Verwaltungsgericht Aachen Urteil, 12. Dez. 2014 - 2 K 1477/13.A
Gericht
Tenor
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird unter Aufhebung der Ziffern 2 - 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22. April 2013 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 des Asylverfahrensgesetzes zuzuerkennen.
Die Kosten des Verfahrens, in dem Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen die Beklagte zu 3/4 und der Kläger zu 1/4.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d :
2Der seinen Angaben zufolge am 00.00.1984 in V. /Nigeria geborene Kläger ist nigerianischer Staatsangehöriger, ledig, Angehöriger des Volkes der Ibo und katholischer Christ. Er traf am 00.00.2011 auf dem G. Flughafen von M. kommend an und gab sich bei der Dokumentensichtung durch die Bundespolizei als Asylsuchender zu erkennen. Er habe in Nigeria von einem Schleuser einen nigerianischen Pass mit einem niederländischen Visum erworben. Von G. habe er nach Paris und anschließend in die Niederlande fahren wollen.
3Bei seiner Befragung durch die Bundespolizei am 2. Juni 2011 führte der Kläger aus:
4Er habe sein Heimatland zusammen mit seinem Lebensgefährten ‑ Herrn L. P. ‑ verlassen, weil sie dort wegen ihrer Homosexualität verfolgt worden seien. Er habe im Jahr 2005 seine Schule abgeschlossen und mit seinem Freund anschließend eine Ausbildung zum Verkäufer gemacht. Am 27. Juni 2007 habe er zusammen mit seinem Lebensgefährten ein I. -Geschäft in P1. eröffnet. Nachdem das Geschäft zunächst sehr gut gelaufen sei, hätten die Leute gemerkt, dass sie homosexuell und ein Paar seien. Es seien keine Kunden mehr gekommen und sie seien bedroht worden. Am 10. Oktober 2009 hätten Leute ihren Laden in Brand gesteckt. Sie seien geschlagen worden und hätten auch Brandwunden am Körper davongetragen. Seine Mutter sei daraufhin an einem Herzinfarkt gestorben. Er sei mit seinem Freund nach V. zurückgegangen und am 10. Januar 2010 hätten sie ein neues Geschäft in P2. eröffnet. Auch dieses Geschäft sei gut gelaufen. Es seien aber andere Händler aus P1. nach P2. gekommen, hätten sie wiedererkannt und verbreitet, dass sie homosexuell seien. Sie seien bedroht und mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Er sei am Kopf getroffen worden und habe auch eine Wunde davongetragen. Am 17. April 2011 seien junge Leute in ihr Geschäft gekommen und hätten sie geschlagen. Sie hätten ihnen eine Frist von drei Tagen gesetzt, um zu bekennen, dass sie nicht homosexuell seien. Sie seien mit dem Tode bedroht worden. Der Vater seines Freundes habe ihnen dann geraten, zu der Tante des Freundes nach M. zu fahren. Am 19. April 2011 seien sie heimlich nach M. gefahren und der Vater seines Freundes habe das Geschäft verkauft. Damit hätten sie die Reise finanziert. Als letzte Anschrift gab der Kläger No. 00 L1. S. , V. , J. T. , an.
5Der Kläger stellte am 8. Juni 2011 einen Asylantrag, den er bei seiner Anhörung am gleichen Tag vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) wie folgt begründete:
6Er habe bis 2007 unter der Anschrift No. 00 L1. S. , V. , J. T. , gewohnt. In P2. habe er in der X. S. mit seinem Freund bis zu seiner Abreise nach M. gewohnt. Sein Geschäft sei in 00, U. S. in P2. gewesen. Sein Vater heiße B. P3. und seine Mutter B1. P3. . Sein Vater sei Schreiner mit einer eigenen Schreinerei und lebe noch in Nigeria, seine Mutter sei bereits verstorben. In Nigeria lebe noch ein 1996 geborener jüngerer Bruder.
7Er habe von 1993 bis 2005 die Schule bis zur Sekundarstufe in V. besucht. Anschließend habe er von 2005 bis 2007 eine Ausbildung als Verkäufer in einem U1. -Geschäft zusammen mit seinem Freund gemacht. Er habe seinen Freund schon während seiner Schulzeit kennengelernt, sich aber erst in ihn während der Ausbildungszeit verliebt. Seinen Eltern habe er seine Homosexualität nach Beendigung seiner Ausbildung und Eröffnung des Geschäftes mit seinem Freund erzählt. Sein Vater sei entsetzt gewesen und habe ihn rausgeschmissen. Auch seine Mutter sei zu ihm gekommen und habe ihn mehrfach nach seinen Gründen befragt.
8In P1. habe er gemeinsam mit seinem Freund ein Appartement in einem Appartementhaus mit insgesamt vier Appartements bewohnt. Mitte des Jahres 2009 hätten Leute festgestellt, dass sie homosexuell seien. Man habe sie nicht gemeinsam mit Frauen gesehen, man habe sie gemeinsam in der Stadt und am Strand gesehen und sie seien auch gemeinsam zur Kirche gegangen. Von dem Vorsitzenden des Bezirks (Stadtverordnung) seien sie auch gewarnt worden, wenn sie nicht damit aufhören würden. Im Oktober 2009 seien dann zirka zehn bis fünfzehn Jugendliche in ihr Geschäft gekommen, hätten sie aus dem Geschäft gezerrt und sie vor dem Geschäft zusammengeschlagen. Anschließend sei der Laden in Brand gesteckt worden. Er habe davon auch eine Brandwunde am Unterschenkel und an der Schulter zurückbehalten. Sie seien dann zum Haus der Eltern seines Freundes gefahren und anschließend zur Polizei gebracht worden. Die Polizei habe aber gesagt, dass man nichts tun könnte, weil es kein Gesetz in Nigeria zum Schutz von Homosexuellen gebe. Es sei ihnen geraten worden, ihr Verhalten zu unterlassen. Eine ärztliche Behandlung sei ihm mangels eines Polizeiberichtes nicht möglich gewesen. Er habe sich in einer Apotheke seine Wunden versorgen lassen. Bei der Polizei habe es sich um die örtliche Polizei von V. gehandelt. Diese hätte keine Maßnahmen gegen sie wegen der Homosexualität unternommen. Auch sein Freund sei zusammengeschlagen worden und habe an der Hand eine Verletzung gehabt. Später seien sie zu seinen Eltern gegangen und seine Mutter habe noch in der gleichen Nacht einen Herzinfarkt erlitten.
9Am 00. Januar 2010 hätten sie dann ein neues Geschäft in P2. eröffnet. Mitte August 2010 seien dann Leute aus P1. gekommen und hätten in P2. erzählt, warum sie aus P1. vertrieben worden seien. Von den Nachbarn ihres Geschäftes seien sie verdächtigt worden, homosexuell zu sein. Man habe angefangen, sie zu beleidigen und zu bedrohen. Sie hätten auch auf der Straße Probleme gehabt, so sei etwa mit Steinen nach ihnen geworfen worden und er habe dabei auch im Februar 2011 eine Wunde am Kopf erlitten.
10Am 00 April 2011 seien gegen 15.20 Uhr viele Jugendliche vor ihr Geschäft gekommen, hätten getrommelt und Musik gemacht. Anschließend seien sie in den Laden gekommen und hätten Gegenstände zerstört. Ihnen sei eine Frist von drei Tagen ‑ bis zum 00. April 2011 ‑ gesetzt worden, um in der Stadthalle ein öffentliches Bekenntnis abzugeben, dass sie nicht homosexuell seien. Sie seien zugleich mit dem Tod bedroht worden. Er und sein Partner seien daraufhin zu dessen Vater gegangen und dieser habe ihnen geraten, zu seiner Schwester nach M. zu gehen. Er habe zu keinen anderen Homosexuellen Kontakt gehabt als zu seinem Freund.
11Mit Bescheid vom 22. April 2013 ‑ zugestellt am 24. April 2013 ‑ lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht vorlägen. Ferner stellte das Bundesamt fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen und forderte den Kläger unter Fristsetzung zur Ausreise auf. Ihm wurde für den Fall der Nichtausreise die Abschiebung nach Nigeria angedroht.
12Der Kläger hat am 2. Mai 2013 Klage erhoben und ergänzend ausgeführt, dass er noch nie Kontakt zum weiblichen Geschlecht gehabt habe. Bereits während der Schulzeit habe er seinen jetzigen Partner kennengelernt. Mit ihm habe er die gesamte Zeit in und außerhalb der Schule verbracht. Aus dieser Freundschaft habe sich dann später während der gemeinsamen Ausbildung eine Liebesbeziehung entwickelt. Die homosexuelle Partnerschaft hätten sie auch nicht in der Öffentlichkeit verborgen. Es sei aber nicht so gewesen, dass sie ihre Neigung über die Maßen hinaus nach außen kundgetan hätten. Aufgrund der gesellschaftlichen Ächtung sei ihnen die eigene Gefährdung bewusst gewesen. Trotzdem hätte ihre Umgebung aus ihrem Verhalten Rückschlüsse auf ihre Homosexualität gezogen.
13Auch in Deutschland würden sie ihre Beziehung weiter fortführen, allerdings unter dem Erschwernis der räumlichen Distanz ihrer beiden Wohnsitze. Zwischen den genannten Verfolgungshandlungen bestünde ein innerer Zusammenhang und eine einheitliche Verfolgungsgeschichte, die ihren Ausgang im Jahr 2009 in P1. genommen habe. Dort seien er und sein Partner von Jugendlichen zusammengeschlagen worden und ihr Geschäft in Brand gesetzt worden. Diese Verfolgung sei ursächlich für ihre Flucht nach P2. , wo sie im Jahr 2010 ein neues Geschäft eröffnet hätten, gewesen. Auch dort seien sie wiederum Opfer sexuell motivierter Übergriffe geworden. Sie seien beleidigt, mit dem Tod bedroht und auf der Straße mit Steinen beworfen worden. Seine Angaben stünden auch nicht im Widerspruch zu denjenigen seines Lebensgefährten. Es sei darauf hinzuweisen, dass die Aussage von Herrn P. nicht korrekt übersetzt worden sei. Dieser habe bei seiner Anhörung nicht von "Beauftragten des Stadtbezirks gesprochen", sondern von Personen, die von einem "Eze" geschickt worden seien. Dabei handele es sich in der Ibo-Sprache um ein Synonym für "King", gleichbedeutend mit "Traditional Ruler". Danach, ob die von diesem Eze geschickten Personen jung oder alt gewesen seien, sei dieser gar nicht befragt worden. Der Lebensgefährte habe im Übrigen lediglich aus Äußerungen der angreifenden Personen, sie seien bereits früher gewarnt worden, geschlossen, dass es sich um Personen, die von diesem Eze geschickt worden seien, gehandelt habe. Der Kläger habe demgegenüber nur das äußerliche Geschehen wahrgenommen und keine Rückschlüsse erläutert. Im Übrigen existiere keine inländische Fluchtalternative etwa im Großraum M. für den Kläger und seinen Partner.
14Nach Zurücknahme seines Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter beantragt der Kläger,
15die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 22. April 2013 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 des Asylverfahrensgesetzes zuzuerkennen,
16hilfsweise,
17ihm subsidiären Schutz nach § 4 Asylverfahrensgesetz zuzuerkennen,
18äußerst hilfsweise,
19festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.
20Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
23Der Rechtsstreit ist auf die Berichterstatterin als Einzelrichterin übertragen worden. Diese hat in der mündlichen Verhandlung den Kläger zu seinen Asylgründen angehört und den Lebensgefährten des Klägers, Herrn L. P. , der ein eigenes Asylklageverfahren vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen unter dem Aktenzeichen 9 AK 2639/13.A führt, als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Zeugenvernehmung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach‑ und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte, der hierzu überreichten Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der zuständigen Ausländerbehörde sowie auf die Gerichtsakte des Verfahrens des VG Gelsenkirchen (9 AK 2639/13.A). Ferner wird verwiesen auf die mit der Ladung übersandte Liste der Auskünfte, Stellungnahmen und Gutachten über die Lage in Nigeria (sog. Erkenntnisliste).
25Entscheidungsgründe:
26Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten zur mündlichen Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden, da die Beteiligten darauf mit der Ladung hingewiesen worden sind, § 102 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
27Soweit der Kläger die Klage betreffend seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter i. S. von Art. 16 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zurückgenommen hat, war das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
28Der noch hinsichtlich der Ziffern 2 bis 4 angefochtene Ablehnungsbescheid des Bundesamtes vom 22. April 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO.
29Der Kläger hat nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 des Asylverfahrensgesetzes - AsylVfG -) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG.
30Die während des Klageverfahrens zum 1. Dezember 2013 in Kraft getretenen Rechtsänderungen im Asylverfahrensgesetz auf Grund des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU (über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personenmit Anrecht auf subsidiären Schutz für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - sog. Qualifikationsrichtlinie - vom 13. Dezember 2011) vom 28. August 2013 (BGBl. I, 3474) haben keine Änderung des Streitgegenstandes oder des maßgeblichen Prüfprogrammes hinsichtlich des Flüchtlingsstatus, dessen Voraussetzungen nunmehr in §§ 3 - 3e AsylVfG (vormals § 60 Abs. 1 AufenthG a.F. i.V.m. der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 - der sog. Qualifikationsrichtlinie a.F. -) geregelt sind, als auch hinsichtlich des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylVfG (vormals subsidiärer unionsrechtliche Abschiebungsschutz bzw. Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 2, 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F. - letzteres i.V.m. Art. 15 c Qualifikationsrichtlinie a.F.) zur Folge,
31vgl. etwa auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 22. Januar 2014 - 9 A 2564/10.A -, juris.
32Gemäß § 3 Abs. 4 AsylVfG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling nach Abs. 1 der Vorschrift ist. Danach ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 (GFK), wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Herkunftslandes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will, oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
33Der Anwendungsbereich der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (vormals § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG a.F.) ist weitestgehend deckungsgleich mit dem des Asylgrundrechts in Art. 16 a Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), bei dessen Auslegung sich das Bundesverfassungsgericht schon bisher an der Genfer Flüchtlingskonvention orientiert hat,
34vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502/86 u.a. -, NVwZ 1990, 151; bereits zu § 51 Abs. 1 AuslG: Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. Februar 2002 – 9 C 59/91 -, DVBl. 1992 S. 843.
35Darüber hinaus umfasst der Flüchtlingsschutz – nach Maßgabe des § 28 Abs. 1 a AsylVfG – auch selbst geschaffene Nachfluchtgründe sowie gemäß § 3 c Nr. 3 AsylVfG eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure, etwa in Bürgerkriegssituationen, in denen es an staatlichen Strukturen fehlt. Nach § 3 c Nr. 1 und 2 AsylVfG kann die Verfolgung ausgehen von dem Staat oder Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen. Ferner stellt § 3 b Abs. 1 Nr.4 AsylVfG klar, dass eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe auch dann vorliegen kann, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperlichen Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft.
36Hinsichtlich des Prognosemaßstabes ist bei der Prüfung der Flüchtlingseigenschaft – wie auch bei der des subsidiären Flüchtlingsschutzes – der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit zugrunde zu legen. Der sog. herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab der hinreichenden Sicherheit für den Fall einer Vorverfolgung im Heimatland hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung mehr,
37vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Februar 2013 - 10 C 23/12 -, vom 1. März 2012 - 10 C 7/11 -, vom 7. September 2010 – 10 C 11/09 -, juris Rz. 14 f., vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 – und - 10 C 5/09 -, jeweils juris; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063706.A -, juris Rz. 35 ff.
38Maßgeblich ist insoweit Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU, wonach die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf ist, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. der Antragsteller tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zur erleiden. Die Vorschrift privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten durch eine Beweiserleichterung nämlich durch eine tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Dabei ist unter einer eine Vorverfolgung begründenden unmittelbar drohenden Verfolgung eine bei der Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung zu verstehen,
39vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.1993 - 9 C 45/52 -, juris.
40Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei der Rückkehr erneut realisieren werden. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Dies ist im Rahmen freier Beweiswürdigung zu beurteilen,
41vgl. bereits zur gleichlautenden Regelung in Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie a.F. - RL 2004/83/EG -: BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2012 - 10 B 17/12 - (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a. Abdulla-), Urteile vom 7. September 2010 – 10 C 11/09 -, vom 27. April 2010 – 10 C 4/09 – und - 10 C 5/09 -; OVG NRW, Urteil vom 17. August 2010 – 8 A 4063706.A -, jeweils juris.
42Die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach dieser Vorschrift zukommende Beweiskraft ist unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufweisen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend macht,
43vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 6. Juli 2012 - 10 B 17/12 - (im Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a. Abdulla-).
44Es ist deshalb im Einzelfall jeweils zu prüfen und festzustellen, auf welche tatsächlichen Schadensumstände sich die Vermutungswirkung des Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU bezieht,
45vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 - 10 C 4/09 -; OVG NRW, Urteil vom 29. Oktober 2010 - 9 A 3642/06.A -, jeweils juris.
46Aus den in Art. 4 Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU geregelten Mitwirkungs- und Darlegungsobliegenheiten des Antragstellers folgt, dass es auch unter Berücksichtigung der Vorgaben dieser Richtlinie Sache des Ausländers ist, die Gründe für seine Furcht vor politischer Verfolgung schlüssig vorzutragen. Er hat dazu unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, aus dem sich bei Wahrunterstellung ergibt, dass bei verständiger Würdigung politische Verfolgung droht. Hierzu gehört, dass der Ausländer zu den in seine Sphäre fallenden Ereignissen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine Schilderung gibt, die geeignet ist, den behaupteten Anspruch lückenlos zu tragen. Bei der Bewertung der Stimmigkeit des Sachverhalts müssen u.a. Persönlichkeitsstruktur, Wissensstand und Herkunft des Ausländers berücksichtigt werden,
47vgl. zu Art. 16 a GG: BVerwG: Beschlüsse vom 21. Juli 1989 – 9 B 239/89 -, InfAuslR 1989, 349, vom 26. Oktober 1989 – 9 B 405/89 – InfAuslR 1990, 38 und vom 3. August 1990 – 9 B 45/90 -, InfAuslR 1990, 344.
48Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben sind die Voraussetzungen für eine Flüchtlingszuerkennung nach § 3 Abs. 1 AsylVfG erfüllt.
49Das Gericht ist nach Durchführung der mündlichen Verhandlung zunächst davon überzeugt, dass der Kläger homosexuell ist und deshalb zu einer sozialen Gruppe i.S. von § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG gehört. Auf Grund des in der mündlichen Verhandlung gewonnen persönlichen Eindrucks von dem Kläger und seines Lebensgefährten - dem Zeugen L. P. - ist das Gericht von deren Homosexualität überzeugt. Der Kläger und auch der Zeuge haben insoweit übereinstimmend und überzeugend ihre homosexuelle Beziehung geschildert und die Fragen des Gerichts etwa zu ihrer Schulzeit, Pubertät, Erkennen der Homosexualität und ihrem "Coming-out",
50vgl. dazu auch die von dem UNHCR für bedeutsam gehaltenen Anhaltspunkte: Guidelines on international protection No. 9, Rz. 62, 63,
51nachvollziehbar und plausibel beantwortet. Beide haben insoweit glaubhaft dargelegt, dass sie schon während ihrer Schulzeit auf der Sekundärschule sehr eng miteinander befreundet gewesen seien und sich für Mädchen nicht interessiert hätten. Ihnen sei allerdings zu diesem Zeitpunkt ihre homosexuelle Neigung noch gar nicht bewusst gewesen, da sie auch von ihren Eltern dazu angehalten worden seien, keine Beziehung zu einem Mädchen einzugehen. Erst im frühen Erwachsenenalter und zwar während ihrer gemeinsamen Ausbildung seien sie sich ihren Gefühlen für einander bewusst geworden und hätten ihre Liebesbeziehung begonnen. Beide konnten dem Gericht gegenüber auch überzeugend darlegen, dass sie erstmals während ihrer Ausbildung an einem Abend in ihrem gemeinsamen Zimmer über Gefühle füreinander gesprochen und sich auch körperlich angenähert bzw. sexuelle Handlungen ausgetauscht hätten. Beide haben ferner übereinstimmend dargelegt, dass sie ihren Familien nach Beendigung ihrer Ausbildung ihre Homosexualität verbunden mit dem Entschluss, gemeinsam ein Geschäft zu eröffnen und eine gemeinsame Wohnung zu beziehen, offenbart hätten. In beiden Familien seien die Väter über diese Nachricht sehr aufgebracht gewesen, wobei der Kläger von seinem Vater auch aus dem Haus verwiesen worden sei und nur durch das Einwirken der Mutter und deren Hinweis auf das jugendliche Alter wieder hätte beruhigt werden können. Der Kläger und der Zeuge haben ferner überzeugend dargelegt, dass sie in der Folgezeit dennoch in Nigeria gemeinsam eine Wohnung - auch nach ihrem erneuten Umzug in Jahr 2010 - bewohnt und ihre homosexuelle Beziehung fortgeführt hätten, die von der Öffentlichkeit/Nachbarschaft jedoch bemerkt worden sei. Ihre Beziehung bestehe auch noch nach ihrer Ausreise in Deutschland weiterhin fort. Ein Zusammenleben in Deutschland ist zwar derzeit auf Grund der räumlichen Trennung nicht möglich, aber neben telefonischen Kontakten besuche der Zeuge den Kläger einmal im Monat, wobei sie sich dann bei einem Freund in N. aufhalten könnten. Soweit der Kläger und der Zeuge auf Nachfrage des Gerichts übereinstimmend ausgeführt haben, dass sie weder in Nigeria noch in Deutschland Kontakte zu anderen homosexuellen Männern bzw. zur homosexuellen Szene gehabt hätten, begründet dies keine Zweifel an der gewonnen Überzeugung des Gerichts. Vielmehr hat das Gericht den Eindruck gewonnen, dass zwischen dem Kläger und dem Zeugen eine enge und innige Beziehung besteht. So hat insbesondere Kläger auf Nachfrage ausgeführt, dass er in Deutschland einmal einen Mann kennengelernt habe, der ihn zu einem "Gay Club" mitgenommen habe, er diesem aber direkt gesagt haben, dass er kein Interesse an einer anderen Beziehung habe.
52Homosexuelle bilden ferner in Nigeria eine soziale Gruppe i.S. des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylVfG. Nach dieser Vorschrift gilt eine Gruppe insbesondere dann als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn die Mitglieder angeborene Merkmale oder einen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemeinsam haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten und die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird; als eine bestimmte soziale Gruppe kann auch eine Gruppe gelten, die sich auf das gemeinsame Merkmal der sexuellen Orientierung gründet. Handlungen, die nach deutschem Recht als strafbar gelten, fallen nicht darunter. Diese gesetzlichen Vorgaben entsprechen auch dem europäischen Recht, wie es Niederschlag in Art. 10 Abs. 1 lit. d der Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU (zuvor auch in Qualifikationsrichtlinie a.F. - 2004-) gefunden hat.
53Nach der Rechtsprechung des EuGH
54vgl. Urteil vom 7. November 2013 in den verbundenen Rechtssachen C‑199/12 bis C‑201/12; dazu auch Nora Markard, EuGH zur sexuellen Orientierung als Fluchtgrund, Asylmagazin 2013, S. 402 ff.; ferner Hruschka/Löhr, Das Konventionsmerkmal "Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe" und seine Anwendung in Deutschland, NVwZ 2009, 206,
55ist Art. 10 Abs. 1 lit. d der Qualifikationsrichtlinie a.F. (RL 2004/83/EG) dahin auszulegen, dass das Bestehen strafrechtlicher Bestimmungen, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung erlaubt, dass diese Personen als eine bestimmte soziale Gruppe anzusehen sind. Zwar stelle allein der Umstand, dass homosexuelle Handlungen unter Strafe gestellt sind, als solcher noch keine Verfolgungshandlung i.S. d. Art. 9 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 Abs. 2 lit. c der Qualifikationsrichtlinie a.F. (vgl. auch § 3 a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG) dar. Seien hingegen homosexuelle Handlungen mit Freiheitsstrafen bedroht und werden sie im Herkunftsland, das eine entsprechende strafrechtliche Regelung erlassen hat, auch tatsächlich verhängt, so ist dies als unverhältnismäßige diskriminierende Bestrafung zu betrachten und stellt somit eine Verfolgungshandlung dar. Nicht beanstandet hat der EuGH die Regelung, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie die homosexuellen Handlungen ausgeschlossen sind, die nach dem nationalen Recht der Mitgliedsstaaten strafbar sind. Andererseits können bei der Prüfung eines Antrags auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die zuständigen Behörden nicht erwarten, dass der Schutzsuchende seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung übt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.
56Ausgehend davon, dass die Homosexualität als eine für die Identität einer Person so bedeutsames Merkmal darstellt, dass sie nicht zu einem Verzicht darauf gezwungen werden sollte, erlaubt ferner das Bestehen strafrechtlicher Bestimmung in Nigeria, die spezifisch Homosexuelle betreffen, die Feststellung, dass diese Personen eine deutlich abgegrenzte Gruppe bilden, die von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Nach den vorliegenden Erkenntnissen, sind homosexuelle Handlungen jeglicher Art in Nigeria sowohl nach säkularem Recht (mit zeitiger Freiheitsstrafe - bei vollzogenem Verkehr mit einer Freiheitsstrafe bis zu 14 Jahren) als auch nach Scharia-Recht (Körperstrafen bis hin zum Tod durch Steinigung in besonderen Fällen) strafbar. Im Januar 2014 hat der Präsident Nigerias - Goodluck Jonathan - ein weiteres Gesetz mit dem Namen "Same Sex Marriage (Prohibition) Bill" unterzeichnet. Bis zu vierzehn Jahren Haft droht Homosexuellen, wenn sie einen (verbotenen) Ehevertrag oder eine (verbotene) zivilrechtlich eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft eingehen. Personen, die an einer solchen Zeremonie teilnehmen oder sie unterstützen, drohen zehn Jahre Haft. Wer öffentlich die Liebesbeziehung zu einem Menschen gleichen Geschlechts "direkt oder indirekt zeigt", muss für bis zu zehn Jahre ins Gefängnis.
57vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes (AA) vom 28. August 2013, 6 und 15; Bundesamt (BAMF), Briefing Notes vom 20. Januar 2014; Deutsche Welle vom 14. Januar 2014: "Nigeria führt hohe Haftstrafen für Homosexuelle ein"; BBC News vom 15. Januar 2015: "Nigeria: Islamic court tries gay suspects in Bauchi"; Human Rights Watch vom 16. Januar 2014: Nigeria: "Anti-LGBT Law Threatens Basic Rights".
58Die jetzige Verschärfung der Strafgesetze war schon 2011 in einer ersten Version im Gesetzgebungsverfahren vom Senat gebilligt worden,
59vgl. hierzu Auskunft der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH) vom 24. Oktober 2012, Nigeria: Homosexualität sowie amnesty international (ai), Auskünfte vom 9. und 15. November 2012, jeweils mit weiteren Nachweisen; AA, Auskunft an VGH BW vom 15. November 2012 sowie auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2013 ‑ A 9 1873/12 -, juris, insbesondere Rz. 93 ff.
60Im Mai 2013 wurde dieses Gesetz dann in der veränderten Fassung auch vom Repräsentantenhaus einstimmig verabschiedet, die jetzt vom Staatspräsidenten unterzeichnet wurde.
61Hiervon ausgehend droht dem Kläger bereits von staatlicher Seite mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung in Form einer unverhältnismäßigen und diskriminierenden Strafverfolgung oder Bestrafung i.S. von § 3 a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG. Denn bereits das bloße Zusammenleben, das gemeinsame öffentliche Erscheinen als gleichgeschlechtliches Paar und die Zusammenarbeit mit seinem Partner - Umstände, die der Kläger und der Zeuge nach ihren glaubhaften Angaben bereits in Nigeria vor ihrer Ausreise praktiziert haben und dort nicht unbemerkt geblieben sind - stehen danach unter Strafe (vgl. Nr. 5 Abs. 2 der Same Sex Marriage (Prohibition) Bill, 2011). Insoweit ist ferner zu berücksichtigen, dass nach der oben genannten Entscheidung des EuGH nicht von dem Asylbewerber erwartet werden kann, dass er seine Homosexualität in seinem Herkunftsland geheim hält oder Zurückhaltung beim Ausleben seiner sexuellen Ausrichtung ausübt, um die Gefahr einer Verfolgung zu vermeiden.
62Auch wenn derzeit noch keine eingehenden Erkenntnisse über die Anwendung dieses Gesetzes in Nigeria vorliegen, so wurde doch seit den nigerianischen Presseberichten über das Inkrafttreten des Gesetzes bereits über Verhaftungen in den nördlichen Bundesstaaten und Bestrafungen durch ein Scharia-Gericht berichtet,
63vgl. BAMF, Briefing Notes vom 20. Januar 2014; Deutsche Welle vom 14. Januar 2014: "Nigeria führt hohe Haftstrafen für Homosexuelle ein"; BBC News vom 15. Januar 2015: "Nigeria: Islamic court tries gay suspects in Bauchi"; Human Rights Watch vom 16. Januar 2014: Nigeria: "Anti-LGBT Law Threatens Basic Rights"; Taz, vom 17. Januar 2014 "Hatz auf schwule Sündenböcke, Nigeria".
64Bereits nach der bisherigen Erkenntnislage mussten Homosexuelle, deren Veranlagung öffentlich bemerkt wurde, in Nigeria damit rechnen, dass die Freiheitsstrafen im Einzelfall verhängt werden. Zwar versuchen Homosexuelle aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen und der weit verbreiteten Vorbehalte in der Bevölkerung, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen. Deshalb werden strafrechtliche Verfolgungen einvernehmlicher homosexueller Handlungen selten bekannt. Gleichwohl werden solche Strafen verhängt.
65Vgl. dazu auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2013 ‑ A 9 S 1873712 -, juris, Rz. 58 ff, 96 ff. m.w.Nw. zur Auskunftslage.
66Hinzukommt nunmehr, dass nach der Verschärfung der Gesetzeslage auch das Zusammenleben homosexueller Paare unter Strafe steht und Personen, die davon erfahren, dass Homosexuelle zusammenleben und dies nicht den Behörden mitteilen, künftig ebenfalls mit einer bis zu fünfjährigen Haftstrafe rechnen müssen. Es muss deshalb davon ausgegangen werden, dass das Zusammenleben homosexueller Paare den Behörden vermehrt angezeigt wird, um nicht selbst bestraft zu werden. Bei diesem gesetzlichen Rahmen und der bereits bisherigen gerichtlichen Praxis handelt es sich bei der Verfolgung einer homosexuellen Ausrichtung um eine unverhältnismäßige, diskriminierende Bestrafung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 3 AsylVfG. Dem steht auch nicht entgegen, dass der Kläger und der Zeuge übereinstimmend nicht von einer staatlichen Verfolgung vor ihrer Ausreise berichtet haben und diese auch nicht nach ihrer versuchten Anzeigenerstattung bei der Polizei im Jahr 2009 eingeleitet worden ist; denn die Gesetzesverschärfung ist erst im Jahr 2014 in Kraft getreten.
67Das Gericht geht im Übrigen davon aus, dass dem Kläger in Nigeria wegen seiner Homosexualität eine Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure i.S. von § 3 c Nr. 3 AsylVfG droht, ohne dass ihm von dem nigerianischen Staat ausreichend Schutz i.S. von § 3 d AsylVfG geboten wird. Der Kläger war insoweit bereits vorverfolgt bzw. von einer Verfolgung unmittelbar bedroht i.S. von Art. 4 Abs. 4 der Qualifikationsrichtlinie RL 2011/95/EU. Das Gericht hat auf Grund der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger wegen seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Homosexuellen in Nigeria durch nichtstaatliche Akteure Verfolgungshandlungen i.S. von § 3 a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG erlitten hat. Der Kläger und der Zeuge haben insoweit glaubhaft dargelegt, dass sie erstmals am 00.00.2009 in der Mittagszeit in ihrem Geschäft in P1. von einer Gruppe von ca. 15 Jugendlichen überfallen worden sind, nachdem sie bereits ca. zwei Monate vorher von dem traditionellen Stammesführer/König der Ibo in P1. - dem dortigen "Eze" - einbestellt und aufgefordert worden waren, ihre Beziehung zu beenden. Der Kläger und der Zeuge wurden dabei aus dem Geschäft herausgeholt und geschlagen. Gleichzeitig wurde das Geschäft in Brand gesetzt und beide erlitten Brandverletzungen und konnten dann fliehen. Die später in V. aufgesuchte Polizei hat keine Anzeige bzw. Aussagen des Klägers und des Zeugen entgegen genommen, sondern ihnen geraten, die Beziehung zu beenden. Nachdem der Kläger und der Zeuge im 00.2010 ein neues Geschäft in P2. eröffnet haben, wurden sie erneut am 00.00.2011 nachmittags von einer ca. 30 Personen großen Gruppe in ihrem Geschäft aufgesucht, die laut trommelten, mit ihren Namen Lieder sangen und in ihrem Geschäft Gegenstände zerstörten. Sie bedrohten den Kläger und den Zeugen und setzten ihnen eine Frist von drei Tagen, um öffentlich die Aufgabe ihrer Beziehung zu bekennen, andernfalls würden sie getötet.
68Trotz einiger Ungereimtheiten insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen des Zeugen, waren die Schilderungen des Klägers und des Zeugen im Wesentlichen in sich stimmig und im Einklang mit dem bisherigen Vorbringen. Soweit der Zeuge vor dem Bundesamt bzgl. des Vorfalls am 00.00.2011 von "Beauftragten der Stadtbezirks" gesprochen hat, die in ihr Geschäft gekommen seien, hat er schon im Klageverfahren und erneut in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar dargelegt, dass er bereits vor dem Bundesamt von Personen gesprochen habe, die von dem "Eze" geschickt worden seien. Er hat ferner glaubhaft dargelegt, dass er vermutet habe, dass diese Personen von dem "Eze" aus P2. geschickt worden seien, da sie ja bereits einmal von einem "Eze" gewarnt worden seien und ihnen zudem eine "offizielle" Frist für ein öffentliches Bekenntnis gesetzt worden sei. Auch im Übrigen ist das Vorbringen des Klägers und des Zeugen im Wesentlichen übereinstimmend etwa zu ihrer gemeinsamen Schul- und Ausbildungszeit, ihren Wohnorten und Wohnungen oder zu den Geldmitteln für die erste und die zweite Geschäftseröffnung.
69Das Gericht geht danach davon aus, dass der Kläger zum Zeitpunkt seiner Ausreise auch unmittelbar von Verfolgung bedroht war. Entgegen der Auffassung des Bundesamtes kann bei dieser Beurteilung nicht das Ereignis aus dem Jahr 2009 wegen eines fehlenden nahen zeitlichen Zusammenhangs zur Ausreise als nicht flüchtlingsschutzrelevant angesehen werden. Denn bereits dieser Vorfall hatte seinen Grund in der Homosexualität des Klägers bzw. in der gleichgeschlechtlichen Beziehung zu dem Zeugen und wurde durch nichtstaatliche Akteure verübt. Es besteht insoweit ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen und insoweit auch mit der Flucht des Klägers. Diese fand mit Blick auf die bzw. unter dem Druck der schon einmal im Jahr 2009 erlittenen und sich im Jahr 2011 wiederholenden Verfolgungshandlung und einer damit verbundenen Androhung weiterer Verfolgungshandlungen statt. Dem Kläger stand und steht auch kein ausreichender staatlicher Schutz zur Verfügung, da die Polizei nach seinen glaubhaften Angaben eine Anzeige gar nicht entgegen genommen hat, was für das Gericht auch angesichts der bereits damals bestehenden Gesetzeslage und der in der nigerianischen Gesellschaft weitverbreiteten Vorbehalte und Vorurteile nachvollziehbar ist. So sind nach der derzeitigen Erkenntnislage Homosexuelle nach wie vor Diskriminierung und Anfeindungen in der Gesellschaft ausgesetzt. Korruption ist in Nigeria bei der Polizei weit verbreitet, die im Übrigen durch niedrige Besoldung, schlechte Ausrüstung, Ausbildung und Unterbringung gekennzeichnet ist; Gelderpressungen an Straßensperrungen sind an der Tagesordnung. Die Polizeiführung versucht nur in geringem Maße gegenzusteuern,
70vgl. AA, Lagebericht Nigeria vom 28. August 2013, S. 17, 10; Auskunft an VGH Baden-Württemberg vom 15. November 2012; ai, Auskunft an VGH Baden-Württemberg vom 9. November 2012.
71Diese Situation wird durch die oben bereits dargelegte Gesetzesänderung im Jahr 2014 noch einmal verschärft.
72Vor diesem Hintergrund kann vermutet werden, dass sich die frühere Verfolgung bei einer Rückkehr des Klägers nach Nigeria wiederholen wird. Diese Vermutung wird auch nicht durch stichhaltige Gründe widerlegt, die einer tatrichterlichen Würdigung im Rahmen der freien Beweiswürdigung obliegt. Unter Auswertung der Erkenntnisquellen und unter Berücksichtigung des Vortrags des Klägers in der mündlichen Verhandlung liegen nach tatrichterlicher Würdigung keine stichhaltigen Gründe vor, die darauf schließen lassen, dass sich die frühere Verfolgung des Klägers bei einer Rückkehr nach Nigeria nicht mehr wiederholen würde. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass derzeit für den Kläger eine interne Schutzmöglichkeit i.S. von § 3 e AsylVfG besteht. Nach der derzeitigen Erkenntnislage ist nicht ersichtlich, dass in größeren Städten oder urbanen Zentren Homosexualität eher toleriert wird. Dem steht zum einen die bereits oben ausgeführte Gesetzesänderung auch im Hinblick auf Personen, die von homosexuellen Beziehungen Kenntnisse haben, entgegen. Zum anderen lässt sich den Erkenntnisquellen entnehmen, dass hinsichtlich der Verfolgungsgefahr kein signifikanter Unterschied mehr zwischen größeren Städten und dem übrigen Land besteht, wenn eine Homosexualität bekannt wird,
73vgl. SFH vom 24. Oktober 2012, Nigeria: Homosexualität sowie ai, Auskünfte vom 9. und 15. November 2012, jeweils mit weiteren Nachweisen; AA, Auskunft an VGH BW vom 15. November 2012.
74Nach diesen Ausführungen war Ziffer 2 des streitgegenständlichen Bescheides aufzuheben und dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
75Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes war ebenfalls aufzuheben, da die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die negativen Feststellungen zu den Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG gegenstandslos werden lässt,
76vgl. bereits zur alten Rechtslage: BVerwG, Urteil vom 26. Juni 2002 ‑ 1 C 17/01 -.
77Im Übrigen fehlt es auch an der nach § 31 Abs. 3 Satz 2 AsylVfG erforderlichen Ermessensausübung des Bundesamtes, da das Bundesamt sich zu einer Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungsverboten verpflichtet gesehen hat, weil es die Voraussetzung für Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verneint hat.
78Die in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides enthalten Abschiebungsandrohung ist insgesamt rechtswidrig, weil mit der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Voraussetzungen für den Erlass einer Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs1 Satz 1 Nr. 2 AsylVfG nicht gegeben sind.
79Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 2 und § 154 Abs. 1 VwGO; das Verfahren ist gemäß § 83 b AsylVfG gerichtskostenfrei.
80Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jedem Teil zur Hälfte zur Last. Einem Beteiligten können die Kosten ganz auferlegt werden, wenn der andere nur zu einem geringen Teil unterlegen ist.
(2) Wer einen Antrag, eine Klage, ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf zurücknimmt, hat die Kosten zu tragen.
(3) Kosten, die durch einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entstehen, fallen dem Antragsteller zur Last.
(4) Kosten, die durch Verschulden eines Beteiligten entstanden sind, können diesem auferlegt werden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.