Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 12. März 2014 - 4 K 12.870

published on 12/03/2014 00:00
Verwaltungsgericht Bayreuth Urteil, 12. März 2014 - 4 K 12.870
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht

There are no judges assigned to this case currently.
addJudgesHint

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 9. Oktober 2012 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

3. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch den Kläger durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen den Ausweisungsbescheid des Beklagten.

Der am ... geborene Kläger ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste erstmals am 16.11.1988 unter anderen Personalien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach dem erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens reiste er Anfang 1992 freiwillig aus.

Am 02.09.1992 heiratete der Kläger in Marokko die deutsche Staatsangehörige Z. B. und reiste mit einem Visum der Deutschen Botschaft in Rabat im März 1993 wieder nach Deutschland ein. Ab dem 22.03.1993 arbeitete der Kläger in der Porzellanfabrik ... Er erhielt immer wieder befristete Aufenthaltserlaubnisse. Mit Bescheid vom 29.05.2000 lehnte das Landratsamt B. den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und wies den Kläger zugleich aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung vom 07.04.1997 wegen Handelns mit Betäubungsmitteln aus der Bundesrepublik Deutschland aus. In dem folgenden Klageverfahren verpflichtete das Verwaltungsgericht Bayreuth den Beklagten mit Urteil vom 26.11.2001 (Az. B 3 K 00.685, B 3 K 01.125), dem Kläger eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Aus den Gründen geht hervor, dass der Kläger seit November 1997 einen Anspruch auf eine eheunabhängige Aufenthaltserlaubnis hatte und der Ausweisungsgrund wegen einer nach der Verurteilung erfolgten Erteilung einer befristeten Aufenthaltserlaubnis verbraucht sei.

Die erste Ehe des Klägers wurde am 24.08.2004 rechtskräftig geschieden. Am 25.08.2004 schloss der Kläger in Marokko die Ehe mit seiner jetzigen Ehefrau, einer marokkanischen Staatsangehörigen. Diese reiste am 23.08.2007 mit einem Visum nach Deutschland ein. Am 04.07.2008 wurde die Tochter des Klägers geboren, am 19.07.2010 der Sohn. Beide Kinder haben durch Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.

Am 04.07.2011 wurde der Kläger in Untersuchungshaft genommen und vom Landgericht Bayreuth wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in 80 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten rechtskräftig verurteilt.

Der Kläger ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:

1. Mit Urteil des Amtsgerichts Weiden vom 07.04.1997 wurde der Kläger wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 26 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

2. Mit Urteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 30.05.1997 wurde der Kläger wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs, rechtlich zusammentreffend mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 55 Tagessätzen zu je 60,00 DM und einer Fahrerlaubnissperre verurteilt. Die beiden vorgenannten Verurteilungen wurden mit Entscheidung des Amtsgerichts Weiden vom 18.11.1997 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten auf Bewährung zusammengefasst.

3. Mit Urteil des Amtsgerichts Bayreuth vom 28.10.2004 wurde der Kläger wegen Betrugs zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu je 20,00 EUR verurteilt.

4. Mit Urteil des Landgerichts Bayreuth vom 06.02.2012 wurde der Kläger wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in 80 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Kläger spätestens seit Anfang 2009 bis zum 06.04.2011 an seinem Arbeitsplatz bei der Porzellanfirma mehrere tausend Porzellanartikel im Wert von mindestens 100.000,00 EUR entwendet und mit Hilfe seiner Ehefrau über X verkauft hatte.

Mit Schreiben vom 03.05.2012 hörte der Beklagte den Kläger zur beabsichtigten Ausweisung an. Der Bevollmächtigte des Klägers wies mit Schreiben vom 01.06.2012 darauf hin, dass der Kläger besonderen Ausweisungsschutz genieße, dass seine Kinder die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen und durch eine Ausweisung des Vaters von diesem getrennt würden oder mit ihm nach Marokko ausreisen müssten. Beides sei für die Kinder nicht zumutbar. Die JVA B. nahm mit Schreiben vom 21.06.2012 zum Verhalten des Klägers während der Haft Stellung. Daraus geht hervor, dass der Kläger von seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern sowie von anderen Familienangehörigen regelmäßig besucht werde. Er und seine Ehefrau nähmen an einem Eheseminar teil.

Mit Bescheid vom 09.10.2012 wies der Beklagte den Kläger für die Dauer von drei Jahren aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Nr. 1) und drohte ihm die Abschiebung aus der Haft heraus nach Marokko an (Nr. 2). Für den Fall, dass sich der Kläger bei Eintritt der Vollziehbarkeit des Bescheides auf freiem Fuß befinde, werde er aufgefordert, innerhalb eines Monats aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen (Nr. 3). Für den Fall, dass er dem nicht nachkomme, werde ihm die Abschiebung nach Marokko angedroht (Nr. 4). Zur Begründung wird ausgeführt, der Kläger erfülle wegen seiner rechtskräftigen Verurteilung den Regelausweisungstatbestand des § 54 Abs. 1 AufenthG. Wegen des besonderen Ausweisungsschutzes nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG könne er nur aus besonders schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgewiesen werden. Diese Voraussetzung liege angesichts der von dem Kläger begangenen Straftat vor. Auch die übrigen rechtskräftigen Verurteilungen zeigten, dass es dem Kläger darauf ankomme, durch unerlaubte Handlungen ein höheres Einkommen zu erzielen. Eine Wiederholungsgefahr sei gegeben. Nach der Haftentlassung müsse der Kläger damit rechnen, dass es aussichtslos sei, einen Arbeitsplatz zu finden, an dem er wieder ein ähnlich hohes Einkommen erzielen könne wie bisher. Als ungelernter Arbeiter müsste er sich mit einer niedrigen Entlohnung abfinden, die seinen und den hohen Ansprüchen seiner Ehefrau nicht genügen werde. Die Ausweisung des Klägers sei letztlich auch unter dem Gesichtspunkt der Abschreckung ausnahmsweise erforderlich. Seine Straftaten hätten in der Öffentlichkeit, insbesondere an seinem Wohnort und in der weiteren Umgebung zu erheblichem Aufsehen geführt. Es müsse auch anderen ausländischen Arbeitnehmern vor Augen geführt werden, dass ein solches schädigendes Verhalten ausländerrechtliche Konsequenzen nach sich ziehe. Das persönliche Interesse des Klägers auf das weitere Zusammenleben mit seiner Ehefrau und den beiden Kindern sowie in Bezug auf sein berufliches und wirtschaftliches Interesse werde hoch bewertet. Der Kläger habe jedoch regen Kontakt zu seiner Herkunftsfamilie in Marokko und beherrsche nach wie vor seine Muttersprache. Sowohl der Ehefrau als auch den beiden Kindern könne eine Rückkehr nach Marokko zugemutet werden. Die Ausweisung sei befristet und somit auch verhältnismäßig.

Mit Telefax vom 31.10.2012 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers Klage zum Bayer. Verwaltungsgericht Bayreuth erhoben und beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 09.10.2012 aufzuheben.

Zur Klagebegründung wurde mit Schriftsatz vom 17.12.2012 ausgeführt, der Kläger sei zwischenzeitlich aus der Strafhaft entlassen worden. Der Strafrest sei mit Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 10.10.2012 zur Bewährung ausgesetzt worden. Die früheren strafrechtlichen Verfehlungen mit Ausnahme der Verurteilung vom 06.02.2010 könnten nicht mehr als Grundlage für eine Ausweisung dienen, da sie verbraucht seien. Der Beklagte gehe zu Unrecht von einer Gesamtschadenssumme von rund 400.000,00 EUR aus. Der Entwendungsschaden sei vom Landgericht auf mindestens 100.000,00 EUR beziffert worden. Der Erlös der X-Verkäufe sei im Strafprozess mit rund 60.000,00 EUR angegeben worden. Zugunsten des Klägers müsse auch berücksichtigt werden, dass er durch die Rückgabe des noch sichergestellten Diebesgutes zu einer erheblichen Reduzierung des Schadens beigetragen habe. Das Landgericht habe dies als erheblichen Strafmilderungsgrund gewertet, da es zu einer umfassenden Schadenswiedergutmachung gekommen sei. Es beruhe auf Spekulation, dass der Kläger und seine Ehefrau ohne die polizeiliche Entdeckung weiterhin Diebesgut aus der Fabrik geschafft und im Internet verkauft hätten. Das Nachtatverhalten des Klägers, sein Geständnis, der anschließende Strafvollzug, die Unrechtseinsicht und die Reue des Klägers seien für den Beklagten nicht von Interesse gewesen. Die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung sei nicht berücksichtigt. Die Ausführungen zur Annahme der Wiederholungsgefahr seien unvollständig und widersprüchlich. Es genüge nicht die Gefahr neuer Verfehlungen, vielmehr müsse in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ernsthaft drohen. Es gebe keine belegbaren Tatsachen, dass der Kläger bei einem Arbeitgeber jemals wieder einen derartigen Schaden anrichten würde. Die vorgebrachten generalpräventiven Erwägungen rechtfertigten eine Ausweisung des Klägers nicht. Auch die Ermessensentscheidung des Beklagten sei rechtsfehlerhaft. Die beiden Kinder des Klägers hätten ihre ausschließliche Prägung und Sozialisierung im deutschen Lebensbereich erfahren. Sie hätten keinerlei Bezug zu Marokko und sprächen auch nicht die dortige Sprache. In Marokko hätten der Kläger und seine Familie weder eine Wohnung noch eine sonstige Unterkunft. Der Kläger sei aufgrund seines langjährigen Aufenthalts als faktischer Inländer zu betrachten. Er halte sich seit über 20 Jahren im Bundesgebiet auf und sei hier sozialisiert und integriert. Er spreche gut deutsch und sei in seinem Herkunftsstaat mit den Lebens- und Arbeitsverhältnissen nicht mehr vertraut. Der Kläger genieße bei seinen ehemaligen Arbeitskollegen trotz seines Fehlverhaltens einen sehr guten Ruf. Dies werde durch zwei Unterschriftslisten seiner ehemaligen Arbeitskollegen bestätigt. Dass die Kinder des Klägers auch die marokkanische Staatsangehörigkeit besäßen, schränke ihre Rechte als deutsche Staatsangehörige nicht ein. Der Kläger könne auch nicht für die Insolvenz der ... AG verantwortlich gemacht werden. Der Zusammenbruch der Firma sei auf andere gravierende wirtschaftliche Schwierigkeiten zurückzuführen.

Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 28.02.2013 beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte sieht nach wie vor eine Wiederholungsgefahr darin, dass der Kläger künftig zu einem wesentlich geringeren Stundenlohn werde arbeiten müssen, als er ihn bei seinem früheren Arbeitgeber erhalten habe. Die Arbeits- und Lebenssituation des Kläger und seiner Familie sei vollständig erfasst und berücksichtigt worden. Die gute Integration der Kinder in die deutschen Lebensverhältnisse mache eine Eingliederung der Kinder in Marokko in ihrem gegenwärtigen Lebensalter nicht unmöglich.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers führte mit Schriftsatz vom 03.04.2013 ergänzend aus, die für eine Ausweisung verbrauchten Straftaten des Klägers in der Vergangenheit könnten auch nicht bei der Beurteilung der Wiederholungsgefahr herangezogen werden. Dem Kläger sei insbesondere durch die erlittene Haft das Unrecht seiner Tat vor Augen geführt worden und er habe die Zeit in der Haft genutzt, um sich mit den Folgen seiner Tat auseinanderzusetzen. Er sei fest entschlossen, künftig keine Straftaten mehr zu begehen. Bei der Frage einer eventuellen Wiederholungsgefahr sei das erstmalige Verbüßen einer Freiheitsstrafe zwingend zu berücksichtigen. Dem Kläger sei es derzeit aufgrund des Ausweisungsbescheides nicht möglich, eine neue Arbeitsstelle anzutreten, da seine ausländerrechtliche Situation derzeit noch ungeklärt sei.

In dem Verfahren der Ehefrau des Klägers, die ebenfalls durch Bescheid des Beklagten vom 09.10.2012 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen wurde, ordnete das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 21.12.2012 (Az.: B 4 S 12.923) die aufschiebende Wirkung der Klage an und verpflichtete den Beklagten mit Gerichtsbescheid vom 26.02.2013 (Az.: B 4 K 12.895) unter Aufhebung des Ausweisungsbescheides dazu, ihre Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Der Gerichtsbescheid ist rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 06.06.2013 führte der Beklagte in Anbetracht des abgeschlossenen gerichtlichen Verfahrens der Ehefrau des Klägers zur Klageerwiderung ergänzend aus, dass die wesentliche Änderung des Sachverhalts auch eine Änderung der Ermessensausübung im Fall des Klägers erforderlich mache. Die Ehefrau des Klägers verfüge über einen Anspruch auf Verlängerung der Gültigkeit ihres Aufenthaltstitels und könne daher ebenso wie die beiden Kinder weiter in Deutschland leben. Die Folge der verfügten Ausweisung bestehe für den Kläger nunmehr darin, dass für die Dauer von drei Jahren eine Trennung der ehelichen und familiären Lebensgemeinschaft eingetreten werde. Es seien die Folgen der Ausweisung für die weiterhin rechtmäßig in Deutschland lebenden Familienangehörigen zu berücksichtigen. Da der Kläger bisher keine neue Arbeitsstelle gefunden habe, werde sich seine Abwesenheit in wirtschaftlicher bzw. finanzieller Hinsicht nicht auswirken. Der Lebensunterhalt der Familie werde weiterhin durch öffentliche Leistungen sicherzustellen sein. Er werde als Vater für die Erziehung der Kinder ausfallen. Diese Erziehungsleistungen könnten aber von der Mutter von anderen sozialen Einrichtungen wie Kindergarten und Schule übernommen werden. Weiterhin stünden die anderen Familienangehörigen des Klägers, die zahlreich in Deutschland lebten, unterstützend zur Verfügung. Auch nach einer Neubewertung überwiege weiter das öffentliche Interesse an der Ausweisung des Klägers. Durch die Befristung werde die Ausweisung nicht unzumutbar. Der Kläger müsse sich für einen überschaubaren Zeitraum außer Landes aufhalten und werde nur solange von Ehefrau und Kindern getrennt. Die Ehefrau habe nicht nur von den Straftaten ihres Mannes gewusst, sondern sich auch daran beteiligt. Bei Begehung ihrer Straftaten habe den Eheleuten bewusst sein müssen, dass sie mit ausländerrechtlichen Folgen zu rechnen hätten. Die zu bewältigenden Schwierigkeiten seien nicht unverhältnismäßig oder unzumutbar. Die Eltern hätten die Straftaten in Kenntnis der Verantwortung für ihre beiden Kinder begangen.

Mit Schriftsatz vom 12.08.2013 trug der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor, dass dieser seit 24.07.2013 bei einer Leiharbeitsfirma beschäftigt sei. Er legte den Arbeitsvertrag vor sowie eine Stellungnahme der Migrationsberatung des Caritasverbandes B. e. V. vom 31.07.2013.

Mit Schriftsatz vom 03.03.2014 übersandte der Prozessbevollmächtigte des Klägers eine Stellungnahme des Bewährungshelfers vom 20.02.2014, Lohnbescheinigungen für August 2013 bis Januar 2014, eine Bestätigung der Caritas über eine absolvierte Schuldnerberatung im Zeitraum vom Januar 2013 bis April 2013 sowie den Bewilligungsbescheid des Job-Centers vom 05.12.2013.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die beigezogenen Behördenakten verwiesen. Wegen des Ablaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 09.10.2012 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Ausweisung ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (st. Rspr. des BVerwG, vgl. Urteil vom 10.07.2012 - BVerwG 1 C 19.11 juris Rn. 12 m. w. N.).

Die angefochtene Ausweisung findet ihre Rechtsgrundlage in § 54 Nr. 1 2. Alt. AufenthG. Der Kläger hat durch die der rechtskräftigen Verurteilung durch das Landgericht Bayreuth vom 06.02.2012 zugrunde liegende Tat diesen Regelausweisungsgrund verwirklicht, indem er zu einer Freiheitsstrafe ohne Aussetzung zur Bewährung verurteilt wurde. Allerdings genießt der Kläger einen besonderen Ausweisungsschutz, weil er eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich seit mehr als fünf Jahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG) und er zudem mit seinen deutschen Kindern in familiärer Lebensgemeinschaft lebt (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AufenthG). Eine Ausweisung ist danach nur aus „schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ zulässig. Derartige Gründe können auf spezialpräventiven oder generalpräventiven Erwägungen beruhen.

Bei einer Ausweisung aus spezialpräventiven Gründen ist ein Ausweisungsanlass von besonderem Gewicht erforderlich, was sich bei Straftaten insbesondere aus ihrer Art, Schwere und Häufigkeit ergibt; zudem müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit von ihm eine bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (ständige Rspr., vgl. etwa BVerwG vom 26.2.2002 BVerwGE 116, 55 ff., noch zu § 48 Abs. 1 AuslG). Für die danach festzustellende Wiederholungsgefahr ist eine tatrichterliche Prognose erforderlich. Es gilt ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Das Gericht hat auf der Grundlage aller Umstände des Einzelfalles eine Beurteilung vorzunehmen, ob das persönliche Verhalten des Betroffenen gegenwärtig eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft darstellt. Selbst bei hochrangigen Rechtsgütern bedeutet das aber nicht, dass bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit eine Wiederholungsgefahr begründet (BVerwG vom 04.10.2012 - 1 C 13/11, juris, Rn. 18).

Schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG können bei strafrechtlichen Verurteilungen ausnahmsweise auch dann vorliegen, wenn von dem Ausländer selbst keine Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, wegen der besonderen Schwere der Straftat aber ein dringendes Bedürfnis besteht, durch die Ausweisung generalpräventiv andere Ausländer von der Begehung vergleichbarer Straftaten abzuhalten (BVerwG vom 14.02.2012, 1 C 7/11, juris). Dies gilt grundsätzlich auch bei in Deutschland verwurzelten Ausländern.

Nach diesen Maßstäben gelangt die Kammer unter Berücksichtigung aller sich aus den Akten ergebenden Umstände des Einzelfalls und nach dem in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindruck zu der Einschätzung, dass gegenwärtig von dem Kläger keine nennenswerte Wiederholungsgefahr mehr ausgeht, und dass auch generalpräventive Erwägungen die Ausweisung nicht rechtfertigen.

Anlass für die Ausweisung des Klägers war die Verurteilung durch das Landgericht Bayreuth zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren sechs Monaten wegen gewerbsmäßigen Diebstahls. Der Kläger hat in einem mehrjährigen Zeitraum unter Ausnutzung des Vertrauens seines Arbeitgebers hochwertige Porzellanwaren in großen Mengen gestohlen und im Zusammenwirken mit seiner Ehefrau über das Internet verkauft um das Familieneinkommen aufzubessern und Vermögen anzusammeln. Zu seinen Lasten wurden der lange Zeitraum der Diebstahlsserie, die Höhe des Wertes der entwendeten Gegenstände (mind. 100.000 EUR) und seine Vorstrafen gewertet. Zu seinen Gunsten wurde berücksichtigt, dass er geständig war und bisher ein arbeitsames Leben geführt habe, dass ihm die Diebstähle mangels Kontrollen leicht gemacht worden waren und dass es zu einer fast umfassenden Schadenswiedergutmachung gekommen sei, weil neben der Rückgabe von noch nicht veräußertem Diebesgut Vermögenswerte des Ehepaares von fast 100.000 EUR dafür verwendet werden konnten.

Bei der Bewertung der Straftat, die trotz des hohen Schadens nicht der Schwerkriminalität zuzuordnen ist, zumal die Diebstähle am Arbeitsplatz in hohem Maße auf der „guten Gelegenheit“ beruhten, ist nach Ansicht der Kammer zugunsten des Klägers neben der Schadenswiedergutmachung auch zu berücksichtigen, dass er eher nicht die treibende Kraft hinter dem Tatplan war. Der Kläger hat sich bei dem geschädigten Arbeitgeber über 15 Jahre lang nichts zuschulden kommen lassen und galt als zuverlässig. Nach dem Eindruck des polizeilichen Ermittlers und des zuständigen Staatsanwalts (Bl. 61 der Anklageschrift) rührten Idee und Umsetzung der Straftat von der Ehefrau her, denn die ein erhebliches Maß an krimineller Energie und geistige Flexibilität erfordernden Straftaten begannen, nachdem sie nach Deutschland gekommen war. Angesichts der Tatsache, dass sie über einen weit höheren Bildungsgrad (Abitur, Studium) verfügt, als der Kläger, der nur wenige Monate die Schule besucht hat und des Lesens kaum und des Schreibens gar nicht mächtig ist, ist diese Einschätzung nachvollziehbar. Zwar ist der Kläger auch schon früher straffällig geworden (26 Fälle des Verkaufs von je ca. 10 g Haschisch an zwei Abnehmer, eine Trunkenheitsfahrt, ein Betrug beim Abwiegen von Tomaten mit einem Schaden von 66 Cent), dabei handelte es sich aber nicht um vergleichbar geplante und durchorganisierte Straftaten. Die Verurteilung wegen Drogenhandels im Jahr 1997 hat sich der Kläger offenbar zur Warnung dienen lassen, weil er in dieser Hinsicht nicht mehr auffällig wurde. Während seiner Inhaftierung hat sich der Kläger - bis auf eine disziplinarische Verfehlung in der Untersuchungshaft - beanstandungsfrei verhalten. Die Verbindung zu seiner Familie stellte sich durch regelmäßige Besuche der Ehefrau mit den Kindern und weiteren Verwandten bis zu vier Mal pro Monat als stabil und eng dar. Deshalb wurde das letzte Drittel der Freiheitsstrafe mit Beschluss der Strafvollstreckungskammer am Landgericht Bayreuth vom 10.10.2012 zur Bewährung ausgesetzt. Die Entscheidung beruhte auf der guten Vollzugsführung und der Einschätzung der JVA, dass beim Kläger ein erkennbarer Strafeindruck vorliege. Die Bewährungszeit läuft bis Dezember 2015.

Der Kläger befindet sich seit nunmehr einem Jahr und fünf Monaten in Freiheit ohne dass es zu einer neuen Straftat gekommen ist. Der Bewährungshelfer hat unter dem 20.02.2014 mitgeteilt, dass sich der Kläger kooperativ und gesprächsbereit zeigt und ihm eine deutliche Schuldeinsicht attestiert werden kann. Dies und die starke Bindung an seine Familie seien Indikatoren für eine positive Zukunftsprognose. Die Rückfallwahrscheinlichkeit sei als niedrig einzustufen; Gefährdungsmomente seien derzeit nicht zu erkennen.

Auch wenn das Gericht an diese Einschätzung nicht gebunden ist, hat sie sich durch den persönlichen Eindruck, den der Kläger in der mündlichen Verhandlung hinterlassen hat, bestätigt. Der Kläger hat nach seinen Angaben ca. 27.000 EUR Schulden. Ein Antrag auf Privatinsolvenz sei im April 2013 gestellt worden. Die Forderungen des geschädigten Arbeitgebers seien in vollem Umfang erfüllt. Sein Arbeitsvertrag mit der Leiharbeitsfirma sei bis Dezember 2014 verlängert worden. Er hoffe, bei der Firma, für die er derzeit arbeite und die Milchprodukte herstelle, am Jahresende fest übernommen zu werden. Der monatliche Lohn beläuft sich auf ca. 1.000 bis 1.200 EUR. Die Familie habe zahlreiche soziale Kontakte an ihrem Wohnort, trotz der bekannten Straftat auch zu früheren Arbeitskollegen.

Bei der Frage nach der Haft war der Kläger sichtlich bewegt und gab zu erkennen, dass es ihm sehr schwer gefallen sei, seinen kleinen Kindern als Gefangener gegenübertreten zu müssen. Es erscheint dem Gericht glaubhaft, dass er es dazu keinesfalls mehr kommen lassen will. Durch die Anwesenheit der Ehefrau und der Kinder in der mündlichen Verhandlung konnte sich das Gericht auch davon überzeugen, dass die familiäre Bindung weiterhin stabil ist. In seinem langjährigen Wohnort, der gleichzeitig der Firmensitz seines früheren Arbeitgebers ist, hat der Kläger offenbar trotz der Straftat, die dort in der Öffentlichkeit großes Aufsehen erregt hat, noch zahlreiche Fürsprecher und soziale Kontakte. All dies lässt darauf schließen, dass sich der Kläger in Zukunft nicht erneut zu einer erheblichen, eine Freiheitsentziehung nach sich ziehenden Straftat wird hinreißen lassen.

Der Beklagte sieht die Gefahr einer Wiederholung von Eigentumsdelikten in erster Linie in dem Umstand, dass es dem Kläger und seiner Ehefrau auf materiellen Wohlstand ankommt und sie nach dem Verlust der früheren verhältnismäßig gut bezahlten Arbeitsstelle nun mit wesentlich weniger Geld auskommen müssen. Diese Einschätzung lässt aber unberücksichtigt, dass der erkennbare und von allen beteiligten Stellen bestätigte Strafeindruck eine positive Prognose rechtfertigt. Es konnte auch der Eindruck gewonnen werden, dass es beiden Elternteilen auf eine gute Erziehung der Kinder ankommt. Das lässt erwarten, dass sie sich eher mit einem niedrigen Lebensstandard abfinden, als den Kindern durch eine erneute strafrechtliche Verurteilung zu schaden und die Familieneinheit zu gefährden.

Generalpräventive Erwägungen fallen im vorliegenden Fall nicht ins Gewicht. Weder handelt es sich um Schwerkriminalität, noch kann die Schadenshöhe angesichts der Wiedergutmachung ein gravierendes Argument darstellen, das es erforderlich erscheinen lässt, durch eine Ausweisung des Klägers andere Ausländer von der Begehung gleichartiger Straftaten abzuhalten. Die letztlich eingetretene Insolvenz des Arbeitgebers kann bei einer Firma dieser Größenordnung nicht auf die Straftat des Klägers zurückgeführt werden.

Nachdem die Kammer im für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisung maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zu dem Ergebnis kommt, dass von dem Kläger keine Wiederholungsgefahr (mehr) ausgeht, ist die Ausweisung schon deshalb rechtswidrig und mit Wirkung ex tunc aufzuheben, ohne dass es darauf ankommt, ob die Behörde ihr Ermessen bei Erlass der Ausweisungsverfügung ordnungsgemäß ausgeübt und während des Verfahrens entsprechend aktualisiert hat (BVerwG vom 04.10.2012, - 1 C 13/11, juris, Rn. 20).

Der Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGo, wonach der unterliegende Teil die Kosten des Verfahrens trägt, stattzugeben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
2 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 04/10/2012 00:00

Tatbestand 1 Der Kläger, ein im Jahre 1966 geborener türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.
published on 14/02/2012 00:00

Tatbestand 1 Der Kläger, ein kosovarischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine Ausweisung aus der Bundesrepublik Deutschland.
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist,
1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten
a)
gegen das Leben,
b)
gegen die körperliche Unversehrtheit,
c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches,
d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder
e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist,
2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand,
3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet,
4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder
5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören,
a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt,
b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder
c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.

(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer

1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist,
2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist,
3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht,
4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht,
5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben,
6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist,
7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde,
8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland
a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder
b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein Ausländer, gegen den eine Ausweisungsverfügung auf Grund eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a besteht, unterliegt der Verpflichtung, sich mindestens einmal wöchentlich bei der für seinen Aufenthaltsort zuständigen polizeilichen Dienststelle zu melden, soweit die Ausländerbehörde nichts anderes bestimmt. Eine dem Satz 1 entsprechende Meldepflicht kann angeordnet werden, wenn der Ausländer

1.
vollziehbar ausreisepflichtig ist und ein in Satz 1 genanntes Ausweisungsinteresse besteht oder
2.
auf Grund anderer als der in Satz 1 genannten Ausweisungsinteressen vollziehbar ausreisepflichtig ist und die Anordnung der Meldepflicht zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erforderlich ist.

(2) Sein Aufenthalt ist auf den Bezirk der Ausländerbehörde beschränkt, soweit die Ausländerbehörde keine abweichenden Festlegungen trifft.

(3) Er kann verpflichtet werden, in einem anderen Wohnort oder in bestimmten Unterkünften auch außerhalb des Bezirks der Ausländerbehörde zu wohnen, wenn dies geboten erscheint, um

1.
die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden und die Einhaltung vereinsrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Auflagen und Verpflichtungen besser überwachen zu können oder
2.
die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden.

(4) Um die Fortführung von Bestrebungen, die zur Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 2 bis 5, zu einer Anordnung nach Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 oder zu einer Abschiebungsanordnung nach § 58a geführt haben, zu erschweren oder zu unterbinden, kann der Ausländer auch verpflichtet werden, zu bestimmten Personen oder Personen einer bestimmten Gruppe keinen Kontakt aufzunehmen, mit ihnen nicht zu verkehren, sie nicht zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen und bestimmte Kommunikationsmittel oder Dienste nicht zu nutzen, soweit ihm Kommunikationsmittel verbleiben und die Beschränkungen notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwehren. Um die wiederholte Begehung erheblicher Straftaten, die zu einer Ausweisung nach § 54 Absatz 1 Nummer 1 geführt haben, zu unterbinden, können Beschränkungen nach Satz 1 angeordnet werden, soweit diese notwendig sind, um eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit oder für Leib und Leben Dritter abzuwenden.

(5) Die Verpflichtungen nach den Absätzen 1 bis 4 ruhen, wenn sich der Ausländer in Haft befindet. Eine Anordnung nach den Absätzen 3 und 4 ist sofort vollziehbar.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.