Bundesgerichtshof Urteil, 04. Aug. 2010 - XII ZR 118/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz für seinen bei einem Unfall beschädigten Motorroller.
- 2
- Der Kläger überließ dem Beklagten den in seinem Eigentum stehenden Motorroller für eine Probefahrt. Auf dieser Fahrt, bei der der Beklagte von dem Zeugen H. auf einem Leichtkraftrad begleitet wurde, kam es zu einem Unfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers erheblich beschädigt wurde.
- 3
- Der Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig, insbesondere ob der Motorroller des Klägers zum Zeitpunkt des Unfalls von dem Beklagten oder dem Zeugen H. gefahren worden ist.
- 4
- Das Amtsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme den Beklagten als Lenker des Motorrollers des Klägers angesehen und ihn gemäß § 823 BGB zum Schadensersatz verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb erfolglos.
- 5
- Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision möchte der Beklagte die Aufhebung des Berufungsurteils und die vollständige Klageabweisung erreichen.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
- 7
- Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt , dass es dahingestellt bleiben könne, ob der Beklagte oder der Zeuge H. im Unfallzeitpunkt den Motorroller gesteuert habe. Sollte der Beklagte den Motorroller unerlaubt dem Zeugen H. überlassen haben, hafte er entweder aus §§ 603 Satz 2, 280 Abs. 1 BGB oder aus einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschriften, weil der Beklagte den Motorroller dem Zeugen ohne Erlaubnis des Klägers überlassen habe. Zwischen den Parteien sei nämlich entweder ein Leihvertrag geschlossen worden oder es liege ein Gefälligkeitsverhältnis vor, in dessen Rahmen der Beklagte jedoch keine weitergehenden Befugnisse haben könne, als der Entleiher. Deshalb sei bei der Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses eine analoge Anwendung der §§ 603 Satz 2, 280 Abs. 1 BGB geboten.
II.
- 8
- Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 9
- 1. Zwar ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Entleiher eines Fahrzeugs aus positiver Vertragsverletzung für alle Schäden haftet, die adäquat - kausal durch die unerlaubte Überlassung des Fahrzeugs an einen Dritten entstanden sind (BGHZ 37, 306, 309 f.). Denn das Verschulden des Entleihers muss sich bei der Verletzung der Pflicht aus § 603 Satz 2 BGB nur auf das eigene vertragswidrige Verhalten und nicht auf den dadurch verursachten Schaden beziehen (MünchKomm-BGB/Häublein 5. Aufl. § 603 Rdn. 4 m.w.N.).
- 10
- 2. Dieser zur vertraglichen Haftung bei der Leihe entwickelte Rechtssatz kann jedoch nicht im Wege einer analogen Anwendung des § 603 Satz 2 BGB auf die Haftung bei einer Gebrauchsüberlassung aus Gefälligkeit übertragen werden.
- 11
- a) Voraussetzung für eine Analogie ist, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung , bei der er sich von denselben Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (Senatsurteil vom 27. Januar 2010 - XII ZR 22/07 - NJW 2010, 1065 Rdn. 21 m.w.N.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor.
- 12
- b) Zwar mag bei einer Gebrauchsüberlassung aus Gefälligkeit, wie vom Berufungsgericht angenommen, die Interessenlage der Beteiligten mit der bei einer Leihe vergleichbar sein, weil der Gefällige ebenso wie der Verleiher ein Interesse daran hat, dass der Begünstigte mit der Sache sorgfältig umgeht und sie ohne entsprechende Erlaubnis nicht an Dritte weitergibt. Dies allein rechtfertigt jedoch eine analoge Anwendung des § 603 Satz 2 BGB nicht. Es fehlt an einer planwidrigen Regelungslücke.
- 13
- c) Von der Rechtsprechung (BGHZ 21, 102, 106 f.; BGH Urteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91 - NJW 1992, 2474, 2475; OLG Stuttgart NJW 1971, 660, 661; OLG Koblenz MDR 1999, 1509 und NJW-RR 2002, 595; OLG Karlsruhe Urteil vom 26. Februar 2003 - 17 U 121/02 - veröffentlicht bei juris Rdn. 15; OLG Frankfurt VersR 2006, 918 f.) und Teilen des Schrifttums (Palandt/Grüneberg BGB 69. Aufl. Einl. vor § 241 Rdn. 8; Erman/Graf von Westphalen BGB 12. Aufl. vor § 598 Rdn. 2; Jauernig/Stadler BGB 13. Aufl. § 311 Rdn. 45; Jauernig/Mansel aaO § 598 Rdn. 5) wird eine vertragsähnlich ausgestaltete Haftung innerhalb eines Gefälligkeitsverhältnisses grundsätzlich abgelehnt und der Geschädigte mit seinen Ansprüchen allein auf das Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) verwiesen, weil ein ohne Rechtsbindungswillen der Beteiligten eingegangenes Gefälligkeitsverhältnis eine an das Vertragsrecht angelehnte Haftung nicht begründen könne.
- 14
- Bei den Regelungen über die vertragliche Leihe handelt es sich um ein vom Gesetzgeber besonders ausgestaltetes Vertragsverhältnis, das einen beiderseitigen Verpflichtungswillen der Beteiligten voraussetzt und für jeden Vertragsschließenden Rechte und Pflichten begründet und ausformt (BGH Urteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91 - NJW 1992, 2474, 2475 f.). Insbesondere enthalten die Vorschriften über die Leihe umfassende Regelungen bezüglich der Haftung von Verleiher und Entleiher, die ausgewogen die Besonderheiten der unentgeltlichen Leihe berücksichtigen (vgl. §§ 599, 600, 602, 603, 606 BGB). Bei der Überlassung eines Gegenstandes im Rahmen eines bloßen Gefälligkeitsverhältnisses fehlt den Beteiligten jedoch gerade der Wille, sich rechtlich zu binden (BGH Urteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91 - NJW 1992, 2474, 2475). Die Beteiligten entscheiden sich in diesem Fall dafür, die Gebrauchsüberlassung nicht den gesetzlichen Bestimmungen über die Leihe zu unterstellen. Folglich können einzelne Bestimmungen, die zur Gestaltung dieses besonderen Vertragsverhältnisses beitragen, nicht auf ein dem Deliktsrecht unterfallendes Gefälligkeitsverhältnis übertragen werden (BGH Urteil vom 9. Juni 1992 - VI ZR 49/91 - NJW 1992, 2474, 2475 f.; OLG Frankfurt VersR 2006, 918 f.; OLG Karlsruhe Urteil vom 26. Februar 2003 - 17 U 121/02 - veröffentlicht bei juris Rdn. 17, jeweils zur Frage der Übertragung der kurzen Verjährungsfrist des § 606 BGB auf ein Gefälligkeitsverhältnis; anders OLG Koblenz VRS 100, 85, 86 f. unter der Annahme eines "leiheähnlichen Gefälligkeitsverhältnisses").
- 15
- d) Eine planwidrige Regelungslücke als Voraussetzung für eine analoge Anwendung des § 603 Satz 2 BGB besteht auch dann nicht, wenn man mit Teilen des Schrifttums (vgl. Canaris JZ 2001, 499, 502; Staudinger/Reuter (2005) Vorbem. zu §§ 598 ff. Rdn. 11 f.; MünchKomm-BGB/Kramer 5. Aufl. Einl. Rdn. 42; AnwK-BGB/Krebs § 311 Rdn. 92; Grüneberg/Sutschat in Bamberger/ Roth BGB § 311 Rdn. 50; Soergel/Kummer BGB (1997) vor § 598 Rdn. 5; Erman /Kindl BGB 12. Aufl. § 311 Rdn. 22; Hoppenz in Prütting/Wegen/Weinreich BGB 4. Aufl. § 598 Rdn. 8; Gehrlein VersR 2000, 415 ff.) annimmt, dass jedenfalls bei Gefälligkeitsverhältnissen mit rechtsgeschäftsähnlichem Charakter (vgl. zu diesem Begriff Canaris JZ 2001, 499, 502), gegenseitige Schutz- und Treuepflichten bestehen, deren Verletzung zu einer Haftung nach vertraglichen Grundsätzen (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 3 BGB) führen kann (MünchKomm-BGB/Kramer 5. Aufl. Einl. Rdn. 42 und ausführlich dazu Krebber VersR 2004, 150 ff.). Denn nach dieser Ansicht haften sowohl der Gefällige als auch der Begünstigte für das Verschulden Dritter gemäß § 278 BGB (MünchKomm -BGB/Kramer 5. Aufl. Einl. Rdn. 42; Soergel/Kummer BGB (1997) vor § 598 Rdn. 5).
- 16
- 3. Für die Haftung des Begünstigten wegen der Beschädigung eines im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses überlassenen und von diesem an einen Dritten weitergegebenen Gegenstandes besteht daher keine planwidrige Regelungslücke des Gesetzes, die durch die analoge Anwendung einzelner Vorschriften aus dem Recht der Leihe geschlossen werden kann.
- 17
- Demgemäß hätte das Berufungsgericht zunächst feststellen müssen, ob zwischen den Parteien ein Leihvertrag oder ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis zustande gekommen ist (vgl. zur Abgrenzung BGHZ 21, 102, 107). Nur wenn diese Prüfung ergeben hätte, dass zwischen den Parteien ein Leihvertrag abgeschlossen worden ist, hätte das Berufungsgericht seine Entscheidung auf § 603 Satz 2 BGB stützen können und auf weitere Feststellungen zum konkreten Unfallhergang, insbesondere zu der Frage, von wem der Roller im Unfallzeitpunkt gefahren wurde, verzichten dürfen.
III.
- 18
- Demgemäß ist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Der Senat kann in der Sache selbst nicht abschließend entscheiden, weil noch erforderliche Feststellungen fehlen und das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstand- punkt aus folgerichtig - sich nicht mit dem Berufungsangriff des Beklagten befasst hat, der vorgetragen hat, dass die erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen rechtsfehlerhaft getroffen worden seien, weil das Amtsgericht den Beklagten nicht persönlich angehört habe (vgl. BGH Urteil vom 30. Oktober 2007 - X ZR 101/06 - NJW 2008, 576 Rdn. 26 f.). Zudem wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob eine vertragliche Haftung des Beklagten nicht möglicherweise daran scheitert, dass die Parteien zum Zeitpunkt der Überlassung des Motorrollers noch minderjährig gewesen sein könnten.
Vorinstanzen:
AG Lüneburg, Entscheidung vom 09.11.2007 - 39 C 116/07 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 01.07.2008 - 9 S 87/07 -
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Der Entleiher darf von der geliehenen Sache keinen anderen als den vertragsmäßigen Gebrauch machen. Er ist ohne die Erlaubnis des Verleihers nicht berechtigt, den Gebrauch der Sache einem Dritten zu überlassen.
(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.
(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.
Der Entleiher darf von der geliehenen Sache keinen anderen als den vertragsmäßigen Gebrauch machen. Er ist ohne die Erlaubnis des Verleihers nicht berechtigt, den Gebrauch der Sache einem Dritten zu überlassen.
Der Verleiher hat nur Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit zu vertreten.
Verschweigt der Verleiher arglistig einen Mangel im Recht oder einen Fehler der verliehenen Sache, so ist er verpflichtet, dem Entleiher den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.
Veränderungen oder Verschlechterungen der geliehenen Sache, die durch den vertragsmäßigen Gebrauch herbeigeführt werden, hat der Entleiher nicht zu vertreten.
Der Entleiher darf von der geliehenen Sache keinen anderen als den vertragsmäßigen Gebrauch machen. Er ist ohne die Erlaubnis des Verleihers nicht berechtigt, den Gebrauch der Sache einem Dritten zu überlassen.
Die Ersatzansprüche des Verleihers wegen Veränderungen oder Verschlechterungen der verliehenen Sache sowie die Ansprüche des Entleihers auf Ersatz von Verwendungen oder auf Gestattung der Wegnahme einer Einrichtung verjähren in sechs Monaten. Die Vorschriften des § 548 Abs. 1 Satz 2 und 3, Abs. 2 finden entsprechende Anwendung.
Der Entleiher darf von der geliehenen Sache keinen anderen als den vertragsmäßigen Gebrauch machen. Er ist ohne die Erlaubnis des Verleihers nicht berechtigt, den Gebrauch der Sache einem Dritten zu überlassen.
(1) Zur Begründung eines Schuldverhältnisses durch Rechtsgeschäft sowie zur Änderung des Inhalts eines Schuldverhältnisses ist ein Vertrag zwischen den Beteiligten erforderlich, soweit nicht das Gesetz ein anderes vorschreibt.
(2) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 entsteht auch durch
- 1.
die Aufnahme von Vertragsverhandlungen, - 2.
die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut, oder - 3.
ähnliche geschäftliche Kontakte.
(3) Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 kann auch zu Personen entstehen, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst.
(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.
(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.
(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.
Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, in gleichem Umfang zu vertreten wie eigenes Verschulden. Die Vorschrift des § 276 Abs. 3 findet keine Anwendung.
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(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.
(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.
(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.