Bundessozialgericht Beschluss, 14. Dez. 2011 - B 6 KA 57/11 B
Gericht
Tenor
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Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 2011 wird zurückgewiesen.
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Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten des Beklagten auch für das Beschwerdeverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Gründe
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I. Im Streit stehen Sprechstundenbedarfs(SSB)-Regresse für die Quartale II/1997 bis III/1998.
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Der Kläger war im streitigen Zeitraum mit den Radiologen Dr. P., Sch. und Dr. D. in einer Gemeinschaftspraxis (Berufsausübungsgemeinschaft) vertragsärztlich tätig. Zum 31.8.1998 verzichtete der Kläger auf seine Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung, blieb aber zunächst als Angestellter in der Gemeinschaftspraxis tätig. Diese - zuletzt aus den Mitgliedern Sch. und Dr. D. bestehend - wurde zum 31.3.2002 aufgelöst; Praxisnachfolger ist Dr. D. Mit zwei Bescheiden vom 29.9.1999 setzte der Prüfungsausschuss gegen die Gemeinschaftspraxis einen Regress in Höhe von 1 671 770,75 DM wegen unzulässiger SSB-Verordnungen und in Höhe von 61 152,93 DM wegen unwirtschaftlicher Verordnung von Volon A Ampullen in den Quartalen II/1997 bis IV/1997 sowie einen Regress in Höhe von 1 537 960,77 DM wegen unzulässiger SSB-Verordnungen in den Quartalen I/1998 bis III/1998 fest.
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Die hiergegen erhobenen Widersprüche blieben erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 9.5.2001). Im nachfolgenden Gerichtsverfahren hat das SG die von den (ehemaligen) Mitgliedern der Gemeinschaftspraxis getrennt geführten Verfahren verbunden und das Ruhen des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in dem - die Quartale III/1995 bis IV/1996 betreffenden - Parallelverfahren angeordnet. Nach der für die Kläger erfolglosen Beendigung jenes Verfahrens (Urteil des BSG vom 20.10.2004 - B 6 KA 41/03 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 6)hat das SG die Streitverfahren der ehemaligen Partner des Klägers (Sch. und Dr. D.) abgetrennt; das Verfahren ist durch einen Vergleich beendet worden, in dem sich Dr. D verpflichtet hat, einen Teilbetrag der Regressforderung (829 453,16 Euro von ursprünglich insgesamt 3 727 137,52 DM = 1 905 655,15 Euro) zu zahlen; die Regressforderung gegenüber den übrigen Gesamtschuldnern sollte hiervon unberührt bleiben. Dr. P. hat die von ihm erhobene Klage zurückgenommen. Die im Verfahren S 9 KA 242/05 verbliebene Klage des Klägers, mit der dieser insbesondere geltend gemacht hat, er könne sich wegen der im Jahr 2001 erfolgten grundlegenden Änderung der Rechtsprechung zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen, ist erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 12.2.2009, Urteil des LSG vom 9.2.2011).
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Das LSG hat ausgeführt, der angefochtene Bescheid des Beklagten sei ungeachtet einer Versäumnis der Antragsfrist rechtmäßig, da dies einer Durchführung und Entscheidung des Prüfverfahrens nicht entgegenstehe. Unerheblich sei auch, dass der Kläger zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Bescheides der Gemeinschaftspraxis nicht mehr angehört habe, da der Beklagte die an der Gemeinschaftspraxis beteiligten Ärzte in der Anschrift im Einzelnen namentlich aufgeführt und den Bescheid jedem von diesen gesondert zugestellt habe. Der Bescheid sei auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden, da die Gemeinschaftspraxis die beanstandeten Mittel zu Unrecht als SSB verordnet und abgerechnet habe. So seien koaxiale Interventionssets nach den Bestimmungen des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für ärztliche Leistungen sowie der SSB-Vereinbarung nicht verordnungsfähig; die durch die Verordnung eines "Medrad CT Injector Systems" entstandenen Kosten seien mit der Vergütung/Gebühr für die ärztliche Leistung abgegolten und nicht mehr gesondert abrechenbar. Auch die übrigen Richtigstellungen seien zu Recht erfolgt. Ohne Bedeutung sei, dass der frühere Praxispartner Dr. P. seine Vertretungsbefugnis für die Gemeinschaftspraxis überschritten habe. Schließlich rechtfertige auch der Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keine andere Entscheidung. Die in der Rechtsprechung im Zusammenhang mit der rückwirkenden Korrektur von Honorarbescheiden im Hinblick auf den Vertrauensschutz aufgestellten Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Soweit der Kläger meine, dass das BSG mit Urteil vom 7.2.2007 (BSGE 98, 89 = SozR 4-2500 § 85 Nr 31)im Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 7.4.2003 (II ZR 56/02 - BGHZ 154, 370) seine Rechtsprechung zur Rechtsfähigkeit der GbR geändert habe, lasse dies unberücksichtigt, dass es vorliegend - anders als in der BSG-Entscheidung - nicht um Altverbindlichkeiten gehe.
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Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) geltend.
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II. Die Beschwerde des Klägers hat keinen Erfolg.
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Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Klägers, der Rechtssache komme grundsätzliche Bedeutung zu, den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG entspricht. Denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet, da nicht alle Erfordernisse für die Revisionszulassung erfüllt sind. Diese setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl BVerfG
, SozR 3-1500 § 160a Nr 7 S 14; s auch BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 19 S 34 f; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 30 S 57 f mwN). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls die Rechtsfrage schon beantwortet ist, ebenso dann, wenn Rechtsprechung zu dieser Konstellation zwar noch nicht vorliegt, sich aber die Antwort auf die Rechtsfrage ohne Weiteres ergibt (zur Verneinung der Klärungsbedürftigkeit im Falle klarer Antwort s zB BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 S 6; BSG SozR 3-2500 § 75 Nr 8 S 34; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; vgl auch BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f),und schließlich auch dann, wenn kein vernünftiger Zweifel an der Richtigkeit der vom LSG dazu gegebenen Auslegung bestehen kann, weil sich die Beantwortung bereits ohne Weiteres aus der streitigen Norm selbst ergibt (vgl hierzu BSG Beschluss vom 2.4.2003 - B 6 KA 83/02 B - juris RdNr 4).
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Die Rechtsfrage,
"ob und inwieweit ein Mitglied einer Gemeinschaftspraxis für die Folgen von strafbaren Handlungen eines Mitgesellschafters mithaftet, die außerhalb des Tätigkeitsbereichs der Gemeinschaftspraxis begangen wurden",
ist weder klärungsfähig noch klärungsbedürftig. An der Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) fehlt es bereits deshalb, weil die Beantwortung dieser Frage für die Entscheidung im Revisionsverfahren ohne Bedeutung wäre. Für die allein streitgegenständliche Rechtmäßigkeit der sachlichen Richtigstellungen kommt es nur darauf an, ob seitens der Gemeinschaftspraxis unzulässige SSB-Verordnungen getätigt wurden; ob diese Verordnungen auf einer strafbaren Handlung beruhen, ist ohne Bedeutung. Dass die Gemeinschaftspraxis - und damit ihre Mitglieder - die wirtschaftlichen Folgen von Falschabrechnungen bzw rechtswidrigen Verordnungen treffen, hat der Senat bereits in seinem - dem Kläger bekannten - Urteil vom 20.10.2004 (SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22 ff)ausführlich dargelegt. Im Übrigen geht die Fragestellung von einem unzutreffenden Sachverhalt aus, wenn sie unterstellt, dass strafbare Handlungen "außerhalb des Tätigkeitsbereiches der Gemeinschaftspraxis" begangen worden seien. Da es vorliegend um SSB geht, der unzulässiger Weise von der Gemeinschaftspraxis verordnet wurde, ist zweifelsfrei der Kernbereich der Tätigkeit der Gemeinschaftspraxis betroffen. An welchen Standorten diese Praxis mit welchem Schwerpunkt tätig war, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung.
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Die Rechtsfrage,
"ob und inwieweit ein Mitglied einer Gemeinschaftspraxis sich auf Vertrauensschutz berufen kann, wenn es für die Folgen von strafbaren Handlungen eines Mitgesellschafters mithaften soll",
ist in dieser Allgemeinheit bereits nicht klärungsfähig, da unklar bleibt, woraus ein etwaiger Vertrauensschutz hergeleitet werden soll. Im Übrigen ist sie nicht klärungsbedürftig, denn es ist in der Senatsrechtsprechung geklärt, dass fehlerhafte SSB-Verordnungen eine verschuldensunabhängige Ersatzpflicht auslösen (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 16; ebenso BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 26). Kommt es aber nicht auf Verschulden im Sinne eines "Wissens und Wollens" an, ist auch ohne Bedeutung, ob der Kläger Kenntnis von strafbaren Handlungen eines Mitgesellschafters hatte oder nicht. Im Übrigen ist geklärt, dass im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen und gleichgelagerten Verfahren Vertrauensschutz nur dann anzuerkennen ist, wenn ein anderer Beteiligter insoweit einen besonderen Vertrauenstatbestand gesetzt hat (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 1 RdNr 18 mwN); dies setzt eine auf eine verbindliche Festlegung zielende behördliche Äußerung der Entscheidungs- bzw Kostenträger voraus (BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 19, 21).
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Soweit der Kläger auch die von ihm einleitend aufgeworfene Frage,
"ob und inwieweit die persönliche gesamtschuldnerische Haftung eines Mitglieds einer Gemeinschaftspraxis bejaht werden kann, wenn ein Mitgesellschafter das schadensverursachende Verhalten vor der im Jahr 2001 erfolgten Änderung der Rechtsprechung des BGH zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts begangen hat",
als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung verstanden wissen will, ist auch diese Frage nicht klärungsbedürftig. Sie ist ohne Weiteres zu bejahen. Denn eine Haftung der ihre vertragsärztliche Tätigkeit gemeinschaftlich ausübenden Vertragsärzte für Verpflichtungen der Gemeinschaftspraxis bestand seit jeher, nicht erst seit dem Jahr 2001. Dies lässt sich zweifelsfrei daraus entnehmen, dass der Senat mit Urteil vom 12.12.2001 (BSGE 89, 90, 92 f = SozR 3-2500 § 82 Nr 3 S 5 f)eine gesamtschuldnerische Haftung der Partner einer Gemeinschaftspraxis für Honorarrückforderungen bejaht hat, die auf sachlich-rechnerischen Richtigstellungen bezüglich der Quartale II/1991 bis II/1994 beruhten. Dasselbe ergibt sich aus der dem Kläger bekannten Entscheidung vom 20.10.2004 (SozR 4-2500 § 106 Nr 6 RdNr 22),die eine Haftung für sachlich-rechnerische Richtigstellungen bezüglich der Quartale III/1995 bis IV/1996 betrifft. Da der Senat eine Haftung der Gemeinschaftspraxispartner für fehlerhafte Abrechnungen und unzulässige Verordnungen nicht aus der Rechtsprechung des BGH hergeleitet hat, war die vom Kläger erwähnte Änderung der Rechtsprechung des BGH für eine dem Grunde nach bestehende Haftungsverpflichtung ohne Bedeutung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 Abs 1 und Abs 4 SGG in der bis zum 1.1.2002 geltenden und hier im Hinblick auf die Klageerhebung vor diesem Zeitpunkt noch maßgeblichen Fassung (vgl BSG SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).
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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.
(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.
(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.
(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.
(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.
(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.