Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 13. Juni 2014 - 19 A 2166/11.A
Gericht
Tenor
Die Anträge werden abgelehnt.
Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
Gründe:
2Der Prozesskostenhilfeantrag für das Verfahren zweiter Instanz ist unbegründet. Der Berufungszulassungsantrag hat aus den nachfolgenden Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht (§ 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Satz 1 ZPO).
3Der Berufungszulassungsantrag ist unbegründet. Die Klägerin stützt ihn ausschließlich auf den Zulassungsgrund grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG. Dieser Zulassungsgrund liegt nicht vor.
4Als obergerichtlich bislang ungeklärt bezeichnet die Klägerin die Frage, ob und unter welchen Umständen ein Verwaltungsgericht zusätzlich zur persönlichen Anhörung ein psychologisches Gutachten über die Glaubwürdigkeit einer Ausländerin einholen muss, wenn diese geltend macht, vor einer drohenden Genitalverstümmelung in ihrem Heimatland geflohen zu sein. Diese Frage rechtfertigt keine Berufungszulassung.
5In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, welche Anforderungen an die Darlegung eines glaubhaften Vortrags eines Asylbewerbers zu stellen sind, soweit dies einer grundsätzlichen Klärung zugänglich ist. Danach gehört die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Asylbewerbers und etwaiger Zeugen zum Wesen der richterlichen Rechtsfindung, vor allem der freien Beweiswürdigung. Im Grundsatz ist es ausschließlich Sache des Tatrichters, sich selbst die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO notwendige Überzeugungsgewissheit von der Wahrheit des Parteivortrags zu verschaffen. Auch in schwierigen Fällen ist der Tatrichter daher berechtigt und verpflichtet, den Beweiswert einer Aussage selbst zu würdigen. Die Tatsacheninstanzen haben in eigener Verantwortung festzustellen, ob der Asylbewerber und etwa gehörte Zeugen glaubwürdig und ihre Darlegungen glaubhaft sind. Ob sich die Gerichte dabei der sachverständigen Hilfe insbesondere eines in Bezug auf die Aussagepsychologie Fachkundigen bedienen wollen, haben sie nach pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. In aller Regel wird kein Ermessensfehler vorliegen, wenn die Tatsachengerichte sich die zur Glaubwürdigkeitsbeurteilung notwendige Sachkunde selbst zutrauen und auf die Hinzuziehung eines Fachpsychologen verzichten.
6BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 2005 - 1 B 10.05 ‑, juris, Rdn. 2; Beschluss vom 18. Juli 2001 ‑ 1 B 118.01 ‑, juris, Rdn. 3 m. w. N.
7Etwas anderes gilt nur dann, wenn im Verfahren besondere Umstände in der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen hervortreten, die in erheblicher Weise von den Normalfällen abweichen und es deshalb geboten erscheinen lassen können, die Hilfe eines solchen Sachverständigen in Anspruch zu nehmen. Das kann insbesondere der Fall sein, wenn das Aussageverhalten des Asylbewerbers durch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) beeinflusst sein kann.
8BVerwG, Beschluss vom 22. Februar 2005, a. a. O., Rdn. 2; zur Substantiierung eines Sachverständigen-beweisantrags zur PTBS vgl. auch BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 ‑ 10 C 8.07 ‑, BVerwGE 129, 251, juris, Rdn. 15, 17.
9Es bedarf keiner rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren, dass diese Grundsätze auch für eine geschlechtsspezifische Verfolgung im Sinne des § 3a Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG und des Art. 9 Abs. 2 Buchstabe f) der EU-Flüchtlingsschutz-RL 2011/95/EU vom 28. August 2013 gelten.
10Vgl. dazu Huber, NVwZ 2014, 548 (549).
11Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass das Verwaltungsgericht nach diesen Maßstäben die Unglaubwürdigkeit der Klägerin feststellen durfte, ohne zu dieser Frage ein psychologisches Gutachten einholen zu müssen. Insbesondere drängte sich eine solche Aufklärungsmaßnahme nicht deshalb auf, weil, wie die Klägerin in der Antragsbegründung lediglich in allgemeiner Form geltend macht, „Mädchen und Frauen aus diesem Kulturkreis aufgrund ihrer Erziehung besondere Hemmungen haben, über ein derart intimes Geschehen zu sprechen“. Denn bei der Klägerin selbst bestanden insbesondere für das Verwaltungsgericht keine Hinweise auf solche Hemmungen. Sie hat im Gegenteil in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung vor einem männlichen Einzelrichter ohne erkennbare Hemmungen über sehr intime Vorgänge im Haus der Familie F. P. berichtet, wie sich aus dem Protokoll ergibt. Die Beurteilung der Vorinstanz, die Klägerin sei als Person unglaubwürdig, beruht unter anderem gerade darauf, dass sie den Beschneidungsversuch bei ihrer Anhörung durch das Bundesamt nur in allgemeiner und kurzer Form als solchen benannt, die in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung geschilderten Einzelheiten hierzu hingegen nicht mitgeteilt habe (S. 7 f. des Urteilsabdrucks). Hierin liegt ein gewichtiges Indiz gegen geschlechtsspezifische Hemmungen bei der Klägerin, denn die Anhörung beim Bundesamt fand in Gegenwart einer weiblichen Einzelentscheiderin und einer weiblichen Dolmetscherin statt.
12Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
13Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
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(1) Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozesskostenhilfe sowie § 569 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Einem Beteiligten, dem Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, kann auch ein Steuerberater, Steuerbevollmächtigter, Wirtschaftsprüfer oder vereidigter Buchprüfer beigeordnet werden. Die Vergütung richtet sich nach den für den beigeordneten Rechtsanwalt geltenden Vorschriften des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.
(2) Die Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach den §§ 114 bis 116 der Zivilprozessordnung einschließlich der in § 118 Absatz 2 der Zivilprozessordnung bezeichneten Maßnahmen, der Beurkundung von Vergleichen nach § 118 Absatz 1 Satz 3 der Zivilprozessordnung und der Entscheidungen nach § 118 Absatz 2 Satz 4 der Zivilprozessordnung obliegt dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des jeweiligen Rechtszugs, wenn der Vorsitzende ihm das Verfahren insoweit überträgt. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hiernach nicht vor, erlässt der Urkundsbeamte die den Antrag ablehnende Entscheidung; anderenfalls vermerkt der Urkundsbeamte in den Prozessakten, dass dem Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Prozesskostenhilfe gewährt werden kann und in welcher Höhe gegebenenfalls Monatsraten oder Beträge aus dem Vermögen zu zahlen sind.
(3) Dem Urkundsbeamten obliegen im Verfahren über die Prozesskostenhilfe ferner die Bestimmung des Zeitpunkts für die Einstellung und eine Wiederaufnahme der Zahlungen nach § 120 Absatz 3 der Zivilprozessordnung sowie die Änderung und die Aufhebung der Bewilligung der Prozesskostenhilfe nach den §§ 120a und 124 Absatz 1 Nummer 2 bis 5 der Zivilprozessordnung.
(4) Der Vorsitzende kann Aufgaben nach den Absätzen 2 und 3 zu jedem Zeitpunkt an sich ziehen. § 5 Absatz 1 Nummer 1, die §§ 6, 7, 8 Absatz 1 bis 4 und § 9 des Rechtspflegergesetzes gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des Rechtspflegers der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle tritt.
(5) § 87a Absatz 3 gilt entsprechend.
(6) Gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten nach den Absätzen 2 und 3 kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Entscheidung des Gerichts beantragt werden.
(7) Durch Landesgesetz kann bestimmt werden, dass die Absätze 2 bis 6 für die Gerichte des jeweiligen Landes nicht anzuwenden sind.
(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.
(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.