingend, dass diese dienstunfallbedingt sei. Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem Körperschaden und einem Dienstunfall sei nicht gleichbedeutend mit einem ursächlichen Zusammenhang. Anders als das Gutachten von Dr. C. stützten sich die Stellungnahmen des zahnmedizinischen Dienstes der Polizei auch auf die gesamten zahnärztlichen Aussagen aus der Zeit vor dem Dienstunfall und damit auf eine wesentlich breitere Tatsachenbasis; ihnen komme daher eine höhere Aussagekraft zu.

5. Mit Gerichtsbeschluss vom 4. August 2014 wurde durch Einholung eines zahnärztlichen Sachverständigengutachtens Beweis erhoben zu der Frage, ob bei der Klägerin durch den Dienstunfall vom 13. Dezember 2010 die Fraktur des Zahnes 15 sowie Schmelzrisse und Entblößungen im Zahnhalsbereich hervorgerufen worden sind. Mit der Erstellung des Gutachtens wurde Zahnarzt Dr. H., ..., beauftragt.

Dieser kam in seinem zahnärztlichen Gutachten vom 2. Januar 2015, gestützt auf die Gerichts- und Behördenakten, die Krankenakte der Klägerin aus der Praxis Dr. L. und das Röntgenbild vom 13. Januar 2011, zu folgendem Ergebnis: Sowohl die Fraktur des Zahnes 15 als auch die Schmelzrisse und Schmelzabplatzungen im Zahnhalsbereich der Zähne 14, 13, 21 bis 24, 26, 34 bis 31, 41, 46 und 47 könnten sehr wohl direkte Folge des Autounfalls der Klägerin sein. Ein unkontrolliertes Zubeißen mit hoher Geschwindigkeit könne zu den Schäden an den Zähnen geführt haben, wobei hundertprozentige Sicherheit im Nachhinein nicht erzielt werden könne. Zur Vorschädigung des Zahnes 15 merkte der Gutachter an, dass die Wurzelbehandlung eines Zahnes natürlich eine gravierende Schwächung des Zahnmaterials darstelle. Andererseits sei der Zahn durch die keramische Teilkrone von Frau Dr. K.-S. im Jahr 2007 versorgt worden und somit ausreichend gegenüber normalen Kaukräften geschützt. So versorgt, hätte der Zahn unter physiologischen Bedingungen eine ähnliche Lebenserwartung gehabt wie ein nicht wurzelgefüllter Zahn. Somit sei eine traumatische Genese der Fraktur des Zahnes 15 wahrscheinlich. Bei der Fraktur handele es sich im Übrigen um eine Längs-, nicht um die von Dr. C. befundete Querfraktur. Auch sei auf dem Röntgenbild vom 13. Januar 2011 nicht die im polizeiärztlichen Gutachten vom 3. Juli 2012 festgestellte Zahnhalskaries zu erkennen. Die röntgenologische Aufhellung (= dunkler Fleck im Zahninneren des Zahnes 15) werde als Luftblase im Zement beim Eingliedern der keramischen Teilkrone oder als weniger röntgendichtes Aufbaumaterial des Zahnes vor Überkronung durch Frau Dr. K.-S. gedeutet. Laut Karteikarte der Patientin sei das Röntgenbild nach Entfernung der gebrochenen palatinalen Wand des Zahnes 15 angefertigt worden, so dass auch der fehlende Teil des Zahnes die Aufhellung im Röntgenbild hervorgerufen haben könnte. Absolute Sicherheit über die Ursache der Aufhellung im Zahnhalsbereich des Zahnes 15 lasse sich im Nachhinein nicht mehr erzielen. Sollte es sich um einen Lufteinschluss im Befestigungszement der Keramikkrone handeln, so würde dieser Lufteinschluss jedoch auch einen besonderen Schwachpunkt des Zahnes darstellen, der die Fraktur hätte begünstigen können. Zusammenfassend werde die Wahrscheinlichkeit, dass die Beschwerden an den Zähnen der Klägerin im Wesentlichen durch den Autounfall verursacht wurden, als hoch angesehen.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2015 nahm das Landesamt wie folgt zum Gutachten Stellung: Bezüglich der Fraktur des Zahnes 15 sei der vom Sachverständigen zugrunde gelegte Geschehensablauf (unkontrolliertes Zubeißen mit hoher Geschwindigkeit) nicht durch Tatsachen belegt. Selbst bei Annahme eines solchen Geschehensablaufs erkläre der Sachverständige nicht, dass und warum es dann zwangsläufig zur Fraktur des Zahnes 15 gekommen sei. Nicht recht verständlich sei die Aussage des Sachverständigen, bei der Fraktur des Zahnes 15 handele es sich nicht um eine Querfraktur, sondern um eine Längsfraktur. Entgegen der Meinung des Sachverständigen habe der zahnmedizinische Dienst der Polizei keine Zahnhalskaries festgestellt, sondern lediglich den Verdacht einer Sekundärkaries bis auf Knochenniveau geäußert. Etwaige Unterschiede zwischen Schmelzrissen, Schmelzabplatzungen, Schmelzabsprengungen und Schmelzentblößungen würden nicht erklärt.

Die Klägerbevollmächtigten führten am 13. Februar 2015 aus, aus biomechanischer Sicht sei die kollisionsbedingte Geschwindigkeitsänderung, welche das klägerische Fahrzeug und damit auch die Klägerin durch den Aufprall erfahren habe, zweifellos geeignet, die geltend gemachten Verletzungen herbeizuführen. Es werde angeregt, die Akte des Strafverfahrens beizuziehen. Das Gericht zog daraufhin die Strafverfahrensakte der Staatsanwaltschaft Ingolstadt bei und leitete sie an den Sachverständigen Dr. H. mit der Bitte um weitere gutachterliche Stellungnahme weiter.

6. In seiner weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 25. Mai 2015 führt Dr. H. Folgendes aus: Voraussetzung für die Annahme, dass es während des Verkehrsunfalls der Klägerin zu einem unkontrollierten Zubeißen mit hoher Geschwindigkeit kam, sei die Tatsache, dass sich der menschliche Unterkiefer, solange er nicht zum Kauen benutzt werde, in der sogenannten Ruheschwebe befinde. Komme es nun zu einem unerwarteten, heftigen Schlag in den Rücken eines Menschen, werde zunächst der Kopf nach hinten geschleudert, dem dann der Unterkiefer aufgrund der Trägheit seiner Masse zeitverzögert folge. Komme dann wiederum der Kopf zum plötzlichen Stillstand (hier an der Kopfstütze), träfen die Unterkieferzähne mit großer Geschwindigkeit auf die Oberkieferzähne. Grundsätzlich hätte jeder Zahn durch den oben genannten Mechanismus Schaden nehmen können. Allerdings müsse konstatiert werden, dass Zahn 15 aufgrund seiner Vorbehandlungen die geringsten Widerstandskräfte aufgewiesen habe. Bei der Bezeichnung als Quer- bzw. Längsfraktur handele es sich nur um eine unklare Benennungsfrage. Ebenfalls ein reines Benennungsproblem sei die Diskussion, ob die röntgenologisch sichtbare Aufhellung (= dunkle Stelle im Röntgenbild) im Zahnhalsbereich des Zahnes 15 als Sekundärkaries auf Knochenniveau oder Zahnhalskaries gedeutet werde, zumal die Deutung der Aufhellung auch den Verdacht einer Luftblase im Befestigungszement zuließe. Bei der Auflistung der geschädigten Zähne habe er, der Gutachter, sich an die Krankenakte von Dr. L. gehalten. Bei der Frage, welche Zähne in welchem Ausmaß geschädigt würden, spiele eher der Zufall eine Rolle.

Das Landesamt vertrat unter Berufung auf eine Stellungnahme des Zahnärztlichen Dienstes der Bayerischen Polizei vom 20. August 2015 nach wie vor die Auffassung, dass die Klage unbegründet sei. In der neuerlichen Stellungnahme des Zahnärztlichen Dienstes heißt es: Die dokumentierten Schmelzrisse, Zahnschmelzverluste, „Entblößungen“, Zahnfleischrezessionen an unterschiedlichen Zähnen im rechten und linken Ober- und Unterkiefer seien nicht mit dem Dienstunfalltrauma in Einklang zu bringen. Die hier generalisiert in allen vier Quadranten dokumentierten o.g. Befunde sprächen vielmehr für dienstunfallunabhängige Faktoren (siehe Ätiologie derartiger Defekte) und nicht für ein lokales Trauma an einem Zahnpaar. Der vom gerichtlich bestellten Gutachter postulierten unkontrollierten Zubeißtheorie müsse daher widersprochen werden. Der Röntgenverdacht einer Luftblase im Befestigungszement und die postulierte Zahnkaries bis auf Knochenniveau seien beides als sogenannte Schwachstelle und somit Sollbruchstelle einzustufen. Somit seien die benannten Zahnschäden nicht alleinig dem Dienstunfalltrauma zuzuschreiben.

7. Angesichts der Einwände der Beklagtenseite gegen die weitere gutachterliche Stellungnahme bat das Gericht den Sachverständigen darum, eine ergänzende Stellungnahme abzugeben. Am 30. September 2015 gab Dr. H. folgende weitere gutachterliche Stellungnahme ab: Er habe auf eine persönliche Untersuchung der Klägerin verzichtet, weil der frakturierte Zahn 15 bereits extrahiert worden sei und die Schmelzrisse bzw. -abplatzungen offensichtlich keine Behandlungsnotwendigkeit ausgelöst hätten. Die vor dem Unfall bestandene Interkuspidation spiele keine Rolle für die entstandenen Schäden an den im Gutachten genannten Zähnen. Die Aussage, dass Zahn 15 im Röntgenbild vom 13. Januar 2011 eine Schwachstelle aufgewiesen habe, die den Bruch des Zahnes womöglich begünstigt habe, habe er, Dr. H., bereits in den vorausgehenden Gutachten bestätigt.

8. In der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2015 wurde der gerichtlich bestellte Sachverständige zu seinem Gutachten vom 2. Januar 2015 sowie zu seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 25. Mai 2015 und 30. September 2015 vernommen. Hinsichtlich der Einvernahme des Sachverständigen sowie hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Der Klägerbevollmächtigte beantragt zuletzt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids des Landesamtes für Finanzen vom 5. Juni 2013 und des Widerspruchsbescheids vom 2. Dezember 2013 zu verpflichten, als weitere Folge des Dienstunfalls vom 13. Dezember 2010 die Fraktur des Zahnes 15 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und Behördenakten einschließlich des Auszugs aus der Strafakte der Staatsanwaltschaft Ingolstadt Bezug genommen.

Gründe

1. Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage hat in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 i. V. m. Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) Anspruch auf Feststellung der Fraktur des Zahns 15 als weitere Dienstunfallfolge aus dem Verkehrsunfall vom 13. Dezember 2010, der mit Bescheid vom 17. Januar 2011 als Dienstunfall im Sinn des Art. 45 des Bayerischen Beamtenversorgungsgesetzes (BayBeamtVG) anerkannt worden ist. Der entgegenstehende Bescheid des Landesamts vom 5. Juni 2013 und der Widerspruchbescheid vom 2. Dezember 2013 waren aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und die Klägerin in ihren Rechten verletzen.

a) Die Feststellung der Fraktur des Zahns 15 als weitere Dienstunfallfolge ist nicht wegen des Verlaufs des behördlichen Verfahrens ausgeschlossen; insbesondere steht ihr nicht die Bestandskraft des Erweiterungsbescheids vom 11. Juli 2012 entgegen. Die Klägerin hat mit Schreiben vom 17. Januar 2011 die Erweiterung der festgestellten Dienstunfallfolgen um konkrete „zahnbezogene“ Körperschäden (Bruch eines Backenzahns, Risse an weiteren Zähnen) beantragt und hierzu am 8. April 2011 das von ihr selbst eingeholte „Feststellungsgutachten“ von Dr. C. vorgelegt. Das Landesamt hat nach Einholung verschiedener zahnmedizinischer Stellungnahmen, darunter der Stellungnahmen des zahnmedizinischen Dienstes der Polizei vom 13. Juni 2012 und 3. Juli 2012, mit bestandskräftigem Bescheid vom 11. Juli 2012 eine kurzzeitige Parafunktion (Zähnepressen) als weitere Dienstunfallfolge festgestellt. Auch wenn dieser Bescheid auf den Antrag vom 17. Januar 2011 Bezug nimmt und eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält, ist ihm weder nach seinem Tenor noch in seinen Gründen zu entnehmen, dass der Antrag der Klägerin im Übrigen abgelehnt bzw. dass über den Antrag hinsichtlich der Zahnfraktur überhaupt entschieden worden wäre. Dass sich die Regelungswirkung des bestandskräftigen Bescheids nicht auf den Bruch des streitgegenständlichen Backenzahns erstreckt, hat auch der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestätigt.

Vor diesem Hintergrund war das Landesamt nicht gehindert, anlässlich des Kostenerstattungsantrags der Klägerin vom 4. Februar 2013 betreffend das Implantat für den gebrochenen und anschließend entfernten Zahn 15 in eine (erneute) Sachprüfung einzutreten. Dies ergibt sich auch aus den Formulierungen im Anforderungsschreiben des Landesamts vom 13. Februar 2013. Darin fordert das Landesamt eine polizeizahnärztliche Stellungnahme zu der Frage an, „ob die in den Kostenbelegen aufgeführten und vorgesehenen Leistungen nach Art und Umfang a) zur Heilbehandlung der genannten dienstunfallbedingten Körperschäden oder b) zur Feststellung oder zum Ausschluss evtl. weiterer dienstunfallursächlicher Körperschäden notwendig und angemessen waren“. Außerdem bittet das Landesamt um Prüfung, „ob und ggf. welcher Körperschaden als weitere wesentliche Folge dem Dienstunfall zuzurechnen ist, oder ob dienstunfallunabhängige Faktoren (z. B. degenerative oder traumatische Vorschädigungen) dafür maßgebend sind“. Nach Einholung der weiteren polizeizahnärztlichen Stellungnahme vom 25. April 2013 erging schließlich der streitgegenständliche Ablehnungsbescheid vom 5. Juni 2013, mit dem das Landesamt die Gewährung beamtenrechtlicher Unfallfürsorge abgelehnt hat. In der Begründung für die Ablehnung heißt es unter anderem, dass nach dem polizeizahnärztlichen Gutachten vom 25. April 2013 die Nichterhaltungswürdigkeit des Zahns 15 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht dem Dienstunfalltrauma zuzuordnen sei, sondern einem degenerativen Vorschaden. Hieraus lässt sich, wie auch der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, die konkludente Ablehnung der Fraktur des Zahns 15 als weitere Dienstunfallfolge ableiten.

Angesichts dessen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung beantragt, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide die Fraktur des Zahns 15 als weitere Dienstunfallfolge festzustellen. Die von der Klägerseite ursprünglich begehrte Kostenerstattung für zahnärztliche Leistungen gemäß dem Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Dr. L. vom 31. Januar 2013 ist von dem zuletzt gestellten Klageantrag nicht mehr umfasst. Hierzu hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt, dass die Versorgung der Schaltlücke regio 15 mit dem Einzelzahnimplantat, auf das sich der Heil- und Kostenplan bezog, tatsächlich noch nicht erfolgt ist. Über die Angemessenheit der konkreten Unfallfürsorgekosten gemäß Art. 45 und Art. 50 BayBeamtVG i. V. m. der Bayerischen Heilverfahrensverordnung (BayHeilvfV) wird der Beklagte daher zu gegebener Zeit zu entscheiden haben. Ebenfalls nicht (mehr) vom Klageantrag umfasst sind die neben der Fraktur des Zahns 15 ursprünglich noch thematisierten, vom Beweisbeschluss des Gerichts umfassten Schmelzrisse und Entblößungen im Zahnhalsbereich. Hierzu hat der gerichtlich bestellte Sachverständige in seiner weiteren gutachterlichen Stellungnahme vom 30. September 2015 sowie in der mündlichen Verhandlung (Sitzungsniederschrift Bl. 4) ausgeführt, dass diese Schädigungen offensichtlich nicht so gewichtig waren, als dass sie der Hauszahnarzt der Klägerin als behandlungsbedürftig eingestuft hätte. Es verbleibt nach alledem der Antrag auf Feststellung der Fraktur des Zahns 15 als weitere Dienstunfallfolge aus dem anerkannten Dienstunfall vom 13. Dezember 2010. Diese Feststellung ist der späteren Frage eines konkreten Kostenerstattungsanspruchs notwendig vorgelagert.

b) Der Beklagte ist zur Feststellung der Fraktur des Zahnes 15 als weitere Dienstunfallfolge verpflichtet. Aufgrund des im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachtens von Dr. H. vom 2. Januar 2015, seiner auf die Einwendungen der Beklagtenseite hin ergangenen ergänzenden gutachterlichen Stellungnahmen vom 25. Mai 2015 und 30. September 2015 sowie der Ergebnisse der Sachverständigenvernehmung in der mündlichen Verhandlung am 8. Dezember 2015 steht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts fest, dass der Bruch des Backenzahns ursächlich im Sinn einer wesentlich mitwirkenden Teilursache auf den Verkehrsunfall vom 13. Dezember 2010 zurückzuführen ist und dass ein anlagebedingtes Leiden als alleinige oder weit überwiegende Ursache auszuschließen ist.

aa) Für die begehrte Anerkennung einer weiteren Dienstunfallfolge, die eine kausale Verknüpfung zwischen Unfallereignis und Körperschaden voraussetzt, ist die von der Rechtsprechung entwickelte Theorie der wesentlichen Verursachung bzw. der zumindest wesentlich mitwirkenden Teilursache maßgeblich. Hiernach sind (mit-)ursächlich für einen eingetretenen Körperschaden nur solche Bedingungen im natürlich-logischen Sinn, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (vgl. BVerwG, U. v. 29.1.2009 - 2 A 3.08 - BayVBl 2009, 347). Als wesentliche Ursache kann auch ein Ereignis in Betracht kommen, das ein anlagebedingtes Leiden auslöst oder beschleunigt, wenn ihm im Verhältnis zu den anderen denkbaren Ursachen nach natürlicher Betrachtungsweise eine überragende oder zumindest annähernd gleichwertige Bedeutung für den Eintritt des Schadens zukommt (vgl. BVerwG, B. v. 7.5.1999 - 2 B 117.98 - juris Rn. 4). Umgekehrt ist das Unfallereignis dann nicht wesentliche Ursache für den Körperschaden, wenn das Ereignis von untergeordneter Bedeutung gewissermaßen der „letzte Tropfen“ war, der das „Fass zum Überlaufen“ brachte. Das Unfallereignis tritt dann im Verhältnis zu der schon gegebenen Bedingung (dem vorhandenen Leiden oder der Vorschädigung) derart zurück, dass die bereits gegebene Bedingung als allein maßgeblich anzusehen ist (st. Rspr.; vgl. bereits BVerwG, U. v. 20.4.1967 - II C 118.64 - BVerwGE 26, 332 <339 f.>; vgl. weiter BayVGH, B. v. 4.12.2014 - 14 ZB 12.2449 - juris Rn. 6 m. w. N.).

Nicht ursächlich im Sinn des Gesetzes sind demnach die sogenannten Gelegenheitsursachen, d. h. solche Bedingungen, bei denen zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Dienst eine rein zufällige Beziehung besteht. Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden so leicht ansprechbar waren, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen keiner besonderen, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes, alltäglich vorkommendes Ereignis zum selben Erfolg geführt hätte (vgl. BVerwG, B. v. 8.3.2004 - 2 B54.03 - juris Rn. 7). Der im Dienstunfallrecht maßgebliche Ursachenbegriff soll zu einer dem Schutzbereich der Dienstunfallfürsorge entsprechenden sachgerechten Risikoverteilung führen. Der Dienstherr soll nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit tragen und mit den auf sie zurückzuführenden Unfallursachen belastet werden. Dem Beamten sollen dagegen diejenigen Risiken verbleiben, die sich aus anderen als dienstlichen Gründen, insbesondere aus persönlichen Anlagen, Gesundheitsschäden und Abnutzungserscheinungen ergeben (BVerwG, B. v. 23.10.2013 - 2 B 34.12 - juris Rn. 8).

Alle Tatbestandsvoraussetzungen für eine Dienstunfallanerkennung bzw. die geltend gemachten Unfallfolgen müssen zur Überzeugung der Behörde und des Gerichts vorliegen. Der Beamte trägt das Feststellungsrisiko bzw. die materielle Beweislast, dass die behauptete Schädigungsfolge wesentlich auf den Dienstunfall und nicht etwa auf eine anlagebedingte Konstitution zurückzuführen ist. Ein Anspruch ist nur dann anzuerkennen, wenn der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen dem Unfall und dem Körperschaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist (st. Rspr.; vgl. BVerwG, U. v. 25.2.2010 - 2 C 81.08 - NVwZ 2010, 708; BVerwG, B. v. 4.4.2011 - 2 B 7.10 - juris Rn. 8; BayVGH, B. v. 4.12.2014 - 14 ZB 12.2449 - juris Rn. 7).

bb) Gemessen daran liegen die Voraussetzungen für die Feststellung der begehrten weiteren Folge des Dienstunfalls vom 13. Dezember 2010 vor. Die Kammer schließt sich den nachvollziehbaren, in sich stimmigen und überzeugenden Feststellungen des gerichtlich bestellten Gutachters sowie seinen Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung an, die von der Beklagtenseite nicht substantiiert in Frage gestellt wurden. Durch die im Gerichtsverfahren eingeholten Gutachten sowie die - in Auseinandersetzung mit den schriftsätzlichen Einwendungen der Beklagtenseite ergangenen - weiteren gutachterlichen Stellungnahmen werden die Ergebnisse des von der Klägerin selbst vorgelegten Feststellungsgutachtens von Dr. C. vom 24. Februar 2011 bestätigt. In seinem zahnärztlichen Gutachten vom 2. Januar 2015 stützte sich Dr. H. neben den gerichtlich übersandten Akten zudem auf die Krankenakte der Klägerin aus der Praxis ihres Hauszahnarztes Dr. L. sowie auf dessen - einen Monat nach dem Unfall gefertigtes - Röntgenbild vom 13. Januar 2011. Für seine ergänzenden Stellungnahmen lagen ihm überdies die Akten der Staatsanwaltschaft Ingolstadt vor. Anlass für Zweifel an der Sachkunde und Unparteilichkeit des Gutachters besteht nicht. Dem ursprünglichen Einwand der Beklagtenseite bezüglich der unterbliebenen persönlichen Untersuchung der Klägerin hat der Gutachter entgegen gehalten, dass eine solche wegen der bereits zuvor durchgeführten Extraktion des frakturierten Zahnes 15 entbehrlich bzw. nicht zielführend war. In der Gesamtschau der zahnmedizinischen Gutachten, der vom Beklagten ermittelten Vorbefunde und den Erläuterungen in der mündlichen Verhandlung ergibt sich für das Gericht folgendes Bild:

(1) Die Fraktur des Zahns 15 ist auf den Verkehrsunfall vom 13. Dezember 2010 als wesentlich mitwirkende Teilursache zurückzuführen. Wie der Gutachter ausgeführt hat (Gutachten vom 2.1.2015; Sitzungsniederschrift Bl. 3), hat die Klägerin bei dem Auffahrunfall ein massives Schleudertrauma erlitten. Diesbezügliche Schäden (Commotio cerebri, Halswirbelsäulen-Distorsion) hat das Landesamt - neben zahlreichen weiteren Körperschäden - mit bestandskräftigem Bescheid vom 17. Januar 2011 als Dienstunfallfolgen festgestellt. Weiter geht der Gutachter von der Annahme aus, dass es während des Verkehrsunfalls der Klägerin zu einem unkontrollierten Zubeißen, also einem sehr heftigen Aufeinanderschlagen der Zähne mit hoher Geschwindigkeit kam, was zum Bruch des Backenzahns geführt hat. Hintergrund ist nach den Darlegungen des Sachverständigen der Umstand, dass Ober- und Unterkiefer im Ruhezustand nicht fixiert sind, sondern sich in der sogenannten Ruheschwebe befinden. Kommt es zu einem unerwarteten, heftigen Schlag in den Rücken eines Menschen bzw. - wie hier - zu einem Aufprall eines Kraftfahrzeugs mit erheblicher Geschwindigkeit, treffen die Unterkieferzähne mit hoher Wucht auf die Oberkieferzähne (Weitere gutachterliche Stellungnahme vom 25.5.2015; Sitzungsniederschrift Bl. 3). Hieraus schließt der Sachverständige, dass die Fraktur des Zahns 15 mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den Verkehrsunfall zurückzuführen ist (Gutachten vom 2.1.2015; Sitzungsniederschrift Bl. 3).

(2) Dieser für das Gericht plausiblen und nachvollziehbaren Einschätzung ist die Beklagtenseite nicht substantiiert entgegengetreten. Soweit der Vertreter des Beklagten einwendet, dass der Gutachter von nicht durch Tatsachen belegten Geschehensabläufen ausgehe (Schreiben vom 19.1.2015; Äußerung in der mündlichen Verhandlung), ist dem entgegenzuhalten, dass die Annahmen des Gutachters unter anderem auf der vom Gericht beigezogenen Strafakte der Staatsanwaltschaft Ingolstadt beruhen. Darin heißt es bei der Ermittlung des Unfallgeschehens, die Insassen des Pkws der Klägerin seien durch die Wucht des Heckanstoßes des Kleintransporters Mercedes mit der Fahrerseite nach rechts gegen den Unterfahrschutz des Lkw-Anhängers geschleudert worden, wobei die Klägerin eingeklemmt worden sei (Behördenakte - BA - III Bl. 4). Die Auswertung des digitalen Kontrollgeräts des Unfallverursachers hat ergeben, dass dieser unmittelbar vor dem Unfall mit einer Geschwindigkeit von 126 km/h unterwegs war (BA III Bl. 21). Bei welcher Geschwindigkeit der Anstoß mit dem Pkw der Klägerin erfolgte, konnte aus dem Geschwindigkeitsaufschrieb des Kontrollgeräts nicht zweifelsfrei ausgelesen werden. Die Klägerin selbst hat in ihrer Zeugenvernehmung angegeben, sie habe nach einem Blick in den Rückspiegel zu ihrem Mann gesagt, dass ihnen gleich jemand ins Auto fahren würde (BA III Bl. 9, ebenso die Zeugenaussage des Ehemanns Bl. 13). Dem Gutachten lag also durchaus ein aufgeklärter, durch Tatsachen unterfütterter Geschehensablauf zugrunde, aus dem sich ergibt, dass bei dem Unfall sehr große Kräfte gewirkt haben. Dies wird nicht zuletzt durch die sonstigen erheblichen Körperschäden der Klägerin, insbesondere die Verletzungen an ihrer rechten Körperhälfte belegt, die ihren 10-tägigen stationären Klinikaufenthalt erforderlich gemacht haben. Diese weiteren Verletzungen sind vom Beklagten anstandslos als Dienstunfallfolgen anerkannt worden (Sternumfraktur, Schulterprellung rechts, Fraktur mehrerer Brustwirbelkörper, Radiusfraktur rechts). Warum gerade die Fraktur des Zahns 15 nicht dienstunfallbedingt sein soll, erschließt sich vor dem Hintergrund dieser erheblichen Verletzungen der Klägerin nicht.

(3) An der Bejahung der Kausalität vermag die Vorschädigung des - wurzelbehandelten - Zahns 15 nichts zu ändern. Hierzu hat der gerichtlich bestellte Sachverständige ausgeführt, dass die Wurzelbehandlung eines Zahns natürlich eine gravierende Schwächung des Zahnmaterials darstelle, die ihn anfälliger für Frakturen mache als ein gesunder Zahn. Der Zahn 15 sei insoweit die schwächste Stelle im Zahnbereich der Klägerin gewesen. Andererseits sei der Zahn angesichts seiner Versorgung mit einer keramischen Teilkrone ausreichend gegenüber normalen Kaukräften geschützt und hätte mit dieser Versorgung unter physiologischen Bedingungen eine ähnliche Lebenserwartung gehabt wie ein nicht wurzelgefüllter Zahn (Gutachten vom 2.1.2015; Sitzungsniederschrift Bl. 4). Wie oben dargestellt besteht die Risikoverteilung im Dienstunfallrecht darin, dass der Beamte seine persönlichen Risiken, der Dienstherr hingegen die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit zu tragen hat. Unter Zugrundelegung dieser Risikoverteilung ist der Bruch des Backenzahns nicht maßgeblich auf seine Vorschädigung, sondern auf den Dienstunfall zurückzuführen. Allein der Umstand, dass der streitgegenständliche Zahn das „schwächste Glied in der Kette“ war, schließt die Feststellung seines Bruchs als Dienstunfallfolge nicht von vornherein aus. Vielmehr war der Zahn 15, wie der Gutachter in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich bestätigt hat (Sitzungsniederschrift Bl. 4), zuvor sachgerecht versorgt und damit gegen normale, herkömmliche Einflüsse ebenso geschützt und belastbar wie ein intakter Zahn. Dass er sich gegen eine außergewöhnliche Einwirkung, wie sie der schwere Auffahrunfall darstellt, als nicht stabil erwiesen hat, liegt im Verantwortungsbereich des Dienstherrn und nicht des Beamten.

(4) Auch die sonstigen Einwände der Beklagtenseite, insbesondere die Stellungnahmen des zahnmedizinischen Dienstes der Polizei, dessen Vertreter in der mündlichen Verhandlung beigezogen wurde, führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Soweit schriftsätzlich begriffliche Abgrenzungsschwierigkeiten zwischen Quer- und Längsfraktur, zwischen Zahnhalskaries und Sekundärkaries auf Knochenniveau sowie zwischen verschiedenen Formen der Schmelzschädigungen an den Zähnen diskutiert wurden, haben sich diese Benennungsprobleme in der mündlichen Verhandlung als nicht ausschlaggebend für die Kausalitätsfrage erwiesen. Die Ursache für die röntgenologisch sichtbare Aufhellung, d. h. für den dunklen Fleck, ließ sich auch bei der Betrachtung der - nach allseitiger Meinung nicht sonderlich aussagekräftigen - Röntgen-Panoramaaufnahme in der mündlichen Verhandlung nicht eindeutig klären. Zum Vortrag der Beklagtenseite, es könne sich hierbei um Kariesvorschädigungen handeln, hat der gerichtlich bestellte Sachverständige angemerkt, dies erscheine ihm von der Form her unwahrscheinlich. Dieser Einschätzung ist die Beklagtenseite nicht entgegengetreten. Gleiches gilt für die Vermutungen, bei der Aufhellung könnte es sich um eine Luftblase im Zement oder ein weniger röntgendichtes Aufbaumaterial des Zahns handeln. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, könnte auch - bei Fertigung des Röntgenbilds nach der Entfernung der gebrochenen palatinalen Wand des Zahns 15 - der fehlende Zahnteil die Aufhellung hervorgerufen haben (Gutachten vom 2.1.2015). In der mündlichen Verhandlung hat der Sachverständige mitgeteilt, er habe trotz Rückfrage bei Dr. L. nicht klären können, nach welchem Behandlungsschritt am 13. Januar 2011 die Röntgenaufnahme genau gefertigt wurde (Sitzungsniederschrift Bl. 4). Die Krankenakte der Patientin (Gerichtsakte Bl. 133) und das Schreiben von Dr. L. an das Landesamt vom 7. April 2011 legen jedenfalls eine „stückweise“ Behandlung nahe.

Im Übrigen hat der Beklagte, wie sich aus der Kostenerstattungsakte ergibt, die Aufwendungen für die notwendig gewordene Entfernung des Zahns 15 im Rahmen der Unfallfürsorge endgültig erstattet (Bescheid vom 18.7.2012, BA II Bl. 141 f.). Damit hat er letztlich selbst zum Ausdruck gebracht, dass er von der Kausalität zwischen dem Dienstunfall und der Fraktur des Zahns 15 ausgeht.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1 VwGO, wonach der Beklagte als unterlegener Beteiligter die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11 der Zivilprozessordnung (ZPO).

3. Gründe für eine Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht nach § 124 Abs. 1, § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 VwGO liegen nicht vor.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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published on 04/12/2014 00:00

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 29.000 Euro festgesetzt. G
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.