A.
Der Kläger macht gegen die Beklagten im Hinblick auf einen Verkehrsunfall vom 13.12.2014 in B. (Landkreis W.) Ansprüche auf samtverbindliche Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 1.794,48 € (nebst Zinsen), Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 20.000,00 € bis 30.000,00 € (nebst Zinsen) und außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 808,13 € geltend.
Der Kläger fuhr an diesem Tag mit seinem Kraftrad Aprilia in B. auf der S. Str. in westlicher Richtung (ortseinwärts). Der Beklagte zu 1) fuhr mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw Skoda Oktavia auf der untergeordneten Sö. Str. in südlicher Richtung und beabsichtigte, nach links in die S. Str. abzubiegen. Als sich der Kläger der aus seiner Sicht rechts befindlichen Einmündung der Sö. Str. näherte, wich er nach links aus und stürzte, ohne dass es zu einer Berührung der Fahrzeuge kam.
Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1) sei beschleunigend auf die S. Str. zugefahren und habe keine Anstalten zum Anhalten gemacht. Wäre der Kläger nicht nach links ausgewichen, wäre es unvermeidlich zum Zusammenstoß der beiden streitgegenständlichen Fahrzeuge gekommen.
Die Beklagten behaupten, der Beklagte zu 1) sei langsam, ohne zu beschleunigen, an die Haltelinie herangefahren und habe seinen Wagen noch vor dieser Linie zum Stehen gebracht.
Hinsichtlich des weiteren Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz sowie der Anträge der Parteien in erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil vom 09.09.2016 (Bl. 87/101 d.A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, und zwar mit der Begründung, dass das Gericht nicht davon überzeugt sei, dass der streitgegenständliche Unfall der Betriebsgefahr des Beklagten-Pkws zuzuordnen ist. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug bereits vor der Haltelinie zum Stillstand gebracht hatte und der Kläger nur auf Grund einer zu Unrecht angenommenen Fahrbewegung des Beklagten-Pkws ein Ausweichmanöver einleitete. Hinsichtlich der weiteren Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen dieses dem Kläger am 14.09.2016 zugestellte Urteil hat die Kläger mit einem beim Oberlandesgericht München am 10.10.2016 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt (Bl. 108/109 d.A.) und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 14.12.2016 mit einem beim Oberlandesgericht München am 13.12.2016 eingegangenen Schriftsatz (Bl. 117/123 d.A.) begründet.
Der Kläger beantragt,
I. Das Urteil des Landgerichts München II vom 09.09.16 zu Aktenzeichen 13 O 3024/15 wird aufgehoben.
II. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 1.794,48 € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 15.01.2015 zu zahlen.
III. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu zahlen nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 01.01.15.
IV. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, vorgerichtliche Kosten - nicht anrechenbare Anwaltsgebühren - in Höhe von 808,13 € zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
Die gegnerische Berufung wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 30.06.2017 den Kläger, den Beklagten zu 1) und den Sachverständigen Dipl.-Ing. R. L. angehört. Auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 148/157 d.A., insb. Bl. 149/155 d.A.) wird Bezug genommen.
Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 16.02.2017 (Bl. 134/141 d.A.), die weiteren Schriftsätze der Parteien sowie das o.g. Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
B.
Die Berufung ist zurückzuweisen, weil sie zwar zulässig, aber unbegründet ist.
I.
Die Berufung ist unbegründet, weil die erstinstanzliche Klageabweisung im Ergebnis nicht zu beanstanden ist.
Aufgrund der, abgesehen von ihrer Ergänzungsbedürftigkeit, nicht zu beanstandenden und den Senat daher gem. § 529 I Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen des Erstgerichts in Verbindung mit dem Ergebnis der vom Senat ergänzend durchgeführten Beweisaufnahme ist der Senat, wie auch schon das Landgericht, nicht mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Sicherheit davon überzeugt, dass der streitgegenständliche Unfall auf einem Verschulden des Beklagten zu 1) beruht (§ 823 BGB) bzw. dass er zumindest der Betriebsgefahr des Beklagten-Pkws zuzuordnen ist (§ 7 I StVG). Die Beweislast trägt jeweils der Kläger.
Darüber hinaus ist der Senat aber sogar davon überzeugt, dass die o.g. klägerische Version nicht zutreffend ist. Soweit dies über den Hinweis des Senats in der Sitzung vom 30.06.2017 hinausgeht, spielt dies für das Ergebnis jedoch keine Rolle: In jedem Fall ist die Klage abzuweisen.
Träfe die Version des Klägers zu, so hätte der Beklagte zu 1) den Unfall verschuldet. Zudem wäre der Unfall der Betriebsgefahr des Beklagten-Pkws zuzuordnen.
Träfe hingegen die Version der Beklagten zu, so hätte der Beklagte zu 1) den Unfall nicht verschuldet. Auch wäre der Unfall nicht der Betriebsgefahr des Beklagten-Pkws zuzuordnen. Denn gem. der ständigen Rechtsprechung des BGH (vgl. z.B. Urteil vom 22.11.2016, Az.: VI ZR 533/15, juris) ist bei einem berührungslosen Unfall Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat. Wie der BGH im o.g. Urteil weiter überzeugend ausgeführt hat, ist es im Straßenverkehrsrecht anerkannt, dass maßgeblicher Zeitpunkt für Ursächlichkeit und Zurechnungszusammenhang der Eintritt der konkreten kritischen Verkehrslage ist, die unmittelbar zum Schaden führt. Die kritische Verkehrslage beginnt für einen Verkehrsteilnehmer dann, wenn die ihm erkennbare Verkehrssituation konkreten Anhalt dafür bietet, dass eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann.
Wäre nun der Beklagte zu 1), wie von den Beklagten behauptet, mit seinem Pkw nur langsam und ohne zu beschleunigen an die Haltelinie herangefahren, und zwar dergestalt, dass er den Pkw noch vor der Haltelinie zum Stehen brachte, hätte dies für den Kläger keinen Anhalt geboten, dass für ihn in Bezug auf den Beklagten-Pkw eine Gefahrensituation unmittelbar entstehen kann.
Zunächst ist der Senat davon überzeugt, dass der Beklagten-Pkw in einem Abstand von mindestens einem halben Meter vor der Haltelinie zum Stehen gebracht worden war. So hat der Beklagte zu 1) im Laufe des Verfahrens stets glaubhaft bekundet, mit seinem Pkw noch vor der Haltelinie zum Stehen gekommen zu sein. Gem. seiner o.g. Anhörung vor dem Senat soll dies in einem Abstand von ca. einem Meter gewesen sein (vgl. S. 3 des o.g. Sitzungsprotokolls = Bl. 150 d.A.). Der Kläger wiederum hat zu keinem Zeitpunkt erklärt, er habe beobachtet, wie der Beklagten-Pkw über die Haltelinie hinausgefahren ist. Zuletzt hat er bei seiner o.g. Anhörung vor dem Senat nochmals klargestellt, er könne nicht sagen, ob der Beklagte zu 1) über die Haltelinie schon darüber gefahren ist (vgl. abermals S. 3 des o.g. Sitzungsprotokolls = Bl. 150 d.A.). Letztlich entscheidend aber sind die glaubhaften Aussagen der in erster Instanz vernommenen und vom Landgericht als glaubwürdig bewerteten, unbeteiligten Zeugen S. G. und J. G., denen zur Folge der Wagen noch hinter der Haltelinie stand, als sie unmittelbar nach dem Unfall am Unfallort eintrafen, und zwar ca. einen Meter (so der Zeuge J. G.; vgl. S. 6 des Protokolls der erstinstanzlichen Sitzung vom 10.06.2016 = Bl. 56 d.A.) bzw. ca. einen halben Meter oder auch mehr (so der Zeuge S. G.; vgl. S. 7 des o.g. Protokolls = Bl. 57 d.A.). Dass der Beklagten-Pkw in der Zwischenzeit wieder zurück hinter die Haltelinie bewegt worden wäre, wird von keiner Partei, insb. auch nicht dem Kläger, behauptet. Auch liegt kein sonstiger Anhaltspunkt dafür vor.
Weiterhin ist der Senat davon überzeugt, dass der Beklagte zu 1) seinen Wagen nicht noch kurz vor der Haltestelle beschleunigt hatte. Zwar hat der Kläger dies stets behauptet. Als er ihn zum ersten Mal gesehen habe, sei der Pkw „etwa drei Meter vom Kreuzungspunkt“ (vgl. die Zeugenvernehmung des Klägers in der Hauptverhandlung vom 24.09.2015 gegen den Beklagten zu 1) vor dem AG-Strafrichter-Weilheim i.OB, S. 7 des Protokolls = Bl. 71 der Strafakte 1 Cs 55 Js 6740/15) bzw. „so zwei Meter von der Sichtlinie“ (vgl. S. 2 des Protokolls der o.g. erstinstanzlichen Sitzung vom 10.06.2016 = Bl. 52 d.A.) entfernt gewesen. Von diesen mit ihm in der o.g. Sitzung des Oberlandesgerichts vom 30.06.2017 besprochenen Aussagen hat sich der Kläger bei seiner Anhörung nicht distanziert. Der Beklagte zu 1) hat ein Beschleunigen jedoch stets bestritten. Darüber hinaus, und insoweit waren die Feststellungen des Erstgerichts zu ergänzen, gilt gem. den überzeugenden Ausführungen des dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als sachkundig bekannten Sachverständigen L. Folgendes: Es kann zwar aus technischer Sicht nicht bereits ausgeschlossen werden, dass der Beklagten-Pkw noch kurz vor der Haltelinie beschleunigt und sodann dennoch mindestens einen halben Meter vor der Haltelinie zum Stehen gebracht wurde (vgl. S. 5 des Protokolls der o.g. Sitzung vom 30.06.2017 = Bl. 152 d.A.). Der Senat bewertet dieses Szenario jedoch als, wenn auch möglich, so doch unwahrscheinlich: Denn gem. den Ausführungen des Sachverständigen (vgl. S. 6/7 des o.g. Protokolls = Bl. 153/154 d.A.) hätten dafür folgende Parameter zusammentreffen müssen: Der Beklagte zu 1) hätte mit der Beschleunigung nicht erst zwei Meter vor der Haltelinie beginnen dürfen; die Geschwindigkeit des Beklagten-Pkws hätte zu Beginn der Beschleunigung höchstens 5 km/h betragen dürfen; die Beschleunigung hätte mit maximal 1 m/s² auf höchstens 8 km/h erfolgen und nur eine Sekunde dauern dürfen. Wie auch der Sachverständige weiterhin festgestellt hat (vgl. S. 7 des o.g. Protokolls = Bl. 154 d.A.), ist es kaum wahrscheinlich, dass eine Beschleunigung von 5 km/h auf 8 km/h innerhalb einer Sekunde von jemandem an Stelle des Klägers überhaupt wahrgenommen wird, geschweige als Gefahr. Den weiteren Ausführungen des Sachverständigen (vgl. S. 7/8 des o.g. Protokolls = Bl. 154/155 d.A.) zur Folge kommt aber noch Folgendes hinzu: Geht man von einer Reaktionszeit des Klägers von 0,8 Sekunden aus, so ist es aufgrund der feststehenden Endlage des klägerischen Kraftrades und den sich daraus ergebenden Weg-/Zeitberechnungen technisch ausgeschlossen, dass der Kläger auf den von ihm behaupteten Beschleunigungsvorgang des Beklagten-Pkws reagiert hat. Vielmehr hätte er mit dem Ausweichmanöver bereits begonnen, als er den Beklagten-Pkw noch gar nicht sehen konnte. Geht man von einer Reaktionszeit von nur 0,65 Sekunden aus, kann der Kläger allenfalls die Front des Beklagten-Pkws, keineswegs aber bereits einen Beschleunigungsvorgang, gesehen haben, als er mit seinem Ausweichmanöver begann.
II.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 I ZPO.
III.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.