Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 17. Mai 2017 - Au 4 K 16.1275

published on 17/05/2017 00:00
Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 17. Mai 2017 - Au 4 K 16.1275
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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat der Kläger zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom Beklagten den Erlass einer Beseitigungsanordnung gegenüber der Beigeladenen.

Der Kläger ist Eigentümer der Grundstücke Fl.Nrn. ... und ... der Gemarkung ... Die klägerischen Grundstücke sind insbesondere mit einem Wohnhaus sowie Nebengebäuden bebaut. Unmittelbar südlich an das Grundstück Fl.Nr. ... grenzen die Grundstücke Fl.Nrn. ... und, ebenfalls Gemarkung, an. Auf diesen befindet sich das Rathaus der Beigeladenen nebst Nebenanlagen, insbesondere einem Carport.

In einer notariellen Urkunde vom 17. Oktober 1991 belastete die Beigeladene das Grundstück Fl.Nr. ... zugunsten des jeweiligen Eigentümers des Grundstücks Fl.Nr. ... mit einer Grunddienstbarkeit dahin gehend, dass sich der jeweilige Eigentümer des dienenden Grundstücks Fl.Nr. ... zugunsten des jeweiligen Eigentümers des herrschenden Grundstücks Fl.Nr. ... verpflichtet, eine in der Urkunde näher bezeichnete Abstandsfläche an der gemeinsamen Grundstücksgrenze nicht zu bebauen. Die gleiche Baubeschränkungsverpflichtung übernahm die Beigeladene gegenüber dem Beklagten; sie bestellte zu dessen Gunsten eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit.

Mit Bescheid vom 26. Februar 1998 erteilte das Landratsamt ... der Beigeladenen die Baugenehmigung für das Vorhaben „Instandsetzung und Erweiterung Rathaus ... samt Neugestaltung der Freiflächen im Umfeld Rathaus/Kirche“ auf den Grundstücken Fl.Nrn. ... und ... Mit Bescheid vom 28. September 1999 erteilte das Landratsamt ... der Beigeladenen die Baugenehmigung für das Bauvorhaben „Abbruch des Nebengebäudes, Errichtung eines Carports mit Garagen“ auf dem Grundstück Fl.Nr. ... im vereinfachten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 73 BayBO 1998.

Ausweislich einer von der Beigeladenen beim Ortstermin übergebenen Broschüre fand die Einweihung des neuen Rathauskomplexes (nebst Carport) am 10. November 2000 statt.

Im Jahre 2012 begehrten der Kläger und seine Ehefrau vor dem Verwaltungsgericht Augsburg vom Beklagten eine Nutzungsuntersagung und die Beseitigung eines Anbaus am früheren kommunalen Gefrierhaus auf den Grundstücken Fl.Nrn. ... und ... Diese Klage wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. Mai 2012 abgewiesen (Au 4 K 12.50).

Mit Bescheid vom 22. Mai 2015 stellte das Landratsamt Bauarbeiten zur Änderung des Carports des Klägers auf dem Grundstück Fl.Nr. ... ein. Ferner forderte das Landratsamt mit Schreiben/Bescheid vom 26. Mai 2015 vom Kläger die Vorlage eines Bauantrags für die Umbauarbeiten an seiner Garage bis 1. Juli 2015. Der Kläger legte jeweils Rechtsbehelfe zum Verwaltungsgericht Augsburg ein (Au 4 K 15.905; Au 4 S. 15.906; Au 4 K 15.909), über die in Folge eines gerichtliche Ortstermins am 13. August 2015 nicht streitig entschieden werden brauchte. Mit Bescheid vom 24. Juni 2016 erteilte das Landratsamt dem Kläger und seiner Ehefrau die Baugenehmigung für das Vorhaben „Umbau einer bestehenden Garage mit Carport“ auf dem Grundstück Fl.Nr. ...

Aus einem Schreiben des Landratsamts ... vom 23. Mai 2015 ergibt sich, dass der Kläger mit Schreiben vom 3. März 2015 bei der Polizeiinspektion ... Strafanzeige gegen die Beigeladene wegen baurechtlicher Ordnungswidrigkeiten beim Rathausbau angezeigt hatte. Darin habe der Kläger mitgeteilt, dass entgegen der genehmigten Planung im Rathaus der Beigeladenen ein Aufzug eingebaut worden sei, dass die erforderliche Abstandsfläche nicht eingehalten werde sowie beim Carport eine Eingangstür zugemauert worden sei. In dem Schreiben vom 23. März 2015 teilte das Landratsamt dem Kläger mit, dass kein Anlass zu bauaufsichtlichem Einschreiten bestehe. Die Gemeinde räume ein, dass beim Bau des Carports versehentlich ca. 5 qm des klägerischen Grundstücks überbaut worden seien. Andererseits habe der Kläger ca. 3 qm des Grundstücks der Beigeladenen überbaut. Ein Lösungsvorschlag, der die Abgeltung der Differenzbeträge und eine Tragung der Vermessungskosten durch die Beigeladene vorgesehen habe, sei vom Kläger abgelehnt worden. Es stehe dem Kläger frei, seine Rechte wegen des Überbaus auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen. Dem schloss sich weiterer Schriftverkehr zwischen dem Landratsamt und dem Klägerbevollmächtigten an, wobei klägerseits auch eine planabweichende Ausführung des Rathausbaus geltend gemacht wurde, so dass eine wesentliche Verletzung von Abstandsflächen vorliege.

Mit Schreiben vom 8. April 2016 wandte sich der Kläger an das Bayerische Staatsministerium der Justiz und rügte die Nichtbeachtung der vereinbarten Grunddienstbarkeit durch die Beigeladene sowie die Verletzung von Abstandsflächen gemäß Art. 6 BayBO. Insbesondere seien die Bauvorlagen bezüglich des Rathauses nach der Unterschrift durch die Nachbarn von der Beigeladenen verändert worden. Damit hätten sich auch die verbundenen Abstandsflächen verändert. Eine Information der Nachbarn sei nicht mehr erfolgt. Bei der Realisierung der Rathauserweiterung seien die Grenzabstände zur Fl.Nr. ... weiter verringert und dabei weitere Abstandsflächen zu Unrecht in Anspruch genommen worden.

Mit Schreiben vom 1. Februar 2016 forderte der Kläger das Landratsamt ... als Bauaufsichtsbehörde zu „repressivem bauaufsichtlichem Einschreiten“ auf, da nachbarschützende Vorschriften des Baurechts durch den Rathausbau verletzt worden seien. Gerügt wurde erneut eine Nichtbeachtung bzw. Verletzung der vereinbarten Grunddienstbarkeit, die Veränderung der Planung nach der Nachbarunterschrift sowie eine planabweichende, insbesondere noch grenznähere Bebauung. Das Landratsamt sei zu keinem Zeitpunkt seinen Aufgaben nachgekommen.

Am 6. September 2016 ließ der Kläger Untätigkeitsklage zum Verwaltungsgericht Augsburg erheben mit folgenden Anträgen:

I.

Der Beklagte wird verpflichtet, gegenüber der Beigeladenen eine Beseitigungsanordnung (Rückbau) insoweit zu erlassen, als die Beigeladene beim sog. Rathausbau (Bauvorhaben: Instandsetzung und Erweiterung Rathaus ... samt Neugestaltung der Freiflächen im Umfeld Rathaus/Kirche, Fl.Nr. ... und, Gemeinde ...) unter Verstoß gegen die Abstandsflächenvorschriften zu den Grundstücken des Klägers (insbesondere Fl.Nr. ... Gemarkung ...) das Vorhaben errichtet hat.

II.

Hilfsweise: Über den Antrag des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten, zuletzt vom 1.2.2016, wird unter der Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts entschieden.

Zur Begründung wurde ausgeführt: Durch den Bauantrag der Beigeladenen zur Erweiterung ihres Rathauses unter Mitplanung von Carports, der vom Kläger bzw. den Rechtsvorgängern zunächst unterschrieben worden sei, sei eine entsprechende Ausführung erfolgt. Im Rahmen des Genehmigungsverfahrens sei jedoch ohne entsprechende erneute Nachbarschaftsbeteiligung eine Veränderung des Vorhabens der Beigeladenen durchgeführt und durch

„Überkleben“ insbesondere, als Tektur bezeichnet, ein Aufzug eingeplant worden. Dies stelle nach Auffassung des Klägers erneut die Abstandsflächenfrage.

Im Weiteren wurde zunächst auf den Inhalt der notariellen Vereinbarung vom 17. Oktober 1991 verwiesen, auch auf die dort von der Beigeladenen gegenüber dem Freistaat Bayern übernommene Baubeschränkungsverpflichtung.

Der Genehmigungsbescheid vom 26. Februar 1998 sei an den Kläger nicht zugestellt worden. In der Folge sei, was erst viel später habe aufgeklärt werden können, das Bauvorhaben zum einen planabweichend verwirklicht worden (andere Traufhöhen, andere Dachneigung), was wiederum die Abstandsflächenfrage neu aufwerfe, ferner sei entgegen der auch zugunsten des Freistaats Bayern bestehenden beschränkten persönlichen Dienstbarkeit eine Überlappung der Abstandsflächen erfolgt. Das 16 m-Privileg führe zu keiner anderen Beurteilung. Hinzu komme noch eine offenkundig zivilrechtswidrige Überbauung durch die Beigeladene mit einer nicht streitgegenständlichen Grenzmauer. Der Kläger habe daher bereits mehrfach Anträge auf bauaufsichtliches Einschreiten und Prüfung gestellt.

Insbesondere aufgrund der planabweichenden Errichtung des Gebäudes, der Dachneigung von über 45° sowie der planabweichenden Stellung des Gebäudes komme es zu beachtlichen Verstößen gegen die Abstandsflächenvorschriften, für die offenkundig keine Ausnahme o.ä. erteilt worden sei. Gleichzeitig liege eine schlicht unzulässige Abstandsflächenüberlappung vor. Obwohl der Beklagte seinerzeit von der Erforderlichkeit der Einhaltung von Abstandsflächen ausgegangen sei, sei kein bauaufsichtliches Einschreiten erfolgt. Lediglich an den Kläger seien bauaufsichtliche Maßnahmen ergangen.

Überraschenderweise stellte sich der Beklagte nunmehr auf den Standpunkt, dass wegen Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO keine oder nur eine geringere Abstandsfläche einzuhalten sei. Diese Änderung der Rechtsauffassung sei nicht nachvollziehbar. Soweit sie darauf beruhe, dass die jetzige Bebauung der Beigeladenen als prägend angesehen werde, sei anzumerken, dass genau diese hier streitgegenständlich sei. Darüber hinaus sei nicht berücksichtigt, dass planabweichend gebaut worden sei; insbesondere sei eine planabweichende Dachneigung erfolgt, bei der auch die Abstandsflächenfrage neu zu stellen sei. Jedenfalls sei ein Bauantrag zu stellen. Der Beklagte fordere den Kläger zur Vorlage von einem Bauantrag auf, nicht aber die Beigeladene. Es bestehe ein Anspruch des Klägers auf bauaufsichtliches Einschreiten, da möglicherweise sogar vorsätzliche Verstöße vorlägen. Darüber hinaus müsse gerade von einer Selbstverwaltungskörperschaft verlangt werden, dass sie sich an die Bauvorschriften halte. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte ermessensgerecht regelmäßig gegen den Kläger bauaufsichtlich tätig werde, nicht aber gegenüber der Beigeladenen.

Der Hilfsantrag sei für den Fall gestellt, dass das Gericht keine Ermessensreduktion auf null annehme. Die Klage sei auch nach § 75 VwGO zulässig, da mehr als drei Monate über den Antrag nicht entschieden worden sei.

Mit Schreiben vom 12. September 2016 beantragte die Bevollmächtigte der Beigeladenen,

die Klage abzuweisen.

Mit Schreiben vom 28. Oktober 2016 beantragte der Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Das Landratsamt sehe bei pflichtgemäßer Ermessensausübung keinen Anlass für bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Beigeladene. Insbesondere liege kein Fall der Ermessensreduzierung auf null vor.

Dargestellt wurden zunächst die vorangehenden verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten und Verfahren zwischen Kläger sowie Beklagtem und Beigeladener. Weiter wurde ausgeführt, es sei richtig, dass es während des Genehmigungsverfahrens zum Rathausneubau im Jahr 1997 insoweit zu Umplanungen gekommen sei, als die Beigeladene entgegen ihrer ursprünglichen Absicht einen Aufzug im Erweiterungsbau habe errichten wollen. Dementsprechend seien die Planunterlagen am 4. März 1998 überklebt worden. Die Baugenehmigung datiere zwar vom 26. Februar 1998 (also einem Datum vor dem Einkleben der Änderungen in die Planunterlagen); da die Genehmigung bei der Gemeinde aber erst am 10. März 1998 eingegangen sei, könne angenommen werden, dass die Versendung des Bescheids nach der Änderung der Planunterlagen am 4. März 1998 erfolgt sei. Insofern müsse davon ausgegangen werden, dass die Baugenehmigungsbehörde auch die beabsichtigte Änderung in ihren Willen aufgenommen und genehmigt habe. Dafür spreche auch, dass Ziffer 1 der Auflagen zur Baugenehmigung auf „Änderungen“ sowie Planeinträge verweise und die Planunterlagen den Vermerk „Tektur 16.2.1998“ trügen. Es sei daher davon auszugehen, dass die Genehmigung am 10. März 1998 wirksam geworden sei. Ein Tekturantrag sei daher nicht nötig gewesen.

Der Akte lasse sich eine Zustellung an den Kläger nicht entnehmen. Dies dürfe damit zusammenhängen, dass der Kläger die ursprünglichen Pläne unterschrieben habe und ihm die geänderten Pläne nicht vorgelegt worden seien. Wirksamkeit und materielle Rechtmäßigkeit der Genehmigung seien dadurch aber nicht beeinflusst worden.

In der Sache sei die Baugenehmigung auch materiell rechtmäßig ergangen. Zwar bestehe eine Unterschreitung der Abstandsflächen seitens der Gemeinde durch die Gebäudeecken des Rathauses auf dem Flurstück Nr., die nur ca. 1,20 m bzw. ca. 1,80 vom Flurstück Nr. ... entfernt seien. Die Überschreitungen der Grenze durch Gebäude auf der Fl.Nr. ... (Kläger) und den Fl.Nrn. ... und ... (Beigeladene) sei auf einem digitalen Lageplan schon auf den ersten Blick erkennbar. Das Vorhaben befinde sich jedoch in einem Gebiet, in dem aufgrund der vorhandenen Umgebungsbebauung nach planungsrechtlichen Vorschriften keine Abstandsflächen einzuhalten seien (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO 1998). Die Umgebung sei geprägt von Gebäuden, die zum historischen Dorfkern gehörten und keine oder nur geringe Abstände zu den Nachbargrundstücken aufwiesen. Aus dieser Umgebungsbebauung ergebe sich damit klar, dass auch an den Grundstücksgrenzen der Fl.Nrn., ... und ... an die Nachbargrenze angebaut werden dürfe. Ein Verstoß gegen öffentlich-rechtliches Abstandsflächenrecht sei damit nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger mit seiner Strafanzeige auch die Lage des Carports gerügt habe, räume die Beigeladene ein, dass beim Bau versehentlich 5 qm des Nachbargrundstücks überbaut worden seien. Andererseits habe der Kläger selbst 3 qm des Grundstücks der Gemeinde überbaut. Ein Lösungsvorschlag, der die Abgeltung der Differenzbeträge und eine Tragung der Vermessungskosten durch die Gemeinde vorgesehen habe, sei abgelehnt worden. Der Umstand, dass beim Carport eine genehmigte Tür nicht ausgeführt worden sei, stelle keinen Umstand dar, der die Gemeinde zur Stellung eines Tekturantrags verpflichtet habe.

Als Zwischenergebnis bleibe daher, dass die Baugenehmigungen für die Erweiterung des Rathauses und Carport formell und materiell rechtmäßig erschienen, so dass es schon an den tatbestandlichen Voraussetzungen für bauaufsichtliches Einschreiten nach Art. 76 BayBO fehle. Nähme man hilfsweise deren Vorliegen dennoch an, so sei jedenfalls auf Ebene des Ermessens zu berücksichtigen, dass der Kläger erst mehr als zehn Jahre nach Fertigstellung des Vorhabens begonnen habe, dagegen Einwände zu erheben. Vor diesem Hintergrund habe und sehe weiterhin die Baugenehmigungsbehörde unter Berücksichtigung der getroffenen Feststellungen keinen Anlass, bauaufsichtlich gegen die Beigeladene vorzugehen. Etwaige – derzeit nicht ersichtliche – Ordnungswidrigkeiten seien verjährt. Wegen des Überbaus des klägerischen Grundstücks durch den Carport sei es dem Kläger zuzumuten, seine Rechte auf dem Zivilrechtsweg zu verfolgen. Auch der Carport des Klägers überschreite die Grenze zwischen Fl.Nrn. ... und ... Die grenzüberschreitende Außenmauer habe der Kläger im Mai 2015 begonnen zurückzubauen.

Eine einvernehmliche Lösung der Problematiken durch Einigung auf privatrechtlichem Weg sei bereits versucht worden und gescheitert. Sie sei durch die zerrütteten nachbarschaftlichen Beziehungen auch weiterhin nahezu ausgeschlossen. Der Verletzung eigener Rechte durch Überbau des gemeindeeigenen Carports auf seinem Grundstück müsse sich der Kläger auch entgegenhalten lassen, dass der Überbau der Begrenzungsmauer seines Carports die Rechte der Gemeinde in gleicher Weise beeinträchtige. Er habe zwar begonnen, seinen eigenen Grenzüberbau zu beseitigen; die hierfür erforderliche Genehmigung sei am 24. Juni 2016 erteilt worden. Hinsichtlich der angekündigten eigenmächtigen Beseitigung auch des Überbaus der Gemeinde sei gegebenenfalls wiederum bauaufsichtliches Einschreiten gegenüber dem Kläger angezeigt.

Ein Anlass, bauaufsichtlich gegen die Beigeladene vorzugehen, werde im Ergebnis nach wie vor unter Berücksichtigung aller vorstehenden vorgetragenen Aspekte dieses Einzelfalls weder in Bezug auf die Erweiterung des Rathauses noch in Bezug auf den Carport gesehen. Da von einer Beeinträchtigung materieller öffentlicher baurechtlicher Vorschriften nicht auszugehen sei, stünde jedenfalls einer Beseitigungsanordnung bereits auf tatbestandlicher Ebene ein Hindernis entgegen, jedenfalls auf Ebene der Ermessensausübung die Verhältnismäßigkeit.

Am 22. November 2016 führte der Berichterstatter im Beisein von Vertretern der Beteiligten einen Augenscheinstermin durch. Dort bat das Gericht den Vertreter des Beklagten, der Behauptung der Klägerseite nachzugehen, die Dachneigung beim Rathaus betrage planabweichend mehr als 45°. Gleiches gelte hinsichtlich der vorgetragenen abweichenden Errichtung der Außenwände zum Kläger hin. Zur Vorbereitung dieser Überprüfung werde die Klägerseite näher dazu vortragen, inwieweit Rathaus und Carport planabweichend errichtet worden seien.

Mit Schriftsatz vom 30. November 2016 trug der Klägerbevollmächtigte zu den nach Auffassung des Klägers bestehenden baurechtswidrigen Details vor. Bezüglich des Carports gelte, dass zum einen ein vom Vermessungsamt festgestellter Überbau zur Fl.Nr. ... (des Klägers) mit bis zu 0,55 m bestehe, was eine Inanspruchnahme des klägerischen Grundstücks von rund 6 qm ergebe. Des Weiteren sei das ganze Gebäude in östlicher Richtung versetzt, so dass es, jedenfalls teilweise, auf der notariell eingetragenen übernommenen Abstandsfläche zu liegen komme. Der Carport selbst sei darüber hinaus höher gebaut. Die Dachneigung betrage tatsächlich 48°. Die Firsthöhe sei anders als im genehmigten Plan. Dies sei auch durch ein Schreiben der Regierung von ... bestätigt worden. Rechtswidrige Zustände bestünden auch insoweit, als das Niederschlagswasser zusätzlich auf das Grundstück des Klägers abgeleitet werde. Eine innenliegende Dachrinne oder Ähnliches sei nicht errichtet worden, wie aber bei einem Grenzanbau zwingend erforderlich.

Die Grenzwand/Stützmauer in Fortsetzung des Carports sei deutlich überbaut und befinde sich im Bereich der Grenze.

Beim Rathausgebäude sei festzuhalten, dass die meisten Veränderungen und Abweichungen im Bereich des Mittelbaus feststellbar seien. Der Grenzabstand sei nicht wie eingetragen, die Dachneigung sei größer als 45°; tatsächlich seien nur 43° genehmigt, durch den Aufzug sei es erforderlich geworden, eine entsprechende Erhöhung vorzunehmen.

Am 20. Februar 2017 nahm das Amt für Digitalisierung, Breitband und Vermessung ... im Beisein von Vertretern der Beteiligten Vermessungen an dem Rathauskomplex vor und erstellte anschließend eine Ausarbeitung.

Zu den Untersuchungsergebnissen des Vermessungsamts nahm der Beklagte mit Schreiben vom 8. Mai 2017 Stellung.

Die Beigeladene nahm mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. Mai 2017 Stellung. Es sei zu keinem Zeitpunkt bestritten worden, dass an der gemeinsamen Grenze zwischen Fl.Nr. ... und Fl.Nrn. ... und ... ein Überbau vorliege. Dieser betrage jedoch entgegen den Ausführungen des Klägers nicht bis zu 0,55 m, sondern gemäß den Feststellungen des Vermessungsamts nur 0,39 m. Hier sei zu berücksichtigen, dass auch seitens des Klägers ein Überbau vorliege. Weiter sei der Vortrag des Klägers unzutreffend, dass das ganze Gebäude in östlicher Richtung versetzt sei. Die Lage des Gebäudes entspreche vielmehr dem eingereichten und genehmigten Bauantrag. Anders als der Kläger behaupte, bestünden keine rechtswidrigen Zustände betreffend etwaiges Niederschlagswasser, das auf das Grundstück des Klägers abgeleitet werde. Die Beigeladene habe eine innenliegende Dachrinne installiert. Im Bereich der sich überschneidenden Mauern sei durch einen Spenglerbetrieb fachmännisch einvernehmlich mit dem Kläger eine Sonderkonstruktion gefertigt und installiert worden. Die Kosten hierfür seien vom Kläger und der Beigeladenen gemeinsam getragen worden. Unrichtig sei die Behauptung des Klägers, dass die Dachneigung des Rathauses größer als 45° sei. Nach den Berechnungen des Vermessungsamts betrage die Neigung 43°; dies entspreche dem Bauantrag. Soweit der Kläger vortrage, beim Bau des Carports sei fahrlässig gehandelt worden, sei darauf hinzuweisen, dass im genehmigten Bauplan klar und deutlich die Garage des Klägers und die Überlappung durch den Carport erkennbar seien. Dies bedeute, dass diese Überschneidung bereits aus dem Bauantrag ersichtlich gewesen sei und damit auch der Kläger, der den Bauantrag unterschrieben habe, entweder an die Abstandsflächenvereinbarung nicht gedacht habe, wie auch die Beigeladene, oder dies zum damaligen Zeitpunkt schlicht akzeptiert habe. Schließlich sei zu bemerken, dass die nunmehr seitens des Klägers erhobenen Einwände rund zehn Jahre nach Fertigstellung des Vorhabens der Beigeladenen als rechtsmissbräuchlich einzuordnen sein dürften.

Der Klägerbevollmächtigte nahm mit Schriftsatz vom 15. Mai 2017 nochmals Stellung. Im Wesentlichen wurde geltend gemacht, dass angesichts der Ergebnisse der Vermessung ein planabweichendes Bauen durch die Beigeladene nachgewiesen sei. Anders als die Beigeladene vortrage, habe sie eine Überbauung nicht um 0,39 m, sondern durch eine Grenzmauer im Anschluss an den Carport um 0,55 m vorgenommen; diese liege insgesamt auf dem Grundstück des Klägers. Auch der Mittelbau des Rathauses sei in nicht unerheblichem Umfang in Richtung des klägerischen Grundstücks verschoben worden. Es sei auch unerklärlich, weshalb den Beklagten die Verletzung der zu seinen Gunsten eingeräumten Dienstbarkeit nicht interessiere. Der Kläger handele auch nicht rechtsmissbräuchlich. Er habe immer wieder Einwendungen erhoben. Die tatsächlich genehmigten Pläne seien ihm nicht vorgelegt worden; auch im Nachgang habe er die tatsächlich genehmigte Planung nicht klären können. Vielmehr gehe der Kläger davon aus, dass die Beigeladene vorsätzlich planabweichend gebaut habe. Auf Rechtsmissbrauch könne sich die Beigeladene daher nicht berufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist unzulässig. Der Kläger hat sein Klagerecht verwirkt. Dies gilt sowohl in Bezug auf die vom Kläger geltend gemachte Errichtung des Rathauskomplexes, die auf ihm nicht zur Unterschrift vorgelegten Planänderungen beruht (1.), als auch in Bezug auf eine im Vergleich zur erteilten Baugenehmigung planabweichende Verwirklichung des Vorhabens (2.). Etwaige zivilrechtliche Ansprüche des Klägers aus der von ihm vorgelegten notariellen Urkunde vom 17. Oktober 1991 oder wegen eines Überbaus seines Grundstücks spielen im vorliegenden verwaltungsprozessualen Verfahren keine Rolle.

1. Soweit der Kläger rügt, im Rahmen des Genehmigungsverfahrens sei ohne erneute Nachbarschaftsbeteiligung eine Veränderung des Vorhabens der Beigeladenen durch

„Überkleben“ erfolgt, hat er sein Klagerecht verwirkt, weil er gegen die der Beigeladene erteilte Baugenehmigung keinen Rechtsbehelf eingereicht hat.

Die Kammer hat keinen Zweifel daran, dass die vom Kläger angesprochenen „Überklebungen“ in den mit dem Baugenehmigungsbescheid vom 26. Februar 1998 genehmigten Plänen wirksam Teil dieser Baugenehmigung geworden sind. Die Pläne – ursprünglich vom 1. August 1997 und in dieser Fassung vom Kläger unterschrieben – tragen den (überwiegend handschriftlichen) Zusatz „Tektur 16.02.1998“, also ein Datum vor demjenigen der Baugenehmigung. Zwar führt der Beklagte an, die Überklebung sei erst am 4. März 1998 erfolgt. Gem. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG wird ein Verwaltungsakt jedoch (erst) im Zeitpunkt der Bekanntgabe wirksam, und zwar mit dem Inhalt, mit dem er bekannt gegeben wird (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG). Die Bekanntgabe an die Beigeladene erfolgte hier – wie auch durch einen Eingangsstempel belegt – unstreitig erst am 10. März 1998, so dass davon auszugehen ist, dass die Baugenehmigung mit den „Überklebungen“ in den Plänen wirksam wurde.

Zwar sind dem Kläger – ebenso unstreitig – diese Planänderungen seinerzeit nicht vorgelegt worden; ebenso wenig ist die in dieser Form rechtlich existent gewordene Baugenehmigung dem Kläger damals zugestellt oder bekannt gegeben worden. Jedoch verliert der Nachbar in Bezug auf eine Baugenehmigung, die ihm zwar nicht bekanntgegeben worden ist, von der er aber in anderer Weise sichere Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, seine Anfechtungsbefugnis, wenn er nicht innerhalb der (Jahres-)Frist des § 58 Abs. 2 VwGO den nötigen Rechtsbehelf einlegt (vgl. BVerwG, B.v. 28.8.1987 – 4 N 3/86 – BVerwGE 78, 85; BVerwG, U.v. 25.1.1974 – IV C 2.72 – BVerwGE 44, 294). So liegen die Dinge hier.

Der Kläger hat von der Baugenehmigung – in der der Beigeladenen erteilten Fassung – positive Kenntnis erlangt. Dies ergibt sich aus einem in den Akten befindlichen Schreiben des Klägerbevollmächtigten vom 23. April 2015, wonach der Kläger letztendliche echte Kenntnis davon, wie sich die Genehmigungssituation aufgrund der Änderungen tatsächlich darstelle, erst durch seinen Bevollmächtigten erfahren habe, und zwar als Folge einer Einsicht in die Bauakte über die rechtsanwaltliche Vertretung der Gemeinde ... am 13. März 2015. Jedenfalls im Kern sei erst im Rahmen der Einsicht über die Gemeinde selbst für den Kläger klar geworden, dass hier eine Änderung der Planung im Verfahren erfolgt sei, ohne erneute Durchführung der Nachbarbeteiligung und ohne dass gesonderte Änderungspläne eingereicht worden seien, sondern dass die Bestandspläne, auf denen sich auch die Unterschrift des Klägers befinde, durch Überklebungen verändert worden seien.

Innerhalb der damit spätestens seit 23. April 2015 laufenden Jahresfrist (§ 58 Abs. 2 VwGO) hat der Kläger keinen Rechtsbehelf eingelegt. Dabei kann offen bleiben, ob in Bezug auf die Baugenehmigung vom 26. Februar 1998 bei Kenntniserlangung im Jahr 2015 unter Heranziehung der Übergangsvorschrift in § 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung vom 22. Juni 2007 (GVBl. 390) ein Widerspruch oder die Anfechtungsklage der statthafte Rechtsbehelf gewesen wäre. Denn der Kläger hat von keinem der beiden Rechtsbehelfe Gebrauch gemacht. Die vorliegende Klage kann wegen der Bindung des Gerichts an die gestellten Anträge, § 88 VwGO, nicht als Anfechtungsklage gegen die Baugenehmigung gewertet werden; sie wäre überdies nicht innerhalb der Jahresfrist erhoben worden.

Unabhängig davon hätte der Kläger schon viel früher – spätestens im Zeitpunkt der Einweihung des neuen Rathauskomplexes am 10. November 2000 von der – auch gegenüber den ihm vorgelegten Plänen abweichenden – Baugenehmigung Kenntnis erlangen müssen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt musste sich dem Kläger das Vorliegen der Baugenehmigung in der erteilten Fassung aufdrängen und war es ihm möglich und zumutbar, sich hierüber – etwa durch Anfrage bei dem Bauherrn oder der Baugenehmigungsbehörde – Gewissheit zu verschaffen (BVerwG, B.v. 28.8.1987 – 4 N 3/86 – BVerwGE 78, 85 – juris Rn. 15; BVerwG, U.v. 25.1.1974 – IV C 2.72 – BverwGE 44, 294 – juris Rn. 25). Die Änderungen in den Plänen betrafen insbesondere einen nachträglich geplanten Aufzug, der im Bereich der dem klägerischen Grundstück zugewandten (Nord-) Seite des Rathauskomplexes liegt. Der Einbau dieses Aufzugs machte – in Fortsetzung des nötigen Schachtes – einen Aufbau auf dem nur flach geneigten Pultdach dieses Gebäudeteils nötig, der vom klägerischen Grundstück deutlich sichtbar ist. Der Kläger hat selbst auf diese Erhöhung hingewiesen und geltend gemacht, durch die Tektur (Überklebungen) würde sich die erneute Abstandsflächenfrage stellen. Da die Abstandsflächen von der Wandhöhe abhängen (Art. 6 Abs. 4 BayBO), macht der Kläger insoweit offenbar eine Erhöhung der Wandhöhe durch die Tektur geltend. Dies hätte der Kläger jedoch spätestens mit Einweihung des Gebäudekomplexes erkennen können. Im Übrigen kommt es nicht allein auf solche Änderungen an, die vom klägerischen Grundstück ohne weiteres erkennbar waren. Ebenso wenig ist erforderlich, dass der Kläger die Abweichungen von den ihm vorgelegten Plänen positiv erkannte. Spätestens mit Einweihung des Rathauses war dem Kläger bekannt, in welcher Form die Beigeladene dieses (insgesamt) errichtet hatte. Dass dem Kläger möglicherweise das Vorhaben in der von ihm unterschriebenen Form nicht mehr (vollständig) präsent war und er das tatsächliche Erscheinungsbild des Rathauses nicht mit den von ihm unterschriebenen Plänen ohne weiteres abgleichen konnte, ist unerheblich, da dies Umstände sind, die in seine Sphäre fallen. Bei der gebotenen objektiven Betrachtung war der Kläger jedenfalls im Stande, Abweichungen gegenüber den ihm vorgelegten Plänen zu erkennen und diesbezüglich, wie geboten, gegebenenfalls beim Beklagten und / oder der Beigeladenen nachzufragen, ob eine abweichende Baugenehmigung erteilt worden war.

Der Kläger muss sich daher nach Treu und Glauben so behandeln lassen, als wäre ihm die Baugenehmigung in der der Beigeladenen erteilten Fassung bereits spätestens Ende 2000 bekannt gegeben worden. Einen Widerspruch hat er seinerzeit binnen Jahresfrist, § 70 i.V.m. § 58 Abs. 2 VwGO, nicht eingelegt, so dass er sein Klagerecht bezüglich der gegenüber den ihm bekannten Plänen abweichenden Errichtung verwirkt hat.

2. Der Kläger hat sein Klagerecht auch in Bezug auf die vom ihm gerügte, von der Baugenehmigung abweichende Errichtung des Rathauskomplexes verwirkt.

Auch ein Klagerecht auf Durchsetzung eines Anspruchs auf bauaufsichtliches Einschreiten kann verwirkt sein, wenn die verspätete Geltendmachung des Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt (vgl. BayVGH, B.v. 8.1.2014 – 15 ZB 12.1236 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 21.7.2008 – 2 ZB 05.786 – juris Rn. 16). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Ein (prozessuales oder materielles) Recht darf nicht mehr ausgeübt werden, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen (Umstandsmoment; vgl. etwa BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 15 ZB 16.562 – juris Rn. 13). Wenn jedoch der Beschwerte eine derart lange Zeit abgewartet hat, dass mit einem Tätigwerden schlechthin nicht mehr zu rechnen war, kann von der Verwirkung des Rechtsschutzinteresses auch dann ausgegangen werden, wenn das Umstandsmoment in den Hintergrund tritt (BayVGH, B.v. 8.1.2014 – 15 ZB 12.1236 – juris Rn. 5; BayVGH, B.v. 2.9.2011 – 7 ZB 11.1033 – juris Rn. 10 [dazu BVerfG, B.v. 27.12.2012 – 1 BvR 2862/11, 1 BvR 2046/12 – juris]). Dies ist hier anzunehmen.

Nach Aktenlage hat der Kläger bezüglich einer planabweichenden Rathauserweiterung erstmals konkrete Einwendungen in einer Strafanzeige vom 3. Mai 2015 erhoben, mithin knapp 14 ½ Jahre nach Einweihung des gesamten Rathauskomplexes. Der Vortrag des Klägers, „immer wieder“ Einwendungen erhoben zu haben, ist unsubstantiiert; konkrete Schreiben oder Aktivitäten hat er nicht dargelegt. Die früheren Auseinandersetzungen zwischen Kläger und Beigeladener bzw. Beklagtem betrafen andere bauliche Anlagen. Im Übrigen hat der Kläger jedenfalls erst mit der vorliegenden Klage Anfang September 2016 und damit erst knapp 16 Jahre nach Einweihung rechtliche Schritte zur Durchsetzung seiner etwaigen Nachbarrechte unternommen (vgl. dazu BayVGH, B.v. 8.1.2014 – 15 ZB 12.1236 – juris Rn. 5). Nach einem derart langen Zeitraum war mit einem Tätigwerden des Klägers schlechthin nicht mehr zu rechnen. Selbst wenn darauf abgestellt wird, dass der Kläger bereits etwa ab dem Frühjahr 2010 versucht hat, gegen die Beigeladene vorzugehen (vgl. dazu Tatbestand des Urteils vom 18.5.2012 – Au 4 K 12.50), hätte der Kläger eine derart lange Zeit zugewartet, dass eine Verwirkung anzunehmen ist. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zu einer ebenfalls auf bauaufsichtliches Einschreiten gerichteten Klage entschieden, dass selbst dann, wenn ein Zeitraum von über 10 Jahren, in dem der Kläger nichts gegen das Bauvorhaben unternommen hat, zugunsten des Klägers zu verkürzen wäre, bei Erhebung der Untätigkeitsklage – dort etwa 12 Jahre nach Fertigstellung des Rohbaus – bereits ein derart langer Zeitraum verstrichen gewesen sei, dass mit einem solchen Handeln des Klägers schlechthin nicht mehr zu rechnen war (BayVGH, B.v. 8.1.2014 – 15 ZB 12.1236 – juris Rn. 16). Im vorliegenden Fall sind seit dem Richtfest, welches am 22. Juli 1998 gefeiert wurde (S. 29 der von der Beigeladenen bei Ortstermin übergebenen Broschüre), bis zur Klageerhebung mehr als 18 Jahre vergangen.

Selbst wenn trotz des verstrichenen Zeitraums für eine Verwirkung ein Umstandsmoment für nötig gehalten würde, läge ein solches hier vor. Erforderlich für die Erfüllung des Umstandsmoments ist, dass der Rechtsinhaber innerhalb eines längeren Zeitraums unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung des Rechts unternommen zu werden pflegt. Erst dadurch wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2017 – 15 ZB 16.562 – juris Rn. 13 m.w.N.). Im vorliegenden Fall hat die Beigeladene den gesamten Komplex des neuen Rathauses am 10. November 2000 eingeweiht. Das Rathaus ist offensichtlich seither vom Gemeinderat, den Bürgerinnen und Bürgern sowie der Verwaltung genutzt worden. Bereits im Februar 1999 ist die gesamte Verwaltung in den Neubau umgezogen; am 11. März 1999 hat erstmals eine Sitzung des Gemeinderats stattgefunden; im September 1999 waren auch die Sanierungsarbeiten im Altbau abgeschlossen, so dass alle Räume, wie ursprünglich geplant, bezogen werden konnten (S. 21 der beim Ortstermin übergebenen Broschüre der Beigeladenen). Während all dieser Schritte und auch viele Jahre später hatte der Kläger – obwohl direkt angrenzend wohnend – keinerlei Einwände erhoben. Es ist daher offensichtlich, dass die Beigeladene, aber auch die Öffentlichkeit, sich darauf eingestellt und darauf vertraut hatten, dass der Rathauskomplex, wie errichtet, genutzt werden konnte und dass dies auch geschehen ist. Mit einem Verlangen nach einem Rückbau durch den Kläger als Nachbarn musste niemand mehr rechnen.

Auch insoweit ist unerheblich, dass der Kläger die von ihm gerügte planabweichende Errichtung des Gebäudes, sowie eine Unrichtigkeit der genehmigten Pläne in Bezug auf den Grenzverlauf nicht in dem Sinne positiv gekannt hat, dass ihm konkrete Abweichungen bekannt waren. Das von ihm vor allem gerügte Heranrücken des Gebäudekomplexes an sein Grundstück als solches wäre spätestens beim Richtfest, aber auch all die folgenden Jahre für ihn im Grundsatz erkennbar und zu rügen gewesen. Gleichwohl ist der Kläger untätig geblieben und hat so einen Vertrauenstatbestand geschaffen. Dies gilt im Übrigen auch hinsichtlich der von ihm verlangten Einreichung eines Tekturbauantrags durch die Beigeladene; abgesehen davon hat der Nachbar keinen Anspruch auf Durchführung eines Baugenehmigungsverfahrens, also insbesondere nicht darauf, dass die Behörde von Art. 76 Satz 3 BayBO Gebrauch macht (vgl. BayVGH, U.v. 4.12.2014 – 15 B 12.1450 – juris Rn. 21).

Nachdem sich ausweislich des in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrags der gerichtlich geltend gemachte Anspruch gemäß der Klageschrift vom 5. September 2016 – nur auf das mit Bescheid vom 26. Februar 1998 genehmigte Bauvorhaben auf Fl.Nrn. ... und ... – also den „eigentlichen“ – Rathausneubau bezieht, ist wegen § 88 VwGO davon auszugehen, dass der – erst mit Bescheid vom 28. September 1999 genehmigte Carport auf Fl.Nr. ... – nicht von der vorliegenden Klage erfasst ist. Vorsorglich ist jedoch dazu auszuführen, dass in Bezug auf die Verwirkung des Klagerechts diesbezüglich die gleichen Ausführungen gelten wie beim Rathausgebäude, nachdem der Gesamtkomplex – einschließlich des Carports – am 10. November 2000 erfolgte.

Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Es entsprach der Billigkeit, dem Kläger gem. § 162 Abs. 3 VwGO auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil sich die Beigeladene durch ihre Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl
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published on 06/03/2017 00:00

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. III. Der Streitwert für das Zulassungsv
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Tenor I. Auf die Berufung des Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 8. Juli 2010 geändert: Nr. 1 des Bescheids der Beklagten vom 24. August 2009 (Az.: 63.1/01134/2009-01) wird insoweit aufgehoben, al
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Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. III. Der Streitwert für das Zula
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Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.