Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. März 2017 - L 6 U 1971/16

bei uns veröffentlicht am09.03.2017

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. März 2016 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beklagte wendet sich gegen eine Verurteilung zu einer Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 vom Hundert (v. H.).
Der 1963 geborene Kläger zog sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Monteur/Maschinenbau am 18. Juli 2012 eine Ruptur der distalen Bizepssehne zu, als er beim Versuch des Wegziehens eines Förderbandes abrutschte und sich den rechten Arm verdrehte. Mit dem Rettungsdienst wurde er ins Krankenhaus N. gefahren, wo er zunächst mit einem Gips versorgt wurde. Am 19. Juli 2012 begab er sich in Behandlung in die Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Tübingen (im folgenden BG-Klinik), die am 26. Juli 2012 eine operative Refixation der distalen Bizepssehne rechts mit anschließendem schwierigen Heilungsverlauf vornahm.
Die Beklagte holte zunächst eine beratungsärztliche Stellungnahme bei Prof. Dr. D., Klinik am E., ein, der in Auswertung der Röntgenaufnahmen vom 18. Juli 2012 wie der Magnetresonanztomographie (MRT) vom 25. Juli 2012 zu dem Ergebnis gelangte, dass als frische Unfallverletzungen eine Ruptur der distalen Bizepssehne mit vollständiger Ablösung vom Absatz an, lokalem Bluterguss und Retraktion der abgelösten Sehne, ein geringgradiger Gelenkerguss und ausgedehnte umgebende Weichteil-Einblutungen an der Beugeseite des Ellenbogens vorlägen (Bl. 39 V-Akte).
Nach Narbenmobilisation mit langsamer Belastungssteigerung zeigten sich bei der Kontrolluntersuchung vom 27. September 2012 zwar reizlose Haut- und Weichteilverhältnisse, jedoch starke Verklebungen und Verhärtungen im Bereich der Bizepssehne mit deutlichem Druckschmerz und weiterhin eingeschränkter Beweglichkeit bei deutlichem Taubheitsgefühl im Bereich des ulnarseitigen Unterarmes sowie dorsalseitig in den Fingern I bis III. Der Kläger war weiterhin arbeitsunfähig (Bericht Prof. Dr. St. vom 1. Oktober 2012,).
Ab dem 29. Oktober 2012 begab sich der Kläger in Absprache mit der Beklagten in Aufsichtstätigkeit für drei Wochen nach Russland, dies unter Vermeidung von körperlicher Tätigkeit, insbesondere Heben und Tragen von Lasten über 25 kg. Dann war eine erneute operative Revision bei Narbeninduration mit entsprechender Beschwerdesymptomatik geplant. Formal war er bis auf weiteres arbeitsunfähig (Bericht Prof. Dr. St. vom 18. Oktober 2012).
Die Korrektur der hypertrophen Narben der rechten Ellenbeuge (Vernarbungen so stark, dass eine vollständige Streckung nicht möglich, außerdem starke Nervenirritationen des Nervus radialis) wurde am 5. Dezember 2012 ebenfalls in der BG-Klinik durchgeführt. Der Kläger wurde bis 10. Dezember 2012 stationär behandelt (Bericht Prof. Dr. St. vom 10. Dezember 2012).
In der Folgezeit ließ sich das Nahtmaterial nicht ziehen, der Faden steckte in der Mitte der Narbe fest, der verbliebene Fadenrest wurde am 18. Januar 2013 unter sterilen Bedingungen in der BG-Klinik „geborgen“, das bekannte Sensibilitätsdefizit im Versorgungsgebiet des Nervus radialis bestand fort. Der Kläger nahm im Januar 2013 zwar seine Arbeit wieder auf, sein Arbeitgeber musste ihm aber zwei Kollegen zur Seite stellen, so dass er sich am 2. Mai 2013 in der Rehabilitationssprechstunde vorstellte. Dabei imponierte eine wulstige Narbe in der Ellenbeuge, der Bizepsmuskel beginne etwa 8 cm oberhalb der Ellenbeuge (Gegenseite 4 cm), es liege ein Streckdefizit von ca. 20° und eine deutliche Kraftminderung des rechten Bizeps vor. Die Rehabilitationsberatung kam zu dem Ergebnis, dass die mehrfach durchgeführten Operationen am rechten Arm mit Verhärtung der Narbe und bereits vorliegender Nervenreizung keine weitere Operationsempfehlung nach sich ziehen könnten. Der Kläger solle Krankengymnastik durchführen und der Befund noch einmal durch ein MRT ausgewertet werden. Gleichzeitig holte die Beklagte eine Arbeitsplatzbeschreibung ein, wonach der Kläger als Schweißer oft über Kopf arbeiten müsse und dabei Gewichte von über 50 kg bewege. PD Dr. B., BG-Klinik, berichtete anschließend, dass die Kernspintomographie eine nach wie vor deutlich retrahierte Bizepssehne mit hartem Gewebe zeige, der Muskelbauch sei deutlich proximalisiert und beim Anspannen eine Sehnenplatte palpabel. Die Supination gegen Widerstand sei schmerzhaft, die Fingerstreckung frei. Die Beweglichkeit betrage 0-20-120 Grad, Pro- und Supination sei bis 70-0-80 Grad möglich. Anlässlich der Vorstellung vom 31. Mai 2013 in der BG-Klinik wurde dem Kläger neben intensiver Physiotherapie im Sinne einer komplex-stationären Rehabilitation (KSR) das Schmerzmittel Lyrica 75 1-0-1 sowie Ultraschall und Lasertherapie zur Lockerung des Narbengewebes verordnet.
Ab dem 4. Juli 2013 führte der Kläger dann die stationäre Rehabilitationsbehandlung in der BG-Klinik durch. Die neurologisch-psychiatrische Begutachtung ergab eine Teilschädigung des Nervus medianus auf Höhe des Ellenbogens rechts mit ausgeprägten Narben und Verwachsungen. Der Muskelbauch des Bizeps sei insgesamt um 6 cm nach proximal verschoben, so dass gut denkbar sei, dass eine Nervenschädigung eingetreten sei. Es bestünden geringgradige motorische und sensible Defizite im weiteren körperfernen Versorgungsgebiet des Nervus medianus, zudem eine Gefühlsstörung im Versorgungsgebiet des Nervus radialis rechts. Die Kraftentfaltung beim Faustschluss rechts sei deutlich eingeschränkt, die Supination rechts um 20 Grad, links um 10 Grad limitiert, wobei die Muskulatur an den Armen seitgleich und kräftig ausgeprägt sei (Bericht Prof. Dr. St., Bl. 167 ff. V-Akte). Die stationäre Behandlung dauerte bis zum 13. August 2013 an, wobei keine durchgreifende und entscheidende Verbesserung der Beschwerdesymptomatik erzielt werden konnte. Die Beweglichkeit sei geringgradig verbessert worden, allerdings nicht die Kraftsteigerung in der Armbeuge, die für die Tätigkeit des Mechanikers auf Montage erforderlich sei, weshalb der Kläger in seiner angestammten beruflichen Tätigkeit als dauerhaft arbeitsunfähig eingestuft werde. Er erhielt zusätzlich die Schmerzmittel Ibuprofen 600 mg, dreimal täglich, und Pantozol 40 mg, einmal täglich (Bericht Prof. Dr. K.).
Die Beklagte ließ den Kläger daraufhin chirurgisch und neurologisch-psychiatrisch begutachten. Prof. Dr. St. gelangte aufgrund der Untersuchung vom 1. Oktober 2013 zu der Einschätzung, die unfallbedingte MdE sei auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet auf weniger als 10 v. H. zu bewerten, sie gehe in der chirurgischen MdE vollständig auf. Zwar werde ein Beugedefizit bis 90 Grad gezeigt, ein Streckdefizit bis 30 Grad, der Bewegungsumfang sei indessen weitaus besser. Es fänden sich aber an den Händen überraschend sehr ausgeprägte Arbeitsspuren und kräftige Schwielen über sämtlichen Fingergrundgelenken, welches auf einen regelmäßigen und kräftigen Einsatz beider Hände hindeute und mit den dargebotenen Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu vereinbaren sei.
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Prof. Dr. St. kam indessen aufgrund der Untersuchung vom 18. November 2013 in einem für die A. Versicherungs-AG erstellten Gutachten zu dem Ergebnis, dass eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks bei ausgeprägter Vernarbung nach stattgehabter Bizepssehnen-Refixation einer distalen Bizepssehnenruptur mit persistierenden Gefühlsstörungen im Versorgungsgebiet des Nervus radialis sowie bestehender Teilschädigung des Nervus medianus auf Höhe des rechten Ellenbogens vorliege. Der Körperschaden (Invalidität nach Gliedertaxe) betrage 1/5 Armwert. Die Messwerte des Ellenbogengelenks Streckung/Beugung lägen rechts bei 0-30-100, links bei 0-10-140 Grad.
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Der Kläger holte hierzu noch eine Zweitmeinung ein und ließ sich am 4. November 2013 bei dem Durchgangsarzt K. untersuchen. Dieser stellte ausgeprägte Einziehungen, Vernarbungen und einen Druckschmerz im Bereich der Beugefalte des Ellenbogens mit Induration des Gewebes fest. Die Beweglichkeit sei schmerzhaft eingeschränkt, 0-20-100 Grad aktiv, 0-20-120 Grad passiv, Umwendung 10-0-60 Grad aktiv, 30-0-70 Grad passiv. Auch imponiere eine deutliche Kraftminderung für die Ellenbogenbeugung und Supination. Der Muskelbauch des Musculus biceps brachii sei deutlich proximalisiert. Es lägen Dysästhesien und Parästhesien im Bereich der rechten Hand mit dem Nachweis einer Partialläsion des Nervus medianus und Nervus radialis vor. Der Kläger verfüge beidseitig über eine sehr gute Muskulatur, allerdings habe er Bilder aus der Zeit vor der Verletzung vorgelegt, wonach noch eine weitaus ausgeprägtere Muskulatur bestanden hab;, laut dem Kläger habe der Muskelumfang 47 cm am Oberarm betragen. Die Beschwerden seien in jedem Fall glaubhaft und erheblich. Eine Refixation der distalen Bizepssehne sei seiner Erfahrung nach zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr möglich, das Ergebnis anderer möglicher Operation nicht sicher zu prognostizieren.
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Mit Bescheid vom 6. März 2014 gewährte die Beklagte dem Kläger ab 21. Dezember 2012 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer MdE von 25 v. H. Dem lag die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. F. vom 31. Dezember 2012 zugrunde, der wegen der Re-Ruptur der distalen Bizepssehne mit erheblichem Kraftverlust für die Beugung im Ellenbogen die Bewegungseinschränkungen in Anbetracht der umfangreichen Narben für gut erklärbar gehalten und deswegen dem Vorschlag der Sachbearbeitung, unter zusätzlicher Berücksichtigung der Reizung eines Hautnervs eine Gesamt-MdE um 25 v. H. anzunehmen, zugestimmt hatte. Als Unfallfolgen hatte die Beklagte Bewegungseinschränkungen im Ellenbogengelenk, belastungsabhängige Schmerzen, eine verminderte Berührungs- und Schmerzwahrnehmung am Unterarm bei Reizung eines Hautnervs (Nervus cutaneus antebrachii) sowie eine Verhärtung des Narbengewebes am Ellenbogen mit anschließender operativer Narbenkorrektur nach operativ versorgtem Riss der körperfernen Bizepssehne mit nachfolgendem erneuten Reißen der Sehne festgestellt.
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Um die Gewährung einer Rente auf unbestimmte Zeit zu prüfen, ließ die Beklagte den Kläger neurologisch und unfallchirurgisch begutachten. Der Neurologe und Psychiater Dr. K. kam zu dem Ergebnis, dass die neurologische MdE weiter mit 10 v. H. aufgrund der Störung des sensiblen Nervus radialis rechts einzuschätzen sei. Es lägen keine Hinweise auf eine Muskelatrophie oder latente Paresen vor (Gutachten vom 3. Februar 2015). Prof. Dr. St. beschrieb eine ausgeprägte Bewegungseinschränkung des rechten Ellenbogengelenks bei Vernarbungen nach stattgehabter Bizepssehnen-Refixation einer distalen Bizepssehnenruptur mit nachfolgender Arthrolyse sowie hochstehendem Bizepssehnen-Bauch, wodurch auf unfallchirurgischem Fachgebiet eine MdE von 20 v. H. begründet werde (Gutachten vom 2. März 2015). Die Ellenbogengelenke könnten rechts bis 0-40-110 Grad, links 5-0-135 Grad gestreckt/gebeugt werden. Bei der Palpation im Bereich des rechten Ellenbogens fände sich eine derbe Narbenplatte, der Muskelbauch des Bizeps brachialis stehe deutlich nach oben verzogen. Im Seitenvergleich lägen keine Hinweise auf Blutumlaufstörungen, keine trophischen Störungen vor, die Hohlhand-Beschwielung sei seitengleich, die grobe Kraft entfalte sich annähernd seitengleich. Bei der Beurteilung der Bewegungsmaße sei eine rechtsseitig diskret eingeschränkte Schultergelenksbeweglichkeit festzustellen, bei der Bestimmung der Umfangmaße der oberen Extremität ergäben sich keine signifikanten Umfangsdifferenzen. Die Gesamt-MdE müsse nach Eingang des neurologischen Gutachtens bewertet werden. Diese Expertise wurde indessen Prof. Dr. St. nicht zugeleitet.
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Stattdessen gewährte die Beklagte dem Kläger nach vorangegangener Anhörung mit Bescheid vom 23. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015 ab dem 1. Mai 2015 an Stelle der bisherigen Rente als vorläufige Entschädigung eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 20 v. H. Zur Begründung führte die Beklagte aus, bei der Feststellung der Rente auf unbestimmte Zeit müsse im Vergleich zur Bewilligung der vorläufigen Rente keine Änderung vorliegen. Dem Gutachten des Dr. K. könne nicht gefolgt werden, da keine komplette Nervenläsion vorliege. Die Reizung des Hautnerv sei berücksichtigt worden. Diese begründe jedoch keine neurologische Teil-MdE von 10 v. H.
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Hiergegen hat der Kläger am 30. Juli 2015 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben, zu deren Begründung er ergänzend vorgetragen hat, es bestehe nach wie vor eine deutlich retrahierte Bizepssehne mit hartem Gewebe und Kraftminderung, er müsse deswegen sehr viele Schmerzmittel einnehmen, könne aber keine weitere Operation riskieren, denn die Ärzte rieten davon ab. Prof. Dr. St. sei fälschlicherweise zu dem Ergebnis gelangt, dass eine Nervenschädigung nicht mehr zu objektivieren sei, sein Beschwerdebild habe sich nicht gebessert. Er habe vielmehr seine Haupthand auf links umstellen müssen, da über die Kraftentfaltung keine Kontrolle mehr bestehe, er deswegen Gegenstände nicht mehr kontrolliert greifen und tragen könne. Außerdem müsse berücksichtigt werden, dass grobe Behandlungsfehler der BG-Klinik vorgelegen hätten, die ihn zu einem Arbeitsplatzwechsel ins Büro ohne körperliche Tätigkeiten in der Montage gedrängt hätten, wodurch er einen erheblichen Minderverdienst, der bisher nicht ausgeglichen werde, erlitten habe. Es sei auch nicht nachvollziehbar, wenn zunächst eine vorläufige Rente auf Grundlage einer MdE von 25 v. H. bewilligt und dann, obwohl sich der Zustand nicht gebessert habe, nunmehr die endgültige Rente lediglich nach einer MdE von 20 v. H. gewährt werde.
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Das SG hat daraufhin eine weitere orthopädische Begutachtung durch Dr. B. vom Bundeswehrkrankenhaus durchführen lassen. Dieser ist aufgrund der Begutachtung vom 20. Oktober 2015 zu dem Ergebnis gelangt, dass die Gesamt-MdE mit 25 v. H. bewertet werden müsse. Unfallfolgen seien eine Einschränkung der Streckung/Beugung auf 0-50-100 Grad, also etwas mehr als im zweiten Rentengutachten. Die Einschränkung der Supination betrage 40 Grad, die normale Supinationsfähigkeit liege bei 80 bis 90 Grad. Die Bizepssehne am rechten Ellenbogen sei zwar in der Kontinuität wieder hergestellt, sie sei aber unter deutlicher Verlängerung fehlverheilt, abzulesen an einem Hochstand des Bizeps-Muskelbaus im Seitenvergleich um 4 cm, insofern sei auch die Kraft der Beugung im rechten Ellenbogen deutlich auf die Hälfte gemindert. Zusätzlich imponiere eine hypertrophe Narbenbildung, ein Lymphödem am rechten Unterarm mit Hand (Umfangsvermehrung in diesem Bereich plus 1 cm), die bislang weder berücksichtigt noch beschrieben worden sei, sowie eine Hyposensibilität entsprechend des peripheren Versorgungsgebiet des sensiblen Hautnervenastes des Radialisnervs, die unverändert zu den Vorbefunden bestehe. In der unfallchirurgischen Gutachtensliteratur werde eine Versteifung des Ellenbogens um 90 Grad Beugestellung bei freier Unterarmdrehung mit 20 v. H. eingeschätzt. Allein die Bewegungsmaße rechtfertigten daher eine Einschätzung der MdE von 20 v. H. In die Bewertung müsse allerdings die verminderte Beugekraft und die Sensibilitätsstörung ebenso einbezogen werden wie auch das Lymphödem mit Umfangsvermehrung, so dass insgesamt eine höhere MdE gerechtfertigt sei. Der Kläger habe am 1. März 2014 ein neues Arbeitsverhältnis begonnen. Er habe aber berichtet, dass er teils auch unter Ruheschmerzen leide, deshalb eine Nachtschiene trage. Seine Lebensqualität werde dadurch gemindert, dass er wegen des Streckdefizits nicht mehr Fahrradfahren, nicht mehr Kegeln und nicht mehr schwer Heben und Tragen könne.
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Auf die Einwendungen der Beklagten hat sich Dr. B. ergänzend dahingehend geäußert, dass er bei seiner bisherigen Einschätzung verbleibe, da die Bewegungsmaße um 10 Grad schlechter als beim zweiten Rentengutachten seien, welches sich natürlich und alleine aus dem Stand des Muskelbauchs erkläre. Zusätzlich sei die Einschränkung auf neurologischem Fachgebiet zu bewerten. Die Beklagte sei dieser gutachterlichen Einschätzung allein deswegen nicht gefolgt, weil es sich um keine komplette Schädigung des Hautnerven handele, das könne so einfach aber nicht gemacht werden. Bislang sei auch nicht das Lymphöden im rechten Unterarm bewertet worden.
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Mit Urteil vom 23. März 2016 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide verurteilt, dem Kläger eine Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 25 v. H. zu gewähren. Zur Begründung hat sich das Gericht auf die Gutachten von Prof. Dr. St. und von Dr. B. gestützt, die übereinstimmend allein auf unfallchirurgisch-orthopädischem Gebiet eine Teil-MdE um 20 v. H. nachvollziehbar bewertet hätten, was mit der unfallmedizinischen Literatur in Einklang stehe. Diese Einschätzung sei auch nicht eher wohlwollend, denn der Vergleich, den die Beklagte aufgrund des Gutachtens für die private Unfallversicherung ziehe, sei nicht zielführend, da für diese Begutachtung andere Maßstäbe gölten. Hierbei sei indessen die funktionelle Beeinträchtigung aufgrund der Schädigung des Radialisnervs nicht berücksichtigt. Die Beklagte sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass diese neurologischen Unfallfolgen in der unfallchirurgischen MdE aufgingen, obwohl Prof. Dr. St. darauf hingewiesen habe, dass eine endgültige Bewertung erst nach Vorlage des Gutachtens von Dr. K. erfolgen könne. Diese erforderliche endgültige Wertung aller Unfallfolgen habe dann Dr. B. vorgenommen und überzeugend dargelegt, dass sich eine Erhöhung aufgrund der Schädigung des Radialisnervs ergebe. Demgegenüber sei die Einschätzung von Prof. Dr. St. nicht überzeugend, da sich dieser von der von ihm beschriebenen „tadellosen Muskelausprägung“ habe täuschen lassen. Demgegenüber habe die ambulante Behandlung durch den Unfallchirurgen Dr. K. ergeben, dass der Kläger zwar bei der Untersuchung im November 2013 eine sehr gute Muskulatur gezeigt habe, die allerdings vor dem Arbeitsunfall wesentlich besser gewesen sei, so dass Dr. K. die Beschwerden glaubhaft und erheblich bewertet habe. Das Gericht habe das Gutachten von Dr. K. für überzeugend eingeschätzt. Denn in der unfallmedizinischen Literatur werde der komplette Ausfall des Radialisnervs mit einer MdE um 20 bis 30 v. H. bewertet. Demgemäß sei eine Teilschädigung und auch nur eine sensible Schädigung mit einem Taubheitsgefühl vom Ellenbogen bis in die drei ersten Finger mit einer MdE von 10 v. H. einzuschätzen. Es sei nachvollziehbar, dass ein derart ausgedehntes Taubheitsgefühl mit einer MdE-relevanten funktionellen Beeinträchtigung verbunden sei. Deswegen sei insgesamt eine Gesamt-MdE um 25 v. H. gerechtfertigt. Dafür spreche im Weiteren die zusätzliche Berücksichtigung des beschriebenen Lymphödems, welches sich infolge des sehr schwierigen und letztlich unbefriedigenden Heilungsverlaufs entwickelt habe und sich ebenfalls funktionell auswirke. Eine Abweichung gegenüber der Schätzung der MdE um lediglich 5 Prozentpunkte sei zulässig, denn die Beklagte habe die neurologischen Befunde und das Lymphödem unberücksichtigt gelassen.
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Gegen das am 26. April 2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 27. Mai 2016 (einem Freitag nach Feiertag) Berufung mit der Begründung eingelegt, dass die Einschätzung des Sachverständigen Dr. K. nicht gerechtfertigt sei, da er lediglich Missempfindungen beschrieben habe. Soweit das SG nunmehr von einem Taubheitsgefühl vom Ellenbogen bis in die drei ersten Finger ausstrahlend ausgehe, wie es der Kläger Dr. B. berichtet habe, sei dies nicht ohne Weiteres nachvollziehbar, denn der Sachverständige gebe nicht an, welche klinischen Untersuchungen/Messungen er hierzu durchgeführt habe. Auch bei Prof. Dr. St. habe sich bei der orientierenden neurologischen Untersuchung lediglich eine Sensibilitätsminderung gezeigt. Da es sich nur um einen sensiblen Endast handele, sei nicht nachzuvollziehen, warum eine solche Läsion eine MdE um 10 v. H. begründen solle. Denn der Kläger habe im Wesentlichen seine Finger frei und symmetrisch bewegen, eine Minderung der Funktion oder groben Kraft habe auch Dr. B. nicht feststellen können. Bei der Begutachtung in der BG-Klinik hätten sich im Seitenvergleich keine Hinweise auf Blutumlaufstörungen oder trophische Störungen gezeigt. Außerdem weiche das SG in seinem Urteil um lediglich fünf Prozentpunkte von ihrer MdE-Einschätzung ab, was grundsätzlich verboten sei, da eine solche Schätzung immer einer natürlichen Schwankungsbreite unterliege. Ausnahmsweise gelte dies nur dann nicht, wenn der Unfallversicherungsträger von einem unvollständigen oder unrichtigen Befund ausgehe, seine Einschätzung auf unsachliche Erwägungen stütze oder diese allgemeinen Erfahrungswerten widerspreche oder sonstig erkennbar falsche Rechtsüberlegungen anstelle. Dies sei jeweils nicht der Fall. Was das Lymphödem anbelange, so sei dies erstmalig von Dr. B. beschrieben worden. Es sei nicht klar, woraus das SG seine Erkenntnisse nehme, dass dieses Unfallfolge sei.
20 
Die Beklagte beantragt,
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das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. März 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
23 
Der Kläger beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
25 
Er erachtet die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor, dass die Gesamtfunktion sehr eingeschränkt sei. Wenn die Beklagte auf eine ledigliche Abweichung von 5 Prozent abstelle, so lasse sie außer Acht, dass sie selbst zunächst die MdE vorläufig mit 25 v. H. bewertet habe. Im Übrigen sei der Radialisnerv geschädigt. Das Lymphödem sei vom Gerichtsgutachter als unfallverursacht eingeschätzt worden. Dies müsse hingenommen werden.
26 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
27 
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.
28 
Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. März 2016, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger unter teilweiser Aufhebung des Bescheides 23. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015 und deren Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab dem 1. Mai 2015 nach einer MdE um 25 v. H. begehrt hat, stattgegeben wurde. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bezogen auf die vorliegenden Klagearten der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34).
29 
Zu Recht hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 25 v. H. über den 1. Mai 2015 hinaus als Rente auf unbestimmte Zeit zu gewähren. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund einer Gesamtwürdigung der in den Akten enthaltenen medizinischen Stellungnahmen und gutachterlichen Ausführungen, insbesondere aufgrund des im Auftrag des SG gemäß § 106 SGG erstatteten Gutachtens des Orthopäden Dr. B. vom 20. Oktober 2015, der in Übereinstimmung mit den von der Beklagten gehörten Gutachtern Dr. K. (neurologisches Gutachten vom 3. Februar 2015) und Prof. Dr. St. (chirurgisches Gutachten vom 2. März 2015) unter Einbeziehung der neurologischen Unfallfolgen die MdE mit 25 v. H. bewertet hat.
30 
Anspruchsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). Wenn, wie vorliegend, ein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, werden gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem dieser Anspruch endet.
31 
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen der MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden, wie das SG zutreffend aufgezeigt hat. Entscheidend ist, in welchem Ausmaß Versicherte durch die Folgen des Versicherungsfalls in ihrer Fähigkeit gehindert sind, zuvor offenstehende Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 123). Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, juris, Rz. 16 m. w. N.). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, BSGE 93, 63 <65>).
32 
Die Einschätzung der MdE setzt voraus, dass der Arbeitsunfall beim Kläger eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat, entweder durch einen unfallbedingten Gesundheitserst- oder einen damit im Ursachenzusammenhang stehenden Gesundheitsfolgeschaden. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <203>) die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.).
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Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII wird bei der erstmaligen Bestimmung einer Rente auf unbestimmte Zeit nach Gewährung einer vorläufigen Verletztenrente die MdE nach den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Befunden festgestellt. Für eine Herabsetzung der vorläufigen Verletztenrente bzw. Entziehung der vorläufigen Verletztenrente und Ablehnung einer Dauerrente bedarf es in diesem Fall keines Nachweises einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne einer wesentlichen Besserung.
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Nach diesen Maßstäben haben die Folgen des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 18. Juli 2012 eine MdE in Höhe von 25 v. H. und hat die Beklagte im Bescheid vom 23. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015 zu Unrecht die Gewährung einer höheren Verletztenrente als nach einer MdE in Höhe von 20 v. H. über den 1. Mai 2015 hinaus als Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt.
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Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass diese Unfallfolgen mit einer MdE von 25 v. H. zu bewerten sind.
36 
Soweit die Beklagte davon ausgeht, dass eine Abweichung um 5 Prozent oder weniger von der Schätzung durch den Unfallversicherungsträger grundsätzlich ausscheidet, weil einer Schätzung immer eine natürliche Schwankungsbreite eigen ist und sich insoweit auf eine alte Entscheidung des BSG (7. Dezember 1976 - 8 RU 14/76 -, juris, Rz. 12) zu der Vorgängerregelung des § 581 Reichsversicherungsordnung (RVO), gültig bis: 31.12.1996, bzw. eine Kommentierung stützt, so fehlt es hierfür nach Überzeugung des Senats an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Eine solche sieht das Unfallversicherungsrecht des SGB VII nur für eine Änderung und das Ende von Renten in Gestalt des § 73 Abs. 3 SGB VII vor, wo es um die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Änderung, also einen ganz anderen Anknüpfungspunkt als bei der Einschätzung der MdE bei der erstmaligen Feststellung eines Rechts auf Rente auf unbestimmte Zeit geht. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber gesondert geregelt hat, dass eine wesentliche Änderung nur dann vorliegt, wenn die MdE mehr als 5 v. H. beträgt, ist zu schließen, dass es im Übrigen bei der umfassenden gerichtlichen Kontrolle von behördlichem Handeln verbleibt. Denn andernfalls wäre auch die gesetzliche Regelung des § 73 Abs. 3 SGB VII nicht erforderlich gewesen. Das BSG hat seine damalige Entscheidung damit begründet, dass die Bewertung der MdE ihrem Wesen nach eine Schätzung ist, der – wie jeder Schätzung – eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich sei. Soweit dabei bestimmte Grenzen nicht überschritten werden, soll jede innerhalb der Toleranzspanne liegende Schätzung gleichermaßen rechtmäßig sein, wobei als äußerste Grenzen der Spanne eine Abweichung um 5 v. H. nach oben oder nach unten anzusehen sei. Demgegenüber soll, wenn der Versicherungsträger die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt hat, weil eine MdE im rentenberechtigendem Grade nicht vorliege, das Gericht, wenn es den Rentenanspruch bejaht, bei der Bewertung der MdE wiederum frei sein, da in diesem Falle eine Schätzung der MdE durch den Versicherungsträger nicht vorliege. Gerade letzteres Argument kann den Senat nicht überzeugen, denn dann hinge die gerichtliche Kontrolle allein davon ab, ob der Unfallversicherungsträger die Rente abgelehnt hat oder nicht, ohne dass vor allem hinreichend gewährleistet ist, ob die Behörde überhaupt den dafür erforderlichen Sachverstand eingeholt hat. Das wird aber nach der höchstrichterlichen Rspr. von einem Sozialgericht erwartet, das in seiner Begründung darlegen muss, welche Erkenntnisquellen genutzt wurden und dass auch keine Abweichung zu der aktuellen medizinischen Fachliteratur besteht. Diese Anforderungen finden ihre Rechtfertigung darin, dass sie die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden. Warum das für den Verwaltungsträger nicht gelten soll, erschließt sich dem Senat nicht, wobei die Erforderlichkeit dessen gerade durch den vorliegenden Rechtstreit unterstrichen wird, wo allein die Sachbearbeitung, ohne überhaupt zu begründen, warum die Teilschädigung eine MdE von weniger als 10 v. H. rechtfertigt, und insbesondere darzulegen, woher die Sachkunde dafür hergenommen wird, sich über die gutachterlichen neurologischen Ausführungen einfach hinwegsetzt, was im späteren Verlauf der erfahrene gerichtliche Sachverständige Dr. B. bemängelt hat. Wenn die Abweichung der Einschätzung des Gerichts von der der Beklagten nur 5 Prozentpunkte beträgt, so kann dem allenfalls bei der Kostenentscheidung Rechnung getragen werden.
37 
Dessen ungeachtet geht der Senat davon aus, dass die besonderen Voraussetzungen vorliegen, die das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 22. Februar 2011 (L 17 U 39/10, juris, Rz. 38) aufgestellt hat. Denn die Beklagte ist sowohl von unvollständigen bzw. unrichtigen Befunden ausgegangen, als auch ihre Schätzung auf unsachlichen Erwägungen beruht. Der Senat entnimmt dies dem Umstand, dass – wie oben dargelegt - sich die Beklagte ohne eigenen Sachverstand oder entsprechende sachkundige Beratung, was der Senat dem Akteninhalt entnimmt, über das neurologische Gutachten von Dr. K. hinweggesetzt hat, obwohl auch die chirurgischen Vorgutachten von Prof. Dr. St., die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. wie der Arztbericht des Dr. K. ausführlich dargelegt hatten, dass zu den Funktionseinschränkungen auf chirurgischem Gebiet noch die Teilschädigungen zweier Nerven, nämlich des Nervus medianus und Nervus radialis, hinzugerechnet werden müssen und Prof. Dr. St. darüber hinaus ausdrücklich um Zuleitung des zweiten Rentengutachtens gebeten hat, um eine Bewertung der Gesamt-MdE vorzunehmen. Ohne eigenen Sachverstand einzuholen hat sich die Beklagte über das Gutachten von Dr. K. und dessen Einschätzung hinweggesetzt. Die Unrichtigkeit ihrer Bewertung wird durch das Gerichtsgutachten von Dr. B. bestätigt, wobei es insoweit nicht darauf ankommt, ob das Lymphödem noch zusätzlich als Unfallfolge gewertet werden muss. Denn unabhängig davon ist jedenfalls nach den Befunden eine Gesamt-MdE von 25 v. H. gerechtfertigt.
38 
Die Einwendungen der Beklagten gegen diese Bewertung der MdE mit 25 v. H. sind allesamt unbegründet.
39 
Wie das SG erachtet der Senat die allein abweichende Stellungnahme des Prof. Dr. St. für nicht zielführend. Dies ist insbesondere dem Arztbericht des Durchgangsarztes Dr. K. zu entnehmen, wonach der Kläger vor dem Unfall noch über eine erheblich bessere Muskulatur verfügte, worauf schon das SG hingewiesen hat. Außerdem hat Prof. Dr. St. nicht beachtet, dass sich der Kläger von Anbeginn an nicht geschont, sondern sich sogar im Zustand der Arbeitsunfähigkeit in Absprache mit der Beklagten zu Auslandseinsätzen begeben hat, was die Gebrauchsspuren an den Händen erklärt. Der Kläger hat eben nicht aggraviert oder simuliert, wie dies Prof. Dr. St. ihm unterstellen möchte, sondern war, wie dies aus sämtlichen anderen Gutachten hervorgeht, ausschließlich daran interessiert, seine Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen und in seinem angestammten Beruf weiterzuarbeiten, was letztendlich allein aufgrund des ungünstigen Heilungsverlaufs gescheitert ist.
40 
Ausgehend von den Bewegungsmaßen für den Ellenbogen sind die chirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. St. wie Dr. B. übereinstimmend zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass allein die Teil-MdE seitens des chirurgischen Gebiets 20 v. H. beträgt. Denn das normale Bewegungsausmaß eines Ellenbogens liegt für die Beugung bei 145 Grad, für die Streckung bei 0 Grad (für Pronation) und Auswärtsdrehung (Supination) 80 bis 85 Grad. Dabei behindern Streckdefizite weniger als Beugedefizite (vgl. zum Folgenden: Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a .O., S. 567 f.). Bei einer Bewegungseinschränkung von 0-30-90 Grad bei freier Unterarmdrehung ist daher eine MdE von 20 v. H. gerechtfertigt.
41 
Hinsichtlich der Nervenverletzungen, die erstmals im Zwischenbericht vom 19. Dezember 2012 als Folge der Zunahme der Narbeneinziehungen erwähnt werden, was zunächst von Prof. Dr. St. am 12 Juli 2013 bestätigt wurde, der eine Teilschädigung der Radialis- und Medianus-Nerven bestätigte, ist die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass solche bei dem Kläger nicht vorliegen, auch wenn eine verminderte Berührungs- und Schmerzwahrnehmung attestiert wird. Vielmehr weist bereits die unfallmedizinische Literatur darauf hin, dass der beschriebene Sensibilitätsverlust an den drei radialen Fingern mit der Schwächung der Beugung derselben geradezu typisch für eine Verletzung des Nervus medianus ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 249). Eine vollständige Schädigung der Nerven radialis und medianus begründet sogar eine MdE von 60 v. H., ist der Nerv medianus wie vorliegend sensibel betroffen, kann die MdE 20 v. H. betragen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 252). Dies zeigt bereits, wie weit die von der Beklagten vorgenommene Einschätzung der MdE von unter 10 v. H., da nur ein Teilast betroffen sei, sich von der unfallmedizinischen Fachliteratur wegbewegt hat. Prof. Dr. St. hat das Beschwerdebild so beschrieben, dass eine solche Sensibilitätsminderung streckseitig an den Langfingern DI, DII und DIII der rechten Hand sowie an der Beugeseite des Unterarms flächig rechtsseitig besteht. Die dadurch begründeten Missempfindungen des Klägers, die durch die neurologischen Messungen des Dr. K. als axonale Schädigung objektiviert werden konnten, äußern sich glaubhaft und in ihrer Symptomatik typisch als Taubheitsgefühl vom Ellenbogen ausstrahlend bis in die Finger mit Ruheschmerzen, die zu einer Dauermedikation geführt haben, wie dies Dr. B. erfragt hat. Hiervon ausgehend ist die Teilschädigung jedenfalls zur Überzeugung des Senats ausreichend und zutreffend mit einer Teil-MdE von 10 zu bewerten, was der Senat dem Gutachten des Dr. K. entnimmt, welches er ebenso wie das SG für überzeugend erachtet, und dessen Richtigkeit durch das Gerichtsgutachten von Dr. B. bestätigt wird.
42 
Das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen, die auf das Ereignis vom 18. Juli 2012 zurückzuführen sind, sind ab dem 1. Mai 2015 bis aktuell mit einer Gesamt-MdE von 25 v. H. zu bewerten und gehen daher über die von der Beklagten getroffenen Feststellungen hinaus. Dieses ist im Ganzen zu würdigen, wobei die einzelnen Teil-MdE nicht schematisch zusammengerechnet werden dürfen. Entscheidend ist eine integrierende Gesamtschau der Gesamteinwirkungen aller Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit (vgl. BSG, Urteile vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 -, BSGE 48, 82 und vom 13. Februar 2013 - B 2 U 25/11 R -, juris, Rz. 24 m. w. N.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 131 f.). Danach ergibt sich aus den Teil-MdE von 20 v. H. wegen der Funktionsstörungen auf orthopädisch-unfallchirurgischem und von 10 v. H. ob des neurologischen Fachgebietes eine Gesamt-MdE von 25 v. H.
43 
Nach alledem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 23. März 2016 zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf den §§ 183, 193 SGG beruht.
44 
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), insbesondere ist die grundsätzliche Frage, ob ein Gericht auch bei einer Abweichung von nur 5 v. H. der Einschätzung der Verwaltung folgen muss, nicht tragend für die Entscheidung gewesen.

Gründe

 
27 
Die Berufung der Beklagten ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 Abs. 1 SGG), aber unbegründet.
28 
Gegenstand dieses Rechtsmittelverfahrens ist das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 23. März 2016, mit dem die als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG) erhobene Klage, mit welcher der Kläger unter teilweiser Aufhebung des Bescheides 23. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015 und deren Verurteilung zur Gewährung einer Verletztenrente auf unbestimmte Zeit ab dem 1. Mai 2015 nach einer MdE um 25 v. H. begehrt hat, stattgegeben wurde. Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bezogen auf die vorliegenden Klagearten der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 54 Rz. 34).
29 
Zu Recht hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 25 v. H. über den 1. Mai 2015 hinaus als Rente auf unbestimmte Zeit zu gewähren. Zu dieser Überzeugung gelangt der Senat aufgrund einer Gesamtwürdigung der in den Akten enthaltenen medizinischen Stellungnahmen und gutachterlichen Ausführungen, insbesondere aufgrund des im Auftrag des SG gemäß § 106 SGG erstatteten Gutachtens des Orthopäden Dr. B. vom 20. Oktober 2015, der in Übereinstimmung mit den von der Beklagten gehörten Gutachtern Dr. K. (neurologisches Gutachten vom 3. Februar 2015) und Prof. Dr. St. (chirurgisches Gutachten vom 2. März 2015) unter Einbeziehung der neurologischen Unfallfolgen die MdE mit 25 v. H. bewertet hat.
30 
Anspruchsgrundlage für die begehrte Rentengewährung ist § 56 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII. Danach haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, Anspruch auf Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v. H. mindern (§ 56 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren (§ 56 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). Wenn, wie vorliegend, ein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist, werden gemäß § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII Renten an Versicherte von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem dieser Anspruch endet.
31 
Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs. 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen der MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden, wie das SG zutreffend aufgezeigt hat. Entscheidend ist, in welchem Ausmaß Versicherte durch die Folgen des Versicherungsfalls in ihrer Fähigkeit gehindert sind, zuvor offenstehende Arbeitsmöglichkeiten zu ergreifen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, S. 123). Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, juris, Rz. 16 m. w. N.). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG, Urteil vom 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, BSGE 93, 63 <65>).
32 
Die Einschätzung der MdE setzt voraus, dass der Arbeitsunfall beim Kläger eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat, entweder durch einen unfallbedingten Gesundheitserst- oder einen damit im Ursachenzusammenhang stehenden Gesundheitsfolgeschaden. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 <203>) die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 - B 2 U 5/10 R -, juris, Rz. 17 m. w. N.).
33 
Gemäß § 62 Abs. 2 Satz 2 SGB VII wird bei der erstmaligen Bestimmung einer Rente auf unbestimmte Zeit nach Gewährung einer vorläufigen Verletztenrente die MdE nach den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Befunden festgestellt. Für eine Herabsetzung der vorläufigen Verletztenrente bzw. Entziehung der vorläufigen Verletztenrente und Ablehnung einer Dauerrente bedarf es in diesem Fall keines Nachweises einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse im Sinne einer wesentlichen Besserung.
34 
Nach diesen Maßstäben haben die Folgen des von der Beklagten anerkannten Arbeitsunfalls vom 18. Juli 2012 eine MdE in Höhe von 25 v. H. und hat die Beklagte im Bescheid vom 23. April 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juli 2015 zu Unrecht die Gewährung einer höheren Verletztenrente als nach einer MdE in Höhe von 20 v. H. über den 1. Mai 2015 hinaus als Rente auf unbestimmte Zeit abgelehnt.
35 
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass diese Unfallfolgen mit einer MdE von 25 v. H. zu bewerten sind.
36 
Soweit die Beklagte davon ausgeht, dass eine Abweichung um 5 Prozent oder weniger von der Schätzung durch den Unfallversicherungsträger grundsätzlich ausscheidet, weil einer Schätzung immer eine natürliche Schwankungsbreite eigen ist und sich insoweit auf eine alte Entscheidung des BSG (7. Dezember 1976 - 8 RU 14/76 -, juris, Rz. 12) zu der Vorgängerregelung des § 581 Reichsversicherungsordnung (RVO), gültig bis: 31.12.1996, bzw. eine Kommentierung stützt, so fehlt es hierfür nach Überzeugung des Senats an der erforderlichen Rechtsgrundlage. Eine solche sieht das Unfallversicherungsrecht des SGB VII nur für eine Änderung und das Ende von Renten in Gestalt des § 73 Abs. 3 SGB VII vor, wo es um die Beurteilung der Wesentlichkeit einer Änderung, also einen ganz anderen Anknüpfungspunkt als bei der Einschätzung der MdE bei der erstmaligen Feststellung eines Rechts auf Rente auf unbestimmte Zeit geht. Aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber gesondert geregelt hat, dass eine wesentliche Änderung nur dann vorliegt, wenn die MdE mehr als 5 v. H. beträgt, ist zu schließen, dass es im Übrigen bei der umfassenden gerichtlichen Kontrolle von behördlichem Handeln verbleibt. Denn andernfalls wäre auch die gesetzliche Regelung des § 73 Abs. 3 SGB VII nicht erforderlich gewesen. Das BSG hat seine damalige Entscheidung damit begründet, dass die Bewertung der MdE ihrem Wesen nach eine Schätzung ist, der – wie jeder Schätzung – eine gewisse Schwankungsbreite eigentümlich sei. Soweit dabei bestimmte Grenzen nicht überschritten werden, soll jede innerhalb der Toleranzspanne liegende Schätzung gleichermaßen rechtmäßig sein, wobei als äußerste Grenzen der Spanne eine Abweichung um 5 v. H. nach oben oder nach unten anzusehen sei. Demgegenüber soll, wenn der Versicherungsträger die Gewährung einer Dauerrente abgelehnt hat, weil eine MdE im rentenberechtigendem Grade nicht vorliege, das Gericht, wenn es den Rentenanspruch bejaht, bei der Bewertung der MdE wiederum frei sein, da in diesem Falle eine Schätzung der MdE durch den Versicherungsträger nicht vorliege. Gerade letzteres Argument kann den Senat nicht überzeugen, denn dann hinge die gerichtliche Kontrolle allein davon ab, ob der Unfallversicherungsträger die Rente abgelehnt hat oder nicht, ohne dass vor allem hinreichend gewährleistet ist, ob die Behörde überhaupt den dafür erforderlichen Sachverstand eingeholt hat. Das wird aber nach der höchstrichterlichen Rspr. von einem Sozialgericht erwartet, das in seiner Begründung darlegen muss, welche Erkenntnisquellen genutzt wurden und dass auch keine Abweichung zu der aktuellen medizinischen Fachliteratur besteht. Diese Anforderungen finden ihre Rechtfertigung darin, dass sie die Grundlage für eine gleiche und gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bilden. Warum das für den Verwaltungsträger nicht gelten soll, erschließt sich dem Senat nicht, wobei die Erforderlichkeit dessen gerade durch den vorliegenden Rechtstreit unterstrichen wird, wo allein die Sachbearbeitung, ohne überhaupt zu begründen, warum die Teilschädigung eine MdE von weniger als 10 v. H. rechtfertigt, und insbesondere darzulegen, woher die Sachkunde dafür hergenommen wird, sich über die gutachterlichen neurologischen Ausführungen einfach hinwegsetzt, was im späteren Verlauf der erfahrene gerichtliche Sachverständige Dr. B. bemängelt hat. Wenn die Abweichung der Einschätzung des Gerichts von der der Beklagten nur 5 Prozentpunkte beträgt, so kann dem allenfalls bei der Kostenentscheidung Rechnung getragen werden.
37 
Dessen ungeachtet geht der Senat davon aus, dass die besonderen Voraussetzungen vorliegen, die das Bayerische Landessozialgericht (LSG) in seinem Urteil vom 22. Februar 2011 (L 17 U 39/10, juris, Rz. 38) aufgestellt hat. Denn die Beklagte ist sowohl von unvollständigen bzw. unrichtigen Befunden ausgegangen, als auch ihre Schätzung auf unsachlichen Erwägungen beruht. Der Senat entnimmt dies dem Umstand, dass – wie oben dargelegt - sich die Beklagte ohne eigenen Sachverstand oder entsprechende sachkundige Beratung, was der Senat dem Akteninhalt entnimmt, über das neurologische Gutachten von Dr. K. hinweggesetzt hat, obwohl auch die chirurgischen Vorgutachten von Prof. Dr. St., die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. F. wie der Arztbericht des Dr. K. ausführlich dargelegt hatten, dass zu den Funktionseinschränkungen auf chirurgischem Gebiet noch die Teilschädigungen zweier Nerven, nämlich des Nervus medianus und Nervus radialis, hinzugerechnet werden müssen und Prof. Dr. St. darüber hinaus ausdrücklich um Zuleitung des zweiten Rentengutachtens gebeten hat, um eine Bewertung der Gesamt-MdE vorzunehmen. Ohne eigenen Sachverstand einzuholen hat sich die Beklagte über das Gutachten von Dr. K. und dessen Einschätzung hinweggesetzt. Die Unrichtigkeit ihrer Bewertung wird durch das Gerichtsgutachten von Dr. B. bestätigt, wobei es insoweit nicht darauf ankommt, ob das Lymphödem noch zusätzlich als Unfallfolge gewertet werden muss. Denn unabhängig davon ist jedenfalls nach den Befunden eine Gesamt-MdE von 25 v. H. gerechtfertigt.
38 
Die Einwendungen der Beklagten gegen diese Bewertung der MdE mit 25 v. H. sind allesamt unbegründet.
39 
Wie das SG erachtet der Senat die allein abweichende Stellungnahme des Prof. Dr. St. für nicht zielführend. Dies ist insbesondere dem Arztbericht des Durchgangsarztes Dr. K. zu entnehmen, wonach der Kläger vor dem Unfall noch über eine erheblich bessere Muskulatur verfügte, worauf schon das SG hingewiesen hat. Außerdem hat Prof. Dr. St. nicht beachtet, dass sich der Kläger von Anbeginn an nicht geschont, sondern sich sogar im Zustand der Arbeitsunfähigkeit in Absprache mit der Beklagten zu Auslandseinsätzen begeben hat, was die Gebrauchsspuren an den Händen erklärt. Der Kläger hat eben nicht aggraviert oder simuliert, wie dies Prof. Dr. St. ihm unterstellen möchte, sondern war, wie dies aus sämtlichen anderen Gutachten hervorgeht, ausschließlich daran interessiert, seine Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen und in seinem angestammten Beruf weiterzuarbeiten, was letztendlich allein aufgrund des ungünstigen Heilungsverlaufs gescheitert ist.
40 
Ausgehend von den Bewegungsmaßen für den Ellenbogen sind die chirurgischen Sachverständigen Prof. Dr. St. wie Dr. B. übereinstimmend zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass allein die Teil-MdE seitens des chirurgischen Gebiets 20 v. H. beträgt. Denn das normale Bewegungsausmaß eines Ellenbogens liegt für die Beugung bei 145 Grad, für die Streckung bei 0 Grad (für Pronation) und Auswärtsdrehung (Supination) 80 bis 85 Grad. Dabei behindern Streckdefizite weniger als Beugedefizite (vgl. zum Folgenden: Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a .O., S. 567 f.). Bei einer Bewegungseinschränkung von 0-30-90 Grad bei freier Unterarmdrehung ist daher eine MdE von 20 v. H. gerechtfertigt.
41 
Hinsichtlich der Nervenverletzungen, die erstmals im Zwischenbericht vom 19. Dezember 2012 als Folge der Zunahme der Narbeneinziehungen erwähnt werden, was zunächst von Prof. Dr. St. am 12 Juli 2013 bestätigt wurde, der eine Teilschädigung der Radialis- und Medianus-Nerven bestätigte, ist die Beklagte zu Unrecht davon ausgegangen, dass solche bei dem Kläger nicht vorliegen, auch wenn eine verminderte Berührungs- und Schmerzwahrnehmung attestiert wird. Vielmehr weist bereits die unfallmedizinische Literatur darauf hin, dass der beschriebene Sensibilitätsverlust an den drei radialen Fingern mit der Schwächung der Beugung derselben geradezu typisch für eine Verletzung des Nervus medianus ist (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 249). Eine vollständige Schädigung der Nerven radialis und medianus begründet sogar eine MdE von 60 v. H., ist der Nerv medianus wie vorliegend sensibel betroffen, kann die MdE 20 v. H. betragen (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 252). Dies zeigt bereits, wie weit die von der Beklagten vorgenommene Einschätzung der MdE von unter 10 v. H., da nur ein Teilast betroffen sei, sich von der unfallmedizinischen Fachliteratur wegbewegt hat. Prof. Dr. St. hat das Beschwerdebild so beschrieben, dass eine solche Sensibilitätsminderung streckseitig an den Langfingern DI, DII und DIII der rechten Hand sowie an der Beugeseite des Unterarms flächig rechtsseitig besteht. Die dadurch begründeten Missempfindungen des Klägers, die durch die neurologischen Messungen des Dr. K. als axonale Schädigung objektiviert werden konnten, äußern sich glaubhaft und in ihrer Symptomatik typisch als Taubheitsgefühl vom Ellenbogen ausstrahlend bis in die Finger mit Ruheschmerzen, die zu einer Dauermedikation geführt haben, wie dies Dr. B. erfragt hat. Hiervon ausgehend ist die Teilschädigung jedenfalls zur Überzeugung des Senats ausreichend und zutreffend mit einer Teil-MdE von 10 zu bewerten, was der Senat dem Gutachten des Dr. K. entnimmt, welches er ebenso wie das SG für überzeugend erachtet, und dessen Richtigkeit durch das Gerichtsgutachten von Dr. B. bestätigt wird.
42 
Das Gesamtbild aller Funktionseinschränkungen, die auf das Ereignis vom 18. Juli 2012 zurückzuführen sind, sind ab dem 1. Mai 2015 bis aktuell mit einer Gesamt-MdE von 25 v. H. zu bewerten und gehen daher über die von der Beklagten getroffenen Feststellungen hinaus. Dieses ist im Ganzen zu würdigen, wobei die einzelnen Teil-MdE nicht schematisch zusammengerechnet werden dürfen. Entscheidend ist eine integrierende Gesamtschau der Gesamteinwirkungen aller Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit (vgl. BSG, Urteile vom 15. März 1979 - 9 RVs 6/77 -, BSGE 48, 82 und vom 13. Februar 2013 - B 2 U 25/11 R -, juris, Rz. 24 m. w. N.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a. a. O., S. 131 f.). Danach ergibt sich aus den Teil-MdE von 20 v. H. wegen der Funktionsstörungen auf orthopädisch-unfallchirurgischem und von 10 v. H. ob des neurologischen Fachgebietes eine Gesamt-MdE von 25 v. H.
43 
Nach alledem war die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 23. März 2016 zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf den §§ 183, 193 SGG beruht.
44 
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG), insbesondere ist die grundsätzliche Frage, ob ein Gericht auch bei einer Abweichung von nur 5 v. H. der Einschätzung der Verwaltung folgen muss, nicht tragend für die Entscheidung gewesen.

Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. März 2017 - L 6 U 1971/16

Urteilsbesprechungen zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. März 2017 - L 6 U 1971/16

Referenzen - Gesetze

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig
Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. März 2017 - L 6 U 1971/16 zitiert 16 §§.

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 54


(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 183


Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kos

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 143


Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 56 Voraussetzungen und Höhe des Rentenanspruchs


(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versich

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 73 Änderungen und Ende von Renten


(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung, wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist. (2) Fallen aus

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 62 Rente als vorläufige Entschädigung


(1) Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht abschließend festgestellt werden kann. In

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 72 Beginn von Renten


(1) Renten an Versicherte werden von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem 1. der Anspruch auf Verletztengeld endet,2. der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist. (2) Renten an Hinterbl

Referenzen - Urteile

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. März 2017 - L 6 U 1971/16 zitiert oder wird zitiert von 2 Urteil(en).

Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 09. März 2017 - L 6 U 1971/16 zitiert 2 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundessozialgericht Urteil, 13. Feb. 2013 - B 2 U 25/11 R

bei uns veröffentlicht am 13.02.2013

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 18. Jan. 2011 - B 2 U 5/10 R

bei uns veröffentlicht am 18.01.2011

Tenor Das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Referenzen

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Renten an Versicherte werden von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem

1.
der Anspruch auf Verletztengeld endet,
2.
der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist.

(2) Renten an Hinterbliebene werden vom Todestag an gezahlt. Hinterbliebenenrenten, die auf Antrag geleistet werden, werden vom Beginn des Monats an gezahlt, der der Antragstellung folgt.

(3) Die Satzung kann bestimmen, daß für Unternehmer, ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder mitarbeitenden Lebenspartner und für den Unternehmern im Versicherungsschutz Gleichgestellte Rente für die ersten 13 Wochen nach dem sich aus § 46 Abs. 1 ergebenden Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht gezahlt wird. Die Rente beginnt spätestens am Tag nach Ablauf der 13. Woche, sofern Verletztengeld nicht zu zahlen ist.

(4) (weggefallen)

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vH zu zahlen.

2

Die Klägerin befand sich am 15.5.2000 auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte, dem Amt für Landwirtschaft in G, zu ihrer Wohnung. Aufgrund eines Staus musste sie anhalten. Ein Ford Transit fuhr auf ihr stehendes Kraftfahrzeug (Kfz) auf und schob es auf das davor stehende Kfz. Die angeschnallte Klägerin wurde bei dem Unfall nach vorne und wieder zurück geschleudert. Sie konnte am Unfallort mit dem Unfallgegner und der Polizei die Formalitäten abwickeln und fuhr mit dem Pkw nach Hause. Wegen starker Schmerzen an der Wirbelsäule musste sie sich drei Stunden später in die ambulante Notfallbehandlung im Kreiskrankenhaus Meißen begeben. Die Erstdiagnose der dortigen Ärzte lautete: "HWS - Schleudertrauma, Schädelprellung". Vom 19. bis 27.5.2000 schloss sich eine stationäre Krankenhausbehandlung an. In der Folge weiteten sich die Beschwerden aus. Die Beklagte zahlte der Klägerin bis 4.4.2002 Verletztengeld.

3

Mit Schreiben vom 25.1.2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige die Einholung eines unfallchirurgischen Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens. Sie schlug drei namentlich benannte Haupt- sowie einen namentlich benannten Zusatzgutachter, sonst solche der jeweiligen Einrichtung, vor und wies die Klägerin auf ihr Widerspruchsrecht hin. Die Klägerin widersprach den Vorschlägen der Beklagten und schlug vor, das Evangelische Stift St. M. in K. solle mit der Begutachtung beauftragt werden, da sie dort bereits behandelt wurde. Die Beklagte ernannte Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. zum Hauptgutachter. Auf dessen Veranlassung wurde bei Dr. S. (Dr S) das neurologische Gutachten vom 18.3.2001 eingeholt.

4

Mit Bescheid vom 4.3.2002 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. In dem Bescheid regelte sie weiter: "Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls besteht kein Anspruch auf Rente." Zur Begründung führte sie aus, Unfallfolgen lägen nach ausgeheilter "Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) und der Halsweichteile“ nicht mehr vor. Unfallunabhängig bestehe eine Konversionsneurose mit dadurch bedingter Bewegungseinschränkung der HWS, der Schultergelenke sowie Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Der Widerspruch der Klägerin blieb im Widerspruchsbescheid vom 2.7.2002 ohne Erfolg.

5

Die Klägerin hat beim SG Dresden Klage erhoben. Sie hat Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH begehrt. Mit Schriftsatz vom 13.2.2004 hat die Beklagte dem SG die "Beratungsärztliche Stellungnahme" der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (Dr H) vom 29.12.2003 vorgelegt, die das SG der klägerischen Seite übersandt hat. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.7.2006 abgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen den umfangreichen Beschwerden und dem Unfall bestehe nicht. Der Unfall habe über den Zeitpunkt der Zahlung von Verletztengeld hinaus keine objektivierbaren Folgen hinterlassen.

6

Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG beim Sächsischen LSG Berufung eingelegt. Sie hat ihr Begehren dahingehend erweitert, dass ihr Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH zu zahlen sei. Das LSG müsse ein Unfallrekonstruktions- und ein biomechanisches Gutachten einholen, um die Kräfte festzustellen, die auf ihre HWS eingewirkt hätten. Die Diagnose einer Konversionsneurose sei abzulehnen, da sie von einem Orthopäden gestellt worden sei.

7

Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 20.5.2009 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Unfall habe sich nicht wahrscheinlich machen lassen. Das Unfallgeschehen sei an sich in der Lage gewesen, ein whiplash-syndrome zu verursachen. Die Klägerin habe durch den Arbeitsunfall nicht näher bezeichnete Gesundheitserstschäden erlitten, denn sie sei bei der Kollision erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt gewesen. Ein solches Trauma bewirke "in der Regel" eine Zerrung im Hirnstamm, was sich in messbaren Versagungszuständen äußern könne. Die Klägerin weise aber nur zum Teil eine spezifische Symptomatik auf. Daneben bestehe eine damit verwandte Symptomatik, welche keineswegs dem Unfallgeschehen zuzuordnen sei. Über die Ursachen des vorhandenen eher untypischen Beschwerdebilds könne nur spekuliert werden. In der Urteilsbegründung hat sich das LSG überwiegend auf eigene Recherchen gestützt und ist den Gerichtsgutachtern, zB Prof. St., ausdrücklich nicht gefolgt. Es sei wahrscheinlich, dass die bestehenden Beschwerden in den Zusammenhang mit den von Dr H dokumentierten gesundheitlichen Auffälligkeiten einzuordnen seien.

8

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1, Abs 2 iVm § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Der Wegeunfall habe zu Gesundheitsfolgeschäden geführt, die eine Verletztenrente nach einer MdE mit wenigstens 50 vH bedingten. Das LSG habe bei der Klägerin Gesundheitsschäden festgestellt. Dagegen habe es eine Konkurrenzursache, also einen Vorschaden, nicht bejaht. Ausdrücklich habe das LSG ein pseudoneurasthenisches Syndrom, eine Konversionsneurose, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und einen psychischen Konflikt verneint und den Unfall als Gelegenheitsursache ausgeschlossen. Damit seien die Voraussetzungen einer Rentengewährung zu bejahen.

9

Des Weiteren erhebt die Klägerin Verfahrensrügen. Das LSG habe die Berufung nicht aufgrund eigener Auswertung medizinischer Fachliteratur und aufgrund eigenen Erfahrungswissens zurückweisen dürfen. Dies sei aber geschehen, da das Gericht sich weder auf eines der eingeholten gerichtlichen Gutachten gestützt noch ein weiteres ärztliches Zusammenhangsgutachten auf aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand eingeholt habe. Wenn das LSG sich auf eigene Sachkunde und selbst ausgewertete Veröffentlichungen stützen wolle, müsse es die Klägerin auf seine Kenntnisse und Erfahrungen sowie die herangezogene Literatur hinweisen. Da dies nicht geschehen sei, verletze das Urteil das rechtliche Gehör der Klägerin. Das LSG habe ein Beweisverwertungsverbot nicht beachtet. Es habe sich auf die Stellungnahme der Dr H vom 29.12.2003 gestützt, die aber nicht verwertbar sei. Es könne dahin stehen, ob es sich um eine beratungsärztliche Stellungnahme oder ein Gutachten handele, denn auch als Stellungnahme nehme die Äußerung Bezug auf das Zusatzgutachten des Dr S vom 18.3.2001, das unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eingeholt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Senats bestehe deshalb bezüglich des Gutachtens Dr S ein Beweisverwertungsverbot, das sich auf alle weiteren Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen erstrecke, die hierauf aufbauten.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2009, das Urteil des SG Dresden vom 19. Juli 2006 sowie den ablehnenden Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 4. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 vH seit 5. April 2002 zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Ausgehend von einer Vielzahl in Betracht kommender Erkrankungen fehle es an der Feststellung konkreter Gesundheitsstörungen auf der Grundlage eines üblichen Diagnosesystems und unter Verwendung der dortigen Begriffe und Bezeichnungen. Im Recht der Versicherungsfälle nach dem SGB VII gebe es keine Beweisregel, wonach bei fehlender Alternativursache die versicherte Ursache automatisch die wesentliche Ursache sei (unter Hinweis auf BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R). Die beratungsfachärztliche Stellungnahme der Dr H sei verwertbar, da die Klägerin von ihrem höchstpersönlichen Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht habe. Die Stellungnahme sei beim SG in den Rechtsstreit eingeführt worden. Die Klägerin habe die Nichtverwertbarkeit der Stellungnahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht gerügt und dadurch ihr Rügerecht verloren.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist sowohl wegen Verletzung von materiellem Bundesrecht (dazu 1.) als auch wegen durchgreifender Verfahrensrügen (dazu 2.) im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der darin getroffenen Feststellungen und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

1. Über die mit der Revision weiterverfolgten Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten und die Leistungsklage auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da die tatsächlichen Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

15

a) Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.

16

Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft(stRspr zB BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

17

Vorliegend würde die Einschätzung der MdE der Klägerin voraussetzen, dass der als Arbeitsunfall anerkannte Verkehrsunfall bei der Klägerin eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (BSG 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22)die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (vgl BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 50/02 R - Juris RdNr 23; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22).

18

Nach diesen Maßstäben kann der Senat über das Bestehen eines Rentenanspruchs der Klägerin nicht entscheiden, da das LSG keine Feststellungen über die bei der Klägerin bestehende MdE getroffen hat. Es verneint zwar eine Reihe von Gesundheitsstörungen der Klägerin und diskutiert eine Reihe anderer als möglicherweise gegeben, stellt aber nicht positiv fest, welche Funktionseinschränkungen aufgrund welcher Gesundheitsstörungen aktuell vorliegen. Deshalb kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt ist.

19

b) Der Senat kann auch nicht dahingestellt lassen, ob und ggf welche Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens vorliegen. Auf die Feststellung dieser Tatsachen könnte nur verzichtet werden, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer vorliegenden MdE sicher auszuschließen wäre. Auch hierzu hat das LSG die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

20

Voraussetzung eines Rentenanspruchs ist ua, dass der Versicherungsfall die Arbeitsmöglichkeiten von Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert, bei dem jeweiligen Versicherten also eine MdE verursacht (BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; Burchardt in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 56 RdNr 11). Zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs ist zunächst zu prüfen, ob die MdE durch einen nachgewiesenen Versicherungsfall im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht worden ist. Bejahendenfalls ist weiter zu fragen, ob auch andere - ebenfalls sicher feststehende - Faktoren, wie Vorerkrankung, Nacherkrankung, innere Ursache usw, im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne kausal für das Bestehen einer MdE geworden sind. Wird die MdE sowohl durch den Versicherungsfall als auch durch andere Faktoren verursacht, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen, ob die MdE "wesentlich" durch den Versicherungsfall (mit)verursacht worden ist. Für diese Feststellung genügt bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 20).

21

Zwar hat das LSG vorliegend den Arbeitsunfall sowie andere Umstände als Ursachen diskutiert, es hat aber nicht festgestellt, dass entweder der Arbeitsunfall oder eine andere Ursache (zB Vorerkrankungen) oder beide Umstände für eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens eine Ursache gesetzt haben.

22

Mithin fehlt es für eine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf Rente nach § 56 SGB VII neben der Feststellung einer MdE (oben a) auch daran, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Versicherungsfall und einer möglichen MdE weder festgestellt noch auszuschließen ist (oben b). Daher kann der Senat nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII besteht oder nicht besteht.

23

3. Das Urteil des LSG und die darin getroffenen Feststellungen sind auch wegen zulässig und begründet erhobener Verfahrensrügen aufzuheben.

24

a) Das LSG hat, wie von der Klägerin im Einzelnen dargelegt wurde, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

25

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Wenn ein Gericht - wie hier - eigene Sachkunde bei der Urteilsfindung berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen für seine Sachkunde offenbaren. Das Gericht muss darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und was diese beinhaltet, damit die Beteiligten dazu Stellung nehmen und ihre Prozessführung hierauf einrichten können (zur Gehörsverletzung bei Unterlassung dieses Hinweises: BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - Juris RdNr 20 f mwN).

26

Das LSG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, da es nicht den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten gefolgt ist, sondern seine Zusammenhangsbeurteilung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung der unfallmedizinischen Literatur entwickelte Beurteilung, also auf eigene Sachkunde, gestützt hat. Vor der Entscheidung hat es die Beteiligten nicht auf das Bestehen eigener medizinischer Sachkunde hingewiesen und ihnen nicht erläutert, was diese beinhaltet. Damit liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung kann auf dem Verfahrensfehler beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin, hätte sie Kenntnis von der Sachkunde des LSG und deren Inhalten erhalten, die von ihr aufgezeigten Einwendungen vorgebracht und dadurch das LSG zu einer anderen Entscheidung gebracht hätte.

27

b) Das LSG hat die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt.

28

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die Frage, ob ein Ursachenzusammenhang - zB zwischen beruflichen Einwirkungen und einer Erkrankung - zu bejahen ist, vom Tatsachengericht unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt bestehenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten ist (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 21). Nichts anderes kann gelten, wenn es bei einem geltend gemachten Rentenanspruch um die Beurteilung geht, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Versicherungsfall und einer geltend gemachten MdE besteht.

29

Diesen Anforderungen an die Sachaufklärung ist das LSG nicht gerecht geworden. Zwar hat es medizinische Sachverständigengutachten eingeholt, ist diesen aber nicht gefolgt. Da das LSG nach seiner Rechtsauffassung kein Gutachten eingeholt hatte, das den Ursachenzusammenhang dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend beurteilte, hätte es (weitere) medizinische Ermittlungen durchführen müssen, die diesen Anforderungen entsprechen. Zwar können die Gerichte zur Entscheidungsfindung auch einschlägige wissenschaftliche Publikationen heranziehen (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 21). Diese dienen aber regelmäßig nicht der Beurteilung eines Ursachenzusammenhangs durch das Gericht selbst, sondern der kritischen Überprüfung eingeholter Gutachten daraufhin, ob sie dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

30

c) Demgegenüber wird das LSG die Stellungnahme der Dr H bei seiner erneuten Beweiswürdigung verwerten dürfen. Denn die weitere von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, diese Stellungnahme sei wegen eines Verstoßes gegen § 200 Abs 2 SGB VII nicht verwertbar, ist unbegründet.

31

Die Klägerin rügt, das LSG habe die Äußerung der Ärztin Dr H vom 29.12.2003 nicht verwerten dürfen, da diese einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Auch wenn es sich bei dieser Äußerung um eine beratungsärztliche Stellungnahme handele, sei sie nicht verwertbar, da darin auf das Gutachten des Dr S abgestellt werde, das seinerseits unter Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften eingeholt worden sei. Aufgrund der Fernwirkung des Beweisverwertungsgebots bezüglich des Gutachtens Dr S sei auch die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr H unverwertbar, was sie rechtzeitig gerügt habe.

32

Das LSG durfte und darf die ärztliche Stellungnahme der Dr H verwerten, denn weder hat die Beklagte die Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht (§ 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII; dazu aa) noch hat sie das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII; dazu bb) verletzt.

33

aa) Die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X kann ein Beweisverwertungsverbot auslösen (BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 50 f). Zwar besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist (vgl BVerfG vom 19.9.2006, 2 BvR 2115/01, BVerfGK 9, 174, 196). Ein Beweisverwertungsverbot ist aber bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen außer Acht gelassen worden sind (vgl BVerfG vom 12.4.2005, 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61). Ein solches unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitetes Beweisverwertungsverbot ist allerdings nur anzunehmen, wenn der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl BVerfG vom 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 320; BVerfG vom 9.11.2010, 2 BvR 2101/09).

34

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Recht, Widerspruch gegen die Weitergabe von Sozialdaten einlegen zu können, den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG; dazu zuletzt BVerfG vom 21.9.2010, 1 BvR 1865/10) berührt. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte sich kein verfassungsrechtliches Gebot ableiten lassen, die Betroffenen ausdrücklich über ihr gesetzliches Widerspruchsrecht belehren zu müssen. Auch außerhalb des SGB VII können Betroffene der Weitergabe von Sozialdaten widersprechen, wenn diese besonders schutzwürdig sind (§ 76 Abs 2 SGB X). Eine Belehrungspflicht bei jeder Weitergabe von Sozialdaten ist außerhalb des SGB VII nicht geregelt. Verletzungen des Sozialdatenschutzes führen dort vielmehr in erster Linie zu den in §§ 81 f SGB X normierten Rechtsfolgen. Die Regelung des § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII dürfte daher eine spezifisch verfahrensrechtliche Belehrungspflicht im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung begründen. Eine Verletzung der Belehrungspflicht könnte danach als einfachrechtlicher Verfahrenfehler zu qualifizieren sein (vgl auch Köhler ZFSH/SGB 2009, 451, 455).

35

Vor diesem Hintergrund ist weiter fraglich, ob die Verletzung datenschutzrechtlicher Regelungen ggf nur zum Verbot der Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels führt, oder ob dies Beweisverwertungsverbot - kraft Fernwirkung - sogar auf später erhobene Beweismittel durchschlägt, die auf das unter Verletzung von Datenschutz- oder Verfahrensrechten eingeholte Gutachten Bezug nehmen (so BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 62 f).

36

Die Annahme einer solchen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (kritisch Bieresborn, Anm zu B 2 U 8/07 R, SGb 2009, 49, 51; Behrens/Froede, NZS 2009, 129, 134; zum Vergleich mit fehlender Belehrungspflicht im Strafrecht: Köhler in ZFSH/SGB 2009, 451, 460 f; "schwer erträglich" Kunze, VSSR 2009, 205, 216; "nicht überzeugend" C. Wagner in jurisPR-SozR 25/2008 Anm 6). Diese Kritik führt vor allem an, dass in der Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichtshöfe des Bundes eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten in aller Regel abgelehnt wird (vgl BVerfG vom 8.12.2005 - 2 BvR 1686/04 - BVerfGK 7, 61; BGH vom 28.4.1987 - 5 StR 666/86 - BGHSt 34, 362; BGH vom 24.8.1983 - 3 StR 136/83 - BGHSt 32, 68, 71; BGH vom 6.8.1987 - 4 StR 333/87 - BGHSt 35, 32). Diese Kritik sowie die ständige Rechtsprechung dieser Gerichte werden bei erneuter Prüfung der Problematik zu bedenken sein.

37

Vorliegend kommt es auf diese grundsätzlichen Erwägungen nicht an. Das LSG durfte die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr H vielmehr schon deshalb verwerten, weil eine Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht vorliegt.

38

Eine Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht besteht nach dem Tatbestand des § 200 Abs 2 SGB VII nur für ärztliche "Gutachten". Auf ärztliche Stellungnahmen von Beteiligten ist die Regelung nicht anwendbar. Dr H hat aber für die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte hat die Ärztin nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur ihre fachliche Bewertung des Gutachtens eines bestellten Sachverständigen eingeholt. Dr H hat ihre Stellungnahme als beratungsärztliche Äußerung bezeichnet. Auch ihrem Inhalt nach hat sie die Klägerin nicht untersucht und kein Gutachten nach Aktenlage abgegeben. Jeder Beteiligte ist nach dem SGG vielmehr berechtigt, sein Vorbringen auch auf Äußerungen von Beratungsärzten, Hausärzten oder behandelnde Fachärzte zu stützen.

39

Die Stellungnahme der Dr H, in der auf das Gutachten des Dr S hingewiesen wird, ist auch schon deshalb nicht unverwertbar, weil dieses Gutachten seinerseits nicht unter Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht eingeholt wurde.

40

Der Senat hatte auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt und dabei festgestellt, dass die Klägerin vor Einholung des Gutachtens Dr S mit Schreiben vom 25.1.2001 nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden war. Die Beklagte schlug der Klägerin mit Schreiben vom 25.1.2001 Gutachter zur Auswahl vor und belehrte sie in demselben Schreiben über ihr Widerspruchsrecht. Diese Belehrung erfolgte zwar nicht in Bezug auf einen namentlich benannten Arzt, hier zB Dr S. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift aber auch nicht geboten, denn diese fordert eine im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Gutachtern oder deren Beauftragung zu erteilende Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X. Diesen Anforderungen genügte die Beklagte, als sie die Klägerin allgemein, rechtzeitig und vollständig darüber belehrt hat, dass ihre Sozialdaten an die zu beauftragenden Gutachter weitergegeben werde und sie der Weitergabe der Daten widersprechen kann.

41

bb) Die Beklagte hat auch nicht das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) verletzt.

42

Der Senat ließ in der Entscheidung vom 5.2.2008 (B 2 U 8/07 R, BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1) offen, ob die Verletzung des Auswahlrechts (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (BSG aaO, RdNr 57). Inzwischen hat er entschieden, dass die Verletzung des Auswahlrechts nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, wenn der Betroffene die Verletzung des Auswahlrechts nicht rechtzeitig rügt (Rügeobliegenheit). Durch die Rüge wird der Unfallversicherungsträger in die Lage versetzt, die eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen sowie zeitnah und nach Maßgabe der §§ 20, 67 ff SGB X, 200 f SGB VII neue Ermittlungen durchzuführen, um dem Beschleunigungsgebot aus § 9 Satz 2 SGB X entsprechend zügig über geltend gemachte Ansprüche zu entscheiden(§ 2 Abs 2 SGB I). Hier kann aber dahingestellt bleiben, ob die anwaltlich vertretene Klägerin rechtzeitig die Verletzung des Auswahlrechts bei Einholung des Gutachtens Dr S gerügt und der Begutachtung durch diesen Arzt widersprochen hätte (vgl auch BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 17/09 R - Juris RdNr 33 f; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), denn die Beklagte hat schon das Auswahlrecht der Klägerin nicht verletzt.

43

Zwar dürfte das Auswahlrecht der Versicherten nach § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII auch bezüglich der Zusatzgutachter zu beachten sein(vgl Dahm in Lauterbach, UV , Stand August 2009, § 200 RdNr 17 mwN). Die Verletzung kommt in Betracht, denn die Beklagte hat der Klägerin nicht mehrere namentlich benannte Zusatzgutachter vorgeschlagen. Das Auswahlrecht der Klägerin ist dennoch nicht verletzt, denn der Vorschlag mehrerer Zusatzgutachter zur Auswahl war im vorliegenden Fall entbehrlich ("soll").

44

Der Verzicht der Beklagten auf Benennung von mehreren Zusatzgutachtern zur Auswahl war nicht rechtswidrig, denn es lag ein atypischer Fall vor. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass die Einholung eines orthopädischen und eines Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens beabsichtigt sei. Hierzu schlug sie der Klägerin drei Hauptgutachter und einen Zusatzgutachter zur Auswahl vor. Die Klägerin wandte sich gegen die Begutachtung durch einen der vorgeschlagenen Gutachter und teilte mit, sie wolle durch einen Arzt des Evangelischen Stifts St. M. in K. begutachtet werden. Die Beklagte folgte dem Vorschlag der Klägerin und beauftragte Chefarzt Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. mit dem Hauptgutachten. Sie bat ihn, bei einem namentlich nicht benannten Arzt ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen. Der Hauptgutachter wählte Dr S als Zusatzgutachter aus und beauftragte ihn.

45

Zur Erreichung der mit der Vorschlagspflicht verfolgten Zwecke war es vorliegend nicht geboten, der Klägerin mehrere Zusatzgutachter zur Auswahl zu benennen. § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII bezweckt die Gewährleistung eines transparenten Verfahrens, die Bereitstellung eines Pools von Gutachtern und die Sicherung des Datenschutzes(BT-Drucks 13/4853, S 22). Möglicherweise dient die Regelung, ohne dass dies allerdings Erwähnung in der Gesetzesbegründung gefunden hätte, auch der Verhinderung einer Übermacht des Unfallversicherungsträgers im Verfahren (so der Senat im Urteil vom 5.2.2008 aaO, RdNr 37 bis 39; kritisch dazu Kunze, VSSR 2009, 205, 209 f).

46

Die Versicherte schlug der Beklagten selbst vor, die Begutachtung solle in einer von ihr gewählten Einrichtung erfolgen. Die Beklagte folgte dem Vorschlag. Sie musste, da die Einrichtung weit außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lag, dort keinen Pool von zur Begutachtung kompetenten Ärzten vorhalten. Die Beklagte nahm auch keinen Einfluss auf die Auswahl der Person des Zusatzgutachters, denn sie überließ die Auswahl dem von der Klägerin gewünschten Hauptgutachter und griff nicht in die Auswahl des Zusatzgutachters ein (vgl auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2011, § 200 SGB VII Anm 4.3; kritisch C. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII § 200 RdNr 39). Vorliegend kommt hinzu, dass Dr S kein Hauptgutachten erstattet hat, sondern als Zusatzgutachter für den Hauptgutachter tätig geworden ist. Die Beauftragung eines vom Versicherten gewünschten Arztes löst auch kein weiteres/neues Auswahlverfahren aus.

47

Nach allem ist die Verfahrensrüge der Klägerin unbegründet; das LSG durfte und darf die Stellungnahme der Dr H verwerten.

48

4. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG aktuelle medizinische Gutachten zu der Frage einzuholen haben, ob konkret zu bezeichnende Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu bestimmten Funktionseinschränkungen führen, die bei der Klägerin eine MdE verursachen. Soweit dies zu bejahen ist, ist weiter gutachtlich zu klären, ob zwischen Versicherungsfall und der MdE ein Ursachenzusammenhang besteht und ob daneben andere Ursachen die MdE begründen. Falls mehrere Ursachen für die MdE festgestellt werden, wird zu beurteilen sein, ob der Arbeitsunfall für den Eintritt der MdE eine rechtlich wesentliche Ursache war. Dabei ist das LSG nicht gehindert, die von der Beklagten erhobenen Gutachten und die von ihr vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen zu verwerten.

49

5. Das LSG hat in der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

(1) Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden.

(2) Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben.

(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung, wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist.

(2) Fallen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente weg, wird die Rente bis zum Ende des Monats geleistet, in dem der Wegfall wirksam geworden ist. Satz 1 gilt entsprechend, wenn festgestellt wird, daß Versicherte, die als verschollen gelten, noch leben.

(3) Bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muß die Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit länger als drei Monate andauern.

(4) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Das schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(5) Witwen- und Witwerrenten nach § 65 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a wegen Kindererziehung werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann wiederholt werden.

(6) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung der Verletztenrente durch die Beklagte wegen wesentlicher Besserung der Unfallfolgen.

2

Die Klägerin erlitt am 20.3.1998 einen Wegeunfall, als die Ladung eines entgegenkommenden LKW auf ihr Fahrzeug stürzte. Dadurch erlitt sie multiple Prellungen und Schürfwunden sowie eine Fraktur im Bereich des linken Oberarmkopfes. Anschließend stellten sich psychische Beeinträchtigungen ein. Nach Ermittlungen erkannte die Beklagte den Unfall durch Bescheid vom 25.10.1999 als Arbeitsunfall an und bewilligte ab 1.6.1998 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH wegen der chirurgischen Unfallfolgen. Zugleich teilte sie mit, wegen der psychischen Unfallfolgen werde ein ergänzender Bescheid ergehen. Ein nervenärztlicher Gutachter schätzte die unfallbedingte MdE auf seinem Fachgebiet mit 10 vH ein. Darauf bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 9.1.2001 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 25 vH.

3

Bei Überprüfungen in den Jahren 2002 und 2005 wurde eine unveränderte MdE festgestellt. Im Jahre 2007 beschrieb ein Neurologe und Psychiater einen weitgehend unauffälligen psychopathologischen Befund. Von Seiten des chirurgischen Fachgebiets wurde die MdE nur noch auf 15 vH und die Gesamt-MdE auf 15 vH eingeschätzt. Deshalb hob die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 24.7.2007 den Verwaltungsakt über die Bewilligung einer Rente nach einer MdE um 25 vH vom 9.1.2001 mit Wirkung ab 1.8.2007 auf und entzog die Rente mit Ablauf des Monats Juli 2007. Gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, sei eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung eingetreten. Eine MdE in rentenberechtigendem Grad bestehe nicht mehr. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13.6.2008).

4

Die dagegen erhobene Klage hat das SG Köln mit Urteil vom 8.7.2010 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 31.5.2011 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin die Rente zu Recht mit Ablauf des Monats Juli 2007 entzogen, denn in den Unfallfolgen liege seit Mai 2007 eine wesentliche Besserung im Vergleich zu den Verhältnissen vor, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde gelegen hätten. Zwar seien die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet im Wesentlichen unverändert geblieben und in dem der Festsetzung der Rente zugrunde liegenden Gutachten zu hoch bewertet worden. Dies folge aus dem nunmehr eingeholten chirurgischen Gutachten, nach dem die unfallbedingten Einschränkungen des linken Arms und der linken Schulter sowohl zum Zeitpunkt des Bescheids vom 9.1.2001 als auch zum Zeitpunkt der erneuten Untersuchung nur eine Teil-MdE um 10 vH rechtfertigten. Dagegen sei in den unfallbedingten Gesundheitsstörungen des nervenärztlichen Fachgebiets eine wesentliche Besserung eingetreten. Diese bedingten im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH und seien nun nicht mehr feststellbar. Da sich die gesundheitliche Situation wesentlich gebessert habe, sei die Rentenbewilligung aufzuheben. Auch die alternative Betrachtung, die die frühere Gesamt-MdE zugrunde lege, ergebe keine günstigere Beurteilung. Danach führe der Wegfall der MdE auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet unter Berücksichtigung einer chirurgisch-orthopädischen MdE von 15 vH zu einer Gesamt-MdE von 15 vH. Folglich sei in der anerkannten Gesamt-MdE um 25 vH eine Absenkung um mehr als 5 vH eingetreten.

5

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII. Das LSG habe die Auslegung des Rechtsbegriffs der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen fehlerhaft vorgenommen. Die gesetzlichen Voraussetzungen, den Bescheid der Beklagten mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, seien nicht gegeben, denn der frühere Bescheid dürfe nur aufgehoben werden, wenn sich die Tatsachengrundlage ändere. Vorliegend seien jedoch die gesundheitlichen Feststellungen der Klägerin auf unfallchirurgischem Fachgebiet unverändert geblieben. Bei der erstmaligen Feststellung der MdE habe die unfallchirurgische MdE bei mindestens 20 vH gelegen. Nehme man die Teil-MdE weiterhin mit 20 vH an, sei unter Berücksichtigung des § 73 Abs 3 SGB VII keine wesentliche Änderung eingetreten. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Einzel-MdE in den Tenor des Bescheids eingeflossen sei oder ob es sich nur um eine vorbereitende Feststellung handele, die in der Gesamt-MdE zusammengeführt werde. Die Einzel-MdE sei gegenüber der Gesamt-MdE nicht minder bedeutungsvoll und erwachse in Bestandskraft. Im Ergebnis müsse es bei der MdE von 20 vH auf chirurgischem Gebiet bleiben. Das Ergebnis der Beklagten verletze die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG, denn Personen, deren MdE sich aus mehreren Gesundheitsstörungen zusammensetze, dürften nicht schlechter behandelt werden als Personen mit einer MdE aufgrund nur einer Gesundheitsstörung. Letztere erwachse aber, weil sie zugleich die Gesamt-MdE darstelle, in Bestandskraft.

6

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 und des Sozialgerichts Köln vom 8. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2008 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie trägt vor, der Entzug der Rente sei mit Ablauf des Juli 2007 aufgrund wesentlicher Änderung in den Unfallfolgen zu Recht erfolgt, denn es sei eine wesentliche Änderung gegenüber dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 eingetreten. Aus der dort festgestellten Gesamt-MdE von 25 vH könne nicht auf die Höhe der zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte geschlossen werden.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin ist unbegründet; das angefochtene Urteil des LSG ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 162 SGG).

10

Mit der Revision verfolgt die Klägerin in zulässiger Weise ihre Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) wegen der Regelung der Beklagten in ihrem Bescheid vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.6.2008 weiter, denn sie ist durch diese Verwaltungsakte beschwert. Mit deren Aufhebung wäre ihre Beschwer beseitigt und die Rente nach einer MdE um 25 vH würde über den 31.7.2007 hinaus weitergezahlt werden. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind weder rechtswidrig noch verletzen sie die Klägerin in ihren Rechten.

11

Die Beklagte war durch § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII ermächtigt, den maßgeblichen "Bescheid vom 09.01.2001 mit Wirkung ab 01.08.2007" aufzuheben und die Rente "mit Ablauf des Monats Juli 2007" zu entziehen. Die Beklagte hat die Entscheidung über die Aufhebung des maßgeblichen Verwaltungsakts sowohl materiell als auch formell rechtmäßig getroffen (1.). Die Entscheidung der Beklagten verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG (2.).

12

1. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs 3 SGB VII spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als fünf vH beträgt.

13

a) Der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 unterliegt der Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, denn er ist ein solcher mit Dauerwirkung. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn eine durch Verwaltungsakt getroffene Regelung in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt (BSG vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84 - BSGE 58, 27, 28 = SozR 1300 § 44 Nr 16 S 28 - Juris RdNr 14; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 51). Da der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 eine Rente auf unbestimmte Zeit bewilligt hat, hat er Dauerwirkung.

14

b) Eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt nicht vor, jedoch ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten, wie ein Vergleich der zu den hier maßgeblichen Zeitpunkten bestehenden Unfallfolgen ergibt.

15

Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 48 RdNr 8). In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

16

Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist im Rahmen der hier geführten Anfechtungsklage die Frage, ob eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist, durch Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu ermitteln. Bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen kommt es zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordene Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse an, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Anfechtungsklage vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 20.4.1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr 18; BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 27/03 R - SozR 4-2600 § 7 Nr 1 RdNr 7 - Juris RdNr 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 33). Die jeweils bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse kommen insbesondere in den medizinischen Gutachten zum Ausdruck, die über die Unfallfolgen zum Zeitpunkt der maßgeblichen Bewilligung und vor der Entscheidung über eine Aufhebung eingeholt worden sind (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1). Dagegen ist für die Beurteilung der (rechtlichen) Wesentlichkeit der Änderung von dem Tenor des bindend gewordenen Verwaltungsakts auszugehen.

17

Von diesen Maßstäben ausgehend hat das LSG für den Senat bindend festgestellt, dass in den Befunden, die dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, verglichen mit denjenigen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung nachgewiesen ist. Die dahingehenden Feststellungen des LSG sind von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden (§ 163 SGG). Das LSG hat festgestellt, dass die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet zwar im Wesentlichen unverändert geblieben sind, zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids im Januar 2001 aber zu hoch eingeschätzt worden waren. Dagegen ist nach den Feststellungen des LSG in den psychischen Unfallfolgen der Klägerin eine wesentliche Besserung eingetreten. Hier lag im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH vor, bei Erlass des Aufhebungsbescheids im Jahre 2007 hat eine Teil-MdE auf psychiatrischem Gebiet nicht mehr bestanden und die Gesamt-MdE betrug nur noch 10 vH.

18

Eine wesentliche Änderung wäre aber - aus Gründen des Vertrauensschutzes - nicht eingetreten, wenn die Feststellung der Gesamt-MdE für die Rente der Klägerin von Anfang an rechtswidrig zu hoch festgesetzt war und seitdem unverändert geblieben ist oder sich nicht in dem nach § 73 Abs 3 SGB VII erforderlichen Maße geändert hat.

19

Nach seinem Wortlaut unterscheidet § 48 SGB X nicht danach, ob der Verwaltungsakt, der aufgehoben werden soll, rechtmäßig oder rechtswidrig war. Nach ihrem Sinn und Zweck ist die Anwendung der Regelung aber ausgeschlossen, wenn und soweit der Vertrauensschutz des Betroffenen, wie er sich aus § 48 SGB X ergibt, unterlaufen würde. So stellt die Aufdeckung einer Fehldiagnose oder einer überhöhten MdE keine wesentliche Änderung dar (Benz, NZS 2003, 77, 79). Anders liegt der Fall aber, wenn sich der tatsächliche Zustand so gebessert hat, dass eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vorliegt(Benz, aaO). In einem solchen Fall ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X auch auf von Anfang an rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte anwendbar. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine wesentliche Änderung der maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse dergestalt eingetreten ist, dass sich die Unfallfolgen wesentlich gebessert haben (dazu auch BSG vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6).

20

Insoweit hat das LSG festgestellt, dass auch ausgehend von der im Januar 2001 zu hoch angesetzten Teil-MdE auf chirurgischem Gebiet eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Wegfall der MdE auf nervenärztlichem/psychologischem Gebiet bedingt eine wesentliche Änderung, weil diese zu einem Herabsinken der Gesamt-MdE von 25 vH auf 15 vH führt.

21

c) Die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist auch rechtlich wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII.

22

Für die Feststellung der Wesentlichkeit einer Änderung ist ein Vergleich zwischen dem Verfügungssatz des zu prüfenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung gebotenen Entscheidung über die Höhe der MdE zu ziehen (zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Anfechtungsklage siehe oben 1. b>). Ergänzend hierzu schreibt § 73 Abs 3 SGB VII vor, dass eine wesentliche Änderung iS des § 48 SGB X bei Änderung der einer Rente zugrunde liegenden MdE nur vorliegt, wenn die Änderung der MdE mehr als 5 vH beträgt(dazu im Einzelnen auch Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

23

Für den erforderlichen Vergleich ist zunächst festzustellen, welche Regelung die Beklagte mit Verwaltungsakt vom 9.1.2001 getroffen hat. Der bindende Inhalt eines Verwaltungsakts wird durch seine Verfügungssätze bestimmt (BSG vom 26.2.1986 - 9a RV 36/84). Einer der Verwaltungsakte im Bescheid vom 9.1.2001 hat der Klägerin "Rente auf unbestimmte Zeit" nach einer MdE um 25 vH bewilligt. Nur dieser Verfügungssatz ist wirksam und bindend geworden (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 8.5.1981 - 9 RVs 4/80 - SozR 3100 § 62 Nr 21).

24

Zwar war der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 9.1.2001 möglicherweise nicht hinreichend begründet iS von § 35 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X, denn die der Bewilligung der Rente zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte sind weder im Verfügungssatz noch in der Begründung dieses Verwaltungsakts aufgeführt. Da die Einzel-MdE-Werte den Berechnungsfaktoren von Leistungen - hier einer Rente nach § 56 SGB VII - zumindest ähnlich sind und ihre Ermittlung einen von mehreren Schritten zur Bestimmung der insgesamt bestehenden MdE darstellt(zur vergleichbaren Konstellation bei der Bildung eines Gesamt-Grad der Behinderung: BSG vom 20.11.2012 - B 9 SB 36/12 B), erscheint es angezeigt, die Einzel-MdE-Werte in der Begründung des bewilligenden Verwaltungsakts zu erläutern. Eine solche Begründung kann auch dem besseren Verständnis des Adressaten und der Ermöglichung der sachgerechten Wahrnehmung seiner Rechte dienen (zur rechtsstaatlichen Funktion der Begründung: Krasney in KassKomm, SGB X, Stand 5/2003, § 35 RdNr 2; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 35 RdNr 2). Dass dies hier unterblieben ist, kann aber die Rechtsposition der Klägerin nicht verbessern, wie sich aus dem Folgenden ergibt:

25

Die der Gesamt-MdE zugrunde liegenden Einzel-MdE-Werte nehmen an der Bindungswirkung (vgl § 39 SGB X) des Verwaltungsakts vom 9.1.2001 nicht teil. Dem dahingehenden Vorbringen der Klägerin ist nicht zu folgen. Der erkennende Senat (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82) und das BSG haben hinsichtlich der Bindungswirkung von Rentenbewilligungsbescheiden wiederholt entschieden, dass die Bindungswirkung nur die Gesamtbewertung einer MdE erfasst (vgl zur Bindungswirkung eines Rentenbescheids: BSG vom 26.6.1990 - 5 RJ 62/89 - SozR 3-1500 § 77 Nr 1 S 4 f - Juris RdNr 18; zum Recht der schwerbehinderten Menschen: BSG vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - BSGE 60, 287, 290 = SozR 1300 § 48 Nr 29 S 88; aA Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 3/2012, § 48 SGB X Anm 5.6, der eine Bindung der Träger an Teil-MdE-Werte bejaht).

26

Hiervon ausgehend ist die Änderung der (hier allein zu betrachtenden) Gesamt-MdE wesentlich iS des § 73 Abs 3 SGB VII. Denn die vom LSG festgestellte eingetretene Änderung der zu vergleichenden Gesamt-MdE übersteigt den Wert 5 vH. Im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids ist eine MdE in einem rentenberechtigenden Grad von mindestens 20 vH nicht mehr gegeben, denn es liegt unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes nur (noch) eine MdE von 15 vH vor.

27

d) Die Aufhebung des Verwaltungsakts hält sich auch sonst im Rahmen der Ermächtigung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X.

28

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts "hat" gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Zukunft zu erfolgen. Sie hat bei Sozialleistungen, die für einen bestimmten Zeitraum bewilligt sind, auf den Zeitpunkt des Beginns des folgenden Leistungszeitraums hin zu erfolgen (§ 73 Abs 1 SGB VII; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 44).

29

Der der Klägerin am 26.7.2007 zugestellte Aufhebungsbescheid entfaltet lediglich Rechtswirkung für die Zukunft, hier für die Zeit ab 1.8.2007. Zu diesem Zeitpunkt sind die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Rente bereits entfallen gewesen, denn seit der Begutachtung im Mai 2007 war bekannt, dass die Voraussetzungen für den Wegfall des Rentenanspruchs vorlagen. Die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung der Rente wurde schließlich nicht unter Verletzung des § 73 Abs 1 SGB VII getroffen, denn sie entspricht dem "Folgemonatsprinzip" dieser Regelung(vgl Brandenburg, aaO; Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

30

e) Der angefochtene Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X).

31

Das Bestimmtheitserfordernis verlangt als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Verwaltungsakts, dass dessen Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Adressaten bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, die in ihm angeordnete Rechtsfolge zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - Juris RdNr 18; BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31; BSG vom 22.9.2009 - B 2 U 32/08 R - SozR 4-2700 § 168 Nr 2).

32

Der angefochtene Verwaltungsakt entspricht diesen Anforderungen, denn er benennt ordnungsgemäß den aufzuhebenden Bescheid mit Datum und Regelungsgegenstand und verfügt dessen Aufhebung. Der Verwaltungsakt regelt auch, zu welchem Zeitpunkt die Verletztenrente der Klägerin entfällt. Die ausgesprochene Rechtsfolge war für die Klägerin aus den getroffenen Regelungen klar zu erkennen.

33

f) Der angefochtene Verwaltungsakt leidet auch nicht an formellen Fehlern, denn die gemäß § 24 Abs 1 SGB X vor seiner Bekanntgabe erforderliche Anhörung hat stattgefunden.

34

2. Das gefundene Ergebnis verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus "Artikel 3" GG.

35

In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass der Bestandskraft von Verwaltungsakten eine vergleichbare Bedeutung für die Rechtssicherheit zukommt wie der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen. Art 3 Abs 1 GG hindert aber nicht die Anpassung eines bindenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung an geänderte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse. Vielmehr besteht auch ein verfassungsrechtliches Interesse daran, die Aufhebung eines Hoheitsakts herbeizuführen, wenn die Rechtsordnung der Verwaltung die Befugnis erteilt hat, für ihren Bereich das im Einzelfall Verbindliche festzustellen, zu begründen oder - wie hier - zu ändern (so ausdrücklich BVerfGE 60, 253, 270; vgl auch BVerfG vom 15.10.2009 - 1 BvR 3522/08).

36

Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Nach der sog neuen Formel des BVerfG ist Art 3 Abs 1 GG dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72, 88; später BVerfGE 84, 133, 157; BVerfGE 85, 191, 210; BVerfGE 85, 238, 244; BVerfGE 87, 1, 36; BVerfGE 95, 39, 45). Dabei ist eine strenge Prüfung vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen ungleich behandelt werden (zu den Stufen der Prüfungsintensität vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 3 GG RdNr 17 f), während bei der Ungleichbehandlung von Sachverhalten eine großzügigere Prüfung geboten ist.

37

Bei der von der Klägerin geltend gemachten Ungleichbehandlung handelt es sich um eine solche Ungleichbehandlung von Sachverhalten, denn die Regelungen in § 73 SGB VII knüpfen nicht an Personenmerkmale an. Unter dem deshalb hier anzulegenden "Willkürmaßstab" ist die Regelung über die Bildung einer Gesamt-MdE verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist sachlich gerechtfertigt, dass Personen mit einer einzelnen, jedoch zu hoch bewerteten Gesundheitsstörung anders behandelt werden als solche Personen, bei denen die Gesamtbewertung der MdE auf mehreren Gesundheitsstörungen beruht, von denen eine zu hoch bewertet ist. Sowohl bei einer MdE, die auf einem singulärem Gesundheitsschaden beruht, als auch bei einer solchen, die sich aus dem Zusammentreffen mehrerer Gesundheitsschäden ergibt, ist die (Gesamt-)MdE Anknüpfungspunkt der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Auch bei der Festsetzung einer Gesamt-MdE aufgrund mehrerer Gesundheitsstörungen wirkt sich lediglich der Wegfall einer Teil-MdE auf die Gesamt-MdE aus, wenn diese Änderung mehr als 5 vH beträgt. Erst dann liegt eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vor. Eine Änderung in dieser Höhe muss auch bei der Feststellung einer nur auf einer einzigen Gesundheitsstörung vorliegenden Einzel-MdE vorliegen. Dass bei mehreren Gesundheitsstörungen jede Veränderung jeder einzelnen MdE in jedem medizinischen Teilbereich berücksichtigt werden kann, hält der Senat für sachgerecht, weil die rentenberechtigende Gesamt-MdE von (mindestens) 20 vH im Regelfall nur aus einer Summation von Schäden resultiert. Das LSG hat vorliegend - auch für den Fall einer unveränderten Bewertung der chirurgischen Unfallfolgen - eine solche wesentliche Änderung der Gesamt-MdE in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht, weil die psychologischen Folgen des Unfalls im Jahre 2007 nicht mehr vorlagen.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

Gegen die Urteile der Sozialgerichte findet die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts nichts anderes ergibt.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Renten an Versicherte werden von dem Tag an gezahlt, der auf den Tag folgt, an dem

1.
der Anspruch auf Verletztengeld endet,
2.
der Versicherungsfall eingetreten ist, wenn kein Anspruch auf Verletztengeld entstanden ist.

(2) Renten an Hinterbliebene werden vom Todestag an gezahlt. Hinterbliebenenrenten, die auf Antrag geleistet werden, werden vom Beginn des Monats an gezahlt, der der Antragstellung folgt.

(3) Die Satzung kann bestimmen, daß für Unternehmer, ihre im Unternehmen mitarbeitenden Ehegatten oder mitarbeitenden Lebenspartner und für den Unternehmern im Versicherungsschutz Gleichgestellte Rente für die ersten 13 Wochen nach dem sich aus § 46 Abs. 1 ergebenden Zeitpunkt ganz oder teilweise nicht gezahlt wird. Die Rente beginnt spätestens am Tag nach Ablauf der 13. Woche, sofern Verletztengeld nicht zu zahlen ist.

(4) (weggefallen)

(1) Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 vom Hundert mindern. Den Versicherungsfällen stehen gleich Unfälle oder Entschädigungsfälle nach den Beamtengesetzen, dem Bundesversorgungsgesetz, dem Soldatenversorgungsgesetz, dem Gesetz über den zivilen Ersatzdienst, dem Gesetz über die Abgeltung von Besatzungsschäden, dem Häftlingshilfegesetz und den entsprechenden Gesetzen, die Entschädigung für Unfälle oder Beschädigungen gewähren.

(2) Die Minderung der Erwerbsfähigkeit richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Bei jugendlichen Versicherten wird die Minderung der Erwerbsfähigkeit nach den Auswirkungen bemessen, die sich bei Erwachsenen mit gleichem Gesundheitsschaden ergeben würden. Bei der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit werden Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, daß sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalls nicht mehr oder nur noch in vermindertem Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden.

(3) Bei Verlust der Erwerbsfähigkeit wird Vollrente geleistet; sie beträgt zwei Drittel des Jahresarbeitsverdienstes. Bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit wird Teilrente geleistet; sie wird in der Höhe des Vomhundertsatzes der Vollrente festgesetzt, der dem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit entspricht.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Tenor

Das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 20. Mai 2009 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 50 vH zu zahlen.

2

Die Klägerin befand sich am 15.5.2000 auf dem Weg von ihrer Arbeitsstätte, dem Amt für Landwirtschaft in G, zu ihrer Wohnung. Aufgrund eines Staus musste sie anhalten. Ein Ford Transit fuhr auf ihr stehendes Kraftfahrzeug (Kfz) auf und schob es auf das davor stehende Kfz. Die angeschnallte Klägerin wurde bei dem Unfall nach vorne und wieder zurück geschleudert. Sie konnte am Unfallort mit dem Unfallgegner und der Polizei die Formalitäten abwickeln und fuhr mit dem Pkw nach Hause. Wegen starker Schmerzen an der Wirbelsäule musste sie sich drei Stunden später in die ambulante Notfallbehandlung im Kreiskrankenhaus Meißen begeben. Die Erstdiagnose der dortigen Ärzte lautete: "HWS - Schleudertrauma, Schädelprellung". Vom 19. bis 27.5.2000 schloss sich eine stationäre Krankenhausbehandlung an. In der Folge weiteten sich die Beschwerden aus. Die Beklagte zahlte der Klägerin bis 4.4.2002 Verletztengeld.

3

Mit Schreiben vom 25.1.2001 teilte die Beklagte der Klägerin mit, sie beabsichtige die Einholung eines unfallchirurgischen Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens. Sie schlug drei namentlich benannte Haupt- sowie einen namentlich benannten Zusatzgutachter, sonst solche der jeweiligen Einrichtung, vor und wies die Klägerin auf ihr Widerspruchsrecht hin. Die Klägerin widersprach den Vorschlägen der Beklagten und schlug vor, das Evangelische Stift St. M. in K. solle mit der Begutachtung beauftragt werden, da sie dort bereits behandelt wurde. Die Beklagte ernannte Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. zum Hauptgutachter. Auf dessen Veranlassung wurde bei Dr. S. (Dr S) das neurologische Gutachten vom 18.3.2001 eingeholt.

4

Mit Bescheid vom 4.3.2002 erkannte die Beklagte den Unfall als Arbeitsunfall an. In dem Bescheid regelte sie weiter: "Wegen der Folgen des Arbeitsunfalls besteht kein Anspruch auf Rente." Zur Begründung führte sie aus, Unfallfolgen lägen nach ausgeheilter "Zerrung der Halswirbelsäule (HWS) und der Halsweichteile“ nicht mehr vor. Unfallunabhängig bestehe eine Konversionsneurose mit dadurch bedingter Bewegungseinschränkung der HWS, der Schultergelenke sowie Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich. Der Widerspruch der Klägerin blieb im Widerspruchsbescheid vom 2.7.2002 ohne Erfolg.

5

Die Klägerin hat beim SG Dresden Klage erhoben. Sie hat Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 vH begehrt. Mit Schriftsatz vom 13.2.2004 hat die Beklagte dem SG die "Beratungsärztliche Stellungnahme" der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. H. (Dr H) vom 29.12.2003 vorgelegt, die das SG der klägerischen Seite übersandt hat. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 19.7.2006 abgewiesen. Ein Zusammenhang zwischen den umfangreichen Beschwerden und dem Unfall bestehe nicht. Der Unfall habe über den Zeitpunkt der Zahlung von Verletztengeld hinaus keine objektivierbaren Folgen hinterlassen.

6

Die Klägerin hat gegen das Urteil des SG beim Sächsischen LSG Berufung eingelegt. Sie hat ihr Begehren dahingehend erweitert, dass ihr Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH zu zahlen sei. Das LSG müsse ein Unfallrekonstruktions- und ein biomechanisches Gutachten einholen, um die Kräfte festzustellen, die auf ihre HWS eingewirkt hätten. Die Diagnose einer Konversionsneurose sei abzulehnen, da sie von einem Orthopäden gestellt worden sei.

7

Das LSG hat die Berufung mit Urteil vom 20.5.2009 zurückgewiesen. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den geltend gemachten Gesundheitsstörungen und dem Unfall habe sich nicht wahrscheinlich machen lassen. Das Unfallgeschehen sei an sich in der Lage gewesen, ein whiplash-syndrome zu verursachen. Die Klägerin habe durch den Arbeitsunfall nicht näher bezeichnete Gesundheitserstschäden erlitten, denn sie sei bei der Kollision erheblichen Beschleunigungskräften ausgesetzt gewesen. Ein solches Trauma bewirke "in der Regel" eine Zerrung im Hirnstamm, was sich in messbaren Versagungszuständen äußern könne. Die Klägerin weise aber nur zum Teil eine spezifische Symptomatik auf. Daneben bestehe eine damit verwandte Symptomatik, welche keineswegs dem Unfallgeschehen zuzuordnen sei. Über die Ursachen des vorhandenen eher untypischen Beschwerdebilds könne nur spekuliert werden. In der Urteilsbegründung hat sich das LSG überwiegend auf eigene Recherchen gestützt und ist den Gerichtsgutachtern, zB Prof. St., ausdrücklich nicht gefolgt. Es sei wahrscheinlich, dass die bestehenden Beschwerden in den Zusammenhang mit den von Dr H dokumentierten gesundheitlichen Auffälligkeiten einzuordnen seien.

8

Die Klägerin hat die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 8 Abs 1 Satz 1, Abs 2 iVm § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII. Der Wegeunfall habe zu Gesundheitsfolgeschäden geführt, die eine Verletztenrente nach einer MdE mit wenigstens 50 vH bedingten. Das LSG habe bei der Klägerin Gesundheitsschäden festgestellt. Dagegen habe es eine Konkurrenzursache, also einen Vorschaden, nicht bejaht. Ausdrücklich habe das LSG ein pseudoneurasthenisches Syndrom, eine Konversionsneurose, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und einen psychischen Konflikt verneint und den Unfall als Gelegenheitsursache ausgeschlossen. Damit seien die Voraussetzungen einer Rentengewährung zu bejahen.

9

Des Weiteren erhebt die Klägerin Verfahrensrügen. Das LSG habe die Berufung nicht aufgrund eigener Auswertung medizinischer Fachliteratur und aufgrund eigenen Erfahrungswissens zurückweisen dürfen. Dies sei aber geschehen, da das Gericht sich weder auf eines der eingeholten gerichtlichen Gutachten gestützt noch ein weiteres ärztliches Zusammenhangsgutachten auf aktuellem wissenschaftlichen Kenntnisstand eingeholt habe. Wenn das LSG sich auf eigene Sachkunde und selbst ausgewertete Veröffentlichungen stützen wolle, müsse es die Klägerin auf seine Kenntnisse und Erfahrungen sowie die herangezogene Literatur hinweisen. Da dies nicht geschehen sei, verletze das Urteil das rechtliche Gehör der Klägerin. Das LSG habe ein Beweisverwertungsverbot nicht beachtet. Es habe sich auf die Stellungnahme der Dr H vom 29.12.2003 gestützt, die aber nicht verwertbar sei. Es könne dahin stehen, ob es sich um eine beratungsärztliche Stellungnahme oder ein Gutachten handele, denn auch als Stellungnahme nehme die Äußerung Bezug auf das Zusatzgutachten des Dr S vom 18.3.2001, das unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Vorschriften eingeholt worden sei. Nach der Rechtsprechung des Senats bestehe deshalb bezüglich des Gutachtens Dr S ein Beweisverwertungsverbot, das sich auf alle weiteren Gutachten und ärztlichen Stellungnahmen erstrecke, die hierauf aufbauten.

10

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sächsischen LSG vom 20. Mai 2009, das Urteil des SG Dresden vom 19. Juli 2006 sowie den ablehnenden Verwaltungsakt im Bescheid der Beklagten vom 4. März 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juli 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 vH seit 5. April 2002 zu zahlen.

11

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

12

Ausgehend von einer Vielzahl in Betracht kommender Erkrankungen fehle es an der Feststellung konkreter Gesundheitsstörungen auf der Grundlage eines üblichen Diagnosesystems und unter Verwendung der dortigen Begriffe und Bezeichnungen. Im Recht der Versicherungsfälle nach dem SGB VII gebe es keine Beweisregel, wonach bei fehlender Alternativursache die versicherte Ursache automatisch die wesentliche Ursache sei (unter Hinweis auf BSG vom 7.9.2004 - B 2 U 34/03 R). Die beratungsfachärztliche Stellungnahme der Dr H sei verwertbar, da die Klägerin von ihrem höchstpersönlichen Widerspruchsrecht keinen Gebrauch gemacht habe. Die Stellungnahme sei beim SG in den Rechtsstreit eingeführt worden. Die Klägerin habe die Nichtverwertbarkeit der Stellungnahme bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem SG nicht gerügt und dadurch ihr Rügerecht verloren.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision ist sowohl wegen Verletzung von materiellem Bundesrecht (dazu 1.) als auch wegen durchgreifender Verfahrensrügen (dazu 2.) im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie der darin getroffenen Feststellungen und Zurückverweisung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

14

1. Über die mit der Revision weiterverfolgten Anfechtungsklagen wegen der ablehnenden Verwaltungsakte in den Bescheiden der Beklagten und die Leistungsklage auf Zahlung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH kann der Senat nicht abschließend entscheiden, da die tatsächlichen Feststellungen des LSG keine abschließende Beurteilung der geltend gemachten Ansprüche erlauben.

15

a) Nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls - hier eines Arbeitsunfalls - über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens (§ 56 Abs 2 Satz 1 SGB VII). Um das Vorliegen einer MdE beurteilen zu können, ist zunächst zu fragen, ob das aktuelle körperliche oder geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist. In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang dadurch die Arbeitsmöglichkeiten der versicherten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert werden.

16

Die Bemessung des Grades der MdE erfolgt als Tatsachenfeststellung des Gerichts, die dieses gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft(stRspr zB BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2). Die zur Bemessung der MdE in Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind dabei zu beachten. Sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen ständigem Wandel (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

17

Vorliegend würde die Einschätzung der MdE der Klägerin voraussetzen, dass der als Arbeitsunfall anerkannte Verkehrsunfall bei der Klägerin eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens hervorgerufen hat. Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen konkret zu bezeichnende Krankheiten (BSG 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22)die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (vgl BSG vom 19.8.2003 - B 2 U 50/02 R - Juris RdNr 23; BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 22).

18

Nach diesen Maßstäben kann der Senat über das Bestehen eines Rentenanspruchs der Klägerin nicht entscheiden, da das LSG keine Feststellungen über die bei der Klägerin bestehende MdE getroffen hat. Es verneint zwar eine Reihe von Gesundheitsstörungen der Klägerin und diskutiert eine Reihe anderer als möglicherweise gegeben, stellt aber nicht positiv fest, welche Funktionseinschränkungen aufgrund welcher Gesundheitsstörungen aktuell vorliegen. Deshalb kann der Senat nicht entscheiden, ob und ggf in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit der Klägerin eingeschränkt ist.

19

b) Der Senat kann auch nicht dahingestellt lassen, ob und ggf welche Beeinträchtigungen des körperlichen oder geistigen Leistungsvermögens vorliegen. Auf die Feststellung dieser Tatsachen könnte nur verzichtet werden, wenn der Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und einer vorliegenden MdE sicher auszuschließen wäre. Auch hierzu hat das LSG die erforderlichen Feststellungen nicht getroffen.

20

Voraussetzung eines Rentenanspruchs ist ua, dass der Versicherungsfall die Arbeitsmöglichkeiten von Versicherten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens vermindert, bei dem jeweiligen Versicherten also eine MdE verursacht (BSG vom 5.9.2006 - B 2 U 25/05 R - SozR 4-2700 § 56 Nr 2; Burchardt in Becker ua, Gesetzliche Unfallversicherung - Kommentar, § 56 RdNr 11). Zur Feststellung des Ursachenzusammenhangs ist zunächst zu prüfen, ob die MdE durch einen nachgewiesenen Versicherungsfall im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne verursacht worden ist. Bejahendenfalls ist weiter zu fragen, ob auch andere - ebenfalls sicher feststehende - Faktoren, wie Vorerkrankung, Nacherkrankung, innere Ursache usw, im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne kausal für das Bestehen einer MdE geworden sind. Wird die MdE sowohl durch den Versicherungsfall als auch durch andere Faktoren verursacht, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilen, ob die MdE "wesentlich" durch den Versicherungsfall (mit)verursacht worden ist. Für diese Feststellung genügt bei der Überzeugungsbildung des Tatsachengerichts der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit (stRspr BSG vom 2.2.1978 - 8 RU 66/77 - BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr 38 S 105 f; BSG vom 30.4.1985 - 2 RU 43/84 - BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr 1 S 3 f). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden. Allein die Möglichkeit eines Ursachenzusammenhangs genügt dagegen nicht (BSG vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, jeweils RdNr 20).

21

Zwar hat das LSG vorliegend den Arbeitsunfall sowie andere Umstände als Ursachen diskutiert, es hat aber nicht festgestellt, dass entweder der Arbeitsunfall oder eine andere Ursache (zB Vorerkrankungen) oder beide Umstände für eine Beeinträchtigung des Leistungsvermögens eine Ursache gesetzt haben.

22

Mithin fehlt es für eine abschließende Entscheidung über den Anspruch auf Rente nach § 56 SGB VII neben der Feststellung einer MdE (oben a) auch daran, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Versicherungsfall und einer möglichen MdE weder festgestellt noch auszuschließen ist (oben b). Daher kann der Senat nicht entscheiden, ob ein Anspruch auf Verletztenrente nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII besteht oder nicht besteht.

23

3. Das Urteil des LSG und die darin getroffenen Feststellungen sind auch wegen zulässig und begründet erhobener Verfahrensrügen aufzuheben.

24

a) Das LSG hat, wie von der Klägerin im Einzelnen dargelegt wurde, deren Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

25

Der Anspruch auf rechtliches Gehör soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung des Gerichts überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190). Wenn ein Gericht - wie hier - eigene Sachkunde bei der Urteilsfindung berücksichtigen will, muss es den Beteiligten die Grundlagen für seine Sachkunde offenbaren. Das Gericht muss darlegen, worauf seine Sachkunde beruht und was diese beinhaltet, damit die Beteiligten dazu Stellung nehmen und ihre Prozessführung hierauf einrichten können (zur Gehörsverletzung bei Unterlassung dieses Hinweises: BSG vom 5.3.2002 - B 2 U 27/01 R - Juris RdNr 20 f mwN).

26

Das LSG hat eine Überraschungsentscheidung getroffen, da es nicht den eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten gefolgt ist, sondern seine Zusammenhangsbeurteilung allein auf eine von ihm selbst unter Auswertung der unfallmedizinischen Literatur entwickelte Beurteilung, also auf eigene Sachkunde, gestützt hat. Vor der Entscheidung hat es die Beteiligten nicht auf das Bestehen eigener medizinischer Sachkunde hingewiesen und ihnen nicht erläutert, was diese beinhaltet. Damit liegt der gerügte Verfahrensfehler vor. Die Entscheidung kann auf dem Verfahrensfehler beruhen, da nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin, hätte sie Kenntnis von der Sachkunde des LSG und deren Inhalten erhalten, die von ihr aufgezeigten Einwendungen vorgebracht und dadurch das LSG zu einer anderen Entscheidung gebracht hätte.

27

b) Das LSG hat die Pflicht zur Sachaufklärung (§ 103 SGG) verletzt.

28

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass die Frage, ob ein Ursachenzusammenhang - zB zwischen beruflichen Einwirkungen und einer Erkrankung - zu bejahen ist, vom Tatsachengericht unter Zuhilfenahme medizinischer, naturwissenschaftlicher und technischer Sachkunde nach dem im Entscheidungszeitpunkt bestehenden aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu beantworten ist (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7 RdNr 21). Nichts anderes kann gelten, wenn es bei einem geltend gemachten Rentenanspruch um die Beurteilung geht, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen einem Versicherungsfall und einer geltend gemachten MdE besteht.

29

Diesen Anforderungen an die Sachaufklärung ist das LSG nicht gerecht geworden. Zwar hat es medizinische Sachverständigengutachten eingeholt, ist diesen aber nicht gefolgt. Da das LSG nach seiner Rechtsauffassung kein Gutachten eingeholt hatte, das den Ursachenzusammenhang dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entsprechend beurteilte, hätte es (weitere) medizinische Ermittlungen durchführen müssen, die diesen Anforderungen entsprechen. Zwar können die Gerichte zur Entscheidungsfindung auch einschlägige wissenschaftliche Publikationen heranziehen (vgl BSG vom 27.6.2006 - B 2 U 20/04 R - BSGE 96, 291 = SozR 4-2700 § 9 Nr 7, RdNr 21). Diese dienen aber regelmäßig nicht der Beurteilung eines Ursachenzusammenhangs durch das Gericht selbst, sondern der kritischen Überprüfung eingeholter Gutachten daraufhin, ob sie dem aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft entsprechen.

30

c) Demgegenüber wird das LSG die Stellungnahme der Dr H bei seiner erneuten Beweiswürdigung verwerten dürfen. Denn die weitere von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, diese Stellungnahme sei wegen eines Verstoßes gegen § 200 Abs 2 SGB VII nicht verwertbar, ist unbegründet.

31

Die Klägerin rügt, das LSG habe die Äußerung der Ärztin Dr H vom 29.12.2003 nicht verwerten dürfen, da diese einem Beweisverwertungsverbot unterliege. Auch wenn es sich bei dieser Äußerung um eine beratungsärztliche Stellungnahme handele, sei sie nicht verwertbar, da darin auf das Gutachten des Dr S abgestellt werde, das seinerseits unter Verletzung datenschutzrechtlicher Vorschriften eingeholt worden sei. Aufgrund der Fernwirkung des Beweisverwertungsgebots bezüglich des Gutachtens Dr S sei auch die beratungsärztliche Stellungnahme der Dr H unverwertbar, was sie rechtzeitig gerügt habe.

32

Das LSG durfte und darf die ärztliche Stellungnahme der Dr H verwerten, denn weder hat die Beklagte die Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht (§ 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII; dazu aa) noch hat sie das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII; dazu bb) verletzt.

33

aa) Die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII iVm § 76 Abs 2 SGB X kann ein Beweisverwertungsverbot auslösen (BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 50 f). Zwar besteht kein Rechtssatz des Inhalts, dass im Fall einer rechtsfehlerhaften Beweiserhebung die Verwertung der gewonnenen Beweise stets unzulässig ist (vgl BVerfG vom 19.9.2006, 2 BvR 2115/01, BVerfGK 9, 174, 196). Ein Beweisverwertungsverbot ist aber bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen geboten, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen außer Acht gelassen worden sind (vgl BVerfG vom 12.4.2005, 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61). Ein solches unmittelbar aus den Grundrechten abgeleitetes Beweisverwertungsverbot ist allerdings nur anzunehmen, wenn der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist (vgl BVerfG vom 3.3.2004, 1 BvR 2378/98, BVerfGE 109, 279, 320; BVerfG vom 9.11.2010, 2 BvR 2101/09).

34

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Recht, Widerspruch gegen die Weitergabe von Sozialdaten einlegen zu können, den Schutzbereich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art 2 Abs 1 GG iVm Art 1 Abs 1 GG; dazu zuletzt BVerfG vom 21.9.2010, 1 BvR 1865/10) berührt. Aus dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung dürfte sich kein verfassungsrechtliches Gebot ableiten lassen, die Betroffenen ausdrücklich über ihr gesetzliches Widerspruchsrecht belehren zu müssen. Auch außerhalb des SGB VII können Betroffene der Weitergabe von Sozialdaten widersprechen, wenn diese besonders schutzwürdig sind (§ 76 Abs 2 SGB X). Eine Belehrungspflicht bei jeder Weitergabe von Sozialdaten ist außerhalb des SGB VII nicht geregelt. Verletzungen des Sozialdatenschutzes führen dort vielmehr in erster Linie zu den in §§ 81 f SGB X normierten Rechtsfolgen. Die Regelung des § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII dürfte daher eine spezifisch verfahrensrechtliche Belehrungspflicht im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung begründen. Eine Verletzung der Belehrungspflicht könnte danach als einfachrechtlicher Verfahrenfehler zu qualifizieren sein (vgl auch Köhler ZFSH/SGB 2009, 451, 455).

35

Vor diesem Hintergrund ist weiter fraglich, ob die Verletzung datenschutzrechtlicher Regelungen ggf nur zum Verbot der Verwertung des rechtswidrig erhobenen Beweismittels führt, oder ob dies Beweisverwertungsverbot - kraft Fernwirkung - sogar auf später erhobene Beweismittel durchschlägt, die auf das unter Verletzung von Datenschutz- oder Verfahrensrechten eingeholte Gutachten Bezug nehmen (so BSG vom 5.2.2008 - B 2 U 8/07 R - BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1, RdNr 62 f).

36

Die Annahme einer solchen Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots ist in der Literatur auf Kritik gestoßen (kritisch Bieresborn, Anm zu B 2 U 8/07 R, SGb 2009, 49, 51; Behrens/Froede, NZS 2009, 129, 134; zum Vergleich mit fehlender Belehrungspflicht im Strafrecht: Köhler in ZFSH/SGB 2009, 451, 460 f; "schwer erträglich" Kunze, VSSR 2009, 205, 216; "nicht überzeugend" C. Wagner in jurisPR-SozR 25/2008 Anm 6). Diese Kritik führt vor allem an, dass in der Rechtsprechung des BVerfG und der obersten Gerichtshöfe des Bundes eine Fernwirkung von Beweisverwertungsverboten in aller Regel abgelehnt wird (vgl BVerfG vom 8.12.2005 - 2 BvR 1686/04 - BVerfGK 7, 61; BGH vom 28.4.1987 - 5 StR 666/86 - BGHSt 34, 362; BGH vom 24.8.1983 - 3 StR 136/83 - BGHSt 32, 68, 71; BGH vom 6.8.1987 - 4 StR 333/87 - BGHSt 35, 32). Diese Kritik sowie die ständige Rechtsprechung dieser Gerichte werden bei erneuter Prüfung der Problematik zu bedenken sein.

37

Vorliegend kommt es auf diese grundsätzlichen Erwägungen nicht an. Das LSG durfte die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr H vielmehr schon deshalb verwerten, weil eine Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht nicht vorliegt.

38

Eine Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht besteht nach dem Tatbestand des § 200 Abs 2 SGB VII nur für ärztliche "Gutachten". Auf ärztliche Stellungnahmen von Beteiligten ist die Regelung nicht anwendbar. Dr H hat aber für die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme abgegeben. Die Beklagte hat die Ärztin nicht zur Sachverständigen bestellt, sondern nur ihre fachliche Bewertung des Gutachtens eines bestellten Sachverständigen eingeholt. Dr H hat ihre Stellungnahme als beratungsärztliche Äußerung bezeichnet. Auch ihrem Inhalt nach hat sie die Klägerin nicht untersucht und kein Gutachten nach Aktenlage abgegeben. Jeder Beteiligte ist nach dem SGG vielmehr berechtigt, sein Vorbringen auch auf Äußerungen von Beratungsärzten, Hausärzten oder behandelnde Fachärzte zu stützen.

39

Die Stellungnahme der Dr H, in der auf das Gutachten des Dr S hingewiesen wird, ist auch schon deshalb nicht unverwertbar, weil dieses Gutachten seinerseits nicht unter Verletzung der Pflicht zur Belehrung über das Widerspruchsrecht eingeholt wurde.

40

Der Senat hatte auf die zulässig erhobene Verfahrensrüge zu prüfen, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler tatsächlich vorliegt und dabei festgestellt, dass die Klägerin vor Einholung des Gutachtens Dr S mit Schreiben vom 25.1.2001 nach § 200 Abs 2 Halbs 2 SGB VII über ihr Widerspruchsrecht belehrt worden war. Die Beklagte schlug der Klägerin mit Schreiben vom 25.1.2001 Gutachter zur Auswahl vor und belehrte sie in demselben Schreiben über ihr Widerspruchsrecht. Diese Belehrung erfolgte zwar nicht in Bezug auf einen namentlich benannten Arzt, hier zB Dr S. Dies ist nach dem Wortlaut der Vorschrift aber auch nicht geboten, denn diese fordert eine im Zusammenhang mit dem Vorschlag von Gutachtern oder deren Beauftragung zu erteilende Belehrung über das Widerspruchsrecht nach § 76 Abs 2 SGB X. Diesen Anforderungen genügte die Beklagte, als sie die Klägerin allgemein, rechtzeitig und vollständig darüber belehrt hat, dass ihre Sozialdaten an die zu beauftragenden Gutachter weitergegeben werde und sie der Weitergabe der Daten widersprechen kann.

41

bb) Die Beklagte hat auch nicht das Auswahlrecht der Klägerin (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) verletzt.

42

Der Senat ließ in der Entscheidung vom 5.2.2008 (B 2 U 8/07 R, BSGE 100, 25 = SozR 4-2700 § 200 Nr 1) offen, ob die Verletzung des Auswahlrechts (§ 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII) ein Beweisverwertungsverbot nach sich zieht (BSG aaO, RdNr 57). Inzwischen hat er entschieden, dass die Verletzung des Auswahlrechts nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, wenn der Betroffene die Verletzung des Auswahlrechts nicht rechtzeitig rügt (Rügeobliegenheit). Durch die Rüge wird der Unfallversicherungsträger in die Lage versetzt, die eingetretene Rechtsverletzung zu beseitigen sowie zeitnah und nach Maßgabe der §§ 20, 67 ff SGB X, 200 f SGB VII neue Ermittlungen durchzuführen, um dem Beschleunigungsgebot aus § 9 Satz 2 SGB X entsprechend zügig über geltend gemachte Ansprüche zu entscheiden(§ 2 Abs 2 SGB I). Hier kann aber dahingestellt bleiben, ob die anwaltlich vertretene Klägerin rechtzeitig die Verletzung des Auswahlrechts bei Einholung des Gutachtens Dr S gerügt und der Begutachtung durch diesen Arzt widersprochen hätte (vgl auch BSG vom 20.7.2010 - B 2 U 17/09 R - Juris RdNr 33 f; zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen), denn die Beklagte hat schon das Auswahlrecht der Klägerin nicht verletzt.

43

Zwar dürfte das Auswahlrecht der Versicherten nach § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII auch bezüglich der Zusatzgutachter zu beachten sein(vgl Dahm in Lauterbach, UV , Stand August 2009, § 200 RdNr 17 mwN). Die Verletzung kommt in Betracht, denn die Beklagte hat der Klägerin nicht mehrere namentlich benannte Zusatzgutachter vorgeschlagen. Das Auswahlrecht der Klägerin ist dennoch nicht verletzt, denn der Vorschlag mehrerer Zusatzgutachter zur Auswahl war im vorliegenden Fall entbehrlich ("soll").

44

Der Verzicht der Beklagten auf Benennung von mehreren Zusatzgutachtern zur Auswahl war nicht rechtswidrig, denn es lag ein atypischer Fall vor. Die Beklagte teilte der Klägerin mit, dass die Einholung eines orthopädischen und eines Haupt- und eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens beabsichtigt sei. Hierzu schlug sie der Klägerin drei Hauptgutachter und einen Zusatzgutachter zur Auswahl vor. Die Klägerin wandte sich gegen die Begutachtung durch einen der vorgeschlagenen Gutachter und teilte mit, sie wolle durch einen Arzt des Evangelischen Stifts St. M. in K. begutachtet werden. Die Beklagte folgte dem Vorschlag der Klägerin und beauftragte Chefarzt Prof. Dr. B. vom Evangelischen Stift St. M. mit dem Hauptgutachten. Sie bat ihn, bei einem namentlich nicht benannten Arzt ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten einzuholen. Der Hauptgutachter wählte Dr S als Zusatzgutachter aus und beauftragte ihn.

45

Zur Erreichung der mit der Vorschlagspflicht verfolgten Zwecke war es vorliegend nicht geboten, der Klägerin mehrere Zusatzgutachter zur Auswahl zu benennen. § 200 Abs 2 Halbs 1 SGB VII bezweckt die Gewährleistung eines transparenten Verfahrens, die Bereitstellung eines Pools von Gutachtern und die Sicherung des Datenschutzes(BT-Drucks 13/4853, S 22). Möglicherweise dient die Regelung, ohne dass dies allerdings Erwähnung in der Gesetzesbegründung gefunden hätte, auch der Verhinderung einer Übermacht des Unfallversicherungsträgers im Verfahren (so der Senat im Urteil vom 5.2.2008 aaO, RdNr 37 bis 39; kritisch dazu Kunze, VSSR 2009, 205, 209 f).

46

Die Versicherte schlug der Beklagten selbst vor, die Begutachtung solle in einer von ihr gewählten Einrichtung erfolgen. Die Beklagte folgte dem Vorschlag. Sie musste, da die Einrichtung weit außerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs lag, dort keinen Pool von zur Begutachtung kompetenten Ärzten vorhalten. Die Beklagte nahm auch keinen Einfluss auf die Auswahl der Person des Zusatzgutachters, denn sie überließ die Auswahl dem von der Klägerin gewünschten Hauptgutachter und griff nicht in die Auswahl des Zusatzgutachters ein (vgl auch Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand Januar 2011, § 200 SGB VII Anm 4.3; kritisch C. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII § 200 RdNr 39). Vorliegend kommt hinzu, dass Dr S kein Hauptgutachten erstattet hat, sondern als Zusatzgutachter für den Hauptgutachter tätig geworden ist. Die Beauftragung eines vom Versicherten gewünschten Arztes löst auch kein weiteres/neues Auswahlverfahren aus.

47

Nach allem ist die Verfahrensrüge der Klägerin unbegründet; das LSG durfte und darf die Stellungnahme der Dr H verwerten.

48

4. In dem wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG aktuelle medizinische Gutachten zu der Frage einzuholen haben, ob konkret zu bezeichnende Gesundheitsstörungen vorliegen, die zu bestimmten Funktionseinschränkungen führen, die bei der Klägerin eine MdE verursachen. Soweit dies zu bejahen ist, ist weiter gutachtlich zu klären, ob zwischen Versicherungsfall und der MdE ein Ursachenzusammenhang besteht und ob daneben andere Ursachen die MdE begründen. Falls mehrere Ursachen für die MdE festgestellt werden, wird zu beurteilen sein, ob der Arbeitsunfall für den Eintritt der MdE eine rechtlich wesentliche Ursache war. Dabei ist das LSG nicht gehindert, die von der Beklagten erhobenen Gutachten und die von ihr vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen zu verwerten.

49

5. Das LSG hat in der einheitlich zu treffenden Kostenentscheidung auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden.

(1) Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der Minderung der Erwerbsfähigkeit noch nicht abschließend festgestellt werden kann. Innerhalb dieses Zeitraums kann der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit jederzeit ohne Rücksicht auf die Dauer der Veränderung neu festgestellt werden.

(2) Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der Minderung der Erwerbsfähigkeit abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben.

(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung, wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist.

(2) Fallen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente weg, wird die Rente bis zum Ende des Monats geleistet, in dem der Wegfall wirksam geworden ist. Satz 1 gilt entsprechend, wenn festgestellt wird, daß Versicherte, die als verschollen gelten, noch leben.

(3) Bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muß die Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit länger als drei Monate andauern.

(4) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Das schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(5) Witwen- und Witwerrenten nach § 65 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a wegen Kindererziehung werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann wiederholt werden.

(6) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Entziehung der Verletztenrente durch die Beklagte wegen wesentlicher Besserung der Unfallfolgen.

2

Die Klägerin erlitt am 20.3.1998 einen Wegeunfall, als die Ladung eines entgegenkommenden LKW auf ihr Fahrzeug stürzte. Dadurch erlitt sie multiple Prellungen und Schürfwunden sowie eine Fraktur im Bereich des linken Oberarmkopfes. Anschließend stellten sich psychische Beeinträchtigungen ein. Nach Ermittlungen erkannte die Beklagte den Unfall durch Bescheid vom 25.10.1999 als Arbeitsunfall an und bewilligte ab 1.6.1998 eine Rente als vorläufige Entschädigung nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 vH wegen der chirurgischen Unfallfolgen. Zugleich teilte sie mit, wegen der psychischen Unfallfolgen werde ein ergänzender Bescheid ergehen. Ein nervenärztlicher Gutachter schätzte die unfallbedingte MdE auf seinem Fachgebiet mit 10 vH ein. Darauf bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 9.1.2001 Rente auf unbestimmte Zeit nach einer MdE um 25 vH.

3

Bei Überprüfungen in den Jahren 2002 und 2005 wurde eine unveränderte MdE festgestellt. Im Jahre 2007 beschrieb ein Neurologe und Psychiater einen weitgehend unauffälligen psychopathologischen Befund. Von Seiten des chirurgischen Fachgebiets wurde die MdE nur noch auf 15 vH und die Gesamt-MdE auf 15 vH eingeschätzt. Deshalb hob die Beklagte nach Anhörung der Klägerin mit Bescheid vom 24.7.2007 den Verwaltungsakt über die Bewilligung einer Rente nach einer MdE um 25 vH vom 9.1.2001 mit Wirkung ab 1.8.2007 auf und entzog die Rente mit Ablauf des Monats Juli 2007. Gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, sei eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung eingetreten. Eine MdE in rentenberechtigendem Grad bestehe nicht mehr. Der Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13.6.2008).

4

Die dagegen erhobene Klage hat das SG Köln mit Urteil vom 8.7.2010 abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung hat das LSG Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 31.5.2011 zurückgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die Beklagte habe der Klägerin die Rente zu Recht mit Ablauf des Monats Juli 2007 entzogen, denn in den Unfallfolgen liege seit Mai 2007 eine wesentliche Besserung im Vergleich zu den Verhältnissen vor, die dem Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde gelegen hätten. Zwar seien die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet im Wesentlichen unverändert geblieben und in dem der Festsetzung der Rente zugrunde liegenden Gutachten zu hoch bewertet worden. Dies folge aus dem nunmehr eingeholten chirurgischen Gutachten, nach dem die unfallbedingten Einschränkungen des linken Arms und der linken Schulter sowohl zum Zeitpunkt des Bescheids vom 9.1.2001 als auch zum Zeitpunkt der erneuten Untersuchung nur eine Teil-MdE um 10 vH rechtfertigten. Dagegen sei in den unfallbedingten Gesundheitsstörungen des nervenärztlichen Fachgebiets eine wesentliche Besserung eingetreten. Diese bedingten im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH und seien nun nicht mehr feststellbar. Da sich die gesundheitliche Situation wesentlich gebessert habe, sei die Rentenbewilligung aufzuheben. Auch die alternative Betrachtung, die die frühere Gesamt-MdE zugrunde lege, ergebe keine günstigere Beurteilung. Danach führe der Wegfall der MdE auf neurologisch-psychiatrischem Gebiet unter Berücksichtigung einer chirurgisch-orthopädischen MdE von 15 vH zu einer Gesamt-MdE von 15 vH. Folglich sei in der anerkannten Gesamt-MdE um 25 vH eine Absenkung um mehr als 5 vH eingetreten.

5

Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII. Das LSG habe die Auslegung des Rechtsbegriffs der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen fehlerhaft vorgenommen. Die gesetzlichen Voraussetzungen, den Bescheid der Beklagten mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, seien nicht gegeben, denn der frühere Bescheid dürfe nur aufgehoben werden, wenn sich die Tatsachengrundlage ändere. Vorliegend seien jedoch die gesundheitlichen Feststellungen der Klägerin auf unfallchirurgischem Fachgebiet unverändert geblieben. Bei der erstmaligen Feststellung der MdE habe die unfallchirurgische MdE bei mindestens 20 vH gelegen. Nehme man die Teil-MdE weiterhin mit 20 vH an, sei unter Berücksichtigung des § 73 Abs 3 SGB VII keine wesentliche Änderung eingetreten. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Einzel-MdE in den Tenor des Bescheids eingeflossen sei oder ob es sich nur um eine vorbereitende Feststellung handele, die in der Gesamt-MdE zusammengeführt werde. Die Einzel-MdE sei gegenüber der Gesamt-MdE nicht minder bedeutungsvoll und erwachse in Bestandskraft. Im Ergebnis müsse es bei der MdE von 20 vH auf chirurgischem Gebiet bleiben. Das Ergebnis der Beklagten verletze die Klägerin in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG, denn Personen, deren MdE sich aus mehreren Gesundheitsstörungen zusammensetze, dürften nicht schlechter behandelt werden als Personen mit einer MdE aufgrund nur einer Gesundheitsstörung. Letztere erwachse aber, weil sie zugleich die Gesamt-MdE darstelle, in Bestandskraft.

6

Die Klägerin beantragt,

        

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 31. Mai 2011 und des Sozialgerichts Köln vom 8. Juli 2010 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juni 2008 aufzuheben.

7

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

8

Sie trägt vor, der Entzug der Rente sei mit Ablauf des Juli 2007 aufgrund wesentlicher Änderung in den Unfallfolgen zu Recht erfolgt, denn es sei eine wesentliche Änderung gegenüber dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 eingetreten. Aus der dort festgestellten Gesamt-MdE von 25 vH könne nicht auf die Höhe der zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte geschlossen werden.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Revision der Klägerin ist unbegründet; das angefochtene Urteil des LSG ist rechtlich nicht zu beanstanden (§ 162 SGG).

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Mit der Revision verfolgt die Klägerin in zulässiger Weise ihre Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) wegen der Regelung der Beklagten in ihrem Bescheid vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.6.2008 weiter, denn sie ist durch diese Verwaltungsakte beschwert. Mit deren Aufhebung wäre ihre Beschwer beseitigt und die Rente nach einer MdE um 25 vH würde über den 31.7.2007 hinaus weitergezahlt werden. Die Vorinstanzen haben aber zu Recht die Klage ab- und die Berufung zurückgewiesen, denn die angefochtenen Bescheide sind weder rechtswidrig noch verletzen sie die Klägerin in ihren Rechten.

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Die Beklagte war durch § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII ermächtigt, den maßgeblichen "Bescheid vom 09.01.2001 mit Wirkung ab 01.08.2007" aufzuheben und die Rente "mit Ablauf des Monats Juli 2007" zu entziehen. Die Beklagte hat die Entscheidung über die Aufhebung des maßgeblichen Verwaltungsakts sowohl materiell als auch formell rechtmäßig getroffen (1.). Die Entscheidung der Beklagten verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus Art 3 GG (2.).

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1. Nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Diese Vorschrift wird für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung durch § 73 Abs 3 SGB VII spezifisch ergänzt. Danach ist eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X hinsichtlich der Feststellung der Höhe der MdE nur wesentlich, wenn sie mehr als fünf vH beträgt.

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a) Der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 unterliegt der Aufhebung nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, denn er ist ein solcher mit Dauerwirkung. Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn eine durch Verwaltungsakt getroffene Regelung in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus Wirkungen erzeugt (BSG vom 30.1.1985 - 1 RJ 2/84 - BSGE 58, 27, 28 = SozR 1300 § 44 Nr 16 S 28 - Juris RdNr 14; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 51). Da der Verwaltungsakt vom 9.1.2001 eine Rente auf unbestimmte Zeit bewilligt hat, hat er Dauerwirkung.

14

b) Eine Änderung in den rechtlichen Verhältnissen liegt nicht vor, jedoch ist eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse eingetreten, wie ein Vergleich der zu den hier maßgeblichen Zeitpunkten bestehenden Unfallfolgen ergibt.

15

Eine Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist jede Änderung des für die getroffene Regelung relevanten Sachverhalts (Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 48 RdNr 8). In Betracht kommen für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung insbesondere Änderungen im Gesundheitszustand des Betroffenen (vgl BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1).

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Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, ist im Rahmen der hier geführten Anfechtungsklage die Frage, ob eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist, durch Vergleich der tatsächlichen Verhältnisse zu zwei maßgeblichen Zeitpunkten zu ermitteln. Bei der Prüfung einer wesentlichen Änderung von Unfallfolgen kommt es zum einen auf die zum Zeitpunkt der letzten bindend gewordene Feststellung tatsächlich bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse an, die ursächlich auf dem Unfall beruhen. Diese sind mit den bestehenden unfallbedingten Gesundheitsverhältnissen zu vergleichen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben (zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Anfechtungsklage vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 20.4.1993 - 2 RU 52/92 - SozR 3-1500 § 54 Nr 18; BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 27/03 R - SozR 4-2600 § 7 Nr 1 RdNr 7 - Juris RdNr 15; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 54 RdNr 33). Die jeweils bestehenden gesundheitlichen Verhältnisse kommen insbesondere in den medizinischen Gutachten zum Ausdruck, die über die Unfallfolgen zum Zeitpunkt der maßgeblichen Bewilligung und vor der Entscheidung über eine Aufhebung eingeholt worden sind (BSG vom 22.6.2004 - B 2 U 14/03 R - BSGE 93, 63 = SozR 4-2700 § 56 Nr 1). Dagegen ist für die Beurteilung der (rechtlichen) Wesentlichkeit der Änderung von dem Tenor des bindend gewordenen Verwaltungsakts auszugehen.

17

Von diesen Maßstäben ausgehend hat das LSG für den Senat bindend festgestellt, dass in den Befunden, die dem maßgeblichen Bescheid vom 9.1.2001 zugrunde lagen, verglichen mit denjenigen, die zum Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung nachgewiesen ist. Die dahingehenden Feststellungen des LSG sind von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffen worden (§ 163 SGG). Das LSG hat festgestellt, dass die Unfallfolgen auf chirurgischem Gebiet zwar im Wesentlichen unverändert geblieben sind, zum Zeitpunkt des Erlasses des Ausgangsbescheids im Januar 2001 aber zu hoch eingeschätzt worden waren. Dagegen ist nach den Feststellungen des LSG in den psychischen Unfallfolgen der Klägerin eine wesentliche Besserung eingetreten. Hier lag im Januar 2001 eine Teil-MdE um 10 vH vor, bei Erlass des Aufhebungsbescheids im Jahre 2007 hat eine Teil-MdE auf psychiatrischem Gebiet nicht mehr bestanden und die Gesamt-MdE betrug nur noch 10 vH.

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Eine wesentliche Änderung wäre aber - aus Gründen des Vertrauensschutzes - nicht eingetreten, wenn die Feststellung der Gesamt-MdE für die Rente der Klägerin von Anfang an rechtswidrig zu hoch festgesetzt war und seitdem unverändert geblieben ist oder sich nicht in dem nach § 73 Abs 3 SGB VII erforderlichen Maße geändert hat.

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Nach seinem Wortlaut unterscheidet § 48 SGB X nicht danach, ob der Verwaltungsakt, der aufgehoben werden soll, rechtmäßig oder rechtswidrig war. Nach ihrem Sinn und Zweck ist die Anwendung der Regelung aber ausgeschlossen, wenn und soweit der Vertrauensschutz des Betroffenen, wie er sich aus § 48 SGB X ergibt, unterlaufen würde. So stellt die Aufdeckung einer Fehldiagnose oder einer überhöhten MdE keine wesentliche Änderung dar (Benz, NZS 2003, 77, 79). Anders liegt der Fall aber, wenn sich der tatsächliche Zustand so gebessert hat, dass eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vorliegt(Benz, aaO). In einem solchen Fall ist § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X auch auf von Anfang an rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte anwendbar. Das ist insbesondere der Fall, wenn eine wesentliche Änderung der maßgebenden tatsächlichen Verhältnisse dergestalt eingetreten ist, dass sich die Unfallfolgen wesentlich gebessert haben (dazu auch BSG vom 7.7.2005 - B 3 P 8/04 R - BSGE 95, 57 = SozR 4-1300 § 48 Nr 6).

20

Insoweit hat das LSG festgestellt, dass auch ausgehend von der im Januar 2001 zu hoch angesetzten Teil-MdE auf chirurgischem Gebiet eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Der Wegfall der MdE auf nervenärztlichem/psychologischem Gebiet bedingt eine wesentliche Änderung, weil diese zu einem Herabsinken der Gesamt-MdE von 25 vH auf 15 vH führt.

21

c) Die Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist auch rechtlich wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII.

22

Für die Feststellung der Wesentlichkeit einer Änderung ist ein Vergleich zwischen dem Verfügungssatz des zu prüfenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung und der im Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufhebung gebotenen Entscheidung über die Höhe der MdE zu ziehen (zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Anfechtungsklage siehe oben 1. b>). Ergänzend hierzu schreibt § 73 Abs 3 SGB VII vor, dass eine wesentliche Änderung iS des § 48 SGB X bei Änderung der einer Rente zugrunde liegenden MdE nur vorliegt, wenn die Änderung der MdE mehr als 5 vH beträgt(dazu im Einzelnen auch Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

23

Für den erforderlichen Vergleich ist zunächst festzustellen, welche Regelung die Beklagte mit Verwaltungsakt vom 9.1.2001 getroffen hat. Der bindende Inhalt eines Verwaltungsakts wird durch seine Verfügungssätze bestimmt (BSG vom 26.2.1986 - 9a RV 36/84). Einer der Verwaltungsakte im Bescheid vom 9.1.2001 hat der Klägerin "Rente auf unbestimmte Zeit" nach einer MdE um 25 vH bewilligt. Nur dieser Verfügungssatz ist wirksam und bindend geworden (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82; BSG vom 8.5.1981 - 9 RVs 4/80 - SozR 3100 § 62 Nr 21).

24

Zwar war der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 9.1.2001 möglicherweise nicht hinreichend begründet iS von § 35 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB X, denn die der Bewilligung der Rente zugrunde gelegten Einzel-MdE-Werte sind weder im Verfügungssatz noch in der Begründung dieses Verwaltungsakts aufgeführt. Da die Einzel-MdE-Werte den Berechnungsfaktoren von Leistungen - hier einer Rente nach § 56 SGB VII - zumindest ähnlich sind und ihre Ermittlung einen von mehreren Schritten zur Bestimmung der insgesamt bestehenden MdE darstellt(zur vergleichbaren Konstellation bei der Bildung eines Gesamt-Grad der Behinderung: BSG vom 20.11.2012 - B 9 SB 36/12 B), erscheint es angezeigt, die Einzel-MdE-Werte in der Begründung des bewilligenden Verwaltungsakts zu erläutern. Eine solche Begründung kann auch dem besseren Verständnis des Adressaten und der Ermöglichung der sachgerechten Wahrnehmung seiner Rechte dienen (zur rechtsstaatlichen Funktion der Begründung: Krasney in KassKomm, SGB X, Stand 5/2003, § 35 RdNr 2; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 35 RdNr 2). Dass dies hier unterblieben ist, kann aber die Rechtsposition der Klägerin nicht verbessern, wie sich aus dem Folgenden ergibt:

25

Die der Gesamt-MdE zugrunde liegenden Einzel-MdE-Werte nehmen an der Bindungswirkung (vgl § 39 SGB X) des Verwaltungsakts vom 9.1.2001 nicht teil. Dem dahingehenden Vorbringen der Klägerin ist nicht zu folgen. Der erkennende Senat (vgl BSG vom 20.10.1983 - 2 RU 61/82) und das BSG haben hinsichtlich der Bindungswirkung von Rentenbewilligungsbescheiden wiederholt entschieden, dass die Bindungswirkung nur die Gesamtbewertung einer MdE erfasst (vgl zur Bindungswirkung eines Rentenbescheids: BSG vom 26.6.1990 - 5 RJ 62/89 - SozR 3-1500 § 77 Nr 1 S 4 f - Juris RdNr 18; zum Recht der schwerbehinderten Menschen: BSG vom 22.10.1986 - 9a RVs 55/85 - BSGE 60, 287, 290 = SozR 1300 § 48 Nr 29 S 88; aA Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, Stand 3/2012, § 48 SGB X Anm 5.6, der eine Bindung der Träger an Teil-MdE-Werte bejaht).

26

Hiervon ausgehend ist die Änderung der (hier allein zu betrachtenden) Gesamt-MdE wesentlich iS des § 73 Abs 3 SGB VII. Denn die vom LSG festgestellte eingetretene Änderung der zu vergleichenden Gesamt-MdE übersteigt den Wert 5 vH. Im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheids ist eine MdE in einem rentenberechtigenden Grad von mindestens 20 vH nicht mehr gegeben, denn es liegt unter Berücksichtigung des Vertrauensschutzes nur (noch) eine MdE von 15 vH vor.

27

d) Die Aufhebung des Verwaltungsakts hält sich auch sonst im Rahmen der Ermächtigung des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X.

28

Die Aufhebung eines Verwaltungsakts "hat" gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X ohne Ausübung von Ermessen mit Wirkung für die Zukunft zu erfolgen. Sie hat bei Sozialleistungen, die für einen bestimmten Zeitraum bewilligt sind, auf den Zeitpunkt des Beginns des folgenden Leistungszeitraums hin zu erfolgen (§ 73 Abs 1 SGB VII; Brandenburg in jurisPK-SGB X § 48 RdNr 44).

29

Der der Klägerin am 26.7.2007 zugestellte Aufhebungsbescheid entfaltet lediglich Rechtswirkung für die Zukunft, hier für die Zeit ab 1.8.2007. Zu diesem Zeitpunkt sind die tatsächlichen Voraussetzungen für eine Rente bereits entfallen gewesen, denn seit der Begutachtung im Mai 2007 war bekannt, dass die Voraussetzungen für den Wegfall des Rentenanspruchs vorlagen. Die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung der Rente wurde schließlich nicht unter Verletzung des § 73 Abs 1 SGB VII getroffen, denn sie entspricht dem "Folgemonatsprinzip" dieser Regelung(vgl Brandenburg, aaO; Benz/Bethke, SGb 1999, 344).

30

e) Der angefochtene Verwaltungsakt ist hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X).

31

Das Bestimmtheitserfordernis verlangt als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung eines Verwaltungsakts, dass dessen Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Adressaten bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, die in ihm angeordnete Rechtsfolge zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (vgl BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 20/09 R - BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R - SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - Juris RdNr 18; BSG vom 7.7.2011 - B 14 AS 153/10 R - BSGE 108, 289 = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31; BSG vom 22.9.2009 - B 2 U 32/08 R - SozR 4-2700 § 168 Nr 2).

32

Der angefochtene Verwaltungsakt entspricht diesen Anforderungen, denn er benennt ordnungsgemäß den aufzuhebenden Bescheid mit Datum und Regelungsgegenstand und verfügt dessen Aufhebung. Der Verwaltungsakt regelt auch, zu welchem Zeitpunkt die Verletztenrente der Klägerin entfällt. Die ausgesprochene Rechtsfolge war für die Klägerin aus den getroffenen Regelungen klar zu erkennen.

33

f) Der angefochtene Verwaltungsakt leidet auch nicht an formellen Fehlern, denn die gemäß § 24 Abs 1 SGB X vor seiner Bekanntgabe erforderliche Anhörung hat stattgefunden.

34

2. Das gefundene Ergebnis verletzt die Klägerin nicht in ihrem Grundrecht aus "Artikel 3" GG.

35

In der Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, dass der Bestandskraft von Verwaltungsakten eine vergleichbare Bedeutung für die Rechtssicherheit zukommt wie der Rechtskraft gerichtlicher Entscheidungen. Art 3 Abs 1 GG hindert aber nicht die Anpassung eines bindenden Verwaltungsakts mit Dauerwirkung an geänderte tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse. Vielmehr besteht auch ein verfassungsrechtliches Interesse daran, die Aufhebung eines Hoheitsakts herbeizuführen, wenn die Rechtsordnung der Verwaltung die Befugnis erteilt hat, für ihren Bereich das im Einzelfall Verbindliche festzustellen, zu begründen oder - wie hier - zu ändern (so ausdrücklich BVerfGE 60, 253, 270; vgl auch BVerfG vom 15.10.2009 - 1 BvR 3522/08).

36

Auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG liegt nicht vor. Nach der sog neuen Formel des BVerfG ist Art 3 Abs 1 GG dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 55, 72, 88; später BVerfGE 84, 133, 157; BVerfGE 85, 191, 210; BVerfGE 85, 238, 244; BVerfGE 87, 1, 36; BVerfGE 95, 39, 45). Dabei ist eine strenge Prüfung vorzunehmen, wenn verschiedene Personengruppen ungleich behandelt werden (zu den Stufen der Prüfungsintensität vgl Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 12. Aufl 2012, Art 3 GG RdNr 17 f), während bei der Ungleichbehandlung von Sachverhalten eine großzügigere Prüfung geboten ist.

37

Bei der von der Klägerin geltend gemachten Ungleichbehandlung handelt es sich um eine solche Ungleichbehandlung von Sachverhalten, denn die Regelungen in § 73 SGB VII knüpfen nicht an Personenmerkmale an. Unter dem deshalb hier anzulegenden "Willkürmaßstab" ist die Regelung über die Bildung einer Gesamt-MdE verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es ist sachlich gerechtfertigt, dass Personen mit einer einzelnen, jedoch zu hoch bewerteten Gesundheitsstörung anders behandelt werden als solche Personen, bei denen die Gesamtbewertung der MdE auf mehreren Gesundheitsstörungen beruht, von denen eine zu hoch bewertet ist. Sowohl bei einer MdE, die auf einem singulärem Gesundheitsschaden beruht, als auch bei einer solchen, die sich aus dem Zusammentreffen mehrerer Gesundheitsschäden ergibt, ist die (Gesamt-)MdE Anknüpfungspunkt der Prüfung, ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Auch bei der Festsetzung einer Gesamt-MdE aufgrund mehrerer Gesundheitsstörungen wirkt sich lediglich der Wegfall einer Teil-MdE auf die Gesamt-MdE aus, wenn diese Änderung mehr als 5 vH beträgt. Erst dann liegt eine Änderung iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X iVm § 73 Abs 3 SGB VII vor. Eine Änderung in dieser Höhe muss auch bei der Feststellung einer nur auf einer einzigen Gesundheitsstörung vorliegenden Einzel-MdE vorliegen. Dass bei mehreren Gesundheitsstörungen jede Veränderung jeder einzelnen MdE in jedem medizinischen Teilbereich berücksichtigt werden kann, hält der Senat für sachgerecht, weil die rentenberechtigende Gesamt-MdE von (mindestens) 20 vH im Regelfall nur aus einer Summation von Schäden resultiert. Das LSG hat vorliegend - auch für den Fall einer unveränderten Bewertung der chirurgischen Unfallfolgen - eine solche wesentliche Änderung der Gesamt-MdE in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise bejaht, weil die psychologischen Folgen des Unfalls im Jahre 2007 nicht mehr vorlagen.

38

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.