Sozialgericht Mainz Urteil, 26. Juni 2012 - S 16 KR 250/10

ECLI: ECLI:DE:SGMAINZ:2012:0626.S16KR250.10.0A
published on 26/06/2012 00:00
Sozialgericht Mainz Urteil, 26. Juni 2012 - S 16 KR 250/10
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Tenor

1. Der Bescheid vom 22.04.2009 und der Widerspruchsbescheid vom 13.07.2010 werden aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine minimalinvasive bariatrische Operation als Sachleistung zu gewähren.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klage richtet sich gegen die Ablehnung einer adipositaschirurgischen Behandlung.

2

Die am ...1968 geborene Klägerin beantragt am 16.02.2009 die Kostenübernahme für eine noch durchzuführende laproskopische Schlauchmagenbildung unter Vorlage eines Schreibens des Klinikums M der Borromärinnen vom 15.01.2009. Dort wird eine seit Kindheit bekannte Übergewichtigkeit beschrieben bei einer extremen Gewichtszunahme seit dem Beginn der 90er Jahre. Die Klägerin habe multiple Diäten durchgeführt, es trete jedoch stets der typische Jojo-Effekt mit ansteigendem Körpergewicht nach jeder Diät auf. Kuren seien Anfang der 80er Jahre erfolgt, Bewegungstherapien habe die Klägerin im Rahmen ihrer Möglichkeiten durchgeführt. Vormals sportliche Betätigungen seien aufgrund der durch das Übergewicht bedingten Überbelastung des Bewegungsapparates bei bestehenden orthopädischen Beschwerden nicht mehr möglich. Sie befinde sich aufgrund der starken Belastungssituation und einer reaktiven Depression in einer Verhaltenstherapie. Eine Ernährungsberatung sei bereits durchgeführt worden, eine medikamentöse Therapie mit Reduktil sei ohne Wirkung geblieben. Die Klägerin habe angegeben, eher eine Volumenesserin zu sein. Ein Sweet-Drinking oder Sweet-Eating bestehe nicht. Komorbiditäten seien eine Hypertonie, Dyslipidämie und Fettleber sowie die orthopädischen Erkrankungen. Durch die extreme Adipositas sei die Klägerin in ihrer Lebensqualität drastisch eingeschränkt. Da die konservativen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft seien, halte man einen chirurgischen Eingriff entsprechend den einschlägigen Leitlinien für dringend indiziert und sehr erfolgversprechend, am ehesten in der Form einer Schlauchmagenbildung. Auch eine dort durchgeführte psychologische Exploration sowie eine psychodiagnostische Untersuchung hätten keine Kontraindikation ergeben. Suchterkrankungen, schwere Depressionen, Psychosen und Essstörungen im Sinne von Bulimie und Binge Eating hätten ausgeschlossen werden können.

3

In einem Gutachten vom 17.04.2009 verneinte der MDK nach Vorlage eines Ernährungsprotokolls die Notwendigkeit des begehrten Eingriffs. Zwar bestehe bei einer aktuellen Adipositas Grad III mit einem BMI von 44,12 kg/m² die zwingende Notwendigkeit einer drastischen Gewichtsreduktion. Die bescheinigte deutliche Motivation der Klägerin hierzu müsse jedoch in Frage gestellt werden, nachdem diese geäußert habe, sie empfinde es als Qual zu hungern bzw. ihre Kalorienzufuhr zu drosseln. Da die Klägerin Volumenesserin bei fehlendem Sättigungsgefühl sei, sei eine Verhaltenstherapie gefragt, in der die Klägerin lernt, nach einer bestimmten Nahrungsmittel- bzw. Kalorienmenge nicht weiter zu essen, sondern sich zu beherrschen. Sie habe zudem wiederholt bewiesen, dass sie bei Änderung ihres Verhaltens mit reduzierter Kalorienzufuhr und gleichzeitiger Erhöhung ihres Kalorienverbrauchs durch sportliche Aktivitäten fähig ist, ihr Gewicht beträchtlich zu reduzieren. Allerdings habe sie die veränderte Lebens- und Ernährungsweise nicht über einen genügend langen Zeitraum fortgeführt, sondern sei in ihre alten Verhaltensmuster zurückverfallen. Es empfehle sich vorrangig das sogenannte konservative Basiskonzept nach den Leitlinien der Deutschen Adipositasgesellschaft mit Ernährungsberatung und Erhöhung des Bewegungsprogramms und Ernährungsverhaltenstherapie mit dem Ziel der Implementierung einer Veränderung der Lebensweise zur dauerhaften Gewichtsreduktion. Das Basiskonzept solle über einen genügend langen Zeitraum von einem, besser zwei Jahren erfolgen und professionell begleitet werden. Erst wenn dieses dokumentierte Konzept nachweislich nicht zum erhofften Erfolg führen sollte, sei ein bariatrischer Eingriff als ultima ratio erneut zu diskutieren.

4

Mit Bescheid vom 22.04.2009 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Hiergegen legte die Klägerin am 28.04.2009 Widerspruch ein mit der Begründung, die Indikation für eine chirurgische Behandlung der Adipositas sei im Vorfeld von mehreren Ärzten bejaht worden. Sie sei notwendig und geeignet, um die schwere und heimtückische Erkrankung zu behandeln und in den Griff zu bekommen. Die durchzuführende Operation entspreche auch dem allgemein anerkannten Stand des medizinischen Fortschritts. Zur Stützung ihres Begehrens legte die Klägerin eine Publikation des Adipositaschirurgen Prof. Dr. W sowie eine in einem bei dem Sozialgericht (SG) Münster geführten Verfahren vorgelegte ergänzende Stellungnahme vom 16.06.2009 zu einem dort erstatten Gutachten vor, in der er unter anderem ausführt, weder die Leitlinien noch das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 19.02.2003 würden die Forderung eines einheitlichen Konzepts über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erheben. Eine solche Forderung mache nach dem derzeitigen Kenntnisstand aus wissenschaftlicher Sicht keinen Sinn. Auch scheine der MDK im Bundesland Hessen umzuschwenken, was sich aus der vorgelegten Stellungnahme zu einem anderen Verfahren ergebe. Dort wird unter anderem ausgeführt, es sei eine Tatsache, dass bei Adipösen im Schweregrad 3 mit einem BMI über 40 alle Formen der konservativen Therapie langfristig betrachtet keinen oder nur einen geringen Nutzen haben, weshalb international der Trend weg von konservativen Therapien hin zur Adipositaschirurgie bestehe. Die Klägerin legte ferner ein Attest des behandelnden Orthopäden vom 31.08.2009 vor, der bei seit Jahren erfolglosen konservativen Therapien einschließlich einer Verhaltenstherapie eine Magenreduktionsplastik befürwortet, sowie eine Stellungnahme des Klinikums M der Borromäerinnen vom 03.09.2009, in der die dortigen Ärzte ihre Empfehlung des begehrten Eingriffs wiederholen. Sie weisen darauf hin, dass die individuellen Voraussetzungen stets genauestens überprüft würden und nur bei einem konsequent erfüllten Basisprogramm entsprechend der Rechtsprechung des BSG eine solche Maßnahme endgültig empfohlen werde. Alle Studien zeigten, dass nach Beendigung einer Verhaltenstherapie genauso wie nach Beendigung einer Ernährungsberatung eine erneute Gewichtszunahme bei den Patienten mit einer morbiden Adipostas erfolgt, die endlich einmal als Krankheit anzuerkennen sei, wie dies die WHO bereits tue. Vergleiche man die bisherigen Kosten, die die Klägerin durch ihre Begleiterkrankungen verursacht hat und in der Folge noch verursachen werde, mit den Kosten einer operativen Therapie, sei die Entscheidung der Beklagten völlig unverständlich.

5

In einem neuerlichen Gutachten vom 22.03.2010 bestätigte der MDK das Ergebnis der Vorbegutachtung, nachdem die Klägerin im Rahmen einer stationären orthopädischen Rehabilitation eine deutliche Gewichtsreduktion demonstriert habe. Die begehrte Schlauchmagenoperation sei als wissenschaftlich nicht allgemein anerkannte Operationsmethode ebenso wenig zu empfehlen wie andere Methoden der Adipositaschirurgie.

6

Mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2010 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Hiergegen hat die Klägerin am 12.08.2010 Klage beim SG Mainz erhoben.

7

Zur Stützung ihres Begehrens legt die Klägerin eine Stellungnahme des Krankenhauses S vom 19.08.2010 vor, das einen laproskopischen Eingriff eines Roux-en-Y-Magenbypass befürwortet, der den Goldstandard der US- Adipositaschirurgie darstelle. Die Adipositasanamnese der Klägerin sei mit mehr als zehn Jahren ausreichend lang, um eine operative Behandlung in Erwägung zu ziehen, nachdem konservative Behandlungen keinen Erfolg gehabt hätten. Ferner legt sie eine Stellungnahme der Diplom Oecothrophologin Dr. R vom 04.03.2011 vor, die von einer über 6,5 Monate dauernden Ernährungstherapie berichtet, die bei guter Motivation der Klägerin nicht zu der erhofften Gewichtsreduktion geführt habe. Wegen der Schwere der Adipositasproblematik sei auch eine qualifizierte konservative multimodale Therapie nicht erfolgversprechend. Die Klägerin sei auch über die erforderliche Lebens- und Ernährungsstiländerung auf Lebenszeit nach einer bariatrischen Operation aufgeklärt. Die hierbei erforderliche ernährungstherapeutische Begleitung sei durch sie sichergestellt. Die F, Fachklinik für Lymphologie, in der sich die Klägerin in stationärer Behandlung primärer adipositasaggravierter Beinlymphödeme befand, befürwortete in einer vorgelegten Stellungnahme vom 26.07.2011 eine bariatrische Operation. Der BMI habe dort 46 kg/m² betragen bei bestehenden adipositasassoziierten Erkrankungen. Die seit Kindheit immer wieder erfolgten Gewichtsreduktionsversuche zeigten eindrucksvoll, dass die konservative Therapie bei der Klägerin erschöpft ist. Auch liege derzeit kein wesentlich erhöhtes Operationsrisiko vor. Die Motivation der Klägerin sei ausreichend vorhanden, eine Essstörung könne ausgeschlossen werden.

8

Auf Anforderung des Gerichts hat die Klägerin eine Auflistung der in der Vergangenheit vorgenommenen Gewichtsreduktionsbemühungen vorgelegt.

9

Die Klägerin beantragt,

10

den Bescheid vom 22.04.2009 in Form des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2010 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, antragsgemäß die Kosten für eine minimalinvasive operative Magenverkleinerung zur Behandlung der Adipositas zu übernehmen.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Sie ist der Auffassung, dass die Klägerin bis zuletzt keine ausreichend dokumentierten qualifizierten Bemühung zur Gewichtsreduktion auf konservativem Wege nachgewiesen hat, was auch für die für die Dauer von sechseinhalb Monaten durchgeführte Ernährungstherapie gelte, zumal diesbezüglich keinerlei Dokumentation vorliege. Die Klägerin habe wiederholt bewiesen, ohne die begehrte Operation zu nennenswerten Gewichtsabnahmen in der Lage zu sein. Weiterhin seien die Zweifel an der notwendigen Motivation nicht ausgeräumt.

14

Auch bleibe zweifelhaft, ob sich die Klägerin überhaupt im Klaren darüber ist, dass gerade für die angestrebte Operation ein enorm hohes Maß an Disziplin und Motivation erforderlich ist. Der Vortrag, es handele sich um eine heimtückische Krankheit, sei unzutreffend. Vielmehr handele es sich lediglich um eine Fehlkalkulation von aufgenommenen und verbrauchten Kalorien. Schließlich seien auch Kontraindikationen erkennbar, soweit sich die Klägerin Ende 2006 unter anderem aufgrund einer depressiven Episode und Essattacken in stationärer Krankenhausbehandlung befand, mithin aufgrund einer psychischen Erkrankung und einer Essstörung.

15

Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Sachverständigen Dr. S, Arzt für Neurologie, Innere Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie, nebst ergänzender Stellungnahme. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Verfahrensakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich als rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Zu Unrecht hat die Beklagte es abgelehnt, der Klägerin den beantragten minimalinvasiven adipositaschirurgischen Eingriff zu gewähren.

17

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Starkes Übergewicht stellt eine Krankheit dar, wobei dahinstehen kann, ob bereits der Adipositas als solcher Krankheitswert zukommt, da hiermit jedenfalls ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von Begleit- und Folgeerkrankungen einhergeht (Landessozialgericht (LSG), Urteil vom 13.10.2011 - L 5 KR 12/11), das sich bei der Klägerin ausweislich der aktenkundigen medizinischen Stellungnahmen bereits manifestiert hat. Die begehrte Behandlung erweist sich auch als notwendig im vorgenannten Sinne, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich (§§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V).

18

Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass es sich bei begehrten Behandlung um die Operation eines funktionell intakten Organs handelt zur Behandlung einer anderweitigen krankhaften Funktionsstörung, die einer speziellen Rechtfertigung bedarf, was nur dann der Fall ist, wenn sie nach Art und Schwere der Erkrankung, Dringlichkeit der Intervention sowie nach Abwägung der Risiken und des zu erwartenden Nutzens der Therapie sowie etwaiger Folgekosten für die Krankenversicherung gerechtfertigt ist (BSG, Urteil vom 19.02.2003 - B 1 KR 1/02 R). Nach der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie - Chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Adipositastherapie (CA- ADIP) "Chirurgie der Adipositas" (Stand Juni 2010) wird für eine Indikation zur Operation generell ein Versagen einer intensiven konservativen Therapie vorausgesetzt. Die konservativen Behandlungsmöglichkeiten sind demnach erschöpft, wenn durch eine multimodale konservative Therapie innerhalb von sechs bis zwölf Monaten das Therapieziel nicht erreicht und gehalten wurde. Die Leitlinie stellt zudem Kriterien zu den einzelnen Behandlungswegen auf. Die Möglichkeiten zur Ernährungstherapie ist demnach dann erschöpft, wenn mittels einer energiereduzierten Mischkost und einer weiteren ernährungsmedizinischen Maßnahme das Therapieziel nicht erreicht wurde. Ferner wird eine erfolglose Durchführung einer Ausdauer- und/oder Kraftausdauersportart mit mindestens zwei Stunden Umfang pro Woche gefordert, falls keine Barrieren bestehen, sowie eine ambulante oder stationäre Psychotherapie (Verhaltenstherapie oder Tiefenpsychologie), falls eine Essstörung wie binge-eating oder night-eating oder eine Psychopathologie vorliegt. Die Behandlungen zum Lebensstil sollten dabei nach Möglichkeit in der Gruppe erfolgen, idealerweise durch Fachpersonal. Darüber hinaus sieht die aktuelle Leitlinie im Gegensatz zu früheren Versionen eine primäre Indikation vor. Lassen Art und/oder Schwere der Krankheit bzw. psychosoziale Gegebenheiten bei Erwachsenen annehmen, dass eine chirurgische Therapie nicht aufgeschoben werden kann oder die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist, kann in Ausnahmefällen auch primär eine chirurgische Therapie durchgeführt werden, wobei die Indikation hierzu durch einen in der Adipositastherapie qualifizierten Arzt und einen bariatrischen Chirurgen gemeinsam zu stellen ist.

19

Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe, die den aktuellen anerkannten Stand der medizinischen Wissenschaft darstellen, ist eine bariatrische Operation zur Überzeugung der Kammer bei der Klägerin indiziert. Hierbei stützt sich die Kammer zuvörderst auf die Beurteilung des Sachverständigen Dr. S. Nach dessen im Rahmen einer ambulanten Untersuchung am 02.03.2012 getroffenen Feststellungen leidet die Klägerin auf dem neurologisch-psychiatrischen Fachgebiet an einem leicht- bis mittelgradigen depressiven Syndrom bei rezidivierenden depressiven Episoden, gegebenenfalls auf dem Boden einer Dysthymia, bei Hinweisen für ängstlich-abhängige Persönlichkeitszüge ohne Anhalt für eine Persönlichkeitsstörung. Ebenso sieht der Sachverständige keinen Anhalt für eine sozialmedizinisch relevante Suchterkrankung oder für eine psychogene Essstörung. Neben einer Adipositas Grad III stellt er weitere Diagnosen auf dem internistischen und orthopädischen Fachgebiet. Er sieht ein deutlich erhöhtes kardiovaskuläres Risiko bedingt durch die Adipositas bei bestehenden Begleiterkrankungen. Es bestehe ein konkreter Handlungsbedarf, die Klägerin erfahre erhebliche Einschränkungen ihres körperlichen und auch psychischen Empfindens. Unter Berücksichtigung der Aktenlage, der Anamnese seien konservative Behandlungsmöglichkeiten weitestgehend ausgeschöpft. Er attestiert der bariatrischen Operation gute Erfolgsaussichten bei vertretbaren Risiken. Da eine gute Compliance bestehe, sei ein langfristiger Erfolg in Gestalt einer Gewichtsreduktion mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen. Er sehe einen gewissen Teufelskreislauf bei der Klägerin. Bedingt durch die ausgeprägte Adipositas seien die Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt. Ihre Versuche, diese etwa mit der Trainingsform Zumba zu durchbrechen, würden durch die zunehmenden orthopädischen Leiden und das hinzugetretene Lip-/Lymphödem erschwert. Die bestehende depressive Symptomatik werde durch die adipositasbedingten Beschwerden mit unterhalten. Die Angaben der Klägerin zu erfolglos wahrgenommenen Diäten hätten authentisch und nachvollziehbar gewirkt. Hinsichtlich einer diätischen Therapie wirke sich jedoch das originäre psychische Befinden erschwerend aus, was nicht heiße, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, nach erfolgreicher bariatrischer Operation entsprechend notwendige Ernährungsweisen wahrzunehmen und durchzuhalten. Aufgrund der körperlichen Konstitution sei eine Bewegungstherapie nicht mehr erfolgversprechend. Einer medikamentöse Therapie stehe er selbst kritisch gegenüber, aufgrund der depressiven Stimmungslagen sei eine solche sogar kontraindiziert. Im Hinblick auf die in der Vergangenheit durchgeführten psycho- und verhaltenstherapeutischen Maßnahmen, die sämtlich erfolglos verlaufen seien, sehe er diesbezüglich keine Behandlungsalternativen. Insgesamt bejaht der Sachverständige die Indikation der begehrten Behandlung.

20

Die Kammer hat keine Bedenken, ihre Entscheidung auf die Beurteilung des Sachverständigen Dr. S zu stützen. Das Gutachten ist in sich schlüssig und begegnet insoweit keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit die Beklagte bis zuletzt rügt, hinsichtlich der durchgeführten konservativen Behandlungen mangele es an tauglichen Nachweisen, habe der Sachverständige die Angaben der Klägerin unkritisch seiner Beurteilung zugrunde gelegt, teilt die Kammer diese Bedenken nicht. Zu den ureigenen Aufgaben eines Sachverständigen gehört es, die Angaben des Probanden kritisch zu hinterfragen, was der Sachverständige, der über langjährige Erfahrungen in der sozialmedizinischen Begutachtung verfügt, ausweislich seines Gutachtens getan hat, wenn er ausführt, die diesbezüglichen Angaben der Klägerin seien authentisch und nachvollziehbar gewesen. Im Übrigen bestehen auch nach Aktenlage keine Bedenken, dass die Klägerin auf eine langjährige "Diätkarriere" zurückblicken kann, es vorliegend mithin nicht um die vorschnelle Suche nach einem vermeintlich bequemen Weg geht. Sämtliche aktenkundigen ärztlichen und therapeutischen Stellungnahmen beschreiben umfangreiche erfolglose Bemühungen zur Gewichtsreduktion und stützen insoweit die Einschätzung des Sachverständigen. So wurde bereits von Seiten des Krankenhauses S als auch des Klinikums M der Borromäerinnen die Indikation einer bariatrischen Operation bejaht, beides Häuser mit einer ausgesprochenen Expertise auf dem Gebiet der Adipositaschirurgie. Die Kammer geht daher im Einklang mit dem Sachverständigen Dr. S und den sonstigen mit dem Anliegen der Klägerin befassten Medizinern davon aus, dass die konservativen Behandlungsmöglichkeiten effektiv erschöpft sind. Die abweichenden Voten des MDK vermögen das so gefundene Ergebnis nicht zu erschüttern. Soweit die Beklagte rügt, die von der Klägerin unternommenen Bemühungen genügten nicht den hieran zu stellenden Anforderungen, vermag sich die Kammer dem nicht anzuschließen. Hinsichtlich der qualitativen Anforderungen an eine verhaltenstherapeutische Behandlung gilt es zu beachten, dass die Leitlinie lediglich die Leitung durch Fachpersonal empfiehlt. Die Klägerin befand sich jedoch nachweislich in einer sechseinhalbmonatigen ernährungstherapeutischen Behandlung, ohne dass hierdurch ein Erfolg erzielt worden wäre. Auch soweit die Beklagte Abweichungen zu den im Rahmen der Begutachtungen durch den MDK gewonnenen Erkenntnissen rügt, da der Sachverständige eine Essstörung ausschließt, solche nach dem dortigen Leistungsausdruck tatsächlich jedoch bestanden hätten, vermag die Kammer zu keinem abweichenden Ergebnis zu gelangen. Eine solche Erkrankung, läge sie denn vor, würde entgegen der Auffassung des MDK nach den aktuellen Leitlinie gerade keine Kontraindikation darstellen. Vielmehr wird in diesem Fall zunächst eine Psychotherapie verlangt. Auch insoweit hat die Klägerin die zur Verfügung stehenden therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft. Insgesamt darf nicht übersehen werden, dass es sich bei den Leitlinien um allgemeingültige Maßstäbe handelt, es aber generell und insbesondere bei einer so vielschichtigen Problematik wie der Adipositas einer Betrachtung des jeweiligen Einzelfalls bedarf. Angesichts der umfassenden Bemühungen der Klägerin haben sämtliche mit der Klägerin befassten Ärzte mit Ausnahme des MDK den Schluss einer Aussichtslosigkeit weiterer konservativen Therapien gezogen.

21

Die Beklagte war bei der festgestellten medizinischen Notwendigkeit antragsgemäß zu verurteilen, der Klägerin eine minimalinvasive bariatrische Operation als Sachleistung zu gewähren. Insoweit stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Entgegen der zunächst beanspruchten Schlauchmagenbildung wurde zuletzt ein laproskopischer Eingriff eines Roux-en-Y-Magenbypass befürwortet. Der Sachverständige Dr. S sah sich zu einer Aussage, welche Behandlungsmethode am ehesten geeignet ist, nicht in der Lage. Bei bestehender Indikation eines minimalinvasiven Eingriffs obliegt die schlußendliche Entscheidung über das Verfahren der Wahl dem Behandler.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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published on 13/10/2011 00:00

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(1) Versicherte haben Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfaßt

1.
Ärztliche Behandlung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
2.
zahnärztliche Behandlung,
2a.
Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen,
3.
Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln sowie mit digitalen Gesundheitsanwendungen,
4.
häusliche Krankenpflege, außerklinische Intensivpflege und Haushaltshilfe,
5.
Krankenhausbehandlung,
6.
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzende Leistungen.
Zur Krankenbehandlung gehört auch die palliative Versorgung der Versicherten. Bei der Krankenbehandlung ist den besonderen Bedürfnissen psychisch Kranker Rechnung zu tragen, insbesondere bei der Versorgung mit Heilmitteln und bei der medizinischen Rehabilitation. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war. Zur Krankenbehandlung gehören auch Leistungen zur vertraulichen Spurensicherung am Körper, einschließlich der erforderlichen Dokumentation sowie Laboruntersuchungen und einer ordnungsgemäßen Aufbewahrung der sichergestellten Befunde, bei Hinweisen auf drittverursachte Gesundheitsschäden, die Folge einer Misshandlung, eines sexuellen Missbrauchs, eines sexuellen Übergriffs, einer sexuellen Nötigung oder einer Vergewaltigung sein können.

(1a) Spender von Organen oder Geweben oder von Blut zur Separation von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen (Spender) haben bei einer nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes erfolgenden Spende von Organen oder Geweben oder im Zusammenhang mit einer im Sinne von § 9 des Transfusionsgesetzes erfolgenden Spende zum Zwecke der Übertragung auf Versicherte (Entnahme bei lebenden Spendern) Anspruch auf Leistungen der Krankenbehandlung. Dazu gehören die ambulante und stationäre Behandlung der Spender, die medizinisch erforderliche Vor- und Nachbetreuung, Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie die Erstattung des Ausfalls von Arbeitseinkünften als Krankengeld nach § 44a und erforderlicher Fahrkosten; dies gilt auch für Leistungen, die über die Leistungen nach dem Dritten Kapitel dieses Gesetzes, auf die ein Anspruch besteht, hinausgehen, soweit sie vom Versicherungsschutz des Spenders umfasst sind. Zuzahlungen sind von den Spendern nicht zu leisten. Zuständig für Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 ist die Krankenkasse der Empfänger von Organen, Geweben oder Blutstammzellen sowie anderen Blutbestandteilen (Empfänger). Im Zusammenhang mit der Spende von Knochenmark nach den §§ 8 und 8a des Transplantationsgesetzes, von Blutstammzellen oder anderen Blutbestandteilen nach § 9 des Transfusionsgesetzes können die Erstattung der erforderlichen Fahrkosten des Spenders und die Erstattung der Entgeltfortzahlung an den Arbeitgeber nach § 3a Absatz 2 Satz 1 des Entgeltfortzahlungsgesetzes einschließlich der Befugnis zum Erlass der hierzu erforderlichen Verwaltungsakte auf Dritte übertragen werden. Das Nähere kann der Spitzenverband Bund der Krankenkassen mit den für die nationale und internationale Suche nach nichtverwandten Spendern von Blutstammzellen aus Knochenmark oder peripherem Blut maßgeblichen Organisationen vereinbaren. Für die Behandlung von Folgeerkrankungen der Spender ist die Krankenkasse der Spender zuständig, sofern der Leistungsanspruch nicht nach § 11 Absatz 5 ausgeschlossen ist. Ansprüche nach diesem Absatz haben auch nicht gesetzlich krankenversicherte Personen. Die Krankenkasse der Spender ist befugt, die für die Leistungserbringung nach den Sätzen 1 und 2 erforderlichen personenbezogenen Daten an die Krankenkasse oder das private Krankenversicherungsunternehmen der Empfänger zu übermitteln; dies gilt auch für personenbezogene Daten von nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz Krankenversicherungspflichtigen. Die nach Satz 9 übermittelten Daten dürfen nur für die Erbringung von Leistungen nach den Sätzen 1 und 2 verarbeitet werden. Die Datenverarbeitung nach den Sätzen 9 und 10 darf nur mit schriftlicher Einwilligung der Spender, der eine umfassende Information vorausgegangen ist, erfolgen.

(2) Versicherte, die sich nur vorübergehend im Inland aufhalten, Ausländer, denen eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 4 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt wurde, sowie

1.
asylsuchende Ausländer, deren Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist,
2.
Vertriebene im Sinne des § 1 Abs. 2 Nr. 2 und 3 des Bundesvertriebenengesetzes sowie Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes, ihre Ehegatten, Lebenspartner und Abkömmlinge im Sinne des § 7 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes haben Anspruch auf Versorgung mit Zahnersatz, wenn sie unmittelbar vor Inanspruchnahme mindestens ein Jahr lang Mitglied einer Krankenkasse (§ 4) oder nach § 10 versichert waren oder wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen ausnahmsweise unaufschiebbar ist.

(1) Die Krankenkassen stellen den Versicherten die im Dritten Kapitel genannten Leistungen unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12) zur Verfügung, soweit diese Leistungen nicht der Eigenverantwortung der Versicherten zugerechnet werden. Behandlungsmethoden, Arznei- und Heilmittel der besonderen Therapierichtungen sind nicht ausgeschlossen. Qualität und Wirksamkeit der Leistungen haben dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen.

(1a) Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, können auch eine von Absatz 1 Satz 3 abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Die Krankenkasse erteilt für Leistungen nach Satz 1 vor Beginn der Behandlung eine Kostenübernahmeerklärung, wenn Versicherte oder behandelnde Leistungserbringer dies beantragen. Mit der Kostenübernahmeerklärung wird die Abrechnungsmöglichkeit der Leistung nach Satz 1 festgestellt.

(2) Die Versicherten erhalten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Neunte Buch nichts Abweichendes vorsehen. Die Leistungen werden auf Antrag durch ein Persönliches Budget erbracht; § 29 des Neunten Buches gilt entsprechend. Über die Erbringung der Sach- und Dienstleistungen schließen die Krankenkassen nach den Vorschriften des Vierten Kapitels Verträge mit den Leistungserbringern.

(3) Bei der Auswahl der Leistungserbringer ist ihre Vielfalt zu beachten. Den religiösen Bedürfnissen der Versicherten ist Rechnung zu tragen.

(4) Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte haben darauf zu achten, daß die Leistungen wirksam und wirtschaftlich erbracht und nur im notwendigen Umfang in Anspruch genommen werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.