Bundesgerichtshof Urteil, 05. März 2002 - XI ZR 113/01
published on 05/03/2002 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 05. März 2002 - XI ZR 113/01
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Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 113/01 Verkündet am:
5. März 2002
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
a) Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch Genommene kann
Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nur
geltend machen, wenn der Gläubiger seine formale Rechtsstellung offensichtlich
mißbraucht. Das gilt nicht nur für Einwendungen gegen die Hauptforderung
, sondern auch für solche, die die Sicherungsabrede zwischen dem Gläubiger
und dem Hauptschuldner betreffen.
b) Ein offensichtlicher Rechtsmißbrauch liegt nur vor, wenn der Sachverhalt
klar auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist. Daran
fehlt es auch dann, wenn eine vom Gläubiger zu beweisende Tatsache
nicht sofort geklärt werden kann.
BGH, Urteil vom 5. März 2002 - XI ZR 113/01 - OLG Karlsruhe
LG Offenburg
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 5. März 2002 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe, die
Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Joeres und die Richterin Mayen
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 14. Zivilsenats in Freiburg des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 2. März 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die beklagte Sparkasse im Urkundenprozeû aus einer Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern in Anspruch. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin beauftragte im Rahmen eines Bauvorhabens die Unternehmensgruppe H. R., Ha. S. & Co. GmbH (im folgenden: BauAuftragnehmerin ) mit der Durchführung von Rohbauarbeiten. In § 14 Nr. 6 des Bauvertrags war vereinbart, daû die Klägerin berechtigt sein sollte, 5% des Werklohns für die Dauer der Gewährleistungsverpflichtung einzubehalten, und die Bau-Auftragnehmerin befugt sein sollte, die-
sen Sicherheitseinbehalt durch eine Bankbürgschaft auf erstes Anfordern abzulösen. Die Bau-Auftragnehmerin machte von ihrer Befugnis zur Ablösung des Sicherheitseinbehalts Gebrauch und veranlaûte die Beklagte , eine der Klägerin gestellte und zunächst als Vertragserfüllungsbürgschaft ausgestaltete Bürgschaft auf erstes Anfordern im Umfang von 115.000 DM in eine Gewährleistungsbürgschaft umzuwandeln.
Nachdem die Beklagte aufgrund dieser Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern bereits im Juli 1997 13.000 DM an die Klägerin gezahlt hatte, verlangte die Klägerin von der Beklagten im Juni 1998 die restlichen 102.000 DM mit der Begründung, es hätten sich von der BauAuftragnehmerin nicht erfüllte Mängelansprüche in einer den geforderten Betrag übersteigenden Höhe ergeben. Die Beklagte lehnte die Zahlung unter Hinweis auf § 9 AGBG ab.
Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin 102.000 DM nebst Zinsen. Sie macht geltend, die Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern nicht ohne Rechtsgrund erhalten zu haben, weil § 14 Nr. 6 des Bauvertrags rechtswirksam sei; diese Bestimmung sei zwar vorformuliert gewesen , aber zwischen ihr und der Bau-Auftragnehmerin im einzelnen ausgehandelt worden, weshalb sie nach § 1 Abs. 2 AGBG nicht in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes falle.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht hat ihr im wesentlichen stattgegeben und der Beklagten die Ausführung ihrer Rechte im Nachverfahren vorbehalten. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Klägerin habe schlüssig vorgetragen und durch Urkunden belegt , daû die Beklagte als Bürgin sich wirksam verpflichtet habe, für die Erfüllung von Gewährleistungsansprüchen aus dem Bauvertrag bis zu einem Höchstbetrag von 115.000 DM auf erstes Anfordern einzustehen, und daû die Klägerin eine die Verpflichtung zur Zahlung von 102.000 DM auslösende Anforderungserklärung abgegeben habe.
Ihrer sich daraus ergebenden Zahlungspflicht könne die Beklagte nicht den Einwand des Rechtsmiûbrauchs entgegensetzen. Dieser Einwand setze voraus, daû der Rechtsmiûbrauch offensichtlich sei. Das sei nur dann der Fall, wenn die den Rechtsmiûbrauch begründenden Tatsachen entweder unstreitig oder leicht beweisbar seien. Im vorliegenden Fall sei die von der Beklagten geltend gemachte Miûbrauchssituation jedenfalls nicht offenkundig. Es gehe im wesentlichen darum, ob § 14 Nr. 6 des Bauvertrags eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstelle
und daher nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unwirksam sei oder ob diese Vertragsklausel zwischen den Parteien des Bauvertrags im einzelnen ausgehandelt worden sei und gegen ihre Wirksamkeit daher keine Bedenken bestünden. Wie es sich verhalten habe, werde voraussichtlich nicht ohne eine unter Umständen aufwendige Beweisaufnahme zu klären sein, die ihren Platz jedoch erst im Rückforderungsprozeû , nicht aber im jetzigen Verfahren oder dessen Nachverfahren habe.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
1. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, daû die Beklagte eine Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern wirksam übernommen und die Klägerin sie aus dieser Bürgschaft formal ordnungsgemäû in Anspruch genommen hat. Die Revision greift das auch nicht an.
2. Mit Recht ist das Berufungsgericht der Ansicht, daû die Beklagte ihrer Zahlungspflicht aus der Bürgschaft nicht den Einwand des Rechtsmiûbrauchs entgegensetzen kann.
a) Der aus einer Bürgschaft auf erstes Anfordern Verpflichtete kann seiner Inanspruchnahme aus der Bürgschaft Einwendungen aus dem Verhältnis des Gläubigers zum Hauptschuldner nach ständiger Rechtsprechung nur entgegensetzen, wenn der Gläubiger seine formale
Rechtsstellung offensichtlich miûbraucht. Das ist nur dann der Fall, wenn es offen auf der Hand liegt oder zumindest liquide beweisbar ist, daû der materielle Bürgschaftsfall nicht eingetreten ist. Alle Streitfragen, deren Beantwortung sich nicht ohne weiteres ergibt, sind nicht im Erstprozeû, sondern im Rückforderungsprozeû auszutragen (vgl. z.B. BGHZ 143, 381, 383; 147, 99, 102; jeweils m.w.Nachw.). Diese Grundsätze finden nicht nur auf Einwendungen gegen die Hauptforderung Anwendung , sondern auch dann, wenn der Bürge geltend macht, der Gläubiger sei im Verhältnis zum Hauptschuldner verpflichtet, von der Bürgschaft keinen Gebrauch zu machen (BGHZ 143, 381, 384; 147, 99, 102 f.; BGH, Urteil vom 24. Januar 2002 - IX ZR 204/00, Urteilsumdruck S. 5).
b) Im vorliegenden Fall kommt der Einwand des Rechtsmiûbrauchs schon deshalb nicht in Betracht, weil es weder offenkundig noch liquide beweisbar ist, daû § 14 Nr. 6 des Bauvertrags eine Allgemeine Geschäftsbedingung darstellt; den von der Beklagten an ihre dahingehende Behauptung geknüpften Folgerungen einer offensichtlichen Unwirksamkeit der Vertragsklausel (vgl. BGHZ 136, 27, 30 ff.; 147, 99, 104 f.) und eines daraus folgenden offenkundigen Miûbrauchs der rechtsgrundlos erlangten Gewährleistungsbürgschaft auf erstes Anfordern durch die Klägerin (vgl. BGHZ 147, 99, 105 ff.) ist bereits dadurch die Grundlage entzogen. Die umstrittene Frage, ob § 14 Nr. 6 des Bauvertrags im Sinne des § 1 Abs. 2 AGBG individuell ausgehandelt wurde und damit nicht in den Anwendungsbereich des AGB-Gesetzes fällt, kann, wie das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, nur durch eine unter Umständen aufwendige Beweisaufnahme geklärt werden, die ihren Platz nicht im
vorliegenden Rechtsstreit, sondern erst in einem etwaigen Rückforderungsprozeû hat.
c) Aus der Beweislastverteilung ergibt sich nichts anderes.
Es ist zwar richtig, daû den Verwender Allgemeiner Geschäftsbedingungen die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift des § 1 Abs. 2 AGBG trifft (BGH, Urteil vom 3. April 1998 - V ZR 6/97, WM 1998, 1289, 1291). Dem kommt im vorliegenden Zusammenhang aber keine entscheidende Bedeutung zu. Die Klägerin hat, wie das Berufungsgericht mit für die Revisionsinstanz bindender Wirkung (§ 561 Abs. 1 a.F. ZPO) festgestellt hat, behauptet, § 14 Nr. 6 des Bauvertrags sei zwischen den Bauvertragsparteien individuell ausgehandelt worden. Sie hat damit ihrer Darlegungslast für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG genügt. Die Frage, ob diese Voraussetzungen tatsächlich vorgelegen haben, ist streitig und kann nicht mit Hilfe liquider Beweismittel auf der Stelle geklärt werden. Ein offensichtlicher Rechtsmiûbrauch der Klägerin ist schon deshalb nicht gegeben. Daû die Klägerin für die Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 AGBG die Beweislast trägt, ist demgegenüber unerheblich. Der Sinn und Zweck einer Bürgschaft auf erstes Anfordern liegt darin, dem Gläubiger innerhalb kürzester Zeit liquide Mittel zu verschaffen (BGH, Urteile vom 13. Juli 1989 - IX ZR 223/88, WM 1989, 1496, 1497 und vom 17. Oktober 1996 - IX ZR 325/95, WM 1996, 2228, 2229). Dem widerspräche es, wenn die schnelle Durchsetzung der Bürgschaftsforderung in allen Fällen mit dem Einwand des Rechtsmiûbrauchs verhindert werden könnte, in denen eine
vom Gläubiger zu beweisende Tatsache nicht sofort geklärt werden kann.
III.
Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen.
Nobbe Siol Bungeroth
Joeres Mayen
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(1) Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen.
(2) Die Bürgschaft kann auch für eine künftige oder eine bedingte Verbindlichkeit ü
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(1) Durch den Bürgschaftsvertrag verpflichtet sich der Bürge gegenüber dem Gläubiger eines Dritten, für die Erfüllung der Verbindlichkeit des Dritten einzustehen.
(2) Die Bürgschaft kann auch für eine künftige oder eine bedingte Verbindlichkeit ü
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