Bundessozialgericht Beschluss, 26. Okt. 2012 - B 6 KA 3/12 C
Gericht
Tenor
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Die Anhörungsrüge des Klägers gegen den Beschluss des Bundessozialgerichts vom 15.8.2012 - B 6 KA 100/11 B - wird zurückgewiesen.
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Der Kläger trägt auch die Kosten des Anhörungsrügeverfahrens.
Gründe
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I. Der bis 2010 als praktischer Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Kläger wendet sich gegen Regresse wegen unwirtschaftlicher Verordnungsweise von Arzneimitteln in den Quartalen I/1998 bis IV/2001 mit Ausnahme des Quartals II/2000. Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13.7.2011 hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG) sowie Verfahrensmängel (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG) geltend gemacht. Der Senat hat die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision durch Beschluss vom 15.8.2012 - den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30.8.2012 zugestellt - zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 13.9.2012 erhobene Anhörungsrüge.
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II. Die Anhörungsrüge des Klägers, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung und dementsprechend ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter entscheiden kann (§ 12 Abs 1 Satz 2 iVm § 124 Abs 3 SGG; s dazu BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 5 RdNr 16 f; BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 6 RdNr 7 f), hat keinen Erfolg; denn sie ist - ihre Zulässigkeit unterstellt - jedenfalls unbegründet.
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Für die Zulässigkeit einer Anhörungsrüge ist erforderlich, dass ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die angegriffene Entscheidung nicht gegeben ist (§ 178a Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG), dass die Rüge innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis einer Verletzung des rechtlichen Gehörs erhoben (§ 178a Abs 2 Satz 1 SGG) und dass eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung dargelegt wird (§ 178a Abs 2 Satz 5 SGG). Die ersten beiden Voraussetzungen sind erfüllt. Anders verhält es sich mit der dritten Voraussetzung. Es ist bereits zweifelhaft, ob der Kläger mit seinem Vorbringen die Möglichkeit einer Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) durch den Beschluss des Senats vom 15.8.2012 hinreichend dargetan hat. Die Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der Senat hat sich in dem angegriffenen Beschluss mit allen vom Kläger vorgetragenen entscheidungserheblichen Umständen auseinandergesetzt.
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Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen (vgl BVerfG
, BVerfGK 14, 238, 241 f = WM 2008, 2084 f, unter Hinweis auf BVerfGE 64, 1, 12 und BVerfGE 87, 1, 33 = SozR 3-5761 Allg Nr 1 S 4) . Die Gerichte sind auch nicht verpflichtet, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden; es muss nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden (stRspr des BVerfG, s zB BVerfG, BVerfGK 13, 303, 304 f = juris RdNr 9 ff mwN; vgl auch zB BVerfGK 7, 485, 488) . Die für die Zulässigkeit des außerordentlichen Rechtsbehelfs einer Anhörungsrüge erforderliche Darlegung des Vorliegens der Voraussetzungen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör muss diesen Gehalt des Gebots berücksichtigen; es bedarf mithin einer in sich schlüssigen Darstellung, dass trotz der genannten Grenzen des Prozessgrundrechts eine Verletzung des rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise vorliege.
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Soweit der Kläger rügt, der Senat sei nicht auf seinen Vortrag zur Geeignetheit des statistischen Fallkostenvergleichs unter dem Aspekt des Risikostrukturausgleichs eingegangen, fehlt es bereits an einer Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Senats zu den Verordnungskosten der Vergleichsgruppe für die Knappschaftsversicherten und zu den vom Kläger geltend gemachten Unterschieden in der Morbiditätsstruktur. Wenn der Kläger insofern meint, der Existenz des Risikostrukturausgleichs sei in diesem Zusammenhang keine Beachtung geschenkt worden, begründet dies keine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil dieser den Senat nicht verpflichtet, nicht entscheidungsrelevanten Vortrag ausdrücklich zu behandeln. Die vom Kläger auf S 7 seiner Beschwerdebegründung formulierte Rechtsfrage zielte ganz explizit auf den Umstand, dass er nach eigenen Angaben in größerem Umfang Knappschaftsversicherte behandelt hat. Nur hiermit hat der Kläger die Entscheidungserheblichkeit der von ihm formulierten Frage zur Eignung des statistischen Fallkostenvergleichs begründet (S 7, 8 der Beschwerdebegründung). Mit diesem Aspekt hat sich der Senat in seinem Beschluss vom 15.8.2012 auseinandergesetzt. Ein Anlass, näher auf die Bedeutung des kassenartenübergreifenden Risikostrukturausgleichs (RSA) im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung einzugehen, hat nicht bestanden. Dass von diesem Ausgleichsinstrument Auswirkungen auf die schon immer kassenübergreifend angelegte vertragsärztliche Wirtschaftlichkeitsprüfung ausgehen könnten, ist seit der Einführung des RSA zum 1.1.1994 (vgl dazu BSGE 90, 231, 235 f = SozR 4-2500 § 266 Nr 1 RdNr 16) in Rechtsprechung und Schrifttum nicht erwogen worden. Auch in der Beschwerdebegründung wird ein solcher Zusammenhang nicht generell hergestellt; auf S 8 und 9 werden lediglich die Einführung des RSA als Beleg für unterschiedliche Patientenstrukturen in den verschiedenen Krankenkassen und der späte Eintritt der Knappschaft in den Wettbewerb der Krankenkassen als Beleg für eine ungünstige Morbiditätsstruktur angeführt. Aus beiden Umständen schließt der Kläger auf die von ihm behauptete Inhomogenität der Vergleichsgruppe wegen der unterschiedlichen Quote von Knappschaftsversicherten. Damit hat der Senat sich befasst; nähere generelle Ausführungen zum RSA waren nicht veranlasst.
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Auch soweit der Kläger geltend macht, der Senat habe seine Ausführungen zur Patientenstruktur nicht zur Kenntnis genommen, ist eine Gehörsverletzung nicht erkennbar. Der Kläger verweist lediglich auf die aus seiner Sicht unzureichenden allgemeinen Ausführungen des Senats, legt aber nicht dar, warum trotz der folgenden - von ihm nicht in Bezug genommenen - fallbezogenen Begründung, in der auf die vom Kläger geltend gemachte besondere Patientenstruktur eingegangen worden ist, eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch ein Übergehen seines Vortrags vorliegen sollte.
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Auch den Vortrag des Klägers zur "Rentnergewichtung" hat der Senat nicht übergangen. Er hat nicht nur auf seine Rechtsprechung zur Berücksichtigung des unterschiedlichen Behandlungsaufwands bei älteren und jüngeren Patienten hingewiesen, sondern ist auch auf die Ausführungen des Klägers zu einer weitergehenden Differenzierung eingegangen. Der Kläger hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen ihm trotz der Äußerungen des Senats zu den Besonderheiten der Verordnungen für ältere Patienten in seiner Praxis nicht in ausreichendem Maße rechtliches Gehör gewährt worden sein soll. Wenn er im Übrigen vorträgt, dass es auf die Frage der konkreten Gestaltung seiner Praxis gar nicht angekommen sei, bestätigt er die Beurteilung des Senats, dass die von ihm aufgeworfene Frage zur Rentnergewichtung in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig wäre.
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Die Ausführungen des Klägers zur Begründung einer Gehörsverletzung zielen letztlich ausschließlich darauf ab, die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung zu beanstanden. Er begründet erneut, warum aus seiner Sicht die Revision hätte zugelassen werden müssen, und wendet sich damit unter Hinweis auf angebliche Gehörsverstöße gegen die Rechtsanwendung durch den Senat. Das Recht auf rechtliches Gehör bietet aber keinen Anspruch darauf, dass Anträgen eines Beteiligten gefolgt wird (vgl BSG SozR 4-1500 § 178a Nr 10 RdNr 13).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos eingelegten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO). Die Festsetzung eines gesonderten Streitwerts für das Anhörungsverfahren ist entbehrlich, da als Gerichtsgebühr ein fester Betrag anfällt, der nicht nach dem Streitwert bemessen wird (Nr 7400 des Kostenverzeichnisses - Anlage 1 - zum GKG).
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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.
(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.
(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.
(1) Jede Kammer des Sozialgerichts wird in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzern tätig. Bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit.
(2) In den Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Streitigkeiten auf Grund des § 6a des Bundeskindergeldgesetzes und der Arbeitsförderung gehört je ein ehrenamtlicher Richter dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber an. Sind für Angelegenheiten einzelner Zweige der Sozialversicherung eigene Kammern gebildet, so sollen die ehrenamtlichen Richter dieser Kammern an dem jeweiligen Versicherungszweig beteiligt sein.
(3) In den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts wirken je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten mit. In Angelegenheiten der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten wirken als ehrenamtliche Richter nur Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten mit. Als Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Psychotherapeuten gelten auch bei diesen oder in medizinischen Versorgungszentren angestellte Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten, die Mitglied der Kassenärztlichen oder Kassenzahnärztlichen Vereinigung sind.
(4) In den Kammern für Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts wirken je ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der mit dem sozialen Entschädigungsrecht oder dem Recht der Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen und dem Kreis der Versorgungsberechtigten, der behinderten Menschen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und der Versicherten mit; dabei sollen Hinterbliebene von Versorgungsberechtigten in angemessener Zahl beteiligt werden.
(5) In den Kammern für Angelegenheiten der Sozialhilfe einschließlich der Angelegenheiten nach Teil 2 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und des Asylbewerberleistungsgesetzes wirken ehrenamtliche Richter aus den Vorschlagslisten der Kreise und der kreisfreien Städte mit.
(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung.
(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.
(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
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ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 175 Satz 3 ist entsprechend anzuwenden.
Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.