Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ansprüche wegen unionsrechtlicher Staatshaftung geltend.
Mit Zwischenurteil vom 19.11.2014 hatte das Landgericht München I wie folgt gesondert über die Zulässigkeit der Klage entschieden:
Zu den Einzelheiten wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des Zwischenurteils vom 19.11.2014 Bezug genommen (Bl. 106 ff d.Akten). Das Zwischenurteil wurde den Parteivertretern am 25.11.2014 zugestellt.
Die Klägerin trägt ergänzend zu dem ihr entstandenen Schaden vor, dass ihr auch dann ein quantitativ vergleichbarer Vermögensschaden entstanden wäre, wenn sie sich alternativ dem deutschen Sozialversicherungssystem angeschlossen hätte.
Bei Anwendung der Versorgungsordnung des EPA führe der Bedienstete 9,7 % des Grundgehaltes zur Altersvorsorge ab und die EPA führe noch 19,4 % des Grundgehaltes hinzu. Für die Krankenversicherung führe der Bedienstete 2,4 % des Grundgehaltes ab und für die Pflegeversicherung ein Drittel von 0,4 % des Grundgehaltes.
Bei der alternativen Option „Deutsche Sozialversicherung“ dagegen hätte die Klägerin 9,95 % in ihre Altersvorsorge einbezahlen müssen und die EPA hätte ebenfalls 9,95 % bezahlt. Die Klägerin wäre dadurch mit 0,25 % mehr belastet gewesen, was einem Betrag von ca. 500,00 € entspreche. In die Krankenversicherung hätte sie desweiteren 8,2 % einzahlen müssen, so dass ihr eine Mehrbelastung von 5,8 % entstanden wäre, was für den gesamten Zeitraum einem Betrag von 11.600,00 € entspreche. Auch für die Pflegeversicherung wäre der Beitragssatz mit 1,025 % und damit um 0,89 % höher gewesen, was zu einer Mehrbelastung von 1.780 € geführt hätte. Schließlich, hätte die Klägerin auch noch 1,5 % ihres Grundgehaltes in die Arbeitslosenversicherung einzahlen müssen, wodurch ihr eine weitere Mehrbelastung von 3.000,00 € entstanden wäre. Zuletzt sei zu berücksichtigen, dass die EPA Krankenversicherung in allen Bereichen eine Behandlung als Privatpatient vorsehe, so dass sie bei der Wahl des deutschen Systems die einfachere absicherung über eine gesetzliche Krankenkasse durch eine zusätzliche private Versicherung hätte ergänzen müssen, um einen vergleichbaren Versicherungsstand zu haben. Dafür hätte sie monatlich als Alleinstehende mit einem Kind etwa 235 € aufwenden müssen.
Die Klägerin beantragt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 27.039,14 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag in Höhe von 27.039,14 € seit dem 01.01.2013 sowie die vorprozessual entstandenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.769,65 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klage zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt ergänzend vor, die Einzelheiten der Berechnung, und damit der behaupteten Vorteile der Versorgung aufgrund der Versorgungsordnung des EPA gegenüber dem deutschen Sozialversicherungssystem seien nicht nachvollziehbar. Eine Differenzierung dahingehend, dass eine Mindestzugehörigkeit für die Begründung von Pensionsansprüchen erforderlich sei, sei zulässig. Es handele sich gerade nicht um ein Privileg „permanent Bediensteter“.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung vom 22.10.2014 Bezug genommen.
A.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch wegen unionsrechtlicher Staatshaftung zu.
I.
Nach der Rechtsprechung des EuGH (z.B. EuGH NJW 1992, 165 „Francovich“, NJW 1996, 1267 „Brasserie du Pècheur“, vgl. auch Palandt, 74. Auflage, § 839 BGB, Rdnr. 6; Staudinger/Wöstmann, Neubearbeitung 2013, § 839 BGB, Rn. 530; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S 605 ff) müssten folgende Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gegen einen Mitgliedstaat der EU wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht gegeben sein:
1. Verletzung einer gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, deren Inhalt hinreichend genau und unbedingt bestimmt ist.
2. Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die Vorschrift, welcher voraussetzt, dass das Organ die Grenzen, die das Gemeinschaftsrecht seinem Ermessen setzt, offenkundig und erheblich überschritten hat.
3. Schaden und unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen Verstoß und Schaden.
Die konkrete Anwendung der Voraussetzungen für die Haftung der Mitgliedstaaten für Schäden, die Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstanden sind, obliegt entsprechend den vom Gerichtshof hierfür entwickelten Leitlinien grundsätzlich den nationalen Gerichten (vgl. EuGH vom 19.06.2014 „Specht“, Az: C-501/12).
II.
Die Klägerin stützt ihren Anspruch darauf, dass die Beklagte der Durchsetzung der EG-Arbeitsverträge-Befristungs-Richtlinie 1999/1970/EG des Rates vom 28.06.1999 im Bereich der EPO keine Geltung verschafft hat.
1. Paragraph 4 der Richtlinie bestimmt unter der Überschrift „Grundsatz der Nichtdiskriminierung“:
1. „Befristet beschäftigte Arbeitnehmer dürfen in ihren Beschäftigungsbedingungen nur deswegen, weil für sie ein befristeter Arbeitsvertrag oder ein befristetes Arbeitsverhältnis gilt, gegenüber vergleichbaren Dauerbeschäftigten nicht schlechter behandelt werden, es sei denn, die unterschiedliche Behandlung ist aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
2. Es gilt, wo dies angemessen ist, der Pro-rata-temporis-Grundsatz.
3. Die Anwendungsmodalitäten dieser Bestimmung werden von den Mitgliedstaaten nach Anhörung der Sozialpartner und/oder von den Sozialpartner unter Berücksichtigung der Rechtsvorschriften der Gemeinschaft und der einzelstaatlichen gesetzlichen und tarifvertraglichen Bestimmungen und Gepflogenheiten festgelegt.
4. In Bezug auf bestimmte Beschäftigungsbedingungen gelten für befristet beschäftigte Arbeitnehmer dieselben Betriebszugehörigkeitszeiten wie für Dauerbeschäftigte, es sei denn, unterschiedliche Betriebszugehörigkeitszeiten sind aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.“
In seiner Entscheidung vom 13.09.2007 in der Sache „...“ (C-307/05) hat der EuGH bereits ausgeführt, dass die genannte Richtlinie auf alle Arbeitnehmer anwendbar ist, die entgeltliche Arbeitsleistungen im Rahmen eines mit ihrem Arbeitgeber bestehenden befristeten Arbeitsverhältnisses erbringen. Die Klägerin war vom 01.04.2009 bis zum 31.12.2012 Bedienstete des Europäischen Patentamtes (EPA) und fällt damit in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie.
Aus der Entscheidung des EuGH ergibt sich desweiteren, dass die Richtlinie 1999/1970/EG und die dieser zugrunde liegende Rahmenvereinbarung den Zweck verfolgt, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung auf befristet beschäftigte Arbeitnehmer anzuwenden, um zu verhindern, dass ein befristetes Arbeitsverhältnis von einem Arbeitgeber benutzt wird, um diesen Arbeitnehmern Rechte vorzuenthalten, die Dauerbeschäftigten zuerkannt werden.
In seinem Urteil vom 22.12.2010 in der Sache „... (C-444/09) hat der EuGH entschieden, dass Paragraph 4 Nr. 1 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge unbedingt und hinreichend genau bestimmt ist, um von Beamten auf Zeit vor einem nationalen Gericht gegenüber dem Staat mit dem Ziel geltend gemacht werden zu können, dass ihnen Dienstalterszulagen für die Zeit vom Ablauf der den Mitgliedstaaten für die Umsetzung der Richtlinie gesetzten Frist bis zum Inkrafttreten des nationalen Gesetzes zur Umsetzung dieser Richtlinie in das interne Recht des betroffenen Mitgliedstaats zuerkannt werden.
Aus beiden Entscheidungen ergibt sich damit, dass sich Arbeitnehmer, die in den persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie fallen, gegenüber dem jeweiligen Mitgliedstaat auch unmittelbar auf die Einhaltung der Richtlinie berufen können.
2. Insoweit kommt es vorliegend nicht auf die Auffassung der Beklagten an, die Richtlinie 1999/1970/EG bezwecke nicht den Schutz von Mitarbeitern zwischenstaatlicher Organisationen. Zwar ist insoweit zutreffend, dass zwischenstaatliche Einrichtungen regelmäßig nicht dem Unionsrecht unterliegen, da die Zusammenarbeit von Staaten im Rahmen solcher Organisationen nicht Teil des von der Union geschaffenen Rechts ist (EuGH, Urteil vom 30.09.2010, C-132/09; BSG, Urteil vom 20.05.2014, Az. B 10 EG 9/13 R, zitiert nach juris). Deshalb wendet das ILOAT auch im Rahmen des von ihm gewährten Rechtsschutzes Vorschriften des primären oder sekundären Unionsrecht nicht an. Der Vorwurf der Klägerin geht aber dahin, dass die Beklagte dem sekundären Gemeinschaftsrecht bei der Einrichtung bzw. Verwaltung der supranationalen Einrichtung EPO nicht durch Einwirkung auf die übrigen Mitglieder Geltung verschafft hat.
III.
Die Kammer sieht jedoch durch die „Nichtdurchsetzung“ der Richtlinie 1999/1970/EG einen hinreichend qualifzierten Verstoß gegen Unionsrecht nicht als gegeben an. Denn die Versorgungsordnung der EPO würde – die Anwendbarkeit der Richtlinie auf diese Fallgestalltung unterstellt – im hier streitgegenständlichen Bereich nicht gegen § 4 der Richtlinie verstoßen.
1. Teil 2 c des EPO-Kodex über „Beschäftsbedingungen für Vertragsbedienstete des Europäischen Patentamtes“ findet gemäß Art. 1 und 2 auf Bedienstete des Europäischen Patentamtes Anwendung, welche entweder auf der Grundlage von nicht verlängerbaren Arbeitsverträgen mit einer Maximallaufzeit von 36 Monaten oder zur Deckung eines sonstigen vorübergehenden Bedarfs mit einer maximalen Vertragsdauer von 5 Jahren (und einer ausnahmsweisen Verlängerungsmöglichkeit um 2 Jahre) eingestellt wurden. Artikel 10 Absatz 1 dieses Teiles des EPO-Kodex verweist für die Besoldung, soziale Sicherheit und Versorgung der durch einen solchen Vertrag befristet Beschäftigten auf die Bestimmungen des Titel V des Beamtenstatus über die Besoldung und soziale Sicherheit. Artikel 10 Absatz 2 bestimmt, dass die (befristet) Bediensteten nach Maßgabe der Versorgungsordnungen dem für sie geltenden Versorgungssystem des Europäischen Patentamts angehören, soweit sie nicht von ihrem Wahlrecht in das nationale Versorgungssystem gemäß Art. 10 Absatz 3 Gebrauch gemacht haben. Damit wird in Teil 2 c des EPO-Kodex im Hinblick auf das Versorgungssystem nicht zwischen befristet Beschäftigten und unbefristet Beschäftigten unterschieden, sondern vollumfänglich auf das damit für alle Beschäftigten geltende Versorgungssystem verwiesen.
Auch die Versorgungsordnung des Europäischen Patentamtes unterscheidet in Kapitel II „Ruhegehalt und Abgangsgeld“, Abschnitt 1 „Ruhegehalt“ nicht zwischen befristet Beschäftigten und unbefristet Beschäftigten. Damit ist eine Ungleichbehandlung der beiden Beschäftigungsgruppen weder nach Teil 2 c des EPO-Kodex noch nach der Versorgungsordnung vorgesehen.
2. Die einzige Voraussetzung, die Artikel 7 der Versorgungsordnung in Abschnitt 1 für einen Anspruch auf Ruhegehaltszahlung enthält, ist die Ableistung von mindestens zehn anrechnungsfähigen Dienstjahren. Diese Voraussetzung ist bei den nach Teil 2 c des EPO-Kodex befristet Beschäftigten im Regelfall nicht erfüllt, ebensowenig aber bei dauerhaft Beschäftigten, welche vor Ablauf der 10 Jahre durch Kündigung oder aus sonstigen Gründen aus dem Europäischen Patentamt ausscheiden.
a) Ob sich aus dieser Betriebszugehörigkeitsvoraussetzung für einen Ruhegehaltsanspruch tatsächlich eine Ungleichbehandlung zwischen befristet und unbefristet Beschäftigten ableiten lässt, hängt zum einen davon ab, wie viele dauerhaft Beschäftigte ebenfalls von der Regelung betroffen sind, und zum anderen, ob durch die Zahlung des Abgangsgeldes gemäß Art. 11 der Versorgungsordnung ein angemessener Ausgleich geschaffen wurde.
Für die erste Frage wäre die Kenntnis der genauen Beschäftigungsstruktur bei der EPA erforderlich. Die zweite Frage beantwortet Art. 11 der Versorgungsordnung, der ausdrücklich eine Ausgleichsregelung für diejenigen Beschäftigten und nur für diese enthält, die nicht ruhegehaltsberechtigt sind, mithin gemäß Art. 7 der Versorgungsordnung vor Ablauf von 10 Jahren aus der EPA ausgeschieden sind, und bei welchen keine Übertragung der Ruhegehaltsansprüche nach Art. 12 der Versorgungsordnung möglich ist. Nur für diese Personengruppe, unter welche auch die Klägerin fällt, enthält Art. 11 erstens einen Anspruch auf Auszahlung der von ihrem Gehalt einbehaltenen Versorgungsbeiträge zuzüglich Zinseszinsen in Höhe von 4 % p.a., zweitens einen Anspruch auf Zahlung eines Abgangsgeldes in Höhe des letzten Gehalts für eineinhalb Monate, multipliziert mit der Anzahl der ruhegehaltsfähigen Dienstjahre, und drittens eines Drittels der gemäß Art. 12 Absatz 1 an das Amt abgeführten Beträge. Damit sieht die Versorgungsordnung der EPA selbst einen Ausgleich für diejenigen Bediensteten – gleichgültig ob befristet oder unbefristet beschäftigt – vor, welche vor Ablauf von 10 Jahren ausscheiden und damit keinen Anspruch auf Ruhegehalt erworben haben. Bei der Höhe des Abgangsgeldes wird auch die Anzahl der ruhegehaltsfähigen Dienstjahre durch Multiplikation mit dem letzten Gehalt berücksichtigt, so dass entsprechend der Höhe des Ruhegehaltes eine Staffelung nach der Anzahl der Dienstjahre erfolgt. Nachdem das Abgangsgeld nach Art. 11 Ziffer ii) nur an Beschäftigte bezahlt wird, die bei ihrem Ausscheiden keinen Anspruch auf ein Ruhegehalt haben, stellt es nicht lediglich ein „Überbrückungsgeld“ dar, sondern dient tatsächlich einem Ausgleich für den fehlenden Ruhegehaltsanspruch. Es entspricht auch der Höhe nach (Abgangsgeld in Höhe von 22.928,23 €) annähernd den eingeklagten Arbeitgeberbeiträgen zum EPO-Pensionssystem in Höhe von 23.911,58 €.
b) Grundsätzlich stehen dem Dienstherrn bei der Gewährung von Ruhegehalt mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. So könnte ein Ruhegehalt bereits ab dem ersten Tag der Dienstzugehörigkeit gewährt werden, allerdings dann nur pro rata. Oder der Dienstherr entschließt sich, dem Bediensteten eine Mindestversorgung zu gewähren. Diese Fallgestaltung liegt dem hiesigen Rechtsstreit zugrunde. Die Gewährung einer Mindestversorgung hat der Dienstherr an eine bestimmte Dauer der Betriebszugehörigkeit geknüpft.
Für die Regelung einer Betriebszugehörigkeitsdauer als Voraussetzung für den Erwerb von Ruhegehaltsansprüchen besteht vorliegend ein sachlicher Grund gemäß Paragraph 4 Nr. 1 der Richtlinie 1999/70/EG.
Voraussetzung für das Vorliegen eines sachlichen Grundes ist nach der Rechtsprechung des EuGH (z.B. vom 01.03.2012, „O’Brien, Az: C-393/10), dass die Ungleichbehandlung einem echten Bedarf entspricht und die Regelung zur Erreichung des Zieles geeignet und erforderlich ist.
Dabei reichen weder reine Haushaltserwägungen noch die Befristung des Arbeitsverhältnisses als solches (vgl. EuGH vom 22.12.2010, „Gavieiro“, Az: C-444/09).
aa) Eine bestimmte Betriebszugehörigkeitsdauer als Voraussetzung für den Erwerb von Ruhegehaltsansprüchen ist nicht nur bei einer Anstellung bei der EPA vorgesehen, sondern in verschiedenen europäischen Ländern. Entsprechende Regelungen lagen auch bereits Entscheidungen des EuGH zugrunde (z.B. EuGH vom 19.12.2012, „Epitropos tou Elegktikou Synedriou“, C-363/11, vom 12.01.2010 „Wolf“, C-229/08, vom 10.06.2010, „Bruno und Pettini“, C-35/08 oder vom 04.02.2015, „Melchior“, C-647/13), wobei die Frage der Betriebszugehörigkeitsdauer als Voraussetzung für den Ruhegehaltsanspruch als solches weder von den Parteien, noch vom EuGH jemals in Frage gestellt wurde. Bei den Entscheidungen ging es jeweils um Fragen der Berechnung der Betriebszugehörigkeit oder der Anrechnung von Zeiten der Beschäftigung in anderen europäischen Staaten. In der Entscheidung vom 19.06.2014, „Specht“, Az: C-501/12, weist der EuGH jedoch darauf hin, dass das Ziel der Honorierung der von einem Arbeitnehmer erworbenen Berufserfahrung, die es diesem ermöglicht, seine Arbeit besser zu verrichten, in der Regel ein legitimes Ziel der Entgeltpolitik darstellt. Ähnlich verhält es sich bei dem Anspruch auf ein Ruhegehalt, welcher erst mit dem Erreichen einer bestimmten Betriebszugehörigkeit entsteht und den Beschäftigten damit für die in dem Betrieb geleistete und dem Betrieb zugute gekommene Arbeit belohnen und für die Zeit seiner Pensionierung absichern soll. Dies zeigt sich auch daran, dass Artikel 10 Absatz 3 der Versorgungsordnung für die Höhe des Ruhegehaltes die Zahlung eines Mindestruhegehaltes vorsieht, um eine ausreichende Versorgung des ehemals Beschäftigten zu sichern. Eine solche Absicherung ist jedoch bei den nur kurzzeitig Beschäftigten nicht erforderlich, da diesen noch ausreichende Zeiten anderweitiger Beschäftigungsmöglichkeiten verbleiben, um einen angemessenen Ruhegehaltsanspruch zu erwerben. Im Vergleich zu den über mehr als 10 Jahre Beschäftigten wäre diese Absicherung auch nicht sachgerecht, da sich dann bei mehrfach befristet Beschäftigten in unterschiedlichen Unternehmen eine Anhäufung von Ruhegehaltsansprüchen jeweils mit einem Mindestruhegehaltsbetrag ergäbe.
bb) Auch für den nationalen Bereich setzt die Bewilligung von Ruhegehalt den Ablauf einer Wartefrist voraus. Bereits das Reichsbeamtengesetz vom 31.03.1873 sah eine Wartefrist von 10 Jahren vor. In den Beratungen zu diesem Gesetz war die Frage der Wartefrist nicht problematisiert worden (vgl. die Sitzungsprotokolle des Reichstags zu den Beratungen am 18., 24. und 27.03.1873 unter www.reichstagsprotokolle.de). Auch in den folgenden Beamtengesetzen, z.B. dem Bayerischen Beamtenversorgungsgesetz (BayBeamtVG) als auch dem Bundesbeamtenversorgungsgesetz (BeamtVG) ist in Art. 11 bzw. § 4 einen Anspruch auf Ruhegehalt ebenfalls erst ab einer Mindestdienstzeit (von 5 Jahren) vorgesehen. Die Regelung ist – soweit sie die Wartefrist betrifft – verfassungsgemäß (vgl. insoweit BVerfGE 3, 58 ff zu G 131, Rn. 229, zitiert nach juris).
cc) Schließlich differenziert auch die Europäische Union selbst nach Mindestzugehörigkeitsdauer. Grundlage sind das Statut der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und die Beschäftigungsbedingungen der sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften (vgl. http://ec.europa.eu/civil_service/docs/toc100_de.pdf). Nach Art. 77 Abs. 1 des Statuts hat der Beamte nach Ableistung von mindestens zehn. Dienstjahren Anspruch auf ein Ruhegehalt. Bedienstete auf Zeit gemäß Art. 2 lit. b) der Beschäftigungsbedingungen können – bei einmaliger Verlängerung gemäß Art. 9 Abs. 1 der Beschäftigungsbedingungen – maximal 6 Jahre beschäftigt werden. Auch hier gilt über Art. 39 der Beschäftigungsbedingungen die Regelung für die Beamten entsprechend. Daraus folgt ebenfalls, dass auch Bedienstete auf Zeit im Rahmen der Beschäftigung bei der Europäischen Union jedenfalls aufgrund dieses Beschäftigungsverhältnisses keinen Anspruch auf Ruhegehalt, sondern ebenfalls nur auf Zahlung eines Abgangsgeldes haben. Dass diese Regelung einen Verstoß gegen das primäre oder sekundäre Gemeinschaftsrecht darstellt, ist bislang offensichtlich in der Rechtsprechung nicht problematisiert worden.
c) Bei der Festsetzung einer Betriebszugehörigkeitsdauer als Voraussetzung für einen Ruhegehaltsanspruch handelt es sich auch deshalb gerade bei einer europäischen Organisation um eine sachgerechte Pauschalierung, da ansonsten für jeden nur kurzfristig Beschäftigten ein Ruhegehalt berechnet und bis zum Eintritt in das Rentenalter vorgemerkt werden müsste. Dies würde zu einem unüberschaubaren Verwaltungsaufwand führen, der es rechtfertigt für die weniger als 10 Jahre Beschäftigten eine Abgeltungsregelung (wie nach Art. 11 der Versorgungsordnung in der Form des Abgangsgeldes) anstelle eines Ruhegehaltsanspruches zu treffen.
d) Zusammenfassend gilt daher, dass die Kammer einen Verstoß gegen primäres oder sekundäres Unionsrecht nicht erkennen kann. Verstößt die Regelung der Versorgungsordnung nicht gegen Unionsrecht, kann auch die Unterlassung der Anwendung der Richtlinie durch das EPA keine Haftung der Beklagten begründen, da selbst bei Geltung dieser Maßstäbe kein Verstoß erkennbar ist.
IV.
Dahinstehen kann nach Auffassung der Kammer, ob der Anspruch der Klägerin nicht auch deshalb ausgeschlossen wäre, weil sie keinen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht der Internationalen Arbeitsorganisation (ILOAT) gesucht hat.
Gleichwohl gilt Folgendes:
Auch beim unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch gilt der Vorrang des Primärrechtsschutzes: Es ist zu prüfen, ob der Geschädigte rechtzeitig von allen ihm zur Verfügung stehenden Rechtsschutzmöglichkeiten Gebrauch gemacht hat (EuGH, C-46/93 – Brasserie du Pêcheur; BGHZ 156, 294), soweit sie zumutbar sind (BGHZ 181, 199). Auf die Vorlage des BGH (NVwZ 2007, 362) hat der EuGH ausgeführt, dass das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der ein Einzelner keinen Ersatz für einen Schaden verlangen kann, bei dem er es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, ihn durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden, vorausgesetzt, dass der Gebrauch dieses Rechtsmittels dem Geschädigten zumutbar ist; es ist Sache des nationalen Gerichts, dies anhand aller Umstände zu prüfen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das nationale Gericht nach Art. 234 EG (jetzt Art. 267 AEUV) ein Vorabentscheidungsersuchen stellt oder eine beim EuGH anhängige Vertragsverletzungsklage (Art. 258 AEUV), lassen für sich genommen nicht den Schluss zu, dass der Gebrauch des Rechtsmittels unzumutbar ist (EuGH C-445/06 – Danske Slagterier; vgl. insgesamt zu dieser Frage Staudinger/Wöstmann, Neubearbeitung 2013, § 839 BGB, Rn. 542; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 729 f).
Für die Frage, ob der Rechtsschutz vor dem ILOAT der Klägerin zuzumuten gewesen wäre und inwieweit dieser Erfolg gehabt hätte, kommt es vorliegend nicht darauf an, ob das ILOAT unionsrechtliche Vorschriften anwendet. Das ILOAT überprüft etwaige Verstöße nur anhand des autonomen Rechts der EPO.
Entscheidend ist vielmehr, ob das ILOAT der Klägerin einen – dem unionsrechtlichen Grundrechtsschutz (hier: Diskriminierungsverbot) gleichwertigen – Rechtsschutz gewährt.
Hierzu hat bereits das BVerfG (BVerfGK 8, 325) ausgeführt:
Das Rechtsschutzsystem des EPÜ entspricht im Wesentlichen dem Standard des Grundgesetzes und damit dem des Art. 24 Abs. 1 GG (vgl. BVerfG NJW 2001, 2705; Beschluss vom 28. November 2005, Az. 2 BvR 1751/03, zitiert nach juris; vgl. auch EGMR, NJW 1999, 1173 zum internen Rechtsschutz bei der Europäischen Weltraumorganisation [ESA]). Zwar steht hier nicht das in den bisherigen Entscheidungen relevante System der Beschwerdekammern gemäß Art. 21 ff. EPÜ, sondern der von den internen Beschwerdeausschüssen gewährte Rechtsschutz der Bediensteten des Patentamtes nach Art. 106 ff. des Beamtenstatuts zur Diskussion. Gemäß Art. 13 Abs. 1 EPÜ haben Bedienstete und ehemalige Bedienstete des Patentamtes jedoch das Recht, in Streitsachen zwischen ihnen und der EPO nach Erschöpfung des internen Beschwerdeverfahrens das ILOAT anzurufen.
Das Verfahren vor dem ILOAT ist vom internen Beschwerdeverfahren unabhängig. Das Gericht entscheidet aufgrund rechtlich festgelegter Kompetenzen und im Rahmen eines rechtlich geordneten Verfahrens ausschließlich nach Maßgabe von Rechtsnormen und -grundsätzen die ihm unterbreiteten Verfahrensgegenstände. Seine Richter sind gemäß Art. III des ILOAT-Statuts zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verpflichtet. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass Status und Verfahrensgrundsätze des ILOAT sowohl dem internationalen Mindeststandard elementarer Verfahrensgerechtigkeit als auch den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen des Grundgesetzes genügen (vgl. BVerfGE 59, 63).
Davon ausgehend ist nicht erkennbar, dass ein Vorwurf der Diskriminierung von befristet beschäftigten Bediensteten nicht auch vor dem ILOAT hätte geltend gemacht werden können.
IV.
Insoweit kann ebenfalls offenbleiben, ob ein etwaiger qualifizierter Verstoß der Beklagten gegen die Richtlinie 1999/1970/EG überhaupt kausal für den von der Klägerin behaupteten Schaden geworden sein kann. Denn die Beklagte ist nur einer von 38 Mitgliedstaaten der EPO und kann entsprechende Änderungen der rechtlichen Grundlage der EPO nicht ohne die anderen Mitgliedstaaten durchsetzen (vgl. dazu LG Berlin, Urteile vom 08.12.2014, Az. 28 O 25/14, insoweit in juris, und 28 O 34/14).
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1, S. 2 ZPO.
C.
Für die Bemessung des Streitwertes war die klägerische Hauptforderung maßgebend.