Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 27. Juni 2017 - Au 1 K 16.1673
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 7. November 2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 b AufenthG zu erteilen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Gründe
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Verwaltungsgericht Augsburg Urteil, 27. Juni 2017 - Au 1 K 16.1673 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).
(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, - 1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten - a)
gegen das Leben, - b)
gegen die körperliche Unversehrtheit, - c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches, - d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder - e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
- 1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, - 3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet, - 4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder - 5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, - a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt, - b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder - c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist, - 2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, - 3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht, - 4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, - 5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, - 6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist, - 7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde, - 8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland - a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder - b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
- 9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass
- 1.
der Lebensunterhalt gesichert ist, - 1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist, - 2.
kein Ausweisungsinteresse besteht, - 3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und - 4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.
(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer
- 1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und - 2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.
(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.
(1) Ausländer ist jeder, der nicht Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist.
(2) Erwerbstätigkeit ist die selbständige Tätigkeit, die Beschäftigung im Sinne von § 7 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und die Tätigkeit als Beamter.
(3) Der Lebensunterhalt eines Ausländers ist gesichert, wenn er ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Nicht als Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gilt der Bezug von:
- 1.
Kindergeld, - 2.
Kinderzuschlag, - 3.
Erziehungsgeld, - 4.
Elterngeld, - 5.
Leistungen der Ausbildungsförderung nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch, dem Bundesausbildungsförderungsgesetz und dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, - 6.
öffentlichen Mitteln, die auf Beitragsleistungen beruhen oder die gewährt werden, um den Aufenthalt im Bundesgebiet zu ermöglichen und - 7.
Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
(4) Als ausreichender Wohnraum wird nicht mehr gefordert, als für die Unterbringung eines Wohnungssuchenden in einer öffentlich geförderten Sozialmietwohnung genügt. Der Wohnraum ist nicht ausreichend, wenn er den auch für Deutsche geltenden Rechtsvorschriften hinsichtlich Beschaffenheit und Belegung nicht genügt. Kinder bis zur Vollendung des zweiten Lebensjahres werden bei der Berechnung des für die Familienunterbringung ausreichenden Wohnraumes nicht mitgezählt.
(5) Schengen-Staaten sind die Staaten, in denen folgende Rechtsakte in vollem Umfang Anwendung finden:
- 1.
Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19), - 2.
die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1) und - 3.
die Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).
(6) Vorübergehender Schutz im Sinne dieses Gesetzes ist die Aufenthaltsgewährung in Anwendung der Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 212 S. 12).
(7) Langfristig Aufenthaltsberechtigter ist ein Ausländer, dem in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union die Rechtsstellung nach Artikel 2 Buchstabe b der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. EU 2004 Nr. L 16 S. 44), die zuletzt durch die Richtlinie 2011/51/EU (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1) geändert worden ist, verliehen und nicht entzogen wurde.
(8) Langfristige Aufenthaltsberechtigung – EU ist der einem langfristig Aufenthaltsberechtigten durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ausgestellte Aufenthaltstitel nach Artikel 8 der Richtlinie 2003/109/EG.
(9) Einfache deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten Nr. R (98) 6 vom 17. März 1998 zum Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen – GER).
(10) Hinreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau A 2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(11) Ausreichende deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(11a) Gute deutsche Sprachkenntnisse entsprechen dem Niveau B2 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
(12) Die deutsche Sprache beherrscht ein Ausländer, wenn seine Sprachkenntnisse dem Niveau C 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen entsprechen.
(12a) Eine qualifizierte Berufsausbildung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn es sich um eine Berufsausbildung in einem staatlich anerkannten oder vergleichbar geregelten Ausbildungsberuf handelt, für den nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften eine Ausbildungsdauer von mindestens zwei Jahren festgelegt ist.
(12b) Eine qualifizierte Beschäftigung im Sinne dieses Gesetzes liegt vor, wenn zu ihrer Ausübung Fertigkeiten, Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind, die in einem Studium oder einer qualifizierten Berufsausbildung erworben werden.
(12c) Bildungseinrichtungen im Sinne dieses Gesetzes sind
- 1.
Ausbildungsbetriebe bei einer betrieblichen Berufsaus- oder Weiterbildung, - 2.
Schulen, Hochschulen sowie Einrichtungen der Berufsbildung oder der sonstigen Aus- und Weiterbildung.
(13) International Schutzberechtigter ist ein Ausländer, der internationalen Schutz genießt im Sinne der
- 1.
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12) oder - 2.
Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).
(14) Soweit Artikel 28 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31), der die Inhaftnahme zum Zwecke der Überstellung betrifft, maßgeblich ist, gelten § 62 Absatz 3a für die widerlegliche Vermutung einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 und § 62 Absatz 3b Nummer 1 bis 5 als objektive Anhaltspunkte für die Annahme einer Fluchtgefahr im Sinne von Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 entsprechend; im Anwendungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 bleibt Artikel 28 Absatz 2 im Übrigen maßgeblich. Ferner kann ein Anhaltspunkt für Fluchtgefahr vorliegen, wenn
- 1.
der Ausländer einen Mitgliedstaat vor Abschluss eines dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz verlassen hat und die Umstände der Feststellung im Bundesgebiet konkret darauf hindeuten, dass er den zuständigen Mitgliedstaat in absehbarer Zeit nicht aufsuchen will, - 2.
der Ausländer zuvor mehrfach einen Asylantrag in anderen Mitgliedstaaten als der Bundesrepublik Deutschland im Geltungsbereich der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 gestellt und den jeweiligen anderen Mitgliedstaat der Asylantragstellung wieder verlassen hat, ohne den Ausgang des dort laufenden Verfahrens zur Zuständigkeitsbestimmung oder zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz abzuwarten.
- a)
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 oder 2 besteht, - b)
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Überstellungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und - c)
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Überstellungshaft entziehen will.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 3. November 2016 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Der Antragsteller, ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Vorliegend wendet sich die Antragsgegnerin gegen die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung, von einer Abschiebung des Antragstellers bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eines die Hauptsache betreffenden erstinstanzlichen Urteils abzusehen.
- 2
Der Antragsteller kam im Alter von 14 Jahren zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern (wohl) im September 2004 in die Bundesrepublik Deutschland. Die Familie gab dabei den Namen … an und behauptete, keine Pässe zu besitzen. Die Antragsgegnerin forderte die Familie bestandskräftig zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung an. Ab 18. November 2004 erhielt der Antragsteller fast ununterbrochen Duldungen. Nachdem er volljährig geworden war, forderte die Antragsgegnerin ihn wiederholt vergeblich auf, sich Identitätspapiere zu beschaffen und diese vorzulegen. Anfang Dezember 2013 gab die Mutter des Antragstellers – der Vater hatte sich zuvor von der Familie getrennt – bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde zu, dass die bisher von der Familie verwendeten Personalien falsch seien; richtige Papiere sollten besorgt und vorgelegt werden. Ende März 2014 legte der Antragsteller einen bereits am 18. März 2004 ausgestellten aserbaidschanischen Personalausweis mit den jetzigen Personalien vor, im November 2014 ferner einen gültigen aserbaidschanischen Pass.
- 3
Nachdem dem Antragsteller erstmals im Mai 2015 die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt worden war, begann er Mitte Juli 2015 mit einer Beschäftigung bei einem Personalservice-Unternehmen.
- 4
Bereits am 12. Dezember 2014 hatte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen beantragt und in der Folge wiederholt daran erinnert. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK und des (künftigen) § 25b AufenthG dürften erfüllt sein. Mit Bescheid vom 17. Juni 2016 lehnte das Einwohner-Zentralamt der Antragsgegnerin den Antrag ab. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG sei abzulehnen. Aufgrund der langen zielgerichteten Verschleierung der Identität sei zwar die zeitliche Voraussetzung eines mindestens achtjährigen geduldeten Aufenthalts erreicht. Eine nachhaltige Integration liege aber nicht vor. Das erst seit Mitte Juli 2015 bestehende Beschäftigungsverhältnis reiche, auch wenn der Antragsteller hieraus aktuell seinen finanziellen Grundbedarf fast decke, nicht aus, eine positive Prognose abzugeben; hiergegen spreche auch, dass der Antragsteller keinen Schulabschluss habe und über keine Berufsausbildung verfüge. Auch die Voraussetzungen von § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Den Widerspruch des Antragstellers wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2016, dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 26. September 2016 zugestellt, zurück. Die langjährigen Täuschungshandlungen des Antragstellers hätten ein solches Gewicht, dass ein Ausnahmefall von der Regelannahme der nachhaltigen Integration gegeben sei. Am 15. November 2016 übersandte der Antragsteller-Bevollmächtige die Klageschrift vom 14. Oktober 2016 per Telefax an das Verwaltungsgericht und beantragte zugleich mit gesondertem Schriftsatz die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
- 5
Bereits am 7. Oktober 2016 hatte der Antragsteller, den die Antragsgegnerin am Tag zuvor hatte abschieben wollen, beantragt, die Antragsgegnerin mittels einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. November 2016 insoweit statt, als es die Antragsgegnerin verpflichtete, bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eines die Hauptsache betreffenden erstinstanzlichen Urteils von einer Abschiebung des Antragstellers abzusehen.
- 6
Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus: Der Antragsteller erfülle die in § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG aufgeführten Regelvoraussetzungen für die Annahme einer nachhaltigen Integration. Das Gericht könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit einen Ausnahmefall feststellen, in dem trotz Erfüllung der genannten Voraussetzungen eine nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu verneinen sei. Die zurückliegende langjährige Täuschung des Antragstellers über seine Identität, die keinen Versagungsgrund nach § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfülle, begründe keinen atypischen Ausnahmefall. Da sich der Gesetzgeber bewusst gewesen sein, dass viele geduldete Ausländer ihren Duldungsstatus maßgeblich durch Identitätstäuschung erlangt hätten, erscheine es fraglich, ob zurückliegende Täuschungshandlungen überhaupt einen ungeschriebenen Ausnahmefall begründen könnten. Allerdings solle nach der Gesetzesbegründung nicht jedes in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten amnestiert werden. Somit könne ein ungeschriebener Ausnahmefall aufgrund zurückliegender Täuschungshandlungen allenfalls dann angenommen werden, wenn den Täuschungshandlungen in einem atypischen Fall eine besondere Verwerflichkeit beizumessen sei. Dies sei im Fall des Antragstellers nicht gegeben. Weder sei die fast zehnjährige Dauer der Identitätstäuschung im Anwendungsbereich des § 25b AufenthG untypisch noch sei das Verhalten des Antragstellers, der in das Täuschungsverhalten gleichsam hineingewachsen sei, in besonderem Maße verwerflich. Ebenso dürfte der Umstand, dass der Antragsteller auch aufgrund vieler unentschuldigter Fehlzeiten keinen Schulabschluss erreicht habe, noch keinen atypischen Ausnahmefall begründen; § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG zeige nämlich, dass dann, wenn der Lebensunterhalt tatsächlich überwiegend gesichert werde, eine Prognose der Erwerbsmöglichkeiten anhand der Schul- und Ausbildungssituation nicht angestellt werden müsse. Dem Antragsteller sei auch kein (schwerwiegendes) Ausweisungsinteresse (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) entgegenzuhalten. Das frühere Fehlverhalten gefährde aktuell die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland nicht; es sei nicht zu erwarten, dass der Antragsteller künftig gleichartige Rechtsverstöße wieder begehen werde. Im übrigen wäre es ein Wertungswiderspruch, wenn vergangene Identitätstäuschungen bei Prüfung der nachhaltigen Integration im Sinn von § 25b Abs. 1 AufenthG grundsätzlich keinen atypischen Ausnahmefall begründen könnten, im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen aber zur Annahme eines Ausweisungsinteresses und damit zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führten.
- 7
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie ist der Ansicht, dass dann, wenn jemand über Jahre über seine Identität getäuscht habe, nicht von einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden könne. In einem solchen Fall sei von einem gegen eine Integration sprechenden Ausnahmefall auszugehen. In Übereinstimmung mit Entscheidungen verschiedener Oberverwaltungsgerichte sei sie der Auffassung, dass die langjährige Identitätstäuschung des Antragstellers nach Art und Dauer so bedeutsam sei, dass sie das Gewicht der in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG aufgeführten Integrationsleistungen beseitige. Auch sei vorliegend ein Ausweisungsinteresse zu bejahen; der vom Verwaltungsgericht angenommene Wertungswiderspruch bestehe nicht. Immer dann, wenn ein Ausweisungsinteresse bestehe, müsse auch davon ausgegangen werden, dass sich der Ausländer nicht nachhaltig in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe. Schließlich sei zu befürchten, dass die Beschäftigungsverhältnisse des Antragstellers aufgrund seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung künftig immer prekär sein würden, auch wenn er gegenwärtig seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichere.
II.
- 8
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene und begründete Beschwerde der Antragsgegnerin hat im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar hat die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerdebegründung tragende Teile der Begründung des angefochtenen Beschlusses in ausreichender Weise in Zweifel gezogen. Hierdurch ist das Beschwerdegericht berechtigt, ohne die Begrenzung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO eigenständig über den Anordnungsantrag des Antragstellers zu entscheiden. Indes ergibt diese Prüfung, dass das Verwaltungsgericht zu Recht eine einstweilige Anordnung zugunsten des Antragstellers erlassen hat.
- 9
1. Das Beschwerdegericht geht für das einstweilige Rechtsschutzverfahren davon aus, dass der Ablehnungsbescheid des Einwohner-Zentralamts vom 17. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. September 2016 noch nicht bestandskräftig ist.
- 10
a) Der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2016 wurde dem Antragsteller-Bevollmächtigten am 26. September 2016 per Empfangsbekenntnis zugestellt (S. 455 der Ausländerakte). Die Klagefrist endete am 26. Oktober 2016, ohne dass bis dahin eine Klage beim Verwaltungsgericht eingegangen war. Damit wurde der Ablehnungsbescheid zunächst bestandskräftig; unter diesen Umständen hätte das Verwaltungsgericht am 3. November 2016 dem Eilantrag des Antragstellers nicht stattgeben dürfen; die dennoch erlassene einstweilige Anordnung ging zunächst ins Leere.
- 11
b) Indes bewirkt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass die eingetretene Bestandskraft des Ablehnungsbescheides nachträglich wieder entfällt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2015, § 60 Rn. 1). Solches dürfte hier in Betracht kommen. Die auf den 14. Oktober 2016 datierte Klageschrift wurde per Telefax am 15. November 2016 an das Verwaltungsgericht übersandt (Verfahren 17 K 6798/16). Ebenfalls am 15. November 2016 ging beim Verwaltungsgericht ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein. Über diesen muss originär zwar das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren entscheiden (§ 60 Abs. 4 VwGO), doch ist im Rahmen der Beschwerdeentscheidung eine Prognose über den voraussichtlichen Erfolg dieses Antrags zu stellen.
- 12
aa) Die Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag dürften wohl ausreichend sein, um Wiedereinsetzung wegen unverschuldeter Fristversäumnis zu gewähren. Nach den Kanzleiunterlagen sei die Klage am 14. Oktober 2016 gefertigt und dem Bevollmächtigten zur Unterschrift vorgelegt worden. Dieser habe die unterschriebene und mit weiteren Schriftstücken versehene Klage an die Kanzleiangestellte zurückgegeben, die sie zur Gerichtspost gelegt habe. Frau Rechtsanwältin H. aus der Bürogemeinschaft des Bevollmächtigten habe am Dienstag, den 18. Oktober 2016 den Postausgangskorb geleert und die Post in der Poststelle des Amtsgerichts Hamburg (die auch zur Entgegennahme von an das Verwaltungsgericht gerichteter Post zuständig ist) abgegeben. Am Tag des Fristablaufs sei die Erledigung mit positivem Ergebnis überprüft worden.
- 13
Kritisch mag sein, dass die Kanzleimitarbeiterin in ihrer eidesstattlichen Versicherung lediglich "davon ausgeht", dass sie die gefertigte und vom Anwalt unterzeichnete Klageschrift in den Ausgangskorb für Gerichtspost gelegt habe, da sie dort hinein "gehört hätte", und dass keine Erklärung der Rechtsanwältin H. ... über das Leeren des Gerichtspostausgangskorbes und das Abgeben der Gerichtspost bei der Gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts Hamburg am 18. Oktober 2016 vorliegt. Ein lückenloser Nachweis von Routinevorgängen für jeden Einzelfall wird aber nicht verlangt werden können. Bei der Aktenkontrolle am Tag des Fristablaufs (26. Oktober 2016) zeigte sich, dass sich in der Handakte – wie das bei ordnungsgemäßer Erledigung einer solchen Fristsache üblicherweise der Fall ist – eine Klageschriftkopie mit der Bemerkung befand, der Mandant habe eine Abschrift der Klageschrift erhalten. Der Umstand, dass noch keine Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts vorlag, musste – abgesehen davon, dass zwischen der angenommenen Mitnahme der Post durch Frau Rechtsanwältin H. ... und dem Ende der Klagefrist nur acht Tage lagen – hier nicht zwingend eine Nachfrage beim Verwaltungsgericht veranlassen, da die Klage mit gut ausreichendem Zeitvorlauf abgesandt worden war bzw. worden sein soll. Eine Nachfrage beim Verwaltungsgericht oder gar eine vorsichtshalber noch vorgenommene Übersendung der Klageschrift per Fax wäre allenfalls dann veranlasst gewesen, wenn zweifelhaft gewesen wäre, ob die gewählte Übersendungsart ausgereicht hätte, die Frist zu wahren (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 29.12.1994, 2 BvR 106/93, NJW 1995, 1210, juris Rn. 19).
- 14
bb) Der Wiedereinsetzungsantrag dürfte auch rechtzeitig – innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (§ 60 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. VwGO) – gestellt worden sein. Der Bevollmächtigte hat im Wiedereinsetzungsantrag angegeben, er habe die Säumnis "im Rahmen der Prozessvorbereitung am Montag, 14.10.2016 bemerkt", weil die Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts noch nicht vorgelegen habe; eine telefonische Nachfrage seitens seiner Kanzleiangestellten beim Verwaltungsgericht "am 15.10.2016" habe ergeben, dass eine Klage dort nicht vorliege. Soweit sich die Datumsangaben auf den Monat Oktober zu beziehen scheinen, handelt es sich erkennbar um ein Versehen. Der 14. Oktober 2016 war – anders als der 14. November – kein Montag, sondern ein Freitag. Wenn die Klageschrift vom 14. Oktober 2016 datiert, konnte an diesem Tag noch keine Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts vorliegen. Auch der Umstand, dass die Klageschrift vom 14. Oktober 2016 am 15. November 2016 ans Gericht gefaxt wurde, spricht dafür, dass die Säumnis erst am 14. November 2016 bemerkt worden war. Von einem Versehen hinsichtlich der Datumsabgabe geht auch der Bevollmächtigte des Antragstellers aus. Mit der Formulierung "im Rahmen der Prozessvorbereitung" meinte er, wie er auf Nachfrage mitgeteilt und belegt hat, die Vorbereitung auf eine strafrechtliche Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Hamburg.
- 15
Es kann dahinstehen, ob dem Bevollmächtigten bereits bei sorgfältiger Lektüre des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 3. November 2016 hätte auffallen müssen, dass bis zu diesem Zeitpunkt beim Verwaltungsgericht noch keine Klage eingegangen war, da die Ausführungen auf Seite 3 des Beschlusses nur für diesen Fall Sinn machten. Aber auch dann, wenn auf den Empfang dieses Beschlusses (laut Empfangsbekenntnis am 10. November 2016) abgestellt würde, wäre mit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 15. November 2016 die Zwei-Wochen-Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 und 3 VwGO gewahrt.
- 16
2. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht zugunsten des Antragstellers eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO des Inhalts erlassen, dass der Antragsteller vorläufig nicht abgeschoben werden darf.
- 17
Ein Anordnungsgrund liegt offenkundig vor: Die Antragsgegnerin hatte Vorbereitungen getroffen, den Antragsteller am 6. Oktober 2016 abzuschieben; das Vorhaben scheiterte allein daran, dass der Antragsteller am Morgen dieses Tages nicht in seiner Wohnung angetroffen worden war. Die Mutter des Antragstellers war bereits am 19. Juli 2016 nach Aserbaidschan abgeschoben worden.
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Der Antragsteller kann sich auch auf einen Anordnungsanspruch berufen. Es kommt zumindest ernsthaft in Betracht, dass die Antragsgegnerin über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erneut zu entscheiden haben wird. Angesichts dessen überwiegt das Interesse des Antragstellers, vorläufig von Abschiebemaßnahmen verschont zu bleiben. Ein Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG dürfte kaum erfolgreich aus dem Ausland betrieben werden können, da es dann schon an der gesetzlichen Voraussetzung des "geduldeten Ausländers" fehlen würde.
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a) Das Beschwerdegericht hat Bedenken, dem Verwaltungsgericht in seiner Ansicht zu folgen, der Antragsteller erfülle "unstreitig die regelmäßigen Voraussetzungen für eine nachhaltige Integration nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG". So ist den Sachakten und Gerichtsakten nicht zu entnehmen, ob der Antragsteller sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sowie über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse verfügt (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG). Dass dem Antragsteller solche Kenntnisse in der Schule vermittelt worden sind, ist fraglich. Die im Jahr 2016 ausgestellte Bescheinigung über den Besuch der Klasse ABC der Schule ... vom 29. Oktober 2004 bis 31. Juli 2005 – kurz nach der Einreise der Familie – enthält keine Angaben über die Intensität des Schulbesuchs und ggf. erzielte Leistungen. Die Zeugnisse der Berufsvorbereitungsschule (Vorbereitungsjahr für Migranten) weisen für den Zeitraum von 6. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2008 hohe Fehlzeiten und überwiegend "mangelhafte" Leistungen (soweit überhaupt bewertbar) aus. – Allerdings hat die Antragsgegnerin diese Fragen bisher nicht thematisiert, so dass dem Antragsteller nicht vorzuhalten ist, er habe das Vorliegen der genannten Voraussetzungen im vorliegenden Verfahren nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller wird die Erfüllung dieser Voraussetzungen allerdings im Hauptsacheverfahren noch nachweisen müssen.
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b) Die übrigen Integrationsanforderungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 AufenthG (die Nr. 5 ist hier nicht einschlägig) sind erfüllt.
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aa) Der Antragsteller hält sich seit September 2004 ununterbrochen in Deutschland auf. Sein Aufenthalt ist jedenfalls seit 18. November 2004 auch formell geduldet. Geringfügige Unterbrechungen bei den Duldungszeiträumen beruhten darauf, dass sich der Antragsteller in Untersuchungshaft (März 2010) bzw. in stationärer Krankenhausbehandlung (Ende 2014/Anfang 2015) befand. Die Voraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG ist somit erfüllt.
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bb) Der Antragsteller dürfte seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG).
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Der Antragsteller erhielt erstmals am 11. Mai 2015 eine Duldung, in der ihm die Beschäftigung erlaubt wurde. Bei der Antragsgegnerin legte er in der Folge Verdienstabrechnungen über eine Tätigkeit bei der P. Service Zeitarbeit UG in Hamburg von Juli 2015 bis Februar 2016 vor. Mit dem aus diesem Arbeitsverhältnis erzielten Lohn vermochte der Antragsteller laut Berechnung der Antragsgegnerin (angenommener Grundbedarf: 715,24 Euro, siehe Ausländerakte S. 366) seinen Lebensunterhalt fast vollständig zu sichern; die Unterdeckung lag unter 10 Euro.
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Da der Antragsteller in seinem Eilantrag vom 7. Oktober 2016 lediglich ausgeführt hatte, er gehe auch weiterhin einer Beschäftigung nach, forderte das Beschwerdegericht Nachweise hierüber an. Aus den im März und Mai 2017 vorgelegten Lohnabrechnungen ergibt sich, dass der Antragsteller bei der P… Service Zeitarbeit UG von Juli 2015 bis Ende Mai 2016 beschäftigt war, anschließend vom 27. Juni bis 27. Juli 2016 bei der T. … Personaldienstleistung GmbH. Vom 15. August bis 20. Oktober 2016 und wieder ab 1. Dezember 2016 bis zumindest Februar 2017 (Bescheinigung im März 2017 übersandt) war bzw. ist der Antragsteller bei der H. … Personal Service GmbH beschäftigt.
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Aus den Lohnabrechnungen ergibt sich für die Zeit von Januar bis Mai 2016 ein Bruttolohn von insgesamt 7.008,01 Euro (netto: 5.244,36 Euro), für Juni/Juli 2016 (nur zeitweilig beschäftigt) von insgesamt 1.186,65 Euro brutto (netto: 934,15 Euro) und für die Monate August bis Oktober 2016 (im August und Oktober nur teilweise beschäftigt) insgesamt 3.428,29 Euro brutto (netto: 2.479,66 Euro). Im Dezember 2016 verdiente der Antragsteller schließlich 2.045,11 Euro brutto (netto: 1.405,78 Euro). Die Bruttosumme über das ganze Jahr 2016 beträgt damit 13.668,06 Euro, die Nettosumme 10.063,95 Euro.
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Die Bezüge für die beiden ersten Monate des Jahres 2017, bezogen jeweils von der H. … Personal Service GmbH, beliefen sich auf brutto 1.078,84 Euro und 1.663,74 Euro (netto: 828,23 Euro und 1.341,74 Euro).
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Jedenfalls mit dem hieraus zu errechnenden Durchschnittsverdienst sichert der Antragsteller seinen Lebensunterhalt (monatlicher Grundbedarf: 715,24 Euro, siehe oben) überwiegend durch Erwerbstätigkeit, selbst wenn vom Nettoverdienst noch die Beträge nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II abgezogen werden (zur Maßgeblichkeit der Bedarfsermittlung nach den entsprechenden Bestimmungen des SGB II vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32.07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 19 ff.).
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Die Beschäftigungsbiografie des Antragstellers seit Juli 2015 rechtfertigt insgesamt die Annahme, dass der Antragsteller auch künftig in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Zwar finden sich in dieser Zeit einige Lücken, in denen der Antragsteller nicht beschäftigt war, wobei dies in Einzelfällen möglicherweise auch auf sein eigenes Verhalten zurückzuführen war (vgl. Bemerkungen auf den Lohnabrechnungen der T. … Personaldienstleistung GmbH, Gerichtsakte Bl. 141 f.). Doch ist es dem Antragsteller immer wieder relativ zeitnah gelungen, erneute Beschäftigungen zu finden. Durch die Verdiensthöhen mag es ihm auch gelungen sein, Zeiten zu überbrücken, in denen er kein Geld verdiente.
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Angesichts dessen kommt es auf die gesetzliche Alternative einer positiven Prognose künftiger Lebensunterhaltssicherung aufgrund der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation nicht an. Das Gesetz stellt in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG die beiden dort genannten Möglichkeiten durch Verwendung des Wortes "oder" als Alternativen nebeneinander.
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c) Die Täuschung des Antragstellers über seine Identität, die auch nach Erreichen der Volljährigkeit im Jahr 2008 noch mehrere Jahre andauerte, verbunden mit der Weigerung, an der Beseitigung von Ausreisehindernissen mitzuwirken, dürfte dazu führen, dass – im Fall der Erfüllung aller Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG (siehe oben) – ein Ausnahmefall vom Sollanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt (ee). In diesem Fall wäre von der Antragsgegnerin (erneut) nach Ermessen über den Antrag des Antragstellers zu entscheiden. Der Umstand, dass die Täuschung inzwischen seit über drei Jahren zurückliegt und seit 2 ½ Jahren ein gültiger Pass vorliegt, lässt eine Anwendung von § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht zu (aa), rechtfertigt aber auch nicht schon, das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten gänzlich unberücksichtigt zu lassen (bb). Auch ist es mit dem Wortlaut und der Systematik von § 25b AufenthG kaum zu vereinbaren, aufgrund des früheren Fehlverhaltens die Annahme einer nachhaltigen Integration im Sinn des Gesetzes zu verneinen (cc). Das zurückliegende Fehlverhalten ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht mehr geeignet, ein noch aktuelles Ausweisungsinteresse im Sinn von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu begründen (dd).
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aa) § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG schließt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur für den Fall zwingend aus, dass der Ausländer (noch) aktuell die Aufenthaltsbeendigung u.a. durch Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert (so auch Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 25b AufenthG Rn. 31; Fränkel in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 25b AufenthG Rn. 21; OVG Magdeburg, Beschl. v. 23.9.2015, 2 M 121/15, EzAR-NF 33 Nr. 45, juris Rn. 10; OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 8). Dies ergibt sich klar aus der Verwendung der Präsensform "verhindert oder verzögert" im Gesetzestext und entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen (vgl. BT-Dr. 18/4097, S. 44 zu Absatz 2 Nr. 1: "Diese Regelung knüpft nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers an, …"), auch wenn einzuräumen ist, dass die Gesetzesbegründung hier nicht widerspruchsfrei ist. So heißt es kurz vorher (a.a.O., zu Absatz 2), die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sei ausgeschlossen, wenn der Ausländer … "die Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich verhindert oder hinausgezögert hat."
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bb) Die Verwendung der Präsensform in § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG rechtfertigt für sich allerdings nicht, das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Dem stehen verschiedene Öffnungsmöglichkeiten im Gesetzestext (Abs. 1 Satz 1: "soll"; Abs. 1 Satz 2: "regelmäßig"; Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 AufenthG) sowie Formulierungen in der Gesetzesbegründung entgegen. So soll die Anknüpfung "nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers" im Ausschlussgrund nach § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG "keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren" sein (BT-Drs. 18/4097, S. 44). Allerdings bleibt offen, an welcher Stelle der Normanwendung das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten berücksichtigt werden soll (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 11.4.2017, 1 Bs 55/17, juris Rn. 13 ff.).
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cc) Verschiedentlich wird angenommen, aufgrund früheren Fehlverhaltens könne ausnahmsweise die Annahme einer nachhaltigen Integration im Sinn des Gesetzes verneint werden (so OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 8 ff.; offengelassen von OVG Bautzen, Beschl. v. 2.9.2016, 3 B 368/16, juris Rn. 6; ablehnend Kluth in: Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 2016, § 25b AufenthG Rn. 10). Dem schließt sich der Senat nicht an.
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Schon rein tatsächlich wird eine Integration nicht zu bestreiten sein, wenn ein illegal eingereister Ausländer rasch gut Deutsch lernt, einen guten Schul- oder Berufsabschluss erreicht, danach einen qualifizierten Arbeitsplatz mit gutem Verdienst erhält und sich im übrigen auch noch sozial oder im Bereich des Sports (z.B. Trainer) engagiert, allerdings – aus welchen Gründen auch immer – über längere Zeit über seine Identität getäuscht hat.
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Auch der Gesetzestext des § 25b AufenthG spricht im genannten Beispielsfall für die Annahme einer nachhaltigen Integration. In Absatz 1 Satz 2 ist die Beachtung der Rechtsordnung bzw. straffreies Verhalten nicht als notwendiges Element einer nachhaltigen Integration aufgeführt. Allerdings ist einzuräumen, dass die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/4097, S. 45) dies anders zu sehen scheint. Dort heißt es (allerdings zu Abs. 2 Nr. 2), grundsätzlich sollten "nur Ausländer, die sich an Recht und Gesetz halten, wegen ihrer vorbildlichen Integration begünstigt werden". Die Formulierung "Dies setzt regelmäßig voraus" zu Beginn von Absatz 1 Satz 2 ist nach dem Wortlaut und nach der Gesetzesbegründung allerdings (nur) eine Öffnung für besondere Integrationsleistungen von vergleichbarem Gewicht, wenn einzelne der in Satz 2 aufgeführten Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt sind (siehe BT-Drs. 18/4097, S. 42). Wörtlich heißt es in der Begründung:
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"Sofern die in Satz 2 genannten Voraussetzungen vorliegen, ist von einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Nur in Ausnahmefällen kann von der Titelerteilung abgesehen werden."
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Dabei ist der erste Satz aus diesem Zitat wörtlich der Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrats für einen neuen § 25b AufenthG - BR-Drs. 505/12 (Beschluss) vom 22. März 2013 - entnommen. Damals begann der ansonsten textgleiche Satz 2 allerdings noch mit "Dieses [nachhaltige Integration] ist insbesondere der Fall, wenn". Anders als der Bundesrats-Vorschlag erscheint der aktuelle Gesetzestext zwar eher auch für die etwaige Hinzufügung weiterer Erfordernisse offen zu sein, die auch im Nichtvorliegen negativ zu bewertender Umstände (z.B. keine Strafbarkeit, kein Täuschungshandlungen in der Vergangenheit) liegen können. Das würde aber mit der Gesetzesbegründung nicht recht zusammenpassen. Der dortige Satz "Nur in Ausnahmefällen kann von der Titelerteilung abgesehen werden." dürfte sich eher auf die Sollbestimmung des Abs. 1 Satz 1 beziehen (siehe unten bei ee). Außerdem nimmt die Begründung zu der in Satz 2 enthaltenen Formulierung "setzt regelmäßig voraus" allein auf sonstige (positive) Integrationsleistungen Bezug, die im Einzelfall in der Gesamtschau das Fehlen einzelner der in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG aufgeführten Elemente kompensieren können (vgl. zu dieser Problematik – noch zur Entwurfsfassung – insgesamt auch OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 9).
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Auch die Allgemeinen Anwendungshinweise (AAH) des Bundesministeriums des Inneren zu § 25b AufenthG erwähnen in Teil II (zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 1) unter "A Allgemeine Hinweise" nur die Möglichkeit, dass wegen besonderer anderer Integrationsleistungen auf die Erfüllung der ausdrücklich aufgeführten Voraussetzungen im Einzelfall verzichtet werden kann.
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Schließlich führt § 25b Abs. 2 AufenthG bestimmte Verhaltensweisen bzw. Bestrafungen (bzw. ein daraus folgendes Ausweisungsinteresse) erst als zwingende Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 aus. Das lässt darauf schließen, dass das in Absatz 2 erfasste Fehlverhalten gesetzessystematisch nicht schon zur Verneinung einer nachhaltigen Integration führt, da sonst hätte formuliert werden können: "Eine nachhaltige Integration liegt nicht vor, wenn …". Allerdings ist einzuräumen, dass die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/4097, S. 45 zu Abs. 2 Nr. 2) dies anders zu sehen scheint, wenn es dort heißt, bei Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 bis 6 AufenthG n.F werde "ebenfalls regelmäßig keine nachhaltige Integration gegeben sein" (ähnlich in Teil I der AAH). Hierzu ist allerdings zu bemerken, dass – wie gezeigt – wiederholt zwischen dem Gesetzestext und der Begründung des Gesetzentwurfs gewisse Brüche bestehen.
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dd) Die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses) im Rahmen von § 25b AufenthG ist im Grundsatz unstreitig. Sie wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/4097, S. 45 zu Absatz 2 Nr. 2) auch ausdrücklich erwähnt. § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG enthält ausdrückliche Abweichungen von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG; § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG regelt ferner insofern eine Abweichung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, als für die dort geregelten Fälle – strenger als die allgemeine Vorschrift – zwingend die Versagung der Aufenthaltserlaubnis vorgeschrieben wird. Im übrigen bleibt es bei der Geltung der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen (vgl. auch - zu § 25a AufenthG - BVerwG, Urt. v. 14.5.2013, 1 C 17.12, BVerwGE 146, 281, juris Rn. 18 ff.).
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Ein Ausweisungsinteresse muss allerdings noch aktuell sein: Nicht die Verwirklichung eines Ausweisungstatbestandes in der Vergangenheit, sondern der Fortbestand des Ausweisungsinteresses, also eine aktuell bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnis-Antrag, soll die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hindern (vgl. Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 5 AufenthG Rn. 55). Hieran kann man erheblich zweifeln, wenn die bisher zweifelhafte Identität inzwischen eindeutig geklärt ist bzw. – wie im Fall des Antragstellers – eine falsche Identität durch Vorlage richtiger Dokumente vor inzwischen mehreren Jahren richtiggestellt wurde. Die Bejahung eines fortbestehenden Ausweisungsinteresses in einem solchen Fall geriete zudem in ein Spannungsverhältnis zu § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, wonach nur aktuelle Täuschungen oder Verletzungen der Mitwirkungspflicht (dann allerdings zwingend) negativ zu beachten sind (vgl. hierzu unter aa). Soweit ein Ausweisungsinteresse noch aktuell ist, kann allerdings bei der Anwendung von § 25b AufenthG gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Erfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden (vgl. zu den hierbei anzustellenden Erwägungen BVerwG, Urt. v. 14.5.2013, a.a.O., Rn. 31; zur Übertragung dieser Gedanken auf § 25b AufenthG: Hailbronner, AuslR, Stand Oktober 2016, § 25b AufenthG Rn. 12; siehe auch Fränkel in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 25b AufenthG Rn. 23).
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ee) Ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten in Form von Identitätstäuschungen, fehlender Mitwirkung an der Beseitigung von Ausreisehindernissen o.ä. lässt sich systematisch am besten in der Form erfassen, dass es als möglicher Ausnahmefall von der Regelerteilungsnorm des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG angesehen wird (so wohl auch Hailbronner, a.a.O., § 25b AufenthG Rn. 9; OVG Magdeburg, Beschl. v. 23.9.2015, 2 M 121/15, EzAR-NF 33 Nr. 45, juris Rn. 10; angedeutet auch bei OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 15, dort wohl unter Vertauschung von Satz 1 und 2).
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§ 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG räumt nur einen Soll-Anspruch ein. Das ermöglicht es, besondere Umstände zu berücksichtigen und im Hinblick auf diese die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trotz vorliegender nachhaltiger Integration ausnahmsweise zu versagen (vgl. zur Bedeutung einer Soll-Regelung: BVerwG, Urt. v. 17.12.2015, 1 C 31.14, BVerwGE 153, 353, juris Rn. 21 f.).
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Die Gesetzesbegründung zu § 25b AufenthG enthält verschiedene Anhaltspunkte, aus denen der gesetzgeberische Wille erkennbar wird, früheres Fehlverhalten über die "Soll"-Regelung des Absatz 1 Satz 1 zu erfassen und zu bewerten. So heißt es zu Absatz 1 (BT-Drs. 18/4097, S. 42):
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"Wenn die Voraussetzungen des § 25b vorliegen, soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Sofern die in Satz 2 genannten Voraussetzungen vorliegen, ist von einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Nur in Ausnahmefällen kann von der Titelerteilung abgesehen werden."
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Weitere Ausführungen, wonach "grundsätzlich … nur Ausländer, die sich an Gesetz und Recht halten, wegen ihrer vorbildlichen Integration begünstigt werden" sollen, die Regelung in Absatz 2 Nr. 1, die nur an aktuelle (ergänze: fehlende) Mitwirkungshandlungen des Ausländers anknüpfe, "jedoch keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren" sein solle und die Aussage, wonach "bei Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 2 Nummer 3 bis 6 n.F. ebenfalls regelmäßig keine nachhaltige Integration gegeben sein" werde, befinden sich zwar bei der Begründung zu Absatz 2 Nr. 1 und 2 (BT-Drs. 18/4097, S. 44, 45), doch lassen sich die vorgestellten Verhaltensweisen sowie die hieraus erkennbare Absicht des Gesetzgebers über die Anwendung der Soll-Regelung des Absatzes 1 Satz 1 erfassen.
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Auch dann, wenn im Rahmen der Sollregelung des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Ausnahmefall nur solche Fälle angesehen werden, die sich durch besondere, atypische Umstände auszeichnen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen (vgl. statt vieler: BVerwG, Urt. v. 16.8.2011, 1 C 12.10, InfAuslR 2012, 53 juris Rn. 18), erscheint es allerdings zweifelhaft, ob in der Vergangenheit liegende Identitätstäuschungen deshalb grundsätzlich nicht als atypische Ausnahmefälle im Sinn von § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehen sind, weil viele Ausländer in der Vergangenheit über ihre Identität getäuscht bzw. sich nicht um einen Pass gekümmert hätten und dem Gesetzgeber dies bewusst gewesen sei; ein Ausnahmefall könne daher allenfalls dann angenommen werden, wenn den Täuschungshandlungen in einem atypischen Fall eine besondere Verwerflichkeit zukomme (so das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss, S. 6). Die Gründe, weshalb es in der Vergangenheit nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung gekommen ist, können jedoch vielfältig sein. Motiv für die Schaffung einer alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung war jedenfalls der Umstand, dass "die aufenthaltsrechtliche Situation … derzeit allerdings in vielen Fällen weder durch eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung noch durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verändert werden" könne (vgl. Gesetzesbegründung, Allgemeiner Teil, BT-Drs. 18/4097, S. 23; so auch schon BR-Drs. 505/12 - Beschluss - S. 1). Jedenfalls wird die Dauer des Fehlverhaltens ein erhebliches Indiz für das Vorliegen eines Ausnahmefalls sein, zumal wenn es erst vor relativ kurzer Zeit beendet wurde.
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d) Im Fall des Antragstellers spricht viel für das Vorliegen eines Ausnahmefalles. Die Frage, ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, bei dem der Verwaltung ein Rechtsfolgenermessen eröffnet ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung und ist insoweit eine rechtlich gebundene Entscheidung. Nur aufgrund einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles kann beurteilt und festgestellt werden, ob ein Ausnahmefall vorliegt (BVerwG, Urt. v. 17.12.2015, 1 C 31.14, BVerwGE 153, 353, juris Rn. 21 f.).
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Der Antragsteller kam im Alter von 14 Jahren zusammen mit seiner Familie nach Deutschland. Ihm war im Heimatland bereits ein Personaldokument mit seinen richtigen Personalien ausgestellt worden. Ihm musste daher bewusst sein, dass die für ihn zunächst von seinen Eltern, spätestens ab seiner Volljährigkeit im Jahr 2008 von ihm selbst angegebenen Personalien falsch sind. Wiederholte Aufforderungen der Ausländerbehörde, sich um die Ausstellung eines Heimreisedokuments zu bemühen, missachtete der Antragsteller. Auch die Anregung der Ausländerbehörde, wegen mangelnder Mitwirkung die Sozialleistungen zu kürzen und die auf diese Umstände gestützte Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bewirkten keine Verhaltensänderung. Es kommt hinzu, dass der Aufenthalt des Antragstellers wohl allein deshalb geduldet worden war, weil kein gültiger Pass oder ein sonstiges Heimreisedokument vorlag; den Ausländerakten – v.a. der zwischenzeitlich aus einem anderen Verfahren beigezogenen Akte der Mutter des Antragstellers – kann entnommen werden, dass durchaus ausländerbehördliche Versuche unternommen worden waren, Ausreisepapiere für die Familie zu erhalten, was aber an den falschen Personalien scheiterte. Im Hauptsacheverfahren kann ggf. noch weiter versucht werden, die Gründe für die lange Identitätstäuschung und auch für den diesbezüglichen Meinungswechsel der Familie etwa Ende des Jahres 2013 zu erfragen.
- 50
Liegt bei Vorliegen der Integrationsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG ein Ausnahmefall vor, so hat die Antragsgegnerin über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Ermessen zu entscheiden. Dies ist bisher wegen anderer rechtlicher Ausgangspunkte in den Bescheiden der Antragsgegnerin noch nicht geschehen. Im Bescheid vom 17. Juni 2016 wurde schon die nachhaltige Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse verneint. Im Widerspruchsbescheid vom 21. September 2016 sah die Antragsgegnerin das Fehlverhalten des Antragstellers als Ausnahme von der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG anzunehmenden Integration, verneinte somit bereits die Erteilungsvoraussetzung, so dass auch hier kein Rechtsfolgenermessen ausgeübt wurde. Auch dürfte kein Fall vorliegen, in dem als einzige fehlerfreie Ermessensentscheidung eine Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG in Betracht käme. So hat die Antragsgegnerin der jüngeren Schwester des Antragstellers eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG und der Zwillingsschwester des Antragstellers eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erteilt. Alle in Hamburg lebenden Familienangehörigen haben in gleicher Weise wie der Antragsteller über etliche Jahre über ihre Identität getäuscht, mag dies der 1997 geborenen jüngeren Schwester auch nicht in gleichem Maße vorgeworfen werden können.
- 51
Ist im Einzelfall Ermessen auszuüben, so führt ein Ermessensnichtgebrauch zur Rechtswidrigkeit der Bescheide und im Hauptsacheverfahren zumindest zum Anspruch des Antragstellers, dass die Antragsgegnerin erneut über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entscheidet. Dieser Anspruch wird zu Recht durch die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung gesichert.
III.
- 52
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
- 53
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Es geht vorliegend um die vorläufige Sicherung des behaupteten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, nicht allein um die Verhinderung einer Abschiebung oder eine isolierte Abschiebungsandrohung (so das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Mit der begehrten einstweiligen Anordnung wird auch nicht die Hauptsache vorweggenommen. In der Hauptsache wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt; dies ist nicht Gegenstand des Antrags nach § 123 VwGO.
(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, - 1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten - a)
gegen das Leben, - b)
gegen die körperliche Unversehrtheit, - c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches, - d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder - e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
- 1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, - 3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet, - 4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder - 5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, - a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt, - b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder - c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist, - 2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, - 3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht, - 4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, - 5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, - 6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist, - 7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde, - 8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland - a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder - b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
- 9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass
- 1.
der Lebensunterhalt gesichert ist, - 1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist, - 2.
kein Ausweisungsinteresse besteht, - 3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und - 4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.
(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer
- 1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und - 2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.
(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.
(1) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt besonders schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist, - 1a.
rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten - a)
gegen das Leben, - b)
gegen die körperliche Unversehrtheit, - c)
gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach den §§ 174, 176 bis 178, 181a, 184b, 184d und 184e jeweils in Verbindung mit § 184b des Strafgesetzbuches, - d)
gegen das Eigentum, sofern das Gesetz für die Straftat eine im Mindestmaß erhöhte Freiheitsstrafe vorsieht oder die Straftaten serienmäßig begangen wurden oder - e)
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte oder tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte,
- 1b.
wegen einer oder mehrerer Straftaten nach § 263 des Strafgesetzbuchs zu Lasten eines Leistungsträgers oder Sozialversicherungsträgers nach dem Sozialgesetzbuch oder nach dem Gesetz über den Verkehr mit Betäubungsmitteln rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 2.
die freiheitliche demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährdet; hiervon ist auszugehen, wenn Tatsachen die Schlussfolgerung rechtfertigen, dass er einer Vereinigung angehört oder angehört hat, die den Terrorismus unterstützt oder er eine derartige Vereinigung unterstützt oder unterstützt hat oder er eine in § 89a Absatz 1 des Strafgesetzbuchs bezeichnete schwere staatsgefährdende Gewalttat nach § 89a Absatz 2 des Strafgesetzbuchs vorbereitet oder vorbereitet hat, es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem sicherheitsgefährdenden Handeln Abstand, - 3.
zu den Leitern eines Vereins gehörte, der unanfechtbar verboten wurde, weil seine Zwecke oder seine Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet, - 4.
sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewalttätigkeiten beteiligt oder öffentlich zur Gewaltanwendung aufruft oder mit Gewaltanwendung droht oder - 5.
zu Hass gegen Teile der Bevölkerung aufruft; hiervon ist auszugehen, wenn er auf eine andere Person gezielt und andauernd einwirkt, um Hass auf Angehörige bestimmter ethnischer Gruppen oder Religionen zu erzeugen oder zu verstärken oder öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften in einer Weise, die geeignet ist, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören, - a)
gegen Teile der Bevölkerung zu Willkürmaßnahmen aufstachelt, - b)
Teile der Bevölkerung böswillig verächtlich macht und dadurch die Menschenwürde anderer angreift oder - c)
Verbrechen gegen den Frieden, gegen die Menschlichkeit, ein Kriegsverbrechen oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt,
es sei denn, der Ausländer nimmt erkennbar und glaubhaft von seinem Handeln Abstand.
(2) Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Absatz 1 wiegt schwer, wenn der Ausländer
- 1.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten verurteilt worden ist, - 2.
wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt und die Vollstreckung der Strafe nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, - 3.
als Täter oder Teilnehmer den Tatbestand des § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Betäubungsmittelgesetzes verwirklicht oder dies versucht, - 4.
Heroin, Kokain oder ein vergleichbar gefährliches Betäubungsmittel verbraucht und nicht zu einer erforderlichen seiner Rehabilitation dienenden Behandlung bereit ist oder sich ihr entzieht, - 5.
eine andere Person in verwerflicher Weise, insbesondere unter Anwendung oder Androhung von Gewalt, davon abhält, am wirtschaftlichen, kulturellen oder gesellschaftlichen Leben in der Bundesrepublik Deutschland teilzuhaben, - 6.
eine andere Person zur Eingehung der Ehe nötigt oder dies versucht oder wiederholt eine Handlung entgegen § 11 Absatz 2 Satz 1 und 2 des Personenstandsgesetzes vornimmt, die einen schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift darstellt; ein schwerwiegender Verstoß liegt vor, wenn eine Person, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, beteiligt ist, - 7.
in einer Befragung, die der Klärung von Bedenken gegen die Einreise oder den weiteren Aufenthalt dient, der deutschen Auslandsvertretung oder der Ausländerbehörde gegenüber frühere Aufenthalte in Deutschland oder anderen Staaten verheimlicht oder in wesentlichen Punkten vorsätzlich keine, falsche oder unvollständige Angaben über Verbindungen zu Personen oder Organisationen macht, die der Unterstützung des Terrorismus oder der Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland verdächtig sind; die Ausweisung auf dieser Grundlage ist nur zulässig, wenn der Ausländer vor der Befragung ausdrücklich auf den sicherheitsrechtlichen Zweck der Befragung und die Rechtsfolgen verweigerter, falscher oder unvollständiger Angaben hingewiesen wurde, - 8.
in einem Verwaltungsverfahren, das von Behörden eines Schengen-Staates durchgeführt wurde, im In- oder Ausland - a)
falsche oder unvollständige Angaben zur Erlangung eines deutschen Aufenthaltstitels, eines Schengen-Visums, eines Flughafentransitvisums, eines Passersatzes, der Zulassung einer Ausnahme von der Passpflicht oder der Aussetzung der Abschiebung gemacht hat oder - b)
trotz bestehender Rechtspflicht nicht an Maßnahmen der für die Durchführung dieses Gesetzes oder des Schengener Durchführungsübereinkommens zuständigen Behörden mitgewirkt hat, soweit der Ausländer zuvor auf die Rechtsfolgen solcher Handlungen hingewiesen wurde oder
- 9.
einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist.
(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass
- 1.
der Lebensunterhalt gesichert ist, - 1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist, - 2.
kein Ausweisungsinteresse besteht, - 3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und - 4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.
(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer
- 1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und - 2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.
(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hamburg vom 3. November 2016 wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Der Antragsteller, ein aserbaidschanischer Staatsangehöriger, begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Zusammenhang mit der Ablehnung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG. Vorliegend wendet sich die Antragsgegnerin gegen die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung, von einer Abschiebung des Antragstellers bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eines die Hauptsache betreffenden erstinstanzlichen Urteils abzusehen.
- 2
Der Antragsteller kam im Alter von 14 Jahren zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern (wohl) im September 2004 in die Bundesrepublik Deutschland. Die Familie gab dabei den Namen … an und behauptete, keine Pässe zu besitzen. Die Antragsgegnerin forderte die Familie bestandskräftig zur Ausreise auf und drohte die Abschiebung an. Ab 18. November 2004 erhielt der Antragsteller fast ununterbrochen Duldungen. Nachdem er volljährig geworden war, forderte die Antragsgegnerin ihn wiederholt vergeblich auf, sich Identitätspapiere zu beschaffen und diese vorzulegen. Anfang Dezember 2013 gab die Mutter des Antragstellers – der Vater hatte sich zuvor von der Familie getrennt – bei einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde zu, dass die bisher von der Familie verwendeten Personalien falsch seien; richtige Papiere sollten besorgt und vorgelegt werden. Ende März 2014 legte der Antragsteller einen bereits am 18. März 2004 ausgestellten aserbaidschanischen Personalausweis mit den jetzigen Personalien vor, im November 2014 ferner einen gültigen aserbaidschanischen Pass.
- 3
Nachdem dem Antragsteller erstmals im Mai 2015 die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt worden war, begann er Mitte Juli 2015 mit einer Beschäftigung bei einem Personalservice-Unternehmen.
- 4
Bereits am 12. Dezember 2014 hatte der Antragsteller die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen beantragt und in der Folge wiederholt daran erinnert. Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK und des (künftigen) § 25b AufenthG dürften erfüllt sein. Mit Bescheid vom 17. Juni 2016 lehnte das Einwohner-Zentralamt der Antragsgegnerin den Antrag ab. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG sei abzulehnen. Aufgrund der langen zielgerichteten Verschleierung der Identität sei zwar die zeitliche Voraussetzung eines mindestens achtjährigen geduldeten Aufenthalts erreicht. Eine nachhaltige Integration liege aber nicht vor. Das erst seit Mitte Juli 2015 bestehende Beschäftigungsverhältnis reiche, auch wenn der Antragsteller hieraus aktuell seinen finanziellen Grundbedarf fast decke, nicht aus, eine positive Prognose abzugeben; hiergegen spreche auch, dass der Antragsteller keinen Schulabschluss habe und über keine Berufsausbildung verfüge. Auch die Voraussetzungen von § 25 Abs. 5 AufenthG lägen nicht vor. Den Widerspruch des Antragstellers wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 21. September 2016, dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 26. September 2016 zugestellt, zurück. Die langjährigen Täuschungshandlungen des Antragstellers hätten ein solches Gewicht, dass ein Ausnahmefall von der Regelannahme der nachhaltigen Integration gegeben sei. Am 15. November 2016 übersandte der Antragsteller-Bevollmächtige die Klageschrift vom 14. Oktober 2016 per Telefax an das Verwaltungsgericht und beantragte zugleich mit gesondertem Schriftsatz die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
- 5
Bereits am 7. Oktober 2016 hatte der Antragsteller, den die Antragsgegnerin am Tag zuvor hatte abschieben wollen, beantragt, die Antragsgegnerin mittels einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen abzusehen. Diesem Antrag gab das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 3. November 2016 insoweit statt, als es die Antragsgegnerin verpflichtete, bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist eines die Hauptsache betreffenden erstinstanzlichen Urteils von einer Abschiebung des Antragstellers abzusehen.
- 6
Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus: Der Antragsteller erfülle die in § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG aufgeführten Regelvoraussetzungen für die Annahme einer nachhaltigen Integration. Das Gericht könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit einen Ausnahmefall feststellen, in dem trotz Erfüllung der genannten Voraussetzungen eine nachhaltige Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland zu verneinen sei. Die zurückliegende langjährige Täuschung des Antragstellers über seine Identität, die keinen Versagungsgrund nach § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG erfülle, begründe keinen atypischen Ausnahmefall. Da sich der Gesetzgeber bewusst gewesen sein, dass viele geduldete Ausländer ihren Duldungsstatus maßgeblich durch Identitätstäuschung erlangt hätten, erscheine es fraglich, ob zurückliegende Täuschungshandlungen überhaupt einen ungeschriebenen Ausnahmefall begründen könnten. Allerdings solle nach der Gesetzesbegründung nicht jedes in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten amnestiert werden. Somit könne ein ungeschriebener Ausnahmefall aufgrund zurückliegender Täuschungshandlungen allenfalls dann angenommen werden, wenn den Täuschungshandlungen in einem atypischen Fall eine besondere Verwerflichkeit beizumessen sei. Dies sei im Fall des Antragstellers nicht gegeben. Weder sei die fast zehnjährige Dauer der Identitätstäuschung im Anwendungsbereich des § 25b AufenthG untypisch noch sei das Verhalten des Antragstellers, der in das Täuschungsverhalten gleichsam hineingewachsen sei, in besonderem Maße verwerflich. Ebenso dürfte der Umstand, dass der Antragsteller auch aufgrund vieler unentschuldigter Fehlzeiten keinen Schulabschluss erreicht habe, noch keinen atypischen Ausnahmefall begründen; § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG zeige nämlich, dass dann, wenn der Lebensunterhalt tatsächlich überwiegend gesichert werde, eine Prognose der Erwerbsmöglichkeiten anhand der Schul- und Ausbildungssituation nicht angestellt werden müsse. Dem Antragsteller sei auch kein (schwerwiegendes) Ausweisungsinteresse (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) entgegenzuhalten. Das frühere Fehlverhalten gefährde aktuell die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland nicht; es sei nicht zu erwarten, dass der Antragsteller künftig gleichartige Rechtsverstöße wieder begehen werde. Im übrigen wäre es ein Wertungswiderspruch, wenn vergangene Identitätstäuschungen bei Prüfung der nachhaltigen Integration im Sinn von § 25b Abs. 1 AufenthG grundsätzlich keinen atypischen Ausnahmefall begründen könnten, im Rahmen der Prüfung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen aber zur Annahme eines Ausweisungsinteresses und damit zur Versagung der Aufenthaltserlaubnis führten.
- 7
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragsgegnerin. Sie ist der Ansicht, dass dann, wenn jemand über Jahre über seine Identität getäuscht habe, nicht von einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden könne. In einem solchen Fall sei von einem gegen eine Integration sprechenden Ausnahmefall auszugehen. In Übereinstimmung mit Entscheidungen verschiedener Oberverwaltungsgerichte sei sie der Auffassung, dass die langjährige Identitätstäuschung des Antragstellers nach Art und Dauer so bedeutsam sei, dass sie das Gewicht der in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG aufgeführten Integrationsleistungen beseitige. Auch sei vorliegend ein Ausweisungsinteresse zu bejahen; der vom Verwaltungsgericht angenommene Wertungswiderspruch bestehe nicht. Immer dann, wenn ein Ausweisungsinteresse bestehe, müsse auch davon ausgegangen werden, dass sich der Ausländer nicht nachhaltig in die hiesigen Lebensverhältnisse integriert habe. Schließlich sei zu befürchten, dass die Beschäftigungsverhältnisse des Antragstellers aufgrund seiner fehlenden Schul- und Berufsausbildung künftig immer prekär sein würden, auch wenn er gegenwärtig seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichere.
II.
- 8
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene und begründete Beschwerde der Antragsgegnerin hat im Ergebnis keinen Erfolg. Zwar hat die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerdebegründung tragende Teile der Begründung des angefochtenen Beschlusses in ausreichender Weise in Zweifel gezogen. Hierdurch ist das Beschwerdegericht berechtigt, ohne die Begrenzung des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO eigenständig über den Anordnungsantrag des Antragstellers zu entscheiden. Indes ergibt diese Prüfung, dass das Verwaltungsgericht zu Recht eine einstweilige Anordnung zugunsten des Antragstellers erlassen hat.
- 9
1. Das Beschwerdegericht geht für das einstweilige Rechtsschutzverfahren davon aus, dass der Ablehnungsbescheid des Einwohner-Zentralamts vom 17. Juni 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. September 2016 noch nicht bestandskräftig ist.
- 10
a) Der Widerspruchsbescheid vom 21. September 2016 wurde dem Antragsteller-Bevollmächtigten am 26. September 2016 per Empfangsbekenntnis zugestellt (S. 455 der Ausländerakte). Die Klagefrist endete am 26. Oktober 2016, ohne dass bis dahin eine Klage beim Verwaltungsgericht eingegangen war. Damit wurde der Ablehnungsbescheid zunächst bestandskräftig; unter diesen Umständen hätte das Verwaltungsgericht am 3. November 2016 dem Eilantrag des Antragstellers nicht stattgeben dürfen; die dennoch erlassene einstweilige Anordnung ging zunächst ins Leere.
- 11
b) Indes bewirkt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, dass die eingetretene Bestandskraft des Ablehnungsbescheides nachträglich wieder entfällt (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2015, § 60 Rn. 1). Solches dürfte hier in Betracht kommen. Die auf den 14. Oktober 2016 datierte Klageschrift wurde per Telefax am 15. November 2016 an das Verwaltungsgericht übersandt (Verfahren 17 K 6798/16). Ebenfalls am 15. November 2016 ging beim Verwaltungsgericht ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein. Über diesen muss originär zwar das Verwaltungsgericht im Hauptsacheverfahren entscheiden (§ 60 Abs. 4 VwGO), doch ist im Rahmen der Beschwerdeentscheidung eine Prognose über den voraussichtlichen Erfolg dieses Antrags zu stellen.
- 12
aa) Die Ausführungen im Wiedereinsetzungsantrag dürften wohl ausreichend sein, um Wiedereinsetzung wegen unverschuldeter Fristversäumnis zu gewähren. Nach den Kanzleiunterlagen sei die Klage am 14. Oktober 2016 gefertigt und dem Bevollmächtigten zur Unterschrift vorgelegt worden. Dieser habe die unterschriebene und mit weiteren Schriftstücken versehene Klage an die Kanzleiangestellte zurückgegeben, die sie zur Gerichtspost gelegt habe. Frau Rechtsanwältin H. aus der Bürogemeinschaft des Bevollmächtigten habe am Dienstag, den 18. Oktober 2016 den Postausgangskorb geleert und die Post in der Poststelle des Amtsgerichts Hamburg (die auch zur Entgegennahme von an das Verwaltungsgericht gerichteter Post zuständig ist) abgegeben. Am Tag des Fristablaufs sei die Erledigung mit positivem Ergebnis überprüft worden.
- 13
Kritisch mag sein, dass die Kanzleimitarbeiterin in ihrer eidesstattlichen Versicherung lediglich "davon ausgeht", dass sie die gefertigte und vom Anwalt unterzeichnete Klageschrift in den Ausgangskorb für Gerichtspost gelegt habe, da sie dort hinein "gehört hätte", und dass keine Erklärung der Rechtsanwältin H. ... über das Leeren des Gerichtspostausgangskorbes und das Abgeben der Gerichtspost bei der Gemeinsamen Annahmestelle des Amtsgerichts Hamburg am 18. Oktober 2016 vorliegt. Ein lückenloser Nachweis von Routinevorgängen für jeden Einzelfall wird aber nicht verlangt werden können. Bei der Aktenkontrolle am Tag des Fristablaufs (26. Oktober 2016) zeigte sich, dass sich in der Handakte – wie das bei ordnungsgemäßer Erledigung einer solchen Fristsache üblicherweise der Fall ist – eine Klageschriftkopie mit der Bemerkung befand, der Mandant habe eine Abschrift der Klageschrift erhalten. Der Umstand, dass noch keine Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts vorlag, musste – abgesehen davon, dass zwischen der angenommenen Mitnahme der Post durch Frau Rechtsanwältin H. ... und dem Ende der Klagefrist nur acht Tage lagen – hier nicht zwingend eine Nachfrage beim Verwaltungsgericht veranlassen, da die Klage mit gut ausreichendem Zeitvorlauf abgesandt worden war bzw. worden sein soll. Eine Nachfrage beim Verwaltungsgericht oder gar eine vorsichtshalber noch vorgenommene Übersendung der Klageschrift per Fax wäre allenfalls dann veranlasst gewesen, wenn zweifelhaft gewesen wäre, ob die gewählte Übersendungsart ausgereicht hätte, die Frist zu wahren (vgl. BVerfG, Kammerbeschl. v. 29.12.1994, 2 BvR 106/93, NJW 1995, 1210, juris Rn. 19).
- 14
bb) Der Wiedereinsetzungsantrag dürfte auch rechtzeitig – innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses (§ 60 Abs. 2 Satz 1, 1. Alt. VwGO) – gestellt worden sein. Der Bevollmächtigte hat im Wiedereinsetzungsantrag angegeben, er habe die Säumnis "im Rahmen der Prozessvorbereitung am Montag, 14.10.2016 bemerkt", weil die Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts noch nicht vorgelegen habe; eine telefonische Nachfrage seitens seiner Kanzleiangestellten beim Verwaltungsgericht "am 15.10.2016" habe ergeben, dass eine Klage dort nicht vorliege. Soweit sich die Datumsangaben auf den Monat Oktober zu beziehen scheinen, handelt es sich erkennbar um ein Versehen. Der 14. Oktober 2016 war – anders als der 14. November – kein Montag, sondern ein Freitag. Wenn die Klageschrift vom 14. Oktober 2016 datiert, konnte an diesem Tag noch keine Eingangsbestätigung des Verwaltungsgerichts vorliegen. Auch der Umstand, dass die Klageschrift vom 14. Oktober 2016 am 15. November 2016 ans Gericht gefaxt wurde, spricht dafür, dass die Säumnis erst am 14. November 2016 bemerkt worden war. Von einem Versehen hinsichtlich der Datumsabgabe geht auch der Bevollmächtigte des Antragstellers aus. Mit der Formulierung "im Rahmen der Prozessvorbereitung" meinte er, wie er auf Nachfrage mitgeteilt und belegt hat, die Vorbereitung auf eine strafrechtliche Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Hamburg.
- 15
Es kann dahinstehen, ob dem Bevollmächtigten bereits bei sorgfältiger Lektüre des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 3. November 2016 hätte auffallen müssen, dass bis zu diesem Zeitpunkt beim Verwaltungsgericht noch keine Klage eingegangen war, da die Ausführungen auf Seite 3 des Beschlusses nur für diesen Fall Sinn machten. Aber auch dann, wenn auf den Empfang dieses Beschlusses (laut Empfangsbekenntnis am 10. November 2016) abgestellt würde, wäre mit dem Wiedereinsetzungsantrag vom 15. November 2016 die Zwei-Wochen-Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 und 3 VwGO gewahrt.
- 16
2. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht zugunsten des Antragstellers eine einstweilige Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO des Inhalts erlassen, dass der Antragsteller vorläufig nicht abgeschoben werden darf.
- 17
Ein Anordnungsgrund liegt offenkundig vor: Die Antragsgegnerin hatte Vorbereitungen getroffen, den Antragsteller am 6. Oktober 2016 abzuschieben; das Vorhaben scheiterte allein daran, dass der Antragsteller am Morgen dieses Tages nicht in seiner Wohnung angetroffen worden war. Die Mutter des Antragstellers war bereits am 19. Juli 2016 nach Aserbaidschan abgeschoben worden.
- 18
Der Antragsteller kann sich auch auf einen Anordnungsanspruch berufen. Es kommt zumindest ernsthaft in Betracht, dass die Antragsgegnerin über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erneut zu entscheiden haben wird. Angesichts dessen überwiegt das Interesse des Antragstellers, vorläufig von Abschiebemaßnahmen verschont zu bleiben. Ein Verfahren auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG dürfte kaum erfolgreich aus dem Ausland betrieben werden können, da es dann schon an der gesetzlichen Voraussetzung des "geduldeten Ausländers" fehlen würde.
- 19
a) Das Beschwerdegericht hat Bedenken, dem Verwaltungsgericht in seiner Ansicht zu folgen, der Antragsteller erfülle "unstreitig die regelmäßigen Voraussetzungen für eine nachhaltige Integration nach § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG". So ist den Sachakten und Gerichtsakten nicht zu entnehmen, ob der Antragsteller sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland bekennt und über Grundkenntnisse der Rechts- und Gesellschaftsordnung und der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet sowie über hinreichende mündliche Deutschkenntnisse verfügt (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG). Dass dem Antragsteller solche Kenntnisse in der Schule vermittelt worden sind, ist fraglich. Die im Jahr 2016 ausgestellte Bescheinigung über den Besuch der Klasse ABC der Schule ... vom 29. Oktober 2004 bis 31. Juli 2005 – kurz nach der Einreise der Familie – enthält keine Angaben über die Intensität des Schulbesuchs und ggf. erzielte Leistungen. Die Zeugnisse der Berufsvorbereitungsschule (Vorbereitungsjahr für Migranten) weisen für den Zeitraum von 6. Februar 2006 bis zum 31. Januar 2008 hohe Fehlzeiten und überwiegend "mangelhafte" Leistungen (soweit überhaupt bewertbar) aus. – Allerdings hat die Antragsgegnerin diese Fragen bisher nicht thematisiert, so dass dem Antragsteller nicht vorzuhalten ist, er habe das Vorliegen der genannten Voraussetzungen im vorliegenden Verfahren nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller wird die Erfüllung dieser Voraussetzungen allerdings im Hauptsacheverfahren noch nachweisen müssen.
- 20
b) Die übrigen Integrationsanforderungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 4 AufenthG (die Nr. 5 ist hier nicht einschlägig) sind erfüllt.
- 21
aa) Der Antragsteller hält sich seit September 2004 ununterbrochen in Deutschland auf. Sein Aufenthalt ist jedenfalls seit 18. November 2004 auch formell geduldet. Geringfügige Unterbrechungen bei den Duldungszeiträumen beruhten darauf, dass sich der Antragsteller in Untersuchungshaft (März 2010) bzw. in stationärer Krankenhausbehandlung (Ende 2014/Anfang 2015) befand. Die Voraussetzung des § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG ist somit erfüllt.
- 22
bb) Der Antragsteller dürfte seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit sichern (§ 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG).
- 23
Der Antragsteller erhielt erstmals am 11. Mai 2015 eine Duldung, in der ihm die Beschäftigung erlaubt wurde. Bei der Antragsgegnerin legte er in der Folge Verdienstabrechnungen über eine Tätigkeit bei der P. Service Zeitarbeit UG in Hamburg von Juli 2015 bis Februar 2016 vor. Mit dem aus diesem Arbeitsverhältnis erzielten Lohn vermochte der Antragsteller laut Berechnung der Antragsgegnerin (angenommener Grundbedarf: 715,24 Euro, siehe Ausländerakte S. 366) seinen Lebensunterhalt fast vollständig zu sichern; die Unterdeckung lag unter 10 Euro.
- 24
Da der Antragsteller in seinem Eilantrag vom 7. Oktober 2016 lediglich ausgeführt hatte, er gehe auch weiterhin einer Beschäftigung nach, forderte das Beschwerdegericht Nachweise hierüber an. Aus den im März und Mai 2017 vorgelegten Lohnabrechnungen ergibt sich, dass der Antragsteller bei der P… Service Zeitarbeit UG von Juli 2015 bis Ende Mai 2016 beschäftigt war, anschließend vom 27. Juni bis 27. Juli 2016 bei der T. … Personaldienstleistung GmbH. Vom 15. August bis 20. Oktober 2016 und wieder ab 1. Dezember 2016 bis zumindest Februar 2017 (Bescheinigung im März 2017 übersandt) war bzw. ist der Antragsteller bei der H. … Personal Service GmbH beschäftigt.
- 25
Aus den Lohnabrechnungen ergibt sich für die Zeit von Januar bis Mai 2016 ein Bruttolohn von insgesamt 7.008,01 Euro (netto: 5.244,36 Euro), für Juni/Juli 2016 (nur zeitweilig beschäftigt) von insgesamt 1.186,65 Euro brutto (netto: 934,15 Euro) und für die Monate August bis Oktober 2016 (im August und Oktober nur teilweise beschäftigt) insgesamt 3.428,29 Euro brutto (netto: 2.479,66 Euro). Im Dezember 2016 verdiente der Antragsteller schließlich 2.045,11 Euro brutto (netto: 1.405,78 Euro). Die Bruttosumme über das ganze Jahr 2016 beträgt damit 13.668,06 Euro, die Nettosumme 10.063,95 Euro.
- 26
Die Bezüge für die beiden ersten Monate des Jahres 2017, bezogen jeweils von der H. … Personal Service GmbH, beliefen sich auf brutto 1.078,84 Euro und 1.663,74 Euro (netto: 828,23 Euro und 1.341,74 Euro).
- 27
Jedenfalls mit dem hieraus zu errechnenden Durchschnittsverdienst sichert der Antragsteller seinen Lebensunterhalt (monatlicher Grundbedarf: 715,24 Euro, siehe oben) überwiegend durch Erwerbstätigkeit, selbst wenn vom Nettoverdienst noch die Beträge nach § 11b Abs. 2 und 3 SGB II abgezogen werden (zur Maßgeblichkeit der Bedarfsermittlung nach den entsprechenden Bestimmungen des SGB II vgl. BVerwG, Urt. v. 26.8.2008, 1 C 32.07, BVerwGE 131, 370, juris Rn. 19 ff.).
- 28
Die Beschäftigungsbiografie des Antragstellers seit Juli 2015 rechtfertigt insgesamt die Annahme, dass der Antragsteller auch künftig in der Lage sein wird, seinen Lebensunterhalt überwiegend durch Erwerbstätigkeit zu sichern. Zwar finden sich in dieser Zeit einige Lücken, in denen der Antragsteller nicht beschäftigt war, wobei dies in Einzelfällen möglicherweise auch auf sein eigenes Verhalten zurückzuführen war (vgl. Bemerkungen auf den Lohnabrechnungen der T. … Personaldienstleistung GmbH, Gerichtsakte Bl. 141 f.). Doch ist es dem Antragsteller immer wieder relativ zeitnah gelungen, erneute Beschäftigungen zu finden. Durch die Verdiensthöhen mag es ihm auch gelungen sein, Zeiten zu überbrücken, in denen er kein Geld verdiente.
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Angesichts dessen kommt es auf die gesetzliche Alternative einer positiven Prognose künftiger Lebensunterhaltssicherung aufgrund der bisherigen Schul-, Ausbildungs-, Einkommens- sowie der familiären Lebenssituation nicht an. Das Gesetz stellt in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AufenthG die beiden dort genannten Möglichkeiten durch Verwendung des Wortes "oder" als Alternativen nebeneinander.
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c) Die Täuschung des Antragstellers über seine Identität, die auch nach Erreichen der Volljährigkeit im Jahr 2008 noch mehrere Jahre andauerte, verbunden mit der Weigerung, an der Beseitigung von Ausreisehindernissen mitzuwirken, dürfte dazu führen, dass – im Fall der Erfüllung aller Voraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG (siehe oben) – ein Ausnahmefall vom Sollanspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt (ee). In diesem Fall wäre von der Antragsgegnerin (erneut) nach Ermessen über den Antrag des Antragstellers zu entscheiden. Der Umstand, dass die Täuschung inzwischen seit über drei Jahren zurückliegt und seit 2 ½ Jahren ein gültiger Pass vorliegt, lässt eine Anwendung von § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG nicht zu (aa), rechtfertigt aber auch nicht schon, das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten gänzlich unberücksichtigt zu lassen (bb). Auch ist es mit dem Wortlaut und der Systematik von § 25b AufenthG kaum zu vereinbaren, aufgrund des früheren Fehlverhaltens die Annahme einer nachhaltigen Integration im Sinn des Gesetzes zu verneinen (cc). Das zurückliegende Fehlverhalten ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht mehr geeignet, ein noch aktuelles Ausweisungsinteresse im Sinn von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG zu begründen (dd).
- 31
aa) § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG schließt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur für den Fall zwingend aus, dass der Ausländer (noch) aktuell die Aufenthaltsbeendigung u.a. durch Täuschung über seine Identität oder Staatsangehörigkeit oder durch Nichterfüllung zumutbarer Anforderungen an die Mitwirkung bei der Beseitigung von Ausreisehindernissen verhindert oder verzögert (so auch Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 25b AufenthG Rn. 31; Fränkel in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 25b AufenthG Rn. 21; OVG Magdeburg, Beschl. v. 23.9.2015, 2 M 121/15, EzAR-NF 33 Nr. 45, juris Rn. 10; OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 8). Dies ergibt sich klar aus der Verwendung der Präsensform "verhindert oder verzögert" im Gesetzestext und entspricht auch dem gesetzgeberischen Willen (vgl. BT-Dr. 18/4097, S. 44 zu Absatz 2 Nr. 1: "Diese Regelung knüpft nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers an, …"), auch wenn einzuräumen ist, dass die Gesetzesbegründung hier nicht widerspruchsfrei ist. So heißt es kurz vorher (a.a.O., zu Absatz 2), die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis sei ausgeschlossen, wenn der Ausländer … "die Aufenthaltsbeendigung vorsätzlich verhindert oder hinausgezögert hat."
- 32
bb) Die Verwendung der Präsensform in § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG rechtfertigt für sich allerdings nicht, das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Dem stehen verschiedene Öffnungsmöglichkeiten im Gesetzestext (Abs. 1 Satz 1: "soll"; Abs. 1 Satz 2: "regelmäßig"; Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 AufenthG) sowie Formulierungen in der Gesetzesbegründung entgegen. So soll die Anknüpfung "nur an aktuelle Mitwirkungsleistungen des Ausländers" im Ausschlussgrund nach § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG "keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren" sein (BT-Drs. 18/4097, S. 44). Allerdings bleibt offen, an welcher Stelle der Normanwendung das in der Vergangenheit liegende Fehlverhalten berücksichtigt werden soll (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 11.4.2017, 1 Bs 55/17, juris Rn. 13 ff.).
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cc) Verschiedentlich wird angenommen, aufgrund früheren Fehlverhaltens könne ausnahmsweise die Annahme einer nachhaltigen Integration im Sinn des Gesetzes verneint werden (so OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 8 ff.; offengelassen von OVG Bautzen, Beschl. v. 2.9.2016, 3 B 368/16, juris Rn. 6; ablehnend Kluth in: Kluth/Heusch, Ausländerrecht, 2016, § 25b AufenthG Rn. 10). Dem schließt sich der Senat nicht an.
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Schon rein tatsächlich wird eine Integration nicht zu bestreiten sein, wenn ein illegal eingereister Ausländer rasch gut Deutsch lernt, einen guten Schul- oder Berufsabschluss erreicht, danach einen qualifizierten Arbeitsplatz mit gutem Verdienst erhält und sich im übrigen auch noch sozial oder im Bereich des Sports (z.B. Trainer) engagiert, allerdings – aus welchen Gründen auch immer – über längere Zeit über seine Identität getäuscht hat.
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Auch der Gesetzestext des § 25b AufenthG spricht im genannten Beispielsfall für die Annahme einer nachhaltigen Integration. In Absatz 1 Satz 2 ist die Beachtung der Rechtsordnung bzw. straffreies Verhalten nicht als notwendiges Element einer nachhaltigen Integration aufgeführt. Allerdings ist einzuräumen, dass die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/4097, S. 45) dies anders zu sehen scheint. Dort heißt es (allerdings zu Abs. 2 Nr. 2), grundsätzlich sollten "nur Ausländer, die sich an Recht und Gesetz halten, wegen ihrer vorbildlichen Integration begünstigt werden". Die Formulierung "Dies setzt regelmäßig voraus" zu Beginn von Absatz 1 Satz 2 ist nach dem Wortlaut und nach der Gesetzesbegründung allerdings (nur) eine Öffnung für besondere Integrationsleistungen von vergleichbarem Gewicht, wenn einzelne der in Satz 2 aufgeführten Voraussetzungen nicht vollständig erfüllt sind (siehe BT-Drs. 18/4097, S. 42). Wörtlich heißt es in der Begründung:
- 36
"Sofern die in Satz 2 genannten Voraussetzungen vorliegen, ist von einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Nur in Ausnahmefällen kann von der Titelerteilung abgesehen werden."
- 37
Dabei ist der erste Satz aus diesem Zitat wörtlich der Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrats für einen neuen § 25b AufenthG - BR-Drs. 505/12 (Beschluss) vom 22. März 2013 - entnommen. Damals begann der ansonsten textgleiche Satz 2 allerdings noch mit "Dieses [nachhaltige Integration] ist insbesondere der Fall, wenn". Anders als der Bundesrats-Vorschlag erscheint der aktuelle Gesetzestext zwar eher auch für die etwaige Hinzufügung weiterer Erfordernisse offen zu sein, die auch im Nichtvorliegen negativ zu bewertender Umstände (z.B. keine Strafbarkeit, kein Täuschungshandlungen in der Vergangenheit) liegen können. Das würde aber mit der Gesetzesbegründung nicht recht zusammenpassen. Der dortige Satz "Nur in Ausnahmefällen kann von der Titelerteilung abgesehen werden." dürfte sich eher auf die Sollbestimmung des Abs. 1 Satz 1 beziehen (siehe unten bei ee). Außerdem nimmt die Begründung zu der in Satz 2 enthaltenen Formulierung "setzt regelmäßig voraus" allein auf sonstige (positive) Integrationsleistungen Bezug, die im Einzelfall in der Gesamtschau das Fehlen einzelner der in § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis 5 AufenthG aufgeführten Elemente kompensieren können (vgl. zu dieser Problematik – noch zur Entwurfsfassung – insgesamt auch OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 9).
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Auch die Allgemeinen Anwendungshinweise (AAH) des Bundesministeriums des Inneren zu § 25b AufenthG erwähnen in Teil II (zu den Tatbestandsvoraussetzungen des Absatzes 1) unter "A Allgemeine Hinweise" nur die Möglichkeit, dass wegen besonderer anderer Integrationsleistungen auf die Erfüllung der ausdrücklich aufgeführten Voraussetzungen im Einzelfall verzichtet werden kann.
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Schließlich führt § 25b Abs. 2 AufenthG bestimmte Verhaltensweisen bzw. Bestrafungen (bzw. ein daraus folgendes Ausweisungsinteresse) erst als zwingende Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Absatz 1 aus. Das lässt darauf schließen, dass das in Absatz 2 erfasste Fehlverhalten gesetzessystematisch nicht schon zur Verneinung einer nachhaltigen Integration führt, da sonst hätte formuliert werden können: "Eine nachhaltige Integration liegt nicht vor, wenn …". Allerdings ist einzuräumen, dass die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/4097, S. 45 zu Abs. 2 Nr. 2) dies anders zu sehen scheint, wenn es dort heißt, bei Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 bis 6 AufenthG n.F werde "ebenfalls regelmäßig keine nachhaltige Integration gegeben sein" (ähnlich in Teil I der AAH). Hierzu ist allerdings zu bemerken, dass – wie gezeigt – wiederholt zwischen dem Gesetzestext und der Begründung des Gesetzentwurfs gewisse Brüche bestehen.
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dd) Die Anwendbarkeit von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Nichtvorliegen eines Ausweisungsinteresses) im Rahmen von § 25b AufenthG ist im Grundsatz unstreitig. Sie wird in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 18/4097, S. 45 zu Absatz 2 Nr. 2) auch ausdrücklich erwähnt. § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG enthält ausdrückliche Abweichungen von § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG; § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG regelt ferner insofern eine Abweichung von § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, als für die dort geregelten Fälle – strenger als die allgemeine Vorschrift – zwingend die Versagung der Aufenthaltserlaubnis vorgeschrieben wird. Im übrigen bleibt es bei der Geltung der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzungen (vgl. auch - zu § 25a AufenthG - BVerwG, Urt. v. 14.5.2013, 1 C 17.12, BVerwGE 146, 281, juris Rn. 18 ff.).
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Ein Ausweisungsinteresse muss allerdings noch aktuell sein: Nicht die Verwirklichung eines Ausweisungstatbestandes in der Vergangenheit, sondern der Fortbestand des Ausweisungsinteresses, also eine aktuell bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit im Zeitpunkt der Entscheidung über den Aufenthaltserlaubnis-Antrag, soll die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hindern (vgl. Samel in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, § 5 AufenthG Rn. 55). Hieran kann man erheblich zweifeln, wenn die bisher zweifelhafte Identität inzwischen eindeutig geklärt ist bzw. – wie im Fall des Antragstellers – eine falsche Identität durch Vorlage richtiger Dokumente vor inzwischen mehreren Jahren richtiggestellt wurde. Die Bejahung eines fortbestehenden Ausweisungsinteresses in einem solchen Fall geriete zudem in ein Spannungsverhältnis zu § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, wonach nur aktuelle Täuschungen oder Verletzungen der Mitwirkungspflicht (dann allerdings zwingend) negativ zu beachten sind (vgl. hierzu unter aa). Soweit ein Ausweisungsinteresse noch aktuell ist, kann allerdings bei der Anwendung von § 25b AufenthG gemäß § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG vom Erfordernis des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abgesehen werden (vgl. zu den hierbei anzustellenden Erwägungen BVerwG, Urt. v. 14.5.2013, a.a.O., Rn. 31; zur Übertragung dieser Gedanken auf § 25b AufenthG: Hailbronner, AuslR, Stand Oktober 2016, § 25b AufenthG Rn. 12; siehe auch Fränkel in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 25b AufenthG Rn. 23).
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ee) Ein in der Vergangenheit liegendes Fehlverhalten in Form von Identitätstäuschungen, fehlender Mitwirkung an der Beseitigung von Ausreisehindernissen o.ä. lässt sich systematisch am besten in der Form erfassen, dass es als möglicher Ausnahmefall von der Regelerteilungsnorm des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG angesehen wird (so wohl auch Hailbronner, a.a.O., § 25b AufenthG Rn. 9; OVG Magdeburg, Beschl. v. 23.9.2015, 2 M 121/15, EzAR-NF 33 Nr. 45, juris Rn. 10; angedeutet auch bei OVG Münster, Beschl. v. 21.7.2015, 18 B 486/14, juris Rn. 15, dort wohl unter Vertauschung von Satz 1 und 2).
- 43
§ 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG räumt nur einen Soll-Anspruch ein. Das ermöglicht es, besondere Umstände zu berücksichtigen und im Hinblick auf diese die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trotz vorliegender nachhaltiger Integration ausnahmsweise zu versagen (vgl. zur Bedeutung einer Soll-Regelung: BVerwG, Urt. v. 17.12.2015, 1 C 31.14, BVerwGE 153, 353, juris Rn. 21 f.).
- 44
Die Gesetzesbegründung zu § 25b AufenthG enthält verschiedene Anhaltspunkte, aus denen der gesetzgeberische Wille erkennbar wird, früheres Fehlverhalten über die "Soll"-Regelung des Absatz 1 Satz 1 zu erfassen und zu bewerten. So heißt es zu Absatz 1 (BT-Drs. 18/4097, S. 42):
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"Wenn die Voraussetzungen des § 25b vorliegen, soll die Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Sofern die in Satz 2 genannten Voraussetzungen vorliegen, ist von einer nachhaltigen Integration in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Nur in Ausnahmefällen kann von der Titelerteilung abgesehen werden."
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Weitere Ausführungen, wonach "grundsätzlich … nur Ausländer, die sich an Gesetz und Recht halten, wegen ihrer vorbildlichen Integration begünstigt werden" sollen, die Regelung in Absatz 2 Nr. 1, die nur an aktuelle (ergänze: fehlende) Mitwirkungshandlungen des Ausländers anknüpfe, "jedoch keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren" sein solle und die Aussage, wonach "bei Vorliegen eines Ausweisungsinteresses nach § 54 Absatz 2 Nummer 3 bis 6 n.F. ebenfalls regelmäßig keine nachhaltige Integration gegeben sein" werde, befinden sich zwar bei der Begründung zu Absatz 2 Nr. 1 und 2 (BT-Drs. 18/4097, S. 44, 45), doch lassen sich die vorgestellten Verhaltensweisen sowie die hieraus erkennbare Absicht des Gesetzgebers über die Anwendung der Soll-Regelung des Absatzes 1 Satz 1 erfassen.
- 47
Auch dann, wenn im Rahmen der Sollregelung des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG als Ausnahmefall nur solche Fälle angesehen werden, die sich durch besondere, atypische Umstände auszeichnen, die so bedeutsam sind, dass sie das sonst ausschlaggebende Gewicht der gesetzlichen Regelung beseitigen (vgl. statt vieler: BVerwG, Urt. v. 16.8.2011, 1 C 12.10, InfAuslR 2012, 53 juris Rn. 18), erscheint es allerdings zweifelhaft, ob in der Vergangenheit liegende Identitätstäuschungen deshalb grundsätzlich nicht als atypische Ausnahmefälle im Sinn von § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG anzusehen sind, weil viele Ausländer in der Vergangenheit über ihre Identität getäuscht bzw. sich nicht um einen Pass gekümmert hätten und dem Gesetzgeber dies bewusst gewesen sei; ein Ausnahmefall könne daher allenfalls dann angenommen werden, wenn den Täuschungshandlungen in einem atypischen Fall eine besondere Verwerflichkeit zukomme (so das Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss, S. 6). Die Gründe, weshalb es in der Vergangenheit nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung gekommen ist, können jedoch vielfältig sein. Motiv für die Schaffung einer alters- und stichtagsunabhängigen Bleiberechtsregelung war jedenfalls der Umstand, dass "die aufenthaltsrechtliche Situation … derzeit allerdings in vielen Fällen weder durch eine zwangsweise Aufenthaltsbeendigung noch durch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verändert werden" könne (vgl. Gesetzesbegründung, Allgemeiner Teil, BT-Drs. 18/4097, S. 23; so auch schon BR-Drs. 505/12 - Beschluss - S. 1). Jedenfalls wird die Dauer des Fehlverhaltens ein erhebliches Indiz für das Vorliegen eines Ausnahmefalls sein, zumal wenn es erst vor relativ kurzer Zeit beendet wurde.
- 48
d) Im Fall des Antragstellers spricht viel für das Vorliegen eines Ausnahmefalles. Die Frage, ob ein atypischer Ausnahmefall vorliegt, bei dem der Verwaltung ein Rechtsfolgenermessen eröffnet ist, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Nachprüfung und ist insoweit eine rechtlich gebundene Entscheidung. Nur aufgrund einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles kann beurteilt und festgestellt werden, ob ein Ausnahmefall vorliegt (BVerwG, Urt. v. 17.12.2015, 1 C 31.14, BVerwGE 153, 353, juris Rn. 21 f.).
- 49
Der Antragsteller kam im Alter von 14 Jahren zusammen mit seiner Familie nach Deutschland. Ihm war im Heimatland bereits ein Personaldokument mit seinen richtigen Personalien ausgestellt worden. Ihm musste daher bewusst sein, dass die für ihn zunächst von seinen Eltern, spätestens ab seiner Volljährigkeit im Jahr 2008 von ihm selbst angegebenen Personalien falsch sind. Wiederholte Aufforderungen der Ausländerbehörde, sich um die Ausstellung eines Heimreisedokuments zu bemühen, missachtete der Antragsteller. Auch die Anregung der Ausländerbehörde, wegen mangelnder Mitwirkung die Sozialleistungen zu kürzen und die auf diese Umstände gestützte Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis bewirkten keine Verhaltensänderung. Es kommt hinzu, dass der Aufenthalt des Antragstellers wohl allein deshalb geduldet worden war, weil kein gültiger Pass oder ein sonstiges Heimreisedokument vorlag; den Ausländerakten – v.a. der zwischenzeitlich aus einem anderen Verfahren beigezogenen Akte der Mutter des Antragstellers – kann entnommen werden, dass durchaus ausländerbehördliche Versuche unternommen worden waren, Ausreisepapiere für die Familie zu erhalten, was aber an den falschen Personalien scheiterte. Im Hauptsacheverfahren kann ggf. noch weiter versucht werden, die Gründe für die lange Identitätstäuschung und auch für den diesbezüglichen Meinungswechsel der Familie etwa Ende des Jahres 2013 zu erfragen.
- 50
Liegt bei Vorliegen der Integrationsvoraussetzungen des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG ein Ausnahmefall vor, so hat die Antragsgegnerin über die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach Ermessen zu entscheiden. Dies ist bisher wegen anderer rechtlicher Ausgangspunkte in den Bescheiden der Antragsgegnerin noch nicht geschehen. Im Bescheid vom 17. Juni 2016 wurde schon die nachhaltige Integration des Antragstellers in die hiesigen Lebensverhältnisse verneint. Im Widerspruchsbescheid vom 21. September 2016 sah die Antragsgegnerin das Fehlverhalten des Antragstellers als Ausnahme von der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG anzunehmenden Integration, verneinte somit bereits die Erteilungsvoraussetzung, so dass auch hier kein Rechtsfolgenermessen ausgeübt wurde. Auch dürfte kein Fall vorliegen, in dem als einzige fehlerfreie Ermessensentscheidung eine Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG in Betracht käme. So hat die Antragsgegnerin der jüngeren Schwester des Antragstellers eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25a AufenthG und der Zwillingsschwester des Antragstellers eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG erteilt. Alle in Hamburg lebenden Familienangehörigen haben in gleicher Weise wie der Antragsteller über etliche Jahre über ihre Identität getäuscht, mag dies der 1997 geborenen jüngeren Schwester auch nicht in gleichem Maße vorgeworfen werden können.
- 51
Ist im Einzelfall Ermessen auszuüben, so führt ein Ermessensnichtgebrauch zur Rechtswidrigkeit der Bescheide und im Hauptsacheverfahren zumindest zum Anspruch des Antragstellers, dass die Antragsgegnerin erneut über den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entscheidet. Dieser Anspruch wird zu Recht durch die vom Verwaltungsgericht erlassene einstweilige Anordnung gesichert.
III.
- 52
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
- 53
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG. Es geht vorliegend um die vorläufige Sicherung des behaupteten Anspruchs auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, nicht allein um die Verhinderung einer Abschiebung oder eine isolierte Abschiebungsandrohung (so das Verwaltungsgericht unter Bezugnahme auf Nr. 8.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Mit der begehrten einstweiligen Anordnung wird auch nicht die Hauptsache vorweggenommen. In der Hauptsache wird die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt; dies ist nicht Gegenstand des Antrags nach § 123 VwGO.
(1) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels setzt in der Regel voraus, dass
- 1.
der Lebensunterhalt gesichert ist, - 1a.
die Identität und, falls er nicht zur Rückkehr in einen anderen Staat berechtigt ist, die Staatsangehörigkeit des Ausländers geklärt ist, - 2.
kein Ausweisungsinteresse besteht, - 3.
soweit kein Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels besteht, der Aufenthalt des Ausländers nicht aus einem sonstigen Grund Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt oder gefährdet und - 4.
die Passpflicht nach § 3 erfüllt wird.
(2) Des Weiteren setzt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, einer Blauen Karte EU, einer ICT-Karte, einer Niederlassungserlaubnis oder einer Erlaubnis zum Daueraufenthalt – EU voraus, dass der Ausländer
- 1.
mit dem erforderlichen Visum eingereist ist und - 2.
die für die Erteilung maßgeblichen Angaben bereits im Visumantrag gemacht hat.
(3) In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 24 oder § 25 Absatz 1 bis 3 ist von der Anwendung der Absätze 1 und 2, in den Fällen des § 25 Absatz 4a und 4b von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 1 bis 2 und 4 sowie des Absatzes 2 abzusehen. In den übrigen Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 kann von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden. Wird von der Anwendung des Absatzes 1 Nr. 2 abgesehen, kann die Ausländerbehörde darauf hinweisen, dass eine Ausweisung wegen einzeln zu bezeichnender Ausweisungsinteressen, die Gegenstand eines noch nicht abgeschlossenen Straf- oder anderen Verfahrens sind, möglich ist. In den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 26 Absatz 3 ist von der Anwendung des Absatzes 2 abzusehen.
(4) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn ein Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Absatz 1 Nummer 2 oder 4 besteht oder eine Abschiebungsanordnung nach § 58a erlassen wurde.
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000,- EUR festgesetzt.
1
Gründe:
2Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.
3Das Beschwerdevorbringen greift zunächst nicht durch, soweit es sich gegen die behördliche Vollziehungsanordnung wendet. Den formellen Erfordernissen genügt die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Nrn. 1 und 3 der angefochtenen Ordnungsverfügung. Insbesondere enthält die Ordnungsverfügung eine den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügende auf den Einzelfall bezogene Begründung. Die Frage, ob die von der Behörde zur Begründung der Vollziehungsanordnung angeführten Gründe den Sofortvollzug tatsächlich rechtfertigen, ist in diesem Zusammenhang grundsätzlich unerheblich. Ob die Anordnung der sofortigen Vollziehung gerechtfertigt ist, ist vielmehr anhand einer vom Gericht vorzunehmenden eigenständigen Interessenabwägung zu beurteilen.
4Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. September 2012 ‑ 6 B 852/12 ‑, juris, vom 15. November 2011 ‑ 8 B 1184/11 ‑, NWVBl. 2012, 276 m.w.N., vom 18. Mai 2011 ‑ 5 B 1323/10 ‑, juris, und vom 10. März 2011 ‑18 B 129/11 ‑; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. August 2013 ‑ OVG 11 S 13.13 ‑, juris, VGH BW, Beschluss vom 25. September 2012 ‑ 10 S 731/12 ‑, DVBl. 2012, 1506 sowie BayVGH, Beschluss vom 30. August 2007 ‑ 1 CS 07.1253 ‑, juris.
5Ein besonderes Vollzugsinteresse hinsichtlich der Ausweisung besteht indes im Fall der Antragstellerin. Insoweit kann offen bleiben, inwieweit generalpräventive Erwägungen geeignet sein können, einen Sofortvollzug zu rechtfertigen.
6Vgl. hierzu BVerfG, Beschlüsse vom 25. September 1986 ‑ 2 BvR 744/86 ‑, NVwZ 1987, 403 und vom 19. August 1983 ‑ 2 BvR 1284/83 ‑, NVwZ 1983, 667, OVG NRW, Beschlüsse vom 26. Oktober 2009 ‑ 18 B 920/09 ‑, juris und vom 24. Februar 1998 ‑ 18 B 1466/96 ‑, InfAuslR 1998, 389, OVG LSA, Beschluss vom 18. Oktober 2006 ‑ 2 M 234/06 ‑, juris, Nds. OVG, Beschluss vom 17. August 2001 ‑ 11 MA 2457/01 ‑, InfAuslR 2002, 13, BayVGH, Beschluss vom 17. November 2000 ‑ 24 ZS 00.3111 ‑, juris, Hambg.OVG, Beschluss vom 13. Januar 1998 ‑ Bs VI 74/97 ‑, InfAuslR 1998, 222.
7Jedenfalls stellt die Beschwerde nicht durchgreifend die Einschätzung in Frage, es sei mit weiteren Rechtsverstößen der Antragstellerin während der Dauer des Rechtsmittelverfahrens zu rechnen. Soweit mit der Beschwerde behauptet wird, die Antragstellerin habe, indem sie falsche Angaben zu den Personalien ihres von ihr als „Freund bzw. Verlobten“ bezeichneten Ehemannes gemacht habe, selbst keinen Rechtsverstoß begangen, fehlt es an einer Auseinandersetzung mit der gegenteiligen ‑ und zutreffenden ‑ Einschätzung des Verwaltungsgerichts, das ausführlich begründet hat, warum die Antragstellerin insoweit den Straftatbestand des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG erfüllt hat. Dass die Straftat nicht strafrechtlich „geahndet“ worden ist, ist im vorliegenden Zusammenhang unbeachtlich. Zudem war dies nicht der einzige Rechtsverstoß der Antragstellerin mit dem Ziel der Erlangung eines weiteren Aufenthalts. Die Antragstellerin hat nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet im September 2001 nicht nur im Asylverfahren, sondern auch nach rechtskräftiger Ablehnung des Asylantrags am 5. April 2003 gegenüber der Antragsgegnerin wahrheitswidrig angegeben, sie heiße S. S1. , geboren am 10. April 1979, um auf diese Weise ihre Identifizierung bei den nepalesischen Behörden und nachfolgend ihre Abschiebung zu verhindern. Selbst nachdem anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung Identitätsdokumente aufgefunden worden waren, die nahelegten, dass sie tatsächlich wie im Rubrum angegeben heißt und bereits am 23. Mai 1972 geboren wurde, hat sie in Weiterverfolgung ihrer Absichten ihre wahre Identität weiterhin geleugnet und behauptet, die aufgefundenen Dokumente seien gefälscht und von ihr nur gekauft worden. Damit hat sie den Straftatbestand des § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung erfüllt. Dass sie darüber hinaus in Kenntnis des Umstandes, dass der gemeinsamen Tochter C. nur bei Nachweis der Eheschließung durch die nepalesischen Behörden ein Pass ausgestellt werden würde, fortlaufend behauptet hat, ledig zu sein, obwohl die Eheschließung bereits am 19. November 1993 in Nepal erfolgt war, macht hinreichend deutlich, dass zu befürchten ist, die Antragstellerin werde jede Gelegenheit nutzen, ihre nach Eintritt der Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht mögliche Abschiebung und die ihrer Familie auch mit illegalen Mitteln (vgl. § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG) zu verhindern.
8Die Einwände der Antragstellerin gegen die Ausweisung greifen ebenfalls nicht durch. Der Gesetzgeber hat nicht zu erkennen gegeben, dass in der Vergangenheit liegende Täuschungshandlungen aufenthaltsrechtlich unbeachtlich sein sollen. Soweit die Antragstellerin sich in diesem Zusammenhang auf den Gesetzentwurf des Bundesrates (BR-Drs. 505/12 zu einer Neuregelung des § 25a AufenthG und der Einfügung eines § 25b AufenthG) beruft, ist darauf hinzuweisen, dass dieser in der Sitzung des Bundestages vom 27. Juni 2013 (BT-PlPr. 17/250) abgelehnt worden ist. Soweit der Gesetzesentwurf des Bundestages vom 25. Februar 2015 (vgl. BT-Drs. 18/4097 in der Fassung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Innenausschusses vom 1. Juli 2015 ‑ BT-Drs. 18/5420 ‑) eine vergleichbare Regelung enthält, wäre eine etwa daraus abzuleitende Wertung erst dann beachtlich, wenn die im Entwurf enthaltene Regelung auch so in Kraft tritt. Davon abgesehen trifft die Auffassung der Antragstellerin, nur gegenwärtige, nicht aber zurückliegende Täuschungen über die Identität stünden der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG-E entgegen, nicht zu.
9Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis erfordert nach § 25b Abs. 1 Satz 1 der Entwurfsfassung, dass der Ausländer sich nachhaltig in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert hat. Dies setzt nach § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E regelmäßig voraus, dass die im Weiteren genannten Maßgaben der Nrn. 1 bis 5 ‑ soweit von diesen nicht nach Abs. 3 abzusehen ist ‑ erfüllt sind und keiner der zwingenden Versagungstatbestände des Abs. 2 gegeben ist. Ein zwingender Versagungstatbestand ist in dem Fall der von Abs. 2 Nr. 1 u.a. erfassten Identitätstäuschung nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut zwar nur dann gegeben, wenn diese gegenwärtig vorliegt. Dies hat aber nicht zur Folge, dass zurückliegende Täuschungen generell unbeachtlich sind. Ihnen kommt vielmehr Relevanz im Zusammenhang mit der nach § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E vorzunehmenden Prüfung zu, ob die Aufenthaltserlaubnis zu versagen ist, weil ein Ausnahmefall von der regelmäßig anzunehmenden Integration vorliegt.
10§ 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E normiert seinem Wortlaut nach („setzt regelmäßig voraus, dass …“) allerdings nur ein Regel-/Ausnahmeverhältnis dahingehend, dass die nachfolgend genannten Maßgaben der Nrn. 1 bis 5 im Regelfall vorliegen müssen, um die Annahme einer nachhaltigen Integration im Sinne des § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG-E zu rechtfertigen, hiervon aber ausnahmsweise abzusehen ist, wenn im Einzelfall trotz Nichterfüllung einzelner Maßgaben gleichwohl ‑ etwa weil andere gleich gewichtige Integrationsmerkmale vorliegen ‑ eine nachhaltige Integration gegeben ist. Ein solches Verständnis der Vorschrift, das dem entspricht, welches auch nach Auffassung des Gesetzgebers der vergleichbar formulierten Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 1 AufenthG zugrunde liegt (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 70), hatte der Verfasser des Gesetzesentwurfs ausweislich der Entwurfsbegründung jedenfalls auch im Blick (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 42). Zugleich sollte der Vorschrift des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E nach dem Willen des Entwurfsverfassers über den unmittelbaren Wortlaut hinaus jedoch ein Regel-/Ausnahmeverhältnis auch dahingehend zukommen, dass bei Vorliegen der Maßgaben der Nrn. 1 bis 5 regelmäßig von einer nachhaltigen Integration auszugehen ist und diese nur im Ausnahmefall verneint werden darf (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 42). In diesem Falle hätte es zwar nahegelegen, eine Formulierung zu verwenden, wie sie etwa in § 37 Abs. 5 AufenthG enthalten ist („einem Ausländer … wird in der Regel eine Aufenthaltserlaubnis erteilt, wenn …“), verbunden mit dem Zusatz, dass von den Regelerteilungsvoraussetzungen ausnahmsweise abzusehen ist, wenn im Einzelfall trotz Nichterfüllung einzelner Voraussetzungen gleichwohl eine nachhaltige Integration gegeben ist. Aber auch die gewählte Textfassung ist für ein Verständnis im vorstehenden Sinne noch hinreichend offen, so dass dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers über eine erweiternde Auslegung des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E Rechnung getragen werden kann.
11Ob ein Ausnahmefall von der regelmäßig anzunehmenden Integration vorliegt, beurteilt sich ‑ anders als im Fall von § 5 Abs. 1 AufenthG ‑ allein danach, ob besondere, atypische Umstände vorliegen, die das sonst ausschlaggebende Gewicht der Regelung des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E beseitigen. Maßgebend ist somit, ob die bei Vorliegen der Maßgaben von Satz 2 Nrn. 1 bis 5 eingreifende Regelvermutung der nachhaltigen Integration widerlegt ist, weil im Einzelfall Integrationsdefizite festzustellen sind, die dazu führen, dass den erzielten Integrationsleistungen bei wertender Gesamtbetrachtung ein geringeres Gewicht zukommt. Hingegen liegt ein Ausnahmefall nicht schon dann vor, wenn etwa die Familieneinheit im Herkunftsland nicht hergestellt werden kann. Entsprechende verfassungs-, unions- oder völkerrechtliche Gewährleistungen können zwar im Rahmen des § 5 Abs. 1 AufenthG eine Ausnahme von der Regel rechtfertigen. Dies ist jedoch in dem Umstand begründet, dass diese Vorschrift angesichts ihrer gesetzlichen Konzeption als Regelerteilungsvoraussetzung im Grundsatz ‑ vorbehaltlich ausdrücklich angeordneter Ausnahmen ‑ für alle Aufenthaltstitel gilt. Ohne die Berücksichtigung der genannten Gewährleistungen im Rahmen der Regel-/Ausnahmeprüfung des § 5 Abs. 1 AufenthG stünde die Nichterfüllung einer Regelerteilungsvoraussetzung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis selbst in den Fällen entgegen, in denen die Schutzwirkungen etwa des Art. 6 GG oder des Art. 8 EMRK die Erteilung eines Aufenthaltstitels gebieten. Bei der Regel-/Ausnahmeprüfung des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E geht es hingegen nur um die Frage, ob dem Ausländer ein Aufenthaltstitel gerade nach dieser Regelung zu erteilen ist, weil er den Tatbestand der nachhaltigen Integration erfüllt. Eine Erteilung nach anderen Vorschriften, namentlich nach § 25 Abs. 5 AufenthG, bleibt von der Entscheidung über einen Ausnahmefall von der Regel des § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E unberührt.
12Einer Berücksichtigung zurückliegender Täuschungshandlungen im Rahmen von § 25b Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E steht nicht die Regelung des § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E entgegen. § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E statuiert bei einem bestimmten gegenwärtigen vorwerfbaren Verhalten des Ausländers einen zwingenden Versagungsgrund, der weder in Ausnahmefällen oder im Ermessenswege überwunden werden kann noch einer Würdigung im Einzelfall anhand einer Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zugänglich ist. Im Hinblick auf die grundsätzliche Relevanz namentlich der in § 25b Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E angeführten Täuschungshandlungen für die Beurteilung des Maßes der Integration,
13vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2009 ‑ 1 C 40.07 ‑, ZAR 2009, 193,
14kann aus dem Umstand, dass gegenwärtige vorsätzliche Falschangaben und Täuschungen ‑ über § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG hinausgehend ‑ der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG-E zwingend entgegenstehen, nicht geschlossen werden, dass zurückliegende Täuschungen und Handlungen vergleichbarer Art bei der Prüfung nach Abs. 1 von vornherein keine Berücksichtigung finden können.
15Vgl. zum Verhältnis von § 25a Abs. 1 Satz 3 AufenthG zu § 5 Abs. 1 Nr. 1a AufenthG: BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013 ‑ 1 C 17.12 ‑, InfAuslR 2013, 324.
16Auch bei der Annahme, dass Täuschungshandlungen nicht nach § 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG-E frei zu würdigen sind, sondern ihnen Bedeutung nur im Rahmen der nach § 25 b) Abs. 1 Satz 2 AufenthG-E vorzunehmenden Prüfung zukommt, ob die Aufenthaltserlaubnis wegen Vorliegens eines Ausnahmefalls von der Regel zu versagen ist, ist letzteres dann der Fall, wenn die Täuschungshandlung aufgrund ihrer Art oder Dauer so bedeutsam ist, dass sie das Gewicht der nach Satz 2 Nrn. 1 bis 5 relevanten Integrationsleistungen für die Annahme der nach Satz 1 für die Erteilung erforderlichen nachhaltigen Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse beseitigt. Hiervon geht auch der Verfasser des Gesetzesentwurfs aus. So ist in der Begründung des Gesetzentwurfs zum Ausschlussgrund des § 25 b) Abs. 2 Nr. 1 AufenthG-E ausgeführt, dass die Regelung keine Amnestie für jedes Fehlverhalten in den vorangegangenen Verfahren sei; zu Beginn des Verfahrens begangene Täuschungshandlungen zur Staatsangehörigkeit/Identität könnten [nur ‑ Einfügung durch den Senat] unberücksichtigt bleiben, sofern diese nicht allein kausal für die lange Aufenthaltsdauer gewesen sind (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 44). Die lange Aufenthaltsdauer der Antragstellerin und ihrer Familie ist hier jedoch allein auf die Falschangaben der Antragstellerin zur Identität ihres Ehemannes zurückzuführen.
17Die vorstehende Bewertung trifft in gleicher Weise auf das Verhältnis zwischen dem Versagungsgrund des § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG-E zu § 25b Abs. 1 AufenthG-E einerseits und zu § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG andererseits zu.
18Die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des Nichtvorliegens von Ausweisungsgründen bzw. ‑interessen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG gilt uneingeschränkt auch für die Vorschrift des § 25b AufenthG-E. Entsprechend der gesetzlichen Konzeption gelten die Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 AufenthG für alle Aufenthaltstitel, sofern nicht der Gesetzgeber im Einzelfall angeordnet hat, dass von ihrer Anwendung ganz oder hinsichtlich einzelner Erteilungsvoraussetzungen zwingend abzusehen ist oder nach Ermessen abgesehen werden kann.
19Vgl. zu § 25a AufenthG: BVerwG, Urteil vom 14. Mai 2013 ‑ 1 C 17.12 ‑, a.a.O.
20§ 25b Abs. 1 Satz 1 AufenthG-E suspendiert jedoch nur von den Regelerteilungsvoraussetzungen der (vollständigen) Lebensunterhaltssicherung und der Einreise im Wege eines ordnungsgemäßen Visumverfahrens (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 AufenthG). Dass der Verfasser des Gesetzesentwurfs trotz des insoweit eindeutigen Wortlauts gleichwohl ausnahmsweise von einem abweichenden Verständnis ausgegangen wäre, ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil ist in der Entwurfsbegründung ausdrücklich ausgeführt, dass im Rahmen des § 25b AufenthG-E auch die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen gelten, und infolgedessen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG die Titelerteilung in der Regel voraussetzt, dass kein Ausweisungsinteresse besteht (vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 45 zu Abs. 2 Nr. 2). Anders als dies ggf. im Anwendungsbereich des § 25a Abs. 3 AufenthG der Fall sein mag, stehen auch Sinn und Zweck der Regelung des § 25b AufenthG-E der Anwendung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG bzw. der Annahme eines Regelfalls im Sinne dieser Vorschrift nicht entgegen. Im Gegensatz zu der Altfallregelung des § 104a Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AufenthG oder der Vorschrift des § 25a Abs. 3 AufenthG, die die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nur dann ermöglichen, wenn der Ausländer nicht wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurde, wobei nur Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen bzw. 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben, statuiert § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG-E mit der Bezugnahme auf § 54 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 und 2 AufenthG-E einen Versagungsgrund, der erst bei gravierender Straffälligkeit des Ausländers ‑ Voraussetzung ist eine Verurteilung zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe bzw. im Fall der Verurteilung zu einer Jugendstrafe von einem Jahr darüber hinaus die Nichtaussetzung zur Bewährung ‑ eingreift. Hieraus kann nicht geschlossen werden, dass bei straffällig gewordenen Ausländern bis zu der genannten Strafbarkeitsschwelle eine ‑ gesetzlich normierte ‑ Ausnahme von der Regel des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG vorliegt. Einer solchen Betrachtung steht ‑ abgesehen von dem fehlenden Willen des Gesetzgebers ‑ bereits der Zweck der Regelung entgegen, einen Aufenthalt nur bei nachhaltiger Integration zu gewähren. Eine nachhaltige Integration setzt aber regelmäßig neben einer wirtschaftlichen Verfestigung und sozialen Eingliederung in die hiesigen Gesellschaftsverhältnisse auch voraus, dass der Ausländer nicht nur über Kenntnisse der Rechtsordnung verfügt (vgl. § 25b Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG-E), sondern diese auch beachtet. Dem entsprechend ist auch in der Entwurfsbegründung ausgeführt, dass grundsätzlich nur Ausländer, die sich an Recht und Gesetz halten, wegen ihrer vorbildlichen Integration begünstigt werden sollen. Soweit es in der Entwurfsbegründung im Weiteren heißt, bei Vorliegen eines Ausweisungsinteresses [nur] nach § 54 Abs. 2 Nrn. 3 bis 6 AufenthG-E sei regelmäßig auch keine nachhaltige Integration gegeben, folgt hieraus nicht, dass die von Nr. 9 erfassten Straftaten generell unberücksichtigt bleiben sollen. Vielmehr ging der Verfasser, wie die weitere Begründung und die Entwurfsfassung des § 25b Abs. 2 Nr. 2 AufenthG-E in der Fassung der Bundestagsdrucksache 18/4097 belegen, von der ‑ irrigen ‑ Annahme aus, der Versagungstatbestand erstrecke sich ohnehin auf alle Ausländer, die zu Strafen von insgesamt mehr als 50 (bzw. 90) Tagessätzen verurteilt worden sind.
21Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass Straftaten unterhalb der Schwelle des § 54 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 AufenthG-E auch einer einzelfallbezogenen Würdigung im Rahmen des § 25b Abs. 1 AufenthG-E nicht von vornherein entzogen sind.
22Die verhältnismäßig lange Aufenthaltsdauer der Antragstellerin im Bundesgebiet haben entgegen dem Beschwerdevorbringen sowohl die Antragsgegnerin als auch das Verwaltungsgericht gewürdigt. Welche über die Erlernung der deutschen Sprache hinausgehenden Integrationsleistungen die Antragstellerin erbracht haben soll, die angeblich nicht berücksichtigt worden seien, wird mit der Beschwerde nicht dargelegt. Dass die Antragstellerin „nie straffällig geworden“ sei, trifft schon nicht zu und wäre überdies eine Selbstverständlichkeit. Inwiefern sie „am sozialen Leben teilnimmt“ ist mangels weiterer Darlegung nicht erkennbar.
23Soweit die Antragstellerin sich gegen die Rücknahmeentscheidung wendet, genügt das Vorbringen nicht dem Darlegungserfordernis. Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, auf die Rechtmäßigkeit komme es im vorliegenden Verfahren ‑ anders als im Hauptsacheverfahren ‑ nicht an. Denn die Interessenabwägung falle schon deshalb zu Lasten der Antragstellerin aus, weil diese gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG ohnehin vollziehbar ausreisepflichtig sei. Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.
24Der erstmals im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag auf Gewährung von Abschiebungsschutz kann schon aus prozessualen Gründen keinen Erfolg haben. Denn hierbei handelt es sich um einen neuen Streitgegenstand. Das Beschwerdeverfahren dient aber ausschließlich der Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung.
25Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
26Der Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.
(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,
- 1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen, - 2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist, - 3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.
(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.
(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.
(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.