Sozialgericht Landshut Urteil, 02. Dez. 2015 - S 15 U 260/14

published on 02/12/2015 00:00
Sozialgericht Landshut Urteil, 02. Dez. 2015 - S 15 U 260/14
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Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 02.04.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2014 wird abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten hat die Beklagte nicht zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Anerkennung seines Unfalles vom 24.10.1989 als Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung.

Der am …1971 geborene Kläger erlitt am 24.10.1989 im Gebiet der ehemaligen DDR im Rahmen seiner Beschäftigung bei der landwirtschaftlichen Produktionsgesellschaft (LPG) „Pflanzenproduktion S.“ einen Unfall. Laut Unfallmeldung vom 26.10.1989 hatte er an diesem Tag den Auftrag, vom K.platz S. in Sch. die anfallende Erde und die Steine abzufahren. Als er gegen 20.45 Uhr aus dem Pausenraum kam, übersprang er eine ca. 80 cm hohe Absperrung (- ein Geländer). Im abgesperrten Bereich kollidierte er mit einem heranfahrenden Gabelstapler. Laut Bericht des Kreiskrankenhauses B. vom 30.01.1990 wurde sein linkes Bein vom Gabelstapler überrollt. Er zog sich dabei eine erstgradig offene Oberschenkelfraktur links, sowie eine geschlossene Fraktur im Bereich des linken oberen Sprunggelenks zu.

Im April 1991 wurde der Unfall vom 24.10.1989 vom Chirurgen Dr. G. erstmals einem bundesdeutschen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung gemeldet. Es wurde von dort ein Feststellungsverfahren eingeleitet. Die „LPG Pflanzenproduktion S.“ legte auf Anforderung eine Kopie der Unfallmeldung vom 26.10.1989 vor. Diese enthielt auf der Rückseite unter Punkt 23 folgenden Vermerk der Sozialversicherung der DDR, Kreisdirektion B., vom 31.10.1989: „Als Arbeitsunfall nicht anerkannt“. Mit Hinweis darauf teilte die Berufsgenossenschaft (BG) Druck- und Papierverarbeitung dem Kläger mit Einschreiben vom 26.06.1991 mit, dass die Feststellung der Kreisdirektion B., den Unfall nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen, bindend sei und damit ein Entschädigungsanspruch nicht bestünde. Nachdem die BG Druck und Papierverarbeitung mit der Beklagten fusioniert hatte, vertrat auch die Beklagte in ihrem Bescheid vom 19.08.2010 die Auffassung, dass die Sozialbehörden der ehemaligen DDR bereits eine bindende Entscheidung getroffen hätten und diese nach den Einigungsverträgen weiter gelte. Die Beklagte lehnte es ab, diese bindende Entscheidung zurück zu nehmen. Hiergegen wurde Klage beim Sozialgericht Landshut erhoben (Verfahren S 9 U 306/10).

Das Sozialgericht Landshut hat im Gerichtsbescheid vom 30.01.2013 (S 9 U 306/10) rechtskräftig entschieden, dass die Beklagte über die Anerkennung des Unfalles vom 24.10.1989 als Arbeitsunfall noch im Wege eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides zu entscheiden habe. In den Gründen wurde ausgeführt, dass bislang weder in der ehemaligen DDR, noch später ein Verwaltungsakt darüber ergangen sei, ob es sich bei dem Unfall vom 24.10.1989 um einen Arbeitsunfall handle. Die Entscheidung der Kreisdirektion B. über die Verneinung eines versicherten Unfalles sei dem Kläger nicht bekannt gegeben worden, so dass darin kein Verwaltungsakt zu sehen sei.

Im streitigen Bescheid vom 02.04.2014 hat die Beklagte festgestellt, dass es sich bei dem Unfall vom 24.10.1989 nicht um einen Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handle. Nach der Übergansvorschrift des § 1150 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) sei auf den Unfall noch das Recht der ehemaligen DDR anzuwenden. Die Anerkennung eines Arbeitsunfalles sei nach den dortigen Vorschriften, insbesondere § 267 Abs. 2 des Arbeitsgesetzbuches (AGB) der DDR vom 16.06.1977, ausgeschlossen gewesen, wenn der Werktätige seine Pflichten im Arbeitsschutz grob missachtet habe. Durch das Überspringen der Absperrung am Unfalltag habe der Kläger grob fahrlässig gehandelt, weshalb der Unfall nicht als Arbeitsunfall anerkannt werden könne.

Der eingelegte Widerspruch des Klägers vom 13.04.2014 wurde im Widerspruchsbescheid vom 30.07.2014 zurückgewiesen.

Hiergegen ließ der Kläger mit Schreiben vom 29.08.2014 Klage zum Sozialgericht Landshut erheben.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 02.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2014 aufzuheben und die Beklage zu verurteilen, den Unfall des Klägers vom 24.10.1989 als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im Hinblick auf die weiteren Einzelheiten wird verwiesen auf die beigezogene Akte der Beklagten, sowie auf die vorliegende Streitakte.

Gründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass der Unfall vom 24.10.1989 als Versicherungsfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung anerkannt wird.

Nach der Übergangsvorschrift des § 1150 Abs. 2 der RVO ist es vorliegend nach dem Recht der ehemaligen DDR zu prüfen, inwieweit es sich bei dem Unfall vom 24.10.1989 um einen Arbeitsunfall handelt. Nach dem AGB der DDR vom 16.06.1977 standen Unfälle im Zusammenhang mit dem Arbeitsprozess grundsätzlich unter Versicherungsschutz (gem. § 220 Abs. 1 AGB). Unfälle jedoch, die sich während der Arbeitszeit ereigneten, wurden dann nicht als Arbeitsunfälle anerkannt, wenn diese bei einer betriebsfremden Tätigkeit eintraten. Auch Unfälle, die durch undiszipliniertes Verhalten entstanden sind, wurden nicht als Arbeitsunfälle anerkannt (vgl. Petri u. a. „Leistungsgewährung bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten in den neuen Bundesländern, Erich Schmidt Verlag, ISBN 3503034722 aus dem Jahr 1993). Die Anerkennung eines Unfalles als Arbeitsunfall war nach § 267 Abs. 2 des AGB der DDR dann ausgeschlossen, wenn der Werktätige seine Pflichten im Arbeitsschutz grob missachtet hatte.

Die Kammer ist davon überzeugt, dass das schädigende Ereignis vom 24.10.1989 in unmittelbaren Zusammenhang stand mit einem Verhalten, dass als grob fahrlässig einzustufen ist. Durch das Überspringen der Absperrung hatte der Kläger die damalige Arbeitsschutzvorschrift „TGL 30140.2 im Maßnahmeplan Hackfruchternte 1989“ in grob fahrlässiger Weise verletzt. Dass die Sozialversicherungsbehörden der ehemaligen DDR dies damals schon genauso bewerteten, ergibt sich bereits aus der Unfallmeldung vom 26.10.1989 (vgl. Rückseite, 23: „Als Arbeitsunfall nicht anerkannt“). Laut dieser Unfallmeldung hatte die staatliche Versicherung wegen dieses Unfalls angeordnet, dass die Absperrung nach unten zu verdichten und nach oben zu erhöhen sei, auch seien Sicherheitszeichen anzubringen. Nochmals seien alle Sortierkräfte und alle zugeteilten „Mechanisatoren“ nochmalig zu belehren. Diese Anordnung wäre nicht getroffen worden, wenn es sich, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2015 angab, bei der Absperrung nur um einen „Handlauf“ für die Kartoffelsortierer gehandelt hätte.

Von einem Sicherheitsinspektor G. war der Vorfall vom 24.10.1989 zeitnah untersucht worden. Er berichtete der Arbeitsschutzinspektion G. vom Ergebnis seiner Untersuchung im Bericht vom 26.10.1989 und der Staatlichen Versicherung der DDR im Schreiben vom 15.11.1989. In diesen Berichten gab G. an, dass der „Kollege S.“ (d.h. der Kläger) durch seine „unüberlegte Handlungsweise“ die Ursache für den streitigen Unfall gesetzt hatte. G. schrieb am 26.10.1989 an die Arbeitsschutzinspektion in G., dass er zu dem Vorfall vom 24.10.1989 verschiedene Zeugen einvernommen habe, unter anderem auch den Gabelstaplerfahrer H.-J. Sch.. Dieser gab an, dass er nach der Pause (ab 20.00 Uhr) unter Verwendung des Gabelstaplers weitere Paletten mit Kartoffeln vor die Halle gefahren und dort abgestellt habe. Gegen 20.45 Uhr habe er immer noch Kartoffeln zur Halle gebracht, als plötzlich T. S. von rechts (überraschend) auf den Stapler zugekommen sei. Er habe noch gebremst, habe die Kollision aber nicht mehr vermeiden können. T. S. sei aus der Tür des Pausenraums, welche zur Kartoffelhalle führte, gekommen. Die Absperrung habe S. entweder übersprungen oder unterquert, genau habe er dies nicht gesehen.

Die Kammer sieht sich wegen dieser zeitnahen Befragung des Gabelstaplerfahrers nicht gedrängt, nach über 25 Jahren diesen Zeugen nochmals zu dem lange zurückliegenden Ereignis zu befragen. Auch der Zeuge D. K., der damals vom Sicherheitsinspektor G. befragt worden war, hat angegeben, dass T. S. aus dem Pausenraum getreten sei, die Absperrung überwunden habe und dann von dem Gabelstaplerfahrer, welcher nicht mehr habe bremsen können, angefahren worden sei. Der Sicherheitsinspektor G. empfahl daher, alle Mitarbeiter nochmals darüber zu belehren, dass diese den abgesperrten Bereich nicht betreten dürften. Auch sei die Absperrung nach oben zu erhöhen und nach unten zu verdichten, Sicherheitszeichen seien anzubringen. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 02.12.2016 angab, wurde die Tür des Pausenraums an dieser Stelle später auch „eingehaust'.

Nach den vorliegenden Zeugenaussagen und den Aufzeichnungen des Sicherheitsinspektors G. ist die Kammer davon überzeugt, dass der Kläger unter Missachtung der geltenden Arbeitsschutzvorschriften in einen abgesperrten Bereich eingedrungen ist und sich damit die Gefahr verwirklicht hat, vor welcher die Absperrung schützen sollte. Eine bewusste Missachtung von Sicherheitsvorschriften stellt ein grob fahrlässiges Verhalten dar.

Aus diesem Grund hat die Beklagte im angegriffenen Bescheid vom 02.04.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.07.2014 zu Recht den Unfall vom 24.10.1989 nicht als Arbeitsunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung gewertet. Die Klage dagegen war somit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 183, 193 SGG.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos
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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos
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published on 17/10/2018 00:00

Tenor I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 2. Dezember 2015 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 2. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Juli
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Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.