Bundesgerichtshof Urteil, 26. Apr. 2012 - X ZR 72/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 13. September 2002 unter Inanspruchnahme der Priorität zweier dänischer Anmeldungen vom 13. September 2001 und 6. März 2002 angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 424 917 (Streitpatents). Es umfasst sechs Patentansprüche, deren erster in der Verfahrenssprache lautet : "A device being designed with a slit (36, 54, 50), for use in removing a tick or corresponding blood sucking insect, which has bitten on to and bored its snout down into the skin of a person or an animal, characterised in that the device is adapted for keeping in wallet, pocket, bag, or similar place, said device being designed as a credit card in size, that said card is made of a relatively stiff material , such as card-board or plastic, and that said card has a corner area being designed with the slit (36, 54, 50), for use in removing a tick or corresponding blood sucking insect, which has bitten on to and bored its snout down into the skin of a person or an animal."
- 2
- Dieser Anspruch ist in der Streitpatentschrift wie folgt in die deutsche Sprache übersetzt: "Vorrichtung, die mit einem Schlitz (36, 54, 50) zum Entfernen einer Zecke oder eines entsprechenden blutsaugenden Insekts, das sich in die Haut eines Menschen oder eines Tiers festgebissen oder seinen Rüssel in die Haut eines Menschen oder eines Tiers gebohrt hat, versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Vorrichtung zur Aufbewahrung in einer Brieftasche, in einer Hosen - oder Jackentasche, in einer Tasche oder an einem ähnlichen Ort geeignet ist, indem die Vorrichtung in ihren Abmessungen wie eine Kreditkarte ausgebildet ist, dass die Karte aus einem relativ steifen Material, wie z.B. Pappe oder Kunststoff, hergestellt ist und dass die Karte einen Eckbereich aufweist, der mit einem Schlitz (36, 54, 50) zum Entfernen einer Zecke oder eines entsprechenden blutsaugenden Insekts, das sich in die Haut eines Menschen oder eines Tiers festgebissen oder seinen Rüssel in die Haut eines Menschen oder eines Tiers gebohrt hat, gestaltet ist."
- 3
- Wegen des Wortlauts der Ansprüche 2 bis 4 wird auf die Streitpatentschrift Bezug genommen.
- 4
- Die Klägerin hat das Streitpatent mit ihrer im Lauf des Verfahrens erweiterten Nichtigkeitsklage im Umfang der Ansprüche 1 bis 4 angegriffen und geltend gemacht, insoweit gehe sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus (unzulässige Erweiterung); außerdem sei das Streitpatent im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 nicht patentfähig, weil es nicht neu sei und nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten; das Patentgericht hat sie abgewiesen.
- 5
- Mit ihrer gegen diese Entscheidung gerichteten Berufung, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 6
- Die Berufung hat teilweise Erfolg.
- 7
- I. Das Streitpatent betrifft seiner Beschreibung zufolge eine Vorrichtung zum Entfernen einer Zecke oder eines ähnlichen blutsaugenden Insekts aus der Haut und zur Körperpflege.
- 8
- 1. Die Streitpatentschrift erläutert aus den US-Patentschriften 5 595 569 (D 3) und 5 447 511 (D 4) bekannte Vorrichtungen zum Entfernen von Zecken oder ähnlichen Insekten aus der Haut von Mensch oder Tier. Außerdem verweist sie auf bekannte, zum Beispiel in Aufreißtüten aus Kunststoff- oder Metallfolie verpackte, gefaltete Feuchttücher zum Reinigen der Hände und/oder des Gesichts. Vor diesem Hintergrund wird als Zweck der Erfindung genannt, eine neue und verbesserte Vorrichtung zu schaffen, mit der Zecken oder ähnliche Insekten auf einfache Weise aus der Haut entfernt werden können. Als weitere Aufgabe der Erfindung wird genannt, eine solche Vorrichtung so auszugestalten , dass eine oder mehrere solcher Tücher von Personen mitgeführt werden können, um Hände oder andere Körperteile beim Entfernen einer Zecke oder eines ähnlichen Insekts zu reinigen. Dazu schlägt Patentanspruch 1 eine Vorrichtung mit folgenden Merkmalen vor: 1. Die Vorrichtung ist zur Aufbewahrung in einer Brief-, Hosenoder Jackentasche, in einer Tasche oder an einem ähnlichen Ort geeignet, 1.1 indem sie in ihren Abmessungen wie eine Kreditkarte ausgebildet und 2. aus einem relativ steifen Material, wie z. B. Pappe oder Kunststoff hergestellt ist, 3. einen Schlitz (36, 50, 54) aufweist, 3.1 der sich in einem Eckbereich befindet und 3.2 zum Entfernen einer Zecke oder eines entsprechenden blutsaugenden Insekts geeignet ist, das sich in die Haut eines Menschen oder eines Tieres festgebissen oder seinen Rüssel in die Haut eines Menschen oder Tieres gebohrt hat.
- 9
- Die nachfolgenden Abbildungen zeigen die Figuren des Streitpatents.
- 10
- 2. a) Unter Schutz gestellt wird eine Vorrichtung, die in ihren Abmessungen einer Kreditkarte entspricht und dementsprechend bei abgerundeten Eckbereichen ungefähr 85 mm lang, 54 mm breit und weniger als 4 mm, vorzugsweise unter 2 mm hoch ist (Abs. 13). In der nach diesen Vorgaben dimensio- nierten Vorrichtung ist in einem Eckbereich ein Schlitz (Bezugszeichen 36, 50, 54) vorgesehen, der zum Entfernen von Zecken oder ähnlichen blutsaugenden Insekten, die sich in die Haut eines Menschen oder Tieres festgebissen haben, geeignet ist (Merkmal 3.2). Anweisungen zur näheren Ausgestaltung des Schlitzes enthält Patentanspruch 1 nicht. Der Beschreibung zufolge soll er im Wesentlichen spitzwinklig geformt sein (Abs. 11). Durch diese Ausformung wird ermöglicht, unterschiedlich große Insekten in stufenloser Skalierung zwischen den Flanken des Spalts zu erfassen, indem die Karte, auf der Hautaufliegend und mit der Öffnung des Schlitzes voran, auf das Insekt zugeschoben wird, bis es festgekeilt ist und anschließend durch hebelnde Bewegungen aus der Haut entfernt werden kann.
- 11
- b) Soweit in der Beschreibung unterschiedliche Ausformungen und Anordnungen des Schlitzes vorgestellt werden (Abs. 17: in einem runden Loch mündend, in Form eines Schlüssellochs oder mit einem ähnlich gestalteten Profil , so dass die Karte nach unten über die Zecke geführt und diese in einer Verengung der Öffnung festgeklemmt werden kann; mit dem Schlitz an einer kurzen Seite der Karte angeordnet, um diese wie eine vorgespannte Feder einzusetzen ), sind diese Vorschläge nicht in Patentanspruch 1 eingeflossen. Lediglich die Patentansprüche 3 und 4 haben eine bevorzugte Ausführungsform mit einem flexiblen Finger (Figur 3, Bezugszeichen 46) zum Gegenstand.
- 12
- Um der in Merkmal 3.2 formulierten Zweckbestimmung zu genügen, ist die Karte aus einem relativ steifen Material, zum Beispiel Pappe oder Kunststoff , herzustellen (Merkmal 2).
- 13
- c) Über die Ausstattung mit einem Schlitz in einem Eckbereich der Karte (Merkmale 3, 3.1) und die Materialvorgaben in Merkmal 2 hinaus enthält Patentanspruch 1 keine Merkmale, durch die eine bestimmte Methode der Entfernung von Zecken und ähnlichen Insekten aus der Haut beschrieben würde. Das nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs durch Auslegung des Patentanspruchs zu bestimmende Problem, das die in Patentanspruch 1 unter Schutz gestellte Erfindung löst und das und aus dem zu entwickeln ist, was die Erfindung tatsächlich leistet (vgl. BGH, Urteil vom 4. Februar 2010 - Xa ZR 36/08, GRUR 2010, 602 - Gelenkanordnung), besteht vielmehr darin, der Vorrichtung eine Form zu geben, die sie zur Aufbewahrung in einer Brief-, Hosen- oder Jackentasche oder sonst in einer Tasche bzw. an einem ähnlichen Ort geeignet macht (vgl. Merkmal 1).
- 14
- II. Das Patentgericht hat verneint, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 über den Inhalt der Anmeldungsunterlagen in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht. Die Anmeldung sei auf eine mitnehmbare Vorrichtung in den Abmessungen einer Kreditkarte gerichtet; die Ausführungsbeispiele nach den Figuren 1 bis 5 der Anmeldungsunterlagen erfassten auch Karten gemäß den Figuren 1 und 2 der Streitpatentschrift. Figur 6 der Anmeldungsunterlagen (= Figur 3 des Streitpatents) offenbare eine Karte aus einem verhältnismäßig dünnen Kunststoff ohne Aufdruck, die zusammen mit Pflaster in eine Verpackung eingelegt werden könne. Den diese Figur 6 betreffenden Ausführungen in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen sei eine Karte mit den Merkmalen des Anspruchs 1 des Streitpatents unmittelbar und eindeutig zu entnehmen; die Patentinhaberin sei nicht gehalten gewesen, sämtliche Merkmale der aus dieser Figur ersichtlichen Ausführungsform in Patentanspruch 1 aufzunehmen. Die erwähnte Beigabe von Reinigungsutensilien zu der Karte stelle keine Einschränkung des objektiv zu ermittelnden Gehalts der Offenbarung dar, so dass Patentanspruch 1 nicht deshalb unzulässig erweitert sei, weil darin entsprechende Merkmale nicht aufgenommen worden seien.
- 15
- Seine Annahme, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht nur neu sei, sondern auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, hat das Patentgericht im Wesentlichen wie folgt begründet: Die D 4 zeige als nächstkom- mender Stand der Technik eine Vorrichtung zum Entfernen von Zecken, die aus einem relativ steifen Material hergestellt und aufgrund ihrer Ausmaße (umgerechnete Länge: 57 mm, Breite: 12,7 mm, Dicke: 0,3 mm) ungeachtet der gebogenen Ausbildung der Spitze geeignet sei, in einer Tasche aufbewahrt zu werden. Jedoch sei Merkmal 1.1 nicht erfüllt, weil die Fläche der Vorrichtung nach D 4 lediglich rund ein Sechstel derjenigen gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatents betrage. Auch wenn der gemäß der D 4 vorgesehene Schlitz aufgrund der geringen Breite der vorgestellten Vorrichtung als im Eckbereich angeordnet (Merkmal 3.2) angesehen werden könne, fehle es an jeglicher Anregung , die Vorrichtung entsprechend der Ausgestaltung in Patentanspruch 1 zu vergrößern. Die D 4 schlage vor, die Vorrichtung als Anhängsel oder integralen Teil einer anderen Vorrichtung, wie zum Beispiel eines Taschenmessers oder eines Nagelschneiders, auszubilden, was eine deutliche Vergrößerung ausschließe , weil solche Gegenstände deutlich kleiner seien als eine Kreditkarte. Der von D 4 verfolgte Lösungsweg halte den Fachmann deshalb davon ab, die Lösung des Problems auf dem erfindungsgemäßen Weg zu suchen und die Abmessungen der Vorrichtung deutlich zu vergrößern. Die Lehre des Streitpatents stelle dementsprechend eine Abkehr vom im Stand der Technik eingeschlagenen Lösungsweg dar; auch die übrigen Druckschriften gäben keine Anregung in diese Richtung.
- 16
- III. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Berufung ohne Erfolg, soweit sie die Nichtigerklärung im Umfang der Patentansprüche 1 bis 4 des Streitpatents nach Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 3 IntPatÜbkG, Art. 138 Abs. 1 lit. c EPÜ (unzulässige Erweiterung) begehrt.
- 17
- 1. Das Patentgericht hat zu Recht angenommen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen hinausgeht.
- 18
- Die Beklagte will darauf hinaus, den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen entspreche eine Vorrichtung nur, wenn sie entweder auf einer Seite mit einer aufgedruckten Anzeigenfläche für die kommerzielle Nutzung versehen und auf der anderen Seite mit einem oder mehreren, durch Folien abgedeckten Hygieneartikeln ausgestattet sei oder wenn einer unbedruckten Karte entsprechende Gegenstände beigepackt werden. Dem kann nicht beigetreten werden.
- 19
- a) Die ursprünglichen Anmeldeunterlagen offenbaren (auch) eine nicht mit einem Anzeigenfeld versehene Karte als zur Erfindung gehörend (Veröffentlichung der internationalen Patentanmeldung WO 03/022094 S. 6 Rn. 5 ff., die den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen entspricht). Denn zu der dort beschriebenen, der Figur 6 der Anmeldungsunterlagen zugeordneten Karte ("BorreliaCard") heißt es, dass sie "vorzugsweise" keine Werbeangaben enthalte (Seite 6 Z. 13 bis 18: "The preferred embodiment of a "BorreliaCard" shown in Fig. 6 is made of relatively thin plastic material which is preferably without printed instructions, as the 'BorreliaCard' in this form is intended to be laid in a folded, card-like brochure or guidance for use which is finally sealed in a transparent plastic packing, which furthermore may contain a number of individually packed cleaning tissues and/or a number of individually packed plasters."
).
- 20
- Die Klägerin stellt zwar nicht in Abrede, dass damit eine Karte ohne aufgedrucktes Anzeigenfeld offenbart ist, sie meint jedoch, die Funktion der Anzeigefläche werde in dieser Ausführungsform von der gefalteten, kartenähnlichen Broschüre oder Bedienungsanleitung übernommen, mit der zusammen die Vorrichtung verpackt werden soll. Dem kann nicht beigetreten werden. Die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen beschreiben unmittelbar und eindeutig im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 8. Juli 2010 - Xa ZR 124/07, GRUR 2010, 910 - fälschungssicheres Dokument) auch ihre isolierte Verwendung als "BorreliaCard". Dass in den Anmeldungsunterla- gen vorgeschlagen wird, die in Figur 6 gezeigte Borreliose-Karte zusammen mit anderen Gegenständen zu verpacken, ändert nichts daran, dass die Karte für sich allein genommen als zur Erfindung gehörend offenbart ist. Ihr Gebrauchszweck als Karte zum Entfernen von Zecken besteht unabhängig von der Broschüre.
- 21
- Gegenüber dieser Ursprungsoffenbarung ist die vom Streitpatent geschützte Lehre weder verallgemeinert noch stellt sie sich als ein Aliud dar. Im Rahmen des Erteilungsverfahrens hatte es die Anmelderin vielmehr in der Hand, ihr Schutzbegehren so allgemein und abstrakt zu formulieren, wie es ihr geboten und zur Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik erforderlich erschien (vgl. nur Teschemacher in Münchner Gemeinschaftskommentar zum EPÜ, Art. 84 EPÜ Rn. 120 ff., 127; Meier-Beck in Festschrift für Eike Ullmann, 2006, 495, 502; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 34 PatG Rn. 80).
- 22
- b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 geht auch nicht dadurch über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen hinaus, dass keine Ausstattung der Karte mit mindestens einem folienverpackten Hygieneartikel (Pflaster ) sowie einem auf die gleiche Art eingepackten Desinfektionsreinigungstuch vorgesehen ist.
- 23
- Dazu gelten die vorstehenden Ausführungen zum Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen zur vermeintlichen Notwendigkeit der Ausstattung mit einem Anzeigenfeld entsprechend. Die Klägerin versteht die Anmeldungsunterlagen zu Unrecht dahin, dass der Borreliose-Karte entweder ein Pflaster und/oder ein Reinigungstuch anhaften müsse oder dass ihr solche Gegenstände innerhalb einer Verpackungseinheit beigegeben sein müssten , um den Offenbarungsgehalt der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht zu überschreiten. Dafür bieten die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen keine zureichenden Anhaltspunkte. Dass die Beigabe solcher Gegenstände vielmehr fakultativ ist, ergibt sich schon daraus, dass in den Anmeldungsunterlagen zu Figur 6 lediglich von einzeln verpackten Reinigungstüchern "und/oder" Pflastern die Rede ist, die der Verpackung mitsamt der Borreliose-Karte und Broschüre beigegeben werden "können" ("…which furthermore may contain a number of individually packed cleaning tissues 'and/or' a number of individually packed plasters."). Die Anmeldungsunterlagen lassen also bereits offen, ob beide Arten von Gegenständen beigefügt sein sollen und welche im Fall der Beschränkung auf eine Art davon Vorrang haben soll. Das Verständnis, dass der Karte Reinigungstücher und/oder Pflaster nicht auf die eine oder andere Weise beigegeben sein müssen, wird auch dadurch unterstrichen, dass der in den Anmeldungsunterlagen formulierte Patentanspruch 10 lediglich vorsieht, dass die Karte auf der anderen Seite "vorzugsweise" mit Folie bedeckte Felder zur Aufnahme eines Desinfektionstuchs und eines Pflasters aufweist ("preferably has two film covered fields, namely a field (38) in which is laid a disinfecting tissue (40) and a field (42) in which is laid a plaster (44)").
- 24
- c) Nicht beigetreten werden kann der Auffassung der Klägerin, dass, wenn die Borreliose-Karte überhaupt isoliert als zur Erfindung gehörend offenbart angesehen werde, dies jedenfalls nur für eine Ausgestaltung mit einem flexiblen Finger (Bezugszeichen 46 in Figur 6 der ursprünglichen Unterlagen) gelten könne. Dienen in der Beschreibung eines Ausführungsbeispiels genannte Merkmale, die für sich allein, aber auch zusammen den durch die Erfindung erreichten Erfolg fördern, der näheren Ausgestaltung der unter Schutz gestellten Erfindung, dann hat es der Patentinhaber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Hand, sein Patent durch die Aufnahme einzelner oder sämtlicher dieser Merkmale zu beschränken (BGH, Beschluss vom 23. Januar 1990 - X ZB 9/89, BGHZ 110, 123, 126 - Spleißkammer). Die Kombination muss lediglich in ihrer Gesamtheit eine technische Lehre darstellen, die der Fachmann den ursprünglichen Unterlagen als mögliche Ausgestaltung der Erfindung entnehmen kann (BGH, Beschluss vom 11. September 2001- X ZB 18/00, GRUR 2002, 49 - Drehmomentübertragungseinrichtung). Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, weil die besondere Ausgestaltung der Karte mit einem flexiblen Finger nicht erforderlich ist, um den von der Erfindung erreichten Erfolg (oben I 2 c) zu gewährleisten. Schon Figur 4 der Anmeldungsunterlagen zeigt, dass dieser Erfolg jedenfalls nach der der Patentanmeldung zugrunde liegenden Vorstellung auch mit einem einfachen Schlitz in einer Ecke der Karte erreicht werden kann. Der Beklagten zu verwehren, die zur Erzielung dieser Wirkung erforderlichen Maßnahmen in allgemeiner Form zu beanspruchen , würde sie auch insoweit ohne Grund in der Ausschöpfung des Offenbarungsgehalts der ursprünglichen Anmeldung beschränken.
- 25
- 2. Diese Ausführungen gelten sinngemäß auch für die Patentansprüche 2 bis 4.
- 26
- IV. Die Berufung hat demgegenüber Erfolg, soweit sie gegenüber den Patentansprüchen 1 und 2 den Nichtigkeitsgrund fehlender Patentfähigkeit geltend macht. Denn nach dem gesamten Inhalt der Verhandlungen ist die Wertung zu treffen, dass der Gegenstand dieser Ansprüche dem Fachmann durch den Stand der Technik nahegelegt war (Art. II Abs. 6 Nr. 1 IntPatÜbkG, Art. 138 Abs. 1 lit. a, Art. 56 EPÜ).
- 27
- 1. Nach Ansicht des Patentgerichts ist als Fachmann ein Techniker anzusehen , der nicht notwendigerweise über eine akademische Vorbildung, aber über Erfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Vorrichtungen für den medizinischen Bedarf verfügt und sich über die an diese Vorrichtungen gestellten Anforderungen gegebenenfalls bei einem Arzt informiert. Dem kann nicht uneingeschränkt beigetreten werden. Zum einen besteht bei der Bewältigung der streitpatentgemäßen Problemstellung kein medizinisch geprägter Informationsbedarf , weil das von der Erfindung gelöste Problem, wie ausgeführt (oben I 2 c), nicht die Verbesserung des Eingriffs der Entfernung von Insekten aus der Haut betrifft, sondern die Ausgestaltung der Vorrichtung derart, dass sie den in Merkmal 1 formulierten Anforderungen entspricht. Zum anderen setzt die erstrebte verbesserte praktische Mitführbarkeit und Benutzbarkeit beim Fachmann ebenso Kenntnisse und ein gewisses Maß an Kreativität bei der Gestaltung von kleineren, unter das Gesetz über Medizinprodukte fallenden Gegenständen des medizinischen Bedarfs voraus, wie auch die Berücksichtigung von Marketingaspekten gefragt ist.
- 28
- 2. Das Patentgericht hat angenommen, dass die fachmännische Weiterentwicklung einer Vorrichtung mit der vom Streitpatent verfolgten Problemstellung vom Gegenstand der D 4 ausgehen wird. Dagegen werden von den Parteien keine Bedenken erhoben und solche sind auch nicht ersichtlich. Die D 4 zeigt in der nachstehend eingefügten Figur 2 eine Vorrichtung, die, wie in der Beschreibung auch erörtert, im Griffbereich eine Öse aufweist, durch die eine Kette gezogen ist, um den Gegenstand mit einem Schlüsselbund oder einem Anhänger (Beschreibung Sp. 4 Z. 40 ff.: "information tag 34") zu verbinden.
- 29
- Außerdem wird in der Schrift auf die Möglichkeit hingewiesen, das Instrument in ein Klappmesser oder Nagelpflegeset o. Ä. zu integrieren. Diesen Vorschlägen liegt ersichtlich das Bemühen zugrunde, für das Instrument dauerhafte Aufbewahrungsmöglichkeiten anzubieten, damit es im Bedarfsfall stets zur Hand ist. Als nachteilig musste dabei aus fachmännischer Sicht erscheinen, dass die Nutzer es als unbequem empfinden könnten, das Instrument zum Entfernen von Zecken ständig am Schlüsselbund zu führen und dessen Volumen zu vergrößern, obwohl der potenzielle Bedarf für seinen Einsatz temporär und lokal begrenzt ist, und dass sie auch Gegenstände wie ein Klappmesser schon aus Gewichtsgründen nicht immer mitführen möchten. Das gab Anlass, nach einer alternativen und die Verbraucher als Nutzer ansprechenderen Ausgestaltung zu suchen, die das Mitführen eines zum Entfernen von Zecken geeigneten Gegenstands in Jacken-, Hosen- oder Brieftaschen oder ähnlichen Orten (z.B. Portemonnaies) ermöglicht.
- 30
- 3. Dabei dokumentieren die im Stand der Technik vorgeschlagenen Lösungen aus fachmännischer Sicht, dass die medizinisch-instrumentellen Anforderungen an einen für die Entfernung von Zecken aus der Haut geeigneten Gegenstand als recht gering zu veranschlagen waren und nicht mehr verlangten, als einen räumlichen Gegenstand mit einem spitzwinkligen Schlitz zu versehen und in der Höhe so flach zu halten, dass die Zecke zwischen Kopf und Körper mit den Flanken des Schlitzes erfasst und mit hebelnden Bewegungen aus der Haut gelöst werden konnte. Soweit die D 4 zum Entfernen der Insekten aus der Haut eine Wölbung der klingenartig geformten Vorrichtung vorsieht, ist aus fachmännischer Sicht leicht zu erkennen, dass eine entsprechende Hebelwirkung auch durch Kippbewegungen einer auf der Haut aufliegenden Karte entfaltet werden kann.
- 31
- 4. Das Instrument durch Verkleinerung attraktiver für die Mitnahme zu gestalten, kam aus fachmännischer Sicht wegen der Zweckanforderung, Ze- cken zu entfernen, von vornherein nicht in Betracht, weil das die Handhabbarkeit durch den Anwender, namentlich im Zusammenhang mit der Aufbringung von Hebelwirkung, zu sehr erschweren würde.
- 32
- Bot sich somit aus Gründen der Funktionalität nur die Wahl eines größeren Formats an, so kam doch nur eine Größenordnung infrage, die der Zwecksetzung einer verbesserten und praktischen Mitführbarkeit insbesondere auch in Brieftaschen oder Portemonnaies nicht entgegenstand. Bei von vornherein auf diese Weise eingeengten Auswahlmöglichkeiten die äußere Form der Kreditkarte als zweckgerechtes Format zu bestimmen, lag aus fachmännischer, einem produktgestalterisch ansprechenden und marketingorientierten Design verpflichteter Sicht (oben IV 2) nahe. Denn schon geraume Zeit vor dem Prioritätstag war erkannt und in vielfältiger Weise nutzbar gemacht worden, dass Karten im Format von Kredit- oder Scheckkarten für verschiedenste Zwecke eingesetzt werden konnten, auch gänzlich außerhalb der ihnen ursprünglich zugewiesenen Funktionen im Bank- und sonstigen Zahlungsverkehr. Dies betraf nicht nur die Verwendung für Ausweisfunktionen oder Zugangsberechtigungen , Zugehörigkeit zu Bonussystemen o.Ä., sondern auch die Verknüpfung der Karte mit ganz anderen Gebrauchszwecken. So zeigt das deutsche Gebrauchsmuster 94 03 952 (D 8) mit einer Lesehilfe im Scheckkartenformat ein ebenfalls dem Medizinproduktebereich zuzurechnendes Erzeugnis, wobei als besonderer Vorteil herausgestellt wird, dass dieses Format eine Unterbringung mit anderen Scheckkarten oder Ausweisen in Brieftaschen oder Geldbörsen ermögliche. Die deutsche Offenlegungsschrift 197 49 755 (D 7) zeigt eine transportable Karteneinheit im Scheckkartenformat mit einem optischen Element (Sichtfenster) zum Sichtbarmachen von Informationen von Informationsträgern wie Papieren mit besonderem Druck, Gutscheinen, Losblättern oder Katalogen für das menschliche Auge. Darüber hinaus finden sich folgende Vorschläge für die Verwendung dieses Formats: als Eiskratzer zum Entfernen klei- ner Eisflächen von Windschutzscheiben an Kraftfahrzeugen (US-Patentschrift 5 857 237, D 1), als Schlüsselbehältnis (deutsches Gebrauchsmuster 92 12 155, D 2), für eine Messlehre (deutsches Gebrauchsmuster 296 21 185, D 9), für einen Solarrechner (deutsches Gebrauchsmuster 297 09 411, D 10), für einen Blinkmechanismus (deutsches Gebrauchsmuster 296 06 387, D 11), für einen Vielzweckmechanismus (deutsches Gebrauchsmuster 200 12 055, D 12), für einen Türschlossenteiser (deutsches Gebrauchsmuster 200 02 595, D 14), für eine Testkarte (deutsche Offenlegungsschrift 195 45 739, D 13). Diese Beispiele spiegeln wider, dass schon vor dem Prioritätstag ein breiter produktgestalterischer Trend eingesetzt hatte, das Scheck- bzw. Kreditkartenformat für die Gestaltung verschiedenster kleinerer Gebrauchsartikel einzusetzen, der dem Fachmann nicht entgehen konnte.
- 33
- Dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 dem Fachmann nahegelegt war, ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht deshalb zweifelhaft, weil die vorstehend aufgezählten Beispiele mit dem Kreditkartenformat grundsätzlich keine dem Gegenstand von Patentanspruch 1 vergleichbare mechanische Wirkweise verknüpften und dass der einzige Gegenstand, bei dem das im Ansatz doch der Fall ist, nämlich bei dem in der D 1 gezeigten Eiskratzer, hiervon weitab liegt. Denn in welchem Umfang und mit welcher Konkretisierung der Fachmann Anregungen im Stand der Technik benötigt, um eine bekannte Lösung in bestimmter Weise weiterzuentwickeln oder auf andere Bereiche zu übertragen, ist eine Frage des Einzelfalls, deren Beantwortung eine Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Sachverhaltselemente erfordert. Dabei sind nicht etwa nur ausdrückliche Hinweise an den Fachmann erheblich. Vielmehr können auch Eigenarten des in Rede stehenden technischen Fachgebiets, insbesondere betreffend die Ausbildung der auf ihm tätigen Fachleuten, die übliche Vorgehensweise bei der Entwicklung von Neuerungen, technische Bedürfnisse, die sich aus der Konstruktion oder der Anwendung des in Rede stehenden Gegen- stands ergeben und auch nicht-technische Vorgaben eine Rolle spielen (BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 - X ZB 6/10, GRUR 2012, 378 - Installiereinrichtung II). Wie ausgeführt, gehörte die Wahrnehmung produktgestalterischer Ansätze zum Rüstzeug des hier mit der Weiterentwicklung bekannter Lösungen betrauten Fachmanns. Vor dem Hintergrund der vielfältigen vorbekannten Vorschläge zur Verwendung des Kreditkartenformats außerhalb von dessen ursprünglicher Funktion zu erkennen, dass dieses Format auch für den Gegenstand von Patentanspruch 1 nutzbar gemacht werden konnte, erforderte nur ein Maß an Abstraktion und Fantasie, das bei durchschnittlich bewanderten und begabten Fachvertretern zu erwarten ist.
- 34
- V. Patentanspruch 2 enthält keine zusätzlichen Merkmale, die ihm gegenüber Patentanspruch 1 zur Patentfähigkeit verhelfen könnten; das Patent ist deshalb in diesem Umfang ebenfalls für nichtig zu erklären.
- 35
- VI. Gegen die Patentfähigkeit der Patentansprüche 3 und 4 führt die Berufung keinen Angriff. Diese Ansprüche haben, da sie auch nicht wegen unzulässiger Erweiterung für nichtig zu erklären waren (oben III 1) Bestand, so dass die Berufung insoweit zurückzuweisen ist.
- 36
- VII. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO iVm § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG.
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 29.03.2011 - 1 Ni 12/09 (EU) -
moreResultsText
Annotations
(1) Hat der Anmelder zu einer internationalen Anmeldung, für die das Deutsche Patent- und Markenamt Bestimmungsamt ist, beantragt, daß eine internationale vorläufige Prüfung der Anmeldung nach Kapitel II des Patentzusammenarbeitsvertrags durchgeführt wird, und hat er die Bundesrepublik Deutschland als Vertragsstaat angegeben, in dem er die Ergebnisse der internationalen vorläufigen Prüfung verwenden will ("ausgewählter Staat"), so ist das Deutsche Patent- und Markenamt ausgewähltes Amt.
(2) Ist die Auswahl der Bundesrepublik Deutschland vor Ablauf des 19. Monats seit dem Prioritätsdatum erfolgt, so ist § 4 Absatz 2 und 3 mit der Maßgabe anzuwenden, dass an die Stelle des Artikels 23 Absatz 2 des Patentzusammenarbeitsvertrages Artikel 40 Absatz 2 des Patentzusammenarbeitsvertrages tritt.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.
(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.
(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.