Tenor
1. Der Bescheid der Beklagten vom 27.10.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landratsamtes Bayreuth vom 28.10.2015 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch die Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um einen Herstellungsbeitrag für die Entwässerungseinrichtung der Beklagten.
Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks FlNr. …, Gemarkung L …. Für das damals noch unbebaute Grundstück hatte die Beklagte bereits mit Bescheid vom 27.05.1994 einen Herstellungsbeitrag für die Entwässerungsanlage in Höhe von 6.611,45 DM erhoben.
Mit Bescheid vom 27.10.2014 setzte die Beklagte für das Grundstück der Kläger einen Herstellungsbeitrag für die Entwässerungseinrichtung in Höhe von 3.175,80 EUR fest. Gegen diesen Bescheid erhoben die Kläger am 29.10.2014 Widerspruch und trugen im Wesentlichen vor, dass sie bereits im Jahr 1994 zu einem Herstellungsbeitrag herangezogen worden seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2015 wies das Landratsamt Bayreuth den Widerspruch zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte im Laufe der Jahre eine neue Einrichtung geschaffen habe, die mit der früheren Entwässerungseinrichtung nichts mehr zu tun habe. Es liege eine so grundlegende Umgestaltung der Entwässerungsanlage vor, dass von einer Neuherstellung auszugehen sei. Für diese Einrichtung könne die Beklagte Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme besondere Vorteile biete. Die Satzung der Beklagten vom 30.09.1994 sei wegen unzulässiger Regelungen als nichtig angesehen worden. Deshalb habe die Beklagte mit der BGS-EWS vom 27.07.2011 neues gültiges Satzungsrecht geschaffen. Die Beitragsschuld sei daher mit Inkrafttreten der neuen Satzung am 01.10.2011 entstanden. Die Neuveranlagung des Grundstücks sei zu Recht erfolgt. Der Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung stehe nicht entgegen, da der Beitrag für eine neue Entwässerungsanlage erhoben worden sei.
Mit dem am 27.11.2015 eingegangenen Schriftsatz vom 25.11.2015 hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und beantragt,
den Herstellungsbeitragsbescheid der Beklagten vom 27.10.2014 und den Widerspruchsbescheid des Landratsamts Bayreuth vom 28.10.2015 aufzuheben.
Mit Schriftsatz vom 22.02.2016 wird zur Klagebegründung ausgeführt, die Beklagte habe den Entschluss, eine Entwässerungsanlage für alle Ortsteile neu herzustellen auf der Grundlage des Berichts des Ingenieurbüros vom 02.07.1991 gefasst. Es sei für die Beklagte ab diesem Zeitpunkt absehbar gewesen, dass eine Entwässerungsanlage neu hergestellt werden müsse. Für das Anwesen der Kläger sei jedoch mit Bescheid vom 27.05.1994 auf der Grundlage der alten Satzung ein Herstellungsbeitrag erhoben worden. Die Entwässerungssatzung für die neu hergestellte einheitliche Entwässerungsanlage stamme vom 30.09.1994. Zwischen der Erhebung von Herstellungsbeiträgen nach der alten Satzung und dem Satzungserlass für die neue Entwässerungsanlage seien gerade einmal vier Monate gelegen. Unter diesen Umständen bestünden Bedenken, die Neuanschließer zur Altanlage zum vollen Herstellungsbeitrag zu veranlagen. Es wäre hier zu prüfen gewesen, ob nicht eine abweichende Festsetzung der Beiträge unter Billigkeitsgesichtspunkten vorzunehmen gewesen wäre.
Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat mit Schriftsatz vom 17.12.2015 beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat mit Schriftsatz vom 10.05.2016 zur Klageerwiderung ausgeführt, das Grundstück der Kläger liege im Geltungsbereich des rechtsverbindlichen Bebauungsplans „L … Ost.“ Die Beklagte betreibe eine Entwässerungseinrichtung als öffentliche Einrichtung für das Gebiet der Stadtteile A …, B …, C …, G …, K …, Le …, L …, Ne …, N …, O …, S … und Se … auf der Grundlage der Entwässerungssatzung (EWS) der Beklagten vom 30.09.1994, zuletzt geändert durch die sechste Änderung vom 10.08.2011.
Der angefochtene Herstellungsbeitragsbescheid vom 27.10.2014 sei rechtmäßig. L … sei ehemals eine selbständige Gemeinde gewesen, die mit Wirkung vom 01.05.1978 in die Stadt C … eingemeindet worden sei. Der Bau einer Kläranlage und des Hauptsammlers in L … seien noch zu Zeiten der ehemals selbständigen Gemeinde L … erfolgt. In der Stadt C … sei von Beginn an die öffentliche Entwässerungseinrichtung als eine Einrichtung rechtlich geführt worden. Im Zeitverlauf hätten sich erhebliche Veränderungen der Anlage, aber auch räumliche Erweiterungen der Entwässerungseinrichtung ergeben. Mit der Neuherstellung der Entwässerungseinrichtung seien auch Herstellungsbeiträge neu entstanden. Parallel zur Neuherstellung habe die Beklagte auch das Satzungsrecht entsprechend entwickelt. Die BGS-EWS 1985 und die BGS-EWS 1994 seien in ihrem Beitragsteil nichtig. Die Beklagte habe deshalb erst mit der BGS-EWS 2011, in Kraft getreten zum 01.10.2011, wirksames Satzungsrecht geschaffen. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Veranlagung der Kläger erfolgt. Entgegen der Auffassung der Kläger sei eine Anrechnung von Altbeiträgen nicht veranlasst. Die Erstveranlagung sei 1994 zur alten Entwässerungseinrichtung erfolgt. Zwischen dieser Veranlagung und der streitgegenständlichen lägen gut 20 Jahre. Es liege kein Fall vor, bei dem zunächst für eine bestehende Altanlage Herstellungsbeiträge veranlagt worden seien und dann zeitnah aufgrund nachmaliger Neuherstellung neue Herstellungsbeiträge verlangt worden seien. Die Übergangsregelung, die die Beklagte zur Vermeidung von unbilligen Härten getroffen habe, wonach Altbeiträge anteilig auf einen neuen Herstellungsbeitrag angerechnet wurden (bis zehn Jahre zurück) sei für sich genommen sachgerecht und zum angemessenen Interessenausgleich tauglich. Sie finde aber auf den vorliegenden Fall keine Anwendung.
Am 09.11.2016 fand eine mündliche Verhandlung statt, in deren Folge sich die Beteiligten (vergeblich) um eine gütliche Einigung bemühten.
Mit Schriftsätzen vom 16.03. und 18.04.2017 führte die Beklagtenseite ergänzend aus, die Kläranlage L … sei 1975/76 von der damals noch selbständigen Gemeinde gebaut worden. Die Eingemeindung sei 1978 erfolgt. Das Leitungsnetz sei nicht vollständig ausgebaut gewesen und habe im Wesentlichen aus älteren Oberflächenkanälen bestanden. Die Kläranlage sei sanierungsbedürftig gewesen. Im Zuge der Neuherstellung der Entwässerungseinrichtung seien in L … nach und nach mehrere Schritte erfolgt: Kanalbauarbeiten im Abschnitt Sportplatz 1988, Erneuerung der Ortskanäle 1992, Regenüberlaufbecken L … 1992. Welche Maßnahmen bezüglich der Kläranlage L … ergriffen würden, sei noch offen. Es stünden drei Varianten in der Diskussion: Ertüchtigung, Neubau oder Ableitung des Abwassers nach C … oder P …. Die wasserrechtliche Erlaubnis für die vorhandene Anlage gelte noch bis 2020.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger wies darauf hin, dass bezogen auf den Ortsteil L … die Entwässerungseinrichtung somit noch nicht fertiggestellt sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Gründe
1. Die Klage ist zulässig und begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 27.10.2014 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamtes Bayreuth vom 28.10.2015 sind gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben, weil sie rechtswidrig sind und die Kläger in ihren Rechten verletzen.
Gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG können die Gemeinden zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für die Herstellung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Hierzu zählen auch die öffentlich betriebenen Entwässerungsanlagen. Die Entstehung von Herstellungsbeiträgen nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG setzt voraus, dass das herangezogenen Grundstück durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung erschlossen wird und eine gültige Abgabesatzung vorhanden ist (BayVGH, U. v. 18.01.2005 – 23 B 04.2222 – BeckRS 2005, 39594; st. Rspr.).
Zwar verfügt die Beklagte über eine gültige Abgabesatzung (a.), für das Grundstück der Kläger ist eine Beitragspflicht aber noch nicht entstanden (b.).
a. Die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung der Beklagten vom 27.07.2011 (BGS-EWS 2011) ist eine wirksame Rechtsgrundlage für die Erhebung von Herstellungsbeiträgen für das klägerische Grundstück. Gründe, die gegen die Wirksamkeit der Satzung sprechen, wurden nicht vorgetragen und sind nicht ersichtlich.
b. Nach § 3 Abs. 1 i. V. m. § 2 BGS/EWS 2011 entsteht die Beitragsschuld, sobald ein Grundstück an die Entwässerungseinrichtung angeschlossen ist oder angeschlossen werden kann. Für die Entstehung der Beitragspflicht im Fall einer (nochmaligen) Neuherstellung der Entwässerungseinrichtung kommt es darauf an, wann für das einzelne Grundstück die (neue) betriebsbereite Einrichtung so zur Verfügung steht, dass es anschließbar ist und alle Teile fertiggestellt sind, die erforderlich sind, um eine unschädliche Beseitigung der Abwässer zu gewährleisten (BayVGH, B. v. 09.03.2017 – 20 ZB 15.1709, juris Rn. 23).
Eine Neuherstellung einer Entwässerungseinrichtung liegt vor, wenn die vorhandene Einrichtung grundlegend umgestaltet bzw. erneuert wird, so dass sie nach der Verkehrsauffassung nunmehr als eine andere bzw. Neueinrichtung anzusehen ist. Insbesondere trifft dies bei einer technischen Neuherstellung aufgrund von so umfänglichen Baumaßnahmen zu, so dass die alte Einrichtung in den Hintergrund tritt (Wuttig/Thimet, Gemeindliches Satzungs- und Unternehmensrecht, Stand Nov. 2016, Teil IV, Frage 19, Ziff. 3.).
Wie das Gericht schon in einem Urteil vom 08.02.2000 (B 4 K 99.119), betreffend eine Vorauszahlung auf einen Herstellungsbeitrag für ein Grundstück in der Stadt C …, entschieden hat, liegt aufgrund einer umfassenden Neugestaltung der Entwässerungseinrichtung der Beklagten eine Neuherstellung vor. Die Beklagte, die die öffentliche Entwässerungseinrichtung rechtlich als eine Einrichtung betreibt, verfügte nicht über eine Abwasserentsorgung, die eine geordnete und zeitgemäße Abwasserbeseitigung in allen Ortsteilen ermöglichte. Aus der „Bestandsaufnahme – Erläuterung – Berechnung – Wertung“ des Ingenieurbüros … und Partner vom 02.07.1991 (Anlage 4, Bl. 67 ff. Gerichtsakte) geht hervor, dass mit Ausnahme der Stadtteile C …, L … und H … die Abwasserbeseitigung im Wesentlichen auf den Grundstücken selbst durch Gruben bzw. Kleinkläranlagen von statten ging. Die Kläranlage der Stadt C … war erheblich überlastet. Im Ortsteil L … war das Leitungsnetz nicht vollständig ausgebaut. Ein Regenüberlaufbecken sollte als Mischwasserentlastungsanlage neu gebaut werden. Die bestehende Kläranlage sollte wegen der fehlenden Anforderungen an die Abwassertechnik aufgelassen und eine neue errichtet werden. In den Ortsteilen Se … und T … wurde das Schmutzwasser auf den Grundstücken dezentral behandelt; die Oberflächenwassernetze waren bezüglich des Gemeindeteils L … nur teilweise ausgebaut. Der Anteil der bestehenden Anlage an der neuen Anlage wurde als weit unter 10% liegend bezeichnet (vgl. Bericht des Ingenieurbüros … vom 02.07.1991, Seite 9).
Nach dem Sachvortrag der Beklagtenseite wurden im Ortsteil L …, wo das Grundstück der Kläger gelegen ist, in den Jahren 1987 bis 1992 verschiedene Baumaßnahmen durchgeführt (BA 10: RÜB L …, Pumpwerk mit Zulauf, Ergänzungen an der Kläranlage; BA 11: Ortskanäle L …; Anlage B 9, Bl. 101 Gerichtsakte), eine Neuerrichtung oder zeitgemäße Ertüchtigung der Kläranlage L … bzw. ein Anschluss an eine benachbarte Kläranlage ist bislang weder erfolgt, noch wurde über eine dieser Varianten ein Beschluss gefasst.
Das auf dem Grundstück der Kläger anfallende Abwasser wird somit zwar in die Ortskanäle eingeleitet, die bereits der neuen Einrichtung zuzuordnen sind, es wird jedoch der alten Kläranlage zugeführt, für die noch eine wasserrechtliche Erlaubnis bis 2020 besteht. Von einer betriebsfertigen neuen Einrichtung, für die ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragserhebung ein nochmaliger Herstellungsbeitrag verlangt werden kann, kann aber nicht ausgegangen werden, solange nicht auch die Kläranlagensituation dem aktuellen Stand der Abwassertechnik entsprechend hergestellt ist.
Da folglich der Beitragstatbestand nicht erfüllt ist, war die Beitragserhebung rechtswidrig. Die angefochtenen Bescheide waren aufzuheben.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1VwGO, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11 ZPO.