Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Beschluss, 03. Juni 2014 - 11 A 2020/12
Gericht
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Es wird festgestellt, dass die in der Sondernutzungserlaubnis vom 9. Mai 2012 unter B) enthaltene Auflage „Das gezielte Ansprechen von Passanten ist unzulässig.“ rechtswidrig gewesen ist.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge.
Der Beschluss ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auch für das Berufungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Der Senat entscheidet über die Berufung der Klägerin nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss, weil er sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (vgl. § 130a VwGO).
3Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Klage ist zulässig und begründet. Die in der Sondernutzungserlaubnis vom 9. Mai 2012 unter B) enthaltene Auflage „Das gezielte Ansprechen von Passanten ist unzulässig.“ ist rechtswidrig gewesen (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).
41. Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Danach kann das Gericht die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts aussprechen, wenn sich der Verwaltungsakt nach Klageerhebung erledigt und der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. So liegt es hier. Die angefochtene Auflage hat sich unmittelbar nach Klageerhebung durch Zeitablauf erledigt. Die Klägerin hat wegen einer möglichen Wiederholungsgefahr ein berechtigtes Feststellungsinteresse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieser Auflage. Ein solches Interesse setzt die hinreichend bestimmte Gefahr voraus, dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergehen wird.
5Vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 21. Oktober 1999 - 1 B 37.99 -, Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 7, S. 15 = juris, Rn. 5.
6Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin muss damit rechnen, dass die Beklagte auch bei einer erneuten Beantragung einer Sondernutzungserlaubnis eine entsprechende Auflage erteilt. Die Beklagte hat mit der Auflage „Das gezielte Ansprechen von Passanten ist unzulässig“ eine vom Ort der erlaubten Sondernutzung unabhängige Regelung getroffen. Aus dem Wortlaut der Regelung lässt sich jedenfalls ein unmittelbarer Bezug zu den in der Sondernutzungserlaubnis konkret benannten öffentlichen Verkehrsflächen nicht entnehmen. Die hinreichende Konkretheit der Wiederholungsgefahr ergibt sich schon aus den turnusgemäß stattfindenden Wahlen.
72. Die Fortsetzungsstellungsklage ist auch begründet. Die angefochtene Auflage ist rechtswidrig gewesen. Das gezielte Ansprechen von Passanten im Straßenwahlkampf ist kommunikativer Gemeingebrauch und kann nicht durch eine Auflage zu einer Sondernutzungserlaubnis nach § 18 Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW untersagt werden.
8Der Straßenwahlkampf mit Plakatwerbung, Informationsständen und Flugblattverteilung fällt in den Schutzbereich des Art. 21 Abs. 1 GG.
9Vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Dezember 2001 - 2 BvR 408/01 -, NVwZ 2002, 467.
10Politische Werbung im Wahlkampf, wie das Verteilen von politischen Schriften oder Flugblättern und das (damit verbundene) gezielte Ansprechen von Passanten, ist kommunikativer Gemeingebrauch. Dieser ist (erst) überschritten, wenn zum Zwecke politischer Werbung auf öffentlicher Straße Informationsstände, Tische oder Stelltafeln aufgestellt werden.
11Vgl. in diesem Sinne: Klein, in: Maunz-Dürig, Grundgesetz, Loseblattkommentar, Band III, 70. Ergänzungslieferung Dezember 2013, Art. 21 Rn. 292; Stahlhut, in: Kodal, Straßenrecht, Handbuch, 7. Auflage 2010, Kapitel 25, Rn. 115.2 und Kapitel 27, Rn. 57; Fickert, Straßenrecht in Nordrhein-Westfalen, 3. Auflage 1989, § 14 Rn. 34 f., 38; Wiget, in: Zeitler, Bayerisches Straßen- und Wegerecht, Loseblattkommentar, 24. Ergänzungslieferung Oktober 2013, Art. 14 Rn. 45, jeweils m. w. N.
12Danach ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, der Klägerin sei eine Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen von Infoständen für die politische Werbung im Zusammenhang mit der Landtagswahl zu erteilen gewesen. Grundsätzlich ist es auch nicht zu beanstanden, dass eine solche Sondernutzungserlaubnis mit Auflagen nach § 18 Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW etwa zur Gewährleistung des störungsfreien Gemeingebrauchs verbunden wird. Allerdings lässt sich aus § 18 Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW keine Befugnis der Beklagten herleiten, den der Klägerin grundsätzlich im Rahmen des kommunikativen Gemeingebrauchs (innerhalb wie außerhalb des für die Sondernutzung genehmigten Bereichs) zustehenden Anspruch, Wahlwerbung durch (Verteilen von politischen Schriften oder Flugblättern und damit verbundenes) gezieltes Ansprechen von Passanten zu machen, im Wege der Auflage zu beschneiden. Eine solches Verständnis des § 18 Abs. 2 Satz 2 StrWG NRW ist mit Verfassungsrecht nicht vereinbar. Dies gilt insbesondere dann wenn, wie im Fall der Anordnung der Beklagten, das „gezielte Ansprechen“ generell und ohne konkreten Bezug zu einem bestimmten Bereich der öffentlichen Verkehrsfläche untersagt wird. Eine solche den Anspruch der Parteien auf Wahlwerbung durch „gezieltes Ansprechen“ beschränkende Auflage dürfte vielmehr nur ausnahmsweise dann als gerechtfertigt erscheinen, wenn wegen der Besonderheit der öffentlichen Verkehrsfläche (etwa in einer sehr engen Gasse) mit dem „gezielten Ansprechen“ eine ganz erhebliche Behinderung des Gemeingebrauchs verbunden wäre.
13Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
14Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 10, 711 Satz 1 ZPO.
15Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
16Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.
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Das Oberverwaltungsgericht kann über die Berufung durch Beschluß entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet hält und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
(2) Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.
(3) Parteien, die nach ihren Zielen oder dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen. Wird der Ausschluss festgestellt, so entfällt auch eine steuerliche Begünstigung dieser Parteien und von Zuwendungen an diese Parteien.
(4) Über die Frage der Verfassungswidrigkeit nach Absatz 2 sowie über den Ausschluss von staatlicher Finanzierung nach Absatz 3 entscheidet das Bundesverfassungsgericht.
(5) Das Nähere regeln Bundesgesetze.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.
(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.
(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.
(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.