Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht Beschluss, 01. März 2018 - L 5 AR 202/17 B KO
Gericht
Tenor
Die Sache wird wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat in der Besetzung mit 3 Richtern übertragen (Entscheidung des Einzelrichters – Vorsitzender Richter am Landessozialgericht ...).
Auf die Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Sozialgerichts Lübeck vom 2. August 2017 abgeändert und die Vergütung des Beschwerdegegners für das Gutachten vom 1. Juli 2015 in dem Klageverfahren S 48 R 713/13 auf 1.293,86 EUR festgesetzt.
Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.
Das Verfahren ist gebührenfrei.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
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Streitig ist die Vergütung eines Gutachtens, dass der Beschwerdegegner im Rahmen des Klageverfahrens S 48 R 713/13 vor dem Sozialgericht Lübeck erstellt hat. Streitgegenstand dieses Klageverfahrens war die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. In dem Verfahren hatte der Beschwerdegegner aufgrund der Beweisanordnung vom 30. Oktober 2014 sein Gutachten vom 1. Juli 2015 schriftlich erstattet und mit Kostenrechnung vom gleichen Tag 1.383,11 EUR geltend gemacht. Dabei hat er seiner Abrechnung insgesamt abgerundet 15 Stunden á 75,00 EUR als Zeitaufwand zugrunde gelegt, davon 8,54 Stunden für die Ausarbeitung und Abfassung des Gutachtens. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die Vergütung auf einem Gesamtbetrag von 1.204,78 EUR gekürzt und dies damit begründet, dass bei der Vergütung der Anzahl der Stunden für die Abfassung des Gutachtens nur 6,3 Stunden als ausreichend anzusehen seien, weil der darüber hinaus gehende Inhalt lediglich Akteninhalt wiedergebe.
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Hiergegen hat der Beschwerdegegner die richterliche Kostenfestsetzung beantragt und darauf hingewiesen, dass die von der Urkundsbeamtin herausgerechneten Inhalte in dem Gutachten zum Verständnis der Beantwortung der Beweisfragen notwendig gewesen seien.
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Der Kostenprüfungsbeamte bei dem Schleswig–Holsteinischen Landessozialgericht hat die Auffassung vertreten, dass lediglich ein Betrag von 1.160,54 EUR festzusetzen sei, weil der erforderliche Zeitaufwand für die Abfassung des Gutachtens lediglich mit 5,77 Stunden zu berücksichtigen sei. Hierzu hat der Kostenprüfungsbeamte zu den jeweiligen Seiten die zu berücksichtigende Zeilen mengenmäßig benannt. Die weiteren Zeilen gäben nur den Akteninhalt wieder und seien insoweit herauszufiltern. Porto sei allerdings mit 1,00 EUR anzusetzen.
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Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 2. August 2017 die Entschädigung auf insgesamt 1.383,11 EUR festgesetzt. Entgegen der Auffassung der Kostenprüfungsbeamten seien keine Zeilen herauszunehmen, da deren Inhalte zum Verständnis der gutachterlichen Bewertung erforderlich gewesen seien.
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Gegen den ihm am 10. August 2017 zugestellten Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers vom 14. August 2017, in der er zur Begründung auf seinen bisherigen Vortrag verweist.
II.
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Die Entscheidung zur Übertragung der Sache auf den Senat mit seinen Berufsrichtern beruht auf § 4 Abs. 7 Satz 2 und 3 JVEG. Danach überträgt der Einzelrichter das Verfahren dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Letzteres ist der Fall. Der Senat nimmt dieses Verfahren zum Anlass, seine Rechtsprechung zur Frage des angemessenen Zeitaufwands für die Erstellung eines Gutachtens zu ergänzen und zu konkretisieren.
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Die Beschwerde des Beschwerdeführers ist zulässig. Insbesondere wird der Beschwerdewert von 200,00 EUR (§ 4 Abs. 3 JVEG) erreicht.
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Die Beschwerde ist auch teilweise begründet. In dem angefochtenen Beschluss des Sozialgerichts Lübeck ist die Entschädigung des Beschwerdegegners zu hoch festgesetzt, weil darin für die Abfassung des Gutachtens eine zu hohe Stundenzahl zugrunde gelegt wird. Auf der anderen Seite ist die von der Urkundsbeamtin und dem Kostenprüfungsbeamten vorgenommene Kürzung der Stundenzahl für die Abfassung des Gutachtens zu hoch. Die vom Beschwerdegegner geltend gemachte Gesamtvergütung für das von ihm zu erstattende Gutachten ist auf insgesamt 1.293,86 EUR festzusetzen. Dazu im Einzelnen:
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Hinsichtlich der Festsetzung des Sachverständigenhonorars und hier insbesondere die dafür zugrunde zu legende Stundenzahl für die Ausarbeitung des Gutachtens, hat der Senat in mehreren Beschlüssen Grundsätze aufgestellt (vgl. dazu etwa Beschluss vom 8. Oktober 2012 – L 5 SF 64/11 KO – und – L 5 SF 93/11 KO –). Diese Rechtsprechung hat er in späteren Beschlüssen bestätigt (z.B. Beschluss vom 11. Februar 2016 – L 5 SF 38/14 B KO –). Zum zu ermittelnden Zeitaufwand für die Ausarbeitung des Gutachtens ist hinsichtlich der dafür anzurechnenden Stundenzahl die Anzahl der Standardseiten maßgebend. Wie die Standardseite zu errechnen ist, hat der Kostenprüfungsbeamte grundsätzlich zutreffend wiedergegeben. Gleiches gilt für das Sozialgericht in dem angefochtenen Beschluss. Die unterschiedlich errechnete Stundenzahl für die Abfassung des Gutachtens folgt vielmehr aus der Bewertung der hierfür zugrunde zu legenden Seiten 13 – 21 und ob diese ohne Einschränkung für die Stundenberechnung zugrunde zu legen sind. In diesem Zusammenhang hat der Senat in seinen bisherigen Beschlüssen darauf hingewiesen, dass Teile des Gutachtens für die Bemessung der Zeit der Ausarbeitung des Gutachtens nicht herangezogen werden, wenn Akteninhalt, Anamnese oder Befund oder das Literaturverzeichnis lediglich wiedergegeben werden und dies nicht zwingend notwendig für das Verständnis der gutachterlichen Bewertung erforderlich ist (siehe dazu insbesondere den Beschluss des Senats vom 25. März 2014 – L 5 SF 89/13 KO –).
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Diese Grundsätze der Kostenberechnung für Gutachten konkretisiert der Senat wie folgt: Grundsätzlich ist bei der Berechnung des Zeitaufwands des Sachverständigen von der Richtigkeit seiner Angaben über die tatsächlich benötigte Zeit auszugehen. Erst wenn gewichtige Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dies nicht der Fall ist, ist eine Kürzung vorzunehmen. Solche „gewichtigen“ Anhaltspunkte liegen nicht bereits dann vor, wenn nur einzelne Sätze im Gutachten keine nähere Begründung enthalten, die für das Gericht bei seiner Entscheidungsfindung von Bedeutung sind. Um solche Gutachtenteile bei der zeitlichen Bewertung des Gutachtens unberücksichtigt zu lassen, bedarf es vielmehr eines relevanten nennenswerten Mindestumfangs, bezogen auf das Gutachten insgesamt. Dabei kann die in der Rechtsprechung vertretenen Grenze von 15 Prozent (Beschluss des Landessozialgerichts Thüringen vom 21. Dezember 2006 – L 6 B 22/06 SF), auf die auch der angefochtene Beschluss Bezug nimmt, durchaus als Orientierung herangezogen werden.
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Darüber hinaus ist die Kürzung umfassend durch die kürzende Stelle zu begründen, auch um dem Sachverständigen die Möglichkeit zu geben, ggf. ergänzend seine Kostenrechnung zu begründen. Dafür reicht es nicht aus, wenn die Kürzung lediglich pauschal damit begründet wird, dass einzelne Seiten des Gutachtens oder Teile von diesen lediglich die Wiedergabe des Akteninhalts enthalten, ohne diese Teile näher zu bezeichnen. Es sind zur Begründung der Kürzung vielmehr die Gutachtenteile genau darzustellen, die etwa wegen bloßer Wiedergabe des Akteninhalts gekürzt werden.
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Vor diesem Hintergrund ist die Begründung der Urkundsbeamtin in dem Festsetzungsbeschluss schon deshalb unzureichend, weil nicht einmal die Anzahl der Zeilen mitgeteilt wird, um die die einzelnen Seiten des Gutachtens gekürzt werden. Letztlich gilt gleiches aber auch für die Kürzung durch den Kostenprüfungsbeamten, der für die einzelnen Seiten 13 – 21 zwar jeweils die Anzahl der zu berücksichtigenden Zeilen mitteilt, dies aber pauschal ohne Konkretisierung, welche Zeilen davon erfasst werden und die Kürzung des restlichen Inhalts allein mit: „Rest: Wiedergabe des Akteninhalts“ begründet. Auch eine solche Begründung ermöglicht nicht nachzuvollziehen, welche Teile des Gutachtens bei der Kostenberechnung unberücksichtigt bleiben. Zudem vermag der Senat nicht zu erkennen, dass einzelne Zeilen bei der Ausarbeitung des Gutachtens nicht zu berücksichtigen sind. Denn regelmäßig können einzelne Sätze schon deshalb nicht unberücksichtigt bleiben, weil durch ihre Herausnahme das Verständnis des Gutachtens dann nicht mehr gewährleistet ist. Außerdem wird es regelmäßig an dem geforderten nennenswerten Mindestumfang (s. o.) der zu beanstandenden Gutachtenteile fehlen.
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Allein für Seite 18 und Beginn der Seite 19 sind die Angaben ausreichend konkret, da hier das Gutachten weit überwiegend lediglich Akteninhalte wiedergibt, ohne dass dies erkennbar für das Verständnis des Gutachtens erforderlich ist. Diese Gutachtenteile (insgesamt 1 Seite) haben daher bei der Berechnung für die Abfassung des Gutachtens unberücksichtigt zu bleiben. Darüber hinaus ist die Kürzung durch den Kostenprüfungsbeamten auch deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Seiten ohne eine Kürzung eine Zeilenanzahl enthalten, die der jeweiligen tatsächlichen Seite nicht entsprechen. Beispielhaft benennt hier der Senat Seite 15. Für sie setzt der Kostenprüfungsbeamte lediglich 31 Zeilen für die Bemessung der Stundenzahl an, obwohl Seite 15 eine höhere Zeilenzahl enthält. Sollte die Kürzung im Hinblick darauf vorgenommen worden sein, dass wegen der Gestaltung der Seite einzelne Zeilen z. B. zum Ende eines Absatzes nicht voll beschrieben sind, so weist der Senat darauf hin, dass dies nichts an dem Wesen als Standardseite ändert. Erst wenn Absätze oder Freizeilen willkürlich gesetzt werden, sind diese bei der Bemessung der Standardseite herauszurechnen. Davon ist aber bei der Seite 15 nicht auszugehen.
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Dies zugrunde gelegt, kommt der Senat lediglich unter Berücksichtigung der Kürzung einer Seite zu folgender angemessener Vergütung:
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14 Stunden á 75,00 EUR
0,91 Stunden Aktenstudium,
2,25 Stunden Anamneseerhebung,
7,5 Stunden Ausarbeitung und Abfassung des Gutachtens,
3,37 Stunden Diktat und Korrektur
= 14 Stunden – abgerundet –
1.050,00 EUR
Schreibauslagen
36,44 EUR
Zwischensumme
1.086,44 EUR
Umsatzsteuer
206,42 EUR
Portoauslagen
1,00 EUR
Gesamtbetrag
1.293,86 EUR
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In Höhe dieses Gesamtbetrages ist die Vergütung des Beschwerdegegners mithin festzusetzen.
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Das Verfahren ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet (§ 4 Abs. 8 JVEG).
Annotations
(1) Die Festsetzung der Vergütung, der Entschädigung oder des Vorschusses erfolgt durch gerichtlichen Beschluss, wenn der Berechtigte oder die Staatskasse die gerichtliche Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält. Eine Festsetzung der Vergütung ist in der Regel insbesondere dann als angemessen anzusehen, wenn ein Wegfall oder eine Beschränkung des Vergütungsanspruchs nach § 8a Absatz 1 oder 2 Satz 1 in Betracht kommt. Zuständig ist
- 1.
das Gericht, von dem der Berechtigte herangezogen worden ist, bei dem er als ehrenamtlicher Richter mitgewirkt hat oder bei dem der Ausschuss im Sinne des § 1 Abs. 4 gebildet ist; - 2.
das Gericht, bei dem die Staatsanwaltschaft besteht, wenn die Heranziehung durch die Staatsanwaltschaft oder in deren Auftrag oder mit deren vorheriger Billigung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde erfolgt ist, nach Erhebung der öffentlichen Klage jedoch das für die Durchführung des Verfahrens zuständige Gericht; - 3.
das Landgericht, bei dem die Staatsanwaltschaft besteht, die für das Ermittlungsverfahren zuständig wäre, wenn die Heranziehung in den Fällen des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 durch die Finanzbehörde oder in deren Auftrag oder mit deren vorheriger Billigung durch die Polizei oder eine andere Strafverfolgungsbehörde erfolgt ist, nach Erhebung der öffentlichen Klage jedoch das für die Durchführung des Verfahrens zuständige Gericht; - 4.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk der Gerichtsvollzieher seinen Amtssitz hat, wenn die Heranziehung durch den Gerichtsvollzieher erfolgt ist, abweichend davon im Verfahren der Zwangsvollstreckung das Vollstreckungsgericht.
(2) Ist die Heranziehung durch die Verwaltungsbehörde im Bußgeldverfahren erfolgt, werden die zu gewährende Vergütung oder Entschädigung und der Vorschuss durch gerichtlichen Beschluss festgesetzt, wenn der Berechtigte gerichtliche Entscheidung gegen die Festsetzung durch die Verwaltungsbehörde beantragt. Für das Verfahren gilt § 62 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 1 können der Berechtige und die Staatskasse Beschwerde einlegen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt oder wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt.
(4) Soweit das Gericht die Beschwerde für zulässig und begründet hält, hat es ihr abzuhelfen; im Übrigen ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Beschwerdegericht ist das nächsthöhere Gericht. Eine Beschwerde an einen obersten Gerichtshof des Bundes findet nicht statt. Das Beschwerdegericht ist an die Zulassung der Beschwerde gebunden; die Nichtzulassung ist unanfechtbar.
(5) Die weitere Beschwerde ist nur zulässig, wenn das Landgericht als Beschwerdegericht entschieden und sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zugelassen hat. Sie kann nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht; die §§ 546 und 547 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend. Über die weitere Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. Absatz 4 Satz 1 und 4 gilt entsprechend.
(6) Anträge und Erklärungen können ohne Mitwirkung eines Bevollmächtigten schriftlich eingereicht oder zu Protokoll der Geschäftsstelle abgegeben werden; § 129a der Zivilprozessordnung gilt entsprechend. Für die Bevollmächtigung gelten die Regelungen der für das zugrunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensordnung entsprechend. Die Beschwerde ist bei dem Gericht einzulegen, dessen Entscheidung angefochten wird.
(7) Das Gericht entscheidet über den Antrag durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter; dies gilt auch für die Beschwerde, wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde. Der Einzelrichter überträgt das Verfahren der Kammer oder dem Senat, wenn die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist oder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Das Gericht entscheidet jedoch immer ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter. Auf eine erfolgte oder unterlassene Übertragung kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden.
(8) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.
(9) Die Beschlüsse nach den Absätzen 1, 2, 4 und 5 wirken nicht zu Lasten des Kostenschuldners.
Entscheidungen des Landessozialgerichts, seines Vorsitzenden oder des Berichterstatters können vorbehaltlich des § 160a Abs. 1 dieses Gesetzes und des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.