Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 01. März 2018 - 10 B 10008/18
Gericht
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 18. Dezember 2017 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 € festgesetzt.
Gründe
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Die Beschwerde hat keinen Erfolg, da das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 6. Dezember 2017 gegen die mit Bescheid des Antragsgegners vom 4. Dezember 2017 verfügte und für sofort vollziehbar erklärte Entziehung seiner Fahrerlaubnis wiederherzustellen, zu Recht abgelehnt hat. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen verweist der Senat zur Begründung zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung. Zum Beschwerdevorbringen, auf welches sich die Prüfung des Senats nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, ist ergänzend auszuführen:
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Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es sich bei dem Antragsteller um einen gelegentlichen Cannabiskonsumenten handelt. Dies ergibt sich aus dem bei ihm ausweislich des toxikologischen Befundes vom 17. Oktober 2017 festgestellten THC-COOH-Wertes von 10 ng/ml Serum, seinem Erklärungsverhalten sowie dem Umstand, dass ein Zusammentreffen von erstmaligem Cannabiskonsum, anschließender Verkehrsteilnahme und entsprechendem Auffallen im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle trotz der nur geringen Dichte der Verkehrsüberwachung durch die Polizei kaum ernsthaft in Betracht zu ziehen ist. Insofern hält der Senat nach erneuter Überprüfung unter Einbeziehung des Beschwerdevorbringens, auch soweit es sich auf die Methodik richterlicher Rechtsfindung bezieht, an seiner bisherigen Rechtsprechung (vgl. OVG RP, Beschluss vom 7. April 2015 – 10 B 10297/15.OVG –) fest.
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Der Beschwerde ist darin zu folgen, dass den in Bezug genommenen und auch vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ausgewerteten Gutachten (vgl. BayVGH, Beschluss vom 16. August 2006 – 11 CS 05.3394 –, juris, Rn. 32 ff. m.w.N.) sowie der sog. Daldrup-Tabelle (vgl. Blutalkohol 2000, 39 ff.) keine wissenschaftlich gesicherte THC-COOH-Konzentration entnehmen lässt, ab welcher ein gelegentlicher Cannabiskonsum feststeht. Denn diese und auch sonstige Studien kommen insoweit zu keinem abschließenden Ergebnis.
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Nach der Daldrup-Tabelle ist in der Regel unterhalb von 5 ng/ml Serum von gelegentlichem, bei Konzentration ab 75 ng/ml Serum vom regelmäßigen Konsum auszugehen. Da diese Werte sich auf Blutentnahmen beziehen, die innerhalb von 8 Tagen nach der Auffälligkeit erfolgt sind, dürfte wegen der mittleren Halbwertzeiten für THC-COOH von etwa 6 Tagen bei einer Blutprobe, die – wie im vorliegenden Fall – im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Fahrt unter Cannabiseinfluss abgenommen wurde, die dann festzustellende THC-COOH-Konzentration etwa doppelt so hoch sein. Denn der Betreffende hatte in diesem Fall nicht die Möglichkeit, durch strikte Cannabisabstinenz während des ansonsten etwa einwöchigen Zeitraums bis zur Durchführung der Blutuntersuchung die Konzentration dieses Metaboliten entsprechend zu senken. Deshalb ist der Senat in der Vergangenheit von einem bei etwa 10 ng/ml Serum liegenden Grenzwert für die Annahme eines zumindest gelegentlichen Cannabiskonsums ausgegangen. Allerdings berichten andere wissenschaftliche Stellungnahmen davon, dass erstmals cannabiskonsumierende Probanden in Einzelfällen deutlich höhere THC-COOH-Werte erreicht haben (vgl. Veröffentlichung von Huestis/Henningfield/Cone, in: Berr/Krause/Sachs, Drogen im Straßenverkehr, 2007, S. 257). Dementsprechend kommt das vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zitierte „Aderjan-Gutachten vom 29. August 2005“ zu der Feststellung, dass ein THC-Carbonsäurespiegel von etwa über 80 ng/ml Serum unter Umständen bereits bei einmaligem Cannabisgenuss erreicht werden kann (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 34). Hieran inhaltlich anknüpfend geht das Institut für Rechtsmedizin der Universität München in der Stellungnahme vom 23. August 2004 davon aus, dass die „sichere Annahme des gelegentlichen oder häufigeren Konsums … entsprechend der Datenlage unterhalb 100 ng/ml Serum nicht möglich“ ist (vgl. BayVGH, a.a.O., Rn. 36). Hieraus folgt, dass die aufgrund der Daldrup-Tabelle vorgenommene Bewertung eines THC-COOH-Wertes von 10 ng/ml Serum nicht widerlegt, aber insoweit in Zweifel gezogen ist, als auf dieser Grundlage ein gelegentlicher Cannabiskonsum nicht feststeht. Jedoch ist ein solches Konsumverhalten bei dieser niedrigeren THC-COOH-Konzentration auf Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse auch nicht ausgeschlossen. Denn die Studien, die das Auftreten von THC-COOH-Werten von mehr als 80 bis 100 ng/ml Serum bereits beim Erstkonsum festgestellt haben, berufen sich zum Teil ausdrücklich auf Einzelfälle und besondere Umstände, weshalb eine generelle Aussage, bei einem THC-COOH-Wert von unter 100 ng/ml Serum liege ein Erstkonsum vor, derzeit nicht getroffen werden kann.
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Lässt demnach bei einer konsumnahen Blutentnahme ein THC-COOH-Wert unterhalb von 80 bis 100 ng/ml Serum einerseits keinen sicheren Rückschluss auf gelegentlichen Cannabiskonsum zu, ist andererseits aber ein solcher Konsum bei einem THC-COOH-Wert von 10 ng/ml Serum auch nicht ausgeschlossen, ist von einem gelegentlichen Cannabiskonsum auszugehen, wenn der Kraftfahrer nicht substantiiert und glaubhaft darlegt, er habe erstmals Cannabis eingenommen. Zwar ist die Fahrerlaubnisbehörde für das Bestehen einer Fahrungeeignetheit beweispflichtig. Jedoch setzt das Eingreifen von Beweislastregeln voraus, dass der Betroffene zuvor seiner Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsermittlung nachgekommen ist. Hierzu gehört es bei einem Fahrerlaubnisinhaber, der jedenfalls einmal unter Cannabiseinfluss am Straßenverkehr teilgenommen hat und sich auf einen einmaligen, experimentellen Konsum ohne Wiederholungsgefahr beruft, die Schilderung der näheren Umstände dieses Konsums in substantiierter widerspruchsfreier und inhaltlich nachvollziehbarer Weise. Denn eine solche Schilderung ist nur ihm als dem unmittelbaren Beteiligten möglich. Sie ist dem Fahrerlaubnisinhaber trotz der eigenen Grundrechtsbetroffenheit auch zumutbar, da ihm im Fahrerlaubnisrecht als Teil des Gefahrenabwehrrechts wegen des hohen Rangs der Verkehrssicherheit ein Aussageverweigerungsrecht nicht zusteht.
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Kommt der Betroffene trotz des Verdachts auf gelegentlichen Cannabiskonsum seiner Erklärungsobliegenheit nicht nach oder sind seine Darstellungen nicht glaubhaft, kann deshalb ohne Weiteres auf einen mehrmaligen und damit gelegentlichen Cannabiskonsum geschlossen werden, weil es jeglicher Lebenserfahrung widerspricht, dass ein mit Cannabis unerfahrener Kraftfahrzeugführer bereits nach dem ersten und einmaligen Konsum ein Kraftfahrzeug führt und trotz der allgemein bekannten geringen Dichte polizeilicher Verkehrskontrollen sogleich in eine Verkehrskontrolle gerät (vgl. OVG NRW, Urteil vom 15. März 2017 – 16 A 432/16 , juris, Rn. 47 bis 57; VGH BW, Urteil vom 21. Februar 2007 – 10 S 2302/06 –, juris, Rn. 15; OVG Schleswig, Beschluss vom 23. Januar 2015 – 4 MB 2/17 –, juris, Rn. 10).
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Da die Bewertung der Wahrscheinlichkeit, beim Erstkonsum von Cannabis und anschließender Teilnahme am Straßenverkehr in eine Polizeikontrolle zu geraten, auf der allgemein bekannten geringen Kontrolldichte im Straßenverkehr sowohl hinsichtlich von Drogen- als auch von Alkoholverstößen beruht, bedurfte es bereits keiner mathematischen Berechnung der entsprechenden Wahrscheinlichkeiten. Deshalb kann der Senat die Frage offenlassen, ob die nur schwer nachvollziehbare Stellungnahme von Frau Dr. I… vom 18. Januar 2018 überhaupt den Kern der hier maßgeblichen Frage trifft. Insofern fällt auf, dass sie sich hauptsächlich mit dem Zusammenhang zwischen dem Führen eines Kraftfahrzeugs unter Cannabiseinfluss („Indiz“) und der Eigenschaft des Betroffenen als Erstkonsument („Hypothese“) unter Außerachtlassung der sonstigen Umstände und dem aus diesen gezogenen Schluss auf einen gelegentlichen Cannabiskonsum befasst. Die Schlussfolgerung, das Verwaltungsgericht habe eine subjektive, also „gefühlte“ Wahrscheinlichkeit zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht, kann angesichts der auch dem Senat bekannten Lebenswirklichkeit nicht überzeugen.
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Wendet man die dargestellten Grundsätze auf den Antragsteller an, so ist er als gelegentlicher Cannabiskonsument anzusehen. Dies folgt nicht bereits aus der THC-COOH-Konzentration von 10 ng/ml Serum in der Blutprobe, die ihm in zeitlich nahem Zusammenhang zur polizeilichen Kontrolle abgenommen wurde. Hinzukommt, dass der Antragsteller in keiner Weise seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung nachgekommen ist. Denn er hat zu den näheren Umständen seines Cannabiskonsums keine Angaben gemacht, obwohl ihm dies nach dem Vorstehenden oblegen hat.
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Schließlich hat der Antragsteller am 25. Mai 2017 nicht zwischen Cannabiskonsum und dem Führen eines Kraftfahrzeugs getrennt. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Stellungnahme der sog. Grenzwertkommission vom September 2015 (Blutalkohol 52/2015, S. 322). Nach der überwiegenden verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung, einschließlich der des Senats, lässt sich aus dieser Stellungnahme nicht entnehmen, dass erst ab einer THC-Konzentration von 3 ng/ml Serum und mehr vom fehlenden Trennungsvermögen des Cannabiskonsumenten auszugehen ist. Denn aus juristischer Sicht ist es für die Beurteilung des Trennungsvermögens von Cannabiskonsum und Fahren allein maßgeblich, ab welcher THC-Konzentration eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit möglich und damit das Unfallrisiko erhöht sein kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 3 C 3.13 –, juris, Rn. 32 ff.). Insoweit kommt es auf einen Risikogrenzwert an, der nach der bisherigen Rechtsprechung des Senats erreicht ist, wenn ein Verkehrsteilnehmer ein Fahrzeug führt, obwohl sein Blut eine THC-Konzentration von 2,0 ng/ml Serum aufweist und bei einem THC-Wert zwischen 1,0 und 2,0 ng/ml Serum beim Fahrer zusätzliche drogenbedingte Auffälligkeiten, wie beim Antragsteller wässrige und gerötete Augenbindehäute sowie Zuckungen der Gesichtsmuskulatur, zutage treten. Somit ist eine Erhöhung des bisherigen THC-Grenzwertes aufgrund der Empfehlung der Grenzwertkommission vom September 2015 nicht veranlasst (vgl. ausführlich OVG RP, Beschluss vom 3. Mai 2017 – 10 B 10909/17.OVG –, juris, Rn. 8 m.w.N.).
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Hat der Antragsteller nach alledem als gelegentlicher Cannabiskonsument nicht zwischen Drogenkonsum und Teilnahme am Straßenverkehr getrennt, steht seine Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen fest. Ihm war deshalb gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz – StrVG – i.V.m. §§ 46 Abs. 1, 11 Abs. 7 Fahrerlaubnisverordnung – FeV – und Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Entscheidung über die Höhe des Streitwertes folgt aus §§ 47, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz i.V.m. Nrn. 5.1 und 46.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (LKRZ 2014, 169).
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Annotations
(1) §§ 88, 108 Abs. 1 Satz 1, §§ 118, 119 und 120 gelten entsprechend für Beschlüsse.
(2) Beschlüsse sind zu begründen, wenn sie durch Rechtsmittel angefochten werden können oder über einen Rechtsbehelf entscheiden. Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung (§§ 80, 80a) und über einstweilige Anordnungen (§ 123) sowie Beschlüsse nach Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache (§ 161 Abs. 2) sind stets zu begründen. Beschlüsse, die über ein Rechtsmittel entscheiden, bedürfen keiner weiteren Begründung, soweit das Gericht das Rechtsmittel aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist.
(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.