Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 17. Juli 2014 - L 5 AS 612/13
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. März 2013 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit vor dem Magdeburg zum Aktenzeichen S 45 AS 90219/10 nicht durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG beendet worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht bei Verfahrensabschluss vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Kläger und Berufungsführer wenden sich gegen ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg, mit dem dieses ihre Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Fiktion einer Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgewiesen und die Verfahrensbeendigung festgestellt hat. In der Sache begehren die Kläger vom Beklagten die Gewährung höherer Leistungen für die Kosten für die Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2009.
- 2
Die am ... 1973 geborene Klägerin ist mit dem am ... 1974 geborenen Kläger verheiratet. Beide beziehen mit ihren Kindern seit dem 1. Januar 2005 mit Unterbrechungen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie bewohnen ein Eigenheim auf einem im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstück, welches diese im Jahr 2004 erworben hat. Über das Wohnhaus haben die Kläger mit der Großmutter des Klägers mit Wirkung zum 1. Juni 2004 einen Mietvertrag abgeschlossen, der auf den 20. Mai 2004 datiert und eine monatliche Gesamtmiete von 321,20 EUR ausweist. Ausweislich eines Schreibens der Großmutter des Klägers vom 14. März 2005 soll die Miete seit dem 1. April 2005 wegen einer Erhöhung der vorauszuzahlenden Betriebskosten 425,76 EUR betragen. Die Wirksamkeit des Mietvertrages sowie die Höhe der den Klägern zustehenden Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) sind zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig.
- 3
Mit Bescheid vom 6. Juni 2009 bewilligte der Beklagte den Klägern und deren Kindern zuletzt vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2009 in Höhe von monatlich 936 EUR, wobei KdUH iHv 116 EUR zuerkannt wurden. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein, mit dem sie geltend machten, dass die KdUH in diesem Zeitraum nicht in tatsächlicher Höhe gewährt würden. Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2010 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück und führte ergänzend aus: Die KdUH könnten lediglich in der gewährten Höhe Berücksichtigung finden, da der vorgelegte Mietvertrag nicht wirksam und weitere Aufwendungen durch die Kläger nicht nachgewiesen seien.
- 4
Mit ihrer am 25. Februar 2010 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage (S 5 AS 219/10; Aktenzeichen des Sozialgerichts Magdeburg: S 45 AS 90219/10) haben die Kläger ihr Begehren weiter verfolgt und vorgetragen, die Aufwendungen für die KdUH seien vom Beklagten an den Vermieter auszukehren. Eine ausführliche Klagebegründung haben sie angekündigt. Dem ist der Beklagte unter Bezugnahme auf seine bisherigen Ausführungen entgegengetreten.
- 5
Mit gerichtlichem Schreiben vom 8. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Kläger aufgefordert, "eine umfassende Klagebegründung und sämtliche Kosten der Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum nachzuweisen. Hier sind die Originalbelege beziehungsweise Verträge zu der Akte zu reichen". Mit Schreiben vom 28. Dezember 2010 hat das Sozialgericht die Kläger unter Fristsetzung von zwei Wochen an die Erledigung des gerichtlichen Schreibens vom 8. Juni 2010 erinnert. Da die Kläger sich hierzu nicht äußerten, hat der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 18. Februar 2011 gegenüber den Klägern ausgeführt: " fordere ich Sie aus gegebenem Anlass – Sie haben auf die Verfügungen vom 8. Juni 2010 und 28. Dezember 2010 nicht reagiert – zur Mitwirkung gemäß § 103 SGG auf. Mit den genannten Verfügungen wurden folgende Unterlagen angefordert: - Originalnachweise/Verträge über die Kosten der Unterkunft und Heizung. Dieser Aufforderung sind Sie nicht nachgekommen, weshalb ich Sie letztmalig auffordere, die Verträge und Belege über die Kosten der Unterkunft und Heizung im Original für die Monate Juli 2009 bis September 2009 binnen drei Monaten nach Erhalt dieses Schreibens zur Akte zu reichen". Des Weiteren hat das Sozialgericht die Kläger darauf hingewiesen, dass die Klage nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte, wenn sie das Verfahren trotz der Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben. Dieses Schreiben ist den Klägern am 24. Februar 2011 zugestellt worden. Nachdem diese auf das gerichtliche Schreiben nicht reagiert haben, hat das Sozialgericht mit Verfügung vom 22. August 2011 die Erledigung des Verfahrens durch Klagerücknahme festgestellt und den Beteiligten mit Schreiben vom gleichen Tage mitgeteilt, dass die Klage nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte, da die angeforderten Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist eingereicht worden seien.
- 6
Die Kläger haben am 10. Oktober 2011 die Fortführung des Verfahrens beantragt und ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG seien nicht erfüllt, da die Unterkunftskosten im Klageverfahren hinreichend und umfänglich belegt worden seien.
- 7
Das Sozialgericht Stendal hat das Verfahren unter dem neuen Aktenzeichen S 45 AS 3752/11 WA wieder aufgenommen. Mit Urteil vom 5. März 2013 hat das Sozialgericht die Klage auf Feststellung, dass das Verfahren nicht durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG beendet wurde, abgewiesen. Es hat festgestellt, dass die Klage als zurückgenommen gelte. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Fiktion der Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG seien erfüllt. Die Kläger hätten innerhalb der ihnen gesetzten Frist das Verfahren nicht betrieben. Sie seien der Aufforderung des Gerichts vom 8. Juni 2010, weitere Nachweise zu den KdUH vorzulegen, und die Klage zu begründen, nicht nachgekommen. Nach dem vorgelegten "Mietvertrag" und der "Betriebskostenabrechnung" sei davon auszugehen, dass die Kläger im streitigen Bewilligungszeitraum nicht nur zu Zahlungen an die Großmutter des Klägers, sondern auch an Dritte verpflichtet gewesen sein konnten. Dies betreffe insbesondere die Kosten für die Müllentsorgung, Wasser und Abwasser, Heizung sowie die Grundsteuer, zu deren Zahlung die Klägerin als Eigentümerin verpflichtet sei. Die Vorlage dieser Nachweise sei auch unabhängig von der gerichtlichen Aufforderung geboten gewesen. Auch das Landessozialgericht habe in dem mit Beschluss vom 10. November 2009 (L 5 B 445/07 AS ER) beendeten Eilverfahren trotz Aufforderung der Kläger zur Vorlage anderer Nachweise das Vorliegen eines rechtswirksamen Mietvertrages nicht feststellen können.
- 8
Gegen das den Klägern am 4. April 2013 zugestellte Urteil haben diese am 6. Mai 2013 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das Sozialgericht habe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG zu Unrecht angenommen. Sachliche Anhaltspunkte für einen nach dieser Vorschrift vorausgesetzten Wegfall des Rechtschutzinteresses im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung habe das erstinstanzliche Gericht nicht festgestellt. Vielmehr habe das Sozialgericht sie grundlos dazu aufgefordert, die bereits übermittelten Unterlagen erneut vorzulegen. Zudem seien Unterlagen angefordert worden, die zur Klärung des Verfahrensgegenstandes nicht erforderlich seien. Das Gericht habe es stattdessen versäumt, sich mit dem "Charakter des Mietvertrages" auseinander zu setzen.
- 9
Die Kläger beantragen,
- 10
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. März 2013 aufzuheben und festzustellen, dass der Rechtsstreit S 45 AS 90219/10 nicht durch die Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG beendet ist.
- 11
Der Beklagte beantragt,
- 12
die Berufung zurückzuweisen.
- 13
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
- 14
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
- 15
Die Berufung der Kläger hat Erfolg.
- 16
I. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist nach § 143 SGG statthaft. Die Berufungsfrist ist gewahrt, weil diese trotz Zustellung des Urteils am 4. April 2013 erst am 6. Mai 2013 endete. Der 4. Mai 2013 war ein Sonnabend, weshalb die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages, das ist Montag der 6. Mai 2013, endete (§ 151 Abs. 1 SGG iVm § 64 Abs. 2 und 3 SGG).
- 17
Die Regelung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 SGG steht der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die Geld-, Dienst- oder Sachleistungen oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Beschränkung der Berufung in Verfahren, in denen die Beteiligten darüber streiten, ob ein Klageverfahren durch die Fiktion der Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG beendet worden ist, überhaupt Anwendung findet (verneinend: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 – L 5 KR 605/12; LSG RhPf, Urteil vom 21. August 2012 – L 3 AS 133/12; bejahend: SächsLSG, Urteil vom 01. Dezember 2010 – L 7 AS 524/09). Denn allein unter Berücksichtigung der beanspruchten Mehrleistung bei den KdUH iHv 309,76 EUR/Monat für den streitigen Leistungszeitraum von drei Monaten liegt der Wert des Beschwerdegegenstandes über 750 EUR.
- 18
II. Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass das Verfahren S 45 AS 90219/10 (das Sozialgericht hat im Tenor das Aktenzeichen S 5 AS 219/10 angegeben) durch Fiktion der Klagerücknahme beendet sei. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG liegen nicht vor. Das Klageverfahren ist noch anhängig und vom Sozialgericht fortzuführen.
- 19
Nach § 102 Abs. 2 SGG wird eine Klagerücknahme fingiert, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 SGG ist der Kläger auf die eintretenden Rechtsfolgen hinzuweisen.
- 20
Es bedarf keiner abschließenden Entscheidung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen das Unterlassen einer Klagebegründung den Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses eines Klägers an der Fortführung des Klageverfahrens rechtfertigen kann (vgl. dazu BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R). BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1987 – 9 C 259/86; BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2000 – 8 B 119/00; BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1991 – 9 C 96/89). Die Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion liegen im vorliegenden Falle jedenfalls nicht vor, da der Klageschrift mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen war, dass sich die Kläger gegen die Höhe der bewilligten KdUH wegen der Nichtberücksichtigung des im Verwaltungsverfahren bereits vorgelegten Mietvertrages wandten. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Kläger im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung wegen des behaupteten und vom Beklagten nicht anerkannten Mietverhältnisses eine Vielzahl weiterer Klageverfahren führten, erscheint die Annahme des Wegfalls eines Sachbescheidungsinteresses der Kläger im vorliegenden Falle nicht berechtigt. Dies gilt insbesondere deshalb, weil im Parallelverfahren S 45 AS 90220/10, dem die selbe Klageschrift vom 25. Februar 2010 zugrunde lag, bei einer vergleichbaren Sach- und Rechtlage der Wille der Kläger zur gerichtlichen Klärung des streitigen Mietvertrages unzweifelhaft zum Ausdruck kam und eine Klagerücknahmefiktion in jenem Verfahren nicht eingetreten war. Angesichts des nahezu identischen Prozessverhaltens der Kläger ist nicht ernsthaft davon auszugehen, dass diese im Verfahren S 45 AS 90219/10 auf die weitere Rechtsverfolgung verzichten wollten. Insoweit nimmt der Senat Bezug auf die im Urteil vom 17. Juli 2014 zum Verfahren zu Aktenzeichen L 5 AS 586/13 dargelegten Gründe (zur Zulässigkeit der Bezugnahme auf andere gerichtliche Entscheidungen: BSG, Beschluss vom 25. November 1998 – B 6 KA 51/98 B).
- 21
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts kann aus diesen Gründen keinen Bestand haben und ist auf die Berufung der Kläger hin aufzuheben. Das Klageverfahren ist mangels Eintritts der Klagerücknahmefiktion noch beim Sozialgericht Magdeburg anhängig und durch dieses fortzuführen. Einer Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 SGG bedarf es nicht (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12; eingehend hierzu: SächsLSG, Urteil vom 28. Februar 2013 – L 7 AS 523/09). Das Sozialgericht wird in diesem Verfahren auch zu prüfen haben, ob die Kinder der Kläger ebenfalls am Rechtsstreit beteiligt sind.
- 22
Die Kostenentscheidung bleibt der erstinstanzlichen Entscheidung vorbehalten, da der Fortsetzungsstreit kein Rechtsmittel ist, sondern ein Zwischenstreit im eigentlichen Streitverfahren (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12; SächsLSG, Urteil vom 28. Februar 2013 – L 7 AS 523/09; abweichend: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 – L 5 KR 605/12).
- 23
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 17. Juli 2014 - L 5 AS 612/13
Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 17. Juli 2014 - L 5 AS 612/13
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Landessozialgericht Sachsen-Anhalt Urteil, 17. Juli 2014 - L 5 AS 612/13 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).
(1) Der Kläger kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Absatz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren auf Antrag durch Beschluss ein und entscheidet über Kosten, soweit diese entstanden sind. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(1) Der Kläger kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Absatz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren auf Antrag durch Beschluss ein und entscheidet über Kosten, soweit diese entstanden sind. Der Beschluss ist unanfechtbar.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.
(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.
(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.
(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.
(1) Der Lauf einer Frist beginnt, soweit nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag nach der Zustellung oder, wenn diese nicht vorgeschrieben ist, mit dem Tag nach der Eröffnung oder Verkündung.
(2) Eine nach Tagen bestimmte Frist endet mit dem Ablauf ihres letzten Tages, eine nach Wochen oder Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Fehlt dem letzten Monat der entsprechende Tag, so endet die Frist mit dem Monat.
(3) Fällt das Ende einer Frist auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag oder einen Sonnabend, so endet die Frist mit Ablauf des nächsten Werktags.
(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes
- 1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder - 2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.
(1) Der Kläger kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Absatz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren auf Antrag durch Beschluss ein und entscheidet über Kosten, soweit diese entstanden sind. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. Januar 2012 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das erstinstanzliche Klageverfahren nicht durch eine fiktive Klagerücknahme erledigt und das Verfahren beim Sozialgericht Halle fortzuführen ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht bei Verfahrensabschluss vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Kläger wenden sich gegen die Feststellung, dass von ihnen beim Sozialgericht Halle (SG) betriebene Klageverfahren sei beendet, weil die Klage nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gelte.
- 2
Die anwaltlich vertretenen Kläger haben am 14. Juli 2010 Klage beim SG erhoben (Aktenzeichen: S 3 AS 4019/10) und als Klagegegenstand angegeben: "Endgültige Festsetzung des Leistungsanspruches nach SGB II; Leistungszeitraum 07 bis 12/2006". Als Antrag haben sie angekündigt: "1. den Bescheid vom 24.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2010, zugegangen am 17.06.2010, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen." Unter der Überschrift "Begründung" waren die in Kopie der Klageschrift beigefügten Bescheide aufgeführt und es wurde ausgeführt, die Begründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20. August 2010 den Antrag angekündigt, die Klage abzuweisen und ausgeführt, neue rechtserhebliche Gesichtspunkte seien nicht vorgetragen worden.
- 3
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 hat der Kammervorsitzende beim SG die Prozessbevollmächtigte der Kläger an die Übersendung einer Klagebegründung erinnert. In einem weiteren gerichtlichen Schreiben vom 25. Januar 2011 an die Prozessbevollmächtigte der Kläger hat der Kammervorsitzende dann ausgeführt: " ... habe Sie trotz mehrfacher Aufforderung bzw. Erinnerungen bis heute die Klage nicht begründet. Dies lässt den Schluss zu, dass an der Fortführung des Rechtsstreits kein Interesse besteht. Ferner führt dieses Nichtbetreiben des Verfahrens nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008, BGBl. I Seite 444, dazu, dass die Klage als zurückgenommen gilt. Sollte innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Zustellung dieser Aufforderung keine weitere Äußerung von Ihnen hier eingehen, wird das Verfahren daher abgeschlossen. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf Fristverlängerung nicht als Betreiben des Verfahrens gilt." Am Ende des Schreibens befindet sich unter der Grußformel die Unterschriftszeile "gez. I. - Richter am Sozialgericht". Ausweislich des zur Akte gelangten Empfangsbekenntnisses ist dieses Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger am 20. Februar 2011 zugegangen.
- 4
Mit einem am 22. März 2011 beim SG eingegangenen Schreiben hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger mitgeteilt: Ein weiterer bisher neben ihr in der Kanzlei tätiger Rechtsanwalt, der fast ausschließlich die sozialrechtlichen Angelegenheiten bearbeitet habe, sei ausgeschieden. Sie müsse nun mit erheblichem zeitlichem Aufwand diese Mandate bearbeiten. Unter Beachtung dieser Situation bitte Sie, die gesetzte Frist bis zum 31. Mai 2011 zu verlängern. Mit Schreiben vom 30. Mai 2011 hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger dann den Antrag gestellt, die Frist noch einmal bis zum 30. Juni 2011 zu verlängern: Es habe sich die Notwendigkeit herausgestellt, mit den Klägern zu sprechen. Dies sei wegen totaler Arbeitsüberlastung noch nicht möglich gewesen.
- 5
Mit einer Verfügung vom 8. Juni 2011 hat der Kammervorsitzende beim SG dann die Erledigung des Verfahrens durch Rücknahme festgestellt und dies den Beteiligten mit Schreiben vom 21. Juni 2011 mitteilen lassen. Hiergegen hat sich für die Kläger deren Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 5. Juli 2011 gewandt und ausgeführt: Sie habe nach der Betreibensaufforderung unter Hinweis auf die besondere Situation ihrer Kanzlei und die extreme Arbeitsbelastung um Verlängerung der Frist für die Begründung der Klage gebeten. Ein Rechtsverlust für die Kläger, wie er bei fingierter Rücknahme eintreten würde, sei hier unverhältnismäßig.
- 6
Das SG hat daraufhin das Verfahren unter neuen Aktenzeichen (S 3 AS 3771/11 WA) wiederaufgenommen und nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 17. Januar 2012 festgestellt, der Rechtsstreit sei durch Klagerücknahme am 21. Mai 2011 beendet worden. In den Gründen hat das SG ausgeführt, die nach der Betreibensaufforderung durch das Gericht in der Dreimonatsfrist erfolgten Verlängerungsanträge hätten kein Betreiben des Rechtsstreits dargestellt.
- 7
Gegen das ihr am 10. März 2012 zugestellte Urteil hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger am 22. März 2012 Berufung eingelegt und vorgetragen: Seitens des erstinstanzlichen Gerichts sei keine konkrete Aufforderung, z. B. bestimmte Unterlagen beizubringen, erfolgt. Es sei auch von ihr nach der Betreibensaufforderung dargelegt worden, dass ein Interesse der Kläger an der Fortführung des Verfahrens bestehe. Das SG habe den Ausnahmecharakter der Regelung in § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG verkannt.
- 8
Die Kläger beantragen sinngemäß,
- 9
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. Januar 2012 aufzuheben und festzustellen, dass das Klageverfahren nicht infolge einer nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz anzunehmenden Klagerücknahme beendet ist.
- 10
Der Beklagte hat sich in diesem Verfahren nicht inhaltlich geäußert.
- 11
Die Beteiligten haben sich jeweils mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
- 12
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
- 13
Der Senat konnte nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Berufung der Kläger hat Erfolg.
- 14
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie auch nach § 143 SGG statthaft. Die Berufung betrifft nicht eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt. Auch wenn das Begehren der Kläger letztlich auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gerichtet ist, ist Gegenstand dieses Verfahrens ausschließlich die Frage, ob das Klageverfahren beendet ist. Deshalb greift die mögliche Beschränkung der Zulässigkeit nach § 144 Abs. 1 SGG nicht ein.
- 15
Die Berufung ist begründet, denn anders als vom SG angenommen, liegen die Voraussetzungen für die Fiktion einer Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht vor. Nach dieser mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I 444) mit Wirkung vom 1. April 2008 in das SGG eingefügten Norm gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz einer Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Greift die Rücknahmefiktion ein, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGG).
- 16
Voraussetzung für die Rücknahmefiktion ist zunächst eine Betreibensaufforderung durch das Gericht. Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung muss - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal - nach dem prozessualen Verhalten des klagenden Beteiligten hinreichend Anlass bestehen, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Denn bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Unterfall des Wegfalls des Rechtsinteresses (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 1. Juli 2010, B 13 R 58/09 R, zitiert nach juris, Rdnr. 15 und 46 mit weiteren Hinweisen).
- 17
Der Senat geht mit dem SG davon aus, dass zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung hinreichender Anlass bestand, von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für die Klage auszugehen. Denn ausreichend sind hinreichend konkrete, auf sachlich begründeten Anhaltspunkten beruhende Zweifel an einem Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses. Diese können sich aus dem fallbezogenen Verhalten der Kläger, aber auch aus der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten ergeben (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. August 2011, L 9 AS 61/10, zitiert nach juris, Rdnr. 28f.). Ein sicherer, über begründete Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses hinausgehender Schluss ist nicht erforderlich (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 7. Juli 2005, 10 BN 1/05, zur vergleichbaren Regelung in § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), zitiert nach juris, Rdnr. 4). Aus der Klageschrift, mit der die Klage am 14. Juli 2010 erhoben wurde, ging zwar hervor, dass Klagegegenstand wohl der Anspruch auf (höhere) Leistungen nach dem SGB II sein sollte. In welchem Umfang und mit welcher Begründung höhere Leistungen begehrt wurden, war aber nicht erkennbar. Insofern wurde nicht deutlich, welche Interessen genau mit der Klage verfolgt werden sollten. Trotz der Aufforderung zur Klagebegründung Anfang Oktober 2010 war dann bis zu der mit Schreiben von 25. Januar 2011 ergangenen Betreibensaufforderung keine Reaktion der Prozessbevollmächtigen des Klägers erfolgt. Dies war geeignet, ein mangelndes Interesse der Kläger an der Fortführung des Klageverfahrens zu indizieren.
- 18
Letztlich kann aber hier offen bleiben, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die mit einer wirksamen Fristsetzung (zu den Formerfordernissen siehe das oben zitierte Urteil des BSG vom 1. Juli 2010, Rdnr. 48f.) verbundene Betreibensaufforderung vorlagen. Denn innerhalb der ab Zugang der Betreibensaufforderung bei der Prozessbevollmächtigen der Kläger am 20. Februar 2011 in Gang gesetzten Dreimonatsfrist haben die Kläger das Verfahren betrieben, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahmefiktion nach § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht erfüllt werden konnten.
- 19
Das SGG enthält keine Definition des Begriffs des Betreibens. Von der Wortbedeutung und dem Zusammenhang her liegt es nahe, unter einem Betreiben ein aktives Handeln zu verstehen, dass grundsätzlich geeignet ist, das Verfahren im Sinn auf eine Entscheidungsreife hin zu fördern. Allerdings muss die Auslegung des Begriffs auch dem besonderen Ausnahmecharakter der Rücknahmefiktion gerecht werden, die bei ihrer Auslegung und Anwendung zu beachten ist (siehe dazu das oben zitierte Urteil des BSG vom 1. Juli 2010, Rdnr. 42 mit weiteren Nachweisen). Die Betreibensaufforderung hat den Sinn, die Zweifel am Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses innerhalb der gesetzten Frist zu klären. Ein Betreiben innerhalb der durch die Betreibensaufforderung in Gang gesetzten Frist liegt deshalb auch dann vor, wenn substantiiert dargetan wird, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (vgl. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19. Mai 1993, 2 BvR 1972/92, zur Auslegung des Begriffs des Betreibens in der vergleichbaren Regelung in § 33 Asylverfahrensgesetzes (AsylVfg) a. F., zitiert nach juris, Rdnr. 14 u. 16). Dies wurde auch vom Gesetzgeber bei der Schaffung des § 102 SGG so gesehen. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird ausgeführt, ein Nichtbetreiben im Sinne des Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift liege dann vor, wenn sich der Kläger auf die Aufforderung des Gerichts nicht oder nur unzureichend innerhalb der drei Monate äußere, sodass nicht oder nur unzureichend dargelegt sei, dass das Rechtsschutzinteresse ungeachtet der vorliegenden Indizien fortbesteht (BT-DRs. 16/7716, S. 19 zu Nummer 17 (§ 102)). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es im Sinne der Vorschrift für ein Betreiben ausreicht, mit hinreichender Deutlichkeit darzulegen, dass ein Rechtsschutzinteresse trotz der zur Betreibensaufforderung führenden Umstände weiter besteht. Vor diesem Hintergrund werden für ein Betreiben ein unbegründeter Fristverlängerungsantrag oder die einfache Mitteilung, das Verfahren solle fortgeführt werden, nicht ausreichen. Ausreichend ist aber die Darlegung, warum aus den für die Betreibensaufforderung maßgeblichen Umständen im konkreten Fall nicht auf ein fehlendes Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits geschlossen werden kann. Welche Anforderungen dabei an die Substantiierung der Darlegung zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
- 20
Im konkreten Fall liegt jedenfalls eine ausreichend substantiierte Darlegung im oben bezeichneten Sinne vor. Aus dem am 22. März 2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger ergab sich eindeutig, dass ein Interesse der Kläger an der Fortführung des Verfahrens weiter bestand und eine inhaltliche Berufungsbegründung bisher nur aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Prozessbevollmächtigten der Kläger unterblieben war. Die hohe Arbeitsbelastung wurde nachvollziehbar mit der besonderen Situation der Kanzlei nach dem Ausscheiden des bisher die sozialrechtlichen Mandate betreuenden Rechtsanwalts begründet. Der Eingang dieses Schreibens lag auch innerhalb der am 20. Februar 2011 in Gang gesetzten Dreimonatsfrist.
- 21
Die Kostenentscheidung bleibt der erstinstanzlichen Entscheidung vorbehalten.
- 22
Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 3.2.2012 wird aufgehoben. Das Klageverfahren des Klägers S 13 KR 1110/11 ist fortzuführen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Entscheidungsgründe
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
|
Gründe
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
|
Tenor
1. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 06.02.2012 wird aufgehoben.
2. Es wird festgestellt, dass das Verfahren S 14 AS 1884/11 vor dem Sozialgericht Speyer fortzuführen ist.
Tatbestand
- 1
Streitig ist, ob das Verfahren in der ersten Instanz durch Klagerücknahmefiktion nach § 102 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erledigt ist.
- 2
Mit Bescheid vom 03.11.2010 hob der Beklagte die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.03.2009 bis 20.04.2009 teilweise in Höhe von 452,80 EUR auf und forderte diese von der Klägerin zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, sie habe während des genannten Zeitraums Einkommen aus einer Beschäftigung in einem Café erzielt und sei daher nicht in bisher festgestellter Höhe hilfebedürftig i. S. d. § 9 SGB II.
- 3
Der Beklagte stützte sich insoweit auf eine Meldebescheinigung zur Sozialversicherung vom 27.04.2009 des Arbeitgebers J K , wonach die Klägerin vom 11.03. bis 30.04.2009 bei ihm beschäftigt gewesen sei und dafür 699,00 EUR erhalten habe, sowie auf eine weitere Auskunft von diesem, nach der die Klägerin im Café V gearbeitet und dafür im März 300,00 EUR und im April 399,00 EUR bekommen habe.
- 4
Die Klägerin erhob dagegen Widerspruch. Bei einer persönlichen Vorsprache am 08.11.2010 gab sie gegenüber dem Beklagten an, sie habe nur im März 2009 in dem Café gearbeitet; im April nicht mehr. Im März habe sie ca 200,00 EUR bekommen, die ihr bar abends nach der Schicht ausgezahlt worden seien. Ab dem 20.04.2009 habe sie in Vollzeit eine Meisterschule besucht und in dem Café nicht mehr arbeiten können.
- 5
Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid vom 11.11.2010 mit der Begründung zurückgewiesen, die Beschäftigung der Klägerin sei durch einen Datenabgleich mit dem Rentenversicherungsträger bekannt geworden. Der Beklagte habe das von der Firma gemeldete Arbeitsentgelt zugrunde gelegt.
- 6
Am 27.12.2010 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Speyer erhoben und nochmals darauf hingewiesen, dass sie im April 2009 nicht mehr gearbeitet habe. Durch gerichtliches Schreiben vom 22.02.2011 ist die Klägerin aufgefordert worden, bis zum 30.03.2011 zu belegen, dass sie im Monat April 2010 kein Arbeitsentgelt bezogen habe. Mit Schreiben vom 13.04.2011 ist sie nochmals daran erinnert worden. Mit Schreiben vom 17.05.2011 hat die Vorsitzende der 14. Kammer des Sozialgerichts Speyer letztmals aufgefordert, auf das Schreiben zu antworten. Die Klage gelte gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen, wenn das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betrieben werde. Dieses Schreiben ist der Klägerin am 19.05.2011 zugestellt worden.
- 7
Am 01.09.2011 hat die Vorsitzende eine Verfügung unterzeichnet, dass der Rechtsstreit durch Rücknahme am 22.08.2011 erledigt sei. Mit gerichtlichem Schreiben vom 01.09.2011 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden.
- 8
Am 28.09.2011 hat die Klägerin gegen den "Beschluss des Sozialgerichts Speyer vom 01.09.2011" Beschwerde eingelegt. Zur Begründung ist vorgetragen worden, die Klagerücknahmefiktion könne nicht greifen, nachdem die Auflage des Gerichtes, den Kontoauszug für April vorzulegen, am 17.03.2011 erfüllt worden sei. Der erkennende Senat des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz hat die Beschwerde durch Beschluss vom 10.11.2011 wegen Fehlens einer beschwerdefähigen Entscheidung des Sozialgerichts als unzulässig verworfen.
- 9
Mit Schreiben vom 21.12.2011 hat die Klägerin beim Sozialgericht Speyer den Antrag gestellt, das Verfahren fortzuführen.
- 10
Nach Anhörung zur geplanten Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat das Sozialgericht Speyer durch Gerichtsbescheid am 06.02.2012 festgestellt, dass die Klage zurückgenommen worden ist. Die am 27.12.2010 erhobene Klage habe sich durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG erledigt. Danach gelte die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreibe. Ein Nichtbetreiben liege vor, wenn sich der Kläger auf die Aufforderung innerhalb von 3 Monaten nicht oder nur unzureichend geäußert habe. Vorliegend sei die Klägerin aufgefordert gewesen zu belegen, dass sie im April 2010 kein Arbeitsentgelt bezogen habe. Entgegen der Behauptung des Prozessbevollmächtigten sei der Kontoauszug für April 2010 nicht eingegangen. Das Hinweisschreiben gemäß § 102 Abs. 2 SGG sei dem Prozessbevollmächtigten am 19.05.2011 zugestellt worden, sodass die Klagerücknahmefiktion mit Ablauf des 19.08.2011 eingetreten sei.
- 11
Gegen den ihr am 14.02.2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 10.03.2012 Berufung eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor, das Verfahren hätte fortgeführt werden müssen.
- 12
Mit Schreiben vom 01.06.2012 ist der Prozessbevollmächtigte darauf hingewiesen worden, dass Zweifel an der Zulässigkeit der Berufung bestünden, da es in der Sache um einen Verwaltungsakt gehe, durch den Leistungen in Höhe von 452,80 EUR aufgehoben wurden. Es ist Gelegenheit gegeben worden, bis zum 01.07.2012 dazu Stellung zu nehmen sowie die Tatsache zu belegen, dass der erbetene Kontoauszug dem Sozialgericht vorgelegt worden sei. Am 06.06.2012 ist unter Bezugnahme auf den Hinweis der Antrag gestellt worden, die Berufung zuzulassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird unter dem Aktenzeichen L 3 AS 278/12 NZB geführt.
- 13
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
- 14
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 06.02.2012 aufzuheben und festzustellen, dass das Verfahren S 14 AS 1884/11 vor dem Sozialgericht Speyer fortzuführen ist.
- 15
Der Beklagte beantragt,
- 16
die Berufung zurückzuweisen.
- 17
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
- 18
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten des Beklagten sowie der vorliegenden Prozessakte verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen ist.
Entscheidungsgründe
- 19
Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet.
- 20
Die Regelung § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG steht der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen. Danach bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Hier betrifft die von der Klägerin im Verfahren vor dem Sozialgericht verfolgte Klage zwar einen auf eine Geldleistung gerichteten Verwaltungsakt im Sinne dieser Vorschrift, nämlich den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.11.2012. Streitgegenstand des vorliegenden Berufungsverfahrens ist aber nicht dieser Bescheid, sondern die Frage, ob das Sozialgericht zu Recht davon ausgegangen ist, dass die gegen diesen Bescheid erhobene Klage durch die Rücknahmefiktion nach § 102 SGG erledigt ist. Nur über diese Frage hat das Sozialgericht in dem angefochtenen Gerichtsbescheid entschieden.
- 21
In einem solchen Fall greift § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG nicht. Soweit das Bundessozialgericht (BSG) für den Fall der Untätigkeitsklage entschieden hat, dass auch diese im Sinne von § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet ist (Beschluss vom 06.10.2011, B 9 SB 45/11 B, in juris), lassen sich diese Ausführungen nicht auf den vorliegenden Fall übertragen. Das BSG hat insoweit auf den Sinn und Zweck der Regelung verwiesen, wonach die Berufungsgerichte von vermögensrechtlichen Streitsachen von geringem Wert (sogenannten Bagatellfällen) entlastet werden sollen. Die gewählte Klageart sei für die Anwendung der Vorschrift bedeutungslos, entscheidend sei, dass die Berufung einen Rechtsstreit von geringem Wert betreffe.
- 22
Im vorliegenden Berufungsverfahren wird aber gerade nicht über einen vermögensrechtlichen Streit entschieden, sondern über die Vorfrage, ob das diesbezüglich angestrengte Klageverfahren durch Rücknahme erledigt ist. In dem anhängigen Verfahren stehen also Verfahrensrechte im Streit, die eine Entscheidung über den eigentlichen Streitgegenstand erst eröffnen. Da damit der Schutzbereich des Grundrechtes auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 des Grundgesetzes berührt ist, ist eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG über seinen Wortlaut hinaus auf Fälle der vorliegenden Art nicht gerechtfertigt. Dass eine Entscheidung über den eigentlichen Streitgegenstand, also über die Rechtmäßigkeit des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides selbst, nicht mit der Berufung anfechtbar wäre, stellt im Hinblick auf die Bedeutung des Rechtes auf Gewährung gerichtliche Rechtsschutzes keinen Widerspruch dazu dar.
- 23
Die Berufung ist auch begründet. Die Klage gilt nicht gemäß § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen. Deshalb ist das Klageverfahren noch anhängig und daher vom Sozialgericht Speyer fortzuführen. Das Sozialgericht wird in diesem Verfahren auch zu prüfen haben, ob die Klage zulässig, insbesondere fristgemäß erhoben ist.
- 24
Nach § 102 Abs. 2 SGG gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als 3 Monate nicht betreibt; in der Aufforderung ist der Kläger auf die sich ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Unter Beachtung der Rechtsprechung zur entsprechenden Regelung in § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) bzw. § 81 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG) kommt eine Rücknahmefiktion nur in eng begrenzten Ausnahmefällen in Betracht, in denen sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des Klägers vorliegen (vgl. Bundesverfassungsgericht, Kammerbeschluss vom 19.05.1993, 2 BvR 1972/92 in NVwZ 94, 62).
- 25
Zur Form der Betreibensaufforderung gilt nach der Rechtsprechung des BSG Folgendes: Wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, muss sie vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Ein den Namen abkürzendes Handzeichen (Paraphe) genügt als Unterschrift nicht. Dies folgt schon aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss aber bei einer Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Deshalb muss sie nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift muss diesen Umstand erkennen lassen, dh durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt (Urteil vom 01.07.2010, B 13 R 58/09 R). Ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, ist den Akten nicht mit hinreichender Sicherheit zu entnehmen. Das Schreiben vom 22.02.2011, durch das die Klägerin aufgefordert worden ist zu belegen, dass sie kein Arbeitentgelt bezogen hat, ist in dem in der Akte befindlichen Original lediglich mit einer Namensparaphe und nicht mit einer vollen Unterschrift versehen. Das erste Erinnerungsschreiben vom 13.04.2011 ist nicht von der Vorsitzenden, sondern mit dem Vermerk "Auf Anordnung" von einer Justizbeschäftigten unterschrieben. Das Schreiben vom 17.05.2011, in dem die Klägerin erstmals auf die Folgen des Nichtbefolgens dieser Aufforderung hingewiesen worden ist, weist in der Gerichtsakte wiederum nur eine Paraphe der Vorsitzenden auf.
- 26
Nähere Ermittlungen dazu, ob das versandte Schreiben die Originalunterschrift enthält, sind aber nicht erforderlich. Abgesehen von diesen formellen Voraussetzungen ist die Aufforderung auch ihrem Inhalt nach nicht geeignet, die Folgen des § 102 Abs. 2 SGG auszulösen.
- 27
Die Betreibensaufforderung nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG muss klar und konkret sein und dem Kläger deutlich machen, was von ihm erwartet wird. Daran fehlt es hier. Die Klägerin ist aufgefordert worden zu belegen, dass sie im Monat April 2010 kein Arbeitsentgelt erhalten hat. Unabhängig davon, dass hier wohl der April 2009 gemeint war, ist diese Aufforderung schon deshalb unklar, weil die Klägerin zum Beleg einer negativen Tatsache aufgefordert worden ist, ohne dass näher angeführt wird, welche Beweismittel das Gericht als ausreichend ansehen würde. Die Klägerin konnte der Aufforderung damit gerade nicht entnehmen, was genau von ihr verlangt wird. Sie hatte im Widerspruchsverfahren bereits vorgetragen, dass sie nur im März gearbeitet hat und dafür in bar entlohnt worden ist. Wie sie bei dieser Sachlage belegen sollte, im April nichts erhalten zu haben, erschließt sich nicht unmittelbar. Dass die Klägerin der Aufforderung nicht nachgekommen ist, lässt von daher keine Zweifel am Rechtsschutzinteresse aufkommen, was aber Voraussetzung für den Eintritt der Rücknahmefiktion ist.
- 28
Insoweit ist auch in den Blick zu nehmen, dass im sozialgerichtlichen Verfahren der Grundsatz der Amtsermittlung nach § 103 SGG gilt. Die Klägerin hatte, wie oben dargelegt, bereits im Widerspruchsverfahren nähere Ausführungen zu ihrer Behauptung gemacht, im April 2009 kein Einkommen mehr gehabt zu haben. Dem sich daraus ergebenden Widerspruch zu den Angaben des Arbeitsgebers hätte das Sozialgericht näher nachgehen können, zB. durch Einholung einer weiteren Auskunft beim Arbeitgeber oder auch durch konkrete Fragen bei der Klägerin. Dass diese auf die unbestimmte und pauschale Aufforderung, die nicht erfolgte Zahlung zu belegen, nicht reagiert hat, lässt bei dieser Sachlage jedenfalls nicht darauf schließen, dass sie an der Durchführung des Verfahrens kein Interesse mehr hatte. Die Aufforderung war damit auch nicht geeignet, die Folgen des § 102 Abs.2 SGG auszulösen.
- 30
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
(1) Der Kläger kann die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Die Klagerücknahme erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache.
(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Absatz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen.
(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren auf Antrag durch Beschluss ein und entscheidet über Kosten, soweit diese entstanden sind. Der Beschluss ist unanfechtbar.
Tenor
-
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 18. März 2009 aufgehoben.
-
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landes-sozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
-
Der Kläger begehrt die Vormerkung rentenrechtlicher Zeiten. Mit der Revision wendet er sich gegen die Feststellung der Erledigung des Verfahrens durch eine fiktive Berufungsrücknahme.
- 2
-
Mit Bescheid vom 4.11.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2004 stellte die Beklagte gemäß § 149 Abs 5 SGB VI die im Versicherungsverlauf des Klägers enthaltenen Daten für den Zeitraum bis zum 31.12.1996 verbindlich fest.
- 3
-
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.6.2007 mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger weder seinen Widerspruch noch die Klage begründet habe. Mangels Begründung sei nicht ersichtlich, inwieweit die Feststellung der Daten im Versicherungskonto rechtswidrig sein solle.
- 4
-
Im Berufungsverfahren hat das LSG den Kläger mehrmals vergeblich an die Vorlage der Berufungsbegründung erinnert. Die Geschäftsstelle des LSG-Senats hat mit Schreiben vom 19.8.2008, das auf einer durch den Berichterstatter unterschriebenen Verfügung vom selben Tage beruhte und mit dem Zusatz "auf richterliche Anordnung" durch eine(n) Justizangestellte(n) unterzeichnet war, den Kläger aufgefordert, (unter Hinweis auf § 153 Abs 1, § 106a SGG: bis zum 19.9.2008) die Tatsachen anzugeben, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühle. Des Weiteren hat sie ihn darauf hingewiesen, dass die Berufung nach § 102 Abs 2 Satz 1, § 153 Abs 1 SGG als zurückgenommen gelte, wenn er das Verfahren trotz Aufforderung länger als drei Monate (gerechnet ab Zugang dieser Verfügung) nicht betreibe, dh die Berufung nicht begründe. Auf das ihm am 21.8.2008 zugestellte Schreiben hat sich der Kläger nicht zur Sache geäußert.
- 5
-
Am 16.12.2008 hat das LSG den Beteiligten mitgeteilt, dass die Berufung als zurückgenommen gelte. Hiergegen hat sich der Kläger mit Schriftsatz vom 21.12.2008 gewandt; er habe seine Berufung keinesfalls zurückgenommen, sondern warte auf einen Gerichtstermin. In der mündlichen Verhandlung vom 18.3.2009 hat er erklärt, der Versicherungsverlauf sei fehlerhaft, da dort (im Einzelnen bezeichnete) Zeiten der Arbeitslosigkeit und eines Rentenbezugs nicht angegeben seien.
- 6
-
Mit Urteil vom selben Tage hat das LSG festgestellt, dass das Verfahren durch Fiktion der Berufungsrücknahme erledigt sei. Die Vorschrift des § 102 Abs 2 SGG gelte gemäß § 153 Abs 1 SGG für das Berufungsverfahren entsprechend. Aus den Vorschriften über das Berufungsverfahren ergebe sich insoweit "nichts anderes" iS von § 153 Abs 1 SGG. Nicht zu folgen sei der in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach die Rücknahmefiktion nach § 102 Abs 2 SGG ausschließlich für das Klageverfahren gelte, weil das SGG keine dem § 126 Abs 2 VwGO entsprechende Fiktion der Berufungsrücknahme enthalte. Offenbar habe der Gesetzgeber übersehen, dass es an einer gesetzlichen Regelung für fehlendes Betreiben im Berufungsverfahren mangele, denn auch in den Gesetzesmaterialien finde das Problem keine Erwähnung. Es liege eine unplanmäßige Lücke vor, die mangels erkennbar entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers durch entsprechende Anwendung des § 102 Abs 2 SGG auf das Berufungsverfahren zu schließen sei.
- 7
-
Die Voraussetzungen für eine Fiktion der Berufungsrücknahme seien erfüllt. Der Kläger habe innerhalb der ihm gesetzten Frist keine das Verfahren fördernde Äußerung gemacht. Nur mit entsprechender Mitwirkung des Versicherten durch Angaben zu den streitigen Zeiten seien weitere Ermittlungen des Versicherungsträgers ohne Beschränkung auf zugängliche Daten möglich. Entsprechendes gelte für eine sinnvolle gerichtliche Überprüfung des Vormerkungsbescheids. Trotz entsprechender Aufforderung habe der Kläger innerhalb der gesetzten Frist das Verfahren nicht durch Begründung der Berufung betrieben.
- 8
-
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 156, § 153 Abs 1 und § 102 Abs 2 SGG. Die Rücknahmefiktion des § 102 Abs 2 SGG sei nicht gemäß § 153 Abs 1 SGG auf das Berufungsverfahren entsprechend anwendbar. In das SGG sei keine dem § 126 Abs 2 VwGO entsprechende Regelung der Fiktion einer Berufungsrücknahme aufgenommen worden. Die Berufungsrücknahme sei im sozialgerichtlichem Verfahren in § 156 SGG speziell und abschließend geregelt, was die Anwendung des § 102 Abs 2 SGG ausschließe. Sachlich begründete Anhaltspunkte für den nach § 102 Abs 2 SGG vorausgesetzten Wegfall des Rechtsschutzinteresses im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung habe das LSG nicht festgestellt.
- 9
-
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Hamburg vom 18.3.2009 und den Gerichtsbescheid des SG Hamburg vom 15.6.2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 4.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.6.2004 zu verpflichten, für die Zeiten vom 12.2.1993 bis 21.6.1994 eine Anrechnungszeit wegen Rentenbezugs nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB VI vorzumerken;
hilfsweise, das Urteil des LSG vom 18.3.2009 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
- 10
-
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
- 11
-
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
- 12
-
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 Satz 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
- 13
-
Die zulässige Revision des Klägers hat iS der Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung Erfolg (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
- 14
-
Das LSG hat zu Unrecht festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch Fiktion der Rücknahme der Berufung erledigt sei. Denn dafür fehlt es im SGG an einer gesetzlichen Grundlage (1.). Auch eine gemäß § 153 Abs 1 SGG entsprechende Anwendung des § 102 Abs 2 SGG (Klagerücknahmefiktion) kommt iS einer Fiktion der Rücknahme der Berufung bei Nichtbetreiben nicht in Betracht (2.). Überdies wären die Voraussetzungen für den Eintritt einer - unterstelltermaßen entsprechend § 102 Abs 2 Satz 1 SGG möglichen - Rücknahmefiktion nicht gegeben (3.).
- 15
-
1. Mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (SGGArbGGÄndG) vom 26.3.2008 (BGBl I 444) wurde mit Wirkung vom 1.4.2008 in Abs 2 des § 102 SGG eine Fiktion der Klagerücknahme bei Nichtbetreiben eingefügt. Die Norm lautet:
"Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Absatz 1 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und gegebenenfalls aus § 197a Abs 1 Satz 1 (SGG) in Verbindung mit § 155 Abs 2 VwGO ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen."
Bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG, BT-Drucks 16/7716 S 19 zu Nummer 17 <§ 102>; Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, Vor § 51 RdNr 16); sie erledigt den Rechtsstreit in der Hauptsache (§ 102 Abs 2 Satz 2 iVm Abs 1 Satz 2 SGG). Eine Regelung zur Fiktion der Berufungsrücknahme hat der Gesetzgeber im SGG hingegen nicht getroffen.
- 16
-
2. Die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs 2 SGG ist nicht iS der Fiktion einer Berufungsrücknahme entsprechend anzuwenden.
- 17
-
Nach § 153 Abs 1 SGG gelten für das Verfahren vor den Landessozialgerichten die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug mit Ausnahme der §§ 91, 105 SGG entsprechend, soweit sich aus diesem Unterabschnitt (= Erster Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des Zweiten Teils des SGG, der die Bestimmungen über die Berufung in den §§ 143 bis 159 SGG umfasst) nichts anderes ergibt. Bei den in Bezug genommenen "Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug" handelt es sich um die im Vierten Unterabschnitt des Ersten Abschnitts des Zweiten Teils des SGG aufgeführten Vorschriften der §§ 87 bis 122 SGG(BSG Urteil vom 5.7.1979 - 9 RV 72/77 - SozR 1750 § 543 Nr 2 S 2). Danach ist zwar auch § 102 SGG grundsätzlich nicht von der Anordnung der entsprechenden Geltung im Berufungsverfahren ausgenommen. Die Vorschrift über die Fiktion der Klagerücknahme in § 102 Abs 2 SGG ist jedoch nicht gemäß § 153 Abs 1 SGG im LSG-Verfahren iS einer Fiktion der Berufungsrücknahme entsprechend anwendbar.
- 18
-
Dies ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes (a), der Entstehungsgeschichte der Norm (b), dem Vergleich mit der Rechtslage nach der VwGO (c), einem fehlenden Bedürfnis für ein derartiges Rechtsinstitut (d) und dem Ausnahmecharakter der Klagerücknahmefiktion (e).
- 19
-
a) Schon der Wortlaut des § 102 Abs 2 Satz 1 SGG, wonach die "Klage" und nicht die "Berufung" als zurückgenommen gilt, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt, steht einer gemäß § 153 Abs 1 SGG entsprechenden Anwendung dieser Regelung auf die Berufung entgegen.
- 20
-
Über § 153 Abs 1 SGG kann nicht das Wort "Berufung" in § 102 Abs 2 SGG hineingelesen werden(vgl Leopold, SGb 2009, 458, 463). Denn auch andere Vorschriften über "das Verfahren im ersten Rechtszug", deren entsprechende Geltung § 153 Abs 1 SGG bestimmt und die Regelungen über die "Klage" enthalten, sind im Berufungsverfahren nicht derart erweiternd anzuwenden. Die entsprechende Geltung dieser Vorschriften (zB Klageänderung nach § 99 SGG oder Widerklage nach § 100 SGG) gemäß § 153 Abs 1 SGG umfasst keine Ersetzung des Begriffs "Klage" durch "Berufung". Ein Grund für eine unterschiedliche Auslegung je nachdem, welche Norm in Bezug genommen wird, ist nicht ersichtlich.
- 21
-
Überdies findet sich im Ersten Unterabschnitt des Zweiten Abschnitts des Zweiten Teils des SGG, der die Vorschriften für das Verfahren der Berufung umfasst, für die Berufung in § 156 SGG eine spezielle Regelung über ihre "Zurücknahme". Eine § 102 Abs 2 SGG entsprechende Bestimmung für die Berufung iS einer Fiktion ihrer Rücknahme bei Nichtbetreiben enthält die Norm aber nicht. Schon von daher trifft die Ansicht des LSG nicht zu, aus den entsprechenden Vorschriften über das Berufungsverfahren ergebe sich "nichts anderes" iS des § 153 Abs 1 SGG(aA auch LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 15.10.2009 - L 33 R 290/09 WA - Juris RdNr 32, ohne eigenständige Begründung unter Hinweis auf das hier angefochtene LSG-Urteil).
- 22
-
b) Aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren ergeben sich keinerlei Hinweise dafür, dass der Gesetzgeber die Regelung in § 102 Abs 2 SGG in entsprechender Anwendung gemäß § 153 Abs 1 SGG auf die Berufungsrücknahme ausdehnen wollte.
- 23
-
Ziel des SGGArbGGÄndG war es, eine Vereinfachung und Straffung des sozialgerichtlichen Verfahrens herbeizuführen, um dadurch die Sozialgerichtsbarkeit nachhaltig zu entlasten (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drucks 16/7716 S 1 f, 12 ff). Dies sollte durch eine Vielzahl von Maßnahmen geschehen. Die Einführung einer Berufungsrücknahmefiktion zur Entlastung der Landessozialgerichte war aber im Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG nicht vorgesehen (vgl BT-Drucks 16/7716 S 13 f); insoweit sah dieser zur Entlastung der Sozialgerichte und Straffung des dortigen Verfahrens lediglich die Fiktion einer Klagerücknahme vor (BT-Drucks 16/7716 S 13). Eine fiktive Berufungsrücknahme wurde auch - soweit ersichtlich - im gesamten Gesetzgebungsverfahren weder im Bundesrat noch in den Ausschüssen oder im Plenum des Bundestags erörtert.
- 24
-
In der Einleitung der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG heißt es zum Entwurf des § 102 Abs 2 SGG, der in seinem Satz 1 mit der späteren Gesetzesfassung übereinstimmt, wie folgt(BT-Drucks 16/7716 S 19 zu Nummer 17 <§ 102>):
"Die Fiktion einer Klagerücknahme wird für die Fälle eingeführt, in denen der Kläger oder die Klägerin ungeachtet einer Aufforderung des Gerichts nicht fristgemäß die vom Gericht als geboten angesehene Mitwirkungshandlung erbringt oder hinreichend substantiiert darlegt, warum er oder sie die geforderte Handlung nicht vornehmen kann. Die Klagerücknahmefiktion des Absatzes 2 ist an § 92 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angelehnt, der mit dem 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996 (BGBl. I S. 1626) eingefügt wurde und § 81 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) nachgebildet ist. Die Verkürzung auf die Zweimonatsfrist durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 (BGBl. I S. 2198) wurde wegen der Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens auf drei Monate erstreckt. Damit soll insbesondere dem Umstand Rechnung getragen werden, dass die vor den Sozialgerichten vorwiegend klagenden bedürftigen oder kranken Menschen zur Entscheidungsfindung über die Klagerücknahme mehr Zeit brauchen …"
- 25
-
Die Begründung schließt mit dem Hinweis (aaO, S 20):
"… Die Regelungen über die fiktive Klagerücknahme gelten auch im einstweiligen Rechtsschutz."
- 26
-
Demnach sollen zwar die Regelungen über die fiktive Klagerücknahme im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Anwendung finden. Dabei braucht der Senat nicht zu entscheiden, ob im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine Rücknahmefiktion - unabhängig davon, ob eine solche dort überhaupt praktische Relevanz haben kann (vgl hierzu Bienert, NZS 2009, 554, 559; Leopold, SGb 2009, 458, 462, ua mit dem Hinweis, dass das gerichtliche Abwarten der in § 102 Abs 2 Satz 1 SGG genannten Dreimonatsfrist nicht zum Eilcharakter des Verfahrens "passt") - ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung in entsprechender Anwendung des § 102 Abs 2 SGG zulässig ist(bejahend Bienert, aaO; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 102 RdNr 8; verneinend Leopold, aaO). Jedenfalls findet sich kein Hinweis dafür, dass § 102 Abs 2 SGG iS einer Fiktion der Berufungsrücknahme über § 153 Abs 1 SGG entsprechend anwendbar sein soll. Vielmehr wird dort nur verlautbart, dass in § 102 Abs 2 SGG die "Fiktion einer Klagerücknahme … eingeführt" wird und diese "angelehnt" ist an § 92 Abs 2 VwGO; ersichtlich sollte somit der Regelungsgehalt der Parallelvorschrift des § 92 Abs 2 VwGO in das SGG "übernommen" werden. Die "Fiktion einer Berufungsrücknahme" wird nicht erwähnt; ebenso wird an keiner Stelle ein Bezug zur Regelung der Berufungsrücknahmefiktion in § 126 Abs 2 VwGO hergestellt. Nichts anderes ergibt sich aus den sonstigen Materialien zum SGGArbGGÄndG (Stellungnahme des Bundesrats
Drucks 16/7716 s 29 f>; Gegenäußerung der Bundesregierung . Auch sie enthalten keinen Hinweis darauf, dass nach dem "Willen" des Gesetzgebers eine "fiktive Berufungsrücknahme" in entsprechender Anwendung des § 102 Abs 2 SGG ermöglicht werden sollte.; zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Gesetzentwurfs im Bundestag vom 17.1.2008, Plenarprotokoll 16/136 S 14417 - 14422 (Anlage 6); Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales vom 20.2.2008 )
- 27
-
c) Der Vergleich mit den in der VwGO normierten Rücknahmefiktionen spricht ebenfalls gegen die Annahme einer Fiktion der Berufungsrücknahme im SGG ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung.
- 28
-
Die Klagerücknahmefiktion in § 92 Abs 2 VwGO wurde durch das Sechste Gesetz zur Änderung der VwGO und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG) vom 1.11.1996 (BGBl I 1626) mit Wirkung vom 1.1.1997 in Anlehnung an den bereits seit 1.7.1992 geltenden § 81 AsylVfG in die VwGO eingefügt(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. VwGOÄndG, BT-Drucks 13/3993 S 12 zu Nummer 10 <§ 92 VwGO>). Nach § 92 Abs 2 Satz 1 VwGO gilt eine Klage als zurückgenommen, wenn ein Kläger das Verfahren länger als zwei Monate (in Verfahren nach dem AsylVfG gemäß § 81 Satz 1 AsylVfG länger als einen Monat) nicht betreibt.
- 29
-
Gleichzeitig wurde durch das 6. VwGOÄndG für die Berufung eine "gesetzliche Rücknahmefiktion" in § 126 Abs 2 VwGO aufgenommen und die Regelung in § 92 Abs 2 VwGO insoweit "ergänzt"(Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. VwGOÄndG, BT-Drucks 13/3993 S 13 zu Nummer 17 <§ 126 VwGO>). Nach Satz 1 dieser Bestimmung gilt die Berufung als zurückgenommen, wenn der Berufungskläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt.
- 30
-
Die eigenständige gesetzliche Regelung der Fiktion einer Berufungsrücknahme in § 126 Abs 2 VwGO macht deutlich, dass der Gesetzgeber die allgemeine Verweisung in § 125 Abs 1 VwGO auf die Vorschriften des Verfahrens im ersten Rechtszug der VwGO, zu denen auch § 92 Abs 2 VwGO gehört, als nicht ausreichend angesehen hat (vgl in diesem Sinne auch Binder in Lüdtke, SGG, 3. Aufl 2009, § 156 RdNr 16; Leopold, SGb 2009, 458, 463). Vielmehr hat er für die Einführung einer Berufungsrücknahmefiktion einen ausdrücklichen gesetzlichen Regelungsbedarf angenommen.
- 31
-
Der Verzicht des SGGArbGGÄndG auf eine Ergänzung des § 156 SGG um eine Rücknahmefiktion für die Berufung in Kenntnis des Umstands, dass eine solche in der Parallelvorschrift der VwGO zu § 156 SGG, nämlich in § 126 VwGO, ausdrücklich geregelt worden ist, bestätigt die Annahme, dass diese "Unvollständigkeit" beabsichtigt war und der Gesetzgeber im SGG lediglich die Möglichkeit einer Fiktion der Klagerücknahme eröffnen wollte, entgegen der Ansicht des LSG also gerade keine "planwidrige Regelungslücke" vorliegt. Hätte er die Berufungsrücknahmefiktion "gewollt", wäre gerade wegen der weitgehenden Parallelität zur VwGO eine dem § 126 Abs 2 VwGO entsprechende ausdrückliche Regelung zu erwarten gewesen(vgl in diesem Sinne auch Binder in Lüdtke, aaO, § 156 RdNr 16).
- 32
-
Sollte der Gesetzgeber gleichwohl - anders als in der VwGO - eine ausdrückliche Regelung im SGG für entbehrlich gehalten haben, hätte es zumindest eines deutlichen Hinweises bedurft. Dieser fehlt jedoch. Keinesfalls kann daraus jedoch, wie das LSG offenbar meint, ein "Wille" des Gesetzgebers für eine gemäß § 153 Abs 1 SGG entsprechende Anwendung des § 102 Abs 2 SGG für die Berufung iS einer Fiktion ihrer Rücknahme bei Nichtbetreiben hergeleitet werden. Vielmehr dürfte das "Schweigen" sowohl in § 156 SGG als auch in den Materialien zum SGGArbGGÄndG schon eher als "beredtes Schweigen" zu werten sein(vgl Leopold, SGb 2009, 458, 463).
- 33
-
Dem Gesetzgeber war im Übrigen der Regelungszusammenhang zwischen erst- und zweitinstanzlichem Verfahren durchaus bewusst; dies belegt die mit dem SGGArbGGÄndG erfolgte Einfügung des § 157a SGG für das Berufungsverfahren gleichzeitig mit der ebenfalls durch dieses Gesetz für das erstinstanzliche Verfahren eingeführten Bestimmung des § 106a SGG zur Zurückweisung verspäteten Vorbringens (vgl auch Leopold, SGb 2009, 458, 463). Ausdrücklich heißt es hierzu in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks 16/7716 S 22 zu Nummer 27 <§ 157a>): "Folgeänderung wegen der Einführung der Präklusionsvorschrift in § 106a im erstinstanzlichen Verfahren. Dies zieht die Notwendigkeit einer entsprechenden Vorschrift im Rechtsmittelverfahren nach sich …".
- 34
-
d) Dass der Gesetzgeber auf die Regelung einer Fiktion der Berufungsrücknahme verzichtet hat, mag möglicherweise auch darauf zurückzuführen sein, dass nach dem SGG eine Klagerücknahme ohne Zustimmung der/des Beklagten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens erfolgen kann (so Roller in Lüdtke, aaO, § 102 RdNr 16). Auf dieser Grundlage hält die wohl überwiegende Auffassung im Schrifttum auch eine Klagerücknahmefiktion im Berufungsverfahren für zulässig (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 102 RdNr 8b und § 156 RdNr 1b; Roller, aaO; Eschner in Jansen, SGG, 3. Aufl 2008, § 102 RdNr 4; Hauck in Zeihe, SGG, Stand 2009, § 102 RdNr 12; Bienert, NZS 2009, 554, 558; kritisch Leopold, SGb 2009, 458, 463; Schafhausen, ASR 2010, 112, 118).
- 35
-
Der Senat kann offen lassen, ob er sich dieser Rechtsansicht anschließt; denn das LSG hat nicht festgestellt, dass das Verfahren durch Fiktion der Klagerücknahme erledigt ist. Er neigt jedoch dazu, ihr jedenfalls grundsätzlich zuzustimmen. Denn § 102 Abs 2 Satz 1 SGG wird nicht über seinen Anwendungsbereich hinaus angewendet, sofern die Rücknahmefiktion in der zweiten Instanz die Klage betrifft. Der Übernahme einer § 126 Abs 2 Satz 1 VwGO entsprechenden Regelung bedurfte es insoweit nicht(Hauck in Zeihe, aaO, § 102 RdNr 12).
- 36
-
Gemäß § 102 Abs 1 Satz 1 SGG kann der Kläger die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen. Dies hat der Gesetzgeber mit der Änderung des § 102 Abs 1 Satz 1 SGG durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGGÄndG) vom 17.8.2001 (BGBl I 2144) klargestellt (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum 6. SGGÄndG, BT-Drucks 14/5943 S 26 zu Nummer 38 <§ 102>), entsprach aber auch schon der Rechtsprechung des BSG zur früheren Fassung des § 102 Abs 1 Satz 1 SGG, wonach der Kläger die Klage "bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung" zurücknehmen konnte(s hierzu BSG Beschluss vom 27.9.1983 - 8 BK 16/82 - SozR 1500 § 102 Nr 5 S 10). Der Kläger kann daher auch noch im Berufungsverfahren die Klage ganz oder - wenn der Streitgegenstand teilbar ist - teilweise (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 102 RdNr 4; Roller in Lüdtke, aaO, § 102 RdNr 4)zurücknehmen mit der Folge, dass die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung gemäß § 202 SGG iVm § 269 Abs 3 Satz 1 ZPO ganz oder - bei teilweiser Klagerücknahme - teilweise wirkungslos wird.
- 37
-
Ist aber eine Klagerücknahme nach § 102 Abs 1 Satz 1 SGG im Berufungsverfahren möglich und bestimmt § 102 Abs 2 Satz 2 SGG für die Klagerücknahmefiktion, dass Abs 1 entsprechend gilt, ist kein Grund dafür ersichtlich, weshalb die Fiktion der Rücknahme der Klage bei ganz oder teilweisem Wegfall des Rechtsschutzinteresses nicht (grundsätzlich) auch im Berufungsverfahren in Betracht kommen kann. Denn auch im Rechtsmittelverfahren muss das Rechtsschutzinteresse des Klägers an der von ihm in erster Instanz erhobenen Klage stets fortbestehen.
- 38
-
Allerdings dürfte nach Einlegung einer Berufung gegen ein klageabweisendes erstinstanzliches Urteil ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers, also ein Desinteresse an der weiteren Verfolgung seines Begehrens, nur in seltenen Ausnahmefällen zu unterstellen sein (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 102 RdNr 8b; Leopold, SGb 2009, 458, 463; Hauck in Zeihe, aaO, § 102 RdNr 12, mit dem Hinweis, dass im Rechtsmittelverfahren "eher noch höhere Anforderungen an die Demonstration mangelnden Rechtsschutzinteresses zu stellen" seien; Schafhausen, ASR 2010, 112, 118). Dies gilt vor allem dann, wenn der Kläger im erstinstanzlichen Verfahren teilweise Erfolg hatte, entzöge die Klagerücknahmefiktion im Berufungsverfahren doch dem zusprechenden Teil des erstinstanzlichen Urteils die Rechtswirkung. Die Annahme, dass ein Kläger, der ein Berufungsverfahren trotz Aufforderung nicht betreibt, durch das Nichtbetreiben auch die für ihn positiven Folgen der erstinstanzlichen Entscheidung zum Wegfall bringen und damit so gestellt werden möchte, als ob er die Klage nie erhoben hätte, dürfte nur schwerlich zu begründen sein (vgl Schafhausen, aaO; Leopold, aaO). In Betracht käme in diesen Fällen freilich eine Fiktion der teilweisen Klagerücknahme bezogen auf den klageabweisenden Teil der SG-Entscheidung.
- 39
-
e) Schließlich berücksichtigt nur die Rechtsauffassung, dass § 102 Abs 2 SGG nicht iS einer Fiktion der Berufungsrücknahme über § 153 Abs 1 SGG entsprechend anwendbar ist, die verfassungsrechtlichen Vorgaben des BVerfG für die Auslegung und Anwendung von gesetzlichen Regelungen über die Beendigung eines Gerichtsverfahrens wegen unterstellten Wegfalls des Rechtsschutzinteresses. Vorschriften dieser Art haben nämlich strengen Ausnahmecharakter. Da sie einschneidende Rechtsfolgen für die betroffenen Beteiligten nach sich ziehen, bedürfen sie in besonderem Maße der Rechtsklarheit.
- 40
-
Das BVerfG (Kammer) hat in seinem Beschluss vom 27.10.1998 (2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166, 167) darauf hingewiesen, dass in Einklang mit Art 19 Abs 4 GG jede an einen Antrag gebundene Entscheidung ein Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt und ein Gericht im Einzelfall von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses ausgehen kann, wenn das Verhalten eines Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen ist. Ausdrücklich hat es festgestellt, dass eine hierauf gestützte Abweisung eines Rechtsschutzbegehrens mangels Sachbescheidungsinteresses verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich ist.
- 41
-
Einen gesetzlichen Niederschlag hat dieser Rechtsgedanke in § 81 AsylVfG, § 92 Abs 2 VwGO, § 126 Abs 2 VwGO und in § 102 Abs 2 SGG gefunden. Denn diese Bestimmungen, die eine Beendigung des Verfahrens ohne Entscheidung über das Rechtsschutzbegehren zur Folge haben, unterstellen, dass das Rechtsschutzinteresse entfallen ist, wenn ein Kläger in dem von ihm angestrengten Verfahren über einen bestimmten Zeitraum nicht oder nicht in hinreichendem Maße tätig geworden ist.
- 42
-
Das BVerfG hat bereits mehrfach entschieden, dass hiervon ausgehende Vorschriften mit der Rechtsfolge einer Verfahrensbeendigung mit Art 19 Abs 4 GG vereinbar sind; es hat aber zugleich betont, dass Regelungen dieser Art Ausnahmecharakter haben, der bei ihrer Auslegung und Anwendung besonders zu beachten ist (BVerfG
Beschluss vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166, 167 zu § 81 AsylVfG und § 92 Abs 2 VwGO; vgl bereits BVerfGBeschluss vom 7.8.1984 - 2 BvR 187/84 - NVwZ 1985, 33; BVerfG Auch in der Literatur besteht über den Ausnahmecharakter und ein von Verfassungs wegen gebotenes enges Verständnis gesetzlich fixierter Rechtsmittelrücknahmefiktionen Einigkeit (vgl zu § 102 Abs 2 SGG: Roller in Lüdtke, aaO, § 102 RdNr 17; Binder in Lüdtke, aaO, § 156 RdNr 16; Berchtold in Berchtold/Richter, Prozesse in Sozialsachen, 2009, § 5 RdNr 586; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 102 RdNr 8a; Leitherer, NJW 2008, 1258, 1260; Hauck in Hennig, SGG, Stand: 2010, § 102 RdNr 29; Hauck in Zeihe, aaO, § 102 RdNr 8b; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 5. Aufl 2008, Kap VII RdNr 170a; Schafhausen, ASR 2010, 112, 115; Leopold, SGb 2009, 458, 459; Bienert, NZS 2009, 554, 555; Becker, SGb 2009, 267, 269; Tabbara, NZS 2008, 8, 10; Francke, ASR 2008, 127, 128; vgl zu § 92 Abs 2 VwGO: Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl 2009, § 92 RdNr 18; Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Juli 2009, § 92 RdNr 39).Beschluss vom 15.8.1984 - 2 BvR 357/84 - DVBl 1984, 1005; BVerfG Beschluss vom 19.5.1993 - 2 BvR 1972/92 - NVwZ 1994, 62 f, alle zu § 33 AsylVfG 1982).
- 43
-
Dass sich auch der Gesetzgeber des SGGArbGGÄndG bei der Einfügung der Klagerücknahmefiktion in § 102 Abs 2 SGG der vom BVerfG aufgezeigten engen verfassungsrechtlichen Grenzen unter Beachtung ihres Ausnahmecharakters bewusst war, kommt in den Materialien deutlich zum Ausdruck. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG heißt es zum dortigen Entwurf des § 102 Abs 2 SGG unter Bezugnahme auf die vorgenannte Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG(Beschluss vom 12.4.2001 - 8 B 2/01 - NVwZ 2001, 918) ausdrücklich, dass "die Auslegung und Anwendung der Norm nur vor dem Hintergrund ihres strengen Ausnahmecharakters erfolgen" darf (BT-Drucks 16/7716 S 19 zu Nummer 17 <§ 102>).
- 44
-
Ist dies aber der Fall, verbietet es sich, § 102 Abs 2 SGG als Sonder- und Ausnahmeregelung über seinen ausdrücklich geregelten Anwendungsbereich hinaus erweiternd auszulegen und anzuwenden. Vielmehr ist es aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art 19 Abs 4 GG, Art 103 Abs 1 GG) geradezu geboten, wollte man auch im SGG eine Fiktion der Rücknahme der Berufung wegen Nichtbetreibens ermöglichen, hierfür - wie in der VwGO durch Einfügung des § 126 Abs 2 VwGO geschehen - eine eigenständige gesetzliche Grundlage zu schaffen.
- 45
-
3. Nach dem Vorstehenden braucht der Senat nicht mehr zu prüfen, ob - wie vom LSG entschieden - die Voraussetzungen einer Fiktion einer Berufungsrücknahme bei unterstellter entsprechender Anwendbarkeit des § 102 SGG vorliegen. Gleichwohl weist der Senat darauf hin, dass, selbst wenn man der generellen Rechtsansicht des LSG folgen würde, die Feststellung der Erledigung des Verfahrens durch das LSG im Falle des Klägers zu Unrecht erfolgt wäre.
- 46
-
a) Zwar ist im Zeitpunkt der Betreibensaufforderung das vom BVerfG für eine Rechtsmittelrücknahmefiktion geforderte ungeschriebene Tatbestandsmerkmal erfüllt gewesen, dass nach dem prozessualen Verhalten des Klägers hinreichender Anlass bestand, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen (vgl BVerfG
Beschluss vom 27.10.1998 - 2 BvR 2662/95 - DVBl 1999, 166, 167; vgl ebenso Senatsurteil vom heutigen Tage - B 13 R 74/09 R).
- 47
-
Denn bei Erlass der Betreibensaufforderung am 19.8.2008 waren die Gründe, warum der Kläger eine gerichtliche Überprüfung des angefochtenen Vormerkungsbescheids vom 4.11.2003 begehrte, mangels dessen Mitwirkung für das LSG nicht ersichtlich. Trotz mehrfacher Aufforderung war nämlich die Berufung auch ein Jahr nach ihrer Einlegung nicht begründet worden, ebenso wenig wie der Widerspruch gegen den Vormerkungsbescheid vom 4.11.2003 oder die Klage. Das SGG enthält zwar für die Begründung der Klage und der Berufung, insbesondere für die Angabe von Beweismitteln und von Tatsachen, durch deren Nichtberücksichtigung der Kläger sich beschwert fühlt, keine zwingenden Vorschriften (§ 92 Abs 1 Satz 4, § 151 Abs 3 SGG: "sollen" bzw "soll"). Das Gericht hat die Beteiligten aber insoweit heranzuziehen, wie sich aus § 103 Satz 1 Halbs 2 SGG ergibt. Bei fehlender Mitwirkung ist das Gericht nicht verpflichtet, von sich aus in jede nur mögliche Richtung ("ins Blaue hinein") zu ermitteln und Beweis zu erheben (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 103 RdNr 16).
- 48
-
b) Allerdings setzt eine Rücknahmefiktion den Ablauf einer zuvor vom Gericht gesetzten Frist zum Betreiben des Verfahrens voraus (vgl § 102 Abs 2 Satz 1 SGG). Eine in diesem Sinne wirksame Fristsetzung ist vorliegend aber nicht erfolgt. Denn jedenfalls vermag ein - wie hier - lediglich mit dem Zusatz "auf richterliche Anordnung" durch eine(n) Justizangestellte(n) unterzeichnetes gerichtliches Schreiben der Geschäftsstelle eine Frist zum Betreiben des Verfahrens nicht in Lauf zu setzen (vgl Krasney/Udsching, aaO, Kap VII RdNr 170a; Leopold SGb 2009, 458, 460; Breitkreuz in Breitkreuz/Fichte, aaO, § 102 RdNr 11, mit dem Hinweis, die Betreibensaufforderung müsse "wenigstens die Form eines Richterbriefs" haben; s auch BGH Urteil vom 13.3.1980 - VII ZR 147/79 - BGHZ 76, 236, 241 - zur Frist gemäß § 273 Abs 2 Nr 1, § 275 Abs 1, § 296 ZPO).
- 49
-
Zur Form der Betreibensaufforderung gilt im Übrigen Folgendes: Wenn sie Wirkungen für die Beteiligten erzeugen soll, muss sie vom zuständigen Richter verfügt und mit vollem Namen unterzeichnet werden. Ein den Namen abkürzendes Handzeichen (Paraphe) genügt als Unterschrift nicht (vgl Krasney/Udsching, aaO, Kap VII RdNr 170a; Leopold, SGb 2009, 458, 460; Bienert, NZS 2009, 554, 556, jeweils mwN). Dies folgt schon aus den einschneidenden Rechtsfolgen einer (erfolglosen) Betreibensaufforderung. Erst die Beifügung der vollen Unterschrift des Richters macht deutlich, dass es sich bei dem unterzeichneten Text nicht lediglich um einen Entwurf handelt und dass der Unterzeichnende nicht von einer Routine-Verfügung ausgeht; hierüber muss aber bei einer Betreibensaufforderung auch für die Betroffenen Gewissheit bestehen. Deshalb muss sie nicht nur vom zuständigen Richter verfügt und unterschrieben sein, sondern auch die gemäß § 63 Abs 1 Satz 1 SGG zuzustellende Ausfertigung/beglaubigte Abschrift(vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG, BT-Drucks 16/7716 S 19 zu Nummer 17 <§ 102>; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 63 RdNr 3)diesen Umstand erkennen lassen, dh durch Wiedergabe des vollen Namens des Richters ausweisen, dass die Betreibensaufforderung von ihm stammt.
- 50
-
4. Da der Senat über die vom Kläger geltend gemachten rentenrechtlichen Zeiten mangels entsprechender Feststellungen (§ 163 SGG) des LSG nicht entscheiden konnte, war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. März 2013 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Magdeburg zum Aktenzeichen S 45 AS 90220/10 nicht durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG beendet worden ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht bei Verfahrensabschluss vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Kläger und Berufungsführer wenden sich gegen ein Urteil des Sozialgerichts Magdeburg, mit dem dieses ihre Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Fiktion einer Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) abgewiesen und die Verfahrensbeendigung festgestellt hat. In der Sache begehren die Kläger vom Beklagten die Gewährung höherer Leistungen für die Kosten für die Unterkunft und Heizung im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis 31. März 2010.
- 2
Die am ... 1973 geborene Klägerin ist mit dem am ... 1974 geborenen Kläger verheiratet. Beide beziehen mit ihren Kindern seit dem 1. Januar 2005 mit Unterbrechungen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Sie bewohnen ein Eigenheim auf einem im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstück, welches diese im Jahr 2004 erworben hat. Über das Wohnhaus haben die Kläger mit der Großmutter des Klägers mit Wirkung zum 1. Juni 2004 einen Mietvertrag abgeschlossen, der auf den 20. Mai 2004 datiert und eine monatliche Gesamtmiete von 321,20 EUR ausweist. Ausweislich eines Schreibens der Großmutter des Klägers vom 14. März 2005 soll die Miete seit dem 1. April 2005 wegen einer Erhöhung der vorauszuzahlenden Betriebskosten 425,76 EUR betragen. Die Wirksamkeit des Mietvertrages sowie die Höhe der den Klägern zustehenden Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung (KdUH) sind zwischen den Beteiligten im Einzelnen streitig.
- 3
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2009 bewilligte der Beklagte den Klägern und deren Kindern zuletzt vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis 31. März 2010 in Höhe von monatlich 820 EUR. Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein, mit dem sie geltend machten, dass die KdUH in diesem Zeitraum nicht in der tatsächlichen Höhe gewährt würden. Mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 2010 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück und führte ergänzend aus: Die KdUH könnten lediglich in Höhe von 14 EUR/Monat Berücksichtigung finden, da der vorgelegte Mietvertrag nicht wirksam und weitere Aufwendungen durch die Kläger nicht nachgewiesen seien.
- 4
Mit ihrer am 25. Februar 2010 beim Sozialgericht Stendal erhobenen Klage (S 5 AS 220/10; Aktenzeichen des Sozialgerichts Magdeburg: S 45 AS 90220/10) haben die Kläger ihr Begehren weiter verfolgt und vorgetragen, die Aufwendungen für die KdUH seien vom Beklagten an den Vermieter auszukehren. Eine ausführliche Klagebegründung haben sie angekündigt. Dem ist der Beklagte unter Bezugnahme auf seine bisherigen Ausführungen entgegengetreten.
- 5
Mit gerichtlichem Schreiben vom 8. Juni 2010 hat das Sozialgericht die Kläger aufgefordert, "eine umfassende Klagebegründung und sämtliche Kosten der Unterkunft und Heizung im streitigen Zeitraum nachzuweisen. Hier sind die Originalbelege beziehungsweise Verträge zu der Akte zu reichen". Mit Schreiben vom 28. Dezember 2010 hat das Sozialgericht die Kläger unter Fristsetzung von zwei Wochen an die Erledigung des gerichtlichen Schreibens vom 8. Juni 2010 erinnert. Da die Kläger sich hierzu nicht äußerten, hat der Kammervorsitzende mit Verfügung vom 18. Februar 2011 gegenüber den Klägern ausgeführt: " fordere ich Sie aus gegebenem Anlass – Sie haben auf die Verfügungen vom 8. Juni 2010 und 28. Dezember 2010 nicht reagiert – zur Mitwirkung gemäß § 103 SGG auf. Mit den genannten Verfügungen wurden folgende Unterlagen angefordert: Originalnachweise/Verträge über die Kosten der Unterkunft und Heizung. Dieser Aufforderung sind Sie nicht nachgekommen, weshalb ich Sie letztmalig auffordere, die Verträge und Belege über die Kosten der Unterkunft und Heizung im Original für die Monate Oktober 2009 bis März 2010 binnen drei Monaten nach Erhalt dieses Schreibens zur Akte zu reichen". Des Weiteren hat das Sozialgericht die Kläger darauf hingewiesen, dass die Klage nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte, wenn diese das Verfahren trotz der Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betrieben. Noch vor Zustellung der gerichtlichen Schreiben am 24. Februar 2011 haben die Kläger mit Schriftsatz vom 17. Februar 2011 mitgeteilt, sie seien der gerichtlichen Aufforderung bereits bei Klageerhebung nachgekommen. Gegenstand der Klage sei der in der Akte befindliche Mietvertrag, in dem alle Wohn- und Nebenkosten vollumfänglich aufgeschlüsselt seien. Es werde beantragt, den Beklagten zur Übernahme der Wohnkosten aus dem Mietvertrag zu verurteilen.
- 6
Mit Schreiben vom 1. März 2011 hat das Sozialgericht den Klägern mitgeteilt, dass die angeforderten Unterlagen, insbesondere ein Original des Mietvertrages bislang nicht vorgelegt worden seien. Sollten die Unterlagen nicht bis zum 24. Mai 2011 bei Gericht eingereicht worden sein, gelte die Klage als zurückgenommen. Nachdem die Kläger auf dieses gerichtliche Schreiben nicht reagiert haben, hat das Sozialgericht mit Verfügung vom 22. August 2011 die Erledigung des Verfahrens durch Klagerücknahme festgestellt und den Beteiligten mit Schreiben vom gleichen Tage mitgeteilt, dass die Klage nach § 102 Abs. 2 SGG als zurückgenommen gelte, da die angeforderten Unterlagen nicht innerhalb der gesetzten Frist eingereicht worden seien.
- 7
Die Kläger haben am 10. Oktober 2011 die Fortführung des Verfahrens beantragt und ausgeführt: Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG seien nicht erfüllt, da die Unterkunftskosten im Klageverfahren hinreichend und umfänglich belegt worden seien.
- 8
Das Sozialgericht Stendal hat das Verfahren unter dem neuen Aktenzeichen S 45 AS 3776/11 WA wieder aufgenommen. Mit Urteil vom 5. März 2013 hat das Sozialgericht die Klage auf Feststellung, dass das Verfahren nicht durch die Klagerücknahmefiktion des § 102 Abs. 2 SGG beendet wurde, abgewiesen. Es hat festgestellt, dass die Klage als zurückgenommen gelte. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für eine Fiktion der Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 SGG seien erfüllt. Die Kläger hätten innerhalb der ihnen gesetzten Frist das Verfahren nicht betrieben. Sie seien der Aufforderung des Gerichts vom 8. Juni 2010, weitere Nachweise zu den KdUH vorzulegen, und die Klage zu begründen, nicht nachgekommen. Nach dem vorgelegten "Mietvertrag" und der "Betriebskostenabrechnung" sei davon auszugehen, dass die Kläger im streitigen Bewilligungszeitraum nicht nur zu Zahlungen an die Großmutter des Klägers, sondern auch an Dritte verpflichtet gewesen sein konnten. Dies betreffe insbesondere die Kosten für die Müllentsorgung, Wasser und Abwasser, Heizung sowie die Grundsteuer, zu deren Zahlung die Klägerin als Eigentümerin verpflichtet sei. Die Vorlage dieser Nachweise sei auch unabhängig von der gerichtlichen Aufforderung geboten gewesen. Auch das Landessozialgericht habe in dem mit Beschluss vom 10. November 2009 (L 5 B 445/07 AS ER) beendeten Eilverfahren trotz Aufforderung der Kläger zur Vorlage anderer Nachweise das Vorliegen eines rechtswirksamen Mietvertrages nicht feststellen können.
- 9
Gegen das den Klägern am 4. April 2013 zugestellte Urteil haben diese am 6. Mai 2013 Berufung eingelegt und zur Begründung vorgetragen: Das Sozialgericht habe das Vorliegen der Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 SGG zu Unrecht angenommen. Sachliche Anhaltspunkte für einen nach dieser Vorschrift vorausgesetzten Wegfall des Rechtschutzinteresses im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung habe das erstinstanzliche Gericht nicht festgestellt. Vielmehr habe das Sozialgericht sie grundlos dazu aufgefordert, die bereits übermittelten Unterlagen erneut vorzulegen. Zudem seien Unterlagen angefordert worden, die zur Klärung des Verfahrensgegenstandes nicht erforderlich seien. Das Gericht habe es stattdessen versäumt, sich mit dem "Charakter des Mietvertrages" auseinander zu setzen.
- 10
Die Kläger beantragen,
- 11
das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 5. März 2013 aufzuheben und festzustellen, dass der Rechtsstreit S 45 AS 90220/10 nicht durch die Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 SGG beendet ist.
- 12
Der Beklagte beantragt,
- 13
die Berufung zurückzuweisen.
- 14
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
- 15
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten ergänzend verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
- 16
Die Berufung der Kläger hat Erfolg.
- 17
I. Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung ist nach § 143 SGG statthaft. Die Berufungsfrist ist gewahrt, weil diese trotz Zustellung des Urteils am 4. April 2013 erst am 6. Mai 2013 endete. Der 4. Mai 2013 war ein Sonnabend, weshalb die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages, das ist Montag der 6. Mai 2013, endete (§ 151 Abs. 1 SGG iVm § 64 Abs. 2 und 3 SGG).
- 18
Die Regelung des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 SGG steht der Zulässigkeit der Berufung nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die Geld-, Dienst- oder Sachleistungen oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 EUR nicht übersteigt. Es kann vorliegend dahinstehen, ob die Beschränkung der Berufung in Verfahren, in denen die Beteiligten darüber streiten, ob ein Klageverfahren durch die Fiktion der Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG beendet worden ist, überhaupt Anwendung findet (verneinend: LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 – L 5 KR 605/12; LSG RhPf, Urteil vom 21. August 2012 – L 3 AS 133/12; bejahend: SächsLSG, Urteil vom 01. Dezember 2010 – L 7 AS 524/09). Denn allein unter Berücksichtigung der beanspruchten Mehrleistung bei den KdUH iHv 411,76 EUR/Monat für den streitigen Leistungszeitraum von sechs Monaten liegt der Wert des Beschwerdegegenstandes über 750 EUR.
- 19
II. Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht festgestellt, dass das Verfahren S 45 AS 90220/10 (das Sozialgericht hat im Tenor das Aktenzeichen S 5 AS 220/10 angegeben) durch Fiktion der Klagerücknahme beendet sei. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG liegen nicht vor. Das Klageverfahren ist noch anhängig und vom Sozialgericht fortzuführen.
- 20
Nach § 102 Abs. 2 SGG wird eine Klagerücknahme fingiert, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 SGG ist der Kläger auf die eintretenden Rechtsfolgen hinzuweisen.
- 21
Die Fiktion einer Klagerücknahme ist für die Fälle eingeführt worden, in denen Anhaltspunkte für ein Desinteresse der klägerischen Partei an der Fortführung des Rechtsstreits bestehen. Bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Fall des Wegfalls des Rechtsschutzinteresses (Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum SGGArbGGÄndG, BT-Drucks 16/7716 S. 19 zu Nr. 17 § 102; BSG, Urteil vom 01. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R). Die Vorschrift soll die Voraussetzungen für die Annahme eines weggefallenen Rechtsschutzbedürfnisses festlegen und gesetzlich legitimieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BVR 2254/11; BT-Drucks. 13/3993, S. 12 zu § 81 AsylVfG). Anwendung findet sie als vereinfachte Beendigung eines Verfahrens, an dessen Fortführung der Kläger erkennbar kein Interesse mehr hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.September 2012 – 1 BVR 2254/11; BT-Drucks 12/2062, S. 42).
- 22
Bei der Auslegung und Anwendung des § 102 Abs. 2 SGG ist der strenge Ausnahmecharakter der Norm zu beachten (BT-Drucks. 16/7716 S. 19 zu Nr. 17 § 102; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R). Die Regelung des § 102 SGG ist an § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) angelehnt, der mit dem 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996 (BGBl. I 1996, 1626) eingefügt wurde und § 81 Asylverfahrensgesetz (AslyVfgG) nachgebildet ist (vgl. BR-Drucks. 820/07, S. 23). Der Regelungsgehalt der Parallelvorschrift des § 92 Abs. 2 VwGO sollte in das SGG "übernommen" werden (BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R). Auf die hierzu ergangene Rechtsprechung kann folglich zurückgegriffen werden (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10).
- 23
Vom Wegfall eines ursprünglich gegebenen Rechtsschutzinteresses kann ein Gericht im Einzelfall nur dann ausgehen, wenn das Verfahren eines rechtsschutzsuchenden Verfahrensbeteiligten Anlass zu der Annahme bietet, dass ihm an einer Sachentscheidung mangels eines Sachbescheidungsinteresses nicht mehr gelegen ist (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95; BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BVR 2254/11). Hiernach müssen zum Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung sachlich begründete Anhaltspunkte für einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers bestanden haben (BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1998 – 2 BvR 2662/95; BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R; BVerwG, Urteil vom 23. April 1985 – 9 C 48/84). Zum anderen hat ein Kläger das Verfahren nur dann nicht mehr betrieben, wenn er innerhalb der Drei-Monatsfrist nicht substantiiert dargetan hat, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Januar 1987 – 9 C 259/86; BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 2005 – 10 BN 1/05). Nur wenn beide Voraussetzungen vorliegen, kann von einer willkürfreien, durch Sachgründe gerechtfertigten Beschränkung des Zugangs zum weiteren Verfahren gesprochen werden (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10).
- 24
Eine Verletzung der sich aus § 103 SGG ergebenden prozessualen Mitwirkungspflichten des Klägers kann Anhaltspunkte für den Wegfall des Rechtsschutzinteresses liefern und tut dies in der Regel dann, wenn das Gericht konkrete Auflagen verfügt hat (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2010 – B 13 R 58/09 R; BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2000 – 8 B 119/00). Die Betreibensaufforderung muss sich dabei hinreichend konkret auf bestimmte verfahrensfördernde Handlungen beziehen, die der Kläger vorzunehmen hat (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 8. Dezember 2009 - L 5 R 884/09). Stets muss sich daraus aber auch der Schluss auf den Wegfall des Rechtsschutzinteresses, also auf ein Desinteresse des Klägers an der weiteren Verfolgung seines Begehrens ableiten lassen können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. Juli 2000 – 8 B 119/00). § 102 Abs. 2 SGG ist kein Hilfsmittel zur "bequemen Erledigung lästiger Verfahren" oder zur Sanktionierung prozessleitender Verfügungen (vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) Sachsen-Anhalt, Urteil vom 13. Oktober 2005 - 1 L 40/05, zu § 92 VwGO; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10). Namentlich darf die Rücknahmefiktion nicht als Sanktion für einen Verstoß gegen prozessuale Mitwirkungspflichten oder unkooperatives Verhalten eines Beteiligten gedeutet oder eingesetzt werden (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BVR 2254/11). Das Gericht kann insbesondere Anlass haben, am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses ernsthaft zu zweifeln, wenn der Prozessgegner die Richtigkeit des Vorbringens des Rechtsschutzsuchenden in Frage stellt und dieser sich dazu nicht äußert (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BVR 2254/11). An einem Nichtbetreiben des Verfahrens fehlt es jedoch, wenn die Motivation des Rechtsmittelführers, an der Verfolgung seines Rechtsschutzzieles festzuhalten, eindeutig auf der Hand liegt (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BVR 2254/11). Hat der Rechtsmittelführer seine Klage bereits begründet und Beweis für die von ihm vorgebrachten Tatsachenbehauptungen angeboten, ist es Aufgabe des zur Amtsermittlung verpflichteten Gerichts, den Sachverhalt durch eine Beweisaufnahme aufzuklären und danach zu entscheiden (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BVR 2254/11). Der Weg, aufgrund einer vorweggenommenen Beweiswürdigung auf einen Wegfall des Rechtsschutzinteresses des Klägers zu schließen und auf diese Weise das Verfahren ohne mündliche Verhandlung und ggf ohne Beweisaufnahme zu beenden, ist dem Gericht verwehrt (BVerfG, Beschluss vom 17. September 2012 – 1 BVR 2254/11).
- 25
Für die Anwendung des § 102 Abs. 2 SGG ist vor allem dann kein Raum, wenn von einem Kläger Mitwirkungshandlungen verlangt werden, die dieser bereits erfüllt hat oder nicht erfüllen kann (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10). Allein die Nichtvorlage von Nachweisen rechtfertigt die Annahme eines Wegfalls seines Rechtsschutzinteresses grundsätzlich nicht. Denn das Gericht hat die Möglichkeit, einen Kläger unter Fristsetzung nach § 106a SGG aufzufordern, die Unterlagen einzureichen. Die Amtsermittlungspflicht des Gerichts verringert sich, wenn die Partei ihren Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist. Weigert sich ein Beteiligter, der aus einem bestimmten Sachverhalt für ihn günstige Rechtsfolgen herleitet, dem Gericht nähere Angaben zu machen, obwohl er es könnte und ihm dies nicht unzumutbar ist, verletzt das Gericht seine Amtsermittlungspflicht nicht, wenn es keine weiteren Ermittlungen mehr anstellt (BSG, Urteil vom 16. Dezember 2008 - B 1 KN 3/08 KR R). Der Kläger bleibt in einem solchen Fall für die Voraussetzungen seiner Hilfebedürftigkeit darlegungs- und beweisfällig (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10). Auch eine "Teilerfüllung" der gerichtlichen Auflagen schließt die Annahme, das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage sei entfallen, grundsätzlich aus (OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 12. Juni 2001 – 2 L 465/00; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10). Aus dem Ausnahmecharakter des § 102 Abs. 2 SGG folgt zudem, dass bereits der Protest gegen die geforderte Mitwirkungshandlung ausreicht, die Vermutungswirkung auszuschließen (Wehrhahn, in: Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Auflage 2014, § 102 Rn 12).
- 26
Bei Rechtstreitigkeiten im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende ist zudem zu berücksichtigen, dass wegen der existenzsichernden Bedeutung dieser Leistungen nur ausnahmsweise auf ein zwischenzeitlich entfallenes Rechtsschutzinteresse eines Klägers geschlossen werden kann (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 16. Juni 2010 – L 5 AS 217/10; vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 12. April 2001 – 8 B 2/01 zu vermögensrechtlichen Streitigkeiten).
- 27
Gemessen an diesen Grundsätzen lässt sich im vorliegenden Falle das Vorliegen der materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Klagerücknahmefiktion nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht feststellen. Es lagen im Zeitpunkt des Erlasses der Betreibensaufforderung keine hinreichenden Tatsachen vor, welche die Annahme rechtfertigten, dass das Rechtsschutzinteresse der Kläger an der Fortführung der Klage entfallen und ihnen an einer Sachentscheidung nicht mehr gelegen war. Auf die Frage, ob die Kläger das Verfahren innerhalb der ihnen gesetzten Frist nicht betrieben haben, kommt es damit nicht an.
- 28
Es ist bereits zweifelhaft, ob die Betreibensaufforderung das von den Klägern Verlangte hinreichend konkret zum Ausdruck gebracht hat. Mit dem Schreiben vom 8. Juni 2010, das der Betreibensaufforderung vom 18. Februar 2011 zugrunde lag und auf deren Nichterfüllung das Vorgehen nach § 102 Abs 2 SGG gestützt worden ist, hat das Sozialgericht die Kläger aufgefordert, sämtliche KdUH im streitigen Zeitraum nachzuweisen und die Klage zu begründen. Bereits vor Zustellung der Betreibensaufforderung hatten die Kläger jedoch mit Schriftsatz vom 17. Februar 2011 darauf hingewiesen, dass mit der Klage die Verurteilung des Beklagten zur Gewährung der KdUH gemäß dem in der Akte befindlichen Mietvertrag begehrt werde, aus dem sich die Aufwendungen nach Ansicht der Kläger im Einzelnen ergäben. Letztlich betrafen die im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen, auf die sich die Kläger im Schriftsatz vom 17. Februar 2011 bezogen haben – abgesehen davon, dass nicht die angeforderten Originale eingereicht wurden – die von ihnen geltend gemachten Ansprüche. Denn mit der Klage begehrten die Kläger gerade die Gewährung von KdUH auf der Grundlage des (streitigen) Mietvertrages nebst der geänderten Vorauszahlung für Betriebskosten und Heizkosten. Insoweit hatten die Kläger die gerichtliche Auflage bereits erfüllt oder doch zumindest teilweise erfüllt. Soweit das Sozialgericht die Angabe und Vorlage von Nachweisen der der Klägerin als Eigentümerin entstandenen Kosten gemeint haben dürfte, ist dies der Betreibensaufforderung nicht mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen. Genaue Angaben dazu, welche Handlungen das Gericht von den Klägern erwartete, sind erst dem angefochtenen Urteil vom 5. März 2013 zu entnehmen. Auch das Schreiben des Sozialgerichts vom 1. März 2011, in dem dieses die Kläger darauf hingewiesen hat, dass es die vorgelegten Unterlagen für nicht ausreichend erachtet, ersetzt eine ausreichende Betreibensaufforderung nicht.
- 29
Auch wenn das Sozialgericht letztlich möglicherweise zu Recht davon ausgegangen sein mag, dass die Klage im Ergebnis nur dann Erfolg haben kann, wenn die Kläger die unabhängig vom Mietvertrag entstandenen KdUH darlegen und nachweisen können, so berechtigt dies jedoch nicht zur Annahme einer Verletzung einer prozessualen Mitwirkungsobliegenheit, die auf ein Desinteresse der Kläger an der weiteren Verfolgung ihres Begehrens schließen lässt. Nach Rechtsansicht der Kläger sollte sich der geltend gemachte Anspruch auf höhere KdUH gerade aus einem (geänderten) Mietvertrag ergeben. Die Wirksamkeit dieses Vertrages ist zwar zwischen den Beteiligten streitig und die Frage, ob auf diesen ein sozialrechtlicher Leistungsanspruch gestützt werden kann, durchaus problematisch. Dies kann jedoch abschließend erst auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung und ggf. einer Beweisaufnahme beurteilt werden. Dass das Gericht ohne die verlangte Mitwirkung der Kläger an einer Entscheidung in der Sache, ggf. auch nach Beweislastgrundsätzen, gehindert wäre oder die Kläger an einer solchen kein Interesse mehr hatten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere kann ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses an der Fortführung des Verfahrens nicht damit begründet werden, dass die Kläger eine – nach Rechtsansicht des Gerichts erforderliche – Mitwirkung unterlassen haben, wenn der Anspruch nach ihrer Rechtsauffassung davon nicht abhängt. Dies liefe auf eine Anwendung des § 102 Abs. 2 SGG unter Vorwegnahme der Beweiswürdigung hinaus.
- 30
Eine entsprechende Klagebegründung, die vorliegend trotz ihrer Kürze jedenfalls nach Konkretisierung des Begehrens durch den Schriftsatz der Kläger vom 17. Februar 2011 den geltend gemachten Anspruch hinreichend deutlich machte, impliziert grundsätzlich bereits einen Protest gegen die geforderte Mitwirkungshandlung, welcher der Rücknahmefiktion entgegensteht. Die Beendigung des Verfahrens nach § 102 Abs. 2 SGG wäre in der Sache lediglich eine unzulässige Sanktion für einen Verstoß gegen eine nach der vorläufigen Rechtsansicht des Gerichts gebotene Mitwirkungsobliegenheit eines Klägers. Die Motivation der Kläger zur Fortführung des Verfahrens lag hier schon deshalb nicht erkennbar fern, weil sie ihre Rechtsauffassung bereits bei Klageerhebung zum Ausdruck gebracht haben und ihr Begehren maßgebend auf die Wirksamkeit des Mietvertrages stützen. Es ist auch sonst nicht zu erkennen, dass die Kläger ihr Interesse an der Durchsetzung der beanspruchten Grundsicherungsleistungen aufgegeben haben könnten.
- 31
Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts kann aus diesen Gründen keinen Bestand haben und ist auf die Berufung der Kläger hin aufzuheben. Das Klageverfahren ist mangels Eintritts der Klagerücknahmefiktion noch beim Sozialgericht Magdeburg anhängig und durch dieses fortzuführen. Einer Zurückverweisung gemäß § 159 Abs. 1 SGG bedarf es nicht (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12; eingehend hierzu: SächsLSG, Urteil vom 28. Februar 2013 – L 7 AS 523/09). Das Sozialgericht wird in diesem Verfahren auch zu prüfen haben, ob die Kinder der Kläger ebenfalls am Rechtsstreit beteiligt sind.
- 32
Die Kostenentscheidung bleibt der erstinstanzlichen Entscheidung vorbehalten, da der Fortsetzungsstreit kein Rechtsmittel ist, sondern ein Zwischenstreit im eigentlichen Streitverfahren (so auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30. August 2012 – L 2 AS 132/12; SächsLSG, Urteil vom 28. Februar 2013 – L 7 AS 523/09; abweichend: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. April 2013 – L 5 KR 605/12).
- 33
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
(1) Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das Sozialgericht zurückverweisen, wenn
- 1.
dieses die Klage abgewiesen hat, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, - 2.
das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und auf Grund dieses Mangels eine umfangreiche und aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist.
(2) Das Sozialgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. Januar 2012 wird aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass das erstinstanzliche Klageverfahren nicht durch eine fiktive Klagerücknahme erledigt und das Verfahren beim Sozialgericht Halle fortzuführen ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Sozialgericht bei Verfahrensabschluss vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Kläger wenden sich gegen die Feststellung, dass von ihnen beim Sozialgericht Halle (SG) betriebene Klageverfahren sei beendet, weil die Klage nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als zurückgenommen gelte.
- 2
Die anwaltlich vertretenen Kläger haben am 14. Juli 2010 Klage beim SG erhoben (Aktenzeichen: S 3 AS 4019/10) und als Klagegegenstand angegeben: "Endgültige Festsetzung des Leistungsanspruches nach SGB II; Leistungszeitraum 07 bis 12/2006". Als Antrag haben sie angekündigt: "1. den Bescheid vom 24.3.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.06.2010, zugegangen am 17.06.2010, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern Leistungen nach SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen." Unter der Überschrift "Begründung" waren die in Kopie der Klageschrift beigefügten Bescheide aufgeführt und es wurde ausgeführt, die Begründung bleibe einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten. Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 20. August 2010 den Antrag angekündigt, die Klage abzuweisen und ausgeführt, neue rechtserhebliche Gesichtspunkte seien nicht vorgetragen worden.
- 3
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2010 hat der Kammervorsitzende beim SG die Prozessbevollmächtigte der Kläger an die Übersendung einer Klagebegründung erinnert. In einem weiteren gerichtlichen Schreiben vom 25. Januar 2011 an die Prozessbevollmächtigte der Kläger hat der Kammervorsitzende dann ausgeführt: " ... habe Sie trotz mehrfacher Aufforderung bzw. Erinnerungen bis heute die Klage nicht begründet. Dies lässt den Schluss zu, dass an der Fortführung des Rechtsstreits kein Interesse besteht. Ferner führt dieses Nichtbetreiben des Verfahrens nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.03.2008, BGBl. I Seite 444, dazu, dass die Klage als zurückgenommen gilt. Sollte innerhalb einer Frist von drei Monaten ab Zustellung dieser Aufforderung keine weitere Äußerung von Ihnen hier eingehen, wird das Verfahren daher abgeschlossen. Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass ein Antrag auf Fristverlängerung nicht als Betreiben des Verfahrens gilt." Am Ende des Schreibens befindet sich unter der Grußformel die Unterschriftszeile "gez. I. - Richter am Sozialgericht". Ausweislich des zur Akte gelangten Empfangsbekenntnisses ist dieses Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Kläger am 20. Februar 2011 zugegangen.
- 4
Mit einem am 22. März 2011 beim SG eingegangenen Schreiben hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger mitgeteilt: Ein weiterer bisher neben ihr in der Kanzlei tätiger Rechtsanwalt, der fast ausschließlich die sozialrechtlichen Angelegenheiten bearbeitet habe, sei ausgeschieden. Sie müsse nun mit erheblichem zeitlichem Aufwand diese Mandate bearbeiten. Unter Beachtung dieser Situation bitte Sie, die gesetzte Frist bis zum 31. Mai 2011 zu verlängern. Mit Schreiben vom 30. Mai 2011 hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger dann den Antrag gestellt, die Frist noch einmal bis zum 30. Juni 2011 zu verlängern: Es habe sich die Notwendigkeit herausgestellt, mit den Klägern zu sprechen. Dies sei wegen totaler Arbeitsüberlastung noch nicht möglich gewesen.
- 5
Mit einer Verfügung vom 8. Juni 2011 hat der Kammervorsitzende beim SG dann die Erledigung des Verfahrens durch Rücknahme festgestellt und dies den Beteiligten mit Schreiben vom 21. Juni 2011 mitteilen lassen. Hiergegen hat sich für die Kläger deren Prozessbevollmächtigte mit Schreiben vom 5. Juli 2011 gewandt und ausgeführt: Sie habe nach der Betreibensaufforderung unter Hinweis auf die besondere Situation ihrer Kanzlei und die extreme Arbeitsbelastung um Verlängerung der Frist für die Begründung der Klage gebeten. Ein Rechtsverlust für die Kläger, wie er bei fingierter Rücknahme eintreten würde, sei hier unverhältnismäßig.
- 6
Das SG hat daraufhin das Verfahren unter neuen Aktenzeichen (S 3 AS 3771/11 WA) wiederaufgenommen und nach mündlicher Verhandlung mit Urteil vom 17. Januar 2012 festgestellt, der Rechtsstreit sei durch Klagerücknahme am 21. Mai 2011 beendet worden. In den Gründen hat das SG ausgeführt, die nach der Betreibensaufforderung durch das Gericht in der Dreimonatsfrist erfolgten Verlängerungsanträge hätten kein Betreiben des Rechtsstreits dargestellt.
- 7
Gegen das ihr am 10. März 2012 zugestellte Urteil hat die Prozessbevollmächtigte der Kläger am 22. März 2012 Berufung eingelegt und vorgetragen: Seitens des erstinstanzlichen Gerichts sei keine konkrete Aufforderung, z. B. bestimmte Unterlagen beizubringen, erfolgt. Es sei auch von ihr nach der Betreibensaufforderung dargelegt worden, dass ein Interesse der Kläger an der Fortführung des Verfahrens bestehe. Das SG habe den Ausnahmecharakter der Regelung in § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG verkannt.
- 8
Die Kläger beantragen sinngemäß,
- 9
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 17. Januar 2012 aufzuheben und festzustellen, dass das Klageverfahren nicht infolge einer nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz anzunehmenden Klagerücknahme beendet ist.
- 10
Der Beklagte hat sich in diesem Verfahren nicht inhaltlich geäußert.
- 11
Die Beteiligten haben sich jeweils mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
- 12
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
- 13
Der Senat konnte nach den §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die Berufung der Kläger hat Erfolg.
- 14
Die form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig. Insbesondere ist sie auch nach § 143 SGG statthaft. Die Berufung betrifft nicht eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt. Auch wenn das Begehren der Kläger letztlich auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) gerichtet ist, ist Gegenstand dieses Verfahrens ausschließlich die Frage, ob das Klageverfahren beendet ist. Deshalb greift die mögliche Beschränkung der Zulässigkeit nach § 144 Abs. 1 SGG nicht ein.
- 15
Die Berufung ist begründet, denn anders als vom SG angenommen, liegen die Voraussetzungen für die Fiktion einer Klagerücknahme nach § 102 Abs. 2 Satz 1 SGG nicht vor. Nach dieser mit dem Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26. März 2008 (BGBl. I 444) mit Wirkung vom 1. April 2008 in das SGG eingefügten Norm gilt die Klage als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz einer Aufforderung des Gerichts länger als drei Monate nicht betreibt. Greift die Rücknahmefiktion ein, ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt (§ 102 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 SGG).
- 16
Voraussetzung für die Rücknahmefiktion ist zunächst eine Betreibensaufforderung durch das Gericht. Zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung muss - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal - nach dem prozessualen Verhalten des klagenden Beteiligten hinreichend Anlass bestehen, von einem Wegfall des Rechtsschutzinteresses auszugehen. Denn bei der fingierten Klagerücknahme handelt es sich um einen gesetzlich geregelten Unterfall des Wegfalls des Rechtsinteresses (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 1. Juli 2010, B 13 R 58/09 R, zitiert nach juris, Rdnr. 15 und 46 mit weiteren Hinweisen).
- 17
Der Senat geht mit dem SG davon aus, dass zum Zeitpunkt der Betreibensaufforderung hinreichender Anlass bestand, von einem Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für die Klage auszugehen. Denn ausreichend sind hinreichend konkrete, auf sachlich begründeten Anhaltspunkten beruhende Zweifel an einem Fortbestand des Rechtsschutzbedürfnisses. Diese können sich aus dem fallbezogenen Verhalten der Kläger, aber auch aus der Verletzung prozessualer Mitwirkungspflichten ergeben (so auch LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 30. August 2011, L 9 AS 61/10, zitiert nach juris, Rdnr. 28f.). Ein sicherer, über begründete Zweifel am Fortbestand des Rechtsschutzinteresses hinausgehender Schluss ist nicht erforderlich (vgl. Beschluss des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vom 7. Juli 2005, 10 BN 1/05, zur vergleichbaren Regelung in § 92 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), zitiert nach juris, Rdnr. 4). Aus der Klageschrift, mit der die Klage am 14. Juli 2010 erhoben wurde, ging zwar hervor, dass Klagegegenstand wohl der Anspruch auf (höhere) Leistungen nach dem SGB II sein sollte. In welchem Umfang und mit welcher Begründung höhere Leistungen begehrt wurden, war aber nicht erkennbar. Insofern wurde nicht deutlich, welche Interessen genau mit der Klage verfolgt werden sollten. Trotz der Aufforderung zur Klagebegründung Anfang Oktober 2010 war dann bis zu der mit Schreiben von 25. Januar 2011 ergangenen Betreibensaufforderung keine Reaktion der Prozessbevollmächtigen des Klägers erfolgt. Dies war geeignet, ein mangelndes Interesse der Kläger an der Fortführung des Klageverfahrens zu indizieren.
- 18
Letztlich kann aber hier offen bleiben, ob die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für die mit einer wirksamen Fristsetzung (zu den Formerfordernissen siehe das oben zitierte Urteil des BSG vom 1. Juli 2010, Rdnr. 48f.) verbundene Betreibensaufforderung vorlagen. Denn innerhalb der ab Zugang der Betreibensaufforderung bei der Prozessbevollmächtigen der Kläger am 20. Februar 2011 in Gang gesetzten Dreimonatsfrist haben die Kläger das Verfahren betrieben, so dass die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Rücknahmefiktion nach § 102 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht erfüllt werden konnten.
- 19
Das SGG enthält keine Definition des Begriffs des Betreibens. Von der Wortbedeutung und dem Zusammenhang her liegt es nahe, unter einem Betreiben ein aktives Handeln zu verstehen, dass grundsätzlich geeignet ist, das Verfahren im Sinn auf eine Entscheidungsreife hin zu fördern. Allerdings muss die Auslegung des Begriffs auch dem besonderen Ausnahmecharakter der Rücknahmefiktion gerecht werden, die bei ihrer Auslegung und Anwendung zu beachten ist (siehe dazu das oben zitierte Urteil des BSG vom 1. Juli 2010, Rdnr. 42 mit weiteren Nachweisen). Die Betreibensaufforderung hat den Sinn, die Zweifel am Fortbestehen des Rechtsschutzinteresses innerhalb der gesetzten Frist zu klären. Ein Betreiben innerhalb der durch die Betreibensaufforderung in Gang gesetzten Frist liegt deshalb auch dann vor, wenn substantiiert dargetan wird, dass und warum das Rechtsschutzbedürfnis trotz des Zweifels an seinem Fortbestehen, aus dem sich die Betreibensaufforderung ergeben hat, nicht entfallen ist (vgl. Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 19. Mai 1993, 2 BvR 1972/92, zur Auslegung des Begriffs des Betreibens in der vergleichbaren Regelung in § 33 Asylverfahrensgesetzes (AsylVfg) a. F., zitiert nach juris, Rdnr. 14 u. 16). Dies wurde auch vom Gesetzgeber bei der Schaffung des § 102 SGG so gesehen. In der Begründung des Gesetzesentwurfs wird ausgeführt, ein Nichtbetreiben im Sinne des Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift liege dann vor, wenn sich der Kläger auf die Aufforderung des Gerichts nicht oder nur unzureichend innerhalb der drei Monate äußere, sodass nicht oder nur unzureichend dargelegt sei, dass das Rechtsschutzinteresse ungeachtet der vorliegenden Indizien fortbesteht (BT-DRs. 16/7716, S. 19 zu Nummer 17 (§ 102)). Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es im Sinne der Vorschrift für ein Betreiben ausreicht, mit hinreichender Deutlichkeit darzulegen, dass ein Rechtsschutzinteresse trotz der zur Betreibensaufforderung führenden Umstände weiter besteht. Vor diesem Hintergrund werden für ein Betreiben ein unbegründeter Fristverlängerungsantrag oder die einfache Mitteilung, das Verfahren solle fortgeführt werden, nicht ausreichen. Ausreichend ist aber die Darlegung, warum aus den für die Betreibensaufforderung maßgeblichen Umständen im konkreten Fall nicht auf ein fehlendes Interesse an der Fortführung des Rechtsstreits geschlossen werden kann. Welche Anforderungen dabei an die Substantiierung der Darlegung zu stellen sind, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.
- 20
Im konkreten Fall liegt jedenfalls eine ausreichend substantiierte Darlegung im oben bezeichneten Sinne vor. Aus dem am 22. März 2011 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Kläger ergab sich eindeutig, dass ein Interesse der Kläger an der Fortführung des Verfahrens weiter bestand und eine inhaltliche Berufungsbegründung bisher nur aufgrund der hohen Arbeitsbelastung der Prozessbevollmächtigten der Kläger unterblieben war. Die hohe Arbeitsbelastung wurde nachvollziehbar mit der besonderen Situation der Kanzlei nach dem Ausscheiden des bisher die sozialrechtlichen Mandate betreuenden Rechtsanwalts begründet. Der Eingang dieses Schreibens lag auch innerhalb der am 20. Februar 2011 in Gang gesetzten Dreimonatsfrist.
- 21
Die Kostenentscheidung bleibt der erstinstanzlichen Entscheidung vorbehalten.
- 22
Gesetzliche Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tenor
Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 3.2.2012 wird aufgehoben. Das Klageverfahren des Klägers S 13 KR 1110/11 ist fortzuführen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
|
Entscheidungsgründe
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
|
Gründe
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
| |||||
|
| ||||
| |||||
| |||||
|
(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.