Landgericht Hamburg Beschluss, 1. Aug. 2019 - 631 Qs 25/19

bei uns veröffentlicht am09.08.2024

Eingereicht durch

Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Gericht

Landgericht Hamburg

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Wirtschaftsrecht / Existenzgründung / Insolvenzrecht / Gesellschaftsrecht / Strafrecht
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Zusammenfassung des Autors

In dem Beschluss vom 1. August 2019 hat das Landgericht Hamburg die Beschwerden der vormals Beschuldigten gegen die Gewährung der Akteneinsicht durch das Amtsgericht Hamburg zurückgewiesen. Das Gericht bestätigte die Entscheidung des Amtsgerichts, dem Anzeigenden, der sich als Verletzter einer Straftat betrachtete, Akteneinsicht zur Prüfung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche zu gewähren.

Wesentlich für diese Entscheidung war, dass das Gericht das berechtigte Interesse des Anzeigenden an der Akteneinsicht anerkannte, auch wenn die Ermittlungen gegen die Beschwerdeführer eingestellt worden waren. Es betonte, dass es dem Geschädigten zusteht, alle zu den Akten gelangten Tatsachen zur Durchsetzung möglicher Ansprüche zu kennen, selbst wenn dies zivilprozessual als Ausforschung betrachtet werden könnte.

Die Beschwerdeführer hatten geltend gemacht, dass ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung einer Akteneinsicht entgegenstünde. Das Gericht stellte jedoch fest, dass keine überwiegenden schutzwürdigen Interessen der Beschwerdeführer vorlägen, die eine vollständige Versagung der Akteneinsicht rechtfertigen würden. Die Akteneinsicht erfolgt durch einen beauftragten Rechtsanwalt, der als Organ der Rechtspflege in der Pflicht steht, die Informationen nur im erforderlichen Umfang an seinen Mandanten weiterzugeben.

Dieser Beschluss verdeutlicht die Abwägung zwischen dem Recht auf Akteneinsicht für Verletzte und den schutzwürdigen Interessen der Beschuldigten, wobei letzteres nur in Ausnahmefällen zu einer Einschränkung der Akteneinsicht führen kann.

Landgericht Hamburg

Beschluss vom 1. Aug. 2019

Az.: 631 Qs 25/19

 

 

Tenor

Die Beschwerden der vormals Beschuldigten N. und L. gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 17. Juni 2019 (164 Gs 608/18) werden auf ihre Kosten zurückgewiesen.

 

Gründe

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässigen Beschwerden haben in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung hat das Amtsgericht Hamburg angeordnet, dass dem Anzeigenden H. über den von ihm beauftragten Rechtsanwalt Akteneinsicht zu gewähren ist.

Zwar hat das Amtsgericht bei seiner Entscheidung verkannt, dass das berechtigte Interesse des Anzeigenden an der Einsichtnahme der Akten vorliegend nicht in einer „Prüfung der Chancen für ein Klagerzwingungsverfahren“ liegen kann, da sich die Unzulässigkeit eines solchen Antrags auf gerichtliche Entscheidung bereits aus § 172 Abs. 2 Satz 3 StPO ergibt. Da dem Anzeigenden bereits mit Schreiben vom 25. September 2018 mitgeteilt worden ist, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Beschwerdeführer gemäß § 153 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, ist ihm die „Prüfung der Chancen für ein Klagerzwingungsverfahren“ nach Zugang der Mitteilung ohne weiteres auch ohne Akteneinsichtnahme möglich gewesen.

Zu Recht hat das Amtsgericht jedoch festgestellt, dass der Anzeigende – als Verletzter einer Straftat – gemäß § 406e Abs. 1 StPO berechtigt ist, über den von ihm beauftragten Rechtsanwalt zur Prüfung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche Akteneinsicht zu nehmen. Das Gesetz will dem Geschädigten durch die Übertragung besonderer Befugnisse zu einer Durchsetzung seiner Schadensersatzansprüche in den Stand versetzen. Ist der Geschädigte als der Verletzte einer bestimmten Straftat anzusehen, so sind ihm – unbeschadet der durch § 406e Abs. 2 StPO gezogenen Grenzen – alle zu den Akten gelangten Tatsachen offenzulegen. Das Suchen des Verletzten nach Tatsachen und Beweismitteln begründet daher ebenfalls ein berechtigtes Interesse an einer Akteneinsicht, auch wenn sie zivilprozessual als Ausforschung zu würdigen wäre (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Mai 1988 – 2 VAs 3/88, BeckRS 1988, 31161868).

Zwar hat der Anzeigende sein Interesse lediglich pauschal dargelegt. Dies ist vorliegend allerdings ausreichend, da es einer Glaubhaftmachung des berechtigten Interesses nicht bedarf und sein Vortrag, Ansprüche nicht nur gegen die Beschwerdeführer, sondern auch gegen „das Versorgungswerk“ prüfen zu wollen, glaubhaft erscheint. Dass – wie mit den Beschwerden vorgetragen – die Ermittlungen „nichts über die Anzeige hinausgehendes geliefert“ haben, muss sich der Anzeigende nicht entgegenhalten lassen, da er diese Bewertung nicht ohne Einsichtnahme in die Akten beurteilen kann.

Vorliegend war die Akteneinsicht auch nicht gemäß § 406e Abs. 2 Satz 1 StPO wegen überwiegender schutzwürdiger Interessen der Beschwerdeführer zu versagen. Zwar behaupten die Beschwerdeführer – insoweit ebenfalls pauschal – dass ein überwiegendes schutzwürdiges Interesse an der Versagung der Akteneinsicht im Hinblick auf ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht gegeben sei. Mit Ausnahme der Tatsachen, dass sich in den Akten Behördenauskünfte mit den Personendaten der Beschwerdeführer sowie Angaben zu deren beruflichem Werdegang befinden und das gegen sie geführte Ermittlungsverfahren eingestellt worden ist, sind jedoch keine weiteren schutzwürdigen Interessen der Beschwerdeführer ersichtlich, die dem gegenläufigen Informationsinteresse des Anzeigenden entgegenstehen.

Soweit es das Interesse der Beschwerdeführer an der Geheimhaltung persönlicher Daten (insbesondere von Geburtsdaten und Privatanschriften) betrifft, ist vorliegend festzustellen, dass im Ergebnis auch dieses anerkannt schutzwürdige Interesse nach der vorzunehmenden Interessenabwägung nicht geeignet ist, eine vollständige Versagung der Akteneinsicht zu begründen, da als milderes Mittel in Betracht käme, die Akteneinsicht in die die Beschwerdeführer betreffenden Behördenauskünfte mit besonders schutzwürdigen Personendaten, wie z.B. in die Auskunft Bl. 55f d.A., vorerst zu versagen und von einer substantiierteren Begründung abhängig zu machen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Akteneinsicht vorliegend nicht unmittelbar durch den Anzeigenden, sondern durch einen von ihm beauftragten Rechtsanwalt genommen wird. Dieser steht als Organ der Rechtspflege in der Pflicht, seinem Mandanten nur die Auskünfte zukommen zu lassen, die zur Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche dringend erforderlich sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Oktober 2006 – 2 BvR 67/06, NJW 2007, 1052).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Urteilsbesprechung zu Landgericht Hamburg Beschluss, 1. Aug. 2019 - 631 Qs 25/19

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