Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 07. Feb. 2014 - 15 B 143/14.A
Gericht
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 20. Januar 2014 – 1 L 21/14.A – wird geändert.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 2. Januar 2014 wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, dem Oberbürgermeister der Stadt E. mitzuteilen, dass eine Abschiebung des Antragstellers nach Italien vorläufig nicht durchgeführt werden darf.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der zulässige Antrag, über den das erkennende Gericht nach Eingang des Antrags auf Zulassung der Berufung in dem zugehörigen Hauptsacheverfahren als zuständiges Gericht der Hauptsache entscheidet, ist begründet.
3Nach § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO können Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände geändert oder aufgehoben werden. Eine Veränderung der Umstände kann in nachträglich eingetretenen tatsächlichen Verhältnissen oder auch in einer nachträglichen Änderung der Rechtslage bestehen.
4Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 80 Rn. 185 m. w. N.
5Derartige Veränderungen sind hier zwar weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Das Gericht kann aber gemäß § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO von Amts wegen auch ohne Änderung der Sach- und Rechtslage Beschlüsse über Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO jederzeit ändern oder aufheben, wenn es zu einer anderen Beurteilung der Rechtslage gekommen ist oder die frühere Interessenabwägung nachträglich als korrekturbedürftig erachtet.
6Vgl. Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl. 2010, § 80 Rn. 184 m. w. N.
7Das ist hier der Fall. Eine Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsgegnerin an einer Vollziehung der nach § 75 AsylVfG sofort vollziehbaren Abschiebungsanordnungen und dem Suspensivinteresse des Antragstellers führt vorliegend zu einem Überwiegen des Suspensivinteresses. Die Frage, ob eine Rückführung von Asylbewerbern nach Italien im Rahmen des sog. Dublin-Verfahrens unzulässig ist, weil systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Italien ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden,
8vgl. zu diesem Maßstab EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 ‑ C-411/10 und C-493/10 ‑, Rn. 94,
9wird in der erstinstanzlichen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung Nordrhein-Westfalens gegensätzlich beurteilt.
10Siehe z.B. einerseits VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16. Mai 2013 - 5a L 547/13.A -, juris, VG Köln, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 20 L 613/13.A -, juris, und VG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juni 2013 ‑ 13 L 1065/13.A -, juris, andererseits VG Düsseldorf, Beschluss vom 15. April 2013 - 17 L 660/13.A, juris, und jüngst VG Minden in dem diesem Abänderungsverfahren zugrundeliegenden Eilbeschluss vom 20. Januar 2014 - 1 L 21/14.A.
11Eine grundsätzliche Klärung der Frage ist – ungeachtet der von der Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung zitierten obergerichtlichen Entscheidungen anderer Bundesländer – jedenfalls durch das beschließende Gericht noch nicht erfolgt, so dass sie – nicht zuletzt unter Berücksichtigung aktuellster Erkenntnisse – als derzeit offen anzusehen ist. Eine Abwägung der widerstreitenden Belange, nämlich einer Gefährdung der genannten Rechtsgüter des Antragstellers einerseits und des nur zeitlich gefährdeten Abschiebungsinteresses der Antragsgenerin andererseits, bei offenem Ausgang der streitigen Frage führt hier zu dem genannten Ergebnis. Ergänzend verweist der Senat auf die Gründe des Beschlusses des hiesigen Oberverwaltungsgerichts vom 1. März 2012 - 1 B 234/12.A -, juris, denen er sich – soweit sie auf vorliegende Konstellation übertragbar sind - anschließt.
12Die angeordnete Mitteilung des Ergebnisses dieser Entscheidung an die zuständige Ausländerbehörde dient der zusätzlichen Sicherung effektiven Rechtsschutzes.
13Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 83b AsylVfG.
14Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylVfG unanfechtbar.
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.