Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 04. Juli 2014 - 2 B 508/14
Gericht
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Die aufschiebende Wirkung der von dem Antragsteller erhobenen Klage - 4 K 4116/13 - gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 15. November 2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 18. Dezember 2013 wird hinsichtlich der angeordneten Untersagung der Nutzung der auf dem Grundstück Gemarkung E. , Flur 19, Flurstücke und , errichteten Werkhalle (postalische Anschrift: S. -W. 6, I. ) durch seinen Gewerbebetrieb wiederhergestellt und hinsichtlich des angedrohten Zwangsgelds in Höhe von 2.000,- € angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 9.000,- € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde ist zulässig und begründet.
3Die in der Beschwerdebegründung von dem Antragsteller dargelegten Gründe führen zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung.
4Der Eilantrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO ist zulässig und mit dem tenorierten Inhalt begründet.
5Das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt das öffentliche Vollzugsinteresse an der streitgegenständlichen Nutzungsuntersagung. Auch bei einer Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung bedarf es in der gegebenen Fallgestaltung eines besonderen Vollzugsinteresses. Dieses fehlt.
6Es trifft grundsätzlich zu, dass bereits die formelle Illegalität eine sofortige Nutzungsuntersagung rechtfertigt. Allerdings gilt dies nicht ohne Ausnahme. Eine Nutzungsuntersagung kann trotz formeller Illegalität unverhältnismäßig bzw. nicht ohne Weiteres sofort vollziehbar sein, wenn sie gegenüber einem eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ausgesprochen wird und mit Blick auf das damit verbundene Insolvenzrisiko in ihren Auswirkungen nahezu einer Beseitigungsanordnung gleichkommen würde. Trotz des typisierten Umgangs mit Nutzungsuntersagungen dürfen die Einzelfallumstände nicht aus dem Blick geraten. Je mehr sich eine Nutzungsuntersagung einem Substanzeingriff annähert oder mit anderweitigen schweren, irreversiblen Folgen für den Pflichtigen verbunden sein könnte, desto höher werden mit Blick auf Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG die Verhältnismäßigkeitsanforderungen bzw. die Anforderungen an die Annahme eines besonderen Vollzugsinteresses.
7Vgl. insoweit OVG NRW, Beschluss vom 19. Juli 2011 - 10 B 743/11 -; Maske, in: Schönenbroicher/Kamp, BauO NRW, 1. Aufl. 2012, § 61 Rn. 29.
8Um einen solchen Ausnahmefall handelt es sich hier.
9Die Beschwerde schildert nochmals, dass der Antragsteller seinen in Rede stehenden Zaunbaubetrieb seit 1989 an diesem Standort führt und auf diesen Standort angewiesen ist. Folge der sofortigen Nutzungsuntersagung sei deswegen, dass er seine durchgehend beschäftigten zwei Mitarbeiter entlassen müsse. Ferner könne er - was nachvollziehbar ist - Aufträge nicht mehr erfüllen und werde dadurch möglicherweise insolvent. Dies hatte der Antragsteller schon in seiner Antragsschrift sowie in seinem Abänderungsantrag an die Antragsgegnerin vom 17. Dezember 2013 vorgetragen.
10Diesen gewichtigen, von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Substanzinteressen des Antragstellers stellt die Antragsgegnerin, die seit den 1990er Jahren von dem Betrieb des Antragstellers Kenntnis hat, kein mindestens ebenso gewichtiges besonderes Vollzugsinteresse gegenüber. Die Begründung der Anordnung der sofortigen Vollziehung vom 15. November 2013 geht auf die Umstände des Einzelfalls des Antragstellers nicht ein. Der Änderungsbescheid vom 18. Dezember 2013 hebt lediglich auf Immissionsschutzinteressen der Nachbarschaft ab. Deren konkrete Betroffenheit durch Lärm, Gerüche und Luftverunreinigungen hat die Antragsgegnerin, die bei der gegebenen Interessenlage die Feststellungslast trägt, aber nicht ermittelt. Entsprechendes gilt für die Ablehnung einer weitergehenden Aussetzung der Vollziehung durch die Antragsgegnerin vom 27. März 2014.
11Nach dem von dem Antragsteller vorgelegten Messbericht vom 26. Februar 2014 erscheint es indessen zumindest als realistisch, dass sein Betrieb das Lärmschutzniveau eines Mischgebiets beachten kann. Dieses kann der Nachbarschaft bis zur Feststellung des Gegenteils durch die Antragsgegnerin vorläufig zugemutet werden. Im Hinblick auf etwaige unzumutbare Gerüche und Luftverunreinigungen könnte die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller ggf. auch schon vor Durchführung des von dem Antragsteller angekündigten Genehmigungsverfahrens betriebliche Anordnungen erlassen. Diese könnten an die Erkenntnisse des Bezirksschornsteinfegers vom 17. Januar 2013 anknüpfen.
12Um zu dieser Bewertung zu kommen, ist die von der Antragsgegnerin angeregte Ortsbesichtigung im Beschwerdeverfahren nicht erforderlich.
13Ist die Grundverfügung nach dem Vorstehenden nicht sofort vollziehbar, fehlt es an den Voraussetzungen für die Androhung eines Zwangsgelds gemäß § 55 Abs. 1 VwVG NRW.
14Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
15Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
16Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.
(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.
(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.
(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.
(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.