Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 03. Juni 2013 - 2 K 1727/10

ECLI: ECLI:DE:FGRLP:2013:0603.2K1727.10.0A
published on 03/06/2013 00:00
Finanzgericht Rheinland-Pfalz Urteil, 03. Juni 2013 - 2 K 1727/10
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Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Streitig ist, ob dem Kläger als selbstständig Tätigem in Deutschland Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder zusteht.

2

Mit Eingang bei der Beklagten am 27. Dezember 2007 beantragte der Kläger für seine am 8. Januar 1988 (A) und 4. August 1994 (K) geborenen Kinder Kindergeld. Er gab an, sie seien noch bis 2010 in Ausbildung. Er sei selbständig in Deutschland tätig. Dem Antrag beigefügt waren unter anderem eine Bestätigung darüber, dass der Kläger vom 1. Oktober 1999 bis auf weiteres gesetzlich renten-, unfall- und krankenversichert sei, und zwar in der Kasse der Sozialversicherung für Landwirte. Auf die Bescheinigungen im polnischer Sprache sowie ihre Übersetzung wird verwiesen (Blatt 34-35 der Kindergeldakte). Die Ehefrau des Klägers war ebenfalls in dieser Weise versichert (Blatt 36-37 der Kindergeldakte). Des Weiteren beigefügt war eine Bescheinigung E 401 (Blatt 9-11 der Kindergeldakte) und E 411 (Blatt 12-14 der Kindergeldakte), jeweils ausschließlich in polnischer Sprache.

3

Mit Schreiben vom 21. April 2008 forderte die Beklagte Informationen darüber, von wem für welchen Zeitraum Kindergeld gezahlt worden sei und warum eventuell in Polen kein Antrag gestellt worden sei. Hierauf wurden Bestätigungen darüber vorgelegt, dass die Ehefrau des Klägers bis einschließlich Dezember 2007 in Polen Kindergeld erhalten habe.

4

Mit einem Bescheid vom 5. August 2008 lehnte die Beklagte die Festsetzung von Kindergeld ab, da der Kläger in Polen sozialversicherungspflichtig sei und er somit nach Art. 13- 17 der VO (EWG) 1408/71 ausschließlich ausländischen Rechtsvorschriften unterliege, so dass ein Anspruch in Deutschland nicht bestehe.

5

Mit seinem Einspruch hiergegen trug der Kläger vor, ein Ausschluss nach Artikel 13-17 sei nicht erkennbar. Er habe einen Anspruch auf deutsches Kindergeld unter Anrechnung eines etwa zustehenden polnischen Kindergeldes, welches mangels eines Antrags der Ehefrau in Polen etwa zustehen würde. Die zuständigen Behörden in Polen hätten der Beklagten eine Bescheinigung E 411 zugesandt, mit der der Kindergeldanspruch in Polen erneut habe bescheinigt werden sollen. Es stehe bereits fest, dass der Kläger in Deutschland Anspruch auf hälftiges Kindergeld seit März 2006 habe. Dieser Anspruch basiere auf der Konkurrenzvorschrift des Art. 12 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 DVO Nummer 574/72 gehabt. Danach führe der Ausschluss des deutschen Kindergeldes dazu, dass hier hälftiges Kindergeld zu zahlen sei.

6

Wegen einer Bescheinigung E 411 vom 8. Juni 2009 (Blatt 79-83 der Kindergeldakte) wird auf die Übersetzung (Blatt 84 der Kindergeldakte) verwiesen. Aus der Bescheinigung schlussfolgerte der Kläger, dass ihm für K bis Ende 2007 polnisches Kindergeld zugestanden habe, so dass von März 2006 bis Dezember 2007 Kindergeld zur Hälfte und ab Januar 2008 voll zu zahlen sei. Da ihm für A kein polnisches Kindergeld zustehe, sei für das Kind ab März 2006 deutsches Kindergeld in voller Höhe zu leisten.

7

Mit Schriftsatz vom 12. November 2009 teilte der Kläger mit, wegen nachträglicher Feststellung zu hoher Einkommensgrenzen aus seinen Einnahmen in Deutschland sei polnisches Kindergeld für den Zeitraum September 2006 ist August 2007 von ihm zurückgefordert worden. Auf den Rückforderungsbescheid werde verwiesen (Blatt 91 der Kindergeldakte in polnischer Sprache). Daher beurteile sich der Anspruch allein nach §§ 62 ff. EStG, § 65 EStG und die damit verbundenen gemeinschaftsrechtlichen Konkurrenzregelungen fänden keine Anwendung. Für A bestehe ebenfalls ein Anspruch, da in Polen wegen des Studiums des Kindes kein Anspruch bestehe.

8

Die Beklagte forderte nunmehr einen Nachweis darüber, dass durchgängig ab März 2006 in Polen aus rechtlichen Gründen kein Anspruch auf Kindergeld bestanden habe.

9

Der Kläger verwies auf eine Bescheinigung einer polnischen Behörde vom 2. Februar 2010, dass für das Kind A kein Kindergeld bewilligt worden sei, weil es sich in einer universitären Ausbildung befunden habe (Übersetzung: Blatt 147,150-151 der Kindergeldakte).

10

Weiterhin legte der Kläger auf Aufforderung eine Freizügigkeitsbescheinigung vom 20. Juni 2006 vor (Blatt 131 der Kindergeldakte).

11

Mit zwei Teilabhilfebescheiden vom 5. Mai 2010 setzte die Beklagte für den Zeitraum September 2006 ist August 2007 für beide Kinder Kindergeld in voller Höhe fest. Für A wurde überdies Kindergeld in voller Höhe ab Februar 2009 festgesetzt. Im Übrigen wurde mit Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 2010 der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Hierzu trug die Beklagte vor, nach Art. 13 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 unterliege eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätig sei, grundsätzlich den Rechtsvorschriften dieses Staates, auch wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates wohne. Unterliege diese Person den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates, bestehe für sie Anspruch auf deutsches Kindergeld unter den Voraussetzungen des EStG oder des Bundeskindergeldgesetzes, sofern in dem anderen Mitgliedstaat wegen nationaler Regelungen kein Anspruch auf Kindergeld oder vergleichbare Leistungen bestehe, zum Beispiel wegen Überschreitens einer Alters- oder Einkommensgrenze. Würden jedoch Leistungen dieser Art im anderen Mitgliedstaat gewährt, sei nach § 65 Abs. 1 EStG eine Gewährung deutschen Kindergeldes ausgeschlossen sei. Differenz- bzw. Unterschiedzahlungen kämen nicht in Betracht, der Kläger sei in Polen gesetzlich rentenversichert. Er unterliege somit polnischen Rechtsvorschriften und könne Kindergeld nur erhalten, wenn dieses in Polen wegen nationaler Regelungen ausgeschlossen. Seine Ehefrau habe von Juni 2006 ist August 2006 und September 2007 bis August 2008 in Polen Kindergeld erhalten und ab September 2008 sei noch keinen Antrag gestellt worden. Für A habe dem Grunde nach in Polen bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres im September 2009 ein Anspruch auf Kindergeld bestanden. K vollende im August 2012 das 18. Lebensjahr. Bis zu diesem Zeitpunkt bestehe jedenfalls dem Grunde nach in Polen ein Anspruch. Für März 2006 bis August 2006 und September 2007 bis Januar 2009 bestehe weder für A noch K hier ein Anspruch auf Kindergeld, für K auch nicht ab Februar 2009.

12

Mit seiner Klage hiergegen trägt der Kläger vor, für A habe gemäß Bescheinigung E 411 vom 22. Februar 2010 in Polen ein Anspruch nur von März 2006 ist August 2006 bestanden. Ab September 2007 habe mangels Erfüllung gesetzlicher Voraussetzungen, ein Studium sei begonnen worden und eine Behinderung habe nicht bestanden, kein Anspruch mehr bestanden. Für K habe von März 2006 bis August 2006 sowie September 2007 bis August 2008 ein Anspruch auf polnisches Kindergeld bestanden. Soweit in Polen kein Anspruch bestehe, seit hier Kindergeld zu bewilligen. Für die mit der Klage geltend gemachten Zeiträume sei mangels polnischer Kindergeldzahlung der Anspruch erfüllt. Wäre in Polen gezahlt worden, wäre ein Anspruch nach § 65 EStG grundsätzlich ausgeschlossen. Hier komme die Konkurrenzregelung der VO 1408/71 sowie die hierzu ergangene Durchführungsverordnung (DVO) 574/12 zur Anwendung mit der Folge, dass bei einem Anspruch im Herkunftsland die deutsche Leistung unter deren Anrechnung zu gewähren sei. Voraussetzung sei eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit als Arbeitnehmer oder bei Selbständigen eine Rentenversicherungspflicht. Der Kläger sei als Selbständiger nicht rentenversicherungspflichtig. Dann sei keine Anrechnung der ausländischen Leistungen möglich, allerdings sei die allgemeine Konkurrenzregelung des Art. 12 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 DVO Nummer 574/72 anzuwenden. Danach führe der grundsätzliche Ausschluss des deutschen Kindergeldes dazu, dass hier das halbe Kindergeld zu zahlen sei.

13

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 5. August 2008 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 5. Mai 2010 sowie in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 5. Mai 2010 dahin zu ändern,
dass für das Kind K für die Zeiträume März 2006 bis August 2006 sowie September 2007 bis August 2008 Kindergeld zur Hälfte und für die Zeit ab September 2008 in voller Höhe festgesetzt wird,
dass für das Kind A für die Zeiträume März 2006 bis August 2006 Kindergeld zur Hälfte sowie für September 2007 bis Dezember 2008 in voller Höhe festgesetzt wird,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.

14

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

15

Zur Begründung verweist sie auf ihre Einspruchsentscheidung.

16

Während des Klageverfahrens legte der Kläger eine Studienbescheinigung für A vor, wonach diese noch bis zum September 2012 studiere, sowie eine Bescheinigung für K, wonach diese im Schuljahr 2010/2011 noch die Schule besuche (Blatt 40-41 der Kindergeldakte). Des Weiteren legte der Kläger eine Gewerbeanmeldung seiner Ehefrau in E (Deutschland) vom 11. Februar 2009 vor, wonach diese Dienstleistungen in der Landwirtschaft, Weinbau, Pflege- und Betreuungsarbeiten nach Hausfrauenart erbringen wolle.

17

Am 17. April 2012 wurde in einer mündlichen Verhandlung die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs diskutiert, insbesondere zu der Frage, welchen Versichertenstatus der Kläger bis in die jüngere Vergangenheit in Polen innegehabt habe. Der Kläger sollte hierzu der Grund der Versicherung in Polen angeben, insbesondere zur Frage, ob die Rentenversicherung aufgrund von eigenem Erwerbseinkommen oder über die Versicherung der Ehefrau bestehe.

18

In der mündlichen Verhandlung hat auch der Kläger, wie auch die Beklagte auf erneute mündliche Verhandlung verzichtet. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll verwiesen (Blatt 82-83 der Prozessakten).

19

Hierauf trägt der Kläger vor, er sei als Familienmitglied im Haushalt seiner Ehefrau bei der polnischen Versicherung für Bauern (KRUS) versichert. Eine Versicherung aus Anlass einer Beschäftigung oder anderweitiger Erwerbstätigkeit habe nicht bestanden. Seine Ehefrau lebe seit 2009 regelmäßig in Deutschland und habe sich mit einem Gewerbebetrieb niedergelassen. Daher könne ab Februar 2009 in Polen kein Anspruch auf Kindergeld mehr begründet werden. Die in der Verhandlung angesprochene Rechtsprechung sei mithin nicht einschlägig. Der Bundesfinanzhof habe in den genannten Verfahren (III R 81/08, III R 55/08) diese zur erneuten Entscheidung an die Finanzgerichte zurückverwiesen. Er habe einen Anspruch nicht abgelehnt, sondern festgestellt, dass weitere Feststellungen zur Anspruchsberechtigung in Bezug auf die Kinder zu treffen seien. Es habe eine Prüfung nach dem EStG zu erfolgen. Auf eine Sozialversicherungspflicht im Rahmen der Prüfung des § 65 EStG komme es nicht. Ab Oktober 2010 habe die Beklagte Kindergeld festgesetzt.

20

Hierzu trägt die Beklagte vor, für A sei außerhalb des Streitzeitraums ab Oktober 2011 Kindergeld festgesetzt worden. In Oktober 2012 sei wegen der Beendigung ihres Studiums die Festsetzung aufgehoben worden. Somit sei für A von Februar 2009 bis September 2012 Kindergeld gezahlt worden. Aus der Bescheinigung der polnischen Sozialversicherung für Landwirte vom 1. August 2007 ergebe sich eindeutig, dass der Kläger seit 1. Oktober 1999 bis auf weiteres aus eigenem Recht gesetzlich renten-, unfall- und krankenversichert gewesen sei. Eine gegenteilige Bestätigung habe er nicht vorgelegt. Nach dem BFH-Urteil vom 4. August 2011 (III R 55/08) sei die VO Nummer 1408/71 auch den Kläger anwendbar, es bestehe ein Anspruch in Polen, der einen solchen nach dem EStG ausschließe.

Entscheidungsgründe

21

Die Klage ist unbegründet.

22

Streitzeitraum ist die Zeit von März 2006 bis Mai 2010, also dem Monat, in dem die Einspruchsentscheidung bekannt gegeben wurde. Dies ergibt sich aus dem im Kindergeldrecht geltenden Monatsprinzip (§ 66 Abs. 2 EStG).

23

Die Klage hat zunächst keinen Erfolg, soweit der Kläger für bestimmte Zeiträume Kindergeld nur in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Anspruches geltend macht.

24

So ergibt sich für den Zeitraum März 2006 bis August 2006 für beide Kinder sowie für den Zeitraum September 2007 bis August 2008 für das Kind K kein Anspruch auf (hälftiges) deutsches Kindergeld. Dem steht entgegen, dass der Kläger in den genannten Zeiträumen Kindergeld bzw. damit vergleichbare Leistungen seitens polnischer Leistungsträger erhalten hat und darüber hinaus weder ein Anspruch auf Differenzkindergeld noch ein Anspruch nach Art. 12 Abs. 2 VO Nummer 1408/71 in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 DVO Nummer 574/72 bestand.

25

Ein Anspruch des Klägers auf Kindergeld nach den §§ 62 f. EStG ist durch die Verordnung (VO) Nummer 1408/71 und die Verordnung (EWG) Nummer 574/72 ausgeschlossen. Für die genannten Zeiträume ist diese Verordnung anzuwenden.

26

Der persönliche Geltungsbereich der VO Nummer 1408/71 wird im Rahmen der allgemeinen Vorschriften des Titels I in Art. 2 der VO Nummer 1408/71 festgelegt. Nach ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Verordnung insbesondere für Arbeitnehmer und Selbständige, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene. Die in dieser Vorschrift verwendeten Begriffe "Arbeitnehmer" und "Selbständiger" werden in Artikel 1a der VO Nummer 1408/71 definiert. Sie bezeichnen jede Person, die im Rahmen eines der in Art. 1a der VO Nummer 1408/71 aufgeführten Systeme der sozialen Sicherheit gegen die in dieser Vorschrift angegebenen Risiken unter den dort genannten Voraussetzungen versichert ist. Eine Person besitzt somit zum Beispiel die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne der VO Nummer 1408/71, wenn sie auch nur gegen ein einziges Risiko im Rahmen der in Art. 1 Buchstabe Art dieser Verordnung genannten allgemeinen oder besonderen Systeme der sozialen Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist, und zwar unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses. Es ist nicht die tatsächliche Ausübung der Tätigkeit maßgeblich sondern der Versichertenstatus. Die VO 1408/71 soll also grundsätzlich für alle Personen gelten, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbstständige bereit gestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind.

27

Erforderlich, aber auch ausreichend für die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereichs der VO Nummer 1408/71 ist, dass eine Person nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Artikel 1a der Verordnung in irgend einem der von ihrem sachlichen Geltungsbereich erfassten Zweige der sozialen Sicherheit in irgendeinem Mitgliedstaat der Europäischen Union versichert ist. Dass eine Person die Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1a der Verordnung Nummer 1408/71 in Bezug auf ihre in Deutschland ausgeübte Tätigkeit nicht erfüllt, bedeutet daher noch nicht, dass sie dem persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung nicht unterfällt, denn dieser kann aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu dem System der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats eröffnet sein.

28

Die Verordnung ist personenbezogen. Ihr Ziel ist die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der Europäischen Union zu- oder abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist daher in einem ersten Schritt zu ermitteln, ob eine Person die Versicherteneigenschaft nach den für die soziale Sicherheit gelten Rechtsvorschriften irgendeines, gegebenenfalls auch mehrerer, Mitgliedstaaten besitzt.

29

Ist danach der persönliche Geltungsbereich der VO Nummer 1408/71 für eine Person eröffnet, ist in einem zweiten Schritt das auf sie anzuwendende Recht nach den Artikeln 13 ff. der VO Nummer 1408/71 zu bestimmen.

30

Bezogen auf den Streitfall ist daher zu prüfen, ob der Kläger in Polen und/oder in Deutschland als Arbeitnehmer und/oder Selbständiger im Sinne des Artikel 1a der VO gilt oder nicht.

31

In Deutschland war der Kläger im Hinblick auf seine gewerbliche Tätigkeit nicht versichert und auch nicht versicherungspflichtig, so dass er insoweit hier nicht als Selbständiger im Sinne der Verordnung gilt. Diese Voraussetzung erfüllte er nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch durch eine Versicherung gegen soziale Risiken in Polen.

32

Entgegen anders lautender Auffassung des Klägers und insoweit von ihm trotz Thematisierung in der mündlichen Verhandlung vom 17. April 2012 nicht nachgewiesen, bestand für ihn selbst eine Versicherung in der Sozialversicherung für Landwirte, und zwar gemäß der Bescheinigung vom 1. August 2007 durchgängig seit dem 1. Oktober 1999 als Landwirt. Dies ergibt sich aus der Bestätigung, auf deren Übersetzung verwiesen wird (Blatt 35 der Kindergeldakte). Insoweit ist nicht darauf abzustellen, ob er eventuell über seine Ehefrau in der Sozialversicherung für Landwirte abgesichert gewesen ist. Vielmehr ergibt sich, dass diese wiederum selbst mit zwei Kindern dort abgesichert ist. Hierzu wird auf die die Ehefrau betreffende Bestätigung verwiesen (Blatt 37 der Kindergeldakte).

33

Umstände, nach denen eine solche Versicherung des Klägers im streitigen Zeitraum nicht mehr bestanden haben könnte sind nicht ersichtlich. Der Kläger muss sich daher weiterhin so behandeln lassen, als wäre er als selbständiger Landwirt in Polen tätig, wofür der Versichertenstatus gemäß dem Zweck der Anwendung der VO fortbesteht (so zum Ganzen mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung BFH Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFH/NV 2012, 85).

34

Das anzuwendende Recht bestimmt sich daher nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung (Art. 13 ff.).

35

Gemäß Art. 13 Absatz 2b der VO Nummer 1408/71 unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaates eine selbständige Tätigkeit ausübt, den Vorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Staates wohnt.

36

Soweit es nach den Art. 13 ff. der VO Nummer 1408/71 darauf ankommt, in welchem Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausgeübt wird, bestimmt sich dies nicht danach, in welchem Land die Versicherung besteht, sondern danach, in welchem Mitgliedstaat die Person abhängig beschäftigt ist bzw. eine selbständige Tätigkeit ausübt. Anzuknüpfen ist dabei an diejenige Tätigkeit, hinsichtlich derer die betreffende Person als Arbeitnehmer bzw. Selbständiger im Sinne des Art. 1 a der VO Nummer 1408/71 gilt (zum Ganzen BFH Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, BFH/NV 2012, 85).

37

Für den Streitfall kann sich die Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften daher nicht aus Art. 13 Absatz 2b der VO Nummer 1408/71 ergeben, denn hinsichtlich seiner in Deutschland ausgeübten gewerblichen Tätigkeit gilt er hiernach nicht als Selbständiger (zum Ganzen Anm. von Richter am Bundesfinanzhof Dr. Selder zu BFH Urteil vom 4. August 2011 III R 55/08, juris-Dokument).

38

Soweit der Kläger somit im Inland nicht als Selbständiger im Sinne der Verordnung gilt, er vielmehr nach Art. 13 ff. der VO Nummer 1408/71 den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates unterliegt, besteht kein Anspruch auf deutsches Kindergeld, auch wenn die Voraussetzungen der § 62 ff. EStG im übrigen erfüllt sein sollten (so Urteil des FG Nürnberg vom 10. Februar 2011 7 K 592/08, EFG 2011, 1172).

39

Weiterhin ist im Streitfall zu beachten, dass zumindest im streitigen Zeitraum die Kinder nicht in Deutschland lebten. Vielmehr bestand für sie über ihre mit in Polen lebende Mutter und Ehefrau des Klägers ein Anspruch auf Kindergeld für die streitigen Zeiträume.

40

Die Klage ist eben so für die verbliebenen Zeiträume, für die Kindergeld in voller Höhe geltend gemacht wird, unbegründet. Auch für diese Zeiträume ist zu beachten, dass der Kläger in Deutschland nicht als Selbständiger im Sinne des Artikel 1a der VO Nummer 1408/71 gilt, so dass sich keine Anwendung deutscher Vorschriften aus Art. 13 Absatz 2b der VO Nummer 1408/71 ergibt.

41

Die Verordnung bildet ein geschlossenes System von Kollisionsnormen, dass dem nationalen Gesetzgeber die Befugnis entzieht, in diesem Bereich den Geltungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen der nationalen Rechtsvorschriften im Hinblick darauf zu bestimmen, welche Personen ihnen unterliegen und mit welchem Gebiet sie ihre Wirkung entfalten soll. Somit ist Deutschland als nicht zuständiger Mitgliedstaats auch nicht befugt, im Streitfall Kindergeld nach Maßgabe der §§ 62 f. EStG zu gewähren, weil ein solches in Polen nicht geleistet wird.

42

Anders als im Fall Bosman (EuGH Urteil vom 20. Mai 2008 -C-352/06- EuGH E2 1008, I-3827) hat der Kläger dadurch, dass er sein Recht auf Freizügigkeit genutzt hat und in Deutschland tätig war, keine Verluste erlitten, denn sein Anspruch auf Zahlung von Kindergeld in Polen ist allein aufgrund der Höhe seines Einkommens ausgeschlossen gewesen, sowie hinsichtlich des Kindes A aufgrund der Tatsache, dass dieses nach Vollendung seines 21. Lebensjahres nicht mehr den Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld nach polnischem Recht unterlag, nicht aber aufgrund des Umstandes, dass er in Deutschland tätig gewesen ist. Zudem lebten -anders als im Fall Bosman- die Kinder des Klägers und auch seine Ehefrau in Polen und nicht in Deutschland.

43

Hinsichtlich der Ehefrau ist ein Nachweis, dass sie in Deutschland lebt nicht geführt worden. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus ihrer Gewerbeanmeldung vom Februar 2009. Damit ist weder den Nachweis geführt, dass sie ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet hat (§§ 8,9 AO) (zu einem mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt auch: Urteil des Finanzgerichts Münster vom 8. Februar 2012 11 K 4112/09 Kg, EFG 2012, 1277).

44

Für den Mai 2010 als letztem streitigen Monat gilt nichts anderes, auch diesbezüglich ist die Klage aus den genannten Gründen unbegründet. So ist die ab diesem Monat geltende Verordnung (VO) 883/2004 (Art. 90 Abs. VO 883/2004) gemäß Durchführungsverordnung (EG) 987/2009 vom 16. September 2009 erst ab Inkrafttreten dieser letztgenannten Verordnung am 10. Mai 2010 anzuwenden.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

46

Gründe für die Zulassung der Revision bestanden nicht. So sind die für den Streitfall einschlägigen rechtlichen Fragen durch die Entscheidungen des Bundesfinanzhofes, unter anderem mit BFH Urteilen vom 4. August 2011 (III R 81/08, III R 55/08) geklärt.

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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd
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(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werd
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published on 04/08/2011 00:00

Tatbestand 1 I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Seine Ehefrau wohnt mit den gemeinsamen Kindern in Polen.
published on 04/08/2011 00:00

Tatbestand 1 I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und hat zwei im April 1986 und im Juni 1990 geborene Kinde
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published on 04/02/2016 00:00

Tenor Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Finanzgerichts Rheinland Pfalz vom 3. Juni 2013  2 K 1727/10 aufgehoben.
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Annotations

1Kindergeld wird nicht für ein Kind gezahlt, für das eine der folgenden Leistungen zu zahlen ist oder bei entsprechender Antragstellung zu zahlen wäre:

1.
Leistungen für Kinder, die im Ausland gewährt werden und dem Kindergeld oder der Kinderzulage aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 217 Absatz 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung oder dem Kinderzuschuss aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 270 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum 16. November 2016 geltenden Fassung vergleichbar sind,
2.
Leistungen für Kinder, die von einer zwischen- oder überstaatlichen Einrichtung gewährt werden und dem Kindergeld vergleichbar sind.
2Soweit es für die Anwendung von Vorschriften dieses Gesetzes auf den Erhalt von Kindergeld ankommt, stehen die Leistungen nach Satz 1 dem Kindergeld gleich.3Steht ein Berechtigter in einem Versicherungspflichtverhältnis zur Bundesagentur für Arbeit nach § 24 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder ist er versicherungsfrei nach § 28 Absatz 1 Nummer 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder steht er im Inland in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnis, so wird sein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind nicht nach Satz 1 Nummer 2 mit Rücksicht darauf ausgeschlossen, dass sein Ehegatte als Beamter, Ruhestandsbeamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union für das Kind Anspruch auf Kinderzulage hat.

(1) Das Kindergeld beträgt monatlich für jedes Kind 250 Euro.

(2) Das Kindergeld wird monatlich vom Beginn des Monats an gezahlt, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind, bis zum Ende des Monats, in dem die Anspruchsvoraussetzungen wegfallen.

(3) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.