Oberlandesgericht München Beschluss, 17. Dez. 2014 - 25 U 3771/14
Gericht
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Gründe
1. a. Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 ZPO ist der Senat an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, welche hiernach die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (Rimmelspacher, NJW 2002, 1897, 1901; Stackmann, NJW 2003, 169, 171; BGH NJW 2004, 1876).
b. Ein solcher Verfahrensfehler läge namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem landgerichtlichen Urteil den Anforderungen nicht genügen würde, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist, oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (BGH NJW 1999, 3481, 3482; NJW 2004, 1876 m. w. N.). Ein Verstoß gegen Denkgesetze liegt unter anderem dann vor, wenn Umständen Indizwirkung zuerkannt werden, die sie nicht haben können, oder wenn z. B. die Ambivalenz von Indiztatsachen nicht erkannt wird (BGH NJW 1991, 1894, 1895; NJW 1997, 2757, 2759; NJW 2004,1876).
c. Hieran gemessen ist die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden.
Der Senat nimmt zunächst Bezug auf die Begründung des Ersturteils (S. 5/12, Bl. 70/77 d. A.). Die Einwendungen der Berufung sind nicht geeignet, eine hiervon abweichende Beurteilung zu rechtfertigen.
2. Im Einzelnen:
2.1. Das Erstgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass durch das Verschweigen der kardiologischen Untersuchungen durch Dr. H. am 10.03.2011, am 10.05.2011 und am 12.05.2011 eine objektive Falschbeantwortung durch den Kläger vorliegt. Der Beklagte hat im Antragsformular nach Krankheiten, Körperschäden oder Beschwerden irgendwelcher Art sowie nach ambulanten Behandlungen, Untersuchungen, Operationen bzw. angeratenen Operationen in den letzten 5 Jahren vor Antragstellung gefragt. Hiervon erfasst waren mithin auch die vorgenannten Untersuchungen durch Dr. H. Die Fragen wurden in Textform gestellt, weshalb das Erstgericht die Anzeigepflicht des Klägers gemäß § 19 Abs. 1 VVG zu Recht angenommen hat. Der Kläger hat die beiden Fragen bejaht und in diesem Zusammenhang den Kurzarztbrief der Prof. Dr. S. (Anlage B 2) beigefügt. Dies hat den objektiven Erklärungswert, dass sich die Bejahung der beiden Gesundheitsfragen auf die in diesem Kurzarztbrief genannten Beschwerden, Erkrankungen, Untersuchungen und Behandlungen bezog. Damit hat der Kläger die kardiologischen Untersuchungen bei Dr. H. am 10.03.2011, am 10.05.2011 und am 12.05.2011 verschwiegen. Bei dieser Sachlage bestand auch keine Obliegenheit der Beklagten zu weiteren Nachfragen beim Hausarzt des Klägers. Mangels zureichender Anhaltspunkte bestand für die Beklagte auch kein Anlass, gezielt nach Herz/Kreislauferkrankungen zu fragen. Zudem würde eine - hier nicht anzunehmende - Verletzung einer Nachfrageobliegenheit die Arglistanfechtung durch den Versicherer nicht ausschließen (vgl. BGH VersR 2007, 1256).
2.2. Das Erstgericht hat auch zu Recht insoweit eine Arglist des Klägers bejaht. Der Senat nimmt insoweit zunächst auf die zutreffenden Ausführungen auf S.7/8 des angefochtenen Urteils (Bl. 72/73 d. A.) Bezug. Der Kläger stellt die vorgenannten Untersuchungstermine beim Kardiologen Dr. H. auch nicht in Frage, sondern meint, es komme darauf an, ob tatsächlich eine kardiologische Erkrankung vorgelegen hätte, was nicht der Fall gewesen sei. Der Kläger verkennt in diesem Zusammenhang, dass bei Gesundheitsfragen im Bereich der Anbahnung des Abschlusses einer Krankenversicherung strengere Maßstäbe anzulegen sind als etwa im Bereich der Anbahnung des Abschlusses einer Berufsunfähigkeitsversicherung. Der Krankenversicherer hat ein erkennbares Interesse an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Gesundheitsfragen nach vorangegangenen ambulanten und stationären Untersuchungen, nachdem solche Untersuchungen, auch wenn diese nicht wegen schwerwiegenden Erkrankungen erfolgen, die etwa zu einer Berufsunfähigkeit führen könnten, - anders als beim Berufsunfähigkeitsversicherer - für den Krankenversicherer jedenfalls ein Kostenrisiko darstellen. Die Beklagte hatte, wie bereits dargelegt, auch konkret in Textform nach solchen Untersuchungen gefragt. Zu Recht ist das Erstgericht daher auch davon ausgegangen, dass er nicht erforderlich war, dass der Kläger das genaue Ergebnis der Untersuchung bereits gekannt hatte. Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass der Kläger die drei Untersuchungen durch Dr. H., welche kurz vor Stellung des Antrages am 18.05.2011 erfolgten, bei Antragstellung verschwiegen hat, um Einfluss auf die Annahmeerklärung der Beklagten zu nehmen.
2.3. Die Beweislast für das Verstreichen der Jahresfrist des § 124 Abs. 1 BGB trägt der Kläger als Anfechtungsgegner (vgl. Palandt/Ellenberger, 74. A. 2015, § 124 BGB, Rn. 5 m. w. N.). Das Erstgericht ist in diesem Zusammenhang zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger nicht einmal das Verstreichen der Monatsfrist des § 21 Abs.1 VVG bewiesen hat. Auf die zutreffenden Ausführungen unter 2. d. der Entscheidungsgründe (S. 10/11, Bl. 75/76 d. A.) nimmt der Senat Bezug.
c. Die Einvernahme des vom Kläger benannten Zeugen Dr. H. war bereits deshalb nicht geboten, weil bereits das Verschweigen der vorangegangenen Untersuchungen durch diesen Zeugen die Beklagte zur Arglistanfechtung berechtigt (s. o.). Im Übrigen ist das Landgericht, ohne dass es hierauf noch ankäme, von einem unzulässigen Ausforschungsbeweis ausgegangen.
2.4. Aus den vorgenannten Gründen (2.1.-2.3.) ist die Beklagte zugleich wirksam vom Vertrag zurückgetreten.
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(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
(1) Der Versicherungsnehmer hat bis zur Abgabe seiner Vertragserklärung die ihm bekannten Gefahrumstände, die für den Entschluss des Versicherers, den Vertrag mit dem vereinbarten Inhalt zu schließen, erheblich sind und nach denen der Versicherer in Textform gefragt hat, dem Versicherer anzuzeigen. Stellt der Versicherer nach der Vertragserklärung des Versicherungsnehmers, aber vor Vertragsannahme Fragen im Sinn des Satzes 1, ist der Versicherungsnehmer auch insoweit zur Anzeige verpflichtet.
(2) Verletzt der Versicherungsnehmer seine Anzeigepflicht nach Absatz 1, kann der Versicherer vom Vertrag zurücktreten.
(3) Das Rücktrittsrecht des Versicherers ist ausgeschlossen, wenn der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht weder vorsätzlich noch grob fahrlässig verletzt hat. In diesem Fall hat der Versicherer das Recht, den Vertrag unter Einhaltung einer Frist von einem Monat zu kündigen.
(4) Das Rücktrittsrecht des Versicherers wegen grob fahrlässiger Verletzung der Anzeigepflicht und sein Kündigungsrecht nach Absatz 3 Satz 2 sind ausgeschlossen, wenn er den Vertrag auch bei Kenntnis der nicht angezeigten Umstände, wenn auch zu anderen Bedingungen, geschlossen hätte. Die anderen Bedingungen werden auf Verlangen des Versicherers rückwirkend, bei einer vom Versicherungsnehmer nicht zu vertretenden Pflichtverletzung ab der laufenden Versicherungsperiode Vertragsbestandteil.
(5) Dem Versicherer stehen die Rechte nach den Absätzen 2 bis 4 nur zu, wenn er den Versicherungsnehmer durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Folgen einer Anzeigepflichtverletzung hingewiesen hat. Die Rechte sind ausgeschlossen, wenn der Versicherer den nicht angezeigten Gefahrumstand oder die Unrichtigkeit der Anzeige kannte.
(6) Erhöht sich im Fall des Absatzes 4 Satz 2 durch eine Vertragsänderung die Prämie um mehr als 10 Prozent oder schließt der Versicherer die Gefahrabsicherung für den nicht angezeigten Umstand aus, kann der Versicherungsnehmer den Vertrag innerhalb eines Monats nach Zugang der Mitteilung des Versicherers ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Der Versicherer hat den Versicherungsnehmer in der Mitteilung auf dieses Recht hinzuweisen.
(1) Die Anfechtung einer nach § 123 anfechtbaren Willenserklärung kann nur binnen Jahresfrist erfolgen.
(2) Die Frist beginnt im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, im Falle der Drohung mit dem Zeitpunkt, in welchem die Zwangslage aufhört. Auf den Lauf der Frist finden die für die Verjährung geltenden Vorschriften der §§ 206, 210 und 211 entsprechende Anwendung.
(3) Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung zehn Jahre verstrichen sind.
(1) Der Versicherer muss die ihm nach § 19 Abs. 2 bis 4 zustehenden Rechte innerhalb eines Monats schriftlich geltend machen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Versicherer von der Verletzung der Anzeigepflicht, die das von ihm geltend gemachte Recht begründet, Kenntnis erlangt. Der Versicherer hat bei der Ausübung seiner Rechte die Umstände anzugeben, auf die er seine Erklärung stützt; er darf nachträglich weitere Umstände zur Begründung seiner Erklärung angeben, wenn für diese die Frist nach Satz 1 nicht verstrichen ist.
(2) Im Fall eines Rücktrittes nach § 19 Abs. 2 nach Eintritt des Versicherungsfalles ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet, es sei denn, die Verletzung der Anzeigepflicht bezieht sich auf einen Umstand, der weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalles noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht arglistig verletzt, ist der Versicherer nicht zur Leistung verpflichtet.
(3) Die Rechte des Versicherers nach § 19 Abs. 2 bis 4 erlöschen nach Ablauf von fünf Jahren nach Vertragsschluss; dies gilt nicht für Versicherungsfälle, die vor Ablauf dieser Frist eingetreten sind. Hat der Versicherungsnehmer die Anzeigepflicht vorsätzlich oder arglistig verletzt, beläuft sich die Frist auf zehn Jahre.