Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 18. Juli 2018 - AN 1 K 15.30199
Tenor
1. Der Bescheid des Bundesamtes für ... vom 11. Februar 2015, Az. …, wird aufgehoben.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
3. Bezüglich der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zunächst Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1. „Der kurdische Verein nennt sich … Kulturverein - … Diesen Verein gibt es auch in jeder anderen größeren Stadt in Deutschland.
2. Zu den Mitgliedern ist zu sagen, dass wohl alle falsche bzw. Decknamen hatten. Der Vorsitzende bzw. verdeckte Anführer nannte sich …, andere …, … und …, alles kurdische Namen.
3. Aktiv war Herr … in der Form, dass er kurdische Zeitschriften verteilt hat. Eine nennt sich „…“, sie ist wohl noch heute verboten wegen ihrer Direktberichterstattung aus den Camps der PKK, die andere, siehe beiliegende Kopie ist mittlerweile in Deutschland zugelassen und kann abonniert werden. Außerdem hat Herr* … verbotener Weise Plakate aufgehängt, die an Opfer erinnerten oder zu Demonstrationen aufriefen. Auch sammelte er Spendengelder, ging dabei von Haus zu Haus. Es habe sich dabei tatsächlich um freiwillige Spenden gehalten. An Demonstrationen in ganz Europa nahm er auch teil und verteilte die Bustickets, da von dem Verein die Fahrten organisiert wurden.
4. Als Zeugen kann Herr … die drei Personen nennen, die damals mit ihm festgenommen wurden und gegen Kaution wieder auf Freien Fuß gesetzt wurden. Ihre Namen sind … … …, … … und … … … Sie sind in dem Auszug der Staatsanwaltschaft … benannt.
Mit freundlichen Grüßen
…
Dipl. Sozialpädagogin (FH)“
1. „Findet das Amnestiegesetz 4616 nach wie vor Anwendung?
2. Ist für den Fall einer Rückkehr des Klägers in die Türkei mit einer Strafverfolgung wegen der damaligen Aktivitäten für die PKK/HADEP zu rechnen?
3. Ist unabhängig von einer möglichen Strafverfolgung vor dem aktuellen politischen Hintergrund und der ungewissen Auskunftslage in der Türkei damit zu rechnen, dass der Kläger mit Maßnahmen durch Sicherheitsbehörden oder durch Strafverfolgung unterzogen wird, beispielsweise wegen seiner im Jahr 1999 erfolgten Asylanerkennung oder durch die Straffälligkeit in Deutschland?
4. Liegen dem Auswärtigen Amt Erkenntnisse darüber vor, dass es seit der Verhängung des Ausnahmezustands zu Fällen von Folter oder Misshandlungen durch staatliche Organe gekommen ist?“
„Zu Frage 1:
Das sogenannt Amnestiegesetz Nr. 4616 vom 21.12.2000 (gleich Gesetz über die bedingte Aussetzung der Strafen zur Bewährung und Aussetzung der Strafverfolgung) findet nach wie vor Anwendung für Straftaten, die vor dem 23.4.1999 begangen wurden.
Zu Frage 2:
Die Beantwortung von Fragen, die eine konkret auf den Kläger bezogene Gefährdungsprognose erfordern, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen Amtes. Dem Auswärtigen Amt obliegt im Rahmen der Amtshilfe lediglich die Mitarbeit an der Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhaltes sowie die Darstellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Tatsachen und Ereignisse in den Herkunftsländern von Asylbewerbern. Die nachfolgende asyl- und ausländerrechtliche Würdigung kommt allein den deutschen Gerichten und Innenbehörden zu.
Hinsichtlich der Strafverfolgung ist bereits Verjährung eingetreten.
Zu Frage 3:
Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Dies insbesondere, wenn wie im Fall des Klägers Verfolgungsverjährung hinsichtlich der geltend gemachten strafbaren Handlungen in den 90er Jahren eingetreten ist. Die Verjährungsfristen differieren je nach Straftat, die maximale Verjährungsfrist beträgt jedoch 15 Jahre.
Es ist dem Auswärtigen Amt kein Fall bekannt geworden, dass Verurteilungen wegen Straftaten im Ausland, die auf kriminellen Delikten beruhen, bei Rückkehr in die Türkei - neuerliche - Sanktionen der Heimatbehörden nach sich gezogen hätten.
Hinsichtlich der Einzelheiten zur Strafverfolgungssituation sowie der Situation für Rückkehrer wird auf die Ausführungen im Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 19.2.2017 Bezug genommen.
Zu Frage 4:
Im Zuge der Ermittlungen gegen Beteiligte an dem Putschversuch wurde von einigen NRO’s (u.a. amnesty international) Foltervorwürfe gegen die türkische Polizei und Justiz erhoben. Als gesichert kann gelten, dass es in den ersten Tagen nach dem Putschversuch vom 15.7.2016 zu Übergriffen bei der Festnahme von Verdächtigen und auch gegen solche in Gewahrsam gab, gerade bei Personen, denen eine aktive Teilnahme vorgeworfen wurde (Piloten und Offiziere).
Es werden keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Kläger, der sich seit dem Jahr 1997 im Ausland aufhält, bei der Einreise in die Türkei mit den Ereignissen vom 15.7.2016 sowie der juristischen Aufarbeitung des Putschversuches in Verbindung gebracht wird bzw. deswegen in eine Missliebigkeit bei den türkischen Behörden geraten sein könnte.“
Gründe
Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 18. Juli 2018 - AN 1 K 15.30199
Urteilsbesprechungen zu Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 18. Juli 2018 - AN 1 K 15.30199
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Verwaltungsgericht Ansbach Urteil, 18. Juli 2018 - AN 1 K 15.30199 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.
(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Streitigkeiten nach diesem Gesetz stellt das Gericht auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ab; ergeht die Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, ist der Zeitpunkt maßgebend, in dem die Entscheidung gefällt wird. § 74 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(2) Das Gericht kann außer in den Fällen des § 38 Absatz 1 und des § 73b Absatz 7 bei Klagen gegen Entscheidungen nach diesem Gesetz im schriftlichen Verfahren durch Urteil entscheiden, wenn der Ausländer anwaltlich vertreten ist. Auf Antrag eines Beteiligten muss mündlich verhandelt werden. Hierauf sind die Beteiligten von dem Gericht hinzuweisen.
(3) Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung des Tatbestandes und der Entscheidungsgründe ab, soweit es den Feststellungen und der Begründung des angefochtenen Verwaltungsaktes folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt oder soweit die Beteiligten übereinstimmend darauf verzichten.
(4) Wird während des Verfahrens der streitgegenständliche Verwaltungsakt, mit dem ein Asylantrag als unzulässig abgelehnt wurde, durch eine Ablehnung als unbegründet oder offensichtlich unbegründet ersetzt, so wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens. Das Bundesamt übersendet dem Gericht, bei dem das Verfahren anhängig ist, eine Abschrift des neuen Verwaltungsakts. Nimmt der Kläger die Klage daraufhin unverzüglich zurück, trägt das Bundesamt die Kosten des Verfahrens. Unterliegt der Kläger ganz oder teilweise, entscheidet das Gericht nach billigem Ermessen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Der Eid mit religiöser Beteuerung wird in der Weise geleistet, dass der Richter an den Zeugen die Worte richtet:
"Sie schwören bei Gott dem Allmächtigen und Allwissenden, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben"
"Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe".
(2) Der Eid ohne religiöse Beteuerung wird in der Weise geleistet, dass der Richter an den Zeugen die Worte richtet:
"Sie schwören, dass Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben"
"Ich schwöre es".
(3) Gibt ein Zeuge an, dass er als Mitglied einer Religions- oder Bekenntnisgemeinschaft eine Beteuerungsformel dieser Gemeinschaft verwenden wolle, so kann er diese dem Eid anfügen.
(4) Der Schwörende soll bei der Eidesleistung die rechte Hand erheben.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Ein Ausländer ist Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich
- 1.
aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe - 2.
außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, - a)
dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder - b)
in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
(2) Ein Ausländer ist nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass er
- 1.
ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen, - 2.
vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebiets begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden, oder - 3.
den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat.
(3) Ein Ausländer ist auch nicht Flüchtling nach Absatz 1, wenn er
- 1.
den Schutz oder Beistand einer Organisation oder einer Einrichtung der Vereinten Nationen mit Ausnahme des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge nach Artikel 1 Abschnitt D des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge genießt oder - 2.
von den zuständigen Behörden des Staates, in dem er seinen Aufenthalt genommen hat, als Person anerkannt wird, welche die Rechte und Pflichten, die mit dem Besitz der Staatsangehörigkeit dieses Staates verknüpft sind, beziehungsweise gleichwertige Rechte und Pflichten hat.
(4) Einem Ausländer, der Flüchtling nach Absatz 1 ist, wird die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, es sei denn, er erfüllt die Voraussetzungen des § 60 Absatz 8 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes oder das Bundesamt hat nach § 60 Absatz 8 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes von der Anwendung des § 60 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes abgesehen.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 8. Kammer, Einzelrichter – vom 4. Februar 2014 geändert.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Februar 2011 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Gegenstand des Rechtsstreits ist ein asylrechtlicher Widerrufsbescheid.
- 2
Der 1975 im Südosten der Türkei geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach seiner Einreise nach Deutschland stellte er Anfang 1995 einen Asylantrag. Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge trug er vor, im September 1991 sei er mit der Guerilla in die Berge gegangen. An gewaltsamen Auseinandersetzungen mit den türkischen Sicherheitskräften habe er nicht teilgenommen. Als er im November 1991 in sein Dorf zurückgekehrt sei, um Verwandte zu besuchen, sei er dort festgenommen und anschließend inhaftiert worden. Im Gefängnis habe man ihn geschlagen und gefoltert. Er sei zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten verurteilt worden. Im Dezember 1993 sei er freigelassen worden. In der Folgezeit sei er ständig unter Beobachtung gewesen. Er sei auch mit dem Tode bedroht worden. Bei den Identitätskontrollen z. B. habe er merken können, dass man seinen Namen kannte. Man habe ihn sehr schlecht behandelt und ihm den Ausweis ins Gesicht geworfen. Man habe ihm auch gesagt, wenn er noch einmal bei etwas Verbotenem erwischt werde, werde er erschossen. Er sei auch sonst überwacht worden. Ihm sei nur die Wahl geblieben, sich der PKK anzuschließen und in die Berge zu gehen oder aber die Quälereien des türkischen Staates weiter zu ertragen. Er habe sich dann entschlossen, aus dieser unerträglichen Situation zu fliehen und in die Bundesrepublik Deutschland zu seiner Familie zu gehen.
- 3
Mit Bescheid vom 6. Februar 1995 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs.1 AuslG hinsichtlich der Türkei vorlägen, dass das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich der Türkei vorliege und dass im Übrigen Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Zur Begründung führte die Behörde aus: Aufgrund des vom Kläger geschilderten Sachverhalts und der vorliegenden Erkenntnisse sei davon auszugehen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr in die Türkei zum gegenwärtigen Zeitpunkt mit Verfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 51 Abs. 1 AuslG zu rechnen habe. Ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG liege vor, da der Kläger bei Rückkehr in die Türkei mit menschenrechtswidriger Behandlung zu rechnen habe.
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Mit Bescheid vom 28. Februar 2011 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Feststellungen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorlägen. Es stellte ferner fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3 – 7 AufenthG nicht vorlägen. In der Begründung heißt es: Die Begünstigung sei dem Kläger deshalb gewährt worden, weil ihn die örtlichen Sicherheitskräfte nach der Haftentlassung entgegen der rechtlichen Ausgangslage nicht in Ruhe gelassen und in asylerheblicher Weise bedrängt und bedroht hätten. Diese Ausgangslage habe sich im Zuge der in der Türkei umgesetzten Reformvorhaben grundlegend zugunsten des Klägers geändert. Die örtlichen Stellen könnten sich heute nicht mehr das erlauben, was früher noch gängige Praxis gewesen sei. Jedenfalls gebe es eine interne Schutzalternative. Die heutige Einreise in die Türkei würde über die üblichen Kontrollen hinaus nicht zu sonstigen Überprüfungsmaßnahmen führen, denn schon seinerzeit habe nach der Haftentlassung nichts mehr gegen den Kläger vorgelegen.
- 5
Der Kläger hat Klage erhoben und vorgetragen, es liege weiterhin keine hinreichende Verfolgungssicherheit vor. Er sei er in der Türkei in einem förmlichen Strafverfahren wegen Unterstützung der PKK zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Ihm sei vorgeworfen worden, Mitglied der PKK zu sein, nur weil er kurdisch gesprochen habe. Er selbst sei kein Mitglied der PKK und auch kein PKK-Kämpfer gewesen.
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Der Kläger hat beantragt,
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den Bescheid des Bundesamtes vom 28.02.2011 aufzuheben.
- 8
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 10
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 4. Februar 2014 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Dem Kläger sei allein wegen des Gebrauchs der kurdischen Sprache die Unterstützung der PKK vorgeworfen worden. Deshalb sei er zu acht Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt worden. Die Tatsache, dass er bereits nach zwei Jahren wieder freigelassen worden sei, zeige allerdings, dass die besonderen Umstände seines Falles (insbesondere die Minderjährigkeit) bereits damals beachtet und die Gefahr politischer Verfolgung lediglich wegen der damals herrschenden Verhältnisse in der Heimatregion des Klägers angenommen worden sei. Seit 1995 hätten sich die Verhältnisse in der Türkei hinsichtlich der Gefahr, bei Gebrauch der kurdischen Sprache als Unterstützer der PKK angesehen zu werden, wesentlich und nachhaltig verändert. Mit der seit 2003 an der Macht befindlichen Regierung Erdoğan sei eine wesentliche Änderung der Kurdenpolitik insbesondere hinsichtlich der Zulassung des Gebrauchs der kurdischen Sprache eingetreten, die jedenfalls insoweit nachhaltig sei, dass bei Rückkehr des Klägers in die Türkei keine beachtliche Wahrscheinlichkeit für Verfolgungsmaßnahmen bestehe.
- 11
Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Berufung des Klägers. Der Kläger macht geltend, die jüngste Entwicklung in der Türkei lasse nicht darauf schließen, dass sich die Lage von unter PKK-Verdacht stehenden Kurden grundlegend und nachhaltig verändert habe.
- 12
Der Kläger beantragt,
- 13
das Urteil der 8. Kammer sowie den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufzuheben.
- 14
Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 16
Sie trägt vor: Jeder Einreisende habe sich in der Türkei einer Personenkontrolle zu unterziehen. Wenn eine Person kein gültiges Reisedokument vorweise oder aus ihrem Reisepass erkennbar sei, dass sie sich ohne Aufenthaltstitel in Deutschland aufgehalten habe, oder wenn ersichtlich sei, dass sie abgeschoben worden sei, werde sie einer eingehenderen Befragung unterzogen. Schwierigkeiten für Abgeschobene könnten eintreten, wenn die Befragung oder die Durchsuchung des Gepäcks bei den Grenzbehörden oder Recherchen bei den Heimatbehörden den Verdacht der Mitgliedschaft in oder der Unterstützung der PKK oder anderer illegaler Organisationen begründe. Dem Auswärtigen Amt sei in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei. Dies treffe auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen zu.
- 17
Der Senat hat mit Verfügungen vom 14. August und 8. November 2017 Erkenntnismittel in das Verfahren eingeführt.
- 18
Die Prozessvertreter der Beteiligten sind der Berufungsverhandlung ferngeblieben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakten sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Prozessvertreter verhandeln und entscheiden, weil die Beteiligten bei der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 102 Abs. 2 VwGO).
- 21
Die zulässige Berufung hat in der Sache Erfolg. Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist nach Maßgabe der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Berufungsverhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
- 22
1. Soweit die Feststellung widerrufen wird, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, und soweit festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorliegen, findet der angefochtene Bescheid seine Grundlage in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG. Nach Satz 1 der Vorschrift ist die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 insbesondere dann der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Die Norm knüpft ihrem Wortlaut nach an die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (§ 3 AsylG) an. Auf die nach altem Recht getroffene Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen, ist sie entsprechend anzuwenden.
- 23
Maßgebend für die Beurteilung, ob eine entscheidungserhebliche Änderung vorliegt, ist der Vergleich der dem Ausgangsbescheid zugrunde gelegten Tatsachenlage – unabhängig davon, ob diese den wahren Tatsachen entsprach – mit derjenigen zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2011 – 10 C 29/10 –, juris Rn. 19).
- 24
Der Ausgangsbescheid vom 6. Februar 1995 stützt sich für die Verfolgungsprognose auf den „vom Kläger geschilderten Sachverhalt“. Eine nähere Differenzierung enthält die Begründung des Bescheides nicht. Somit ist von sämtlichen in der Anhörung geschilderten verfolgungserheblichen Tatsachen anzunehmen, dass das Bundesamt sie für wahr gehalten hat. Infolgedessen stellt sich die dem Ausgangsbescheid zugrunde gelegte Tatsachenlage wie folgt dar:
- 25
Der Kläger wurde 1991, nachdem er sich der PKK-Guerilla – wenn auch nicht kämpfend – angeschlossen hatte, festgenommen und inhaftiert. Er wurde im Gefängnis gefoltert. Schließlich wurde er zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren und vier Monaten verurteilt, musste davon aber nur zwei Jahre verbüßen. Nach seiner Freilassung war er bei den Sicherheitskräften weiterhin wegen des gegen ihn erhobenen Vorwurfs registriert. Er wurde deshalb überwacht und bei Identitätskontrollen bedroht, u.a. damit, dass er bei einem weiteren Vergehen erschossen werde.
- 26
Die Umstände, die die Furcht vor politischer Verfolgung begründen, haben sich in der Zeit bis zur Berufungsverhandlung nicht in entscheidungserheblicher Weise geändert. Bei der Bestimmung des Maßstabs, der an diese Änderung anzulegen ist, ist zu beachten, dass der Gesetzgeber mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG (jetzt: Richtlinie 2011/95/EU) – Qualifikationsrichtlinie – umgesetzt hat. Die Widerrufsvoraussetzungen sind daher unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 Buchst. C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention orientieren (BVerwG, Urteil vom 1. März 2012 – 10 C 7/11 –, juris Rn. 9).
- 27
Bei der Prüfung des Erlöschensgrundes nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat – unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen – in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.
- 28
Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründeten und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können. Veränderungen im Heimatland sind nur dann hinreichend erheblich und dauerhaft, wenn sie dazu führen, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Die Prüfung einer derartigen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland ist untrennbar mit einer individuellen Verfolgungsprognose verbunden. Diese hat anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen (BVerwG, Urteil vom 1. März 2012, a.a.O. Rn. 11 f.). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine „qualifizierende“ Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23/12 –, juris Rn. 32).
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Bei der gegebenen Beweislastverteilung ist zunächst zu Gunsten des Klägers anzunehmen, dass er weiterhin wegen des Vorwurfs, den bewaffneten Arm der PKK zu unterstützen, bei den Sicherheitskräften registriert ist.
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Vermerke über strafrechtliche Vorwürfe bleiben bei den türkischen Behörden u.U. über mehrere Jahrzehnte bestehen. Kamil Taylan hatte im Jahr 2013 die Möglichkeit, während eines Interviews mit einem Verantwortlichen bei der Polizei in einer südöstlichen Provinz die Einträge zu seinem Namen im Computersystem der Sicherheitskräfte in Augenschein zu nehmen. Dort waren noch die Ermittlungsverfahren aus den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts verzeichnet (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 5 – 6). Im Übrigen existiert keine Möglichkeit, Ermittlungen zu der Frage anzustellen, ob eine Registrierung mittlerweile beseitigt ist. Aufgrund eines Runderlasses des Innenministeriums vom 18. Dezember 2004 dürfen keine Suchvermerke mehr in das Personenstandsregister eingetragen werden. Sie kennzeichneten bis dahin Wehrdienstflüchtlinge oder zur Fahndung ausgeschriebene Personen. Angaben türkischer Behörden zufolge wurden Mitte Februar 2005 alle bestehenden Suchvermerke in den Personenstandsregistern gelöscht. Somit besteht für das Auswärtige Amt keine Möglichkeit mehr, das Bestehen von Suchvermerken zu verifizieren, auch nicht über die bisher damit befassten Vertrauensanwälte (Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 19. Februar 2017, S. 29).
- 31
Auf Grund der besagten Registrierung muss der Kläger mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen, bei der Einreise festgenommen zu werden, zumal er auf Grund der Tatsache, dass er über einen sehr langen Zeitraum ohne türkischen Pass in Deutschland gelebt hat, leicht als (ehemaliger) Asylbewerber zu identifizieren ist.
- 32
Bei der Einreise in die Türkei hat sich jeder einer Personenkontrolle zu unterziehen. Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 werden alle türkischen Staatsangehörigen einer fahndungsmäßigen Überprüfung unterzogen. Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, 19. Februar 2017, S. 29 – 30; Auskunft vom 9. Mai 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 1). Die Sicherheitsbehörden haben über die bei ihnen installierten Terminals Zugriff auf sämtliche sicherheitsrelevanten Daten der einreisenden Person, insbesondere zu abgeschlossenen oder laufenden Ermittlungsverfahren. Ein türkischer Staatsangehöriger, der jahrzehntelang ohne einen gültigen türkischen Pass im Ausland gelebt hat, fällt den Grenzbeamten mit Sicherheit auf (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 5, 7). Es ist davon auszugehen, dass Personen, aus deren Papieren zu schließen ist, dass sie im Ausland um Asyl nachgesucht haben, besonders überprüft werden. Das kann eine Anfrage bei der Polizei des Heimatortes umfassen und kann bedeuten, dass diese Person vorübergehend festgenommen wird, bis die entsprechende Auskunft vorliegt (Amnesty International, Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 1). Nach Auskunft verschiedener Kontaktpersonen der Schweizerischen Flüchtlingshilfe wurden die Einreisekontrollen nach dem Putschversuch für alle einreisenden Personen verschärft. Dies gelte auch für kurdische Personen. Es habe schon vor dem Putschversuch Kontrollen bei der Einreise gegeben. Allerdings würden die Behörden heute über mehr Listen mit Namen von gesuchten Personen verfügen. Auf diesen Listen seien Personen vermerkt, welche angebliche Verbindungen zur Gülen-Bewegung, zur PKK oder zu einer anderen aus Sicht der Behörden terroristischen Organisation hätten. Diese Personen würden weiteren Kontrollen unterzogen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der Länderanalyse vom 7. Juli 2017 zur Türkei, S. 1 – 2). Welche Folgen dies für den Kläger haben kann, zeigt etwa ein Vorfall im Februar 2015, als einige Personen bei der Einreise in die Türkei festgenommen wurden, weil sie von den Grenzkontrolleuren als PKK-Kämpfer identifiziert wurden (Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe – A 7 K 2542/14 –, S. 7). Eine mutmaßliche oder tatsächliche Unterstützung oder Verbindung zur PKK oder zu ähnlichen Gruppierungen kann zu einer Verhaftung durch den türkischen Staat führen. Verhaftungen erfolgen zum Teil willkürlich und Personen werden aufgrund fragwürdiger Indizien oder Geständnisse inhaftiert, als PKK-Mitglieder bezeichnet und angeklagt. In den Fokus geraten zudem auch Personen, die nur indirekt mit der PKK in Verbindung stehen. Behörden rufen zu Denunziationen von PKK-Sympathisierenden auf. Eine frühere Mitgliedschaft oder Aktivität in der PKK kann das Risiko einer erneuten Verhaftung erhöhen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei, Gefährdungsprofile, Update, 19. Mai 2017, S. 12 – 13).
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Der Kläger muss befürchten, im Gewahrsam der türkischen Sicherheitskräfte gefoltert oder misshandelt zu werden.
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Das Auswärtige Amt führt zwar aus, dass in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus Deutschland zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit seinen früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei, was auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer gelte. Diese Feststellung werde auch von türkischen Menschenrechtsorganisationen sowie von Auskünften anderer EU-Staaten und den USA geteilt (Lagebericht vom 19. Februar 2017, S. 29). Diese Einschätzung ist allerdings nur bedingt aussagekräftig, da sich den Angaben nicht entnehmen lässt, dass unter den Zurückgekehrten oder Abgeschobenen Personen waren, bei denen nach der bisherigen Erkenntnislage mit Übergriffen zu rechnen gewesen wäre (OVG Münster, Urteil vom 27. Mai 2016 – 9 A 653/11.A –, juris Rn. 136, OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Mai 2016 – 11 LB 53/15 –, juris Rn. 39). Deshalb ist allgemein auf die Situation von Inhaftierten abzustellen, denen eine gegenwärtige oder frühere Verbindung zur PKK zugeschrieben wird.Eine Auskunft von Amnesty International an das Bundesverwaltungsgericht vom 29. August 2017 hebt die Tatsache hervor, dass Berichte über Folter in Polizeigewahrsam seit der Aufkündigung des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der PKK im Juli 2015 und insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 drastisch zugenommen haben. Besonders häufig betroffen sind danach Personen, die der Unterstützung der PKK bezichtigt werden (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2017 – 1 VR 7/17 –, juris Rn. 53 f.; vgl. auch Amnesty International, Auskunft vom 9. März 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 2; Amnesty Report 2017 Türkei, S. 4). Zahlreiche weitere Quellen bestätigen diese Feststellung (vgl. die Übersicht in: United Kingdom, Home Office, Country Policy and Information Note, Turkey: Kurdistan Workers’ Party (PKK), August 2017, S. 27 – 29). Die Lage hat sich insofern nach Erlass des angefochtenen Urteils erheblich verschlechtert. So heißt es bei Human Rights Watch: Seit der Regierungsübernahme der AKP im Jahr 2002 sind bis Mitte 2015 die Berichte über Folterungen und Misshandlungen in Polizeigewahrsam deutlich zurückgegangen. Mit dem Zusammenbruch eines Friedensprozesses zwischen dem türkischen Staat und dem inhaftierten Führer der bewaffneten PKK wurde im Sommer 2015 der Konflikt im überwiegend kurdischen Südosten wieder aufgenommen. Im Zusammenhang mit Sicherheitsoperationen gegen die in den Städten und Stadtvierteln des Südostens fest verwurzelten städtischen Milizen der PKK ist erneut ein Anstieg von Berichten über Folterungen und Misshandlungen von Häftlingen in Polizeigewahrsam zu verzeichnen (Human Rights Watch, A Blank Check, Turkey’s Post-Coup Suspension of Safeguards Against Torture, Oktober 2016, S. 14 – 15). Das Österreichische Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führt aus: Menschenrechtsverbänden zufolge gibt es Hinweise, dass die Anwendung von Folter und Misshandlungen weiterhin stattfinden, insbesondere an Personen in Polizeigewahrsam, jedoch nicht am Ort der Verhaftung, sondern an anderen Orten, wo ein Nachweis schwieriger zu dokumentieren ist. Die Schwächung der Schutzmaßnahmen gegen den Missbrauch in der Haft nach der Verhängung des Ausnahmezustands nach dem Putschversuch wurde von zunehmenden Berichten über Folter und Misshandlungen in der Polizeigewalt begleitet, wie das Schlagen und Entkleiden von Inhaftierten, die Anwendung lang anhaltenden Stresspositionen sowie die Androhung von Vergewaltigung. Betroffen von besagten Misshandlungen waren nicht nur Angehörige des Militärs und der Polizei, die im Zusammenhang mit dem Staatsstreich verhaftet wurden, sondern auch kurdische Gefangene im Südosten des Landes. Angehörige der Strafverfolgungsbehörden wenden die Notverordnungen nicht nur auf Personen an, die verdächtigt werden, sich am Putschversuch beteiligt zu haben, sondern auch auf Gefangene, die angeblich Verbindungen zu bewaffneten kurdischen oder linken Gruppierungen haben. Auch diesen Menschen wird jeder Schutz vor Folter und anderer unberechtigter Verfolgung entzogen.Der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, Nils Melzer, berichtete Anfang Dezember 2016 von seinen Vorortbeobachtungen. Er und sein Team trafen auf zahlreiche Berichte über Folter und andere Formen von Misshandlungen von Insassen, die der Mitgliedschaft bei der PKK verdächtigt wurden. Die meisten Berichte zu Misshandlungen bezogen sich auf den Polizeigewahrsam und die dortigen Verhöre (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Türkei, 7. Februar 2017, S. 40 – 41; Lage der Kurden – insbesondere der Haftbedingungen, 9. Februar 2017, S. 2). In den Berichten der Schweizerischen Flüchtlingshilfe heißt es: Seit der erneuten Eskalation des Kurdenkonflikts Mitte 2015 und dem Putschversuch Mitte 2016 haben Folter und Misshandlungen durch Sicherheitskräfte stark zugenommen, darunter auch von Personen, die wegen angeblicher Verbindungen zur PKK beschuldigt wurden.Eine mutmaßliche oder tatsächliche Unterstützung oder Verbindung zur PKK oder zu ähnlichen Gruppierungen kann zu einer Verhaftung durch den türkischen Staat führen. Verhaftungen erfolgen zum Teil willkürlich und Personen werden aufgrund fragwürdiger Indizien oder Geständnisse inhaftiert, als PKK-Mitglieder bezeichnet und angeklagt. In den Fokus geraten zudem auch Personen, die nur indirekt mit der PKK in Verbindung stehen. Behörden rufen zu Denunziationen von PKK-Sympathisierenden auf. Wegen PKK-Verbindungen Verhaftete können keine fairen Verfahren erwarten und es besteht für sie ein erhebliches Risiko, in Haft misshandelt zu werden. Nach Angaben von verschiedenen Kontaktpersonen kann eine frühere Mitgliedschaft oder Aktivität in der PKK das Risiko einer erneuten Verhaftung erhöhen (Schweizerische Flüchtlingshilfe, Türkei, Aktuelle Situation, Update, 19. Mai 2017, S. 13; Türkei, Gefährdungsprofile, Update, 19. Mai 2017, S. 12 – 13).
- 35
Die Einschätzung, dass eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung bei Personen bestehen kann, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie als potenzielle Unterstützer der PKK angesehen werden, deckt sich mit der jüngeren Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 31. Mai 2016 – 11 LB 53/15 –, juris Rn. 37; OVG Bautzen, Urteil vom 7. April 2016 – 3 A 557/13.A –, juris Rn. 34; VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2013 – A 12 S 2023/11 –, juris Rn. 31; OVG Münster, Urteil vom 2. Juli 2013 – 8 A 2632/06.A –, juris Rn. 104).
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Der Umstand, dass seit der Ausreise des Klägers aus der Türkei ein verhältnismäßig langer Zeitraum vergangen ist (etwa 23 Jahre), lässt die beachtliche Verfolgungsgefahr nicht entfallen. In den vorliegenden Auskünften heißt es teilweise, die Länge eines Auslandsaufenthaltes sei aus der Sicht der türkischen Behörden nicht entscheidend (Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Schnellrecherche der Länderanalyse vom 17. Februar 2017 zur Türkei, S. 3; ähnlich Taylan, Auskunft vom 13. Januar 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 21 f.). Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass diesbezügliche Erfahrungen fehlen (Amnesty International, Auskunft vom 9. März 2017 an das VG Karlsruhe – A 10 K 3981/16 –, S. 1).Der bloße Zeitablauf lässt es demnach einerseits nicht ausgeschlossen erscheinen, dass die Gefahr politischer Verfolgung geringer geworden ist. Andererseits reicht dies mangels konkreter und belastbarer Indizien nicht aus, um bei der erforderlichen qualifizierenden Betrachtung eine beachtliche Verfolgungswahrscheinlichkeit zu verneinen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der Kläger noch in der Zeit, als er bereits aus der Strafhaft entlassen war, in asylerheblicher Weise bedrängt und bedroht worden ist.
- 37
Für eine Umdeutung des Widerrufs- in einen Rücknahmebescheid fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten. Solche werden von der Beklagten auch nicht geltend gemacht.
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2. Soweit die Feststellung widerrufen wird, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt, und soweit festgestellt wird, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG nicht vorliegt, ist der angefochtene Bescheid ebenfalls rechtswidrig. Der Tatbestand des § 73c Abs. 2 AsylG ist nicht erfüllt. Danach ist die Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 AufenthG zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die Norm ist auf die nach altem Recht getroffene Feststellung, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG vorliegt, entsprechend anzuwenden.
- 39
Gemäß § 60 Absatz 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.Bei der Abschiebung in einen anderen Vertragsstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention – wie hier in die Türkei – besteht eine Mitverantwortung des abschiebenden Staates, die Konventionsrechte im Zielstaat der Abschiebung zu gewährleisten, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz – auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 2004 – 1 C 14/04 –, juris Rn. 18).
- 40
Wegen der für den Kläger bestehenden Gefahr, nach seiner Abschiebung in der Türkei festgenommen und in der Haft misshandelt zu werden, wird auf die Ausführungen zu 1. verwiesen. Effektiver Rechtsschutz ist auf Grund des in der Türkei bestehenden Ausnahmezustandes nicht gewährleistet. Im Zuge der strafrechtlichen Aufarbeitung des Putschversuches vom 15. Juli 2016 wurde am 27. Juli 2016 das Dekret 668 erlassen. Dieses sieht weitreichende Abweichungen von den regulären Verfahrensgarantien für Verfahren gegen Personen vor, gegen die im Zuge der Verfahren auf Grund der Notstandsdekrete ermittelt wird. So wurde für diese Personengruppe u.a. die maximale Dauer des Polizeigewahrsams auf 30 Tage erhöht. Außerdem wurde für die Strafverfolgungsbehörden die Möglichkeit geschaffen, das Recht von inhaftierten Beschuldigten, ihren Verteidiger zu treffen, für fünf Tage einzuschränken bzw. für diese Zeit auch jeden Kontakt zu verbieten. Teile dieser Bestimmungen wurden zwar durch eine Änderung der Notstandsdekrete vom 23. Januar 2017 wieder rückgängig gemacht. Zusammenfassend muss jedoch festgehalten werden, dass bei Verfahren mit politischen Tatvorwürfen bzw. Terrorismusbezug unabhängige Verfahren kaum bzw. zumindest nicht durchgängig gewährleistet sind (Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, Stand: Januar 2017, S. 16).
- 41
3. Der angefochtene Bescheid ist schließlich auch insoweit aufzuheben, als festgestellt wird, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 3, 4 und 7 AufenthG (in der Fassung bei Erlass des Widerrufsbescheides) nicht vorliegen. Gemäß § 73 Abs. 3, § 73c Abs. 3 AsylG handelt es sich bei der Feststellung von Abschiebungsverboten um eine Annexentscheidung. Diese teilt das rechtliche Schicksal des Widerrufs.
- 42
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
- 43
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.
Tatbestand
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Der am 1. September 1977 in der Türkei geborene Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling.
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Der Kläger reiste 1987 als türkischer Staatsangehöriger nach Deutschland ein und lebt seitdem hier. Im Mai 2002 beantragte er, nachdem gegen ihn eine Ausweisungsverfügung ergangen war, beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) - Bundesamt - Asyl. Er müsse in der Türkei wegen seiner exilpolitischen Aktivitäten für die PKK in den Jahren 1991 bis 1995 mit seiner sofortigen Inhaftierung und Verurteilung rechnen.
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Das Bundesamt lehnte im Oktober 2002 den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Auf die dagegen erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. November 2003 den ablehnenden Bescheid auf und verpflichtete die Beklagte, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung damit, dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei und ihm aufgrund seiner in Deutschland entwickelten politischen Aktivitäten in den Jahren 1991 bis 1995 zugunsten der PKK bei einer Rückkehr in die Türkei asylerhebliche Verfolgung drohe. Unter Bezugnahme auf die vom Gericht ausgesprochene Verpflichtung erkannte das Bundesamt mit Bescheid vom 17. März 2004 den Kläger als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG bezüglich der Türkei vorliegen.
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Im Rahmen eines vom Kläger durchgeführten Eheschließungsverfahrens wurde dem Landratsamt M. im November 2006 bekannt, dass der Kläger mit Beschluss des türkischen Ministerrats vom 7. Mai 2001 gemäß Art. 25c des türkischen Staatsangehörigkeitsgesetzes wegen Wehrdienstentziehung aus der türkischen Staatsangehörigkeit ausgebürgert worden war.
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Mit Bescheid vom 13. Mai 2008 widerrief das Bundesamt die im März 2004 ausgesprochene Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und die dort getroffene Feststellung zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (Nr. 1 und 2). Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 3). Eine Entscheidung zum Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG wurde im Hinblick darauf, dass seitens der Ausländerbehörde keine aufenthaltsbeendenden Maßnahmen beabsichtigt seien, nicht getroffen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Widerruf sei gerechtfertigt, weil sich die für die Anerkennung maßgeblichen Verhältnisse in der Türkei inzwischen wesentlich verändert hätten. Die Menschenrechtslage habe sich verbessert. Dem Auswärtigen Amt sei seit vier Jahren kein einziger Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt wurde. Der Kläger gehöre nicht zu einem gefährdeten Personenkreis. Er sei zwar im Zusammenhang mit PKK-Aktivitäten straffällig geworden, seit 1995 jedoch nicht mehr politisch aktiv. Gegen ihn sei in der Türkei kein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig.
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Das Verwaltungsgericht hat den Widerrufsbescheid aufgehoben. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass bei Rückkehr des Klägers in seine Heimat eine asylerhebliche Verfolgung weiterhin nicht ausgeschlossen werden könne. Zwar habe sich die Menschenrechtslage in der Türkei erheblich verbessert. Gleichwohl sei derzeit noch nicht davon auszugehen, dass der Reformprozess bereits weit genug fortgeschritten sei, um eine menschenrechtswidrige Behandlung des Klägers durch türkische Sicherheitsorgane mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 18. Oktober 2010 die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Eine für eine Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erforderliche erhebliche Änderung der für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse liege nicht vor. Dies sei aber Voraussetzung, um die Rechtskraftwirkung des zur Anerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils zu überwinden. Maßgebliche Voraussetzung für die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter und Flüchtling sei die Annahme des Verwaltungsgerichts gewesen, dass es sich beim Kläger um einen türkischen Staatsangehörigen handele. Dies sei aber nicht der Fall gewesen, weil der Kläger bereits durch Beschluss des türkischen Ministerrats vom 7. Mai 2001 ausgebürgert worden sei. Ein Staatenloser, für den die Bundesrepublik Deutschland - wie für den Kläger - das Land seines gewöhnlichen Aufenthalts sei, könne aber grundsätzlich nicht als Asylberechtigter anerkannt werden. Am Fehlen der türkischen Staatsangehörigkeit habe sich seit Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Urteils nichts geändert, da der Kläger nach wie vor staatenlos sei. Deshalb komme es für die Entscheidung nicht auf die Frage an, ob die Gefahr asylerheblicher Verfolgung für den Kläger als ehemaligen PKK-Aktivisten im Fall seiner Rückkehr in die Türkei nunmehr entfallen sei.
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Die Beklagte begründet die gegen das Urteil eingelegte Revision im Wesentlichen damit, dass eine vor Anerkennung erfolgte Ausbürgerung eine nachträgliche Veränderung der verfolgungsrelevanten Tatsachen nicht ausschließe. Die Rechtskraft des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils stehe der Berücksichtigung der geänderten Tatsachen zum Verfolgungsrisiko für den Kläger im Rahmen der Widerrufsentscheidung nicht entgegen.
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Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht schließt sich der Auffassung der Beklagten an, dass das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Bundesrecht verletze. Nach seiner Auffassung erstreckt sich die Rechtskraft des verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsurteils auch auf die im Rahmen seiner Begründung getroffene Feststellung, dass der Kläger türkischer Staatsangehöriger sei. Von der türkischen Staatsangehörigkeit des Klägers sei daher auch bei der Widerrufsentscheidung auszugehen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet. Die Berufungsentscheidung beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Widerrufe der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung keine formellen Mängel aufweisen (1.). Es hat aber die materielle Rechtmäßigkeit der Widerrufsentscheidungen mit einer Begründung verneint, die mit Bundesrecht nicht vereinbar ist. Es hat zu Unrecht angenommen, dass die Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils einer Widerrufsentscheidung entgegensteht (2.). Mangels ausreichender Feststellungen des Berufungsgerichts konnte der Senat nicht selbst abschließend entscheiden, ob die angefochtenen Widerrufsentscheidungen die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG erfüllen (3.). Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der angefochtenen Widerrufe ist § 73 AsylVfG in der seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - am 28. August 2007 geltenden Fassung (Bekanntmachung der Neufassung des Asylverfahrensgesetzes vom 2. September 2008, BGBl I S. 1798).
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1. Das Berufungsgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Widerrufe der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung im Bescheid vom 13. Mai 2008 in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden sind. Sie entsprechen insoweit den maßgeblichen Anforderungen des § 73 AsylVfG. Insbesondere begegnen die angefochtenen Entscheidungen weder im Hinblick auf die Unverzüglichkeit der Widerrufe im Sinne von § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG noch im Hinblick auf die Prüfungsfrist des § 73 Abs. 7 AsylVfG Bedenken. Der angefochtene Bescheid ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil das Bundesamt kein Ermessen ausgeübt hat (Urteil vom 24. Februar 2011 - BVerwG 10 C 3.10 - NVwZ 2011, 944
Rn. 11).
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2. Die Berufungsentscheidung ist aber hinsichtlich der materiellen Widerrufsvoraussetzungen nicht mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG zu vereinbaren. Nach Satz 1 der Vorschrift sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Dies ist nach Satz 2 insbesondere dann der Fall, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, oder wenn er als Staatenloser in der Lage ist, in das Land zurückzukehren, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.
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Mit § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG über das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft nach Wegfall der die Anerkennung begründenden Umstände umgesetzt. Die Voraussetzungen für den Widerruf nach dieser Vorschrift sind deshalb im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 der Genfer Flüchtlingskonvention - GFK - orientieren. Dies gilt auch für Fälle, in denen die zugrunde liegenden Schutzanträge - wie hier - vor dem Inkrafttreten der Richtlinie gestellt worden sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 2011 a.a.O. Rn. 9). Diese Auslegung ist - soweit sich aus Art. 16a GG nichts Abweichendes ergibt - auch auf den Widerruf der Anerkennung als Asylberechtigter anzuwenden.
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Die Rechtskraft des zur Anerkennung des Klägers verpflichtenden verwaltungsgerichtlichen Urteils von 2003 steht einer Widerrufsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG nicht entgegen, wenn sich die zur Zeit des Urteils maßgebliche Sach- oder Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat (sog. zeitliche Grenze der Rechtskraft, stRspr, etwa Urteil vom 18. September 2001 - BVerwG 1 C 7.01 - BVerwGE 115, 118 <121> m.w.N.). Nach § 121 Nr. 1 VwGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Soweit der personelle und sachliche Umfang der Rechtskraft reicht, ist die im Vorprozess unterlegene Behörde bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht befugt, einen neuen Verwaltungsakt aus den vom Gericht missbilligten Gründen zu erlassen (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 10 C 25.10 - InfAuslR 2011, 408
Rn. 12 m.w.N.). Die Behörde ist aber bei einer entscheidungserheblichen Änderung des für die Anerkennung maßgeblichen Sachverhalts nicht gehindert, einen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft zu widerrufen, den sie in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus einem rechtskräftigen Verpflichtungsurteil erlassen hat. Das ist im Asylrecht dann der Fall, wenn nach dem für das rechtskräftige Urteil maßgeblichen Zeitpunkt neue für die Streitentscheidung erhebliche Tatsachen eingetreten sind, die sich so wesentlich von den früher maßgeblichen Umständen unterscheiden, dass auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Rechtskraft eines Urteils eine erneute Sachentscheidung durch die Verwaltung oder ein Gericht gerechtfertigt ist (Urteil vom 18. September 2001 a.a.O.).
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Die Rechtskraftwirkung besteht grundsätzlich unabhängig davon, ob das rechtskräftig gewordene Urteil die seinerzeit bestehende Sach- und Rechtslage erschöpfend und zutreffend gewürdigt hat (Urteil vom 18. September 2001 a.a.O. S. 122 f.). Allerdings entfalten fehlerhafte Urteile keine weitergehende Rechtskraftwirkung als fehlerfreie Urteile. Eine Lösung von der Rechtskraftwirkung eines Urteils, das das Bundesamt zur Anerkennung als Asylberechtigter und Flüchtling verpflichtet hat, ist vielmehr immer dann möglich, wenn sich die zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgebliche Sach- und Rechtslage nachträglich entscheidungserheblich verändert hat, unabhängig davon ob das zur Anerkennung verpflichtende Urteil richtig oder fehlerhaft war.
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Die Voraussetzungen für eine Beendigung der Rechtskraftwirkung entsprechen damit weitgehend denen, die für den Widerruf einer Anerkennungsentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG gelten. Denn auch § 73 Abs. 1 AsylVfG setzt eine wesentliche Änderung der für die Entscheidung maßgeblichen Verhältnisse voraus. Für den Widerruf einer Behördenentscheidung nach § 73 Abs. 1 AsylVfG hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass es unerheblich ist, ob die Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig erfolgt ist (vgl. Urteil vom 19. September 2000 - BVerwG 9 C 12.00 - BVerwGE 112, 80 <85 f.>). Der Anwendung des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf rechtswidrige Verwaltungsakte steht danach auch nicht entgegen, dass die Voraussetzungen einer zu Unrecht erfolgten Asylanerkennung oder Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Nachhinein scheinbar nicht entfallen sein können, da sie begriffsnotwendig von Anfang an nicht vorlagen. Diese Sicht verstellt den Blick für den eigenständigen, nicht an die Rechtswidrigkeit des Ausgangsbescheids, sondern an die nachträgliche Veränderung der politischen Verhältnisse im Verfolgerland anknüpfenden Regelungszweck der Widerrufsbestimmung. Sie eröffnet die Möglichkeit eines Widerrufs bereits dann, wenn jedenfalls unzweifelhaft eine nachträgliche Änderung der Verhältnisse feststeht, ohne dass es noch der unter Umständen schwierigeren Prüfung und Entscheidung bedürfte, ob die ursprüngliche Anerkennung rechtmäßig oder rechtswidrig war (vgl. Urteil vom 19. September 2000 a.a.O. S. 86). Dies gilt erst recht für den Widerruf der auf einem Verpflichtungsurteil beruhenden Anerkennung, von deren Rechtmäßigkeit wegen der Rechtskraft des Urteils auch im Rahmen der Widerrufsprüfung auszugehen ist.
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Mit Bundesrecht nicht vereinbar ist daher die Auffassung des Berufungsgerichts, dass eine wesentliche Änderung der für die Anerkennung maßgeblichen Tatsachen hier nicht vorliegt, weil das zur Anerkennung verpflichtende Urteil von der unzutreffenden Annahme ausging, der Kläger sei türkischer Staatsangehöriger, obwohl er tatsächlich Staatenloser war und geblieben ist. Maßgeblich für die Beurteilung, ob eine entscheidungserhebliche Änderung vorliegt, ist der Vergleich der dem Verpflichtungsurteil vom 6. November 2003 zugrunde gelegten Tatsachenlage mit derjenigen zum Zeitpunkt der letzten tatrichterlichen Entscheidung über den Widerruf. Für diesen Vergleich ist der Kläger fiktiv als türkischer Staatsangehöriger zu behandeln, auch wenn er tatsächlich staatenlos war, weil das Gericht dies seiner Verpflichtungsentscheidung zugrunde gelegt hat. Unerheblich ist insoweit, dass die Feststellung zur Staatsangehörigkeit des Klägers nicht von der Rechtskraftwirkung des Urteils umfasst wird, da es sich nur um ein Begründungselement handelt, das - anders als die Verpflichtung zum Erlass des abgelehnten Verwaltungsakts und die Feststellung zur Rechtsverletzung des Klägers durch die damalige ablehnende Behördenentscheidung - nicht in Rechtskraft erwächst (vgl. Beschluss vom 10. Juli 2003 - BVerwG 1 B 338.02 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 87). Das Bundesamt war deshalb durch die Rechtskraftwirkung des Verpflichtungsurteils vom 6. November 2003 nicht an einem Widerruf der Anerkennungen gehindert, wenn sich die Verhältnisse in der Türkei derart grundlegend und dauerhaft geändert haben, dass dem Kläger dort - unter Zugrundelegung seiner fiktiven türkischen Staatsangehörigkeit - die vom Gericht seinerzeit festgestellte asyl- und flüchtlingsrechtlich erhebliche Verfolgung nicht mehr droht (vgl. hierzu Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 19 bis 24).
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Für die Rechtmäßigkeit des Widerrufs der Anerkennungsentscheidungen nach § 73 Abs. 1 AsylVfG ist weiter Voraussetzung, dass dem Kläger jetzt nicht aus anderen, vom Verpflichtungsurteil nicht erfassten Gründen Verfolgung droht. Bei der Prüfung derartiger neuer Verfolgungsgründe ist nicht von den dem Verpflichtungsurteil zugrunde liegenden Tatsachen auszugehen, sondern von der nunmehr festgestellten Sachlage - und damit von der Staatenlosigkeit des Klägers.
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3. Da das Berufungsgericht die streitgegenständlichen Widerrufsentscheidungen allein deshalb als rechtswidrig angesehen hat, weil es den Umfang der Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils verkannt hat, hat es nicht nach den oben dargestellten Maßstäben geprüft, ob sich die verfolgungsrelevanten Tatsachen mittlerweile entscheidungserheblich verändert haben. Der Senat kann mangels ausreichender Feststellungen hierzu nicht selbst abschließend entscheiden, ob sich das Bundesamt von der Rechtskraftwirkung des zur Anerkennung verpflichtenden Urteils lösen durfte und bei dem Kläger die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 AsylVfG für den Widerruf der Asyl- und Flüchtlingsanerkennung vorliegen. Das Verfahren war daher zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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Im weiteren Verfahren wird das Berufungsgericht Folgendes zu berücksichtigen haben:
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Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab für den Widerruf der Asyl- wie der Flüchtlingsanerkennung entspricht spiegelbildlich dem bei der Anerkennung zugrunde zu legenden Maßstab. Das Bundesverwaltungsgericht hat schon in seiner bisherigen Rechtsprechung keinen sachlichen Grund dafür gesehen, unterschiedliche Anforderungen an die Anerkennungsvoraussetzungen einerseits und an die Widerrufsvoraussetzungen andererseits zu stellen (vgl. Urteil vom 24. November 1992 - BVerwG 9 C 3.92 - Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG 1992 Nr. 1). Auch der Gerichtshof der Europäischen Union geht für das Flüchtlingsrecht grundsätzlich von einer Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und den Widerruf und damit von einem Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft aus, wenn begründete Befürchtungen dafür fehlen, Verfolgungshandlungen ausgesetzt zu sein (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08, C-176/08, C-178/08 und C-179/08, Abdulla u.a. - Slg. 2010, I-1493 Rn. 65 und 73).
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Das bedeutet für das nationale Asylrecht: Ist der Ausländer als Asylberechtigter anerkannt worden, weil er vor seiner Ausreise Verfolgung erlitten hat oder als ihm bevorstehend befürchten musste, so sind die Anerkennungsvoraussetzungen nur dann als weggefallen anzusehen, wenn der Betroffene aufgrund der Veränderung der Umstände vor künftiger Verfolgung hinreichend sicher ist (vgl. Urteil vom 24. November 1992 a.a.O.). Beruht die Anerkennung hingegen - wie hier - allein auf Nachfluchtgründen, sind ihre Voraussetzungen dann entfallen, wenn die der Anerkennung zugrunde liegende Verfolgung nach dem allgemeinen Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit nicht mehr droht. Allein die Tatsache, dass der nicht vorverfolgte Ausländer wegen Nachfluchtgründen als Asylberechtigter anerkannt worden ist, rechtfertigt nicht die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabs. Vielmehr spricht der Grundsatz der Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Widerrufsentscheidung dafür, den herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab beim Widerruf nur dann anzuwenden, wenn er auch für die Anerkennung maßgeblich war. Humanitäre Gründe stehen dem nicht entgegen, weil der Betroffene bei reinen Nachfluchtgründen im Herkunftsland selbst keine Verfolgung erlitten hat oder unmittelbar von ihr bedroht war. Das Berufungsgericht wird demnach zu prüfen haben, ob mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Klägers als Asylberechtigter zum Zeitpunkt der neuerlichen gerichtlichen Entscheidung aufgrund veränderter Verhältnisse in der Türkei nicht mehr vorliegen und dem Kläger dort auch nicht aus anderen Gründen Verfolgung droht.
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Für den Widerruf der Flüchtlingsanerkennung gilt seit Umsetzung der Richtlinie 2004/83/EG durch das Richtlinienumsetzungsgesetz vom 19. August 2007 unabhängig von der Frage, ob der Ausländer vorverfolgt war oder nicht, der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. Urteil vom 1. Juni 2011 a.a.O. Rn. 22 f.). Die Privilegierung eines vorverfolgten Flüchtlings erfolgt durch die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie, auf die § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG verweist. Die Beweiserleichterung greift allerdings nicht bei reinen Nachfluchtgründen, wie sie hier vorliegen, da der Ausländer in diesen Fällen - wie bereits dargelegt - nicht bereits verfolgt worden ist oder von Verfolgung unmittelbar bedroht war, was die Vorschrift voraussetzt.
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Sollte das Berufungsgericht zu dem Schluss kommen, dass die Voraussetzungen für einen Widerruf nach § 73 Abs. 1 AsylVfG im Fall des Klägers nicht vorliegen, müsste der angefochtene Bescheid aufgehoben werden. Eine Umdeutung des Widerrufs in eine Rücknahme der Anerkennungen kommt, wie das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend festgestellt hat, nicht in Betracht. Dies folgt bereits aus der Rechtskraft des zur Asyl- und Flüchtlingsanerkennung verpflichtenden Urteils vom 6. November 2003, die es verbietet, die Rechtmäßigkeit der Anerkennungen im Nachhinein anders zu beurteilen. Die Frage, ob der Kläger im Hinblick auf seine vor der Anerkennung liegenden Aktivitäten zugunsten der PKK in Deutschland möglicherweise einen Ausschlussgrund nach § 60 Abs. 8 AufenthG, § 3 Abs. 4 oder Abs. 2 AsylVfG verwirklicht haben könnte - was im Übrigen der Sache nach eher fern liegen dürfte -, würde sich schon aus diesem Grund nicht stellen.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 16.02.2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Tatbestand
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Entscheidungsgründe
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Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,
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die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und - 2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 31. Januar 2011, soweit es Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, geändert.
Nr. 1 bis Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Januar 2009 werden aufgehoben.
Unter Einbeziehung der teilweise rechtskräftigen Kostenentscheidung des Verwaltungsgerichts trägt die Beklagte die Kosten des Verfahrens beider Instanzen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der am geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit.
3Im Jahr 1993 reiste er erstmals nach Deutschland ein. Zur Begründung seines Asylantrags trug er bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, nachfolgend: Bundesamt) am 7. Mai 1993 vor: Er habe von 1983 bis 1985 Militärdienst geleistet. Danach, etwa ab 1986, sei er als „Miliz“ für die PKK tätig gewesen, d.h. er habe als einfacher Sympathisant, ohne selbst Kämpfer gewesen zu sein, die PKK durch Überbringung von Informationen sowie durch Beschaffung von Lebensmitteln, Medikamenten und Kleidung unterstützt. Auch die Mobilisierung der Dorf-Bevölkerung zur Teilnahme an Newroz-Festen, an Protestaktionen sowie Beerdigungsmärschen und die Verteilung von Flugblättern habe zu den Aufgaben der sog. Miliz gehört. Eine Waffe habe er nur vorübergehend zum eigenen Schutz getragen; zu bewaffneten Übergriffen sei es in seinem Heimatort Dargecit aber nicht gekommen. Im Jahr 1988 seien in seinem Dorf 6 Lehrer, die der Konterguerilla zugerechnet worden seien, von der PKK erschossen worden seien. In diesem Zusammenhang sei er selbst bei der Kontrolle eines Kleinbusses festgenommen, einen Monat lang festgehalten und während der Verhöre auch gefoltert worden. Da gegen ihn aber keine Anzeige und auch kein konkreter Verdacht vorgelegen habe, habe er nach seiner Freilassung weiter als Miliz arbeiten können. Im Februar 1993 seien bei einer bewaffneten Auseinandersetzung, an der er nicht beteiligt gewesen sei, zwei Guerilla-Kämpfer und ein Miliz-Angehöriger festgenommen worden. Er gehe davon aus, dass der Miliz-Angehörige seinen Namen verraten habe. Das Militär habe eine große Razzia in seinem Heimatdorf durchgeführt, bei der zahlreiche Dorfbewohner festgenommen worden seien und das Haus des ehemaligen Milizangehörigen niedergewalzt worden sei. Auch nach ihm sei gesucht worden. Deshalb habe er sich nicht mehr in sein Heimatdorf zurückgetraut.
4Das Bundesamt erkannte den Kläger durch Bescheid vom 27. Mai 1993 als Asylberechtigten an und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zur Begründung wurde ausgeführt, es sei glaubhaft, dass der Kläger mit friedlichen Mitteln für die kurdische Partei tätig gewesen sei und politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen mit nicht unerheblichen Beeinträchtigungen der persönlichen Freiheit und der körperlichen Unversehrtheit habe hinnehmen müssen.
5Im Jahr 1994 verließ der Kläger das Bundesgebiet, nachdem er sich eigenen Angaben zufolge auch in den Niederlanden aufgehalten hatte. Am 3. Dezember 1996 wurde er im Melderegister als unbekannt verzogen von Amts wegen abgemeldet; im Ausländerzentralregister wurde am 3. Juni 1997 vermerkt, dass die Anerkennung als Asylberechtigter erloschen sei. Näheres darüber ist nicht bekannt, da die seinerzeit geführte Ausländerakte nicht mehr existiert.
6Am 23. Juni 2006 reiste der Kläger in Begleitung seiner Ehefrau, mit der er seit dem 17. Februar 1988 verheiratet ist, mit gefälschten Pässen auf dem Luftweg von Teheran kommend erneut in das Bundesgebiet ein. Bei seiner Befragung gab er an: Er sei ab Ende 1994 als Widerstandskämpfer in den Bergen gewesen. Zuletzt habe er sich einige Monate zur Behandlung seiner Augenschmerzen in Maxmur/Mahmur (Irak) in einer Kaserne der PKK aufgehalten, dann sei er über Süleymaniya nach Teheran gelangt und wenige Tage später nach Düsseldorf geflogen. Nach langjähriger Mitgliedschaft in der PKK habe sich jetzt von der Organisation gelöst.
7Das Bundesamt wertete die Angaben des Klägers zunächst als erneuten Asylantrag. Bei seiner diesbezüglichen Anhörung am 27. Juni 2006 trug der Kläger u.a. vor: Während seines früheren Aufenthalts in Deutschland habe er Leute von der PKK kennengelernt, die ihn angeworben hätten. Es sei nicht seine Absicht gewesen, zur PKK zu gehen, aber die Massaker, die die türkische Armee begangen habe, hätten ihn dazu gezwungen. So sei er im Jahr 1994 nach Syrien gegangen, wo er eine politische Ausbildung habe erhalten sollen. Tatsächlich sei er dann für die Guerilla, und zwar auch an Waffen, ausgebildet worden. Er habe einmal mit einem Raketenwerfer auf einen Panzer geschossen; dieser sei aber nur beschädigt worden. Wegen einer Augenverletzung, die er Ende 1996 oder Anfang 1997 bei einem Angriff von Fliegern durch eine Explosion in den Bergen erlitten habe, sei er verschiedentlich, u.a. in Bagdad, und zuletzt im Lager Maxmur behandelt worden. Er habe das Sehvermögen auf dem Auge verloren. Seine Frau, die zuvor in der Türkei gelebt habe und die er während der gesamten Zeit nicht gesehen habe, sei etwa 5 Monate vor der Ausreise zu ihm in das Lager gekommen; sie hätten dort aber nicht zusammen leben dürfen. Er habe sich von der Organisation inzwischen gelöst. Das Leben in den Bergen sei nicht einfach gewesen. Man habe hinnehmen müssen, dass man getötet werde oder selber töte. In der Bergregion Yüksehova/Hakkari habe er gesehen, wie bei einem türkischen Luftangriff vier Dörfer dem Erdboden gleichgemacht worden seien; in den Medien habe es geheißen, die PKK selbst sei das gewesen. Gestört hätten ihn aber auch das Verhalten der kurdischen Dorfschützer und die Konflikte mit Kurden aus dem Irak. Man überlege ständig, ob man etwas falsch gemacht habe. Er fürchte, im Falle einer Rückkehr in die Türkei inhaftiert oder Opfer eines aufgeklärten Todesfalls zu werden. Er habe in Maxmur erfahren, dass Druck auf seine Familie ausgeübt worden sei, damit er sich stelle.
8Im Rahmen eines wegen der Erteilung eines Reiseausweises für Flüchtlinge geführten Rechtsstreits vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg (8 K 1746/07) wurde der frühere Status des Klägers im Ausländerzentralregister wieder hergestellt; die Ausländerbehörde erteilte ihm einen internationalen Reiseausweis und eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Das Bundesamt teilte dem Kläger sodann mit Schreiben vom 28. Juli 2008 mit, dass der Asylantrag nach Klärung des asyl- bzw. ausländerrechtlichen Status nicht weiter bearbeitet werde.
9Nach Einleitung eines Widerrufsverfahrens hörte das Bundesamt den Kläger mit Schreiben vom 12. August 2008 zu dem beabsichtigten Widerruf an. Hierzu nahm er durch seine Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 15. September 2008 Stellung: Eine nachträgliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse liege nicht vor; eine politische Verfolgung von Personen, die unter Separatismusverdacht stünden, finde in der Türkei weiterhin statt. Der Widerruf könne auch nicht auf § 3 Abs. 2 AsylVfG gestützt werden; die bloße Mitgliedschaft in der PKK reiche dafür nicht aus.
10Durch Bescheid vom 19. Januar 2009 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 27. Mai 1993 erfolgte Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Zugleich stellte es fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG offensichtlich nicht vorliegen. Zur Begründung führte das Bundesamt u.a. aus: Der Anspruch auf Verfolgungsschutz sei infolge einer nachträglichen Änderung der Rechtslage entfallen. Der Widerruf werde auf § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG (i.d.F. vom 28. August 2007), der inhaltlich den Vorgängerregelungen in § 51 Abs. 3 AuslG 2002 und § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG 2004 entspreche, gestützt. Aufgrund der langjährigen Zugehörigkeit des Klägers zur PKK-Guerilla, seiner Aktivitäten als Kämpfer der PKK in der Konfliktregion und der damit geleisteten dauerhaften und qualifizierten Unterstützung der PKK lägen schwerwiegende Gründe für die Annahme vor, dass er vor seiner Aufnahme als Flüchtling eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen habe.
11Der Kläger hat am 31. Januar 2009 Klage erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen: Seine in der Vergangenheit abgeschlossene Tätigkeit im nationalen Befreiungskampf stelle keine schwere nichtpolitische Straftat im Sinne der Ausschlussvorschrift dar. Die bloße Mitgliedschaft in der PKK reiche dazu nicht aus. Einen konkreten Vorwurf einer schweren nichtpolitischen Straftat habe die Beklagte nicht beweisen können. Im Übrigen habe er - der Kläger - von dem früheren Bürgermeister seines Heimatdorfes, der im Jahr 2005 festgenommen und verhört worden sei, erfahren, dass er weiterhin in der Türkei als Angehöriger der Guerilla gesucht werde.
12Der Kläger hat beantragt,
13den Bescheid des Bundesamtes vom 19. Januar 2009 aufzuheben,
14hilfsweise,
15die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 4 des Bescheides des Bundesamtes vom 19. Januar 2009 zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in seiner Person vorliegen.
16Die Beklagte hat beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie hat ergänzend vorgetragen: Der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG liege vor. Die PKK führe Angriffe gegen zivile Ziele und die Zivilbevölkerung durch, etwa Bombenattentate in Städten und Touristenzentren. Der Nachweis einer bestimmten Einzeltat des Klägers sei nicht im Sinne eines Vollbeweises erforderlich. Die Annahme einer nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs erforderlichen individuellen Verantwortung sei hier gerechtfertigt, weil aufgrund der von 1994 bis 2006 währenden langjährigen Zugehörigkeit des Klägers zur PKK anzunehmen sei, dass er Kenntnis von den terroristischen Gewalttaten gehabt und diese aktiv unterstützt habe.
19In der mündlichen Verhandlung am 31. Januar 2011 hat das Verwaltungsgericht den Kläger ergänzend angehört. Dabei hat er u.a. angegeben: Als Kurde habe er sich verantwortlich gefühlt, für sein Volk etwas zu unternehmen. Während seines früheren Aufenthalts in Deutschland habe er an einem Seminar über die Kultur des kurdischen Volkes teilgenommen. Danach habe er sich entschlossen zurückzukehren, um sich für sein Volk einzusetzen. Zunächst sei er für einige Monate zur Ausbildung nach Syrien gegangen; die Ausbildung habe neben politischer Ausbildung auch sportliche Aktivitäten umfasst, jedoch habe er bei der PKK (über die Waffenausbildung beim türkischen Wehrdienst hinaus) keine militärische Ausbildung erhalten. Im Jahr 1995 sei er von Syrien zur weiteren Ausbildung in den Irak nach Zagros geschickt worden, und – als er dort mit einer Gruppe auf dem Weg nach Qaqurqe (abweichende Schreibweise: Xakurke) gewesen sei – von Flugzeugen und Panzern angegriffen worden. Die Operation, bei der sie immer wieder in Panik geraten seien und fluchtartig den Aufenthaltsort gewechselt hätten, um sich in Sicherheit zu bringen, habe ca. drei Monate gedauert. Schließlich sei er in ein Camp in Avasin gelangt, wo er zum Wachdienst eingeteilt worden und bis zur Operation „Ungeheuer“ geblieben sei. Von seinem Wachposten auf einem Berg aus sei er Zeuge von bewaffneten Auseinandersetzungen im türkisch-irakischen Grenzgebiet geworden, insbesondere auch von Angriffen auf Dörfer. Das sei im Jahr 1996 auf irakischem Gebiet gewesen. Bei dieser Aktion („Ejder“) habe er auch selbst Waffen eingesetzt und auch einmal auf einen türkischen Panzer geschossen. Bei einem Angriff sei er selbst am Auge verletzt worden. Die Überlebenden habe man in das Lager Maxmur (Ninive/Irak) gebracht. Seine Verletzung habe nicht erfolgreich behandelt werden können; man habe ihm nur Schmerzmittel geben können. Bis 1999 sei er im dortigen Lager geblieben, wo er mit Einkäufen und Lagerung von Kleidung und Lebensmitteln befasst gewesen sei. Nach der Inhaftierung Öcalans habe die Organisation den Rückzug in verschiedene Lager im irakisch-iranisch-türkischen Grenzgebiet beschlossen. Er sei 2000/2001 nach Süleymaniya (Irak) geschickt worden und dort etwa 2 Jahre geblieben, bis er wieder nach Qaqurqe zurückgekehrt sei. Nach einem Zwischenaufenthalt in Kandil habe man ihn wegen einer erneuten Augenentzündung schließlich – für eine letztlich nicht erfolgreiche Behandlung seines Auges - in das Lager Maxmur (Irak) geschickt. Dort habe er einen Freund aus seiner Heimatregion getroffen und telefonischen Kontakt zu seiner Familie aufnehmen können. Seine Frau und sein älterer Bruder hätten ihn dann dort besucht. Schließlich habe man seine Ausreise organisiert.
20Durch das angefochtene Urteil vom 31. Januar 2011 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 4 des Bescheides vom 19. Januar 2009 verpflichtet, festzustellen, dass für den Kläger ein Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG besteht; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Der Widerruf der Asylanerkennung und der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 51 Abs. 1 AuslG sei rechtmäßig, weil der Kläger sich im Sinne von § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG an schweren nichtpolitischen Straftaten verantwortlich beteiligt habe. In Anlehnung an die Rechtsprechung des EuGH sei die Vermutung einer individuellen Verantwortung aufgrund der langjährigen – 12 Jahre dauernden – Zugehörigkeit des Klägers zur PKK als aktiver Kämpfer begründet, zumal er auch im Lager eine verantwortliche Position gehabt habe; zudem habe die Abkehr des Klägers von der Organisation in erster Linie private Gründe gehabt und beruhe nicht auf einer echten inneren Abkehr. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG lägen aber vor, da dem Kläger in der Türkei – trotz der offiziellen Null-Toleranz-Politik – Folter und unmenschliche Behandlung drohten.
21Soweit das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben hat, ist das Urteil rechtskräftig.
22Im Übrigen hat der vormals für Verfahren türkischer Asylbewerber zuständige 8. Senat die Berufung des Klägers durch Beschluss vom 6. März 2013 zugelassen.
23Zur Begründung seiner Berufung trägt der Kläger ergänzend vor: Das Verwaltungsgericht habe keine tatsächlichen Umstände festgestellt, die die Annahme rechtfertigen, dass er den Tatbestand einer schweren nichtpolitischen Straftat verwirklicht habe. Das sei auch nicht der Fall. Vor seiner Ausreise aus der Türkei im Jahr 1993 habe er den Kämpfern lediglich logistische Hilfe geleistet. In der Zeit seiner Zugehörigkeit zur PKK ab 1994 habe er nicht an terroristischen Akten mitgewirkt. In der Abgeschiedenheit der Bergregionen im Nordirak habe er Informationen nur über die offiziellen PKK-Kanäle erhalten und das Bild vermittelt bekommen, dass sich die PKK um eine friedliche Lösung bemühe, was seinen Ausdruck in Waffenstillstandsangeboten gefunden habe. Als terroristisch einzustufende Akte der PKK seien ihm bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2005 nicht bekannt geworden. Er sei in einer Zeit in den Nordirak gelangt, als das türkische Militär unter Verletzung der Souveränität des irakischen Staates dort einmarschiert sei und die Guerilla militärisch angegriffen habe. Seine eigene Beteiligung an Gewaltakten beschränke sich auf legitime Selbstverteidigung. Im Übrigen sei er lediglich in der Organisation der PCDK im Nordirak tätig und im Lager mit Versorgungsaufgaben betraut gewesen. Wegen seiner Augenentzündung und deren Behandlung sei er in der Folgezeit nicht mehr aktiv tätig gewesen. Im Fall einer Rückkehr in die Türkei drohe ihm auch derzeit noch Verfolgung. Auch wenn gegen ihn keine förmlichen Ermittlungsverfahren anhängig seien bzw. gewesen seien, gehe er doch davon aus, dass er – was Grundlage für die seinerzeitige Asylanerkennung gewesen sei – als verdächtiger PKK-Unterstützer sicherheitsbehördlich in der Türkei erfasst sei. Zudem spreche sich in den Dörfern herum, wenn ein Angehöriger der Dorfgemeinschaft bei der PKK-Guerilla sei.
24Der Kläger beantragt,
25das angefochtene Urteil, soweit es nicht bereits rechtskräftig ist, zu ändern und Nr. 1 bis 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 19. Januar 2009 aufzuheben.
26Die Beklagte beantragt,
27die Berufung zurückzuweisen.
28Sie trägt vor: Die PKK sei eine terroristische Organisation; sie habe sich über viele Jahre hinweg und auch während der Mitgliedschaft des Klägers terroristischer Mittel bedient. Während seiner jahrzehntelangen Zugehörigkeit zu dieser Organisation habe der Kläger wichtige Unterstützungshandlungen erbracht.
29In den mündlichen Verhandlungen am 10. Oktober 2013 und am 27. Mai 2016 ist der Kläger ergänzend befragt worden. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen.
30Ferner ist - ergänzend zu den bereits vorliegenden, in das Verfahren eingeführten Auskünften - Beweis dazu erhoben worden, welche nationalen und internationalen Gewaltakte der PKK gegenüber ihren eigenen Mitgliedern, der Zivilbevölkerung und Sicherheitskräften im Zeitraum zwischen 1990 und 2000 allgemein bekannt geworden sind, sowie dazu, welche Tätigkeiten der Kläger für die PKK ausgeübt und welche Funktion er innerhalb der PKK innegehabt hat. Auf die Stellungnahmen des Auswärtigen Amts vom 3. Juni 2014 und des Sachverständigen Irmak vom 26. Juni 2015 wird Bezug genommen.
31Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch die Berichterstatterin als Einzelrichterin einverstanden erklärt.
32Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte nebst Beiakten Bezug genommen.
33Entscheidungsgründe:
34Im Einverständnis der Beteiligten konnte die Berichterstatterin an Stelle des Senats als Einzelrichterin (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO) entscheiden.
35Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage – soweit der angefochtene Bescheid vom 19. Januar 2009 Gegenstand des Berufungsverfahrens ist – zu Unrecht abgewiesen. Der Widerruf der mit Bescheid vom 27. Mai 1993 gewährten Asylanerkennung sowie der Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG ist rechtswidrig. Demzufolge ist kein Raum für die hier unter Ziff. 3 des Bescheids erfolgte negative Feststellung zu § 60 Abs. 1 AufenthG.
36I. Im Berufungsverfahren ist nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen und damit die aktuelle Rechtslage zugrunde zu legen.
37St. Rspr., vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 14.
38Maßgeblich für die gerichtliche Beurteilung sind mithin insbesondere das Asylgesetz und das Aufenthaltsgesetz in der Fassung des sog. Asylpakets II (Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016, BGBl. I 2016, S. 390, und Gesetz zu erleichterten Ausweisung von straffälligen Ausländern und zum erweiterten Ausschluss der Flüchtlingsanerkennung bei straffälligen Asylbewerbern vom 11. März 2016, BGBl. I 2016, S. 394).
39II. Der Widerruf geht nicht deshalb ins Leere, weil die dem Kläger im Jahr 1993 gewährte Rechtsstellung ohnehin bereits vor der Widerrufsentscheidung aus anderen Gründen erloschen wäre. Zu Recht gehen die Beteiligten inzwischen übereinstimmend davon aus, dass die Voraussetzungen, unter denen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 72 AsylG erlöschen, nicht vorliegen.
40Der Kläger hat sich insbesondere nicht freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Der bei der erneuten Einreise im Jahr 2006 benutzte, auf Alias-Personalien ausgestellte Pass war verfälscht, also gerade nicht ihm vom türkischen Staat erteilt worden.
41Es spricht auch nichts dafür, dass er freiwillig in das Land, das er aus Furcht vor Verfolgung verlassen hat, zurückgekehrt ist (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1a AsylG). Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass er nach seinem früheren Aufenthalt im Bundesgebiet in den Jahren 1993 und 1994 nicht wieder in der Türkei gelebt hat, sondern sich zunächst in der Nähe von Damaskus in Syrien und sodann im Nordirak bzw. im Iran aufgehalten hat. Türkisches Staatsgebiet hat er dabei, wenn überhaupt, allenfalls gelegentlich betreten, keinesfalls aber kann angenommen werden, dass er sich dort niedergelassen hätte. Diese Würdigung beruht auf den – auch nach Einschätzung der Beklagten – glaubhaften Angaben des Klägers zu seinen Aufenthaltsorten in der Zeit von 1994 bis 2006. Diese Angaben, wonach er bis zu dem Wiedersehen mit seiner Ehefrau im Lager Maxmur im Jahr 2006 nicht in die Türkei, insbesondere nicht an seinen Heimatort zurückgekehrt sei, stehen im Einklang mit deren Vortrag. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers ist auch detailreich und gemessen an den objektiven Erkenntnissen über Lage und Funktion der im Einzelnen genannten Camps im irakisch-iranisch-türkischen Grenzgebiet, wie der Sachverständige Irmak ausgeführt hat, plausibel.
42Der langjährige Auslandsaufenthalt im Nordirak, in Syrien und im Iran erfüllt ebenfalls keinen Tatbestand des § 72 AsylG. Die Inanspruchnahme des Schutzes eines anderen Staates führt nach § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylG nur dann zum Erlöschen der Asylberechtigung und des Flüchtlingsstatus, wenn der Asylberechtigte auch die Staatsangehörigkeit dieses anderen Staates beantragt und erhalten hat. Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat auch nicht auf seine asylrechtliche Rechtsstellung im Sinne von § 72 Abs. 1 Nr. 4 AsylG verzichtet. Ein solcher Verzicht setzt mit Blick auf die weit reichenden Folgen, die im Übrigen auch einer Analogie zu einem der gesetzlichen Erlöschenstatbestände entgegen stehen, eine unmissverständliche Erklärung voraus, mit der der Asylberechtigte bzw. Flüchtling zum Ausdruck bringt, dass er den durch die Anerkennung erworbenen Status unbedingt und endgültig aufgeben will. Ein langjähriger Aufenthalt in einem anderen Staat, ohne dass die Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 Nr. 3 AsylG vorliegen, reicht dazu nicht aus.
43Vgl. Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, AsylG, § 72 Rn. 26; Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl., 2016, § 72 AsylVfG/AsylG Rn. 23; Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 72 Rn. 38 f.; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 1989 – 1 A 113.88 -, InfAuslR 1989, 166 (allerdings noch zu der früheren Rechtslage, bei der der Verzicht kein Erlöschens-, sondern Widerrufsgrund war; § 16 AsylVfG 1982); zur behördlichen Beratungspflicht bei Entgegennahme einer Verzichtserklärung vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 20. Juni 2006– 1 S 1136/05 - , NVwZ 2006, 1305.
44Bei dieser Rechtslage spricht nichts für die Annahme, dass ein Verzicht auch konkludent erfolgen kann.
45Dies wohl für möglich haltend: Nds. OVG, Urteil vom 9. Dezember 1996 – 12 L 2486/96 -, NVwZ-Beil. 6/1997, 45.
46Jedenfalls aber fehlt es hier an Anhaltspunkten für die Annahme, dass der Kläger bei seiner Ausreise aus Deutschland auf seinen Status verzichten wollte. Nach seinen Angaben bei der Anhörung am 27. Juni 2006 ist er in der Annahme nach Syrien ausgereist, dass er dort eine politische Ausbildung erhalten und dann nach Deutschland zurückkehren solle. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er diese Aussage dahin relativiert, dass eine Rückkehr nach Deutschland seinen Vorstellungen bzw. Wünschen entsprochen habe, dass er aber die weitere Entwicklung der Partei überlassen habe. Auch das reicht indessen für einen konkludenten Verzicht so nicht aus.
47III. Als Rechtsgrundlage für den Widerruf kommt hier nur § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Betracht. Danach sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Das ist hier aber nicht der Fall.
481. Bezüglich der einen Widerruf tragenden Gründe ist im vorliegenden Fall zwischen dem Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben (a) und einer Änderung der Rechtslage durch das nachträgliche Inkrafttreten der nunmehr in § 3 Abs. 2 AsylG geregelten Ausschlussgründe zu unterscheiden (b).
49a) Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 AsylG ist der Widerruf insbesondere dann auszusprechen, wenn der Ausländer nach Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung als Asylberechtigter oder zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft geführt haben, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt.
50aa) Mit § 73 AsylVfG (nunmehr gleichlautend § 73 AsylG) hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304 vom 30. September 2004, S. 12; berichtigt ABl. EU Nr. L 204 vom 5. August 2005, S. 24) bzw. Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes
Die Widerrufsvoraussetzungen in § 73 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylG sind unionsrechtskonform im Sinne der entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie auszulegen, die sich ihrerseits an Art. 1 C Nr. 5 und 6 des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. II S. 560; im Folgenden: Genfer Flüchtlingskonvention - GFK -) orientieren.
52Nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. e RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU ist ein Drittstaatsangehöriger nicht mehr Flüchtling, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Bei der Prüfung dieses Erlöschensgrundes haben die Mitgliedstaaten nach Art. 11 Abs. 2 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU zu untersuchen, ob die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Art. 14 Abs. 2 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU regelt die Beweislastverteilung dahingehend, dass der Mitgliedstaat - unbeschadet der Pflicht des Flüchtlings, gemäß Art. 4 Abs. 1 der jeweiligen Richtlinie alle maßgeblichen Tatsachen offenzulegen und alle maßgeblichen, ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen vorzulegen - in jedem Einzelfall nachweist, dass die betreffende Person nicht länger Flüchtling ist oder es nie gewesen ist.
53Vgl. BVerwG, Urteile vom 1. März 2012 - 10 C 7.11 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 43, juris Rn. 9 f., und vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 15 ff.
54Die unionsrechtlichen Vorgaben für ein Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u. a. - weiter konkretisiert. Danach muss die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend sein, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Eine erhebliche Veränderung der der Anerkennung zugrunde liegenden Umstände setzt voraus, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse im Herkunftsland deutlich und wesentlich geändert haben. Des Weiteren darf die Veränderung der der Flüchtlingsanerkennung zugrunde liegenden Umstände nicht nur vorübergehender Natur sein. Vielmehr muss festgestellt werden, dass die Faktoren, die die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung begründet und zur Flüchtlingsanerkennung geführt haben, als dauerhaft beseitigt angesehen werden können.
55Vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u. a. -, juris Rn. 72 ff.
56Die Neubeurteilung einer im Kern unveränderten Sachlage reicht nicht aus; denn reiner Zeitablauf bewirkt für sich genommen keine Sachlagenänderung. Allerdings sind wegen der Abhängigkeit einer asylrechtlichen Gefahrenprognose von Zeit und tatsächlichen Umständen Fallkonstellationen denkbar, in denen der Ablauf einer längeren Zeitspanne ohne besondere Ereignisse im Verfolgerstaat im Zusammenhang mit anderen Faktoren eine vergleichsweise höhere Bedeutung als in anderen Rechtsgebieten zukommt.
57Vgl. BVerwG, Urteile vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 20, und vom 19. September 2000 - 9 C 12.00 -, BVerwGE 112, 80, juris Rn. 12.
58bb) Für den nach Art. 14 Abs. 2 der jeweiligen Richtlinie dem Mitgliedstaat obliegenden Nachweis, dass eine Person nicht länger Flüchtling ist, reicht es nicht aus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt kurzzeitig keine begründete Furcht vor Verfolgung (mehr) besteht. Die erforderliche dauerhafte Veränderung verlangt dem Mitgliedstaat vielmehr den Nachweis der tatsächlichen Grundlagen für die Prognose ab, dass sich die Veränderung der Umstände als stabil erweist, d. h. dass der Wegfall der verfolgungsbegründenden Faktoren auf absehbare Zeit anhält. Denn der Widerruf der Flüchtlingseigenschaft ist nur gerechtfertigt, wenn dem Betroffenen im Herkunftsstaat nachhaltiger Schutz geboten wird, nicht (erneut) mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden. So wie die Wahrscheinlichkeitsbeurteilung im Rahmen der Verfolgungsprognose eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne der Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung aus der Sicht eines vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen nicht zuletzt unter Einbeziehung der Schwere des befürchteten Eingriffs verlangt und damit dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit Rechnung trägt, gilt dies auch für das Kriterium der Dauerhaftigkeit. Je größer das Risiko einer auch unterhalb der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit verbleibenden Verfolgung ist, desto nachhaltiger muss die Stabilität der Veränderung der Verhältnisse sein und prognostiziert werden können. Sind Veränderungen innerhalb eines fortbestehenden Regimes zu beurteilen, die zum Wegfall der Flüchtlingseigenschaft führen sollen, sind an deren Dauerhaftigkeit ebenfalls hohe Anforderungen zu stellen. Unionsrecht gebietet, dass die Beurteilung der Größe der Gefahr von Verfolgung mit Wachsamkeit und Vorsicht vorzunehmen ist, da Fragen der Integrität der menschlichen Person und der individuellen Freiheiten betroffen sind, die zu den Grundwerten der Europäischen Union gehören. Eine Garantie der Kontinuität veränderter politischer Verhältnisse auf unabsehbare Zeit kann indes nicht verlangt werden.
59Vgl. BVerwG, Urteil vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 24.
60Veränderungen im Heimatland sind nur dann hinreichend erheblich und dauerhaft, wenn sie dazu führen, dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann. Die Prüfung einer derartigen Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland ist mithin untrennbar mit einer individuellen Verfolgungsprognose verbunden. Diese hat nach Maßgabe der Richtlinien 2004/83/EG bzw. Richtlinie 2011/95/EU anhand des Maßstabs der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zu erfolgen. Wegen der Symmetrie der Maßstäbe für die Anerkennung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft seit Umsetzung der in Art. 11 und 14 Abs. 2 der jeweiligen Richtlinie enthaltenen unionsrechtlichen Vorgaben ist an der früheren, unterschiedliche Prognosemaßstäbe heranziehenden Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 73 AsylVfG nicht festzuhalten. Der Richtlinie 2004/83/EG bzw. Richtlinie 2011/95/EU ist ein solches materiell-rechtliches Konzept unterschiedlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe für die Verfolgungsprognose fremd. Sie verfolgt vielmehr unter Zugrundelegung eines einheitlichen Prognosemaßstabs für die Begründung und das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft einen beweisrechtlichen Ansatz, wie er bei der tatsächlichen Verfolgungsvermutung des Art. 4 Abs. 4 und der Nachweispflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 14 Abs. 2 der jeweiligen Richtlinie zum Ausdruck kommt. Demzufolge gilt beim Flüchtlingsschutz für die Verfolgungsprognose ein einheitlicher Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Dieser in dem Tatbestandsmerkmal "aus der begründeten Furcht vor Verfolgung" des Art. 2 Buchst. c RL 2004/83/EG bzw. Art. 2 Buchst. d RL 2011/95/EU enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt ("real risk"); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit. Aus der konstruktiven Spiegelbildlichkeit von Anerkennungs- und Erlöschensprüfung, in der die gleiche Frage des Vorliegens einer begründeten Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 9 i. V. m. Art. 10 der jeweiligen Richtlinie zu beurteilen ist, ergibt sich, dass sich auch das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft danach bestimmt, ob noch eine beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung besteht.
61Vgl. BVerwG, Urteile vom 1. März 2012 - 10 C 7.11 -, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 43, juris Rn. 12, und vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 -, BVerwGE 140, 22, juris Rn. 18, 21 f.
62cc) Hinsichtlich des Widerrufs der Asylberechtigung ist - hiervon abweichend - der Maßstab der hinreichenden Sicherheit zugrundezulegen, wenn der Kläger vor seiner Ausreise Verfolgung erlitten hat und deswegen als Asylberechtigter anerkannt worden ist.
63Vgl. zum von der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft abweichenden Verfolgungsmaßstab des Asylrechts BVerwG, Urteil vom 22. November 2011 - 10 C 29.10 -, BVerwGE 141, 161, juris Rn. 24 f.; Berlit, Flüchtlingsrecht im Umbruch, NVwZ 2012, 193 (196).
64b) § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylG beschränkt den Widerruf der Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung nicht auf Änderungen der Sachlage. Vielmehr ist ein Widerruf auch bei einer nachträglichen Änderung der Rechtslage zulässig.
65Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 20.
66aa) Für den vorliegenden Fall ist von Bedeutung, dass sich die Rechtslage durch das Inkrafttreten der nunmehr in § 3 Abs. 2 AsylG geregelten Ausschlussgründe nachträglich geändert hat. Diese Ausschlussgründe sind erstmals am 1. Januar 2002 als § 51 Abs. 3 Satz 2 AuslG und damit nach der Anerkennung des Klägers durch Bescheid des Bundesamts vom 27. Mai 1993 in Kraft getreten. Diese Regelung wurde mit Wirkung ab dem 1. Januar 2005 durch die gleichlautende Regelung in § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG und mit Wirkung ab dem 28. August 2007 durch die ebenfalls gleichlautende Regelung in § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG, nunmehr ebenfalls gleichlautend: § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG, ersetzt.
67Die in § 3 Abs. 2 AsylG geregelten Ausschlussgründe gelten entgegen dem Wortlaut dieser Norm nicht nur für den Ausschluss der Rechtsstellung als Flüchtling, sondern auch für den Ausschluss der Rechtsstellung als Asylberechtigter. Dies folgt zum einen aus § 73 Abs. 2a Satz 5 AsylG (entspricht § 73 Abs. 2a Satz 4 AsylVfG in der bis zum 23. Oktober 2015 geltenden Fassung), wonach Widerruf und Rücknahme als gebundene Entscheidungen ergehen, sofern die Voraussetzungen eines der in § 3 Abs. 2 AsylG vorgesehenen Ausschlussgrundes vorliegen. Da Widerruf und Rücknahme gemäß § 73 Abs. 1 und 2 AsylG sowohl auf die Anerkennung als Asylberechtigter als auch auf die Zuerkennung als Flüchtling Anwendung finden, gelten die Ausschlussgründe für beide Anerkennungen. Dasselbe folgt aus § 30 Abs. 4 AsylG, wonach ein Asylantrag, der grundsätzlich sowohl auf die Anerkennung als Asylberechtigter als auch auf die Anerkennung als Flüchtling gerichtet ist (§ 13 Abs. 2 AsylG), u. a. auch dann als offensichtlich unbegründet abzulehnen ist, wenn die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 AsylG vorliegen.
68Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. September 2012 ‑ 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127, juris Rn. 18, und vom 31. März 2011 - 10 C 2.10 -, BVerwGE 139, 272, juris Rn. 44; OVG NRW, Urteil vom 9. März 2011 - 11 A 1439/07.A -, OVGE 54, 95 juris Rn. 111.
69Die Erstreckung der Ausschlussklauseln auf Asylberechtigte ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil der deutsche Gesetzgeber hierdurch seiner Verpflichtung zur innerstaatlichen Anwendung des Unionsrechts nachgekommen ist.
70Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 33, und vom 31. März 2011 - 10 C 2.10 -, BVerwGE 139, 272, juris Rn. 54; OVG NRW, Urteil vom 9. März 2011 - 11 A 1439/07.A -, OVGE 54, 95, juris Rn. 111 ff.
71Art. 3 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU ist dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat nach nationalem Recht einer Person, die gemäß Art. 12 Abs. 2 der jeweiligen Richtlinie von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen ist, ein Asylrecht nach nationalem Recht zuerkennen kann, soweit diese andere Form des Schutzes nicht die Gefahr der Verwechslung mit der Rechtsstellung des Flüchtlings im Sinne der Richtlinie birgt.
72Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 ‑ C‑57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285, juris Rn. 121; OVG NRW, Urteil vom 9. März 2011 ‑ 11 A 1439/07.A -, OVGE 54, 95, juris Rn. 115.
73Eine solche Verwechslungsgefahr besteht hinsichtlich der Flüchtlingsanerkennung und der Asylanerkennung. Bei der Beurteilung, inwieweit eine Verwechslungsgefahr besteht, ist von der Erwägung des Gerichtshofs der Europäischen Union auszugehen, dass nationale Rechtsvorschriften, die von der Flüchtlingsanerkennung im Sinne der jeweiligen Richtlinie ausgeschlossenen Personen ein Asylrecht gewähren, das von der Richtlinie 2004/83/EG bzw. der Richtlinie 2011/95/EU geschaffene System nicht beeinträchtigen, wenn sie eine klare Unterscheidung des nationalen Schutzes von dem Schutz nach der Richtlinie erlauben.
74Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 ‑ C 57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285, juris Rn. 120; OVG NRW, Urteil vom 9. März 2011 ‑ 11 A 1439/07.A -, OVGE 54, 95, juris Rn. 117.
75An einer solchen klaren Unterscheidung fehlt es in Bezug auf Asyl- und Flüchtlingsanerkennung.
76Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 32; OVG NRW, Urteil vom 9. März 2011 - 11 A 1439/07.A ‑, OVGE 54, 95, juris Rn. 119 ff.
77bb) Die Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling ist u. a. dann ausgeschlossen, wenn aus schwerwiegenden Gründen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Betreffende ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, insbesondere im Sinne der internationalen Vertragswerke, die ausgearbeitet worden sind, um Bestimmungen bezüglich dieser Verbrechen zu treffen (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG), dass – worauf die Beklagte den angefochtenen Bescheid gestützt hat – der Betreffende vor seiner Aufnahme eine schwere nichtpolitische Straftat außerhalb des Bundesgebietes begangen hat, insbesondere eine grausame Handlung, auch wenn mit ihr vorgeblich politische Ziele verfolgt wurden (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG), oder dass er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt hat (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Dasselbe gilt nach Satz 2 der Regelung für Ausländer, die andere zu solchen Straftaten oder Handlungen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt haben.
78Mit diesen Ausschlussgründen hat der deutsche Gesetzgeber Art. 12 Abs. 2 und 3 RL 2004/83/EG (nunmehr Richtlinie 2011/95/EU), der seinerseits auf die schon in Art. 1 Abschnitt F GFK aufgeführten Ausschlussgründe zurückgeht, umgesetzt.
79Vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Oktober 2008 ‑ 10 C 48.07 -, BVerwGE 132, 79, juris Rn. 16.
80Die Auslegung des § 3 Abs. 2 AsylG hat sich maßgeblich an den entsprechenden Regelungen in Art. 12 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU zu orientieren.
81Die einen Ausschlussgrund gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 AsylG i. V. m. Art. 12 Abs. 2 und 3 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU verwirklichenden Handlungen müssen nicht definitiv im Sinne eines für eine strafrechtliche Verurteilung erforderlichen Beweisstandards erwiesen sein; ausreichend ist vielmehr ein gegenüber der nach § 108 VwGO erforderlichen Überzeugungsgewissheit abgesenktes Beweismaß.
82Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. November 2009 ‑ 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252, juris Rn. 30, 35, und vom 31. März 2011 - 10 C 2.10 -, BVerwGE 139, 272, juris Rn. 26; OVG NRW, Urteil vom 9. März 2011 - 11 A 1439/07.A -, OVGE 54, 95, juris Rn. 57.
83Die Annahme der Verwirklichung von Handlungen im Sinne eines Ausschlussgrundes ist aus schwerwiegenden Gründen gerechtfertigt, wenn hierfür Anhaltspunkte von erheblichem Gewicht vorliegen; dies ist in der Regel der Fall, wenn klare und glaubhafte Indizien für die Begehung der jeweils genannten Handlungen bestehen.
84Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. März 2011 - 10 C 2.10 -, BVerwGE 139, 272, juris Rn. 26.
85Ein Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung setzt weder eine gegenwärtige Gefahr für den Aufnahmemitgliedstaat noch eine auf den Einzelfall bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung des Ausschlusses unter erneuter Beurteilung des Schweregrades der begangenen Handlungen voraus; die Schwere der begangenen Handlungen ist vielmehr bereits bei der Prüfung des Vorliegens von Ausschlussgründen nach Art. 12 Abs. 2 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU einzubeziehen und muss von einem solchen Grad sein, dass die betreffende Person nicht in berechtigter Weise Anspruch auf den Schutz erheben kann.
86Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 ‑ C‑57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285, juris Rn. 100 ff., 106 ff.
87cc) Ob Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit i. S. d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG vorliegen, bestimmt sich gegenwärtig in erster Linie nach den im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 (BGBl. 2000 II S. 1394) - IStGH-Statut - ausgeformten Tatbeständen dieser Delikte.
88In Art. 8 Abs. 2 IStGH-Statut werden Kriegsverbrechen differenzierend zwischen Taten in internationalen (Buchst. a und b) und innerstaatlichen (Buchst. c bis f) bewaffneten Konflikten definiert. Buchst. a stellt für den internationalen bewaffneten Konflikt ab auf schwere Verletzungen der vier Genfer Konventionen über den Schutz der Opfer bewaffneter Konflikte vom 12. August 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde (1. Konvention - BGBl. 1954 II S. 783) sowie der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See (2. Konvention - BGBl. 1954 II S. 813), der Behandlung von Kriegsgefangenen (3. Konvention - BGBl. 1954 II S. 838) und zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten (4. Konvention - BGBl. 1954 II S. 917, ber. 1956 II S. 1586) und zählt Tathandlungen gegen die davon geschützten Personen und Güter auf. Buchst. b benennt andere schwere Verstöße gegen die Gesetze und Gebräuche, die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts im internationalen bewaffneten Konflikt anwendbar sind. Demgegenüber knüpft Buchst. c für den innerstaatlichen bewaffneten Konflikt an schwere Verstöße gegen den gemeinsamen Art. 3 der vier Genfer Konventionen vom 12. August 1949 an. Er stellt u. a. Angriffe auf Leib und Leben hinsichtlich der Personen unter Strafe, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Angehörigen der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder eine andere Ursache außer Gefecht befindlich sind. Buchst. e erfasst andere schwere Verstöße gegen die innerhalb des feststehenden Rahmens des Völkerrechts anwendbaren Gesetze und Gebräuche im innerstaatlichen bewaffneten Konflikt.
89Art. 8 Abs. 2 Buchst. d und f IStGH-Statut grenzen innerstaatliche bewaffnete Konflikte ab gegenüber Fällen innerer Unruhen und Spannungen wie Tumulten, vereinzelt auftretenden Gewalttaten oder anderen ähnlichen Handlungen. Buchst. f setzt zudem voraus, dass zwischen staatlichen Behörden und organisierten bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen ein lang anhaltender bewaffneter Konflikt besteht. Verlangt wird ein gewisses Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit des Konflikts, um den Eingriff in die Souveränität des betroffenen Staates zu rechtfertigen.
90Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 ‑ 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252, juris Rn. 31 ff.
91dd) § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG, auf den die Beklagte den Widerruf gestützt hat, dient wie Art. 1 F Buchst. b GFK dem Ausschluss "gemeiner Straftäter", denen man den Flüchtlingsschutz vorenthalten wollte, um den Status eines "bona fide refugee" aus Gründen der Akzeptanz in der internationalen Gemeinschaft nicht in Misskredit zu bringen. Daher rechtfertigt nicht jedes kriminelle Handeln des Schutzsuchenden vor seiner Einreise einen Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung.
92Vielmehr muss der Straftat zunächst ein gewisses Gewicht zukommen, wofür internationale und nicht lokale Standards maßgeblich sind. Es muss sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt wird.
93Vgl. BVerwG, Urteile vom 24. November 2009 ‑ 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252, juris Rn. 41, und vom 4. September 2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127, juris Rn. 20.
94Zugleich muss die Tat nichtpolitisch sein. Dazu ist auf den Delikttypus sowie die der konkreten Tat zugrunde liegenden Motive und die mit ihr verfolgten Zwecke abzustellen. Nichtpolitisch ist eine Tat, wenn sie überwiegend aus anderen Motiven, etwa aus persönlichen Beweggründen oder Gewinnstreben, begangen wird. Besteht keine eindeutige Verbindung zwischen dem Verbrechen und dem angeblichen politischen Motiv bzw. Ziel oder ist die betreffende Handlung in Bezug zum behaupteten politischen Ziel unverhältnismäßig, überwiegen nichtpolitische Beweggründe und kennzeichnen die Tat damit insgesamt als nichtpolitisch. So hat der Gesetzgeber in Umsetzung des Art. 12 Abs. 2 Buchst. b letzter Halbsatz RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU insbesondere grausame Handlungen beispielhaft als schwere nichtpolitische Straftaten eingestuft, auch wenn mit ihnen vornehmlich politische Ziele verfolgt werden. Dies ist bei Gewalttaten, die gemeinhin als „terroristisch“ bezeichnet werden, regelmäßig der Fall.
95Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. November 2009 ‑ 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252, juris Rn. 42.
96Kennzeichnend für terroristische Handlungen ist die Ausübung von Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung.
97Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 ‑ C‑57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285, juris Rn. 81); BVerwG, Urteile vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 35, und vom 4. September 2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127, juris Rn. 29.
98Als terroristisch kann auch der Einsatz gemeingefährlicher Waffen zur Durchsetzung politischer Ziele anzusehen sein.
99Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 7. Dezember 2010 - 1 B 24.10 -, juris Rn. 4, und vom 14. Oktober 2008 - 10 C 48.07 -, BVerwGE 132, 79, juris Rn. 20; vgl. auch EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 – C-373/13 -, InfAuslR 2015, 357.
100Die vorsätzliche rechtswidrige und schuldhafte Tötung oder erhebliche Verletzung eines Menschen erweist sich in Bezug auf das behauptete politische Ziel grundsätzlich als unverhältnismäßig und ist daher in aller Regel eine schwere nichtpolitische Straftat unabhängig davon, ob das Opfer ein Angehöriger der staatlichen Sicherheitskräfte, der Zivilbevölkerung oder ein abtrünniges Mitglied der eigenen Organisation ist. Anderes mag allenfalls dann gelten, wenn sich mit Blick auf die Tötung von Sicherheitskräften und diesen nahestehenden Zivilpersonen feststellen ließe, dass die Merkmale eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i. S. d. Art. 8 Abs. 2 lit. d und f des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998 - IStGH-Statut - erfüllt sind.
101Vgl. BVerwG, Urteile vom 4. September 2012 ‑ 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127, juris Rn. 29, und vom 24. November 2009 - 10 C 24.08 -, BVerwGE 135, 252, juris Rn. 34.
102Die Anwendung der auf Art. 12 Abs. 2 und 3 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU zurückgehenden Ausschlussgründe setzt eine Einzelfallwürdigung der - bekannten - genauen tatsächlichen Umstände in Bezug auf die Handlungen des betreffenden Ausländers, der im Übrigen die Voraussetzungen für eine Flüchtlingsanerkennung erfüllt, voraus. So hat allein der Umstand einer Mitgliedschaft in einer anerkanntermaßen an terroristischen Handlungen beteiligten Organisation nicht automatisch den Ausschluss der betreffenden Person von der Anerkennung als Flüchtling zur Folge. Erforderlich ist vielmehr eine dem Beweisniveau der Annahme aus schwerwiegenden Gründen genügende Zurechnung eines Teils der Verantwortung für Handlungen, die von der Organisation im Zeitraum der Mitgliedschaft begangen wurden. Eine solche individuelle Verantwortung für die Verwirklichung der Handlungen der Organisation ist anhand sowohl objektiver als auch subjektiver Kriterien zu beurteilen, wobei die tatsächliche Rolle der betreffenden Person bei der Verwirklichung der fraglichen Handlungen, ihre Position innerhalb der Organisation, der Grad der Kenntnis, die sie von deren Handlungen hatte oder haben musste, sowie etwaige Pressionen oder andere verhaltensbeeinflussende Faktoren zu berücksichtigen sind. Hatte die betreffende Person eine hervorgehobene Position innerhalb der Organisation inne, so kann eine individuelle Verantwortung für von dieser Organisation begangene Handlungen im relevanten Zeitraum vermutet werden; dennoch bleibt eine Prüfung sämtlicher erheblicher Umstände erforderlich.
103Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 ‑ C‑57/09 und C-101/09 -, NVwZ 2011, 285, juris Rn. 87 ff.
104Dabei liegt mangels einheitlicher internationaler Kriterien grundsätzlich zunächst eine Orientierung an den Regeln des nationalen Strafrechts zur Täterschaft und Teilnahme nahe. Erfasst werden mithin sowohl der Täter als auch der Anstifter einer schweren nichtpolitischen Straftat. Auch der in sonstiger Weise Beteiligte ist für eine schwere nichtpolitische Straftat verantwortlich, wenn er eine strafrechtlich relevante Beihilfe begangen hat. Allerdings muss auch im Fall der Beihilfe der Tatbeitrag nach seinem Gewicht dem einer schweren nichtpolitischen Straftat im Sinne dieser Vorschrift entsprechen. Denn durch die Regelung über die Anstiftung und Beteiligung in sonstiger Weise in Art. 12 Abs. 3 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU und § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG sollte der Ausschlussgrund des Art. 1 Abschnitt F GFK, der eine solche Regelung nicht enthält, nicht erweitert, sondern mit Rücksicht auf das unterschiedliche Verständnis von Täterschaft, Anstiftung und sonstigen Beteiligungsformen in den Strafrechtsordnungen der Mitgliedstaaten lediglich präzisiert werden.
105Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 38.
106Strafrechtlich verantwortlich in diesem Sinne ist regelmäßig (erst) derjenige, der einen wesentlichen logistischen, organisatorischen oder auch unmittelbar ideologischen, d. h. zu terroristischen Taten aufrufenden Beitrag zur Durchführung entsprechender Verbrechen erbringt.
107Vgl. Nieders. OVG, Urteil vom 11. August 2010 ‑ 11 LB 405/08 -, AuAS 2010, 236, juris Rn. 41.
108ee) Ein Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung wegen Handlungen, die sich gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen richten (§ 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG), setzt zunächst voraus, dass derartige Zuwiderhandlungen vorliegen. Die dafür maßgeblichen Ziele und Grundsätze sind in der Präambel und in den Art. 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt und u.a. in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu den Antiterrormaßnahmen verankert. Aus diesen folgt, "dass die Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" und "dass die wissentliche Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu ebenfalls im Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen stehen" (vgl. Erwägungsgrund 22 zur Richtlinie 2004/83/EG). Wie sich aus den UN-Resolutionen 1373 (2001) und 1377 (2001) ergibt, geht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von dem Grundsatz aus, dass Handlungen des internationalen Terrorismus in einer allgemeinen Weise und unabhängig von der Beteiligung eines Staates den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen. Daraus folgert der EuGH, dass dieser Ausschlussgrund auch auf Personen Anwendung finden kann, die im Rahmen ihrer Zugehörigkeit zu einer in der Liste im Anhang des Gemeinsamen Standpunkts 2001/931 aufgeführten Organisation an terroristischen Handlungen beteiligt waren, die eine internationale Dimension aufweisen.
109Vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2010 - Rs. C-57/09 und C-101/09 – Slg. 2010, I-10979 Rn. 82 ff. = NVwZ 2011, 285, sowie Urteil vom 24. Juni 2015 – Rs. C-373/13 -, InfAuslR 2015, 357 (zu Art. 24 RL 2004/83/EG).
110Danach können Zuwiderhandlungen im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG jedenfalls bei Aktivitäten des internationalen Terrorismus auch von Personen begangen werden, die keine Machtposition in einem Mitgliedstaat der Vereinten Nationen oder zumindest in einer staatsähnlichen Organisation innehaben.
111Vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urteil vom 19. November 2013 - 10 C 26.12 -, NVwZ-RR 2014, 283, juris Rn.12, m.w.N.
112Auch wenn die Beteiligung an Taten, die gegen die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen verstoßen, die Schwelle einer Beteiligung im strafrechtlichen Sinne nicht überschreiten muss, so ist es doch erforderlich, dass es zu konkreten derartigen Taten gekommen ist. Andernfalls fehlte es an einem Anknüpfungspunkt für eine Verantwortlichkeit des Klägers, die die Grundlage für seinen Ausschluss vom Flüchtlingsschutz darstellt.
113Für die internationale Dimension, die Handlungen des Terrorismus grundsätzlich haben müssen, um die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen berühren zu können, sind alle grenzüberschreitenden Aktionen in den Blick zu nehmen. Zudem müssen Unterstützungshandlungen zugunsten einer Organisation, die Akte des internationalen Terrors begeht, sich nicht konkret auf terroristische Aktionen internationaler Qualität beziehen, um von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. Satz 2 AsylG erfasst zu werden. Denn dieser Ausschlussgrund verlangt keine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien, da er kein strafbares Handeln im Sinne einer Beteiligung an bestimmten Delikten voraussetzt. Demzufolge können auch rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht im Vorfeld diesen Ausschlussgrund erfüllen.
114Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 39, und vom 4. September 2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127, juris Rn. 26.
115Zusätzlich ist allerdings - um der Funktion dieses Ausschlussgrundes gerecht zu werden - zu prüfen, ob der individuelle Beitrag des Betroffenen ein Gewicht erreicht, das dem der Ausschlussgründe in § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 AsylG entspricht.
116Vgl. BVerwG, Urteile vom 7. Juli 2011 - 10 C 26.10 -, BVerwGE 140, 114, juris Rn. 39, vom 4. September 2012 - 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127 (Rn. 32); Beschluss vom 10. Oktober 2013 - 10 B 19.13 -, juris Rn. 5; Urteil vom 19. November 2013 - 10 C 26.12 -, NVwZ-RR 2014, 283, juris Rn.13.
117ee) Die Entscheidung über einen auf § 3 Abs. 2 AsylG gestützten Widerruf steht nicht im Ermessen des Bundesamts (§ 73 Abs. 2a Satz 5 AsylG). Deshalb ist, wenn die Begründung des Widerrufsbescheids nicht zutreffen sollte, zu prüfen, ob er sich aus einem anderen Grund im Ergebnis als rechtmäßig erweist.
1182. Ausgehend von diesen Grundsätzen und Maßstäben liegt ein Widerrufsgrund nicht vor. Der Widerruf kann weder auf den Wegfall der Umstände, die zur Anerkennung des Klägers geführt haben (dazu a), noch auf die Verwirklichung eines Ausschlussgrundes (dazu b) gestützt werden.
119a) Bei vergleichender Betrachtung der Umstände im Zeitpunkt der Anerkennung des Klägers und der für den Widerruf gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Lage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung kann der Senat nicht feststellen, dass sich eine signifikant und entscheidungserheblich veränderte Grundlage für die Verfolgungsprognose ergeben hätte.
120aa) Auf einen Wegfall der Verfolgungsgefahr hat die Beklagte sich weder in der Begründung des angefochtenen Widerrufsbescheids noch im anschließenden gerichtlichen Verfahren berufen. Dafür, dass auch sie von einem Fortbestand der für den Kläger bestehenden Verfolgungsgefahr ausgeht, spricht im Übrigen der Umstand, dass sie ihrerseits das verwaltungsgerichtliche Urteil hat rechtskräftig werden lassen, soweit es die Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG ausgesprochen hat.
121bb) Ungeachtet dessen ist ein Wegfall der für die Anerkennung maßgeblichen Umstände auch nicht feststellbar. Dabei ist – ausgehend von der im vorliegenden Widerrufsverfahren zugrunde zu legenden, im Übrigen auch in der Sache zutreffenden Einschätzung des Bundesamtes im Anerkennungsverfahren – davon auszugehen, dass der Kläger vor seiner ersten Einreise in das Bundesgebiet mit friedlichen, jedenfalls nicht terroristischen Mitteln für die kurdische Partei tätig gewesen ist und politisch motivierte Verfolgungsmaßnahmen mit nicht unerheblichen Beeinträchtigungen der persönlichen Freiheit und der körperlichen Unversehrtheit erlitten hat. Dies zugrunde gelegt droht ihm – unter Inanspruchnahme der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU – mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit weiterhin Verfolgung. Erst recht ist er vor einer erneuten Verfolgung im Sinne der für das nationale Asylgrundrecht geltenden Anforderungen vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher.
122In der Türkei kommt es trotz der Reformbemühungen, insbesondere der sog. Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter, weiterhin zu Verfolgungsmaßnahmen erheblicher Art und Intensität, die dem türkischen Staat zurechenbar sind.
123Vgl. OVG NRW, Urteile vom 19. April 2005 - 8 A 273/04.A -, juris Rn. 82 ff., 214 ff., vom 27. März 2007 - 8 A 5118/05.A -, juris Rn. 39 ff., vom 2. Juli 2013 – 8 A 2632/06.A -, juris Rn. 83, 104, und vom 13. November 2013 - 8 A 2228/07.A -.
124Vorverfolgt ausgereiste Asylbewerber und solche Personen, die durch Nachfluchtaktivitäten als exponierte Gegner des türkischen Staates in Erscheinung getreten sind und sich dabei nach türkischem Strafrecht strafbar gemacht haben, müssen im Falle ihrer Rückkehr in die Türkei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit asylrelevanten Übergriffen rechnen.
125Vgl. ebenso Bay. VGH, Urteil vom 27. April 2012 - 9 B 08.30203 -, juris Rn. 27 ff.; Sächs. OVG, Urteile vom 12. Dezember 2011 - A 3 A 292/10 -,juris Rn. 28 ff., vom 22. März 2012 - A 3 A 428/11 -, juris Rn. 27, und vom 22. November 2014 – A 3 A 519/12 -, Asylmagazin 2015, 208, juris Rn. 43; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 14. Oktober 2011 - 10 A 10416/11 -, juris Rn. 26 ff.; Nieders. OVG, Urteil vom 11. August 2010 - 11 LB 405/08 -, AuAS 2010, 236, juris Rn. 47 ff.; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 21. August 2012 – 3 L 218/08 -, Seite 7 ff. des Urteilsabdrucks; Schlesw.-Holst. OVG, Urteil vom 6. Oktober 2011 - 4 LB 5/11 -, juris Rn. 36; VG Stuttgart, Urteil vom 22. Februar 2013 - A 11 K 800/12 -, juris Rn. 30 f.; VG Leipzig, Urteil vom 24. Mai 2012 - A 5 K 88/12 -, juris Rn. 51 ff.
126Bei der Einreise in die Türkei hat sich jedermann, gleich welcher Volkszugehörigkeit, einer Personenkontrolle zu unterziehen. Das gilt für abgeschobene oder freiwillig dorthin zurückkehrende Asylbewerber gleichermaßen. Ist eine Person in das Fahndungsregister eingetragen oder ist gegen sie ein Ermittlungsverfahren anhängig, wird sie in Polizeigewahrsam genommen; ist ein Strafverfahren anhängig, wird der Betroffene festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt.
127Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2015, S. 29 f.
128Außerdem interessieren sich die Staatssicherheitskräfte besonders für die Kurden, deren Asylgesuche abgelehnt wurden und die abgeschoben werden.
129Vgl. amnesty international, Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Karlsruhe; Taylan, Auskunft vom 15. Dezember 2015 an das VG Karlsruhe.
130Dieser Personenkreis wird verbreitet durch die Sicherheitskräfte verhört, um Auskünfte über die PKK einzuholen.
131Aydin, Gutachten vom 2. Juni 2011, S. 4.
132Bei Kenntnis von der Zugehörigkeit zur PKK wird die betreffende Person bei ihrer Einreise oder Abschiebung mit Sicherheit festgenommen.
133Irmak, Gutachten vom 15. Oktober 2012, S. 2 f.; Taylan, Gutachten vom 19. Januar 2013, S. 8.
134Das Auswärtige Amt führt zwar seit langem in seinen Lageberichten aus, dass in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden sei, in dem ein aus der Bundesrepublik Deutschland zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit seinen früheren Aktivitäten gefoltert oder misshandelt worden sei, was auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen sowie als solche eingestufte Rückkehrer gelte.
135Vgl. schon Lagebericht vom 19. Mai 2004, S. 45 („seit über drei Jahren“); Lagebericht vom 27. Juli 2006, S. 43 („seit 4 Jahren“); Lagebericht vom 29. September 2015, S. 29 („in den letzten Jahren“).
136Ergänzend weist das Auswärtige Amt darauf hin, dass diese Feststellung auch von türkischen Menschenrechtsorganisationen sowie von Auskünften anderer EU-Staaten und den USA geteilt werde.
137Lagebericht vom 29. September 2015, S. 29; vgl. auch amnesty international, Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Karlsruhe
138Diese Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist indes, wie die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung - nicht nur des erkennenden Oberverwaltungsgerichts - immer wieder betont hat, nur bedingt aussagekräftig. Den Angaben des Auswärtigen Amtes ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass unter den Zurückgekehrten oder Abgeschobenen Personen gewesen wären, bei denen nach der bisherigen Erkenntnislage mit Übergriffen zu rechnen gewesen wäre. Das liegt angesichts der einhelligen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, nach der für den gennannten Personenkreis zumindest Abschiebungsverbote vorliegen, fern und ist nach den vorliegenden Erkenntnissen auch nicht der Fall.
139Vgl. auch Taylan, Auskunft vom 19. Januar 2013 an das Sächs. OVG, mit dem Hinweis, dass etwas anderes allenfalls für Überläufer oder Informanten gelten könne.
140Die aktuellen Entwicklungen in der Türkei geben im Ergebnis keinen Anlass, von der Bewertung, die der bisherigen Rechtsprechung zugrunde liegt, abzurücken.
141Trotz der schon im Jahr 2002 eingeleiteten und in den Jahren 2003/2004 mit mehreren umfassenden Reformpaketen vorangetriebenen gesetzgeberischen Maßnahmen im Rahmen der „Null-Toleranz-Politik“,
142vgl. dazu schon den Lagebericht vom 19. Mai 2004, S. 7 f.,
143wie etwa der Erhöhung der Strafandrohung für Täter von Folter, und Runderlassen an Staatsanwaltschaften, Folterstraftaten vorrangig und mit besonderem Nachdruck zu verfolgen, ist es der Regierung nicht gelungen, Folter und Misshandlung vollständig zu unterbinden.
144Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2015, S. 22.
145Dies gilt trotz des Umstands, dass die Türkei Mitglied der UNO-Folterkonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention ist. Entsprechend ist Folter in der Türkei verboten. Tatsächlich ist Folter allerdings immer noch verbreitet. Die Zahl der Beschwerden und offiziellen Vorwürfe, die im Zusammenhang mit Folter- oder Misshandlungsfällen stehen, sind nach Angaben von Menschenrechtsverbänden 2014 gegenüber den Vorjahren,
146vgl. dazu ausführlich die den Beteiligten bekannte Rechtsprechung des bislang für Verfahren türkischer Asylbewerber zuständigen 8. Senats des erkennenden Gerichts, zuletzt OVG NRW, Urteil vom 13. November 2013 – 8 A 2228/07.A -, die sich der nunmehr zuständige 9. Senat zu Eigen macht,
147sogar wieder gestiegen. Von einer längeren Zeitspanne ohne besondere asylrelevante Vorkommnisse kann bezogen auf die Verfolgungslage in der Türkei danach keine Rede sein. Vor allem beim Auflösen von Demonstrationen kommt es mit zunehmender Tendenz zu übermäßiger Gewaltanwendung. Menschenrechtsverbänden zufolge gibt es Hinweise, dass die Anwendung von Gewalt und Misshandlungen nicht mehr in Polizeistationen, sondern an anderen Orten, u.a. im Freien stattfinden.
148Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2015, S. 22, ebenso schon Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom 20. Dezember 2010, S. 12 f.
149Auch wenn das Auswärtige Amt an gleicher Stelle darauf hinweist, dass hierzu zuverlässige Informationen fehlen, trägt dies jedenfalls nicht die Annahme, dass die Umstände in der Türkei sich inzwischen nachhaltig dergestalt gebessert hätten, dass ein verfolgt ausgereister Flüchtling bei Fortbestehen der verfolgungsrelevanten Merkmale nun nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine erneute Verfolgung zu befürchten hätte. Auch der Hinweis, dass während der Verhöre – sowohl im Ermittlungs- als auch im Strafverfahren – grundsätzlich Kameras eingeschaltet seien,
150Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 29. September 2015, S. 30,
151führt zu keiner anderen Bewertung, weil eine Gefährdung – ungeachtet der Frage, ob und mit welcher Wahrscheinlichkeit von der grundsätzlichen Einschaltung der Kamera abgesehen wird – eben nicht allein im Rahmen eines förmlichen Verhörs droht.
152Zudem kommt es gegenwärtig nach allgemein zugänglichen Medienberichten wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK in grenznahen Regionen.
153Vgl. auch Reise- und Sicherheitshinweise des Auswärtigen Amtes (Stand: 14. April 2016).
154Seit Verschärfung der bewaffneten Auseinandersetzungen im Juli 2015 hat sich die Lage in den kurdischen Provinzen erheblich verschlechtert. Tausende Kurden sind aus den kurdischen Provinzen im Südosten der Türkei geflohen.
155Vgl. amnesty international, Auskunft vom 27. Januar 2016 an das VG Karlsruhe mit Kurzbericht vom 21. Januar 2016.
156Amnesty international berichtet zudem in seinem jüngsten Jahresbericht von Festnahmewellen in Zusammenhang mit dem Vorgehen gegen tatsächliche oder mutmaßliche Angehörige der PKK.
157Vgl. amnesty international, Jahresbericht (Report) 2016.
158Das bestätigt die bisherige Erkenntnislage, wonach die Tatsache, dass jemand ein ehemaliges Mitglied der PKK ist, das Risiko einer Misshandlung und/oder Folter erhöht.
159Schweizerische Flüchtlingshilfe, Bericht vom 26. Mai 2010, S. 7; Aydin, Gutachten vom 2. Juni 2011, S. 5 f.
160Die gerade in der vergangenen Woche angekündigte, erklärtermaßen gegen die Abgeordneten der Kurden-Partei HDP im türkischen Parlament gerichtete Aufhebung der Immunität, über die in den Medien umfangreich berichtet worden ist, bestärkt die Prognose, dass gegenwärtig eine nachhaltige und stabile Verbesserung der Situation nicht festzustellen, insbesondere auch nicht mit einer Fortsetzung des Friedensprozesses zu rechnen ist.
161Eine verfolgungsrelevante Rückkehrgefährdung besteht mithin weiterhin insbesondere bei Personen, die in das Visier der türkischen Sicherheitsbehörden geraten, weil sie dort als tatsächliche oder potenzielle Unterstützer etwa der PKK oder anderer als terroristisch eingestufter Organisationen angesehen werden.
162Nach alldem muss der aus individuellen Gründen vorverfolgt ausgereiste Kläger unter Berücksichtigung der Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU befürchten, im Falle seiner Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erneut Opfer relevanter Verfolgungsmaßnahmen zu werden; demgemäß ist er auch vor erneuter Verfolgung nicht hinreichend sicher. Ausgehend davon, dass der Kläger schon vor seiner Ausreise im Jahr 1993 als mutmaßlicher PKK-Unterstützer festgenommen, verhört und misshandelt worden ist, muss davon ausgegangen werden, dass er bei der Einreise mit hoher Wahrscheinlichkeit in Gewahrsam genommen und zu etwaigen Kontakten zu Organisationsangehörigen im In- und Ausland befragt würde. Allein der Umstand, dass die frühere Verfolgung lange Zeit zurückliegt, rechtfertigt bei Fehlen einer erheblichen, stabilen Verbesserung der Gefährdungslage für Personen, die in das Visier der Sicherheitskräfte geraten sind, nach den o.g. Maßstäben den Widerruf nicht. Darüber hinaus geht der Senat im Anschluss an den diesbezüglichen Vortrag des Klägers auch davon aus, dass sein – einen schon früher entstandenen PKK-Verdacht bekräftigender - langjähriger Auslandsaufenthalt in der Heimatregion nicht unbemerkt geblieben ist, zumal seine Ehefrau bis zu ihrer von der Familie begleiteten Ausreise zunächst in den Irak am Heimatort geblieben ist. Dies und die vor der Ausreise des Klägers in den 1990-er Jahren bereits gegen ihn ergriffenen Maßnahmen sprechen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit dafür, dass er als Angehöriger der PKK wahrgenommen oder zumindest verdächtigt wird. Angesichts der nach wie vor gerade bei PKK-Aktivisten und –Unterstützern anzunehmenden beachtlichen Verfolgungsgefahr kann nicht mit der nötigen Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs.1 VwGO) nunmehr ein Wegfall der verfolgungsrelevanten Umstände angenommen werden, zumal der Kläger mit der Steigerung seines Engagements von seinerzeit lediglich ausgeführten Miliz-Aufgaben zu den „in den Bergen“ stationierten Einheiten, zumindest aus der maßgeblichen türkischen Sicht, erst recht als potentieller Informant und Belastungszeuge von Interesse sein würde. Es liegt nahe, dass die türkischen Sicherheitskräfte, ebenso wie das Bundesamt, vermuten werden, dass der Kläger während seiner langjährigen Nähe bzw. Zugehörigkeit zur PKK auch an Straftaten mitgewirkt hat.
163Aus der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 3. Juni 2014 folgt nichts Gegenteiliges. Dort wird darauf hingewiesen, dass nach den Recherchen bei in den in Betracht kommenden Oberstaatsanwaltschaften gegenwärtig kein Ermittlungsverfahren gegen den Kläger anhängig sei, was aber zu erwarten wäre, wenn er tatsächlich – wie vorgetragen – über einen langen Zeitraum an Aktivitäten der PKK teilgenommen hätte. Zugleich wird aber eingeräumt, dass für solche PKK-Mitglieder Ausnahmen gelten, die von Europa aus direkt in die PKK-Lager im Nordirak entsandt werden. So verhält es sich hier.
164Nach alldem steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger in besonderer Weise gefährdet ist, bei seiner Rückkehr in das Blickfeld der türkischen Sicherheitsbehörden zu geraten und in der Folge verfolgungsrelevanten Übergriffen in Vernehmungssituationen und in Haftanstalten ausgesetzt zu werden, die an seine Volkszugehörigkeit bzw. an seine politische Gesinnung und damit an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfen. Auch die Beklagte hat dies im gerichtlichen Verfahren nicht in Frage gestellt.
165cc) Ungeachtet des Umstands, dass die Beklagte Derartiges nicht geltend macht, bleibt der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass ein zum Widerruf i.S.d. § 73 AsylG führender Wegfall der Umstände auch nicht aufgrund des mehrjährigen Aufenthalts des Klägers insbesondere im Nordirak unter dem Gesichtspunkt anderweitiger Verfolgungssicherheit vorliegt. Zwar spricht Erhebliches dafür, dass der Kläger im Nordirak vor Verfolgung durch den türkischen Staat sicher war oder jedenfalls sicher gewesen wäre, wenn er sich von den Kampfplätzen fern gehalten hätte. Das hätte – hätte er sich vor der Entscheidung über seinen Asylantrag dort aufgehalten – der Asylgewährung nach § 27 AsylVfG (nunmehr: § 27 AsylG) entgegen gestanden und nach heutiger, für die Flüchtlingsanerkennung geltender Rechtslage gemäß § 29 AsylG dazu geführt, dass sein Antrag unbeachtlich wäre,
166vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127, juris Rn. 11 bis 16,
167zumal auch nichts darauf hindeutet, dass er von der PKK als abtrünniges Mitglied angesehen und deshalb Übergriffe zu befürchten hätte. Seinen eigenen Angaben zufolge war die PKK über seinen Ausreisewunsch informiert und hat ihm positiv gegenüber gestanden. Zum Widerruf der Asylanerkennung sowie des Flüchtlingsschutzes führt dieser nachträgliche Auslandsaufenthalt indessen nicht. Denn nach § 73 Abs. 1 AsylG kommt es auf die verfolgungsbegründenden Verhältnisse im Herkunftsstaat an. § 73 Abs. 1 AsylG setzt weiter voraus, dass der Ausländer es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Staates in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Das ist weiterhin die Türkei.
168§ 27 AsylG hindert zwar bei Vorliegen einer anderweitigen Sicherheit vor politischer Verfolgung in einem sonstigen Drittstaat die förmliche Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16a GG; nach § 29 AsylG ist der Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unbeachtlich. Die Vorschriften kommen aber dann nicht mehr zur Anwendung, sobald eine solche ausgesprochen wurde und nach wie vor wirksam ist. Selbst wenn nachträglich eine Rückführungsmöglichkeit in den sonstigen Drittstaat möglich würde, wofür hier nichts ersichtlich ist, wäre ein Widerruf im Übrigen unionsrechtlich unzulässig.
169Vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 73 Rn. 11.
170b) Die Voraussetzungen der Ausschlussgründe des § 3 Abs. 2 AsylG erfüllt der Kläger nicht.
171aa) Dabei geht der Senat auf der Grundlage der widerspruchsfreien und detaillierten Angaben des Klägers, die der Sachverständige Irmak in allen wesentlichen Punkten als plausibel bewertet hat und die auch von der im Verfahren eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes nicht in Frage gestellt werden, von folgendem Sachverhalt aus:
172Der bewaffnete Kampf der PKK gegen türkische Sicherheitskräfte wurde am 15. August 1984 aufgenommen und dauert seither – mit mehreren, zum Teil mehrjährigen Unterbrechungen, insbesondere von 1999 bis 2004 und zuletzt erneut bis zum Sommer 2015 – an. Der Kläger ist nach seinem früheren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht in die Türkei zurückgekehrt, sondern im Jahr 1994 nach Syrien gelangt, wo er sich zunächst für einige Zeit zum Zweck einer politischen Ausbildung – wie für einfache PKK-Mitglieder zu jener Zeit üblich - in einem Ausbildungslager der PKK in der Nähe von Damaskus aufgehalten hat. Eine praktische militärische Ausbildung fand in diesem Lager, wie der Sachverständige Irmak bestätigt hat, grundsätzlich nicht statt. Auch der Kläger hat lediglich eine mehrtägige Einführung erhalten. Zu einer Beteiligung an Kampfhandlungen kam es ausgehend von diesem Camp schon aus geographischen Gründen nicht, da dieses zu weit von der Grenzregion entfernt liegt. Im Jahr 1995 wurde der Kläger zur weiteren Ausbildung in das näher am eigentlichen Kampfgebiet im Zagros-Gebirge gelegene Lager Avasin verlegt. Im Grenzgebiet Iran-Irak-Türkei unterhielt die PKK zu jener Zeit sowohl feste Lager (Xakurke, Avasin und Zap) als auch mobile Einheiten, von denen Angriffe auf türkisches Gebiet ausgingen. Dabei geriet der Kläger erstmals in Kampfhandlungen, die allerdings konkret nicht von der PKK ausgingen. In den Jahren 1995 bis 1997 unternahm das türkische Militär dort mehrere großangelegte Operationen (insbesondere Ungeheuer, Stahl und Hammer) gegen die PKK-Lager im Nordirak, bei denen es weit in irakisches Gebiet eindrang und ca. 15.000 irakisch-kurdische Zivilisten vertrieb. Es gab viele Verletzte und Tote. Die vom Kläger namentlich benannte Operation „Ejder“ (abweichende Schreibweise: “Eyder“; Ungeheuer) hat ebenso wie die Operation „Stahl“ nach der Auskunft des Sachverständigen Irmak schon im Jahr 1995 stattgefunden,
173Irmak, Gutachten vom 26. Juni 2015, S. 19,
174nicht – wie der Kläger zunächst selbst angegeben hat – im Jahr 1996. Diese Ungenauigkeit, die der Kläger in der letzten mündlichen Verhandlung ausgeräumt hat, stellt allerdings die Glaubhaftigkeit seines Vorbringens nicht in Frage, da sie ohne weiteres durch den seither vergangenen Zeitraum erklärbar ist. Mit der Bezeichnung des Namens der Operation hat er diese jedenfalls eindeutig benannt. Bei dieser Operation ist der Kläger auf irakischem Gebiet im Wesentlichen als Wachposten eingesetzt und schon zu diesem frühen Zeitpunkt, d.h. ohne vorherige nennenswerte Kampfausbildung und schon deshalb ohne Gelegenheit, in der militärischen Struktur der PKK eine verantwortungsvolle, mit Entscheidungsbefugnissen verbundene Stellung zu erlangen, an den Augen, am linken Auge mit bleibenden Folgen, verletzt worden. In den Zeitraum dieser türkischen Militäroperationen fällt auch der einzige Vorfall, bei dem der Kläger aktiv in Kampfhandlungen verwickelt wurde; er hat eigenen Angaben zufolge – wie er in der mündlichen Verhandlung konkretisiert hat - mit einer Panzerfaust auf einen türkischen Panzer geschossen, der auf ihn bzw. die Kameraden der „Patrouille“ zielte. Dazu war er aufgrund seiner türkischen Militärausbildung grundsätzlich in der Lage; er hat den Panzer, bei dem es sich anscheinend um einen sog. Radpanzer gehandelt hat, zwar getroffen, aber nicht zerstört. Der Senat hält die diesbezügliche Schilderung des Klägers für glaubhaft. Danach hat er nur die Reifen getroffen; zu einem Zeitpunkt, als ihm die asylrechtlichen Folgen eigener Kampfhandlungen noch kaum bekannt gewesen sein können, so dass ein verfahrensangepasstes Vorbringen höchst unwahrscheinlich wäre, hat der Kläger anschaulich bekundet, dass er selbst überrascht gewesen sei, wie wenig Schaden an dem Panzer entstanden sei. Dafür, dass an dem Panzer nur geringer Schaden entstanden ist, spricht auch seine Einschätzung, dass der Panzer danach noch fahrtüchtig gewesen sein dürfte. Anhaltspunkte für einen Personenschaden sind danach nicht erkennbar. Die Augenverletzung, die der Kläger kurz darauf selbst erlitten hat und die mit den beschränkten zur Verfügung stehenden Mitteln trotz mehrerer Versuche an verschiedenen Orten im Irak und im Iran nicht erfolgreich behandelt werden konnte, hat hingegen dazu geführt, dass er als Kämpfer nicht mehr tauglich war. In der Folgezeit, bis 1999, hat sich der Kläger im Lager Avasin aufgehalten. Dieses Lager bestand von 1995 bis 1999 als Kommandozentrale, Krankenhaus und Zentrum für Logistik (Waffen, Munition, Ausrüstung, Nahrungsmittel).
175Vgl. Irmak, Gutachten vom 26. Juni 2015, Seite 25.
176Dort war der Kläger nach seinen eigenen, glaubhaften Angaben in der Lagerverwaltung tätig, aber nur mit der Beschaffung von Gegenständen des täglichen, aber nicht militärischen Bedarfs befasst, insbesondere nicht mit Waffen. Es ging, wie er in der mündlichen Verhandlung verdeutlicht hat, darum, ihm trotz seiner teilweisen Erblindung und dadurch bedingten Kampfuntauglichkeit überhaupt eine sinnvolle Beschäftigung zu gegeben. Im Jahr 1999 verkündete die PKK auf Beschluss ihres festgenommenen Vorsitzenden Öcalan einen Waffenstillstand, der in den Folgejahren auch im Wesentlichen eingehalten wurde. Während dieser Zeit verblieb der Kläger längere Zeit im Kandilgebiet in einem Lager im Iran, das nach den vorliegenden Erkenntnissen wiederum ein außerhalb des Grenzgebiets gelegenes Ausbildungs- und Versorgungslager war, von dem keine Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder Sicherheitskräfte ihren Ausgang nahmen. Es bestand von 1999 bis 2004, als es auf Druck des iranischen Militärs geräumt wurde.
177Vgl. Irmak, Gutachten vom 26. Juni 2015, Seite 25.
178Der Kläger war nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung einer „Zollstelle“ zugeteilt, bei der er aber keine Führungsaufgabe innehatte und an der es, da die diese Kontrollstelle passierenden (Schwarz-) Händler ihre „Spenden“ freiwillig abgaben, nicht zu Gewaltanwendung kam. Nach einem weiteren Zwischenaufenthalt in der Nähe von Süleymaniya (Irak), wo er im Parteibüro der mit der PKK verbundenen PCDK politisch tätig war, indem er die kurdische Bevölkerung im Nordirak („Süd-Kurdistan“) über die Situation in den Kurdengebieten im Südosten der Türkei („Nord-Kurdistan“) informierte, wechselte er – nach weiteren vergeblichen Bemühungen um eine Heilung des verletzten Auges - bis zu seiner Ausreise 2006 in das Lager Maxmur, ein Flüchtlingscamp in der Nähe von Mossul (Irak), das seit 1998 unter Verwaltung des UNHCR steht. Von dort aus wurden ebenfalls keine militärischen Operationen verübt.
179Mit höherrangigen militärischen oder politischen Führungsaufgaben wurde der Kläger zur Überzeugung des Senats zu keiner Zeit betraut. Weder hat er selbst Derartiges vorgetragen, noch haben die Auskunftsersuchen an den Sachverständigen Irmak und das Auswärtige Amt Anhaltspunkte dafür ergeben. Der Sachverständige J. (Gutachten vom 26. Juni 2015, Seite 2) hat im Gegenteil sogar nach Befragung von hochrangigen Kontaktpersonen (Kader und Kommandanten) aus der PKK ausführt, dass der Kläger diesen Personen, wenn er eine Führungsposition erlangt hätte, unter seinem bürgerlichen oder unter seinem Decknamen in Erinnerung geblieben sein müsste, was aber nicht der Fall sei.
180bb) Die Beklagte hat den Widerruf zu Recht nicht auf § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG gestützt. Dessen Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger hat sich ersichtlich keine Verbrechen im Sinne dieser Vorschrift, insbesondere keine Kriegsverbrechen im Sinne des IStGH-Statuts, zuschulden kommen lassen.
181Dabei kann offen bleiben, ob die seinerzeit im Nordirak ausgetragenen Kampfhandlungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat als internationaler Konflikt zwischen der Türkei und ihrem Nachbarstaat oder als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne der hier maßgeblichen völkervertraglichen Regelungen zu werten sind.
182Vgl. Letzteres und damit auch den Kombattantenstatus der PKK für bewaffnete Aktionen gegen militärische, paramilitärische oder polizeiliche Einrichtungen auf türkischem Staatsgebiet verneinend: BGH, Beschluss vom 6. Mai 2014 – 3 StR 265/13 -, NStZ-RR 2014, 274, juris Rn. 13 ff.
183Unabhängig davon greift dieser Ausschlussgrund jedenfalls deshalb nicht ein, weil nichts dafür spricht, dass der Kläger Verbrechen, die nach ihrem Gewicht und ihrer Zielrichtung den Tatbestand der in Betracht kommenden Regelungen erfüllen, also selbst im Falle eines bewaffneten Konflikts nach Maßgabe des Kriegsvölkerrechts als Verstoß gegen das „ius in bello“ zu werten wären, begangen, zu ihnen angestiftet oder sich in sonstiger Weise daran beteiligt hat. Anhaltspunkte für eine dem Kläger zuzurechnende Gewaltanwendung gegen Zivilisten oder Kämpfer der gegnerischen Partei, die gegen Vorschriften zum Schutz des Kombattanten verstoßen, sind nicht ersichtlich. Jedenfalls fehlt es den vom Kläger erbrachten Unterstützungshandlungen an hinreichendem Gewicht. Auf die nachfolgenden Ausführungen zu dem vom Bundesamt angeführten Ausschlussgrund nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG, die insoweit entsprechend gelten, wird Bezug genommen.
184cc) Der Ausschlussgrund des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG liegt nicht vor.
185Diese Vorschrift kann nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich auch in einem innerstaatlichen bewaffneten Konflikt Anwendung finden, soweit kein Wertungswiderspruch vorliegt.
186Zudem ist davon auszugehen, dass die PKK während der Zugehörigkeit des Klägers terroristische Handlungen, insbesondere auch Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung im Südosten der Türkei begangen hat.
187Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. September 2012 – 10 C 13.11 -, BVerwGE 144, 127, juris Rn. 29 m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 2013 – 8 A 5118/05.A -, juris Rn. 144 ff., m.w.N., nachgehend: BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2013 – 10 B 19.13 -, Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 3 VwGO Nr 67.
188Diese Einschätzung beruht nicht allein auf Verdachtsmomenten, die vornehmlich von den türkischen Sicherheitskräften geäußert worden sind, sondern beruht hinsichtlich einer nicht unerheblichen Zahl von Vorfällen auch darauf, dass die PKK sich selbst zu Attentaten, wie etwa Angriffen auf Zivilisten, Zünden von Autobomben, Angriffe auf Überläufer bzw. Abtrünnige bekannt hat.
189Vgl. dazu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 2. Juli 2013 – 8 A 5118/05.A -, juris Rn. 144 bis 225, m.w.N.; sowie die Auflistung in den Gutachten des Sachverständigen J. vom 25. Januar 2013 und vom 26. Juni 2015, insbesondere Seiten 6 bis 16.
190Es bestehen aber keine schwerwiegenden Gründe für die Annahme, dass der Kläger für Vorfälle, die vom Tatbestand des Ausschlussgrundes erfasst werden, im Sinne der oben dargelegten Maßstäbe individuell verantwortlich gewesen ist.
191(1) In der Zeit vor seiner ersten Ausreise nach Deutschland, also in den Jahren von 1986 bis 1993, war er lediglich als Milizionär tätig. Er war also seinerzeit nicht Angehöriger der PKK-Guerilla, sondern hat – wie ungezählte andere Kurden in Südostanatolien auch – den Kämpfern Unterstützung gewährt durch Zurverfügungstellung von Lebensmitteln und Kleidung sowie durch Überbringen von Nachrichten. Er hat in jener Zeit ausschließlich untergeordnete Hilfstätigkeiten ausgeführt, ohne in die Organisation eingebunden zu sein. Das hat das Bundesamt in dem Bescheid vom 27. Mai 1993 zu Recht als Unterstützung „mit friedlichen Mitteln“ gewertet.
192(2) Auch hinsichtlich der Zeit, in der der Kläger Mitglied der PKK war, haben sich keine belastbaren Belege für die Annahme ergeben, dass er an Gewalttaten beteiligt gewesen ist oder diese in zurechenbarer Weise unterstützt hat. Er hat sich nach den oben dargelegten Feststellungen zum Sachverhalt nur relativ kurze Zeit, nämlich im Jahr 1995, im Kampfgebiet im Zagros-Gebirge aufgehalten, von dem aus die PKK nach der Auskunft des Sachverständigen J. vom 26. Juni 2015, Seite 22 f., sämtliche Aktionen im Grenzbereich unternommen hat. Vorher war er weit entfernt vom Kampfgebiet in einem reinen Ausbildungslager; später war der Kläger aufgrund seiner schwerwiegenden Augenverletzung nicht in der Lage, an Kampfeinsätzen aktiv teilzunehmen. Von 1999 bis 2004 hielt der von Öcalan angeordnete Waffenstillstand jedenfalls so weitgehend, dass eine individuelle Beteiligung des Klägers an einzelnen Übergriffen oder Attentaten in Ermangelung jedweder Anhaltspunkte nicht ernstlich in Betracht zu ziehen ist, zumal er sich überwiegend weit entfernt von den Gebieten aufhielt, in denen es zu bewaffneten Auseinandersetzungen kam. Sein Hauptanliegen war es – wie auch in der mündlichen Verhandlung nochmals deutlich wurde – medizinische Hilfe zur Bekämpfung seiner Schmerzen und vollständigen Wiedererlangung des Augenlichts zu bekommen. Bei dieser Sachlage spricht – ungeachtet der Frage, ob dem Kläger im Rahmen der ihm zuteil gewordenen politischen Ausbildung durch die PKK und der sicherlich beschränkten Möglichkeiten, im Nordirak an objektive Informationen zu gelangen, von terroristischen Aktionen der PKK tatsächlich nichts gewusst hat – jedenfalls nichts dafür, dass er derartige Taten von den Lagern außerhalb der Türkei aus unterstützt haben könnte. Er lehnt terroristische Taten wie Anschläge in Metropolen sogar ausdrücklich ab. Zuletzt hielt sich der Kläger in einem unter Verwaltung des UNHCR stehenden Flüchtlingslager auf.
193Es bestehen – wie ausgeführt - bereits keine ernsthaften Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger bei seinem kurzen, eigentlich noch Ausbildungszwecken dienenden Aufenthalt im Kampfgebiet Soldaten, geschweige denn Zivilisten verletzt hat. Denn er hat nach eigenen, glaubhaften Angaben vor seiner eigenen Verletzung lediglich auf einen türkischen (Rad-) Panzer geschossen, ohne diesen aber zu zerstören. Ein schweres nichtpolitisches Verbrechen im Sinne der Ausschlussvorschrift kann darin nicht gesehen werden. Die - aus Sicht der Kurden – im Zusammenhang mit dem Freiheitskampf und damit einem politischen Ziel stehende Tat war, selbst wenn der Kläger die Verletzung der Panzerbesatzung in Kauf genommen haben sollte, weder grausam noch gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Der Einsatz einer Panzerfaust auf vergleichsweise kurze Distanz gegen einen Panzer in einem wegen der laufenden Militäroperation ohnehin von Zivilisten verlassenen Gebiet stellt in dieser konkreten Situation auch kein gemeingefährliches Mittel dar.
194Im Übrigen handelte es sich nach den Gesamtumständen - eine militärische Aktion der Türkei mit Panzern und Flugzeugen außerhalb ihres Staatsgebiets zur Zerstörung von PKK-Lagern bzw. zur Tötung der dortigen PKK-Angehörigen, bei der sich der Kläger konkret einem Angriff ausgesetzt sah - um eine Selbstverteidigungsmaßnahme. Zumindest aber durfte der Kläger sie ohne schuldhaften Irrtum als eine solche einschätzen. Auch insoweit kommt es letztlich nicht darauf an, wie der Konflikt zwischen der Türkei und der PKK völkerrechtlich einzuordnen ist. Der Umstand, dass es – auch – im Grenzgebiet Iran-Irak-Türkei seinerzeit keine Gebiete gab, die fest unter PKK-Kontrolle standen,
195vgl. J. , Gutachten vom 26. Juni 2015, Seite 18,
196mag gegen die Annahme sprechen, dass es sich um einen Konflikt im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG handelte. Unterstellt man gleichwohl, dass es sich um einen solchen bewaffneten Konflikt handelte, auf den § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG Anwendung finden könnte, wäre der Schuss auf einen gegnerischen Panzer jedenfalls kein Kriegsverbrechen. Handelte es sich allerdings nicht um einen internationalen Konflikt bzw. internen bewaffneten Konflikt, folgt daraus kein gegenteiliges Ergebnis. Dann hat keine der Konfliktparteien das von § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylG vorausgesetzte, im Völkerrecht anerkannte Recht, die gegnerische Partei zu schädigen, insbesondere auch nicht das Recht zur Tötung von militärischen Gegnern (sog. Kombattantenprivileg, vgl. Art. 43 i.V.m. Art. 1 Abs. 4 des Zusatzprotokolls zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler Konflikte vom 8. Juni 1977, BGBl. 1990 II, S. 1551). Es ist darüber hinaus auch kein Recht der Türkei zur Durchführung dieser Operationen und zur Tötung von tatsächlichen oder vermeintlichen PKK-Angehörigen ersichtlich. Denn der Vorfall hat sich jedenfalls nicht auf dem türkischem Staatsgebiet zugetragen, sondern im Zuge einer großangelegten Militäroperation, bei der das türkische Militär mit Panzern und Flugzeugen – außerhalb des türkischen Staatsgebiets - weit in das Territorium des Irak vorgerückt ist, ohne sich in einem bewaffneten (internationalen) Konflikt mit dem Irak zu befinden, dessen territoriale Hoheit über das Gebiet von niemandem, auch nicht von den (irakischen) Kurden, in Frage gestellt wurde. Die Operationen waren seinerzeit möglich, weil der irakische Staat, damals noch unter der Führung von Saddam Hussein, seit dem Irak-Krieg und der Einrichtung der dem Schutz der kurdischen Bevölkerung dienenden nördlichen Flugverbotszone im Jahr 1991 faktisch keinen Einfluss auf die Militäroperationen der Türkei nehmen konnte und die USA, die diese Flugverbotszone kontrollierten, die Türkei nicht daran hinderten. Ein Recht der Türkei, ihrerseits – beispielsweise in Ausübung des Kombattantenprivilegs – PKK-Angehörige im Irak festzunehmen und zu töten, ist bei dieser Sachlage indessen nicht ersichtlich, so dass sich die Beschädigung eines Panzers, der auf den Kläger und die Angehörigen des Spähtrupps, dem er zugeteilt war, mit zielgerichtet eingestellter Waffe zuhielt, nicht als schweres Verbrechen, sondern als Notwehrhandlung darstellte. Keinesfalls lässt sich dieses Geschehen, das sich zur Überzeugung des Gerichts so wie vom Kläger anschaulich geschildert zugetragen hat, als terroristischer Akt einordnen.
197Anhaltspunkte für die Annahme, dass der Kläger bei seiner Tätigkeit im Lager Avasin oder bei der PCDK in Süleymaniya an terroristischen Handlungen selbst mitgewirkt, andere zu ihnen angestiftet oder sonstwie in nach den oben genannten Maßstäben den Ausschlussgrund erfüllender Weise beigetragen hat, sind im vorliegenden Verfahren nicht zutage getreten. Militärische, politische oder logistische Aufgaben, die mit relevanten Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnissen verbunden gewesen wären, hat er zur Überzeugung des Senats nicht wahrgenommen. Insbesondere hat er auch keine neuen Kämpfer angeworben. Auf die nachfolgenden Ausführungen wird im Übrigen ergänzend verwiesen.
198Eine andere Beurteilung folgt letztlich auch nicht daraus, dass der Kläger, wäre er nicht frühzeitig verletzt worden, allem Anschein nach zumindest damals noch zu weiter gehenden Kampfeinsätzen bereit gewesen wäre. Denn der Tatbestand des Ausschlussgrundes knüpft nicht an eine etwaige Gesinnung, sondern lediglich an konkrete Taten an. Die bloße Bekundung einer diesbezüglichen Bereitschaft erreicht nicht das Gewicht der von dem Ausschlussgrund erfassten Handlungen.
199(3) Dem Kläger kann eine individuelle Verantwortung für von der PKK möglicherweise in dem Zeitraum seiner Zugehörigkeit begangene Taten nicht aufgrund einer tatsächlichen Vermutung im Sinne der oben dargelegten Maßstäbe zugerechnet werden.
200Eine solche Vermutung individueller Verantwortung kann hier nicht aus der Position des Klägers innerhalb der PKK abgeleitet werden. Denn er hatte zu keiner Zeit die dafür notwendige hervorgehobene Position inne. Der Kläger hat zur Überzeugung des Senats während der Zeit seiner Zugehörigkeit zur PKK nur untergeordnete Dienste geleistet. Aufgaben, die mit relevanten Entscheidungsbefugnissen verbunden gewesen wären, hat er, wie ausgeführt, zu keiner Zeit wahrgenommen. Bei seiner Tätigkeit im Lager Avasin war er mit logistischen Aufgaben befasst. Zwar können auch derartige Aufgaben operative Bedeutung für hier relevante Gewalttaten haben und ein gewisses Vertrauen in die Zuverlässigkeit des Betreffenden erfordern; es fehlt aber an Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger insoweit konkret-funktionell mit mehr als untergeordneten Aufgaben befasst war. Er war eigenen Angaben zufolge lediglich mit der Lagerung von Kleidung und Lebensmitteln, also insbesondere nicht von Waffen befasst, und hatte über das Abfassen von Bestelllisten für Lebensmittel und andere Gegenstände des täglichen Bedarfs zur Weitergabe an örtliche Bauern hinaus keine Entscheidungsbefugnisse. Die Zuweisung dieser Aufgaben beruhte ersichtlich auf dem Bemühen der Organisation, dem Kläger, der unter seiner Augenverletzung litt und für eigentliche Guerilla-Einsätze nicht mehr tauglich war, eine nützliche Beschäftigung zuzuweisen. In eine hervorgehobene Position ist er damit aber ersichtlich nicht gelangt. Gegen eine besonders verantwortungsvolle Stellung im Lager spricht zudem, dass er auch in den vielen Jahren, die danach bis zu seiner erneuten Ausreise nach Deutschland vergangen sind, nach den im vorliegenden Verfahren gewonnenen Erkenntnissen nicht mit höherrangigen Leitungsfunktionen betraut worden ist. Zu weiteren Ermittlungen besteht bei dieser Erkenntnislage kein Anlass, zumal weitere Ermittlungsansätze auch nicht ersichtlich sind.
201(4) Eine individuelle Verantwortung kann hier auch nicht aufgrund der langjährigen Zugehörigkeit des Klägers zur Guerilla vermutet werden. Nach den oben dargelegten Grundsätzen begründet allein die Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation für sich genommen keinen Ausschlussgrund. Dabei schließt der Senat nicht aus, dass eine besonders lange Zugehörigkeit zu einer Organisation, die – wie die PKK – in dem betroffenen Zeitraum grenzüberschreitende bewaffnete Aktionen unternommen hat und terroristische Aktionen in verschiedenen Landesteilen zu verantworten hat, grundsätzlich geeignet sein kann, eine Vermutung individueller Verantwortung des Organisationsmitglieds zu begründen, weil eine langjährige Zugehörigkeit zumeist auch mit eigenen qualifizierten Tatbeiträgen und Unterstützungshandlungen verbunden sein wird. Das dürfte jedenfalls dann gelten, wenn sich der Betreffende in einer Region aufgehalten hat, in der es tatsächlich zu terroristischen Übergriffen insbesondere gegen die Zivilbevölkerung gekommen ist. Eine solche Vermutung wäre aber hier durch die – sicherlich als außergewöhnlich anzusehenden - Einzelfallumstände widerlegt. Der Kläger hat sich nach seinen Angaben, die – ohne stereotyp und auswendig gelernt zu wirken – in diesem wesentlichen Punkt stets gleichbleibend und in sich stimmig waren, während der gesamten Zeit nicht auf türkischem Gebiet aufgehalten, wo terroristische, insbesondere auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehende Gewaltakte aus Sicht der PKK sinnvoll gewesen sein mögen. Vor allem aber ist der Kläger schon wenige Monate nach seiner Verlegung von dem Ausbildungslager bei Damaskus in die Nähe der Kampfgebiete verletzt worden, bevor seine Ausbildung zum Kämpfer abgeschlossen war, insbesondere bevor er auch eine militärtaktische Ausbildung erhalten hatte. Die Operation Ejder fand nach dem im vorliegenden Verfahren eingeholten Gutachten bereits im Juli 1995 statt. In der Folgezeit wurde der schwer verletzte, in seiner Sehfähigkeit eingeschränkte Kläger zunächst – letztlich mit nur beschränktem Erfolg – medizinisch behandelt und, da er sich allem Anschein nach auch nicht für höhere bzw. sogar Funktionärstätigkeiten empfohlen hat, nur mit „durchgezogen“, weil es eben nicht dem Selbstverständnis der PKK entspricht, verletzte Kämpfer ohne Unterstützung zurückzulassen. Dies erklärt, dass die PKK nach seinen glaubhaften Angaben, die auch mit denen seiner Ehefrau in deren Verfahren übereinstimmen, die Ausreise des Ehepaars nach Deutschland nicht als Ausdruck einer etwaigen Abtrünnigkeit sanktioniert hat. Die Organisation war in die Ausreiseplanungen eingebunden und mit der Ausreise einverstanden.
202dd) Die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes nach § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 liegen ebenfalls nicht vor.
203Dieser Ausschlussgrund setzt die Feststellung voraus, dass die PKK im Zeitraum der Zugehörigkeit des Klägers grenzüberschreitende, eine internationale Dimension aufweisende terroristische Handlungen begangen hat und dass sich dessen unterstützende Tätigkeit i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 2 in Handlungen i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 niedergeschlagen hat.
204Ausgehend von dem oben dargelegten Sachverhalt fehlt es auch insoweit an schwerwiegenden Gründen, die die Annahme einer individuellen Verantwortung des Klägers rechtfertigen. Zwar knüpft die zur Annahme dieses Ausschlussgrundes führende individuelle Verantwortung bei Nr. 3 nicht an eine Zurechnung nach strafrechtlichen Kriterien an; rein logistische Unterstützungshandlungen von hinreichendem Gewicht können reichen. Indes deutet zum Einen angesichts des Gesundheitszustands des Klägers und des Fehlens einer verantwortungsvollen Position innerhalb der jeweiligen Einheit bzw. des Lagers, in dem er sich aufhielt, nichts darauf hin, dass er eigene Tatbeiträge oder relevante logistische Unterstützung erbracht hätte, geschweige denn Entscheidungsbefugnisse gehabt haben könnte. Das gilt auch für seine Zeit bei der PCDK. Zum Anderen hat er sich nicht an Kampfplätzen aufgehalten, von denen aus die PKK grenzüberschreitende Aktionen unternommen hat, die den für § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylG erforderlichen internationalen Bezug aufweisen.
205Der Vollständigkeit halber bleibt festzuhalten, dass der Kläger auch nach seiner erneuten Einreise nach Deutschland nach den vorliegenden Erkenntnissen keine Aktivitäten zugunsten der PKK, ihren Nachfolge- oder Nebenorganisationen entfaltet hat, die als Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gewertet werden könnten.
206Zu Art. 24 RL 2004/83/EG vgl. EuGH, Urteil vom 24. Juni 2015 – Rs. C-373/13 -, InfAuslR 2015, 357.
207Hinweise, die Anlass zu diesbezüglichen weiteren Nachforschungen geben könnten, haben sich weder bei seiner Befragung in den mündlichen Verhandlungen noch aus der beigezogenen Ausländerpersonalakte ergeben.
208Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 83b AsylG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
209Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).
Gründe
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I
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Der Antragsteller, ein in Deutschland geborener und aufgewachsener 21-jähriger türkischer Staatsangehöriger, begehrt einstweiligen Rechtsschutz im Hinblick auf die Anordnung seiner Abschiebung in die Türkei.
- 2
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Mit Verfügung vom 27. Juni 2017 ordnete das Ministerium für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen - gestützt auf § 58a AufenthG - die Abschiebung des Antragstellers in die Türkei an. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Antragsteller enge Kontakte in radikal-islamistische Kreise pflege, mit der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat (IS)" sympathisiere und gewillt sei, die Ziele des "IS" auch aktiv durch Gewaltakte zu unterstützen. Daraus ergebe sich die auf Tatsachen gestützte Prognose, dass vom Antragsteller die Gefahr ausgehe, für sein Vorbild "Islamischer Staat" Anschläge gegen "staatliche Funktionen" oder gegen Unbeteiligte in Deutschland zu verüben. Gegen ihn wurde im März 2017 ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß § 89a und § 89b StGB eingeleitet und am 28. März 2017 durch das Amtsgericht Dortmund Untersuchungshaft gegen ihn angeordnet. Am 20. Juli 2017 hat die Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht Düsseldorf erhoben (601 Js 34/17). Am 13. Juli 2017 hat das Amtsgericht Dortmund zudem Sicherungshaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet (810 XIV(B) 57/17).
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Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2017 hat der Antragsteller beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen die Abschiebungsanordnung erhoben und am 1. August 2017 einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO gestellt und diesen Antrag mit Schriftsatz vom 18. September 2017 näher begründet. Er hält die Verfügung für rechtswidrig. Der Antragsteller sei vor Erlass der Verfügung nicht hinreichend angehört worden. Vom Antragsteller gehe keine terroristische Gefahr aus. Die ihm vorgeworfenen Äußerungen ergäben sich nicht aus Chat-Protokollen und seinen eigenen Angaben gegenüber der Haftrichterin. Die Antragsgegnerin stütze sich vielmehr auf die Angaben der Polizeibeamten der Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz (KIST) beim Polizeipräsidium B., die möglicherweise von der Vorbereitung der Abschiebungsanordnung gewusst und daher die Sätze geliefert hätten, die hierfür erforderlich seien, nämlich das Bekenntnis zum "IS" und "in Deutschland etwas machen" zu wollen. Da diese Äußerungen nicht durch andere Quellen belegt werden könnten, begegneten sie erheblichen Zweifeln. Der Senat könne die Glaubwürdigkeit der Beamten nicht ohne deren Anhörung einschätzen. Was die vorgeworfene Planung einer Weiterreise nach Syrien betrifft, belegten die Chat-Protokolle das Gegenteil. Die vermeintliche Bedrohung jesidischer Bürger habe der Antragsteller stets bestritten und bestreite sie weiterhin. Im Übrigen stünden einer Abschiebung in die Türkei die dortigen Haftbedingungen entgegen. Der Antragsteller müsse damit rechnen, dort in Haft genommen zu werden. Das OLG Celle habe in einem Beschluss vom 2. Juni 2017 die Auslieferung einer Person zum Zweck der Strafverfolgung wegen der dortigen Verhältnisse in den Gefängnissen abgelehnt.
- 4
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Der Senat hat eine Liste mit Erkenntnismitteln über die abschiebungsrelevante Lage in der Türkei erstellt und ergänzend eine Auskunft des Auswärtigen Amtes (AA) und von Amnesty International (AI) eingeholt. Die in der Liste aufgeführten Erkenntnismittel und die auf die Anfrage des Senats eingegangene Auskunft des AA vom 5. September 2017 und von AI vom 29. August 2017 wurden den Beteiligten zur Kenntnis gebracht.
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II
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Der Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Abschiebungsanordnung des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen vom 27. Juni 2017 anzuordnen, ist zulässig (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO), auch ist das Bundesverwaltungsgericht als Gericht der Hauptsache zuständig (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO).
- 6
-
Der Antrag ist aber unbegründet. Bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Interesse des Antragstellers, bis zum Abschluss des Klageverfahrens in Deutschland zu bleiben, und dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Aufenthaltsbeendigung überwiegt das öffentliche Interesse. An der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Abschiebungsanordnung bestehen keine ernstlichen Zweifel (1.). Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote, die einer Abschiebung des Antragstellers in die Türkei entgegenstehen könnten, liegen nicht vor.
- 7
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1. Die Abschiebungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 58a Abs. 1 AufenthG. Danach kann die oberste Landesbehörde gegen einen Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung eine Abschiebungsanordnung erlassen. Diese Regelung ist formell und materiell verfassungsgemäß (vgl. BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - juris und vom 26. Juli 2017 - 2 BvR 1606/17 - juris).
- 8
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a) Die angegriffene Abschiebungsanordnung ist bei der hier gebotenen umfassenden Prüfung (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 13) nicht zu beanstanden.
- 9
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Die Verfügung begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. Es kann offen bleiben, ob hier von einer Anhörung abgesehen werden konnte, weil eine sofortige Entscheidung zumindest im öffentlichen Interesse notwendig war (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 VwVfG NRW). Denn der Antragsteller ist am 2. Juni 2017 in der Justizvollzugsanstalt D. zu der beabsichtigten Abschiebungsanordnung gemäß § 28 VwVfG NRW durch den Mitarbeiter N. der Zentralen Ausländerbehörde D. in der Justizvollzugsanstalt angehört worden. Der Ausländerbehörde war zuvor der Entwurf der Abschiebungsanordnung übermittelt worden. Im Rahmen der Anhörung erklärte der Antragsteller, er sei mit einer Abschiebung in die Türkei nicht einverstanden. Er gab an, dass "alles zwar schön geschrieben sei und er diesen Worten nicht widersprechen könne", seine Meinung jedoch feststehe. Dann verließ er die Anhörung.
- 10
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b) Die Verfügung ist auch materiell nicht zu beanstanden. Die Abschiebungsanordnung ist gegenüber der Ausweisung nach §§ 53 ff. AufenthG eine selbstständige ausländerrechtliche Maßnahme der Gefahrenabwehr. Sie zielt auf die Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und/oder einer terroristischen Gefahr.
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aa) Der Begriff der "Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" ist - wie die wortgleiche Formulierung in § 54 Abs. 1 Nr. 2 und § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG - nach der Rechtsprechung des Senats enger zu verstehen als der Begriff der öffentlichen Sicherheit im Sinne des allgemeinem Polizeirechts. Die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umfasst die innere und äußere Sicherheit und schützt nach innen den Bestand und die Funktionstüchtigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Das schließt den Schutz vor Einwirkungen durch Gewalt und Drohungen mit Gewalt auf die Wahrnehmung staatlicher Funktionen ein (BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <120> = juris Rn. 17). In diesem Sinne richten sich auch Gewaltanschläge gegen Unbeteiligte zum Zwecke der Verbreitung allgemeiner Unsicherheit gegen die innere Sicherheit des Staates (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 15 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 17).
- 12
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Der Begriff der "terroristischen Gefahr" knüpft an die neuartigen Bedrohungen an, die sich nach dem 11. September 2001 herausgebildet haben. Diese sind in ihrem Aktionsradius nicht territorial begrenzt und gefährden die Sicherheitsinteressen auch anderer Staaten. Im Aufenthaltsgesetz findet sich zwar keine Definition, was unter Terrorismus zu verstehen ist, die aufenthaltsrechtlichen Vorschriften zur Bekämpfung des Terrorismus setzen aber einen der Rechtsanwendung fähigen Begriff des Terrorismus voraus. Auch wenn bisher die Versuche, auf völkerrechtlicher Ebene eine allgemein anerkannte vertragliche Definition des Terrorismus zu entwickeln, nicht in vollem Umfang erfolgreich gewesen sind, ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts doch im Grundsatz geklärt, unter welchen Voraussetzungen die - völkerrechtlich geächtete - Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln anzunehmen ist. Wesentliche Kriterien können insbesondere aus der Definition terroristischer Straftaten in Art. 2 Abs. 1 Buchst. b des Internationalen Übereinkommens zur Bekämpfung der Finanzierung des Terrorismus vom 9. Dezember 1999 (BGBl. 2003 II S. 1923), aus der Definition terroristischer Straftaten auf der Ebene der Europäischen Gemeinschaft im Beschluss des Rates Nr. 2002/475/JI vom 13. Juni 2002 (ABl. L 164 S. 3) sowie dem Gemeinsamen Standpunkt des Rates Nr. 2001/931/GASP über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Dezember 2001 (ABl. L 344 S. 93) gewonnen werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 2005 - 1 C 26.03 - BVerwGE 123, 114 <129 f.>). Trotz einer gewissen definitorischen Unschärfe des Terrorismusbegriffs liegt nach der Rechtsprechung des Senats eine völkerrechtlich geächtete Verfolgung politischer Ziele mit terroristischen Mitteln jedenfalls dann vor, wenn politische Ziele unter Einsatz gemeingefährlicher Waffen oder durch Angriffe auf das Leben Unbeteiligter verfolgt werden (BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2011 - 1 C 13.10 - BVerwGE 141, 100 Rn. 19 m.w.N.). Entsprechendes gilt bei der Verfolgung ideologischer Ziele. Eine terroristische Gefahr kann nicht nur von Organisationen, sondern auch von Einzelpersonen ausgehen, die nicht als Mitglieder oder Unterstützer in eine terroristische Organisation eingebunden sind oder in einer entsprechenden Beziehung zu einer solchen stehen. Erfasst sind grundsätzlich auch Zwischenstufen lose verkoppelter Netzwerke, (virtueller oder realer) Kommunikationszusammenhänge oder "Szeneeinbindungen", die auf die Realitätswahrnehmung einwirken und die Bereitschaft im Einzelfall zu wecken oder zu fördern geeignet sind (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 16 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 18).
- 13
-
Das Erfordernis einer "besonderen" Gefahr bei der ersten Alternative bezieht sich allein auf das Gewicht und die Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie das Gewicht der befürchteten Tathandlungen des Betroffenen, nicht auf die zeitliche Eintrittswahrscheinlichkeit. In diesem Sinne muss die besondere Gefahr für die innere Sicherheit aufgrund der gleichen Eingriffsvoraussetzungen eine mit der terroristischen Gefahr vergleichbare Gefahrendimension erreichen. Dafür spricht auch die Regelung in § 11 Abs. 5 AufenthG, die die Abschiebungsanordnung in eine Reihe mit Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit stellt. Geht es um die Verhinderung schwerster Straftaten, durch die im "politischen/ideologischen Kampf" die Bevölkerung in Deutschland verunsichert und/oder staatliche Organe der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmten Handlungen genötigt werden sollen, ist regelmäßig von einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und jedenfalls von einer terroristischen Gefahr auszugehen. Da es um die Verhinderung derartiger Straftaten geht, ist nicht erforderlich, dass mit deren Vorbereitung oder Ausführung in einer Weise begonnen wurde, die einen Straftatbestand erfüllt und etwa bereits zur Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen geführt hat (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 17 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 19).
- 14
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Die für § 58a AufenthG erforderliche besondere Gefahrenlage muss sich aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ergeben. Aus Sinn und Zweck der Regelung ergibt sich, dass die Bedrohungssituation unmittelbar vom Ausländer ausgehen muss, in dessen Freiheitsrechte sie eingreift. Ungeachtet ihrer tatbestandlichen Verselbstständigung ähnelt die Abschiebungsanordnung in ihren Wirkungen einer für sofort vollziehbar erklärten Ausweisung nebst Abschiebungsandrohung. Zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung ist sie aber mit Verkürzungen im Verfahren und beim Rechtsschutz verbunden. Insbesondere ist die Abschiebungsanordnung kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 AufenthG). Da es keiner Abschiebungsandrohung bedarf (§ 58a Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 AufenthG), erübrigt sich auch die Bestimmung einer Frist zur freiwilligen Ausreise. Zuständig sind nicht die Ausländerbehörden, sondern grundsätzlich die obersten Landesbehörden (§ 58a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AufenthG). Die Zuständigkeit für den Erlass einer Abschiebungsanordnung begründet nach § 58a Abs. 3 Satz 3 AufenthG zugleich eine eigene Zuständigkeit für die Prüfung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG ohne Bindung an hierzu getroffene Feststellungen aus anderen Verfahren. Die gerichtliche Kontrolle einer Abschiebungsanordnung und ihrer Vollziehung unterliegt in erster und letzter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (§ 50 Abs. 1 Nr. 3 VwGO), ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes muss innerhalb einer Frist von sieben Tagen gestellt werden (§ 58a Abs. 4 Satz 2 AufenthG). Die mit dieser Ausgestaltung des Verfahrens verbundenen Abweichungen gegenüber einer Ausweisung lassen sich nur mit einer direkt vom Ausländer ausgehenden terroristischen und/oder dem gleichzustellenden Bedrohungssituation für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland rechtfertigen (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 18 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 20).
- 15
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Die vom Ausländer ausgehende Bedrohung muss aber nicht bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des polizeilichen Gefahrenabwehrrechts überschreiten, bei der bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Verletzung des geschützten Rechtsguts zu erwarten ist. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut der Vorschrift, die zur Abwehr einer besonderen Gefahr lediglich eine auf Tatsachen gestützte Prognose verlangt. Auch Sinn und Zweck der Regelung sprechen angesichts des hohen Schutzguts und der vom Terrorismus ausgehenden neuartigen Bedrohungen für einen abgesenkten Gefahrenmaßstab, weil seit den Anschlägen von 11. September 2001 damit zu rechnen ist, dass ein Terroranschlag mit hohem Personenschaden ohne großen Vorbereitungsaufwand und mit Hilfe allgemein verfügbarer Mittel jederzeit und überall verwirklicht werden kann. Eine Abschiebungsanordnung ist daher schon dann möglich, wenn aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte ein beachtliches Risiko dafür besteht, dass sich eine terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik in der Person des Ausländers jederzeit aktualisieren kann, sofern nicht eingeschritten wird (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 19 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 21).
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Diese Auslegung steht trotz der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Einklang mit dem Grundgesetz. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht von vornherein für jede Art der Aufgabenwahrnehmung auf die Schaffung von Eingriffstatbeständen beschränkt, die dem tradierten sicherheitsrechtlichen Modell der Abwehr konkreter, unmittelbar bevorstehender oder gegenwärtiger Gefahren entsprechen. Vielmehr kann er die Grenzen für bestimmte Bereiche der Gefahrenabwehr mit dem Ziel schon der Straftatenverhinderung auch weiter ziehen, indem er die Anforderungen an die Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs reduziert. Dann bedarf es aber zumindest einer hinreichend konkretisierten Gefahr in dem Sinne, dass tatsächliche Anhaltspunkte für die Entstehung einer konkreten Gefahr bestehen. Hierfür reichen allgemeine Erfahrungssätze nicht aus, vielmehr müssen bestimmte Tatsachen im Einzelfall die Prognose eines Geschehens tragen, das zu einer zurechenbaren Verletzung gewichtiger Schutzgüter führt. Eine hinreichend konkretisierte Gefahr in diesem Sinne kann schon bestehen, wenn sich der zum Schaden führende Kausalverlauf noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorhersehen lässt, aber bereits bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen. In Bezug auf terroristische Straftaten, die oft von bisher nicht straffällig gewordenen Einzelnen an nicht vorhersehbaren Orten und in ganz verschiedener Weise verübt werden, kann dies schon dann der Fall sein, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Angesichts der Schwere aufenthaltsbeendender Maßnahmen ist eine Verlagerung der Eingriffsschwelle in das Vorfeldstadium dagegen verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar, wenn nur relativ diffuse Anhaltspunkte für mögliche Gefahren bestehen, etwa allein die Erkenntnis, dass sich eine Person zu einem fundamentalistischen Religionsverständnis hingezogen fühlt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Mai 2017 - 1 VR 4.17 - juris Rn. 20 unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 112 f.). Allerdings kann in Fällen, in denen sich eine Person in hohem Maße mit einer militanten, gewaltbereiten Auslegung des Islam identifiziert, den Einsatz von Gewalt zur Durchsetzung dieser radikal-islamischen Auffassung für gerechtfertigt und die Teilnahme am sogenannten "Jihad" als verpflichtend ansieht, von einer hinreichend konkreten Gefahr auszugehen sein, dass diese Person terroristische Straftaten begeht.
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Für diese "Gefahrenprognose" bedarf es - wie bei jeder Prognose - zunächst einer hinreichend zuverlässigen Tatsachengrundlage. Der Hinweis auf eine auf Tatsachen gestützte Prognose dient der Klarstellung, dass ein bloßer (Gefahren-)Verdacht oder Vermutungen bzw. Spekulationen nicht ausreichen. Zugleich definiert dieser Hinweis einen eigenen Wahrscheinlichkeitsmaßstab. Abweichend von dem sonst im Gefahrenabwehrrecht geltenden Prognosemaßstab der hinreichenden Eintrittswahrscheinlichkeit mit seinem nach Art und Ausmaß des zu erwartenden Schadens differenzierenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab muss für ein Einschreiten nach § 58a AufenthG eine bestimmte Entwicklung nicht wahrscheinlicher sein als eine andere. Vielmehr genügt angesichts der besonderen Gefahrenlage, der § 58a AufenthG durch die tatbestandliche Verselbstständigung begegnen soll, dass sich aus den festgestellten Tatsachen ein beachtliches Risiko dafür ergibt, dass die von einem Ausländer ausgehende Bedrohungssituation sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik umschlagen kann (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 20 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 22).
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Dieses beachtliche Eintrittsrisiko kann sich auch aus Umständen ergeben, denen (noch) keine strafrechtliche Relevanz zukommt, etwa wenn ein Ausländer fest entschlossen ist, in Deutschland einen mit niedrigem Vorbereitungsaufwand möglichen schweren Anschlag zu verüben, auch wenn er noch nicht mit konkreten Vorbereitungs- oder Ausführungshandlungen begonnen hat und die näheren Tatumstände nach Ort, Zeitpunkt, Tatmittel und Angriffsziel noch nicht feststehen. Eine hinreichende Bedrohungssituation kann sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. In jedem Fall bedarf es einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Ausländers, seines bisherigen Verhaltens, seiner nach außen erkennbaren oder geäußerten inneren Einstellung, seiner Verbindungen zu anderen Personen und Gruppierungen, von denen eine terroristische Gefahr und/oder eine Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgeht sowie sonstiger Umstände, die geeignet sind, den Ausländer in seinem gefahrträchtigen Denken oder Handeln zu belassen oder zu bekräftigen. Dabei kann sich - abhängig von den Umständen des Einzelfalls - in der Gesamtschau ein beachtliches Risiko, das ohne ein Einschreiten jederzeit in eine konkrete Gefahr umschlagen kann, auch schon daraus ergeben, dass sich ein im Grundsatz gewaltbereiter und auf Identitätssuche befindlicher Ausländer in besonderem Maße mit dem radikal-extremistischen Islamismus in seinen verschiedenen Ausprägungen bis hin zum ausschließlich auf Gewalt setzenden jihadistischen Islamismus identifiziert, über enge Kontakte zu gleichgesinnten, möglicherweise bereits anschlagsbereiten Personen verfügt und sich mit diesen in "religiösen" Fragen regelmäßig austauscht (BVerwG, Beschlüsse vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 21 und - 1 VR 2.17 - juris Rn. 23).
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Der obersten Landesbehörde steht bei der für eine Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG erforderlichen Gefahrenprognose aber keine Einschätzungsprärogative zu. Als Teil der Exekutive ist sie beim Erlass einer Abschiebungsanordnung - wie jede andere staatliche Stelle - an Recht und Gesetz, insbesondere an die Grundrechte, gebunden (Art. 1 Abs. 3, Art. 20 Abs. 3 GG) und unterliegt ihr Handeln nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG der vollen gerichtlichen Kontrolle. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck der Vorschrift sprechen für einen der gerichtlichen Überprüfung entzogenen behördlichen Beurteilungsspielraum. Auch wenn die im Rahmen des § 58a AufenthG erforderliche Prognose besondere Kenntnisse und Erfahrungswissen erfordert, ist sie nicht derart außergewöhnlich und von einem bestimmten Fachwissen abhängig, über das nur oberste (Landes-)Behörden verfügen. Vergleichbare Aufklärungsschwierigkeiten treten auch in anderen Zusammenhängen auf. Der hohe Rang der geschützten Rechtsgüter und die Eilbedürftigkeit der Entscheidung erfordern ebenfalls keine Einschätzungsprärogative der Behörde (BVerwG, Beschluss vom 21. März 2017 - 1 VR 1.17 - NVwZ 2017, 1057 Rn. 22; BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Juli 2017 - 2 BvR 1487/17 - juris Rn. 42).
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bb) In Anwendung dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass vom Antragsteller derzeit aufgrund einer auf Tatsachen gestützten Prognose ein beachtliches Risiko im Sinne des § 58a AufenthG ausgeht, auch wenn den Sicherheitsbehörden kein konkreter Plan des Antragstellers zur Ausführung einer terroristischen Gewalttat bekannt geworden ist. Es besteht ein zeitlich und sachlich beachtliches Risiko, dass er einen terroristischen Anschlag begeht oder sich an einem solchen beteiligt, bei dem Unbeteiligte ums Leben kämen.
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Für die Beurteilung des Senats sind vor allem folgende Umstände maßgeblich, die sich aus der nicht mit Blattzahlen versehenen Ausländerakte des Antragstellers (AA), der ebenfalls nicht mit Blattzahlen versehenen Akte des Ministeriums für Inneres und Kommunales des Landes Nordrhein-Westfalen (MI), den beigezogenen Strafakten sowie dem Vorbringen des Antragstellers und des Antragsgegners im vorliegenden Verfahren ergeben:
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(1) Nach den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden hat sich der Antragsteller seit 2013 zunehmend islamistisch radikalisiert. Er hat sich seit 2013 intensiv an der Koranverteilungsaktion der mittlerweile verbotenen Vereinigung "Die wahre Religion" in der B. Innenstadt beteiligt. Diese wurde im Oktober 2016 durch das Bundesministerium des Innern verboten und aufgelöst, weil sie eine Ideologie vertreten hat, die die verfassungsmäßige Ordnung ersatzlos verdrängte, den bewaffneten Jihad befürwortete und ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstellte, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten. Bereits im August 2015 ist der Antragsteller von der Gruppe, mit der er die Koran-Verteilaktionen durchgeführt hatte, ausgeschlossen worden. Als Grund wurden Handgreiflichkeiten gegenüber (augenscheinlich jesidischstämmigen) Kritikern dieser Aktion angegeben. Auch hat sich der Antragsteller bei Mitgliedern der Koranverteilungsgruppe nach dem "IS" und der AI-Nusra Front erkundigt. Man hat ihm aber davon abgeraten, nach Syrien zu gehen und sich dort einer Gruppe anzuschließen.
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Nach Angaben seines Vaters gegenüber der Polizei hat sich der Antragsteller im zeitlichen Zusammenhang mit dem Ablegen des Abiturs im April 2014 zunehmend religiösen Themen zugewandt, das vorher professionell betriebene Fußballspielen aufgegeben, das geplante Informatikstudium nicht begonnen und sich mit islamistischen Predigern wie V. Od. und S. Y. beschäftigt. Er hat die arabische Moschee in P. in der S.straße besucht, wo es Besucher gab, die erkennbar salafistisch ausgerichtet waren. Er begann, arabisch zu lernen. Der Antragsteller heiratete dann am 28. November 2015 nach islamischem Ritus. An der Hochzeitsfeier nahmen vier Personen teil, die wegen ihrer salafistischen Einstellung und Einwirkung auf den Antragsteller von dessen Vater für gefährlich gehalten wurden. Als ein Wortführer ist dort D. J. aufgetreten, der nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes NRW seit vielen Jahren in der salafistisch-jihadistischen Szene aktiv ist. Es besteht der Verdacht, dass J. junge Männer anwirbt, indoktriniert und sie von einer Ausreise nach Syrien/Irak überzeugt, um dort für den sog. "Islamischen Staat (IS)" tätig zu werden. In der Vergangenheit sind bereits mehrere männliche Personen erfolgreich angeworben worden. Zumindest in einem Fall habe sich ein angeworbener junger Mann in den Irak begeben und dort ein Selbstmordattentat verübt, bei dem zahlreiche Menschen getötet oder verletzt wurden.
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Der Antragsteller entzog sich nach der Hochzeit zunehmend dem Einfluss seiner eher westlich orientierten Eltern, die ihn nicht mehr erreichen konnten. Der Vater wandte sich wenige Tage nach der Hochzeit wegen seiner Sorgen an die Polizei in B. Im Herbst des Jahres 2016 wurde dem Antragsteller aufgrund seiner fundamentalen religiösen Einstellung von Seiten seines Ausbildungsbetriebes (Stadtwerke B.) gekündigt. Sein Vater berichtete dann weiter, dass aus dem Zimmer des Antragstellers in der elterlichen Wohnung fortlaufend religiöse Kampfgesänge (Naschids) zu hören waren und dass der Antragsteller seinen Vater als Ungläubigen (Kuffar) bezeichnete. Zudem ist der Antragsteller mehrfach nach H. zum Deutschsprachigen Islamkreis e.V. gereist, in welchem D. Z., ein bekannter islamischer Hassprediger, predigte. Gegenüber seiner Mutter ist der Antragsteller auch handgreiflich geworden, was einen Polizeieinsatz zur Folge hatte. Die Verletzungen der Mutter unterhalb des linken Auges sind kriminalpolizeilich dokumentiert (BA 12, Strafanzeige vom 18. Dezember 2016 Bl. 11). Einen Baseballschläger habe er in der Hand gehalten, jedoch nicht eingesetzt. Ende Januar 2017 hat er sich im Bereich A. mit dem nigerianischen Staatsangehörigen F. H. getroffen, der als islamistischer Gefährder eingestuft war und wenige Monate später aufgrund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG, die mittlerweile rechtskräftig ist, abgeschoben wurde.
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Am 4. November 2016 wurde sein Sohn L. geboren. Der Antragsteller hat im Rahmen des Besuchs seiner Ehefrau auf der Entbindungsstation des Klinikums D. am 6. November 2016 gegenüber einer Jesidin gestisch das Durchschneiden ihrer Kehle angedeutet. Aus den polizeilichen Ermittlungen ergibt sich, dass Frau V. R., eine türkische Jesidin, gegenüber mehreren Zeuginnen angegeben hat, dass der Kläger ihr gegenüber auf dem Flur der Entbindungsstation die Kopfabschneide-Geste gemacht hat. Zuvor war es zu Auseinandersetzungen zwischen der jesidischen Familie R. und dem Kläger gekommen, weil Familie R. Angst vor dem Kläger hatte, den sie aufgrund seines Äußeren dem "IS" zurechnete und als "Daisch" bezeichnete. Wie die Zeuginnen K. R. (entbindende Schwiegertochter) und U. Ol. (Patientin im gleichen Krankenzimmer) bekundeten, berichtete ihnen Frau V. R. davon, dass der Kläger ihr gegenüber dreimal die Kopfabschneide-Geste gemacht habe, indem er sich mit einem Finger quer über die Kehle strich. Die Zeugin K. R., die Schwiegertochter der V. R., hat nach ihrer Aussage das schnalzende Geräusch gehört, das der Kläger bei seiner Geste verwendete (Schnalzlaut mit der Zunge). Allerdings hat der Kläger vor der Tür des Krankenzimmers gestanden, so dass die frisch entbundene K. R. aus dem Krankenzimmer heraus die Geste nicht hat sehen, sondern nur das Geräusch hat vernehmen können. Die Zeugin K. R. bekundete aber, dass Frau V. R. nach dem Vorfall am ganzen Körper gezittert habe, richtig rot im Gesicht geworden sei und geweint habe. Ihre Tochter D. R. erschien wegen des Vorfalls in den späten Abendstunden des 6. November 2016 auf der Polizeiwache D. und schilderte den Sachverhalt. Der diensthabende Polizeibeamte suchte noch am Abend die Familie auf und verstand den Vorfall als konkrete Morddrohung (Zeichen für Enthauptung). Die Familie hatte allerdings große Angst und wollte deshalb keine Strafanzeige erstatten. Dies ist auch deshalb gut nachvollziehbar, weil Jesiden in Syrien und im Irak in großem Umfang Opfer von Misshandlungen durch den "IS" geworden sind.
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Die Zeugenvernehmung der Frau V. R. am 8. November 2016 musste wegen dieser Angst abgebrochen werden. Nach dem polizeilichen Protokoll wiederholte Frau V. R. mehrfach mit ihrer Hand die Geste des Kopfabschneidens und gab zur Kenntnis, dass sie seit diesem Vorfall große Angst habe. Die Tochter D. R. gab an, dass ihre Mutter seit zwei Tagen kaum geschlafen habe. Außerdem habe ihre Mutter seit dem Vorfall aus Angst nicht mehr die Wohnung verlassen. Frau V. R. äußerte die Sorge, dass der Tatverdächtige oder andere Angehörige der Terrororganisation "Islamischer Staat" sie oder Mitglieder der Familie identifizieren und töten könnte. Trotz längerer Erörterung sei diese Angst der Geschädigten nicht zu nehmen gewesen. Daher wurde das Strafverfahren wegen Bedrohung im Ergebnis eingestellt.
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Der Kläger bestätigte im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung am 27. Februar 2017 (BA 9 und 16 Bl. 50 - 55), dass es eine verbale Auseinandersetzung mit den jesidischen Frauen der Familie R. auf der Entbindungsstation gegeben und Frau V. R. behauptet habe, er habe sie bedroht. Er habe sich zwar auf dem Flur befunden, Frau V. R. habe auf ihn eingeredet, er glaube nicht, überhaupt ein Wort geantwortet zu haben. Auf die Frage, ob er sich gegenüber Frau R. dreimal mit dem Finger quer über die Kehle gestrichen habe, antworte der Kläger zweimal ausweichend, dazu habe er sich schon geäußert.
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Der Senat geht bei der Würdigung der Aussagen davon aus, dass Frau V. R. am 6. November 2016 tatsächlich von dem Kläger mit der dreimaligen Geste des Kopfabschneidens bedroht worden ist. Nur so sind ihre spontanen Vorwürfe zu erklären, die sie den Zeuginnen im Krankenzimmer schilderte. Ohne den Vorfall lassen sich auch ihre ausgeprägten Angstzustände mit körperlichen Folgeerscheinungen nicht erklären, denen sie seit dem Vorfall und noch Tage danach ausgesetzt war. Auch der Umstand, dass sich die Tochter noch am späten Abend des Tages auf die Polizeistation begeben hatte, um den Vorfall zu Protokoll zu erklären, lässt sich nur so erklären. Das Verhalten ist für den Kläger auch nicht wesensfremd, war er doch schon im August 2015 von der Gruppe, mit der er die Koran-Verteilaktionen durchgeführt hatte, wegen Handgreiflichkeiten gegenüber (augenscheinlich jesidischstämmigen) Kritikern dieser Aktion ausgeschlossen worden.
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Für die Einschätzung der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr ist weiterhin sein Ausreiseversuch nach Ägypten im März 2017 von Bedeutung. Im November 2016 meldete sich der Vater des Antragstellers bei der B. Kriminalinspektion Polizeilicher Staatsschutz (KIST) und gab an, dass der Antragsteller gegenüber seiner nach islamischem Ritus angetrauten Ehefrau geäußert habe, nach Ägypten reisen zu wollen, um dort in einer Moschee in Kairo den Islam zu studieren. Hierzu habe er Kontakt zu einem Imam namens P. Do. Dg. aufnehmen wollen.
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Der Antragsteller hat Ende November 2016, unter Mitnahme aller persönlichen Gegenstände einschließlich seines Reisepasses, sein Elternhaus verlassen. Im Februar 2017 beantragte er einen Kinderausweis für seinen Sohn L. und gab an, eine Reise nach Ägypten zu planen. In diesem Zusammenhang wurde ein ägyptischer Visumseintrag in seinem türkischen Pass festgestellt. Im Rahmen einer Gefährderansprache durch den Staatsschutz des PP B. stritt der Antragsteller Ausreiseabsichten in ein Kriegsgebiet zum Anschluss an den "Jihad" vehement ab. Vielmehr wolle er mit seiner Frau und seinem Sohn nach Kairo reisen, um dort den Islam zu studieren. Vorher wolle er, ebenfalls in Ägypten, die arabische Sprache intensiv lernen, um eine Grundlage für das Studium zu schaffen. In der Folgezeit kam es zur Trennung des Antragstellers von seiner Frau, die seitdem das alleinige Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn L. ausübt.
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Am 21. März 2017 reiste der Antragsteller von F. nach Kairo mit Zwischenstopp in Athen. Auf Befragen gab er an, dort für die Dauer von etwa einem Monat Freunde besuchen zu wollen. Er hatte ein Gepäckstück aufgegeben. Am Morgen des 22. März 2017 wurde er in Kairo beim Einreiseversuch aufgrund seines Erscheinungsbildes kontrolliert, worauf ihm die Einreise nach Ägypten verweigert wurde. Befragt durch den ägyptischen Staatssicherheitsdienst NSS gab er an, Urlaub in Kairo machen und bei einem Freund namens P. De. Dü. wohnen zu wollen. Nach Erkenntnissen der ägyptischen Behörden steht Herr De. Dü. mit relevanten Personen aus dem terroristischen Milieu in Ägypten in Kontakt. Mittlerweile lebt Herr De. Dü. wieder in Deutschland (Göttingen, BA 8 Bl. 479), hatte aber in der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 1. Juni 2016 in Kairo studiert (BA 8 Bl. 480).
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Nachdem dem Antragsteller die Einreise nach Ägypten nicht gestattet worden war, flog er nach Deutschland zurück. Bei der am Flughafen Frankfurt am Main durchgeführten Untersuchung seines Gepäcks wurden rund 6 000 € Bargeld, militärisch anmutende Tarnbekleidung, diverse Kontoauszüge, Western-Union Überweisungen, Gegenstände, die eine Sympathie zum sogenannten "Islamischen Staat" vermuten lassen sowie die Geburtsurkunde des Antragstellers gefunden. Zu den mitgeführten Gegenständen gehörte eine Kopfbedeckung mit einer Symbolik des "Islamischen Staates". Bei der Sichtung seines Mobiltelefons durch Polizeikräfte wurden zahlreiche Propagandavideos des "Islamischen Staates", Bilder von Koranverteilungen in London sowie Bilder mehrerer unbekannter Personen mit salafistischem Erscheinungsbild entdeckt. In der Folgezeit bis zur Inhaftierung des Antragstellers wurden weitere Videodateien auf seinem Mobiltelefon ausgewertet. Sie zeigen nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen u.a. Kriegshandlungen, mutmaßlich des "IS", die in verherrlichender Weise zusammengeschnitten wurden. Darunter befinden sich auffallend oft Szenen mit Selbstmordattentätern, die im Film als Helden dargestellt werden und die für den sogenannten "IS" ihr Leben opfern. In diversen Filmen werden brutalste Hinrichtungen gezeigt, Enthauptungen, Erschießungen, Verbrennen von lebenden Menschen sowie regelrechte "Schlachtungen" von Menschen, denen die Kehle aufgeschnitten wird, um sie anschließend an den Füßen hängend ausbluten zu lassen. Bei einigen Hinrichtungsszenen waren erkennbar Kinder bei dem Geschehen zugegen.
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Gegenüber Beamten des PP B. (u.a. KHK V.) hat der Antragsteller im Zusammenhang mit der Durchsuchung seines Gepäcks am Flughafen unter anderem folgende Äußerungen gemacht (BA 6 Bl. 76 ff.):
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"Der Islam steht über allem, über meiner Familie und sogar meinen Eltern."
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„Ich möchte als richtiger Muslim sterben und dafür werde ich alles tun."
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"Glaubt ihr, dass ihr uns auf unserem Weg aufhalten könnt mit dem, was ihr hier macht? Wir werden immer mehr."
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"Was sich nicht nach dem Islam richtet, gilt nicht für mich."
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Auf die Frage, ob er hinter der Al-Nusra-Front und dem sogenannten "Islamischen Staat" stehe, hat er gegenüber dem Polizeibeamten V. geantwortet "eintausendprozentig ja" (BA 6 Bl. 77). Bei seiner richterlichen Anhörung am 29. März 2017 stritt der Antragsteller diese Äußerung allerdings ab (BA 6 Bl. 106). Auf die Frage, ob er beabsichtigt habe, wieder nach Deutschland zurückzukehren, hat er geantwortet „eintausendprozentig nein“ (BA 6 Bl. 77). Im weiteren Verlauf des Gesprächs äußerte er immer wieder Hass gegenüber Kurden. Es gäbe zu viele in Deutschland und die würden den Islam bekämpfen.
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Während der Rückfahrt nach Nordrhein-Westfalen mit dem Zug hat der Antragsteller am Bahnhof K.-D. gegenüber den Beamten weiterhin erklärt, dass der Westen den muslimischen Ländern mit Waffen die Demokratie aufzwingen wolle und sich damit gegen den Islam stelle. Das würden sich die Muslime nicht gefallen lassen. Man müsse also verstehen, dass ein Muslim etwas machen müsse, wenn er sieht, dass in Syrien Kinder durch Bomben getötet würden. Man müsse doch verstehen, wenn auch die Muslime mal etwas in Amerika oder Deutschland machten.
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Aus den gegenüber den Polizeibeamten nach Rückkehr aus Ägypten getätigten Äußerungen des Antragstellers ergibt sich seine uneingeschränkte Identifikation mit dem "IS" und dem gewaltsamen "Jihad" im Nahen Osten sowie mit dessen Anschlägen in Europa. Der Senat hat keinen Anlass, an den detailreichen Angaben des KHK V. in dessen Vermerk vom 28. März 2017 (BA 6 Bl. 76 ff.) zu zweifeln. Die Glaubwürdigkeit der Angaben "der Polizeibeamten der KIST des PP B.", die der Bevollmächtigte in seinem Schriftsatz vom 18. September 2017 - korrigiert im Schriftsatz vom 19. September 2017 - in Zweifel zieht, wird nicht dadurch erschüttert, dass KHK V. Äußerungen des Antragstellers wiedergibt, die sich nachteilig für ihn auswirken. Die in den Äußerungen zum Ausdruck kommende Identifikation des Antragstellers mit dem "IS" ergibt sich für den Senat zudem aus den auf seinem Mobiltelefon sichergestellten Propagandavideos, den in der elterlichen Wohnung gehörten religiösen Kampfgesängen und weiteren bereits aufgeführten Tatsachen sowie aus den bei seinem Ausreiseversuch mitgeführten Kleidungsstücken, u.a. aus der Kopfbedeckung mit einer Symbolik des "Islamischen Staates". Aus den Chat-Protokollen ergibt sich jedenfalls nichts Gegenteiliges. Das Bestreiten des Antragstellers wertet der Senat demgegenüber als bloße Schutzbehauptung, um strafrechtlichen und ausländerrechtlichen Maßnahmen zu entgehen.
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Offen ist hingegen für den Senat nach derzeitigem Erkenntnisstand, ob der Antragsteller ausschließlich nach Ägypten oder von dort auch weiter ins syrisch-irakische Kriegsgebiet reisen wollte. Zwar können die Art der mitgeführten Kleidung und einige Äußerungen des Antragstellers dahin ausgelegt werden, dass eine Weiterreise ins Kriegsgebiet beabsichtigt war. So soll er bei seiner Vernehmung in F. im Anschluss an die zollrechtliche Untersuchung gesagt haben, er sei nach Ägypten ausgereist, weil Freunde von ihm aus D. in die Türkei ausgereist seien und dort zurückgewiesen worden waren. Er habe sich daher für eine Ausreise nach Ägypten entschieden (BA 6 Bl. 77 f.). Bei seiner richterlichen Anhörung am 29. März 2017 gab der Antragsteller aber an, diese Äußerung sei aus dem Zusammenhang gerissen (BA 6 Bl. 106). Andererseits sah er auch Ägypten unter der Militärregierung nicht als gottgefälligen Staat an (BA 6 Bl. 74). Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 28. März 2017 wird unter anderem darauf gestützt, es sei davon auszugehen, dass der Antragsteller von Ägypten aus den Weg über die Sinai-Halbinsel in das Krisengebiet habe nehmen wollen, um eine Zurückweisung in der Türkei zu vermeiden (BA 6 Bl. 100). Bei seiner richterlichen Vernehmung am 31. März 2017 stritt der Antragsteller aber ab, eine Weiterreise in das Kampfgebiet geplant zu haben (BA 6 Bl. 161). Für eine Ausreise allein nach Ägypten sprechen die vom Mobiltelefon des Antragstellers ausgelesenen Telefonate und Chats. Diese sprechen eher dafür, dass er tatsächlich in Kairo die arabische Sprache und islamische Theologie studieren wollte, wie dies sein "Mentor" P. De. Dü. getan hatte, der in der Zeit vom 1. September 2014 bis zum 1. Juni 2016 in Kairo studiert hatte und dann wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Entsprechend hatte sich der Antragsteller auch gegenüber seinem Vater und der Mutter seines Sohnes geäußert.
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(2) Angesichts der vorstehend festgestellten Tatsachen, die sich auf Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden und Zeugenaussagen in strafrechtlichen Ermittlungsverfahren stützen, hält es der Senat hier für hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller seinen über einen langen Zeitraum gebildeten und bekundeten Überzeugungen auch Taten folgen lässt und einen - ohne großen Vorbereitungsaufwand möglichen - Terroranschlag in Deutschland begeht. Die von ihm ausgehende Bedrohungssituation kann sich jederzeit aktualisieren und in eine konkrete terroristische Gefahr und/oder eine dem gleichzustellende Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland umschlagen.
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Die Gesamtschau der den Antragsteller betreffenden Erkenntnisse ergibt, dass es sich bei ihm um eine Person handelt, die der radikal-islamistischen Szene salafistischer Ausrichtung angehört, sich uneingeschränkt mit dem "IS" identifiziert und sich für dessen Ziele einsetzt. Er kleidet sich in einer Weise, die ihn für außenstehende Dritte, wie die jesidische Familie R., als "IS"-Anhänger (Daesch) ausweist, besitzt eine Kopfbedeckung mit "IS"-Symbolik, hörte in seinem Zimmer in der elterlichen Wohnung fortlaufend religiöse Kampfgesänge (Naschids) und erklärte gegenüber den Polizeibeamten am F. Flughafen, er identifiziere sich "eintausendprozentig" mit dem "IS". Er hat sich von seinem säkularen Umfeld vollständig isoliert, bezeichnet seinen Vater als Ungläubigen (Kuffar), ist gegenüber seiner Mutter handgreiflich geworden, gab seinen zuvor professionell betriebenen Sport auf, nahm nach dem Abitur kein Studium auf, musste die Lehre bei den Stadtwerken wegen seines islamistischen Erscheinungsbildes abbrechen. Stattdessen bewegt er sich in radikal-islamistischen Kreisen und pflegt Kontakt zu terroristischen Gefährdern wie dem nigerianischen Staatsangehörigen F. H. sowie D. J., der nach Erkenntnissen des Landesverfassungsschutzes NRW seit vielen Jahren in der salafistisch-jihadistischen Szene aktiv sein soll und verdächtigt wird, junge Männer anzuwerben, zu indoktrinieren und sie von einer Ausreise nach Syrien/Irak zu überzeugen, um dort für den "Islamischen Staat (IS)" tätig zu werden. Er hatte sich intensiv an der Koranverteilungsaktion der mittlerweile verbotenen Vereinigung "Die wahre Religion" in der B. Innenstadt beteiligt, die im Oktober 2016 verboten wurde, u.a. weil sie den bewaffneten "Jihad" befürwortete und ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungs- und Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für Personen darstellte, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausreisen wollten.
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In der Gesamtschau ist hier nicht lediglich vom Vorliegen einer verfestigten, innerlich unbedingt verpflichtenden extremen ideologischen Überzeugung bei dem Antragsteller auszugehen, sondern von einer in relevantem Umfang erhöhten Bereitschaft, seine uneingeschränkte Identifikation mit dem "IS" durch gewaltsame oder terroristische Methoden in die Tat umzusetzen. Der "IS" erwartet von jedem seiner Anhänger die Mitwirkung am "Jihad", eine Trennung in steuernde "Paten" und ausführende Attentäter gibt es beim "IS" nicht. Zudem äußerte der Antragsteller gegenüber der Polizei sein Verständnis dafür, dass ein Muslim in Europa oder Amerika "etwas machen müsse", wenn er sehe, dass in Syrien Kinder durch Bomben getötet würden. Der Antragsteller hat ferner der Jesidin V. R. mit eindeutiger Zeichensprache die Enthauptung angedroht, eine Tötung wie sie auf "IS"-Videos in brutaler Weise dargestellt wird, von denen der Antragsteller zahlreiche auf seinem Mobilfunkgerät verfügbar gehalten hat. Dass er vor Gewaltakten nicht zurückschreckt, hat er durch die begangene Körperverletzung gegenüber seiner eigenen Mutter gezeigt.
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Das Risiko eines terroristischen Anschlags durch den Antragsteller ist auch nicht durch dessen Bindung an seine ihm nach islamischem Ritus angetraute Lebensgefährtin, seinen knapp einjährigen Sohn L. oder sonstige Umstände verringert. Seine Lebensgefährtin hat sich von ihm getrennt und übt das alleinige Sorgerecht für den Sohn aus. Zudem ist nicht erkennbar und wird auch nicht behauptet, dass die Lebensgefährtin einen mäßigenden Einfluss auf ihn hat. Ein mäßigender Einfluss von den (nicht radikalisierten) Mitgliedern der Familie des Antragstellers ist ebenfalls nicht zu erwarten, da er sich von diesen bewusst distanziert hat.
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cc) Selbst wenn man unterstellt, dass die Abschiebungsanordnung eine dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 S. 98) unterfallende Rückkehrentscheidung darstellt, ist sie mit den sich hieraus ergebenden unionsrechtlichen Vorgaben zu vereinbaren.
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Insbesondere musste dem Antragsteller keine Frist zur freiwilligen Ausreise eingeräumt werden, da von ihm eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und die nationale Sicherheit ausgeht (Art. 7 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG). Der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung steht bei unterstellter Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115/EG auch nicht entgegen, dass der Antragsgegner unter Ziffer 4. des angegriffenen Bescheids ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet hat (vgl. hierzu die Ausführungen des Senats im Verweisungsbeschluss vom 22. August 2017 - 1 A 10.17). Die Regelung in § 11 Abs. 1, 2 und 5 AufenthG, wonach bei jeder Abschiebung kraft Gesetzes ein Einreise- und Aufenthaltsverbot eintritt, das von der Ausländerbehörde beim Vollzug einer Abschiebungsanordnung nach § 58a AufenthG nicht befristet werden darf, solange die oberste Landesbehörde nicht im Einzelfall eine Ausnahme zulässt, stünde dann zwar nicht im Einklang mit Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2008/115/EG. Denn danach bedarf ein mit einer Rückkehrentscheidung einhergehendes Einreiseverbot immer einer Einzelfallentscheidung zu seiner Dauer. Diese unionsrechtliche Vorgabe hätte im Falle ihrer Anwendbarkeit zur Folge, dass bei einer Abschiebungsanordnung allein durch eine Abschiebung ohne eine solche Einzelfallentscheidung kein Einreise- und Aufenthaltsverbot entstehen würde. Auch eine fehlerhafte behördliche Entscheidung zur Dauer des Einreiseverbots würde indes nicht zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung führen, da es sich hierbei um eine eigenständige und selbstständig anfechtbare Entscheidung zu den Rechtsfolgen einer vollzogenen Abschiebungsanordnung handelt. Die hiermit verbundene Frage des nationalen und des Unionsrechts können hier mithin offenbleiben.
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dd) Die Abschiebungsanordnung ist auch nicht ermessensfehlerhaft und genügt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Antragsgegner dem öffentlichen Interesse an der Abwehr der vom Antragsteller ausgehenden terroristischen Gefahr ein höheres Gewicht beimisst als dessen Interesse am Verbleib in Deutschland. Der Schutz der Allgemeinheit vor Terroranschlägen gehört zu den wichtigsten öffentlichen Aufgaben und kann auch sehr weitreichende Eingriffe in die Rechte Einzelner rechtfertigen (BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 1973 - 1 BvR 23/73, 1 BvR 155/73 - BVerfGE 35, 382 <402 f.>; Urteil vom 20. April 2016 - 1 BvR 966/09 u.a. - BVerfGE 141, 220 Rn. 96, 132).
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Der Antragsgegner hat bei seiner Entscheidung gewürdigt, dass der Antragsteller seit seiner Geburt in Deutschland lebt, im Besitz einer Niederlassungserlaubnis und assoziationsberechtigt nach dem Abkommen EWG-Türkei ist, indem er sich auf Art. 7 ARB 1/80 berufen kann. Damit kann der Aufenthalt des Antragstellers nur unter den Voraussetzungen des § 53 Abs. 3 AufenthG beendet werden, d.h. sein persönliches Verhalten muss gegenwärtig eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt und die Aufenthaltsbeendigung für die Wahrung dieses Interesses unerlässlich ist (vgl. EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/08 [ECLI:EU:C:2011:809], Ziebell - NVwZ 2012, 422 Rn. 80 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor, da der vom Antragsteller ausgehenden Gefahr eines jederzeit möglichen terroristischen Anschlags nicht auf andere Weise gleich wirksam begegnet werden kann wie durch die Beendigung des Aufenthalts. Das nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu erfüllende Erfordernis einer gegenwärtigen "konkreten Gefährdung" der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit (EuGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - C-371/98 - Rn. 84) bedeutet, dass aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht auf vergangenes strafbares Verhalten gestützt werden dürfen, sondern gegenwärtig noch eine konkrete Bedrohung für hochrangige Rechtsgüter ausgehen muss. Eine "konkrete Gefahr" im Sinne des deutschen Polizeirechts wird damit nicht gefordert, vielmehr reicht eine terroristische Gefahr im Sinne von § 58a Abs. 1 AufenthG aus, die gegenwärtig ist und sich jederzeit realisieren kann.
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Bei der Ermessensentscheidung hat der Antragsgegner auch gewürdigt, dass der Antragsteller in Deutschland zur Schule gegangen ist und die deutsche Sprache beherrscht. Außerdem leben seine Eltern und sein Sohn L. in Deutschland, der Sohn allerdings getrennt von ihm bei der das alleinige Sorgerecht ausübenden Mutter. Zudem gelang dem Antragsteller allenfalls eine partielle Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse, da er auf Grund seiner ideologischen Einstellung die hier gültige Gesellschaftsordnung und die staatlichen Institutionen der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und mit Hilfe der von ihm vertretenen islamistischen Weltanschauung zu überwinden trachtet. Seine sozialen Kontakte beschränken sich auf Personen, die ebenfalls Teil der radikal-islamistischen Szene sind; mit dem Teil seiner Familie, der seine radikal-islamistischen Einstellung ablehnt, hat der Antragsteller gebrochen. Auch ist dem Antragsteller eine Integration in die Lebensverhältnisse seines Herkunftslandes zumutbar, zumal er über grundlegende türkische Sprachkenntnisse verfügt.
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2. Dem Vollzug der Abschiebungsanordnung stehen auch keine zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbote entgegen. Das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG hindert den Erlass einer Abschiebungsanordnung nicht, es führt aber dazu, dass der Betroffene nicht in diesen Staat abgeschoben werden darf (§ 58a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 59 Abs. 2 und 3 AufenthG in entsprechender Anwendung). Aus diesem Grund hat die zuständige Behörde beim Erlass einer Abschiebungsanordnung in eigener Verantwortung zu prüfen, ob der beabsichtigten Abschiebung ein zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 bis 8 AufenthG entgegensteht. Dies umfasst sowohl die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Abschiebungsschutz als Flüchtling (§ 60 Abs. 1 AufenthG) oder als subsidiär Schutzberechtigter (§ 60 Abs. 2 AufenthG) vorliegen, als auch die Prüfung nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG.
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Für eine Verfolgung des Antragstellers wegen dessen Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG liegen keine Anhaltspunkte vor. Eine mögliche Bestrafung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung oder terroristischer Betätigung stellt keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG dar. Der Antragsteller selbst trägt eine solche Gefahr im Übrigen auch selbst nicht vor.
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Der Antragsteller hält es nicht für ausgeschlossen, dass ihm in der Türkei die Haft droht. Die türkischen Sicherheitsbehörden und die türkische Justiz gingen nicht nur gegen vermeintliche PKK- und Gülen-Anhänger vor, vielmehr würden möglicherweise auch vermeintliche Anhänger oder Sympathisanten des "IS" verfolgt. Da der Inhalt der Abschiebungsanordnung den Antragsteller in die Nähe des "IS" rücke, müsse er befürchten, im Zuge der Abschiebung in türkische Haft zu kommen. Die dortigen Haftbedingungen würden im Hinblick auf die aktuelle politische Lage in der Türkei nicht den menschenrechtlichen Mindestanforderungen entsprechen. Der Kläger verweist in diesem Zusammenhang auf einen Beschluss des OLG Celle vom 2. Juni 2017 (2 AR (Ausl) 44/17), der deshalb entsprechende Zusicherungen für die Rechtmäßigkeit einer Auslieferung verlange.
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Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen werden Anhänger des sogenannten "Islamischen Staats" in der Türkei strafrechtlich verfolgt. Aus der Antwort des Auswärtigen Amtes auf Fragen des Senats ergibt sich, dass sich im Februar 2017 nach Angaben des türkischen Justizministeriums insgesamt 498 ausländische "IS"-Anhänger in türkischen Haftanstalten befunden haben sollen, davon 470 in Untersuchungshaft und 28 im Strafvollzug. Zahlen zu türkischen Staatsangehörigen liegen dem Auswärtigen Amt nicht vor. Es verfügt auch nicht über offizielle Angaben zu den angewandten Strafvorschriften und zur Strafhöhe. Nach Pressemeldungen zu Einzelfällen seien Artikel·309 tStGB und Artikel 314 tStGB angewandt worden. Amnesty International hat auf die Fragen des Senats mitgeteilt, sie verfügten über keine eigenen Erkenntnisse darüber, in welchem Ausmaß, mit welcher Konsequenz und ab welchem Grad der Unterstützungsaktivität "IS"-Anhänger in der Türkei verfolgt würden. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes geht der Senat allerdings davon aus, dass eine Strafverfolgung des Antragstellers auch wegen seiner Aktivitäten außerhalb der Türkei möglich erscheint.
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a) Was die Konsequenzen einer Inhaftierung anbetrifft, liegt keine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass dem Antragsteller in der Haft oder im Polizeigewahrsam eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht. Wie das Auswärtige Amt mitgeteilt hat, sind Verstöße gegen Art. 3 EMRK im Rahmen der Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen "IS"-Anhänger nicht bekannt geworden. Auch sind dem Auswärtigen Amt keine Hinweise auf eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung außerhalb von Ermittlungs- oder Strafverfahren spezifisch gegenüber "IS"-Anhängern bekannt. Vielmehr gilt seine Erkenntnis aus dem Lagebericht vom 19. Februar 2017 (S. 29) fort, die lautet:
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"Dem Auswärtigen Amt und türkischen Menschenrechtsorganisationen, zu denen die Deutsche Botschaft engen Kontakt unterhält, ist in den letzten Jahren kein Fall bekannt geworden, in dem ein aus Deutschland in die Türkei zurückgekehrter Asylbewerber im Zusammenhang mit früheren Aktivitäten - dies gilt auch für exponierte Mitglieder und führende Persönlichkeiten terroristischer Organisationen - gefoltert oder misshandelt worden ist. Zu demselben Ergebnis kommen andere EU-Staaten und die USA."
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Zwar gebe es Hinweise auf Einzelfälle, in denen - im Rahmen des Vorgehens gegen mutmaßliche terroristische Täter zur Gefahrenabwehr oder bei Ermittlungshandlungen - Verstöße gegen Art. 3 EMRK von Betroffenen oder ihren Rechtsanwälten behauptet worden seien. Allerdings verfügt auch Amnesty International zur Frage, ob "IS"-Anhänger Opfer von Folter wurden, über keine Informationen. Berücksichtigt man, dass Amnesty International über Informationen über die Betroffenheit anderer Personenkreise von Folter in der Türkei verfügt - besonders häufig betroffen sind danach Personen, die der Unterstützung der PKK bezichtigt werden, sowie Personen, die der Beteiligung am Putschversuch im letzten Jahr beschuldigt werden - liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte für die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung zum Nachteil des Antragstellers vor.
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Diese Beurteilung gilt auch unter Berücksichtigung der von Amnesty International hervorgehobenen Tatsache, dass Berichte über Folter in Polizeigewahrsam seit der Aufkündigung des Friedensprozesses zwischen der türkischen Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Juli 2015 und insbesondere seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 drastisch zugenommen haben. Es erscheint unwahrscheinlich, dass Folter gegenüber vermeintlichen "IS"-Anhängern nicht bekannt geworden sein sollte. Dieser Beurteilung steht die Tatsache nicht entgegen, dass sich die Einstellung der türkischen Regierung gegenüber dem "IS" zum Negativen verändert hat, seit "IS"-Mitglieder im Sommer 2014 Geiseln im türkischen Konsulat in Mosul genommen, die Türkei ihre Enklave Süleyman Shah in Syrien im Februar 2015 räumen musste und der türkische Außenminister die Durchreise von fremden "IS"-Kämpfern durch die Türkei im Januar 2015 als "greatest threat" für sein Land bezeichnete.
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Fehlt es an der beachtlichen Wahrscheinlichkeit für eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung zum Nachteil des Antragstellers, kommt es für die Entscheidung des Senats nicht darauf an, ob und inwieweit Schutzmaßnahmen gegen Folter unter dem nach wie vor geltenden Ausnahmezustand systematisch abgebaut wurden. Daher ist auch nicht entscheidungserheblich, in welchem Umfang türkischen Behörden Informationen über ausländische Aktivitäten vermeintlicher "IS"-Anhänger bekannt sind.
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b) Allerdings ergibt sich aus Beschlüssen von Oberlandesgerichten in Auslieferungssachen, u.a. aus dem vom Bevollmächtigten des Antragstellers zitierten Beschluss des OLG Celle vom 2. Juni 2016, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Haftbedingungen in der Türkei nach dem Putschversuch im Juli 2016 aufgrund der massenhaften Inhaftierungen den in Art. 3 EMRK verankerten menschenrechtlichen Mindestanforderungen widersprechen (OLG Celle, Beschluss vom 2. Juni 2016 - 2 AR (Ausl) 44/17 - StraFo 2017, 292 = juris Rn. 10; OLG München, Beschluss vom 16. August 2016, 1 AR 252/16 - NStZ-RR 2016, 323 <324>; KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017 - (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) - StraFo 2017, 70). Im Hinblick auf Art. 3 EMRK müssen die Hafträume nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestimmte Bedingungen aufweisen, insbesondere müssen die vorhandenen Tageslichtverhältnisse und die vorhandenen Sanitärzellen ausreichend sein. Auch das Niveau der Beleuchtung, der Heizung, der Lüftung und der medizinischen Versorgung sowie der Ernährung der Häftlinge ist insoweit von Bedeutung. Dem Häftling muss in der Regel eine Fläche von 3 m² in einem Gemeinschaftshaftraum ohne Berücksichtigung des Mobiliars zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 18. August 2017 - 2 BvR 424/17 - juris Rn. 37 m.w.N). Die zitierten mit Auslieferungssachen befassten Gerichte sehen die Gefahr, dass Betroffene im Falle ihrer Auslieferung wegen der Überbelegung der Haftzellen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt sein könnten, was ein Zulässigkeitshindernis nach § 73 Satz 1 IRG begründet. Dieses Zulässigkeitshindernis kann nach der zitierten Rechtsprechung jedoch dadurch ausgeräumt werden, dass die türkischen Behörden eine völkerrechtlich verbindliche Zusicherung in Bezug auf die Haftbedingungen abgeben, unter denen der Betroffene nach erfolgter Auslieferung inhaftiert sein wird. Diese Rechtsprechung lässt sich auf das Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG übertragen, weshalb der Senat die Abschiebung nur mit der Maßgabe zulässt, dass die türkischen Behörden zusichern, dass die räumliche Unterbringung und die sonstige Gestaltung der Haftbedingungen im Fall einer Inhaftierung des Antragstellers wegen seines Verhaltens vor der Abschiebung den europäischen Mindeststandards entsprechen. Darüber hinaus ist von den türkischen Behörden zuzusichern, dass Besuche durch diplomatische oder konsularische Vertreter der Bundesrepublik Deutschland beim Antragsteller zur Kontrolle seiner Haftbedingungen während der Dauer einer möglichen Inhaftierung möglich sind (entsprechend OLG Celle, Beschluss vom 2. Juni 2016 - 2 AR (Ausl) 44/17 - StraFo 2017, 292 = juris Rn. 11 f.; OLG München, Beschluss vom 16. August 2016, 1 AR 252/16 - NStZ-RR 2016, 323 <324>; KG Berlin, Beschluss vom 17. Januar 2017 - (4) 151 AuslA 11/16 (10/17) - StraFo 2017, 70 = juris Rn. 8 ff.).
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Im Fall des Antragstellers erscheint eine Inhaftierung bei Rückführung in die Türkei deshalb beachtlich wahrscheinlich, weil ihm vorgeworfen wird, in Deutschland eine Straftat nach § 89a StGB (Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat) begangen zu haben. Sollte sich in der am 19. September 2017 beginnenden Hauptverhandlung der Tatvorwurf nicht bestätigen, ist auch das Risiko einer Inhaftierung in der Türkei einer Neubewertung zu unterziehen.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Da die Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Entscheidung in der Hauptsache praktisch vorwegnimmt, war der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Streitwerts anzuheben.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.