|
|
| Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 i.V.m. § 56 des Sozialgerichtsgesetzes) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Zu Recht hat die Beklagte die Gewährung von Verletztengeld wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 20.10.2014 mit Ablauf des 31.03.2016 eingestellt. |
|
| 1. Dass der Kläger am 20.10.2014 in Ausübung seiner versicherten Tätigkeit als Verkäufer bei einer Werbeagentur auf einem Betriebsweg (§ 8 Abs. 1 SGB VII; vgl. hierzu u.a. BSG SozR 4-2700 § 8 Nr. 39, Rdnr. 20) einen Arbeitsunfall erlitten hat, ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Dies hat die Beklagte in der Begründung des angefochtenen Widerspruchsbescheides vom 01.07.2016 auch - inzidenter - anerkannt. |
|
| 2. Nach § 26 Abs. 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte nach Eintritt eines Versicherungsfalls, u.a. eines Arbeitsunfalls, u.a. Anspruch auf Geldleistungen in Form von Verletztengeld (§ 45 ff. SGB VII). |
|
| Verletztengeld wird nach § 45 Abs. 1 SGB VII erbracht, wenn Versicherte in Folge des Versicherungsfalls arbeitsunfähig sind oder wegen einer Maßnahme der Heilbehandlung eine ganztägige Erwerbstätigkeit nicht ausüben können (Nr. 1) und unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit oder der Heilbehandlung u.a. Anspruch auf Arbeitsentgelt hatten (Nr. 2). Verletztengeld wird von dem Tag an gezahlt, ab dem die Arbeitsunfähigkeit ärztlich festgestellt wird (§ 46 Abs. 1 SGB VII) und endet u.a. mit dem letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit oder der Hinderung an einer ganztägigen Erwerbstätigkeit durch eine Heilbehandlungsmaßnahme (§ 46 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 SGB VII). |
|
| Arbeitsunfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls liegt anknüpfend an die Rechtsprechung zum Begriff der Arbeitsunfähigkeit in der gesetzlichen Krankenversicherung vor, wenn ein Versicherter aufgrund der Folgen eines Versicherungsfalles nicht in der Lage ist, seiner zuletzt ausgeübten oder einer gleich oder ähnlich gearteten Tätigkeit nachzugehen (vgl. zur st. Rspr. in der gesetzlichen Krankenversicherung: BSGE 26, 288; BSGE 61, 66 und BSGE 85, 271, 273; zur Literatur: Schifferdecker in Kasseler Kommentar, Stand März 2017, § 44 SGB V, Rdnr. 41, 45 ff; zur Übernahme dieses Begriffs in die gesetzliche Unfallversicherung: vgl. BSG, USK 72181; BSG SozR 3-2200 § 560 Nr. 1; BSG SozR 3-2700 § 46 Nr. 1 und SozR 4-2700 § 46 Nr. 3; zur unfallversicherungsrechtlichen Literatur: Fischer in jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, Stand: 24.05.2016, § 45, Rdnr. 15; Nehls in Hauck/Noftz, SGBVII, Stand 08/2012, § 45, Rdnr. 4 und Schmitt, SGB VII, 4. Aufl. 2009, § 45, Rdnr. 6). Arbeitsunfähigkeit ist danach gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles konkret ausgeübte Tätigkeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann. Dass er möglicherweise eine andere Tätigkeit trotz der gesundheitlichen Beeinträchtigung noch ausüben kann, ist unerheblich. Ohne Bedeutung ist es, ob die Heilbehandlung des Versicherten abgeschlossen ist oder nicht (vgl. Fischer, a.a.O. und § 46, Rdnr. 38; Köllner in LPK-SGB VII, 4. Aufl. 2014, § 45, Rdnr. 8 sowie Nehls, a.a.O., Rdnr. 6). |
|
| 3. Gemessen daran sind die angefochtenen Bescheide nicht zu beanstanden. |
|
| Der Kläger hat über den 31.03.2016 hinaus keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung. Denn aufgrund des Gesamtergebnisses des Verfahrens ist auch nicht zur Überzeugung der Kammer (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG) erwiesen, dass der Kläger über diesen Zeitpunkt hinaus wegen der Folgen des Arbeitsunfalls vom 20.10.2014 arbeitsunfähig krank war. Hierfür stützt sich das erkennende Gericht auf die wohlbegründeten, kompetenten und widerspruchsfreien Darlegungen der Sachverständigen Prof. Dr. Si. und Dr. St., die im Wege des Urkundenbeweises verwerteten Gutachten der Dres. Gt., M., B. und F., den Heilverfahrens-Bericht von Dr. Gr., das Schreiben des Dr. Sch. vom 11.10.2015 sowie das nach Erlass des Widerspruchsbescheides von der Beklagten eingeholte weitere Gutachten des Orthopäden Prof. Dr. Sp./PD Dr. He. vom Juni 2016. |
|
| a) Wie Dr. F. und Prof. Dr. Sp./PD Dr. He. - im Ergebnis - übereinstimmend dargelegt haben, sind unfallbedingte Gesundheitsstörungen auf orthopädisch-chirurgischem Fachgebiet, mit Ausnahme einer leichten Bewegungseinschränkung am rechten Handgelenk nach Abriss des TFCC für die Streckung/Beugung um jeweils 10° und die Unterarmdrehung, folgenlos ausgeheilt. Sie bedingen mit Dr. F. seit dem 03.11.2015 keine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit mehr. Gegenteiliges macht auch der Kläger nicht geltend. |
|
| b) Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet sind ebenfalls keine überdauernden Unfallfolgen zu objektivieren, die über den 31.03.2016 hinaus eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit rechtfertigen würden. Dies ergibt sich zur Überzeugung der Kammer aus den Gutachten von Dr. B. , dem Heilverfahrensbericht von Dr. Gr. wie auch dem Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. H. bereits vom 18.03.2015. Bei Zustand nach HWS-Distorsion und Schädel-Gesichts-Prellung - wobei nach den zutreffenden Darlegungen des Prof. Dr. Sp./PD Dr. He., des Dr. M. und des Sachverständigen Prof. Dr. Si. eine HWS-Distorsion angesichts der insoweit blanden Befunde in den zeitnah zum Unfallereignis erstellten Berichten des Dr. F., insbesondere im Durchgangsarztbericht vom 20.10.2014, wie auch im Arztbrief des Dr. L. vom 24.11.2014 nicht erwiesen ist; auch Prof. Dr. Sp./PD Dr. He. halten eine unfallbedingte leichtgradige HWS-Distorsion im Ergebnis nur für möglich - hat Dr. H. objektive Unfallfolgen auf neurologischem Fachgebiet ausdrücklich verneint, ebenso eine zervikal-radikuläre Symptomatik. Auch Dr. B. hat aufgrund der von ihm erhobenen Befunde und Krankheitsäußerungen weitere Heilbehandlungsmaßnahmen als nicht erforderlich erachtet und zutreffend eine behandlungsbedürftige bzw. behandelbare psychische Störung verneint. Schließlich rechtfertigt auch die von Dr. Gr. diagnostizierte leichte Anpassungsstörung des Klägers im Sinne einer Restsymptomatik nicht die Annahme unfallbedingter Arbeitsunfähigkeit über den 31.03.2016 hinaus, wie die Ärztin überzeugend dargelegt hat. Dies gilt auch in Bezug auf den vom Kläger angegebenen Schwankschwindel, ungeachtet dessen, dass die Dres. M., Gt. und B. wie auch die Sachverständigen Prof. Dr. Si. und Dr. St. keinen Anhalt für eine unfallbedingte Schädigung der Vestibularisorgane oder ein klinisch-neurologisches Korrelat objektiveren konnten, weshalb ein ursächlicher Zusammenhang dieser Gesundheitsstörung mit dem Arbeitsunfall vom 20.01.2014 auch zur Überzeugung der Kammer nicht wahrscheinlich ist. Ursache der Schwindelerscheinungen dürften vielmehr die bildtechnisch von Dr. L. bereits am 24.11.2014 nachgewiesenen erheblichen degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule sein. |
|
| c) Mit Dr. F. und in Übereinstimmung mit der Beklagten geht auch das erkennende Gericht davon aus, dass im Vordergrund der weiteren Behandlungsbedürftigkeit seit dem 03.11.2015 die Tinnitusproblematik des Klägers stand. Ob der Kläger deswegen über den 31.03.2016 hinaus arbeitsunfähig war, kann vorliegend indes offenbleiben. Denn der Tinnitus einschließlich evtl. psychischer Folgeerscheinungen ist nicht - wie erforderlich - mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Arbeitsunfall vom 20.10.2014 zurückzuführen. Insoweit schließt sich die Kammer nach eigener kritischer Würdigung den - im Ergebnis - übereinstimmenden Darlegungen der Dres. Gt. und M. und des Sachverständigen Prof. Dr. Si. an. Ungeachtet der Frage, ob ein Tinnitus Folge einer HWS-Distorsion sein kann und vorliegend eine unfallbedingte HWS-Distorsion tatsächlich vorgelegen hat - dagegen sprechen die Berichte des Dr. F. vom 20.10. 28.10. und vom 12.11.2014 wie auch der Entlassungsbericht des Klinikums Mi. vom 05.11.2014 und insbesondere der Arztbrief des Dr. L. vom 24.11.2014 -, spricht gegen die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Arbeitsunfall vom Oktober 2014 und der Ohrgeräuschproblematik mit Prof. Dr. Si. und Dr. Gt. das beschwerdefreie Intervall von mehreren Tagen - hier: konkret von 24 Tagen - zwischen dem Unfall und dem Beschwerdevorbringen in Form von Ohrgeräuschen und Schwindelerscheinungen gegenüber Dr. F. erstmals bei der Nachuntersuchung am 12.11.2014. Entgegen dem Vorbringen des Klägers gehen Prof. Dr. Si. und Dr. Gt. insoweit auch nicht von unrichtigen Anknüpfungstatsachen aus. Denn gegenüber Dr. Gt. hat der Kläger bei der Untersuchung und Begutachtung am 03.06.2015 ausdrücklich angegeben, er sei unmittelbar nach dem Unfall hinsichtlich des HNO-Bereichs beschwerdefrei gewesen und habe nach dem Unfall für mehr als eine Woche weder Ohrgeräusche noch eine andere Hörstörung/Hörminderung noch Schwindelbeschwerden gehabt; den Tinnitus beidseits habe er vielmehr erst 10 Tage nach dem Unfall erstmals bemerkt. Diese Angaben hat er sowohl gegenüber Dr. B. („Entwicklung eines Ohrgeräusches, zeitliches Fenster nicht genau angegeben, im Verlauf“; „…etwa 3-4 Tage nach dem Unfall aufgetreten.“) und gegenüber Prof. Dr. Si. („... andauerndes hochfrequentes Geräusch auf beiden Ohren“ ...“ sei einige Tage nach dem Unfall neu aufgetreten.“) bestätigt. Auch gegenüber Dr. St. hat der Kläger anamnestisch angegeben, „kurz nach dem Unfall, möglicherweise während der drei Tage als er stationär im Krankenhaus lag, habe er ein Ohrgeräusch auf beiden Ohren festgestellt, genau könne er das gar nicht terminieren“. Sein nunmehr hiervon abweichendes Vorbringen, die Ohrgeräusche hätten bereits unmittelbar nach dem Unfall am 20.10.2014 bestanden, erachtet die Kammer deshalb als nicht glaubhaft, sondern als ziel- und zweckgerichtetes Vorbringen. |
|
| Überdies setzt ein traumatischer Tinnitus nach medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnissen mit Prof. Dr. Si. voraus, dass gleichzeitig andere unfallbedingte Störungen des Innenohrs (Hörminderung, Schwindel) objektivierbar sind (vgl. hierzu Urteil des erkennenden Gerichts vom 20.04.2017 - S 1 U 3641/16 -, Rdnr. 35 m.w.N. ). Den isolierten unfallbedingten Tinnitus gibt es nicht. Bei den Untersuchungen durch die HNO-Ärzte Dres. Gt., M. und Prof. Dr. Si. konnten die genannten Ärzte eine Hörminderung, die das altersphysiologische Ausmaß überschreitet, jedoch nicht objektivieren. Vielmehr ergaben die von allen HNO-Ärzten durchgeführten ton- und sprachaudiometrischen Untersuchungen des Hörvermögens keine messbaren Hörverlust (= beidseits jeweils 0%). Auch Hinwiese auf eine Läsion der Vestibularisorgane konnten Dr. M., Dr. Gt. und Prof. Dr. Si. nicht objektivieren. Der Sachverständige Dr. St. hat für die vom Kläger angegebenen Schwindelbeschwerden ein klinisch-neurologisches Korrelat ausdrücklich verneint; denn der Kläger zeigte bei der Untersuchung und Begutachtung ein normales und flüssiges Gangbild. Den Romberg-Stehversuch wie auch die Gangvaria (Zehenspitzen- und Fersenstand) konnte er ohne Hilfestellung und ohne Gleichgewichtsstabilisierung regelrecht ausführen. Selbst die erschwerten Gangproben (Blind- und Seiltänzergang) waren sicher möglich. |
|
| d) Eine evtl. traumatisch bedingte psychische Ursache des Tinnitusleidens, wie von Dr. M. angedacht, hat bereits Dr. Sch. in seinem Schreiben an die Beklagte vom 11.10.2015 nicht bestätigt. Dem hat sich Dr. B. in seinem neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachten ebenso angeschlossen wie Dr. Gr. im Heilverfahrenskontrollbericht vom März 2016. Schließlich hat auch der Sachverständige Dr. St. bei seiner Untersuchung und Begutachtung des Klägers keine Befunde und/oder Krankheitsäußerungen erhoben, die die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer traumatisch bedingten psychischen Überlagerung und den Tinnitusbeschwerden auch nur nahelegen könnte. |
|
| e) Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass ein rein zeitlicher Zusammenhang zwischen einem versicherten Unfallereignis und dem Auftreten von Gesundheitsstörungen nicht ausreicht, die Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs im Rechtssinn zu begründen (vgl. BSG vom 17.12.2015 - B 2 U 8/14 R -, Rdnr. 20 und - im Ergebnis - BSG vom 24.07.2012 - B 2 U 9/11 R -, Rdnr. 53; ferner Sächs. LSG vom 13.08.2014 - L 6 U 142/11 -, Rdnr. 41 und Bayr. LSG vom 11.11.2014 - L 2 U 398/13 -, Rdnr. 54 - ), und zwar selbst dann nicht, wenn sich eine andere - nicht versicherte - Ursache nicht feststellen lässt. |
|
| f) Das zuletzt noch vorgelegte Attest des Dr. van Q. ist nicht geeignet, das Klagebegehren zu stützen. Denn ungeachtet dessen, dass dessen Angaben: „Initial Kopfschmerzen und Schwindel, zudem … seither aufgetretenen … Tinnitus“ allein subjektives Vorbringen des Klägers wiederspiegeln, das zudem sowohl der Aktenlage wie auch den anamnestischen Angaben des Klägers gegenüber den behandelnden und untersuchenden Ärzten widersprechen, ist auch nicht ersichtlich, dass Dr. van Q. den Kläger im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Arbeitsunfall behandelt und - ggf. welche - von den Gutachten der Dres. M., Gt. und B. sowie des Prof. Dr. Si. und des Dr. St. abweichende Befunde erhoben hat. |
|
| 4. Aus eben diesen Gründen hat es die Beklagte durch die angefochtenen Bescheide zu Recht abgelehnt, dem Kläger über den 31.03.2016 hinaus Verletztengeld aus Mitteln der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren. Die angefochtenen Bescheide erweisen sich damit als rechtmäßig, weshalb das Begehren des Klägers erfolglos bleiben musste. |
|
|
|