Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 23. Juni 2015 - 7 B 570/15
Gericht
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller zu 1. und 2. tragen gesamtschuldnerisch die eine Hälfte, die Antragsteller zu 3. und 4. tragen gesamtschuldnerisch die andere Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens; die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstands wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000 Euro festgesetzt.
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G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
3Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 6. November 2014 abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Normen des Bauordnungsrechts, die auch dem Schutz der Rechte der Antragsteller zu dienen bestimmt seien, seien nicht verletzt. Die streitige Baugenehmigung verstoße insbesondere nicht gegen § 6 BauO NRW. Vor den Außenwänden des genehmigten Baukörpers seien zu den Grundstücken der Antragsteller die notwendigen Abstandflächen eingehalten, wobei die Beigeladene zulässigerweise das 16 Meter- Privileg des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW ausnutze. Die durch das Vorhaben ausgelösten Abstandflächen lägen daher auf dem Baugrundstück selbst. Die Baugenehmigung verletze voraussichtlich auch keine subjektiven bauplanungsrechtlichen Rechte der Antragsteller. Insbesondere führe das Vorhaben es nicht zu Einsichtnahmemöglich- keiten, die über das im Innenbereich von L. -M. zumutbare Maß hinausgingen. Mit der genehmigten Dachterrasse, die den erforderlichen Abstand zu den Grundstücken der Antragsteller einhalte, sei ein weitergehendes besonderes Störpotenzial bei der städtebaurechtlich gebotenen typisierenden Betrachtungsweise nicht verbunden.
4Das Beschwerdevorbringen der Antragsteller, auf dessen Überprüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich beschränkt ist, führt nicht zu einer Änderung dieser Beurteilung.
5Die Antragsteller machen in erster Linie geltend, es liege entgegen der Beurteilung des Verwaltungsgerichts ein Abstandrechtsverstoß vor. Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass das geplante Gebäude zwischen zwei Außenwänden lediglich 16 m lang sei und damit die Voraussetzungen des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW erfüllt seien. Tatsächlich sei das Gebäude 19,36 m lang. Dies bedeute, dass die Beigeladene das Privileg des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW um 3,36 m überschreite.
6Diesen Ausführungen liegt ein unzutreffendes Verständnis der gesetzlichen Regelung des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW zu Grunde. Die Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
7„Auf einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände von nicht mehr als 16 m genügt gegenüber jeder Grundstücksgrenze und gegenüber jedem Gebäude auf demselben Grundstück als Tiefe der Abstandflächen 0,4 H, in Kerngebieten 0,25 H, mindestens jedoch 3 m.“
8Die Formulierung “auf einer Länge der Außenwände und von Teilen der Außenwände“ verdeutlicht, dass eine Außenwand insgesamt auch länger als 16 m sein darf, um von dem Privileg Gebrauch machen zu können. Es darf dann allerdings die nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO NRW erforderliche Tiefe der Abstandfläche nur auf einer Länge von nicht mehr als 16 m halbiert werden. Der Anteil außerhalb des 16 m - Abschnitts muss dann die volle nach § 6 Abs. 5 Satz 1 BauO NRW erforderliche Tiefe der Abstandfläche einhalten.
9Vgl. Johlen, in Gädtke u. a., Bauordnung NRW, Kommentar, 12. Auflage, § 6, Rn. 250 sowie Kamp/Schmickler, in Schönenbroicher/Kamp, Bauordnung Nordrhein-Westfalen, Kommentar, § 6, Rn. 224, Boeddinghaus, in Boeddinghaus/Hahn/
10Schulte/Radeisen, Bauordnung NRW, Loseblattkommentar, § 6, Rn. 253 (Bearb. Stand Juli 2009); ferner auch OVG NRW, Beschluss vom 10. August 2011 - 7 B 589/11 -.
11Diesen Anforderungen ist die Antragsgegnerin bei ihrer Genehmigungsentscheidung gerecht geworden. Aus dem grün gestempelten und damit als Teil der Genehmigung gekennzeichneten Lageplan lässt sich ersehen, dass das Privileg des § 6 Abs. 6 Satz 1 BauO NRW nur auf einem Abschnitt mit einer Länge von 16 Metern an der nordwestlichen bzw. südöstlichen Gebäudewand zugrundegelegt worden ist (Abstandflächen T 10 und T 2).
12Für die nach Südwesten hin anschließenden Wandabschnitte des genehmigten Gebäudes mit einer Länge von 3,36 m sind die Abstandflächen T 3 und T 8 entsprechend der vorgenannten Regelung ohne Berücksichtigung des Privilegs bemessen worden. Da der Baukörper in diesem Bereich nur eingeschossig genehmigt ist, liegen die Abstandflächen bei der Berechnung nach § 6 Abs. 4 und 5 Satz 1 BauO NRW insoweit auch ohne Inanspruchnahme des Privilegs noch auf dem Baugrundstück selbst.
13Soweit die Antragsteller des Weiteren geltend machen, es bestehe die Möglichkeit, im ersten Obergeschoss eine ausladende Terrasse zu bauen, die „weitaus über den übrigen Gärten der Nachbarn trohnt“, es ergebe sich „ein Aussichtspunkt in Augenhöhe, der ca. 5 m über den übrigen Gärten liegt“, rechtfertigt auch dies keine Änderung der angefochtenen Entscheidung. Das Verwaltungsgericht hat den bereits in der Antragsbegründung thematisierten Aspekt einer Schaffung von Einsichtnahmemöglichkeiten in benachbarte Gärten im angegriffenen Beschluss behandelt und einen Verstoߠ gegen das planungsrechtliche Rücksichtnahmegebot mit zutreffenden Erwägungen verneint. Ergibt sich von einem Bauvorhaben aus die Möglichkeit der Einsichtnahme in ein Nachbargrundstück, so verletzt dies in aller Regel nicht das Gebot der Rücksichtnahme, weil dies in bebauten innerörtlichen Bereichen zur Normalität gehört.
14Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Juni 2007
15- 7 A 3852/06 -, BauR 2007, 1557 = BRS 71 Nr. 127.
16Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 2 VwGO und § 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 ZPO sowie § 162 Abs. 3 VwGO; es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern außergerichtliche Kosten der Beigeladenen nicht aufzuerlegen, weil diese keinen Antrag gestellt und sich damit auch selbst einem Kostenrisiko nicht ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
17Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
18Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
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(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so gilt § 100 der Zivilprozeßordnung entsprechend. Kann das streitige Rechtsverhältnis dem kostenpflichtigen Teil gegenüber nur einheitlich entschieden werden, so können die Kosten den mehreren Personen als Gesamtschuldnern auferlegt werden.
(1) Besteht der unterliegende Teil aus mehreren Personen, so haften sie für die Kostenerstattung nach Kopfteilen.
(2) Bei einer erheblichen Verschiedenheit der Beteiligung am Rechtsstreit kann nach dem Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.
(3) Hat ein Streitgenosse ein besonderes Angriffs- oder Verteidigungsmittel geltend gemacht, so haften die übrigen Streitgenossen nicht für die dadurch veranlassten Kosten.
(4) Werden mehrere Beklagte als Gesamtschuldner verurteilt, so haften sie auch für die Kostenerstattung, unbeschadet der Vorschrift des Absatzes 3, als Gesamtschuldner. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts, nach denen sich diese Haftung auf die im Absatz 3 bezeichneten Kosten erstreckt, bleiben unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.
(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.
(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.
(4) In Verfahren
- 1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro, - 2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro, - 3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und - 4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.
(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert
- 1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist, - 2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.
(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.