Tenor
I. Die Bescheide der Beklagten, betreffend die Quartale 3/04, 4/2004 und 1/2005 werden, soweit sie sich auf Folinsäuere und Bisphosphonate beziehen, aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, insoweit über die Widersprüche der Klägerin erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Bescheide des Beklagten, betreffend die Quartale, 4/2004 und 1/2005 werden aufgehoben, soweit sie sich auf MAK`s beziehen.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Gegenstand der zum Sozialgericht München eingelegten Klagen sind die Bescheide des beklagten Beschwerdeausschusses. Dieser führte eine Prüfung der Verordnungstätigkeit Arzneikosten gemäß § 14 der Prüfungsvereinbarung (PV) für die Quartale 3/04, 4/04 und 1/05 durch. Nach Prüfung wurden Regresse in Höhe von 4.674,36 € (Quartal 3/04), 11.880,32 € (Quartal 4/04) und 12.054,61 € (Quartal 1/05) ausgesprochen. Insgesamt beliefen sich die Regresse auf 28.609,29 €. In den strittigen Quartalen wurden die Verordnungen von einer Gemeinschaftspraxis, bestehend aus zwei Fachärzten für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Onkologie vorgenommen. Der Beschwerdeausschuss begründete die Regresse damit, die Verordnungsweise sei unwirtschaftlich, denn die Gemeinschaftspraxis habe Calciumfolinat verordnet und in einer Apotheke zubereiten lassen, statt dieses als Rezepturarzneimittel zu verordnen und selbst zuzubereiten.
Der Entscheidung des Beschwerdeausschusses ging eine umfangreiche Widerspruchsbegründung voraus. Die Klägerseite wies auf ein Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt …vom 8.9.2005 hin, wonach der Herstellung in der Apotheke der Vorzug einzuräumen sei. Ferner wurde auf Entscheidungen des Beschwerdeausschusses Hamburg hingewiesen. Dieser habe es nicht für unwirtschaftlich angesehen, wenn Calciumfolinat in der Apotheke zubereitet werde. Des Weiteren berief sich die Klägerseite auf ein Schreiben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) vom 20.2.2002. Die Zubereitung von Calciumfolinat in der Praxis sei nach der Onkologie-Vereinbarung nicht der Regelfall.
In seinen Entscheidungen führte der Beklagte aus, die Prüfanträge der AOK seien nicht unzulässig (es wurden dort andere Präparate genannt; auch bezogen sich die Prüfanträge auf eine andere Arztpraxis). Zu unterscheiden sei zwischen der Verordnung von Zytostatika, Monoklonalen Antikörpern (MAK), Bisphophonaten und der Begleitmedikation. Auch für den Beschwerdeausschuss stehe fest, dass, um das sterile Fertigarzneimittel für die parenterale Applikation in anwendungsfertige Form zu bringen, eine aseptische Arbeitsweise von Nöten sei. Die aseptische Arbeitsweise sei aber originärer Bestandteil des ärztlichen Berufsbildes. So sei eine aseptische Arbeitsweise auch zwingend bei Punktionen und der Durchführung der Dialyse. Der Begriff Sterilität sei nicht steigerungsfähig. Es handle sich bei Calciumfolinat nicht um ein toxisches Arzneimittel, so dass besondere Aspekte des Personenschutzes nicht zu beachten seien. Die Zubereitung von nicht toxischen parenteralen Fertigarzneimitteln sei von den Ärzten selbst durchzuführen. Die durch die Beauftragung einer Apotheke verursachten Mehrkosten seien als unwirtschaftliche Mehraufwendungen zu qualifizieren. Die Verfahren wurden zur mündlichen Verhandlung am 6.3.2013 terminiert, jedoch im Hinblick auf anhängige Verfahren vor dem Bayerischen Landessozialgericht (Az L 12 KA 60/12 und L 12 KA 61/12) vertagt.
Der Beklagte teilte dann mit Schreiben vom 29.8.2018 mit, der Prüfantrag, betreffend MAK sei von der Beigeladenen zu 2 zurückgenommen worden. Damit sei der Rechtsstreit zumindest teilweise als erledigt anzusehen. Zur Zubereitung von Folinsäure wies der Beschwerdeausschuss auf den Beschluss des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20.08.2018 (Az L 12 KA 3/17) hin, in dem auf die zutreffenden Gründe des vorausgegangenen Urteils des Sozialgerichts München vom 19.10.2016 (Az S 21 KA 665/13) Bezug genommen wurde. Gegenstand der dortigen Klage war ebenfalls die Verordnung von Calciumfolinat. Hierzu vertrat das Sozialgericht München die Auffassung, dass die Herstellung von folinsäurehaltigen Infusionslösungen weder eine besondere Ausstattung der Praxis, noch einen besonderen Arbeitsoder Zeitaufwand erforderlich mache. Der Vertragsarzt sei bei zwei zur Behandlung einer bestimmten Gesundheitsstörung zur Verfügung stehenden, medizinisch gleichwertigen Therapieansätzen verpflichtet, den kostengünstigeren zu wählen (Minimalprinzip). Auch sei kein Laminar-Air-Flow-System erforderlich. Verunreinigungen der Lösung ließen sich durch aseptische Arbeitsweise vermeiden und ein besonderer Personalschutz sei mangels Toxizität von Folinsäure nicht notwendig. Des Weiteren wurde ausgeführt, die Herstellung einer Folinsäure-Infusionslösung werde auch üblicherweise in einer Vertragsarztpraxis vorgenommen. Dies ergebe sich aus den vom Beigeladenen zu 1 und 2 vorgelegten Daten, wonach im Quartal 2/2005 von 67 hämatologisch-onkologischen Praxen mindestens 28 Praxen Calciumfolinat als Fertigarzneimittel verordnet hätten.
Die Prozessbevollmächtigte der klägerischen Gemeinschaftspraxis wies in ihrer Klagebegründung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts hin (BSG, Urteil vom 17.2.2016, Az B 6 KA 3/15). Aus den Urteilsgründen zitierend wurde folgendes ausgeführt:
„Die Feststellung, dass der Vertragsarzt die Zubereitung von Arzneimitteln in seiner Praxis zugemutet werden kann und er daher unwirtschaftlich handelt, wenn er diese durch die Apotheke vornehmen lässt, ist nur gerechtfertigt, wenn die an die Zubereitung zu stellenden Anforderungen nicht über das Maß hinausgehen, das von jedem Vertragsarzt erwartet werden kann… Entsprechendes gilt auch dann, wenn die patientengerechte Gebrauchsfertigmachung eines Arzneimittels im Übrigen insbesondere wegen des hiermit verbundenen zeitlichen Aufwands besondere Anforderungen an die Arztpraxis stellen würde, die dieser nicht zumutbar sind… Auch der mit der Zubereitung verbundene zeitliche oder logistische Aufwand muss deutlich über den üblicherweise mit dem das Gebrauchsfertigmachen von Arzneimitteln verbundenen Aufwand hinausgehen, um die Unzumutbarkeit einer Zubereitung in der Arztpraxis zu begründen; insoweit können die auf Spitzenverbandsebene vereinbarten bzw. die in der AmPreisV genannten Apothekenzuschläge für Zubereitungen einen Anhalt geben.“
Des Weiteren zitierte die Prozessbevollmächtigte der klägerischen Gemeinschaftspraxis aus einem Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG, Urteil vom 26.07.2017; Az L 12 KA 57/16 ZVW), betreffend MAK unter anderem folgende Passage:
„Die vom Fachbereich Apotheken der Klägerin ermittelten 8 Minuten Zubereitungszeit - so die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung - übersteigen nämlich die Zubereitungszeit der anderen Medikamente von ca. 1 Minute so erheblich, dass nicht mehr von einer geradezu selbstverständlichen notwendigen Vorbereitungshandlung im Sinne der BSG-Rechtsprechung ausgegangen werden kann… Bei der Beweiswürdigung berücksichtigt der Senat auch, dass § 5 AMPreisV für die Zubereitung eine Vergütung im streitgegenständlichen Zeitraum von immerhin 51 EUR vorsah (aktuell nach § 5 Abs. 6 Nr. 2 AMPreisV 87,- EUR). Diese Vergütung indiziert den hohen zeitlichen und logistischen Aufwand beim Gebrauchsfertigmachen von MAK. Damit ist der zeitliche und logistische Aufwand bei der Zubereitung monoklonaler Antikörper in einer onkologischen Praxis nicht mehr zumutbar.“
Vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts und des Bayerischen Landessozialgerichts erstaune der Beschluss des BayLSG zur Folinsäure (BayLSG, Beschluss vom 20.8.2018; Az L 12 KA 3/17). Denn zur Zubereitungszeit habe weder das Sozialgericht München, noch das Bayerische Landessozialgericht Feststellungen getroffen. Ferner dürfe die Zubereitung nicht unabhängig von dem Patientenklientel (onkologische Patienten) beurteilt werden dürfen. Schließlich sei auf die „Auslegungshilfe für die Überwachung der erlaubnisfreien Herstellung von sterilen Arzneimitteln, insbesondere Parenteralia durch Ärzte oder sonst zur Heilkunde befugte Personen gemäß § 13 Abs. 2b Arzneimittelgesetz (AMG)“ hinzuweisen und auch auf die Checkliste zur Risikobewertung.
Die Beigeladene zu 1 machte darauf aufmerksam, die Herstellung einer Calciumfolinatlösung sei mit rund 10 Minuten Herstellungszeit in der Praxis zu veranschlagen und übersteige damit die Zubereitungszeit anderer Medikamente deutlich. Somit seien der räumliche, aber auch der personelle Aufwand gewichtige Argumente dafür, dass die klägerische Praxis Folinsäure von der Apotheke beziehen dürfe.
Zu dem Verfahren äußerte sich auch die Beigeladene zu 2. Sie bleibe weiterhin bei Ihrer Auffassung, dass das Gebrauchsfertigmachen in der klägerischen Praxis zumutbar sei.
Die Prozessbevollmächtigte der klägerischen Gemeinschaftspraxis wies schließlich noch auf das noch nicht abgeschlossene Parallelverfahren vor dem Sozialgericht München (SG München, Az S 38 KA 213/11) hin. Insbesondere werde auf die Sitzungsniederschrift aus der Sitzung vom Juli 2018 Bezug genommen, in der ein Apotheker als sachverständiger Zeuge gehört worden sei. Danach sei von einem zeitlichen Aufwand von bis zu 15 Minuten auszugehen (reiner Herstellungsprozess ohne die notwendigen Vorarbeiten wie Umziehen, Hochfahren der Anlage, Herrichten der unterschiedlichen Materialien, sowie ohne die nachher erforderliche Dokumentation und Entsorgung der Materialien). Die Prozessbevollmächtigte der klägerischen Gemeinschaftspraxis bezog sich ferner auf das Sicherheitsdatenblatt.
In der mündlichen Verhandlung am 30.4.2019 teilte die Klägerseite mit, es gebe keine weiteren Prüfanträge mehr, soweit der Klägerseite bekannt sei. Nach wie vor werde Calciumfolinat von der Apotheke bezogen. Im Hinblick auf das Patientenklientel (onkologische Patienten) sei es wichtig, den höchsten Sicherheitsstandard zu gewährleisten. Nachdem in der klägerischen Praxis (mittlerweile MVZ) jährlich ca. 12.000 Chemotherapien durchgeführt würden, sei es nicht möglich, für das Gebrauchsfertigmachen von Medikamenten eine entsprechende apparative und personelle Ausstattung vorzuhalten.
Die Vertreterin der Beklagten der Beklagten wies darauf hin, das Bayerische Landessozialgericht habe das Gebrauchsfertigmachen von MAK in der Apotheke insbesondere deshalb für erforderlich erachtet, weil es hier um CMR-Wirkstoffe gegangen sei, bei denen ein umfangreicher Arbeitsschutz zu gewährleisten sei. Beim Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat gehe es nur um eine Verdünnung. Hier seien nicht die vielen Arbeitsschritte erforderlich. Man stelle sich die Frage, weshalb das Gebrauchsfertigmachen von MAK lediglich 8 Minuten in Anspruch nehme, während für das Gebrauchsfertigmachen von Folinsäure mit 15 Minuten angegeben werde.
Die Verfahren unter dem Aktenzeichen S. 38 KA S 38 KA 850/10, S 38 KA 851/10 und S 38 KA 852/10 wurden durch Beschluss in der mündlichen Verhandlung zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Prozessbevollmächtigte der Klägerin stellte folgende Anträge:
Die Bescheide des Beklagten, betreffend die Quartale 3/04, 4/04 und 1/05 werden aufgehoben, soweit sich die Regresse auf Folinsäure und Bisphosphonate beziehen. Der Beklagte wird insoweit verpflichtet, erneut über die Widersprüche unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Des Weiteren beantragte die Prozessbevollmächtigte der Klägerin, im Hinblick auf die Rücknahme der Prüfanträge der Beigeladenen zu 2 die Bescheide, betreffend MAK aufzuheben.
Die Vertreterin der Beklagten beantragte, die Klagen abzuweisen.
Die anwesenden Vertreter der Beigeladenen stellten keine Anträge.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Beklagtenakten. Im Übrigen wird auf den sonstigen Akteninhalt, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, sowie die Sitzungsniederschrift vom 30.4.2019 verwiesen.
Gründe
Die zum Sozialgericht München eingelegte Klage ist zulässig, und erweist sich auch als begründet.
Die angefochtenen Bescheide des Beklagten sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten.
Rechtsgrundlage für die Prüfung der ärztlichen Verordnungsweise in Einzelfällen ist § 14 Prüfvereinbarung. Die Prüfung kann sich auch auf Einzelposten des Sprechstundenbedarfs erstrecken. Der Beklagte ist offensichtlich von einer Verordnung nach Maßgabe der Vereinbarung über die ärztliche Verordnung von Sprechstundenbedarf (PC-Vereinbarung vom 1.4.1999) ausgegangen. Dabei ist es aber fraglich, ob die strittige Verordnung von Calciumfolinat als Sprechstundenbedarf nach der PC-Vereinbarung einzustufen ist. Denn nach III.1. der PCVereinbarung gelten als Sprechstundenbedarf nur solche Mittel, die ihrer Art nach bei mehr als einen Berechtigten im Rahmen der vertragsärztlichen Behandlung angewendet werden oder bei Notfällen für mehr als einen Berechtigten zur Verfügung stehen müssen. Es ist fraglich, ob es sich um eine Behandlung von mehr als einem Berechtigten mit dem gleichen Arzneimittel, also um eine Serienbehandlung handelt, wie vom Sozialgericht München in seiner Entscheidung vom 19.10.2016 (Az S 21 KA 665/13) angenommen, wenn zwar die Ausgangsprodukte für einen größeren Personenkreis verwendbar sind, jedoch das Gebrauchsfertigmachen individuell und patientenbezogen geschieht.
Letztendlich kommt es darauf aber nicht an. Unbestritten unterliegt die Verordnungsweise, unabhängig davon, ob es sich um eine Verordnung nach Maßgabe der Sprechstundenvereinbarung oder um eine Einzelverordnung auf den Patienten handelt, dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach §§ 12 Abs. 1, 70 Abs. 1 S. 2 SGB V.
Grundsätzlich wäre eine Unwirtschaftlichkeit der Verordnungsweise mit der Rechtsfolge eines Regresses dann gegeben, wenn das Gebrauchsfertigmachen in der Arztpraxis und in der Apotheke gleichwertig und die erforderlichen Verfahrensschritte in der Arztpraxis neben den dort stattfindenden Diagnoseund Therapieverfahren zumutbar wären.
Beim Gebrauchsfertigmachen von Zytostatika und Monoklonalen Antikörpern (MAK) geht die Rechtsprechung der Sozialgerichte in mehreren Entscheidungen (vgl. BSG, Urteil vom 17.2.2016, Az B 6 KA 3/15; BayLSG, Urteil vom 26.07.2017; Az L 12 KA 57/16 ZVW), betreffend MAK davon aus, unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten sei es nicht zu beanstanden, wenn das Gebrauchsfertigmachen in der Apotheke erfolge und nicht in der Arztpraxis. Im Zusammenhang mit der Frage der Zumutbarkeit wurde insbesondere auf den zeitlichen und logistischen Aufwand für das Gebrauchsfertigmachen abgestellt. Zusätzlich wurden auch Gesichtspunkte des Personenschutzes berücksichtigt. So wurde das Gebrauchsfertigmachen von MAK in der Apotheke deshalb bejaht, weil es sich um sogenannte CMR-Wirkstoffe (carzinogen, mutagen, reproduktionstoxisch) handle.
Deshalb sei bei dem Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat - da nicht toxisch -ein besonderer Personenschutz nicht notwendig.
Was die Ausführungen des Sozialgerichts München, der 21. Kammer und des Bayerischen Landessozialgerichts zum Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat (aaO) betrifft, ist allerdings festzustellen, dass zur Frage des zeitlichen Aufwandes für das Gebrauchsfertigmachen - es wurden zwar die Arbeitsschritte aufgezeigt - keinerlei konkrete Ausführungen gemacht wurden. Im Hinblick auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17.2.2016, Az B 6 KA 3/15) zu MAK kann jedoch nach Ansicht der 38. Kammer des Sozialgerichts München nicht auf Ermittlungen zum benötigten räumlich-apparativen, personellen und zeitlichen Aufwand mit konkreten Zeitangaben verzichtet werden. Ist ein räumlich-apparativer, personeller und zeitlicher Aufwand für das Gebrauchsfertigmachen erforderlich, der über eine in einer Arztpraxis selbstverständliche notwendige Vorbereitungshandlung hinausgeht, ist es nicht zumutbar, dem Arzt das Gebrauchsfertigmachen in seiner Praxis abzuverlangen.
Die 38. Kammer des Sozialgerichts München hat in Parallelverfahren (Az S 38 KA 213/11 und andere), in denen ebenfalls Gegenstand die Verordnung von Calciumfolinat war und die noch anhängig sind, einen Apotheker als sachverständigen Zeugen in einem Erörterungstermin einvernommen. Dieser schilderte ausführlich und zeigte anhand mitgebrachter Materialien die Arbeitsschritte, die in seiner Apotheke für das Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat stattfinden. Das Gebrauchsfertigmachen geschieht in einem Sterillabor. Es gibt eine Personenschleuse und eine Materialschleuse, einen Isolator und einen Laminar-Air-Flow (LAF). Es gilt das Vieraugenprinzip mit zwei anwesenden und den Vorgängen befassten Personen. Nach Ende findet eine Dokumentation statt.
Für die 38. Kammer des Sozialgerichts München steht fest, dass dieser räumlich-apparative Aufwand nicht in einer Arztpraxis darstellbar ist.
Es stellt sich allerdings die Frage, ob dieser Aufwand notwendig ist. Zwischen den Beteiligten ist unstrittig, dass Sterilität zu gewährleisten ist und diese Arbeitsweise auch zum Berufsbild des Arztes gehört. Dies gilt insbesondere für das Applizieren von Medikamenten, das vom Gebrauchsfertigmachen von Medikamenten zu unterscheiden ist. Was die Anforderungen an die Sterilität betrifft, hat die Prozessbevollmächtigte der Klägerin auf die „Auslegungshilfe für die Überwachung der erlaubnisfreien Herstellung von sterilen Arzneimitteln, insbesondere Parenteralia durch Ärzte oder sonst zur Heilkunde befugte Personen gemäß § 13 Abs. 2b Arzneimittelgesetz (AMG) hingewiesen. Nach 1.1 (Grundsätze) sind an die Qualität von Arzneimitteln zum Schutz des Patienten höchste Ansprüche zu stellen. Die Maßnahmen zur Risikominimierung (2.2.) orientieren sich an der Risikobewertung und der Einstufung in die Risikoklassen Niedrig, Mittel und Hoch (2.1.). In Tab. 1 zu 2.1. (Risikobewertung) wird beispielhaft als Risikoklasse Mittel die Herstellung aus sterilen Fertigarzneimitteln mit bekannter Kompatibilität bei hoher Patientenvulnerabilität (z. B. Intensivstation, Neonatologie, Pädiatrie, Onkologie), unmittelbar vor der Anwendung und Applikation intravasal“ genannt. Bei dieser Risikoklasse wird unter Tab. 3 (Maßnahmenkatalog zur Risikominimierung) unter 3.4. (Räume und Einrichtungen) eine Laminar-Air Flow Bank/Isolator genannt. Des Weiteren werden eine Personalschleuse und eine Materialschleuse empfohlen.
Nachdem das Patientenklientel ausschließlich aus onkologischen Patienten besteht, bei denen die Immunabwehr stark herabgesetzt ist, besteht eine hohe Patientenvulnerabilität, so dass zumindest eine Einordnung in die Risikoklasse Mittel vorzunehmen ist. Dies bedeutet, dass - legt man die „Auslegungshilfe für die Überwachung der erlaubnisfreien Herstellung von sterilen Arzneimitteln, insbesondere Parenteralia durch Ärzte oder sonst zur Heilkunde befugte Personen gemäß § 13 Abs. 2b Arzneimittelgesetz (AMG)“ zu Grunde, die Anforderungen an die Sterilität sehr hoch sind und genau die räumlich-apparative Ausstattung und Vorgehensweise erforderlich ist, wie sie in der Apotheke stattfindet. Die Notwendigkeit eines solchen räumlich-apparativen Aufwandes ist somit zu bejahen. Ein solcher Standard ist nicht in einer Arztpraxis zu gewährleisten, sondern in der Apotheke. Hinzu kommt auch der personelle Aufwand, wenn, wie bei der Klägerin, jährlich 12.000 Zytostatika-Behandlungen stattfinden. Der personelle Aufwand, der für das Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat zusätzlich notwendig ist, ließe sich nur mit erheblichen finanziellen Mitteln bewerkstelligen.
Dagegen kann nicht eingewandt werden, die Auslegungshilfe habe den Stand 03.07.2018. Denn Grundlage dieser Auslegungshilfe ist das Arzneimittelgesetz (AMG), das seit 1976 in Kraft ist und mehrfach novelliert wurde.
Abgesehen von dem räumlich-apparativen und personellen Aufwand kommt der zeitlichen Komponente (zeitlicher Aufwand) für das Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten ebenfalls entscheidende Bedeutung zu. Das Bayerische Landessozialgericht hat in seiner Entscheidung zu MAK (BayLSG, Urteil vom 26.07.2017, Az L 12 KA 57/16 ZVW) ein Übersteigen der Zubereitungszeit von ca. 1 Minute für so erheblich erachtet, „dass nicht mehr von einer geradezu selbstverständlichen notwendigen Vorbereitungshandlung im Sinne der BSGRechtsprechung ausgegangen werden“ könne. Legt man diese Maßstäbe zu Grunde, so hat der in den Parallelverfahren (Az S 38 KA 213/11 und andere) einvernommene Apotheker als sachverständiger Zeuge einen zeitlichen Aufwand von bis zu 15 Minuten angegeben, allerdings sei dies der reine Herstellungsprozess ohne die notwendigen Vorarbeiten und Nacharbeiten. Die Beigeladene zu 1 geht von einem Gebrauchsfertigmachen von ca. 10 Minuten aus. Egal, welchen Wert man zu Grunde legt, ist auf jeden Fall eine Zubereitungszeit von ca. 1 Minute bei weitem überschritten. Von einer selbstverständlich notwendigen Vorbereitungshandlung in einer Arztpraxis kann deshalb keine Rede sein. Das Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat ist somit als nicht zumutbar in einer Arztpraxis anzusehen.
Für das Ergebnis spricht auch die Arzneimittelpreisverordnung (AMRPreisVO). In § 5 Nr. 6 AMRPreisVO ist das Gebrauchsfertigmachen mit 51 € veranschlagt. Dies ist ein Indiz dafür, dass von einem nicht unerheblichen räumlich-apparativen, personellen und zeitlichen Aufwand auszugehen ist. Ansonsten wäre eine derart hohe Vergütung nicht vorgesehen.
Des Weiteren spricht für das Ergebnis, dass von den Kassen keine weiteren Prüfanträge für nachfolgende Quartale gestellt wurden.
Zu berücksichtigen ist nach Auffassung der 38. Kammer des Sozialgerichts München auch, dass es sich bei der Gabe von Calciumfolinat um eine Begleitmedikation handelt. Diese dient insbesondere der Vorbeugung von Vergiftungserscheinungen bei der (Mittel-) hoch dosierten MethodrexatTherapie. Würden geringere Anforderungen an die Keimfreiheit gestellt, hieße das, dass insgesamt die ZytostatikaTherapie gefährdet würde, was im Hinblick auf das Patientenklientel und die Schwere der Erkrankung nicht hinnehmbar erscheint.
Soweit sich im Urteil der 21. Kammer des Sozialgerichts München (Urteil vom 19.10.2016; Az S 21 KA 665/13) unter Bezugnahme auf Datenmaterial, übermittelt von den Beteiligten Zahlen über Praxen finden, die in ihrer Praxis Calciumfolinat und solchen, die Calciumfolinat in der Apotheke gebrauchsfertig machen bzw. machen lassen, können daraus keine Schlüsse weder für den einen, noch für den anderen Herstellungsort gezogen werden. Wenn der eine oder andere Vertragsarzt in seiner eigenen Praxis Calciumfolinat gebrauchsfertig macht, bedeutet dies nicht zwingend, dass dadurch von einer Zumutbarkeit auszugehen ist und die Anforderungen an die Sterilität erfüllt werden. Außerdem ist nicht bekannt, welche räumlichen, apparativen und personellen Voraussetzungen in diesen Praxen vorliegen. Abgesehen davon könnte auch aus den Zahlen geschlossen werden, dass das Gebrauchsfertigmachen von Calciumfolinat zumindest hauptsächlich nicht in Arztpraxen stattfindet, so dass von einem Regelfall nicht gesprochen werden kann.
Gleiches gilt für die Verordnung von Bisphosphonaten.
Soweit sich die Klage ursprünglich auch auf monoklonale Antikörper (MAK) bezog, hat der Beklagte darauf hingewiesen, die Antrag stellende Krankenkasse habe ihren Prüfantrag zurückgenommen. Diese Rücknahme geht offensichtlich auf die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts (BayLSG, Urteil vom 26.07.2017, Az L 12 KA 57/16 ZVW) zurück. Vor diesem Hintergrund war dem Antrag der Prozessbevollmächtigten der Klägerin diesbezüglich stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. 154 VwGO.