Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 21. Apr. 2010 - 3 K 333/09

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2010:0421.3K333.09.0A
bei uns veröffentlicht am21.04.2010

Tatbestand

1

Der Antragsteller wendet sich gegen die Gültigkeit der Verordnung des Antragsgegners über die Schulentwicklungsplanung vom 22. September 2009. Er ist Schulträger der Sekundarschulen in seinem Kreisgebiet, zu denen u. a. die Sekundarschulen in L., deren Jahrgangsstärke zwischen 120 und 180 Schülern liegt, und die Sekundarschule in Bad K., deren Jahrgangsstärke zwischen 141 und 177 Schülern schwankt, gehören.

2

Mit der Verordnung zur Schulentwicklungsplanung (SEPl-VO LSA) vom 22. September 2009, bekannt gemacht in der Ausgabe des Gesetz- und Verordnungsblattes vom 30. September 2009 (GVBl. LSA S. 309), bestimmte der Antragsgegner zur Beurteilung der mittelfristigen Bestandsfähigkeit von Schulen als Bezugsgröße für die Schulentwicklungsplanung einen aus der Teilung der durchschnittlichen Jahrgangsstärke einer Schule und dem für Sekundarschulen auf 20 festgesetzten Richtwert zur Festlegung der Einzügigkeit zu bestimmenden Zügigkeitsrichtwert. Für die Regelzügigkeit von Sekundarschulen (Jahrgangsstufen 5 bis 10) bestimmte die Verordnung einen Zügigkeitsrichtwert von mindestens 2. Die danach notwendige Mindestschülerzahl von 240 darf an Einzelstandorten und an Mehrfachstandorten mit bis zu vier Sekundarschulen an einer Schule und an Standorten mit mindestens fünf Sekundarschulen an zwei Schulen jeweils um bis zu 60 unterschritten werden. Ferner können Sekundarschulen in den Landkreisen Altmarkkreis Salzwedel, Stendal, Jerichower Land, Wittenberg sowie in den Verwaltungsgemeinschaften der Stadt Z mit dem Einzugsgebiet Elbe-Ehle-Nuthe (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) und der Stadt E mit dem Einzugsgebiet Brocken-Hochharz (Landkreis Harz) ausgehend vom Gebietsstand vom 01. Juli 2007 fortgeführt werden, solange die Mindestschülerzahl von 120 nicht unterschritten wird.

3

Mit dem am 22. September 2009 gestellten Normenkontrollantrag macht der Antragsteller geltend, die Verordnung sei ungültig, weil die Bestimmung von Mindestgrößen für die Aufrechterhaltung von Schulstandorten wegen des erheblichen Eingriffs in die Selbstverwaltungsrechte der Schulträger einer Regelung durch formelles Gesetz vorbehalten sei. Wenn bereits die Bestimmung eines Pflichtfachkataloges dem Gesetzgeber überlassen bleibe, so müsse entsprechendes erst Recht für die Bestimmung von Mindestschülerzahlen bei der Schulorganisation gelten, zumal Schulschließungen in die Rechte von Eltern und Schülern eingriffen. Jedenfalls hätten zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen durch Schulschließungen Überleitungsregelungen vorgesehen werden müssen. Die Ausnahmeregelung für die Standorte u. a. in der Altmark verstoße gegen den Gleichheitssatz, weil die Bevölkerungsdichte allein kein taugliches Abgrenzungskriterium sei. Denn nach dem Gesetz seien zudem raumordnerische Belange zu berücksichtigen. Die Einbeziehung von Verwaltungsgemeinschaften in den Ausnahmekatalog sei sachwidrig, weil diese die Schließung einzelner Schulen wegen des kleineren Gebietszuschnitts besser verkraften könnten als Landkreise, die ggf. mehr als nur einen Standort aufgeben müssten. Die Verwaltungsgemeinschaft Brocken-Hochharz weise nur einen Bruchteil der Fläche des Antragstellers auf und komme dennoch in den Genuss der Ausnahmeregelung. Willkürlich sei auch die Ausnahmeregelung für Sekundarschulen an Mehrfach- und an Einzelstandorten. Ferner seien die Regelungen in der Verordnung zu unbestimmt. So lasse sich der Verordnung nicht entnehmen, ob der Begriff der Jahrgangsstärke auf die Schülerzahlen zu Beginn oder zum Ende des Schuljahres abstelle. Fraglich sei auch, ob die Fortschreibung jährlich oder in Zeiträumen von bis zu fünf Jahren zu erfolgen habe und ob die Jahrgangsstärke in letzterem Fall als Durchschnittswert mehrerer Jahrgänge ermittelt werden könne. Schließlich stünden die Regelungen über die Mindestschülerzahlen in einem unauflöslichen Widerspruch zu den Vorgaben für Schulstandortentscheidungen, nach denen für die Sekundarstufe I Schulstandorte in Grund-, Mittel- und Oberzentren vorgesehen seien.

4

Der Antragsteller beantragt,

5

die Verordnung zur Schulentwicklungsplanung vom 22. September 2008 (GVBl. LSA 309) für unwirksam zu erklären.

6

Der Antragsgegner beantragt,

7

den Antrag abzulehnen.

8

Er meint, der Antrag sei unzulässig, weil dem Antragsteller nur die Schulträgerschaft als eigene Aufgabe zugewiesen sei. Die Schulentwicklungsplanung sei eine staatliche Aufgabe des übertragenen Wirkungskreises, so dass eine Verletzung eigener Rechte durch die Vorgaben in der Verordnung nicht in Betracht komme. Zudem hätten es die Schulträger in der Hand, im Bestand gefährdete Schulen aufzulösen oder durch Änderung der Schuleinzugsbereiche oder durch kreisübergreifende Kooperation mit anderen Schulträgern zu erhalten. Es fehle am Rechtsschutzbedürfnis, weil bei einem Erfolg des Normenkontrollantrages wieder die durch die angegriffene Verordnung abgelöste, formell nicht aufgehobene Verordnung zur mittelfristigen Schulentwicklungsplanung auflebe, die ein Unterschreiten der Mindestzahl von 240 Schülern nicht erlaube. Schließlich bestehe kein Bedürfnis, die Verordnung insgesamt für unwirksam zu erklären, weil sich der Antragsteller nach dem Inhalt der Begründung nur gegen die Regelungen über die Mindestgröße der Sekundarschulen wende. Der Antrag könne auch in der Sache keinen Erfolg haben, weil die Bestimmung von Schülermindestzahlen keine dem Gesetzgeber vorbehaltene wesentliche Entscheidung darstelle. Es handele sich nicht um Grundsätze der Schulentwicklungsplanung, sondern um Einzelanforderungen an die Schulgröße. Zudem sei die Verordnung in enger Abstimmung mit dem Landtag erlassen worden, dessen Ausschuss für Bildung, Wissenschaft und Kultur die Landesregierung gebeten habe, bei der Schulentwicklungsplanung von regional differenzierten konkreten Planungsgrößen auszugehen. Die Verordnung stelle keinen unverhältnismäßigen Eingriff dar, weil Schulen bei Unterschreiten der Mindestschülerzahlen nicht sofort geschlossen werden müssten. Eine auslaufende Beschulung bleibe weiterhin zulässig. Die Ausnahmeregelungen für einzelne Landkreise und Verwaltungsgemeinschaften sei durch die geringere Einwohnerdichte gerechtfertigt. Die Stadt Z und das Umland seien außerordentlich dünn besiedelt. Ein Ausgleich durch eine Beschulung in anderen Teilen des Landkreises Anhalt-Bitterfeld sei unter Berücksichtigung einer zumutbaren Dauer der Schulbeförderung wegen der Trennung dieses Gebietes durch die Elbe nicht möglich. Entsprechendes gelte für den Oberharz. Die Regelungen seien auch hinreichend bestimmt, weil die Begriffe bereits durch die Vorgängerverordnung eingeführt und durch Anwendungshinweise des Antragsgegners hinreichend konkretisiert seien.

Entscheidungsgründe

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Der zulässige Normenkontrollantrag ist unbegründet.

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1) Der Antrag ist zulässig.

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a) Der Antragsteller ist antragsbefugt. Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann den Normenkontrollantrag jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder ihre Anwendung in eigenen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde stellen.

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aa) Zwar mag fraglich erscheinen, ob der Antragsteller als juristische Person öffentlichen Rechts durch die Verordnung oder ihre Anwendung in eigenen Rechten verletzt sein kann, weil die Schulentwicklungsplanung nach § 22 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 SchulG LSA eine staatliche Aufgabe ist, die der Antragsteller als Aufgabe des übertragenen Wirkungswirkungskreises i. S. d. § 5 Abs. 1 Satz 1 LKO LSA wahrzunehmen hat (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 16.07.2001 – 2 R 197/01 – Rdnr. 16 bis 18 ).

13

bb) Indes ist der Antragsteller als untere Verwaltungsbehörde (§ 5 Abs. 1 Satz 2 LKO LSA) antragsbefugt i. S. d. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Eine Kommune kann die Prüfung der Gültigkeit einer von ihr nicht erlassenen, aber in ihrem Gebiet geltenden Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO beantragen, wenn sie die Vorschrift als Behörde zu beachten hat. Ihre Antragsbefugnis ist nicht davon abhängig, dass die zu beachtende Rechtsvorschrift die Kommune in ihrem Recht auf Selbstverwaltung konkret beeinträchtigt, weil § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO zwischen natürlichen und juristischen Personen auf der einen Seite und Behörden andererseits als möglichen Antragstellern eines Normenkontrollverfahrens unterscheidet und nur für natürliche und juristische Personen zur Begründung der Antragsbefugnis die Darlegung verlangt, dass sie durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung eine Rechtsverletzung zu gegenwärtigen haben (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.03.1989 – 4 NB 10/88 – Rdnr. 11 ff. ).

14

Bei der angegriffenen Verordnung handelt es sich um eine Norm, die im Kreisgebiet des Antragstellers gilt und von ihr bei der Wahrnehmung der ihm übertragenen Angelegenheiten der Schulentwicklungsplanung zu beachten ist.

15

b) Entgegen der Auffassung des Antragsgegners steht der Zulässigkeit des Antrages nicht entgegen, dass im Falle des Erfolgs des Normenkontrollantrages die zuvor geltende und durch die hier angegriffene Norm der Sache nach abgelöste, ausdrücklich indes nicht aufgehobene Verordnung zur Mittelfristigen Schulentwicklungsplanung (MitSEPl-VO LSA) vom 17. November 1999 (GVBl. LSA S. 356), zuletzt geändert durch Verordnung vom 05. Mai 2003 (GVBl. LSA S. 92), in ihrer Wirksamkeit wieder aufleben würde, die dem Antragssteller bei der Schulentwicklungsplanung noch striktere Vorgaben mache. Zwar entfällt das Rechtsschutzbedürfnis bei Normenkontrollanträgen von natürlichen oder juristischen Personen i. S. d. § 47 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 VwGO, wenn der Antragsteller seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern könnte und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb für ihn nutzlos erschiene (vgl. VGH Bad.-Württ., Urt. v. 30.08.2007 – 3 S 274/06 – Rdnr. 22 ). Dieser Gedanke kann indes auf Normenkontrollanträge von Behörden nach § 47 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 VwGO so nicht übertragen werden, weil es bei einem von einer Behörde initiierten Normenkontrollverfahren nicht um den Schutz eigener „Rechte“ der Behörde geht. Das schützenswertes Interesse an der Durchführung des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO besteht für eine Behörde darin, dass sie nach den durch die angegriffene Norm bewirkten rechtlichen Bindungen, über die sie nicht verfügen kann, in der Weise betroffen ist, als dass sie die Norm in ihrem amtlichen Geschäftsbereich anzuwenden hat (vgl. Gerhardt, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, zu § 47 Rdnr. 79; Christoniakis, Das verwaltungsprozessuale Rechtsschutzinteresse, Berlin 2004, S. 260) und deshalb ein berechtigtes Interesse hat, Klarheit über diejenige objektive Rechtslage zu schaffen, die sich auf ihr Aufgabengebiet auswirken kann (BVerwG, Beschl. v. 11.08.1989 – 4 NB 23/89 – Rdnr. 7 = NVwZ 1990, 57 <58>).

16

2) Der Antrag ist indes unbegründet, weil die Rechtsvorschrift nicht ungültig i. S. d. § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO ist. Sie ist mit höherrangigem Gesetzes- und Verfassungsrecht vereinbar. Ermächtigungsgrundlage für die Verordnung ist § 22 Abs. 6 SchulG LSA. Danach ist der Antragsgegner als oberste Schulbehörde (§ 82 Abs. 2 SchulG LSA) ermächtigt, durch Verordnung (u. a.) zu regeln, welche Anforderungen unter raumordnerischen Gesichtspunkten an Schulstandorte und Schuleinzugsbereiche beziehungsweise Schulbezirke zustellen sind (§ 22 Abs. 6 Nr. 1 SchulG LSA), welche Größe die Schulen oder Teile von Schulen unter Berücksichtigung der Erfordernisse eines differenzierten Unterrichts und regionaler Besonderheiten aufweisen sollen (§ 22 Abs. 6 Nr. 2 SchulG LSA) und zu bestimmen, wie die Einzugsbereiche und Standorte von Schulen der einzelnen Schulformen aufeinander abgestimmt werden sollen (§ 22 Abs. 6 Nr. 3 SchulG LSA).

17

a) Die Verordnung ist entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht deshalb unwirksam, weil die Verordnungsermächtigung in § 22 Abs. 6 SchulG LSA ihrerseits wegen Verstoßes gegen das Demokratieprinzip (Art. 2 Abs. 1 VerfLSA) nichtig ist. Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, die Bestimmung von Mindestgrößen für die Aufrechterhaltung von Schulstandorten bedürfe wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Selbstverwaltungsrecht des Schulträgers und wegen des mit einer Schulschließung verbundenen Eingriffs in die Rechte der Schüler und Eltern einer Regelung in einem formellen Gesetz und sei einer Delegation an den Verordnungsgeber nicht zugänglich.

18

Im Rahmen einer demokratisch-parlamentarischen Staatsverfassung ist die Entscheidung aller grundsätzlichen Fragen, die den Bürger betreffen, der Entscheidung durch den parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten. Das Demokratieprinzip verbietet es, grundlegende Entscheidungen der Exekutive - der Schulverwaltung - zu überlassen. Die Bestimmung von Mindestschülerzahlen gehört nicht zu den wesentlichen Entscheidungen, die sich der Gesetzgeber zur Regelung in einem formellen Gesetz vorzubehalten hätte.

19

Die Schulentwicklungsplanung dient – wie § 22 Abs. 1 SchulG LSA verdeutlicht – dazu, die planerischen Grundlagen für die Entwicklung eines regional ausgeglichenen und leistungsfähigen Bildungsangebotes im Land zu ermitteln und den Planungsrahmen für einen auch langfristig zweckentsprechenden Schulbau zu schaffen. Die Schulentwicklungsplanung nimmt damit nicht unmittelbar Entscheidungen über den Bestand von Schulstandorten vorweg, die geeignet wären, einen Grundrechtsbezug oder einen Bezug zur Schulträgerschaft als kommunaler Selbstverwaltungsaufgabe herzustellen. Die Schulentwicklungsplanungsverordnung soll nur gewährleisten, dass die Entscheidungen über den Bestand oder die Entwicklung von Schulstandorten planvoll und auf einer genügenden sachlichen Grundlage getroffen werden. Sie hat deshalb keinen unmittelbaren Grundrechtsbezug oder unmittelbare Auswirkungen auf die kommunale Selbstverwaltung, sondern allenfalls mittelbar Folgen für Schüler, Eltern und die Schulträger. Denn die Regelungen in der Schulentwicklungsplanungsverordnung überlassen es dem Schulträger, wie er auf eine sich nach dem Schulentwicklungsplan abzeichnende unzulängliche Auslastung einzelner Schulen reagiert. Es liegt in seiner Verantwortung zu entscheiden, ob er als Reaktion auf eine solche Entwicklung einen Schulstandort aufgibt oder ob er der sich abzeichnenden Entwicklung etwa durch eine Änderung des Schulbezirke oder Schuleinzugsbereiches (vgl. § 41 SchulG LSA) steuernd entgegenwirkt. Soweit der Antragsteller hierzu in der mündlichen Verhandlung eingewandt hat, dass solche Steuerungselemente zur Vermeidung einer Schulschließung politisch nicht durchsetzbar und deshalb nicht praktikabel seien, bleibt dies ohne Erfolg, weil der fehlende ernsthafte Wille, von einer rechtlich offen stehenden Gestaltungsmöglichkeit Gebrauch zu machen, nicht dazu führt, dass dem Schulträger nach der gebotenen rechtlichen Betrachtungsweise durch die Vorgaben in der Schulentwicklungsplanungsverordnung kein eigener Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Frage verbliebe, ob und wie er auf die Ergebnisse der Schulentwicklungsplanung reagiert.

20

Soweit der Antragsteller auf die Antragserwiderung geltend gemacht hat, die vom Antragsgegner hervorgehobene mehrfache und eingehende Befassung des Landtages mit den Grundsätzen der Schulentwicklungsplanung sei ein Hinweis darauf, dass auch der Landtag die Schulentwicklungsplanung für eine grundlegende Angelegenheit halte, ändert dies nichts. Welche Gegenstände wesentlich sind und deshalb einer Regelung durch ein Gesetz im formellen Sinne vorbehalten sind, hängt davon ab, ob und welchen Grundrechtsbezug die Regelung aufweist und nicht davon, ob der Landtag oder einer seiner Ausschüsse einen Gegenstand für wesentlich hält. Abgesehen davon ist die Befassung des Landtages mit einem Regelungsgegenstand bereits deshalb ungeeignet, Rückschlüsse auf die Wesentlichkeit des Gegenstandes zuzulassen, weil dem Parlament nicht einzig die Funktion zugewiesen ist, durch den Erlass von Gesetzen die grundlegenden Entscheidungen selbst zu treffen. Neben der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt (Art. 41 Abs. 1 Satz 2 VerfLSA) ist dem Parlament gegenüber der Regierung und Exekutive eine Kontrollfunktion zugedacht.

21

b) Entgegen der Auffassung des Antragstellers verstößt die angegriffene Verordnung nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs. 1 VerfLSA).

22

aa) Ohne Erfolg macht der Antragsteller geltend, die Verordnung hätte zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen, die eine Schulschließung sowohl für Schulträger als auch für Eltern und Schüler bedeute, Überleitungsregelungen vorsehen müssen, um eine auslaufende Beschulung zu ermöglichen. Die Regelungen in der angegriffenen Verordnung enthalten keine Regelung dazu, dass eine Schule, die die Mindestschülerzahl nicht mehr erreicht, zwingend und übergangslos zu schließen ist. Fehlt es daran, so bedarf es auch keiner Überleitungsregelungen zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen. Die Verordnung gibt nur den Rahmen dafür vor, dass die Schulentwicklungsplanung orientiert an den Zielen des § 22 Abs. 1 SchulG LSA im Land nach einem einheitlichen Rahmen vollzogen wird. Zu Recht macht der Antragsgegner geltend, dass ein Unterschreiten der Mindestschülerzahl nicht als automatische Folge die Schließung der Schule nach sich zieht. Es liegt und bleibt in der Verantwortung des Schulträgers, der eine solche Entwicklung auf der Grundlage der Schulentwicklungsplanung absieht, zu entscheiden, ob er den Standort aufgibt oder der Entwicklung der Schülerzahlen durch geeignete organisatorische Maßnahmen, wie der Änderung von Schulbezirken oder Schuleinzugsbereichen entgegenwirkt (s. o.).

23

Allerdings bestimmt die Verordnung zur Bildung von Anfangsklassen und zur Aufnahme an allgemeinbildenden Schulen (im Folgenden: ABSchulAufnV LSA) vom 08. Februar 2006 (GVBl. LSA S. 62), dass zur Bildung von Anfangsklassen für Sekundarschulen Mindestjahrgangsstärken erreicht sein müssen. Die Mindestjahrgangsstärke beträgt bei Mehrfachstandorten 40 Schüler (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a ABSchulAufnV LSA). Bei sechs Schuljahrgängen einer Schule der Sekundarstufe I (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 2 SchulG LSA) ergibt dies die nach der Schulentwicklungsplanungsverordnung im Grundsatz verlangte Mindestschülerzahl von 240. Für Einzelstandorte und für Einzelstandorte in dünn besiedelten Gebieten beträgt die Mindestjahrgangsstärke 20 und steht unter dem weiteren Vorbehalt, dass die insoweit mit den Vorgaben der Schulentwicklungsplanungsverordnung mit einer Mindestschülerzahl von 180 für Einzelstandorte (§ 4 Abs. 3 Nr. 1 SEPl-VO LSA) und 120 für Einzelstandorte in den dünn besiedelten Gebieten i. S. d. §§ 1 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 ABSchulAufnV LSA, 4 Abs. 3 Nr. 3 SEPl-VO LSA nicht unterschritten werden (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. b und c ABSchulAufnV LSA). Diese mit den Regelungen in der Schulentwicklungsplanungsverordnung kongruenten Regelungen in der ABSchulAufnV LSA führen dazu, dass bei Unterschreiten einer Jahrgangsstärke keine neuen Anfangsklassen gebildet werden dürfen. Auch diese Regelungen aber ermöglichen es, dass die bereits eingerichteten höheren Klassenstufen eingerichtet bleiben. Sie ermöglichen mit anderen Worten die auslaufende Beschulung der Schüler, die der Antragsteller zur Vermeidung von Härten als rechtlich geboten erachtet.

24

bb) Entgegen der Auffassung des Antragstellers sind die Regelungen in der Verordnung nicht zu unbestimmt. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit der Norm fordert von einem Normgeber, seine Regelungen so genau zu fassen, dass der Normadressat die Rechtslage, d.h. Inhalt und Grenzen von Gebots- oder Verbotsnormen in zumutbarer Weise zu erkennen und sein Verhalten darauf einrichten kann. Der Normgeber darf dabei grundsätzlich auch auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreifen, wenn die Kennzeichnung der Normtatbestände mit beschreibenden Merkmalen nicht möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm steht ihrer Bestimmtheit grundsätzlich nicht entgegen; allerdings müssen sich aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive Kriterien gewinnen lassen, die einen verlässlichen, an begrenzende Handlungsmaßstäbe gebundenen Vollzug der Norm gewährleisten (vgl. OVG LSA, Urt. v. 17.03.2010 – 3 K 319/09 – m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt die Verordnung.

25

Der Einwand des Antragstellers, es lasse sich der Verordnung nicht entnehmen, ob bei der Bestimmung der Jahrgangsstärke auf die Schülerzahlen zu Beginn oder zum Ende eines Schuljahres abzustellen sei, greift nicht durch. Die Schulentwicklungsplanung dient der mittel- und langfristigen Planung. Als Planungsgrundlage werden nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 SEPl-VO LSA zur Bestimmung einer langfristigen Auslastung die schuljahresbezogenen Schülerzahlen auf der Basis der statistisch nachweisbaren Geburtsjahrgänge ermittelt.

26

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist anhand der Regelungen in der Verordnung genügend deutlich zu bestimmen, in welchen Zeiträumen die Schulentwicklungspläne fortzuschreiben sind. Nach § 22 Abs. 4 Satz 3 SchulG LSA sind Schulentwicklungspläne mindestens alle fünf Jahre zu überprüfen und fortzuschreiben. Unabhängig davon sind sie nach § 22 Abs. 4 Satz 4 SchulG LSA fortzuschreiben, wenn hinreichende Gründe eine Änderung des vorliegenden genehmigten Schulentwicklungsplans erfordern. Ferner ist der Schulentwicklungsplan jährlich jeweils zum 31. Dezember fortzuschreiben, wenn die Bestandfähigkeit einzelner Schulen nicht mehr gegeben ist (vgl. § 7 Abs. 7 SEPl-VO LSA).

27

Ebenfalls klar geregelt ist, ob es bei einer sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstreckenden Schulentwicklungsplanung zulässig ist, die Jahrgangsstärke als einen Durchschnittswert aus mehreren Jahrgängen zu ermitteln. Denn nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 SEPl-VO LSA sind die Vorausberechnungen der Schülerzahlen schuljahresbezogen darzustellen.

28

Schließlich stehen die Regelungen über die Mindestschülerzahlen nach § 4 SEPl-VO LSA nicht – wie der Antragsteller meint – in einem unauflöslichen Widerspruch zu den raumordnerischen Anforderungen an Schulstandorte in § 2 SEPl-VO LSA. § 4 SEPl-VO LSA betrifft die Frage, welche Größe eine Schule bemessen nach der durchschnittlichen Jahrgangsstärke aufweisen muss. Diese Bestimmung betrifft mithin die Frage, ob ein Schulstandort mittel- und langfristig eine für die Aufrechterhaltung hinreichende Größe aufweist. § 2 SEPlVO LSA hingegen bestimmt unter raumordnerischen Gesichtspunkten, wo Schulstandorte ausgewiesen werden.

29

c) Die Ausnahmeregelungen in § 4 Abs. 3 SEPl-VO LSA verstoßen nicht gegen den Gleichheitssatz.

30

aa) Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist die Ausnahmeregelung für Standorte in den Landkreisen Altmarkreis Salzwedel, Stendal, Jerichower Land und Wittenberg sowie in den Verwaltungsgemeinschaften in den Gebieten der Stadt Z mit dem Einzugsgebiet Elbe-Ehle-Nuthe (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) und der Stadt E mit dem Einzugsbereich Brocken-Hochharz (Landkreis Harz) durch sachliche Gründe gerechtfertigt.

31

Nach § 22 Abs. 6 Nr. 2 SchulG LSA ist die oberste Schulbehörde ermächtigt, durch die Verordnung die Größe der Schulen unter Berücksichtigung der Erfordernisse eines differenzierten Unterrichtsund regionaler Besonderheiten zu bestimmen.

32

Der Antragsgegner hat mit der Antragserwiderung aufgezeigt, dass die Landkreise, in denen Sekundarschulen an Einzelstandorten abweichend von der im Übrigen geltenden Mindestschülerzahl von 240 fortgeführt werden, solange die Mindestschülerzahl von 120 nach dem Gebietsstand vom 01. Juli 2007 (§ 5 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 SEPl-VO LSA) nicht unterschritten wird, nach der demographischen Entwicklung im Jahr 2020 eine signifikant geringere Einwohnerdichte aufweisen werden, als etwa der Antragsteller. So liegt die Einwohnerdichte im Landesdurchschnitt (ohne Berücksichtigung der Landehauptstadt Magdeburg und der kreisfreien Städte Halle und Dessau-Roßlau bei 100 Einwohnern je km². Die Einwohnerdichte in den Landkreisen, in denen eine Unterschreitung der Mindestschülerzahlen auf die Hälfte hingenommen wird, liegt zwischen 41 Einwohnern je km² im Altmarkkreis Salzwedel und 74 Einwohnern je km² im Landkreis Wittenberg und damit deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Das rechtfertigt es, eine Unterschreitung der Mindestschülerzahlen hinzunehmen, um auch in dünn besiedelten Gebieten zu gewährleisten, dass nicht durch Schließung von Schulstandorten Schulwege entstehen, die das Maß des den Schülern und Eltern Zumutbaren überschreiten.

33

Entsprechendes gilt für die Privilegierung der Verwaltungsgemeinschaften der Stadt Z mit dem Einzugsgebiet Elbe-Ehle-Nuthe im Landkreis Anhalt-Bitterfeld und die Stadt E mit dem Einzugsbereich Brocken-Hochharz im Landkreis Harz. Beide Regionen weisen eine signifikant unter dem Landesdurchschnitt liegende Einwohnerdichte auf. Eine Beschulung an anderen Standorten außerhalb dieser Regionen stehen regionale Besonderheiten, die der Verordnungsgeber nach § 22 Abs. 6 Nr. 2 SchulG LSA zu berücksichtigen hat, entgegen. Hinsichtlich der Region um Z gilt dies, weil diese von dem weiteren Gebiet des Landkreises Anhalt-Bitterfeld durch die Elbe getrennt und unter Berücksichtigung einer zumutbaren Dauer der Schülerbeförderung nur über saisonal eingeschränkt zuverlässig nutzbare Fährverbindungen erreichbar ist. Für die Region Brocken-Hochharz gilt dies wegen der besonderen geographischen und meteorologischen Verhältnisse, die insbesondere in den Wintermonaten wegen der ungünstigen Witterungsbedingungen und Straßenverhältnisse zu einer Überschreitung der als zumutbar angesehenen Schülerbeförderungsdauer von 60 Minuten je Fahrstrecke führen.

34

bb) Die Ausnahmeregelungen in § 4 Abs. 3 Nr. 1 und 2 SEPl-VO LSA zugunsten von Schulen an Einzel- und Mehrfachstandorten ist ebenfalls nicht willkürlich. Den Ausnahmen an Einzelstandorten liegt erkennbar zugrunde, dass dort eine Schulschließung vermieden werden soll, wo die Mindestschülerzahl zwar nicht erreicht wird, aber nicht unter 180 absinkt, um für Einzelstandorte einen zusätzlichen Puffer zu schaffen. Erkennbarer Zweck der Regelung ist es, den Schülern und den Eltern die mit einer Schulschließung einhergehenden Belastungen erst aufzuerlegen, wenn die Schülerzahlen signifikant unter die Mindestschülerzahlen hinaus absinken. Anderes für Mehrfachstandorte vorzusehen ist deshalb nicht willkürlich, weil die mit der Schließung einer Schule an einem Mehrfachstandort verbundenen Belastungen für Schüler und Eltern typischerweise nicht das Gewicht haben, wie bei der Schulschließung an einem Einzelstandort. Denn bei einem Mehrfachstandort kann der Schüler der zu schließenden Schule an eine Schule am selben Standort ausweichen.

35

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

36

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


Urteilsbesprechung zu Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 21. Apr. 2010 - 3 K 333/09

Urteilsbesprechungen zu Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 21. Apr. 2010 - 3 K 333/09

Referenzen - Gesetze

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 132


(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulas

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 47


(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit 1. von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 de
Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 21. Apr. 2010 - 3 K 333/09 zitiert 5 §§.

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

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Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Urteil, 17. März 2010 - 3 K 319/09

bei uns veröffentlicht am 17.03.2010

Tatbestand 1 Der Antragsteller begehrt im Wege der Normenkontrolle, die Gefahrenabwehrverordnung der Antragsgegnerin betreffend die Abwehr von Gefahren durch Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit für unwirksam zu erklären. 2 Der in A-Stadt wohnhaf

Referenzen

(1) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit auf Antrag über die Gültigkeit

1.
von Satzungen, die nach den Vorschriften des Baugesetzbuchs erlassen worden sind, sowie von Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 des Baugesetzbuchs
2.
von anderen im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften, sofern das Landesrecht dies bestimmt.

(2) Den Antrag kann jede natürliche oder juristische Person, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden, sowie jede Behörde innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift stellen. Er ist gegen die Körperschaft, Anstalt oder Stiftung zu richten, welche die Rechtsvorschrift erlassen hat. Das Oberverwaltungsgericht kann dem Land und anderen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, deren Zuständigkeit durch die Rechtsvorschrift berührt wird, Gelegenheit zur Äußerung binnen einer zu bestimmenden Frist geben. § 65 Abs. 1 und 4 und § 66 sind entsprechend anzuwenden.

(2a) (weggefallen)

(3) Das Oberverwaltungsgericht prüft die Vereinbarkeit der Rechtsvorschrift mit Landesrecht nicht, soweit gesetzlich vorgesehen ist, daß die Rechtsvorschrift ausschließlich durch das Verfassungsgericht eines Landes nachprüfbar ist.

(4) Ist ein Verfahren zur Überprüfung der Gültigkeit der Rechtsvorschrift bei einem Verfassungsgericht anhängig, so kann das Oberverwaltungsgericht anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des Verfahrens vor dem Verfassungsgericht auszusetzen sei.

(5) Das Oberverwaltungsgericht entscheidet durch Urteil oder, wenn es eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluß. Kommt das Oberverwaltungsgericht zu der Überzeugung, daß die Rechtsvorschrift ungültig ist, so erklärt es sie für unwirksam; in diesem Fall ist die Entscheidung allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre. Für die Wirkung der Entscheidung gilt § 183 entsprechend.

(6) Das Gericht kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.

Tatbestand

1

Der Antragsteller begehrt im Wege der Normenkontrolle, die Gefahrenabwehrverordnung der Antragsgegnerin betreffend die Abwehr von Gefahren durch Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit für unwirksam zu erklären.

2

Der in A-Stadt wohnhafte Antragsteller ist Inhaber eines Ladengeschäftes in der H-Straße in A-Stadt. Er betreibt dort seit dem 20. Oktober 2005 einen sog. Spätverkauf mit angeschlossenem Imbiss.

3

Die Antragsgegnerin hat unter Bezugnahme auf die §§ 1 und 94 des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt (SOG LSA) am 12. Dezember 2008 folgende Gefahrabwehrverordnung erlassen:

4

§ 1 – Allgemeines Verbot

5

(1) Unbeschadet der §§ 117 und 118 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten ist im gesamten Stadtgebiet das Lagern oder dauerhafte Verweilen in Verbindung mit Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit verboten, wenn dessen Auswirkungen geeignet sind, Dritte erheblich zu beeinträchtigen. Eine solche erhebliche Beeinträchtigung liegt insbesondere bei Anpöbeln, Beschimpfen, lautes Singen, Johlen, Schreien, Lärmen, Liegenlassen von Flaschen und ähnlichen Behältnissen, Notdurftverrichtungen oder Erbrechen vor.

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(2) Das Verbot gemäß Absatz 1 gilt nicht für Bereiche, welche nach Gaststättenrecht konzessioniert sind.

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§ 2 – Verbot des Alkoholkonsums im Bereich des H-platzes

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(1) Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist täglich in der Zeit von 18.00 Uhr bis 06.00 Uhr verboten.

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…..

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§ 3 – Verbot des Alkoholkonsums im Bereich des Willy-Brandt-Platzes

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(1) Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist ganztägig verboten.

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…..“

13

Der örtliche Geltungsbereich der Verbote im Bereich des H-platzes bzw. Willy-Brandt-Platzes ist in der Verordnung durch Bezeichnung der betroffenen Straßenabschnitte und durch eine der Verordnung beigefügte kartographische Darstellung näher umschrieben. Ferner ist jeweils bestimmt, dass die Verbote nicht für Bereiche gelten, welche nach Gaststättenrecht konzessioniert sind. Gemäß § 4 der Verordnung kann die Antragsgegnerin von den Verboten dieser Verordnung in „begründeten Einzelfällen“ Ausnahmen zulassen, soweit das öffentliche Interesse nicht entgegensteht. § 5 enthält eine Regelung über Ordnungswidrigkeiten. Die Verordnung hat eine Geltungsdauer von zwei Jahren und ist eine Woche nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 18. Dezember 2008 (S. 673) in Kraft getreten.

14

Am 31. August 2009 hat der Antragsteller einen Antrag auf Normenkontrolle nach § 47 VwGO gestellt und beantragt, die §§ 1 bis 3 der Gefahrenabwehrverordnung der Antragsgegnerin für unwirksam zu erklären.

15

Der Antragsteller sieht sich durch die Gefahrenabwehrverordnung in seinen Freiheitsrechten verletzt. Er führt zur Begründung im Wesentlichen aus, dass er sich nicht einmal vor die Tür seines Geschäftes setzen bzw. im offenen Türbereich stehen und dort ein Bier, ein Biermischgetränk oder einen „Alkopop“ trinken dürfe, da sein Ladengeschäft in dem vom Alkoholverbot erfassten Bereich um den H-platz belegen sei. Er halte auch die Grenzziehung der örtlichen Ausdehnung des Alkoholverbotes für willkürlich. Im Übrigen bezweifle er, dass diese willkürliche Grenzziehung überhaupt zu einem Rückgang der Kriminalität geführt habe und nicht lediglich zu einer Verlagerung vom H-platz bzw. Bahnhofsvorplatz auf die Nebenstraßen. Er bezweifle weiter, dass überhaupt aussagekräftige Statistiken zur Kriminalitätsentwicklung in diesen Bereichen existierten. Im Übrigen sei das Alkoholverbot als solches ungeeignet, da es alle Bürger „über einen Kamm schere“ und die große Masse ruhiger und gesitteter Bürger dafür bestrafe, dass es die Polizei nicht fertigbringe, das strafbare Handeln vereinzelter Störenfriede zu unterbinden. Im Übrigen seien die Bestimmungen der Gefahrenabwehrverordnung nicht von der Ermächtigung der §§ 1, 93 f. SOG LSA gedeckt. § 1 der Gefahrenabwehrverordnung sei unwirksam, weil die Norm zu unbestimmt sei und damit bereits gegen das Erfordernis in § 96 Abs. 1 SOG LSA verstoße. Es sei einem objektiven Betrachter keine Abgrenzung zwischen erlaubtem und nicht erlaubtem Handeln möglich. Im Übrigen habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zu einer ähnlichen Gefahrenabwehrverordnung der Stadt Freiburg im Breisgau festgestellt, dass diese unwirksam sei.

16

Der Antragsteller beantragt,

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die §§ 1 bis 3 der Gefahrenabwehrverordnung betreffend die Abwehr von Gefahren durch Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit der Stadt A-Stadt vom 04. Dezember 2008, veröffentlicht im Amtsblatt der Stadt A-Stadt vom 18. Dezember 2008, für nichtig bzw. unwirksam zu erklären.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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den Normenkontrollantrag abzulehnen.

20

Sie trägt vor: In den Jahren 2006 und 2007 habe sich der Bereich des H-platzes zu einem polizeilichen und sicherheitsbehördlichen Kriminalitätsschwerpunkt und einem Treffpunkt von Personen entwickelt, welche dort außerhalb der Gastronomie Alkohol konsumierten. Von diesen Personen seien regelmäßig Gefährdungen ausgegangen. Es sei wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Hierbei seien auch mehrere Personen verletzt worden. Durch den Konsum von Alkohol sei dabei die Aggressivität des Verhaltens verstärkt und die Hemmschwelle zur Anwendung körperlicher Gewalt deutlich gesenkt worden. Auch sei durch diesen Personenkreis das Umfeld durch Lärmen und „aufgedrehte“ Musikanlagen aus Kraftfahrzeugen belästigt worden. Weiterhin hätten diese Personen Verunreinigungen der öffentlichen Verkehrsflächen verursacht. Insbesondere Scherben durch weggeworfene Glasflaschen hätten für Gefährdungen des Fußgänger- und Fahrzeugverkehrs gesorgt. Die Straftatenstatistik belege diese Entwicklung. Im Bereich des H-platzes sei es im Jahr 2007 zu einem Anstieg der Körperverletzungsdelikte auf 70 Taten gegenüber 56 Taten im Jahr 2006 gekommen. Eine Allgemeinverfügung zur Gefahrenabwehr für den Bereich des H-platzes vom 25. Januar 2008 hätte vom 01. Februar 2008 bis zum 31. Dezember 2008 gegolten, jedoch nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt. Die Regelungen der Allgemeinverfügung hätten auch mit einem großen personellen Aufwand seitens der städtischen Ordnungskräfte und der Polizei nicht in dem beabsichtigten Umfang durchgesetzt werden können. Seit dem Inkrafttreten der Gefahrenabwehrverordnung habe sich die Lage um den H-platz hingegen deutlich entspannt. So könnten insbesondere die weiblichen Gäste der Gaststätten am H-platz ungehindert vor der Tür im Freien rauchen, ohne angepöbelt oder belästigt zu werden. Auch stünden die Sitzbänke wieder jedermann zur Verfügung und die Aufenthaltsqualität auf dem H-platz habe sich verbessert. Nach Einschätzung des städtischen Abfallwirtschaftsbetriebes habe sich die Sauberkeit im Umfeld des H-platzes deutlich verbessert. Das Müllaufkommen sei um ca. 40 % gesunken. Es gebe auch bedeutend weniger Glasbruch; es lägen nur noch vereinzelt zerbrochene Flaschen umher. Es entspreche den allgemeinen Lebenserfahrungen und den Erkenntnissen fachkundiger Stellen, dass es zu Ordnungswidrigkeiten komme (und damit zu einer Realisierung einer konkreten Gefahr), wenn im Bereich des H-platzes außerhalb konzessionierter Flächen Alkohol getrunken werde. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sowohl am H-platz als auch auf dem Willy-Brandt-Platz üblicherweise kein gemütliches Verweilen von Personen zu verzeichnen sei, welche damit einhergehend in geringen Mengen Alkohol konsumierten. Vielmehr würden diese Bereiche von Gruppen von Jugendlichen aufgesucht, bei denen der Alkoholkonsum im Vordergrund stehe. Entsprechende Mengen von Alkohol würden mitgeführt. Insbesondere Bier werde kistenweise vorgehalten. Vor Inkrafttreten der Gefahrenabwehrverordnung hätten die Straftaten und Ordnungswidrigkeiten mit den bisherigen polizei- und ordnungsrechtlichen Befugnissen nicht hinreichend bekämpft werden können. Stichprobenartige Kontrollen und selbst größere Präsenz seien nicht ausreichend gewesen. Gerade Ordnungswidrigkeiten, wie z.B. das erhöhte Müllaufkommen und die Lärmbelästigungen, ließen sich mangels Zuordnung nicht vermeiden und sanktionieren.

21

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag ist zunächst statthaft.

23

Die angegriffene Vorschrift ist eine Verordnung, deren Überprüfung im Wege der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle durch das Landesrecht vorgesehen ist (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, § 10 AGVwGO LSA).

24

Der Antrag ist auch zulässig.

25

Die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO von einem Jahr nach Bekanntmachung der Verordnung ist gewahrt.

26

Der Antragsteller ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch hinsichtlich aller Bestimmungen der angegriffenen Verordnung antragsbefugt. Die Antragsbefugnis wird nach dieser Bestimmung jeder natürlichen oder juristischen Person eingeräumt, die geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Ausreichend, aber auch erforderlich ist daher, dass der Antragssteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch den zur Prüfung gestellten Rechtssatz in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. Anders als die Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt die Erklärung einer Rechtsvorschrift für unwirksam nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO eine Verletzung eigener Rechte des Antragstellers nicht voraus. Das Verfahren der Normenkontrolle nach § 47 VwGO dient nicht nur dem subjektiven Rechtsschutz; es stellt zugleich ein Verfahren der objektiven Rechtskontrolle dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 09.04.2008 - 4 CN 1.07 -, NVwZ 2008, 899). Die Anforderungen an die Antragsbefugnis dürfen daher nicht überspannt werden. Die Antragsbefugnis fehlt danach erst, wenn offensichtlich und nach keiner Betrachtungsweise subjektive Rechte des Antragsstellers verletzt sein können (vgl. BVerwG, Beschl. v. 22.08.2005 - 6 BN 1.05 -, NVwZ-RR 2006, 36 m. w. N.). Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass dem Antragsteller im Hinblick auf die grundrechtlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit i.S.d. Art. 2 Abs. 1 GG, welche auch den Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit umfasst, ein subjektives Recht darauf zusteht, dass bei hoheitlichen Eingriffen und Beschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit die einschlägigen Vorschriften des formellen und materiellen Rechts beachtet werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die allgemeine Handlungsfreiheit in einem umfassenden Sinne. Geschützt ist durch die allgemeine Handlungsfreiheit damit nicht nur ein begrenzter Bereich der Persönlichkeitsentfaltung, sondern jede Form menschlichen Handelns ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung zukommt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.05.1980 - 2 BvR 854/79 -, BVerfGE 54, 143 und Beschl. v. 06.06.1989 - 1 BvR 921/85 -, BVerfGE 80, 137). Der Einzelne kann die Nachprüfung durch die Verwaltungsgerichte verlangen, ob eine die allgemeine Handlungsfreiheit einschränkende Norm zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört, ob sie also formell und materiell mit höherrangigem Recht im Einklang steht (vgl. BVerfG, Beschl. v. 06.06.1989, a. a. O.) Der Antragsteller kann geltend machen, durch die Verordnung bzw. deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein bzw. in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Der Antragsteller wohnt und arbeitet in A-Stadt. Er möchte auch in Zukunft u. a. in den in der Verbotsverordnung genannten Bereichen die Gelegenheit haben, Alkohol zu konsumieren. Das hat er in der Antragsschrift hinsichtlich des Hasselbachplatzes ausdrücklich geltend gemacht und sich im Übrigen mit der Anfechtung der §§ 1 und 3 der Verordnung konkludent vorbehalten. Er gehört damit zum Kreis der potenziell Betroffenen. Er läuft, auch wenn er es nicht darauf anlegt, Dritte erheblich zu beeinträchtigen, gleichwohl bei einem Konsum von Alkohol Gefahr, dass die Antragsgegnerin hinzutretende Lebensäußerungen oder Handlungen, etwa das Singen eines Liedes, als Auswirkungen seines Alkoholgenusses ansieht, die geeignet sind, derartige Beeinträchtigungen hervorzurufen.

27

Der Antrag ist auch begründet. Die am 4. Dezember 2008 vom Stadtrat der Antragsgegnerin beschlossene und am 12. Dezember 2008 ausgefertigte Gefahrenabwehrverordnung ist ungültig, da die Verbotsbestimmungen der §§ 1 bis 3 der Gefahrenabwehrverordnung (im Folgenden: GefahrenabwehrVO) nicht mit höherrangigem Recht vereinbar sind.

28

Es bestehen zwar keine Bedenken hinsichtlich des ordnungsgemäßen Zustandekommens der Gefahrenabwehrverordnung. Die Verordnung ist mit der erforderlichen Zustimmung des Stadtrates der Antragsgegnerin erlassen worden (vgl. §§ 94 Abs. 2 SOG LSA, 44 Abs. 3 Nr. 1 GO LSA) und dem Landesverwaltungsamt als Rechtsaufsichtsbehörde nach Maßgabe des § 101 Abs. 1 Satz 1 und 2 SOG LSA zur Zustimmung vorgelegt worden. Eine ordnungsgemäße Verkündung i.S.d. §§ 99 Abs. 2 SOG LSA, 2 Abs. 1 VerkündG LSA) durch die öffentliche Bekanntmachung im Amtsblatt der Antragsgegnerin liegt ebenfalls vor.

29

§ 1 GefahrenabwehrVO verstößt gegen das verfassungsrechtliche Gebot hinreichender Bestimmtheit. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit der Norm fordert vom Normgeber, seine Regelungen grundsätzlich so genau zu fassen, dass der Betroffene die Rechtslage, d.h. Inhalt und Grenzen von Gebots- oder Verbotsnormen in zumutbarer Weise erkennen und sein Verhalten danach ausrichten kann. Der Normgeber darf dabei grundsätzlich auch auf unbestimmte Rechtsbegriffe zurückgreifen, wenn die Kennzeichnung der Normtatbestände mit beschreibenden Merkmalen nicht möglich ist. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Norm steht ihrer Bestimmtheit grundsätzlich nicht entgegen; allerdings müssen sich aus Wortlaut, Zweck und Zusammenhang der Regelung objektive Kriterien gewinnen lassen, die einen verlässlichen, an begrenzende Handlungsmaßstäbe gebundenen Vollzug der Norm gewährleisten (vgl. BVerfG, Urt. v. 27.07.2005 - 1 BvR 668/04 -, BVerfGE 113, 348; VGH Mannheim, Urt. v. 28.07.2009 - 1 S 2340/08 -, VBlBW 2010, 33). Wenn - wie hier - eine bußgeldbewehrte Verbotsvorschrift im Streit steht, muss sich diese zudem an den strengeren Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen. Art. 103 Abs. 2 GG enthält ein besonderes Bestimmtheitsgebot. Der Gesetzgeber ist danach verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben, dass Anwendungsbereich und Tragweite der Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Sie soll einerseits sicherstellen, dass die Normadressaten vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Sie soll andererseits gewährleisten, dass der Gesetzgeber über die Strafbarkeit oder die Bußgeldvoraussetzungen selbst entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, die normativen Voraussetzungen einer Bestrafung oder einer Verhängung von Geldbußen festzulegen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.11.2009 - 1 BvR 2717/08 -, NJW 2010, 754; Beschl. v. 22.06.1988 - 2 BvR 234/87 - BVerfGE 78, 374). Das schließt allerdings nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Ferner ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Straf- und Bußgeldnormen unvermeidlich, dass in Einzelfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar oder bußgeldbewehrt ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise wenigstens das Risiko einer Ahndung erkennbar (vgl. BVerfG, Beschl. v. 22.06.1998, a. a. O.).

30

Diesem Maßstab wird § 1 GefahrenabwehrVO nicht gerecht. Die darin normierten Tatbestandsmerkmale ermöglichen keine hinreichend eindeutige Abgrenzung zwischen verbotenem und noch zulässigem Verhalten.

31

Was mit „Lagern“ oder „dauerhaftem Verweilen“ gemeint ist, ist einer Auslegung zwar noch grundsätzlich zugänglich. Der Begriff des „Lagerns“ kann mit der Einrichtung eines Rast- und Ruheplatzes einer Person umschrieben werden. Auch der unbestimmte Rechtsbegriff „dauerhaftes Verweilen“ lässt sich dahingehend begrenzen, dass eine lediglich kurze Unterbrechung der Fortbewegung, etwa um ein alkoholisches Getränk zu sich zu nehmen, hiervon nicht erfasst sein soll.

32

Die Norm ist jedoch nicht hinreichend bestimmt, da nach dem Wortlaut der Norm nicht eindeutig erkennbar ist, ob mit dem Lagern oder dauerhaften Verweilen in der „Öffentlichkeit“ nur der Aufenthalt auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen im gesamten Stadtgebiet der Antragsgegnerin gemeint ist oder ob auch ein zur Beeinträchtigung Dritter geeignetes Lagern oder dauerhaftes Verweilen in Verbindung mit Alkoholkonsum auf privaten, jedoch öffentlich zugänglichen Grundstücken in A-Stadt untersagt werden soll.

33

Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist eine hinreichende Auslegung nicht anhand der Systematik der Vorschrift möglich. Die Einschränkung in § 1 Abs. 2 GefahrenabwehrVO, wonach das Verbot nicht für Bereiche gilt, welche nach Gaststättenrecht konzessioniert sind, kann nicht als Auslegungshilfe für die Interpretation des Begriffs der „Öffentlichkeit“ im Sinne des § 1 Abs. 1 GefahrenabwehrVO herangezogen werden, da sich diese Bereiche sowohl auf Privatgrundstücken als auch - im Rahmen einer Sondernutzung - auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen befinden können.

34

Der Begriff der „Öffentlichkeit“ im Sinne der Gefahrenabwehrverordnung ist auch durch andere Bestimmungen des Gesetzes über die öffentliche Sicherheit oder Ordnung des Landes Sachsen-Anhalt nicht näher eingrenzbar. So wird etwa in § 43 Abs. 7 SOG LSA hinsichtlich der ordnungsrechtlichen Befugnisse zum Betreten und Durchsuchen von Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräumen ebenfalls als Anknüpfungsmerkmal das Tatbestandsmerkmal „der Öffentlichkeit zugänglich“ verwandt. Bei der Auslegung des Ausdrucks „der Öffentlichkeit zugänglich“ und der Klärung, wovon und von wem die Zugänglichkeit abhängt, kann grundsätzlich auf die verfassungsrechtliche Einordnung der Vorschrift zurückgegriffen werden. Sie steht im Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Wohnung aus Artikel 13 Abs. 1 GG, wobei der Begriff „Wohnung“ nicht nur Wohnungen im umgangssprachlichen Sinne, sondern auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume umfasst. Zur „Wohnung“ gehören auch diejenigen Teile der Betriebsräume oder des umfriedeten Besitztums, die der Veranstalter aus eigenem Entschluss der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat; auch dann gewährleistet das Grundrecht Schutz gegen Eingriffe in seine Entscheidung über das Zutrittsrecht im Einzelnen und über die Zweckbestimmung des Aufenthaltes. Als Beispiele für solche öffentlich zugänglichen Orte werden Hotels, Theater, Kinos, Schwimmbäder, Stadien, Museen, Spielsalons und Kaufhäuser genannt (vgl. die Aufzählung bei Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Abschnitt F Rdnr. 724). Andere Räumlichkeiten dagegen behalten trotz des Besuchs einer Vielzahl von Personen einen grundsätzlich privaten Charakter (etwa die Warteräume einer Arztpraxis oder einer Anwaltskanzlei). Für letztere fehlt es typischerweise an der Einwilligung des Inhabers zu einem unbeschränkten Zutritt, wenngleich er diese - etwa an einem Tag der Offenen Tür - erteilen könnte (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10.09.2009 - 1 B 29.09 - juris). Ohne eine umfassende Einwilligung sind die Räume trotz der mit den Besuchern verbundenen Teilöffentlichkeit nicht „öffentlich“ im Sinne des § 43 Abs. 7 SOG LSA. Wann eine „öffentliche Zugänglichkeit“ daher allgemein vorliegt, bestimmt auch diese Vorschrift nicht. Die polizei- und ordnungsrechtliche Literatur sieht fast ausnahmslos von einer konkreten Definition des Begriffs der „öffentlich zugänglichen“ Räume ab (vgl. z.B. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Kap. F Rdnr. 724; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2009, § 3 Rn. 155). Auch in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung wird aufgrund der Vielgestaltigkeit der denkbaren Lebenssachverhalte regelmäßig eine Einzelfallbetrachtung angestellt, ohne dass über die oben dargestellten abstrakten Rechtssätze hinaus, der Begriff der „öffentlich zugänglichen“ Räume näher definiert wird (vgl. zu einer allgemein zugänglichen Teestube eines privaten Vereins: BVerwG, Urt. v. 25.08.2004 - 6 C 26.03 -, BVerwGE 121, 345). Vor diesem Hintergrund ist für den Adressaten des § 1 GefahrenabwehrVO nicht hinreichend erkennbar, ob z. B. eine öffentlich zugängliche Werbeveranstaltung eines Unternehmens auf einem Privatgrundstück, auf der die Besucher zumindest eine Weile verbleiben sollen und auf der Alkohol konsumiert (nicht notwendigerweise ausgeschenkt) wird, von der Verbotsnorm erfasst wird und der Veranstalter sich daher ggf. um eine Ausnahmegenehmigung nach § 4 GefahrenabwehrVO bemühen muss.

35

Auch der Begründung der Gefahrenabwehrverordnung in der Drucksache DS0521/08 lässt sich nicht mit der notwendigen Klarheit entnehmen, wie der Begriff der „Öffentlichkeit“ auszulegen ist. So heißt es auf Seite 4 der Drucksache: „In A-Stadt gibt es zur Zeit ca. 40 Treffpunkte, an denen regelmäßig Alkohol in der Öffentlichkeit getrunken wird (auch auf Privatgrundstücken , insbesondere Einkaufsmärkten).“ Auf Seite 6 heißt es hingegen zum Regelungsinhalt des § 1 GefahrenabwehrVO: „Das Lagern oder dauerhafte Verweilen aufStraßen und öffentlichen Anlagen außerhalb konzessionierter Freiflächen in Verbindung mit Alkoholkonsum, wird untersagt, wenn dessen Auswirkungen geeignet sind, Dritte erheblich zu belästigen.“ (Hervorhebungen jeweils durch den Senat).

36

Weiterhin ist die Verordnung auch insoweit zu unbestimmt, als das Verbot an das Lagern und dauerhafte Verweilen in Verbindung mit dem Konsum von Alkohol anknüpft. Nach dem maßgeblichen Wortlaut der Vorschrift setzt der Tatbestand der Verbotsnorm keine „finale Verknüpfung“ dergestalt voraus, dass das „Lagern“ oder „dauerhafte Verweilen“ zum Zwecke des Konsums von Alkohol erfolgt (vgl. zu einer solchen Bestimmung: VGH Mannheim, Urt. v. 28.07.2009 - 1 S 2340/08 -, VBlBW 2010, 33; OLG Saarbrücken, Beschl. v. 15.09.1997 -Ss (Z) 221/97 (62/97) -, NJW 1998, 251). Dem maßgeblichen Wortlaut nach muss der Alkoholkonsum nur in irgendeinem Zusammenhang mit dem „Lagern“ oder „dauerhaften Verweilen“ stehen. Nach dem Wortlaut der Bestimmung bleibt offen, ob etwa auch solche Personen ordnungswidrig handeln, die sich ohne selbst Alkohol zu konsumieren lediglich in einer Gruppe aufhalten, bei der ein Einzelner Alkohol zu sich nimmt, wenn dieser oder eine andere Person aus der Gruppe Handlungen vornimmt, die geeignet sind, Dritte zu beeinträchtigen. Aufgrund der unklaren Formulierung bleibt auch offen, ob auch ein Alkoholkonsum zeitlich vor dem Lagern bzw. dauerhaften Verweilen geeignet sein kann, die Verbotsfolge auszulösen.

37

Unbestimmt ist § 1 GefahrenabwehrVO auch insoweit, als sie die Folgen des Alkoholkonsums zu beschreiben versucht, der das Verbot, nämlich bereits das Lagern bzw. das dauerhafte Verweilen in Verbindung mit Alkoholkonsum, auslösen soll. Die Auswirkungen des Alkoholkonsums müssen danach „geeignet“ sein, „Dritte erheblich zu beeinträchtigen“. Die Antragsgegnerin hat dabei im Anschluss an die obergerichtliche Rechtsprechung (vgl. OVG Schleswig, Urt. v. 16.06.1999 - 4 K 2/99 - juris zur Nichtigkeit einer Sondernutzungssatzung; VGH Mannheim, Beschl. v. 04.10.2002 - 1 S 1963/02 - NVwZ 2003, 115 und Beschl. v. 06.10.1998 - 1 S 2272/97 - VBlBW 1999, 101) und dem Erlass des Ministerium des Innern des Landes Sachsen-Anhalt vom 22. Mai 2008 zwar hinreichend beachtet, dass allein durch das Lagern oder dauerhafte Verweilen in Verbindung mit Alkoholkonsum noch kein ordnungswidriger Zustand herbei geführt wird, sondern erst durch die alkoholbedingten, mit Beeinträchtigungen Dritter verbundenen Ausfall- und Folgeerscheinungen, wie etwa aggressivem Verhalten, Verunreinigungen durch weggeworfene Gegenstände oder ähnlichem. Um bereits im Vorfeld des Auftretens von Beeinträchtigungen einschreiten zu können, hat die Antragsgegnerin jedoch versucht, die von ihr als ordnungswidrig angesehenen Verhaltensweisen mit einer weit gefassten Formulierung und „Regelbeispielen“ zu bestimmen, in denen es ihren Erwartungen nach zu solchen Folgeerscheinungen kommen wird. Die für eine Normanwendung notwendige Beschreibung der näheren Umstände, unter denen diese Befürchtungen gerechtfertigt sind, beschreibt die Antragsgegnerin hingegen nicht. Das Lagern bzw. Verbot des Verweilens in Verbindung mit Alkoholkonsum wird im Ergebnis unter den Vorbehalt einer weiteren Sachverhaltsfeststellung durch die zuständigen Ordnungskräfte gestellt, d.h., dass in jedem Einzelfall noch eine Überprüfung stattfinden muss, ob tatsächlich eine tatbestandsmäßige Beeinträchtigung gegeben ist. Hierbei ist schon aufgrund der Formulierung in § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung unter Verwendung des Genitivs „dessen“ unklar, welcher Bezug insoweit hergestellt wird, namentlich ob sich die tatbestandsmäßigen „Auswirkungen“, wodurch Dritte möglicherweise erheblich beeinträchtigt werden, auf das „Lagern oder dauerhafte Verweilen“, auf den „Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit“ oder – kumulativ – auf beide genannten Umstände beziehen müssen mit der Folge, dass etwa Dritte sowohl am „Lagern“ als auch am „Alkoholkonsum“ Anstoß nehmen müssten. Vom Normunterworfenen sind daher die Grenzen nicht auszumachen, wann bzw. unter welchen Voraussetzungen das Lagern bzw. dauerhafte Verweilen in Verbindung mit dem Alkoholkonsum geeignet ist, sich beeinträchtigend auf Dritte auszuwirken und die Verhängung von Bußgeldern nach sich ziehen kann. Der Wortlaut der angegriffenen Norm gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, welche - bevorstehenden - Auswirkungen des Alkoholkonsums nicht mehr hingenommen werden sollen.

38

Diese Unbestimmtheiten setzen sich auch bei einigen der in der Verordnung angeführten „Regelbeispielen“ fort. So bleibt unklar, anhand welcher Kriterien das Singen als „laut“ zu qualifizieren ist bzw. was unter „Lärmen“ im Sinne der Verbotsbestimmung zu verstehen ist. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin kann zur Auslegung der beiden Begriffe nicht ohne Weiteres die Ordnungswidrigkeitenvorschrift des § 117 OWiG herangezogen werden. Der objektive Tatbestand dieser Vorschrift besteht in der - unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommenen - Erregung von Lärm, der geeignet ist, näher bezeichnete Erfolge herbeizuführen. Der Tatbestand des unzulässigen Lärms ist damit in § 117 OWiG in zweifacher Weise beschränkt. Die Lärmerregung ist also - anders als bei der streitbefangenen Verordnung – nicht schlechthin, sondern nur dann als Ordnungswidrigkeit mit Geldbuße bedroht, wenn sie „unzulässig“ ist und eine Eignung zur Belästigung einer Mehrheit von Personen oder zur Schädigung der Gesundheit einer Einzelperson aufweist. Wann ein „lautes“ Singen bzw. „Lärmen“ vorliegt, lässt sich wegen fehlender allgemeingültiger Normen hinsichtlich des sog. verhaltensbedingten Lärms nicht ohne weiteres feststellen. Wie ein betroffener Bürger erkennen soll, wie lange und wie laut er singen darf, ist nicht aufgrund objektivierbarer Kriterien zu ermitteln. Auf die höchst unterschiedlich ausgeprägte persönliche Empfindsamkeit von Dritten bzw. die subjektive Einschätzung der Vollzugsbeamten kann jedenfalls nicht abgestellt werden (vgl. hierzu zur Einordnung von Klavierspiel als ruhestörendem Lärm: BVerfG, Beschl. v. 17.11.2009, a. a. O.).

39

Die Alkoholkonsumverbote in den Arealen um den H-platz und den Willy-Brandt-Platz in den §§ 2 und 3 GefahrenabwehrVO sind zwar ausreichend bestimmt. Die Verbote sind, soweit sie zur Vermeidung von Straftaten und Lärm dienen sollen, jedoch nicht von der Ermächtigungsnorm des § 94 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA gedeckt.

40

§ 94 Abs. 1 Nr. 1 SOG LSA ermächtigt die Antragsgegnerin, Gefahrenabwehrverordnungen zur Abwehr „abstrakter“ Gefahren zu erlassen. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung i.S.d. § 3 Nr. 3 Buchst. f SOG LSA ist gegeben, wenn bei bestimmten Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für die polizeilichen Schutzgüter im Einzelfall, d.h. eine konkrete Gefahrenlage i.S.d. § 3 Nr. 3 Buchst. a SOG LSA einzutreten pflegt. Dabei hängt der zu fordernde Wahrscheinlichkeitsgrad von der Bedeutung der gefährdeten Rechtsgüter sowie dem Ausmaß des möglichen Schadens ab. Geht es um den Schutz besonders hochwertiger Rechtsgüter, wie etwa Leben und Gesundheit von Menschen, so kann auch die entferntere Möglichkeit eines Schadenseintrittes ausreichen (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002 - 6 CN 8.01 -, BVerwGE 116, 347). Der Gefahrenbegriff ist dadurch gekennzeichnet, dass aus gewissen gegenwärtigen Zuständen nach dem Gesetz der Kausalität gewisse andere Schaden bringende Zustände und Ereignisse erwachsen werden. Schadensmöglichkeiten, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, begründen hingegen keine Gefahr, sondern lediglich einen Gefahrenverdacht oder ein sog. Besorgnispotential. Vorsorgemaßnahmen zur Abwehr möglicher Beeinträchtigungen im Gefahrenvorfeld werden durch die polizeiliche Ermächtigungsgrundlage zum Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen nicht gedeckt. Dies lässt sich auch nicht dahingehend erweiternd auslegen, dass der Exekutive eine sog. Einschätzungsprärogative in Bezug darauf zugebilligt wird, ob die vorliegenden Erkenntnisse die Annahme einer abstrakten Gefahr rechtfertigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.07.2002, a. a. O.).

41

Maßgebliches Kriterium zur Feststellung einer Gefahr ist die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Die abstrakte Gefahr im Sinne des § 3 Nr. 3 Buchst. f SOG LSA unterscheidet sich dabei von der konkreten Gefahr nicht durch den Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts, sondern durch den Bezugspunkt der Gefahrenprognose oder durch die Betrachtungsweise: Erforderlich ist jeweils die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines Schadens im konkreten Einzelfall. Eine solche hinreichende oder auch „bloße“ Wahrscheinlichkeit gehört zur abstrakten genauso wie zur konkreten Gefahr; beide Gefahrenbegriffe stellen, was den zu erwartenden Eintritt eines Schadens anlangt, die gleichen Anforderungen der Wahrscheinlichkeit. Der Unterschied liegt nur in der Betrachtungsweise, bei der konkreten Gefahr „konkret“, d.h. auf den Einzelfall, bei der abstrakten Gefahr „abstrakt-generell“, also auf den typischen Fall bezogen. Eine konkrete Gefahr liegt danach vor, wenn in dem zu beurteilenden konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft mit dem Schadenseintritt hinreichend wahrscheinlich gerechnet werden muss; eine abstrakte Gefahr ist gegeben, wenn eine generell-abstrakte Betrachtung für bestimmte Arten von Verhaltensweisen oder Zuständen zu dem Ergebnis führt, dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden im Einzelfall einzutreten pflegt und daher Anlass besteht, diese Gefahr mit generell-abstrakten Mitteln, also einem Rechtssatz, insbesondere einer Gefahrenabwehrverordnung, zu bekämpfen, was wiederum zur Folge hat, dass auf den Nachweis der Gefahr eines Schadenseintritts im Einzelfall verzichtet werden kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.06.1970 - IV C 99.67 - NJW 1970, 1890). Auch die Feststellung einer abstrakten Gefahr verlangt mithin eine in tatsächlicher Hinsicht genügend abgesicherte Prognose. Es müssen bei abstrakt-genereller Betrachtung hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sein, die den Schluss auf den drohenden Eintritt von Schäden rechtfertigen. Der Schaden muss regelmäßig und typischerweise, wenn auch nicht ausnahmslos, zu erwarten sein. Es liegt dabei im Wesen von Prognosen, dass die vorhergesagten Ereignisse wegen anderer als der erwarteten Geschehensabläufe ausbleiben können. Von dieser mit jeder Prognose verbundenen Unsicherheit ist die Ungewissheit zu unterscheiden, die bereits die tatsächlichen Grundlagen der Gefahrenprognose betreffen. Ist die Behörde mangels genügender Erkenntnisse über die Einzelheiten der zu regelnden Sachverhalte und/oder über die maßgeblichen Kausalverläufe zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht imstande, so liegt keine Gefahr, sondern allenfalls eine mögliche Gefahr oder ein Gefahrenverdacht vor. Zwar kann auch in derartigen Situationen ein Bedürfnis bestehen, zum Schutz der etwa gefährdeten Rechtsgüter, namentlich hochrangiger Rechtsgüter wie Leben und körperlicher Unversehrtheit von Menschen, Freiheitseinschränkungen anzuordnen. Doch beruht ein solches Einschreiten nicht auf der Feststellung einer Gefahr; vielmehr werden dann Risiken bekämpft, die jenseits des Bereichs feststellbarer Gefahren verbleiben. Das setzt eine Risikobewertung voraus, die - im Gegensatz zur Feststellung einer Gefahr - über einen Rechtsanwendungsvorgang weit hinausgeht und mehr oder weniger zwangsläufig neben der Beurteilung der Intensität der bestehenden Verdachtsmomente eine Abschätzung der Hinnehmbarkeit der Risiken sowie der Akzeptanz oder Nichtakzeptanz der in Betracht kommenden Freiheitseinschränkungen in der Öffentlichkeit einschließt, mithin - in diesem Sinne – „politisch“ geprägt oder mitgeprägt ist. Eine derart weit reichende Bewertungs- und Entscheidungskompetenz steht den Polizei- und Ordnungsbehörden aufgrund der Verordnungsermächtigung nach § 94 SOG LSA nicht zu. Denn es wäre mit den aus dem rechtsstaatlichen und demokratischen Verfassungssystem (Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 28 Abs. 1 GG) folgenden Grundsätzen der Bestimmtheit gesetzlicher Ermächtigungen zu Rechtsverordnungen der Exekutive und des Vorbehalts des Gesetzes nicht vereinbar, wenn die Exekutive ohne strikte Bindung an den Gefahrenbegriff kraft eigener Bewertung über die Notwendigkeit oder Vertretbarkeit eines Verordnungserlasses entscheiden könnte. Vielmehr ist es Sache des zuständigen Gesetzgebers, sachgebietsbezogen darüber zu entscheiden, ob, mit welchem Schutzniveau und auf welche Weise Schadensmöglichkeiten vorsorgend entgegen gewirkt werden soll, die nicht durch ausreichende Kenntnisse belegt, aber auch nicht auszuschließen sind. Allein der parlamentarische Gesetzgeber ist befugt, unter Abwägung der widerstreitenden Interessen die Rechtsgrundlagen für Grundrechtseingriffe zu schaffen, mit denen Risiken vermindert werden sollen, für die - sei es aufgrund neuer Verdachtsmomente, sei es aufgrund eines gesellschaftlichen Wandels oder einer veränderten Wahrnehmung in der Bevölkerung - Regelungen gefordert werden. Das geschieht üblicherweise durch eine Absenkung der Gefahrenschwelle in dem ermächtigenden Gesetz von der „Gefahrenabwehr“ zur „Vorsorge“ gegen drohende Schäden. Demgegenüber ist in den §§ 93 f. SOG LSA ausschließlich von „Gefahrenabwehr“, nicht hingegen von „Vorsorge“ oder „Vorbeugung“ die Rede. Auch darin zeigt sich, dass dem Gefahrenbegriff nicht aus sich heraus eine Erstreckung auf die Aufgabe der Risiko- oder Gefahrenvorsorge innewohnt (vgl. BVerwG, Urt. v. 28.06.2004 - 6 C 21.03 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 76 m. w. N., Urt. v. 03.07.2002, a. a. O. jeweils zur Nichtigkeit von sog. Gefahrtierverordnungen).

42

Gemessen an diesen vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Grundsätzen liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass das nach Zeit und Ort nach der Verordnung verbotene Verhalten im Bereich um den H-platz und den Willy-Brandt-Platz regelmäßig und typischerweise Gewaltdelikte bzw. sonstige erhebliche Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit zur Folge hat.

43

Es ist zunächst voranzustellen, dass der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit nach geltendem Recht nicht generell verboten ist. Ansonsten würde jeder öffentliche Konsum von Alkohol einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit darstellen und könnte auch ohne ein als beeinträchtigend empfundenes Anschlussverhalten untersagt werden (vgl. insbesondere zu den von Kommunen ausgesprochenen Alkoholverboten: Hecker, NVwZ 2010, 359; Hebeler/Schäfer, DVBl. 2009, 1424; Hecker, NVwZ 2009, 1016; Pewestorf, DVBl. 2009, 1396; Ruder, KommP spezial 2009, 174). Der Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit ist überdies in gewissem Umfang und zu bestimmten Anlässen weit verbreitet und allgemein akzeptiert. Das von der Antragsgegnerin als gefahrbegründend empfundene Anschlussverhalten (Verschmutzung des H-platzes und des Willy-Brandt-Platzes durch Flaschen und Glasscherben, Sachbeschädigungen und Straftaten gegenüber Besuchern und Anwohnern des Wohnquartiers um den Hasselbachplatz, Lärmbelästigungen) stellt jeweils eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit dar, da mit diesem Verhalten gegen Regelungen der objektiven Rechtsordnung verstoßen wird (vgl. § 61 Abs. 1 Nr. 1 und 2 KrW-/AbfG, §§ 303, 223 f., 240, 185 StGB, §§ 117, 118 OWiG). Diese Folgeerscheinungen sind bereits nach geltendem Recht ausnahmslos straf- bzw. bußgeldbewehrt. Der von der Antragsgegnerin vorgetragene und auch von der Polizeidirektion Nord erwähnte Aspekt der Arbeitserleichterung vermag den Erlass der Gefahrenabwehrverordnung allein nicht zu rechtfertigen. Zwar erleichtert ein entsprechendes generelles Alkoholverbot die Arbeit der Vollzugskräfte „vor Ort” ganz erheblich, weil die Ordnungskräfte nicht mehr jedem Einzelnen nachweisen müssen, dass dessen konkretes Verhalten ein ordnungsbehördliches Einschreiten rechtfertigt. Ist eine entsprechende Gefahrenabwehrverordnung erlassen, rechtfertigt bereits der feststellbare Verstoß gegen das Alkoholkonsumverbot ein Einschreiten auf der Grundlage der ordnungsbehördlichen Ermächtigung. Dieser Aspekt darf jedoch nicht das maßgebliche Motiv für den Erlass einer Verordnung bilden, da es einem allgemeinen Grundsatz des Polizeirechts entspricht, dass polizeiliche Verfügungen bzw. die Wahl einer bestimmten polizeilichen Handlungsform nicht nur zur Erleichterung polizeilicher Aufsicht dienen dürfen (vgl. Rachor in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 4. Aufl. 2007, Abschnitt F Rdnr. 84; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 2009, Rdnr. 626).

44

Nach den dargelegten Grundsätzen kommt es entscheidend darauf an, welche konkreten Zustände die Antragsgegnerin zum Erlass der angegriffenen Gefahrenabwehrverordnung bewogen haben. Dabei sind grundsätzlich auch fachliche Kenntnisse, wie diejenigen der örtlichen Polizeibehörden, zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin will mit der Gefahrenabwehrverordnung insbesondere der Gewaltdelinquenz und der im Bereich des Hasselbachplatzes auftretenden Lärmbelästigungen begegnen; damit ist die öffentliche Sicherheit betroffen. Sie beruft sich weiter darauf, dass im Bereich des H-platzes und auch im Bereich des Willy-Brandt-Platzes der Konsum von Alkohol zur Begehung von Körperverletzungsdelikten und Sachbeschädigungen führe; der Alkoholkonsum stelle insbesondere eine abstrakte Gefahr für das hochrangige Rechtsgut der körperlichen Unversehrtheit dar. Zwischen Alkoholkonsum und Gewaltkriminalität bestehe ein Wirkungszusammenhang. Der Alkoholkonsum führe nach den von ihr vorgelegten Studien zur Enthemmung und damit auch zur Steigerung der Gewaltbereitschaft Einzelner.

45

Weder die von Antragsgegnerin vorgelegten Studien noch die von ihr vorgelegten statistischen Erhebungen über die Zahl der Straftaten im Bereich um den H-platz und den Willy-Brandt-Platz lassen den Schluss zu, dass gerade das unter Verbot gestellte Verhalten, nämlich der Genuss von Alkohol außerhalb der nach Gaststättenrecht konzessionierten Flächen, regelmäßig und typischerweise die Gefahr von Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Lärmbelästigungen mit sich bringt.

46

In der von der Antragsgegnerin vorgelegten Studie von Klein, Gewaltverhalten unter Alkoholeinfluss - DHS 4/97 -, wird unter Ziffer 1 ausgeführt, dass Alkoholtrinken multiple Funktionen und Konsequenzen für Menschen besitzt und nur in einer Minderzahl aller relevanten Situationen zu Gewaltexzessen führt. Weiter heißt es dort unter Ziffer 4., dass die mögliche Verbindung zwischen Alkoholrausch und Gewaltkriminalität generell eher in die Richtung besteht, dass bei Gewalthandlungen eine Alkoholisierung wahrscheinlich ist, als dass bei einer Alkoholintoxikation ohne weiteres eine Gewalttat naheliegend ist. In der weiter von der Antragsgegnerin vorgelegten Studie der Schweizerischen Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme „Alkohol und Gewalt im Jugendalter“ (Lausanne, Oktober 2006) heißt es zusammenfassend (Seite 59): „Prinzipiell zeigt sich, dass die Gesamtgewaltbelastung, sei es als Opfer oder Täter, stark mit dem Alkoholkonsum, insbesondere dem problematischen Alkoholkonsum zusammenhängt. Es ist zu betonen, dass man bei Querschnittsanalysen nie von einer Kausalrichtung sprechen kann. Insbesondere bei den hochrisikoreich konsumierenden Jugendlichen zeigt sich ein Zusammenspiel verschiedener Problemverhaltensweisen und dies bezieht sich nicht nur auf verschiedene Formen von Gewaltverhalten, sondern schließt weitere Bereiche wie ein schlechtes Verhältnis zu den Eltern, häufiger Tabak- und Cannabiskonsum, Schulschwänzen und risikoreiche Sexualpraktiken mit ein.“ Aus diesen Studien lässt sich zwar der Schluss ziehen, dass bei Gewalttätern sich häufig ein erheblicher Alkoholkonsum feststellen lässt, der Umkehrschluss, dass der Konsum von Alkohol auch typischerweise die Begehung von Straftaten nach sich zieht, lässt sich jedoch dieser Studien nicht entnehmen.

47

Auch die von der Antragsgegnerin vorgelegten Statistiken hinsichtlich der Kriminalitätssituation am H-platz rechtfertigen nicht den Schluss, dass dort der Konsum von Alkohol außerhalb der nach Gaststättenrecht konzessionierten Flächen typischerweise die Begehung von Straftaten nach sich zieht. Die Antragsgegnerin hat verschiedene, allerdings nur bedingt vergleichbare statistische Erhebungen hinsichtlich der Situation am H-platz in den Jahren zwischen 2007 und 2009 vorgelegt, welche jeweils von der Polizeidirektion Nord erstellt worden sind. Im Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis zum 30. September 2007 (vor Inkrafttreten der Allgemeinverfügung) sind im Bereich des H-platzes jeweils zwischen 18.00 Uhr und 6.00 Uhr insgesamt 117 Straftaten auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen erfasst worden. Hiervon entfielen auf die sog. Gewaltstraftaten (Exhibitionistische Handlungen, Räuberische Erpressung, Raub, Vergiftung, Gefährliche Körperverletzung) 29 Taten. Bei den sonstigen Straftaten sind als weitere Tatschwerpunkte 27 einfache Körperverletzungen und 15 Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen zu verzeichnen gewesen, wobei allerdings 9 Sachbeschädigungen allein im Monat September 2007 aufgetreten sind. Bei einer Tatverdächtigenanalyse, welche sich allerdings auf das ganze Jahr 2007 bezieht, standen im Bereich der Gewaltstraftaten 24 von 40 Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss, bei den einfachen Körperverletzungen waren dies 18 von 29 und bei den Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen 21 von 22 Tatverdächtigen. Für das Jahr 2008 (nach Inkrafttreten der Allgemeinverfügung ) ist nur ein pauschaler Vergleich für den Zeitraum Januar bis Juni 2007 bzw. Januar 2008 bis Juni 2008 von der Antragsgegnerin vorgelegt worden. Die Summe der Raubdelikte, Körperverletzungen und sonstiger sog. Rohheitsdelikte (Bedrohung, Nötigung, Beleidigung, Widerstand, Verleumdung) ist in diesen Vergleichszeiträumen von 50 auf 54 gestiegen. Der signifikante Anstieg der Sachbeschädigungen von 10 auf 23 ist nach Auskunft der Polizeidirektion Nord auf die Tat eines (betrunkenen) Einzeltäters im Mai 2008 zurückzuführen. In der Statistik für den Zeitraum 1. Januar bis 30. Juni 2009 (nach Inkrafttreten der Gefahrenabwehrverordnung) sind im Bereich des Hasselbachplatzes jeweils zwischen 18.00 und 6.00 Uhr 25 Gewaltstraftaten, 18 leichte Körperverletzungen und 7 Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen verzeichnet. Insgesamt sind 82 Straftaten erfasst worden, wobei allerdings einige Straftatbestände (Allgemeine Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz nach § 29 BtMG), welche in der Statistik für das Jahr 2007 mit 11 Delikten noch aufgeführt sind, aus nicht näher erläuterten Gründen in der Statistik für das Jahr 2009 nicht mehr erscheinen. Bei der Tatverdächtigenanalyse für das gesamte Jahr 2009 standen bei den Gewaltdelikten von 30 Tatverdächtigen 7 unter Alkoholeinfluss. Bei den einfachen Körperverletzungen waren dies 6 von 13.

48

Diese Statistiken lassen keine Feststellung zu der Frage zu, ob die Begehung der Straftaten eine typische Folge des Alkoholkonsums außerhalb der konzessionierten Flächen am H-platz darstellt. Aus den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen ergibt sich weder in welcher (ungefähren) Größenordnung Personen bezogen auf ein Kalenderjahr den Bereich um den H-platz aufsuchen noch wie viele der Besucher des Hasselbachplatzes außerhalb der konzessionierten Flächen Alkohol konsumieren. Diese Daten wären jedoch erforderlich gewesen, um die Zahlen aus der Kriminalitätsstatistik in Beziehung zur Anzahl zu den Alkoholkonsumenten zu setzen, um so eine Feststellung zu der Frage treffen zu können, ob die Begehung von Straftaten eine typische Folge des Alkoholkonsums in diesem Bereich darstellt. Die Anzahl der unter Alkoholeinfluss begangenen Gewaltdelikte gibt auch keinen Aufschluss darüber, ob die Gewalttäter bereits zu Hause oder in öffentlichen Verkehrsmitteln auf dem Weg zum Hasselbachplatz Alkohol getrunken haben und sich dann in alkoholisiertem Zustand in dem Quartier um den H-platz aufgehalten haben bzw. in den dortigen Gaststätten Alkohol zu sich genommen haben und anschließend aggressiv und gewalttätig geworden sind oder ob sie tatsächlich zu der Gruppe der Normunterworfenen zählen.

49

Hinsichtlich des Willy-Brandt-Platzes hat die Antragsgegnerin keine statistischen Materialien vorgelegt, welche mit den für den H-platz erstellten Statistiken vergleichbar wären. In der Beschlussvorlage an den Stadtrat der Antragsgegnerin wird lediglich festgestellt, dass der Willy-Brandt-Platz seit 1999 ein kontinuierlicher Treffpunkt von Alkohol trinkenden Personen sei. Es habe sich ursprünglich um zwei Gruppen mit bis zu 30 Personen gehandelt, die nur bis ca. 16.00 Uhr „ansprechbar“ seien. Danach sei der Alkoholisierungsgrad so hoch gewesen, dass Platzverweise nur noch mit Zwangsmaßnahmen durchgeführt werden könnten. Die Situation habe sich in den Jahren 2000 bis 2002 aufgrund von polizeilichen und ordnungsbehördlichen Maßnahmen zunächst beruhigt. Nachdem es im Jahr 2003 erneut zu Beschwerden von Passanten und Geschäftsleuten gekommen sei, habe die Situation bis zum Jahr 2005 wieder beruhigt werden können. Im Jahr 2006 sei es dann wieder zu Zwischenfällen mit Angehörigen der linken Szene gekommen. Im Jahr 2008 sei es wieder zu Beschwerden gekommen. Bei einer Zählung vom 26. Mai bis zum 13. Juni 2008 seien 100 Alkohol trinkende Personen angetroffen worden. Die Geschäftsführung des Einkaufszentrums „City-Carré“ habe sich über „belagerungsähnliche“ Zustände beschwert. Im Sommer 2008 sei es auf dem Bahnhofsvorplatz zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen betrunkenen Jugendlichen und Mitarbeitern des Ordnungsamtes gekommen. In der Folge seien auch Strafanzeigen gestellt worden. Aufgrund der starken Frequentierung des Platzes sei die Gefährdung durch Glasscherben der weggeworfenen Flaschen besonders groß. Konkrete Zahlen über die Kriminalitätsentwicklung auf dem Willy-Brandt-Platz wie auch die sonstigen notwendigen Vergleichszahlen, also insbesondere die Größenordnung der Zahl der Alkoholkonsumenten auf dem Willy-Brandt-Platz, insgesamt hat die Antragsgegnerin nicht vorgelegt. Auch hinsichtlich des Willy-Brandt-Platzes gilt, dass eine Gefahrenabwehrverordnung nicht lediglich zur Erleichterung der Arbeit der Ordnungskräfte erlassen werden kann. Erst recht stellt eine Gefahrenabwehrverordnung kein Instrument zur Verdrängung bzw. Vertreibung von als unerwünscht erachteten gesellschaftlichen Gruppen zum Zwecke der „Milieupflege“ dar. Polizeirechtliche Maßnahmen können sozialpolitische Maßnahmen nicht ersetzen.

50

Soweit die Antragsgegnerin die Abwehr von Lärmbelästigungen als Beweggrund für den Erlass der Gefahrenabwehrverordnung benennt, ergibt sich aus den von ihr vorgelegten Unterlagen nicht, welcher Quelle die Lärmbelästigungen zuzuordnen sind. Aus den Unterlagen ergibt sich nicht, dass der Lärm von Personen herrührt, die außerhalb der konzessionierten Bereichen Alkohol zu sich nehmen. Da Ursache der von den Anwohnern als störend empfundenen Lärmbelästigungen auch Personen sein können, die in den Gaststätten Alkohol zu sich genommen haben und sich auf dem Heimweg befinden bzw. auch solche sein können, die Alkohol bereits vor dem Betreten des H-platzes bzw. Willy-Brandt-Platzes Alkohol konsumiert haben, kann nicht festgestellt werden, dass gerade der öffentliche Alkoholkonsum außerhalb gaststättenrechtlich konzessionierten Flächen typischerweise eine erhebliche, nicht mehr sozialadäquate Lärmbelästigung nach sich zieht. Nach den von der Antragsgegnerin vorgelegten Unterlagen kommen als Lärmemittenten auch die Führer von Kraftfahrzeugen in Betracht, die die Musikanlagen in ihren (geparkten) Fahrzeugen mit übermäßiger Lautstärke betreiben und diese Musik durch die geöffneten Fenster nach außen dringt. Bei diesem Verhalten ist nicht ersichtlich, inwieweit eine solche Lärmverursachung dem Alkoholkonsum außerhalb der konzessionierten Flächen am H-platz bzw. Willy-Brandt-Platz zugeordnet werden kann.

51

Ist die Antragsgegnerin daher mangels genügend abgesicherter Erkenntnisse über die Einzelheiten der zugrunde liegenden Sachverhalte bzw. über die maßgeblichen Kausalverläufe in Bezug auf die Begehung von Straftaten und dem Auftreten von Lärmbelästigungen als Folgeverhalten des Alkoholkonsums zu der erforderlichen Gefahrenprognose nicht im Stande, so liegt allenfalls ein Gefahrenverdacht vor, welcher wie oben ausgeführt nicht zum Erlass einer Gefahrenabwehrverordnung im Sinne des § 94 SOG LSA rechtfertigt.

52

Das Alkoholverbot in den §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GefahrenabwehrVO ist ferner, soweit es generell die Vermeidung von Abfall zum Ziel hat, nicht verhältnismäßig im engeren Sinne.

53

Das Gebot der Verhältnismäßigkeit verlangt allgemein, dass der Staat mit dem Grundrechtseingriff einen legitimen Zweck mit geeigneten, erforderlichen und angemessenen Mitteln verfolgt. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne verlangt, dass die Einbußen grundrechtlich geschützter Freiheiten nicht in unangemessenem Verhältnis zu den Gemeinwohlzwecken stehen, denen die Grundrechtsbeschränkung dient. Der Normgeber muss zwischen Allgemein- und Individualinteressen einen angemessenen Ausgleich herbeiführen. Dabei ist einerseits das Gewicht der Ziele und Belange zu berücksichtigen, denen der Eingriff dient. Maßgeblich ist unter anderem, wie bedeutsam die Rechtsgüter sind, die mit Hilfe der Maßnahme geschützt werden sollen, und wie wahrscheinlich der Eintritt einer Rechtsgutverletzung ist. Andererseits ist zu beachten, unter welchen Voraussetzungen welche und wie viele Grundrechtsträger wie intensiv Beeinträchtigungen ausgesetzt sind. Maßgebend sind insbesondere die Gestaltung der Einschreitschwellen, die Zahl der Betroffenen und die Intensität der Beeinträchtigung (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.06.2009 - 2 BvR 902/06 - NJW 2009, 2431 m. w. N.).

54

Soweit Zweck der Regelungen in §§ 2 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GefahrenabwehrVO ist, durch ein Alkoholkonsumverbot generell das Abfallaufkommen durch z.B. weggeworfene Papierverpackungen und Kunststoffabfall zu verringern, da die Konsumenten von Alkohol typischerweise auch andere Lebensmittelverpackungen achtlos wegwerfen, ist die Regelung nicht verhältnismäßig. Die weitgehende Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit durch das Alkoholkonsumverbot steht auch angesichts des Umstandes, dass Verstöße gegen das Abfallgesetz bereits aufgrund bundesrechtlicher Bestimmungen bußgeldbewehrt sind, nicht in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Vermeidung einer unsachgemäßen Abfallentsorgung. Ein generelles Verbot des Konsums eines Nahrungs- und Genussmittels auf öffentlichen Straßen, Wegen und Plätzen zu dem alleinigen Zweck, die von der typischerweise verwendeten Verpackung möglicherweise ausgehenden Gefahren zu vermeiden, ist nicht verhältnismäßig im engeren Sinne. Da von einer Vielzahl von Lebensmittelverpackungen bzw. Lebensmittelresten, die auf öffentlichen Wegen zurückgelassen werden, Gefahren ausgehen können (z. B. Obstschalen, Verpackungsschlaufen), würde mit einem solchen Verbot des Verzehrens eines Lebensmittels der grundrechtlich geschützte Gemeingebrauch an öffentlichen Straßen und Wegen, zu dem grundsätzlich auch der Verzehr von Lebensmitteln während des Aufenthaltes auf diesen Wegen und Straßen zählt, in einer umfassenden und das Übermaßverbot verletzenden Weise eingeschränkt.

55

Soweit Ziel der Verordnung die Vermeidung von Glasbruch durch weggeworfene Glasflaschen ist, mag zumindest bezüglich des H-platzes unterstellt werden, dass das Wegwerfen von Glasflaschen eine typische Folge des Alkoholkonsums außerhalb der gaststättenrechtlich konzessionierten Flächen darstellt. Hinsichtlich des Willy-Brandt-Platzes kann dies hingegen nicht festgestellt werden, da sich die Antragsgegnerin in der Drucksache DS0521/08 auf die allgemeine Aussage beschränkt, dass es auch am Willy-Brandt-Platz zu Glasbruch gekommen sei. Der verfolgte Zweck im Bereich der Abfallvermeidung und der Abwehr von Gefahren durch Glasbruch insbesondere für Fußgänger und Fahrradfahrer, wenn er von der Regelung gedeckt sein sollte, ist grundsätzlich legitim. Die betroffenen Schutzgüter, insbesondere die körperliche Unversehrtheit von Passaten und Fahrradfahrern, besitzen grundsätzlich ein hohes verfassungsrechtliches Gewicht. Das Gewicht des jeweils konkret verfolgten Einsatzzwecks hängt allerdings davon ab, auf welche beeinträchtigten Rechtsgüter er sich konkret bezieht und welche Intensität deren Gefährdung aufweist. Das Mittel eines vollständigen Alkoholkonsumverbotes ist zur Verfolgung präventiver und gegebenenfalls repressiver Zwecke jedenfalls insoweit geeignet, als die von Glasflaschen, welche alkoholische Getränke enthalten, ausgehenden Gefahren zumindest im Bereich der von der Verordnung betroffenen Gebiete gemindert werden können.

56

Ein Alkoholkonsumverbot mit dem alleinigen Zweck, Glasbruch und die daraus resultierenden Folgen zu vermeiden, ist hingegen nicht erforderlich, da ein gleichermaßen wirksames, aber in Bezug auf die Grundrechtsbeschränkung aller Normadressaten milderes Mittel existiert. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass das zeitlich befristete Alkoholverbot im Bereich des H-platzes sowie das zeitlich unbefristete Alkoholverbot am Willy-Brandt-Platz unterschiedslos alle Personen, die in diesen Bereichen Alkohol konsumieren wollen, betreffen. Die streitigen Bestimmungen umfassen in ihrer abstrakten Reichweite nicht nur diejenige Personen oder die Gruppen, die die Antragsgegnerin mit der Regelung eigentlich erreichen will, nämlich die, die sich in alkoholisierten Zustand versetzen, um zu provozieren oder als Folgeerscheinung durch unangepasstes Verhalten aufzufallen, sondern sie geht weit darüber hinaus und erfasst zum Beispiel auch „stille Zecher“, die friedlich und im Übrigen unauffällig Alkohol trinken und die auch die benutzten Trinkbehältnisse wieder dem Verwertungskreislauf zuführen. Die Regelungen betreffen weiter auch Personen, die nur (kurzzeitig) mit einem alkoholischen Getränk den Bereich der konzessionierten Bereich von Gaststätten verlassen, um so z. B. den Anforderungen des Nichtraucherschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt Genüge zu tun. Auch wenn es nach Auffassung des Senates eine nicht nur seltene, sondern durchaus häufiger auftretende Folge des Alkoholkonsums in den von der Verordnung erfassten Bereichen ist, dass Glasflaschen achtlos weggeworfen werden und gefährlicher Glasbruch entsteht, bleibt jedoch festzuhalten, dass von den angegriffenen Regelungen auch eine relativ große Gruppe von Nichtstörern betroffen ist, die in den Grenzen des kommunikativen Gemeingebrauchs Alkohol zu sich nimmt. Um die Gefahren des Glasbruchs zu vermeiden, gibt es mit einem ggf. zeitlich befristeten Verbot des Verkaufs oder des Mitführens von Glasflaschen oder von alkoholischen Getränken in Glasflaschen in den Bereichen um den H-platz und den Willy-Brandt-Platz, ein gleich geeignetes, aber die Grundrechte aller Normbetroffenen weniger beschränkendes Mittel. Zwar ist auch von einem solchen Mitführ- bzw. Verkaufsverbot (außerhalb der Gaststätten) angesichts der Besucherzahlen auf diesen beiden Plätzen ebenfalls eine erhebliche Anzahl von Personen betroffen. Allerdings wiegt der Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit ihnen gegenüber weniger schwer als ein Alkoholkonsumverbot, denn sie können weiterhin entsprechend ihren Bedürfnissen dort feiern, indem sie beispielsweise Getränkebehältnisse aus Kunststoff verwenden (vgl. zu dieser Erwägung auch die Begründung des Glasflaschenverbotsgesetzes in Hamburg, Bürgerschaftsdrucksache 19/3253, Seite 3f.; OVG Münster, Beschl. v. 10.02.2010 - 5 B 119/10 - juris zum Glasflaschenverbot in Köln).

57

Die Unwirksamkeit der §§ 1 bis 3 GefahrenabwehrVO haben die Gesamtunwirksamkeit der Verordnung zur Folge. Die Aufrechterhaltung der weiteren Regelungen ist nur dann möglich, wenn sie auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleiben - Grundsatz der Teilbarkeit der Norm - und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wären - Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers - (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.04.2009 - 4 CN 5.07 - BVerwGE 133, 377 m. w. N.; OVG LSA, Urt. v. 08.04.2008 - 4 K 95/07 - NVwZ-RR 2008, 810). Die Vorschriften über Ausnahmen, über Ordnungswidrigkeiten, Geltungsdauer und das Inkrafttreten in den §§ 4 bis 7 GefahrabwehrVO bauen auf die Verbotsvorschriften in den §§ 1 bis 3 auf und machen ohne den nichtigen Teil keinen Sinn. Ein mutmaßlicher Wille der Antragsgegnerin, einen solchen „Regelungstorso“ weiterhin wirksam bleiben zu lassen, ist nicht feststellbar. Diesem Ergebnis steht auch nicht entgegen, dass die Normenkontrollgerichte nach § 47 Abs. 1 VwGO nur „im Rahmen ihrer Gerichtsbarkeit“ zur Kontrolle von untergesetzlichen Rechtsvorschriften berufen sind. Es soll vermieden werden, dass die Oberverwaltungsgerichte andere Gerichte für Streitigkeiten präjudizieren, zu deren Entscheidung im Einzelfall letztere ausschließlich zuständig sind. Eine derartige Überordnung liefe dem Grundsatz der Gleichwertigkeit der Gerichtszweige zuwider (vgl. Ziekow, in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 47 Rdnr. 40 m. w. N.) Es muss sich also um Verfahren handeln, für die der Verwaltungsgerichtsweg im Sinne von § 40 VwGO eröffnet ist. Bei Vorschriften rein ordnungswidrigkeitsrechtlichen Inhalts ist das nicht der Fall, weil gegen darauf gestützte Bußgeldbescheide der Verwaltungsbehörden allein die ordentlichen Gerichte angerufen werden können (§ 68 OWiG). Dies schließt jedenfalls eine isolierte Anfechtung von ordnungswidrigkeits- bzw. strafrechtlichen Vorschriften im Rahmen einer Normenkontrolle nach § 47 VwGO im Regelfall aus (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.02.2005 - 7 CN 6.04 - NVwZ 2005, 695, nachfolgend aber BVerfG, Beschl. v. 19.06.2007 - 1 BvR 1290/05 - NVwZ 2007, 1172). Hiervon ist die Frage zu trennen, ob bei untergesetzlichen Rechtsnormen, die wie hier Gegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens sein können, es den Oberverwaltungsgerichten untersagt ist, die in einem untrennbaren Zusammenhang zu den verwaltungsrechtlichen Gebots- und Verbotsregelungen stehenden Bußgeldbestimmungen in die Erklärung der Unwirksamkeit nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO einzubeziehen. Bejahendenfalls müsste ein Normbetroffener hinsichtlich der Klärung der Frage, ob eine dann isoliert noch fortbestehende Bußgeldvorschrift weiterhin Rechtswirkungen entfaltet, eine Feststellungsklage nach § 43 VwGO vor den Verwaltungsgerichten erheben, um so wenigstens eine Feststellung mit inter-partes-Wirkung zu erreichen. Vor dem Hintergrund, dass das Normenkontrollverfahren nach § 47 VwGO durch die Möglichkeit einer allgemeinverbindlichen gerichtlichen Entscheidung über die Gültigkeit einer im Range unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift den Rechtsschutz des Bürgers grundsätzlich beschleunigen und verbessern soll, da der Betroffene nicht gezwungen ist, eine Entscheidung über die Gültigkeit der Rechtsnorm inzidenter in einem Klageverfahren gegen eine auf die Norm gestützte konkrete Verwaltungsentscheidung herbeizuführen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 15.09.1987 - 7 N 1.87 - NVwZ 1988, 1119) und angesichts der Regelung des § 17 Abs. 2 GVG, nach der ein Eingriff in fremde Rechtswegzuständigkeiten durch rechtskräftige Entscheidungen vom Gesetz hingenommen wird, hält es der Senat jedenfalls im vorliegenden Fall für geboten, auch die Ordnungswidrigkeitenbestimmung des § 4 GefahrenabwehrVO für unwirksam zu erklären.

58

Die Entscheidungsformel ist nach § 47 Abs. 5 Satz 1 Halbs. 2 VwGO im Amtsblatt der Antragsgegnerin zu veröffentlichen.

59

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

60

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.