Bundesgerichtshof Urteil, 24. Sept. 2019 - X ZR 62/17

published on 24/09/2019 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 24. Sept. 2019 - X ZR 62/17
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Previous court decisions
Landgericht München I, 21 O 6887/15, 22/06/2016
Oberlandesgericht München, 6 U 3036/16, 18/05/2017

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 62/17 Verkündet am:
24. September 2019
Zöller
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: neinw
BGHR: ja
Lenkergetriebe
EPÜ Art. 69 Abs. 1; PatG § 14
Fordert der Patentanspruch die Eignung der geschützten Vorrichtung, einen
bestimmten Vorgang ausführen zu können, und benennt er ein Mittel, über das
diese Eignung erreicht werden soll, ist der Patentanspruch im Zweifel dahin
auszulegen, dass das Mittel dazu vorgesehen ist und dementsprechend geeignet
sein muss, an dem Vorgang, wenn er ausgeführt wird, in erheblicher Weise
mitzuwirken.
BGH, Urteil vom 24. September 2019 - X ZR 62/17 - OLG München
LG München I
ECLI:DE:BGH:2019:240919UXZR62.17.0

Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. September 2019 durch die Richter Dr. Bacher, Dr. Grabinski und Hoffmann sowie die Richterinnen Dr. Kober-Dehm und Dr. Marx

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 18. Mai 2017 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts München I vom 22. Juni 2016 wird im zuletzt noch anhängigen Umfang zurückgewiesen.
Die Kosten der Rechtsmittel trägt die Klägerin.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des am 1. August 1996 angemeldeten , mittlerweile durch Zeitablauf erloschenen deutschen Patents 196 31 042, das eine Kaltfräse für den Fahrbahndeckenausbau betrifft. Patentanspruch 1 hat nach Durchführung eines Patentbeschränkungsverfahrens folgenden Wortlaut: "Kaltfräse zum Fahrbahndeckenausbau, - mit einem selbstfahrenden Fahrwerk, bestehend aus einer lenkbaren vorderen Fahrwerkachse (6) mit zwei mit einem Hydromotor angetriebenen Stützrädern (12) und aus zwei mit einem Hydromotor angetriebenen, höhenverstellbaren, voneinander unabhängigen hinteren Stützrädern (14, 16), - mit einem im Bereich der zwei hinteren Stützräder (14, 16) auf der sogenannten Nullseite angeordneten Fahrstand (4) für einen Fahrzeugführer auf einem von dem Fahrwerk getragenen Maschinenrahmen (8), - mit einer in oder an dem Maschinenrahmen (8) gelagerten Fräswalze (20) als Arbeitseinrichtung (20), die am hinteren Ende des Maschinenrahmens (8) angeordnet ist und in etwa bündig mit diesem abschließt und deren eine Stirnseite (21) auf der sogenannten Nullseite (24) des Maschinenrahmens (8) in etwa bündig mit diesem abschließt, - wobei das auf der Nullseite befindliche hintere Stützrad (16) aus einer zur Längsrichtung des Maschinenrahmens parallelen, über die Nullseite (24) vorstehenden äußeren Endposition (26) in eine nach innen in eine Aussparung (18) des Maschinenrahmens (20) eingeschwenkte innere, zur Längsrichtung des Maschinenrahmens (8) parallele Endposition (28) verschwenkbar ist, in der das Stützrad (16) nicht über die Nullseite übersteht, - wobei sich die hinteren Stützräder (14, 16) dann, wenn das auf der Nullseite befindliche hintere Stützrad (16) in seiner äußeren Endposition ist, auf der Höhe der sich orthogonal zur Fahrtrichtung erstreckenden Fräswalzenachse der Fräswalze (20) befinden, und - mit einem Antriebsmotor für die für den Antrieb der Arbeitseinrichtung (20) und den Fahrbetrieb benötigte Antriebsleistung, dadurch gekennzeichnet, dass das schwenkbare Stützrad (16) über ein in einer horizontalen, unterhalb des Fahrstands (4) befindlichen Ebene liegendes Lenkergetriebe (30) von der äußeren Endposition (26) in die innere Endposition (28) verschwenkbar ist, wobei das Lenkergetriebe (30) mit einer Antriebseinrichtung (34) gekoppelt ist."
2
Die Beklagte zu 1, deren Geschäftsführer die Beklagten zu 2 und 3 sind, vertreibt auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Kaltfräsen mit den Bezeichnungen BM , BM und BM , welche sich hinsichtlich der Fräsbreite, nicht jedoch in ihrer konstruktiven Ausgestaltung unterscheiden. Der Verschwenkvorgang des hinteren nullseitigen Kettenlaufwerks in eine Ausnehmung im Maschinenrahmen ergibt sich aus den nachstehenden Schemazeichnungen.
3
In Figur 5 befindet sich das hintere Stützrad in seiner äußeren Endposition mit eingefahrenem Drehlagerarm. In Figur 6 ist der Drehlagerarm ausgefahren , aber das Stützrad weiterhin am Maschinenrahmen arretiert. In Figur 10 wird das Stützrad um die Drehachse in Richtung "c" verschwenkt. In Figur 15 ist das Stützrad in der dafür vorgesehenen Aussparung eingeschwenkt. In Figur 16 ist der Drehlagerarm eingefahren und das Zahnrad steht nicht mehr über den Maschinenrahmen über. Eine Positionsänderung des Stützrades (wie in Figur 10 gezeigt) ist erst möglich, wenn der Drehlagerarm (wie in Figur 6 gezeigt) ausgefahren ist.
4
Nach Auffassung der Klägerin machen diese Kaltfräsen von der technischen Lehre des Klagepatents wortsinngemäß Gebrauch.
5
Die gegen sämtliche Beklagte auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung , Vernichtung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen, Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichtete Klage ist vor dem Landgericht erfolglos geblieben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht, wie zuletzt beantragt, die Beklagten zur Auskunft und Rechnungslegung und die Beklagte zu 1 zusätzlich zur Vernichtung, zum Rückruf und zur Entfernung der angegriffenen Kaltfräsen aus den Vertriebswegen verurteilt sowie die Verpflichtung der Beklagten zur Leistung von Schadensersatz festgestellt. Den Anspruch gegen die Beklagten auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten hat es unter Abweisung der weitergehenden Klage nur teilweise zugesprochen und den Beklagten, auch hinsichtlich des nach Schutzrechtsablauf im Berufungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärten Unterlassungsantrags, die Kosten des Rechtsstreits auferlegt. Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision streben die Beklagten die Wiederherstellung des klageabweisenden Urteils des Landgerichts an, die Beklagte zu 1 hilfsweise eine Wiederherstellung insoweit, als dort die Ansprüche auf Vernichtung, Rückruf und Entfernung aus den Vertriebswegen abgewiesen worden sind, und weiter hilfsweise eine Beschränkung der Verurteilung wegen dieser Ansprüche darauf, dass sie die betroffenen Kaltfräsen nur insoweit abändern muss, dass diese nicht mehr in den Schutzbereich von Patentanspruch 1 des Klagepatents fallen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Entscheidungsgründe:


6
Die zulässige Revision der Beklagten hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts im zuletzt noch anhängigen Umfang.
7
I. Das Klagepatent betrifft eine Kaltfräse zum Fahrbahndeckenausbau.
8
Nach den Angaben der Klagepatentschrift waren Kaltfräsen des Typs W und W aus dem Haus der Klägerin zum Abfräsen von Fahrbahndecken vorbekannt. Diese Fräsen verfügten auf der sog. Nullseite, an der die Stirnseite der Fräswalze nahezu bündig mit der Seitenkante des Maschinenrahmens abschließt, über einen Schwenkarm für das hintere Stützrad. Bei dem Schwenkarm seien die vertikale Hubsäule des Stützrads und die drehbar, aber ansonsten fest am Maschinenrahmen gelagerte vertikale Drehwelle über zwei horizontale, vertikal beabstandete Streben starr verbunden. Mittels des Schwenkarms könne das Stützrad von einer Position neben der Fräswalze in eine vor der Fräswalze befindliche Aussparung im Maschinenrahmen um die maschinenrahmenfeste vertikale Schwenkachse manuell oder mithilfe eines über ein Zahnrad an der Drehwelle angreifenden Antriebs verschwenkt werden (Abs. 2, 3). Bei einer anderen Fräse seien um eine vertikale Achse verschwenkbare Stützräder an der Fräswalze befestigt (Abs. 4). Fräsen neuerer Bauart mit Allradantrieb verfügten ebenfalls über ein um eine vertikale Schwenkachse verschwenkbares nullseitiges hinteres Stützrad, wodurch ein kantennahes Fräsen ermöglicht werde (Abs. 6).
9
Bei den letztgenannten Fräsen und denen des Typs W behinderten das nullseitige hintere Stützrad und seine einachsige vertikale Lagerung den freien Blick auf den Arbeitsraum vor der Fräswalze sowohl im ausgeschwenkten als auch im eingeschwenkten Zustand und benötigten zudem (vertikal ) viel Platz. Durch den Platzbedarf sei ein Aufsetzen einer Kabine auf den Fahrstand nicht möglich. Der Auf- und Abstieg des Bedienpersonals müsse von hinten erfolgen, was nachteilig für die Sicherheit sei. Zudem ändere das Stützrad ohne weitere Maßnahmen beim Verschwenken seine Laufrichtung (Abs. 2,

7).


10
Die Klagepatentschrift bezeichnet es als Aufgabe der Erfindung, eine Kaltfräse der eingangs der Patentschrift genannten Art derart weiterzubilden, dass bei einem auf der Nullseite der Maschine verschwenkbaren Stützrad die freie Sicht auf den Arbeitsraum vor der Arbeitseinrichtung bei kantennahem Arbeiten verbessert wird.
11
Zur Lösung schlägt Patentanspruch 1 des Klagepatents in der Fassung nach der Patentbeschränkung eine Kaltfräse mit folgenden Merkmalen vor: 1.1 Kaltfräse zum Fahrbahndeckenausbau 1.2 mit einem selbstfahrenden Fahrwerk, bestehend aus 1.2.1 einer lenkbaren vorderen Fahrwerkachse 1.2.1.1 mit zwei Stützrädern 1.2.1.2 die zwei Stützräder sind mit einem Hydromotor angetrieben 1.2.2 und zwei hinteren Stützrädern 1.2.2.1 die zwei hinteren Stützräder sind mit einem Hydromotor angetrieben , 1.2.2.2 höhenverstellbar und 1.2.2.3 voneinander unabhängig 1.3 mit einem Fahrstand für einen Fahrzeugführer 1.3.1 der Fahrstand ist angeordnet im Bereich der zwei hinteren Stützräder 1.3.2 auf der sogenannten Nullseite 1.3.3 auf einem von dem Fahrwerk getragenen Maschinenrahmen 1.4 mit einer in oder an dem Maschinenrahmen gelagerten Fräswalze als Arbeitseinrichtung , 1.4.1 die am hinteren Ende des Maschinenrahmens angeordnet ist 1.4.2 und in etwa bündig mit diesem abschließt 1.4.3 und deren eine Stirnseite auf der sogenannten Nullseite des Maschinenrahmens in etwa bündig mit diesem abschließt, 1.5 wobei das auf der Nullseite befindliche hintere Stützrad 1.5.1 aus einer zur Längsrichtung des Maschinenrahmens parallelen, über die Nullseite vorstehenden äußeren Endposition 1.5.2 in eine nach innen in eine Aussparung des Maschinenrahmens 1.5.3 eingeschwenkte innere, zur Längsrichtung des Maschinenrahmens parallele Endposition verschwenkbar ist, in der das Stützrad nicht über die Nullseite übersteht, 1.6.1 wobei sich die hinteren Stützräder dann, wenn das auf der Nullseite befindliche hintere Stützrad in seiner äußeren Endposition ist, 1.6.2 auf der Höhe der Fräswalzenachse der Fräswalze befinden, 1.6.3 wobei sich die Fräswalzenachse orthogonal zur Fahrtrichtung erstreckt, 1.7 mit einem Antriebsmotor für die für den Antrieb der Arbeitseinrichtung und den Fahrbetrieb benötigte Antriebsleistung 1.8 dadurch gekennzeichnet, dass das schwenkbare Stützrad über ein Lenkergetriebe von der äußeren Endposition in die innere Endposition verschwenkbar ist 1.8.1 das Lenkergetriebe liegt in einer horizontalen Ebene 1.8.2 die horizontale Ebene befindet sich unterhalb des Fahrstands 1.8.3 das Lenkergetriebe ist mit einer Antriebseinrichtung gekoppelt.
II. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie
12
folgt begründet:
13
Der Fachmann werde Merkmal 1.8 im Lichte der Aufgabenstellung (Sichtverbesserung, Heranfahren an ein Hindernis bei kantennahem Fräsen) so verstehen, dass die "innere Endposition" des eingeschwenkten hinteren Stützrads erst dann erreicht sei, wenn - wie auch für das Ausführungsbeispiel gemäß den Figuren 2, 3a bis 3c gezeigt und beschrieben - kein weiteres Getriebeelement oder anderweitiges Hindernis über die Nullseite überstehe, weil erst dann ein kantennahes Fräsen und unmittelbares Heranfahren an ein Hindernis erfolgen könnten.
14
Ein erfindungsgemäßes Lenkergetriebe, das in einer unterhalb des Fahrstands befindlichen horizontalen Ebene liege, könne trotz geringer vertikaler Ausdehnung hohe vertikale Kräfte aufnehmen. Da sich das Klagepatent ansonsten über die nähere technische Ausgestaltung nicht verhalte, greife der Fachmann hierzu auf sein allgemeines Fachwissen zurück. Die in der Beschreibung erwähnte und in den Figuren 3a bis 3c des Klagepatents gezeigte Ausgestaltung eines Lenkergetriebes mit vier vertikalen Gelenkachsen und zwei in einer horizontalen Ebene verschwenkbaren Lenkern sei nur bespielhaft und beschränke den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht. Im Hinblick auf den Wortlaut des Merkmals 1.8 ("über ein [nicht "durch ein"] Lenkergetriebe") und eine funktionsorientierte Betrachtungsweise müsse das Lenkergetriebe nur einen erfindungswesentlichen Beitrag dazu leisten, dass das nullseitige hintere Stützrad mittels eines Verschwenkmechanismus von der äußeren Endposition in die innere Endposition gelange, so dass ein kantennahes Fräsen möglich sei, müsse aber nicht als solches an der Positionsänderung des Stützrads selbst beteiligt sein.
15
Bei diesem Verständnis des Anspruchs 1 machten die angegriffenen Ausführungsformen auch von dem allein im Streit stehenden Merkmal 1.8 Gebrauch. Das Stützrad sei dort von der äußeren in die innere Endposition verschwenkbar , die erst erreicht sei, wenn der Drehlagerarm wieder eingezogen sei, weil erst dann keine Maschinenteile mehr über die Nullseite überstünden. Die Verschwenkbarkeit erfolge auch über ein Lenkergetriebe, weil ohne das Ausfahren des Drehlagerarms eine Bewegung des Stützrads von der äußeren in die innere Betriebsposition für kantennahes Fräsen nicht möglich sei. Dass der Drehlagerarm und der Klapparm nur in dieser Phase als ein Schubkurbelgetriebe (im Sinne eines erfindungsgemäßen Lenkergetriebes) wirkten und das Schubkurbelgetriebe im Sinne einer funktionalen Einheit am sich anschließenden Verschwenkvorgang mittels Kraftübertragung selbst nicht teilnehme, sei - abgesehen davon, dass es sich nicht um einen Verfahrens-, sondern einen Vorrichtungsanspruch handle - bei funktionsgerechter Auslegung ohne Belang.
16
III. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand.
17
1. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist es für die Verwirklichung des Merkmals 1.8 nicht ausreichend, wenn ein Lenkergetriebe lediglich die Voraussetzungen dafür schafft, dass das hintere nullseitige Stützrad von der äußeren in die innere Endposition verschwenkt werden kann, aber an der Schwenkbewegung selbst nicht mitwirkt. Denn unabhängig davon, ob die von dem Merkmal verwendete Formulierung der Verschwenkbarkeit des Stützrades "über ein Lenkergetriebe" bei isolierter Betrachtungsweise in diesem Sinne verstanden werden könnte, ergibt sich jedenfalls bei einer am Gesamtzusammenhang des Patentanspruchs unter Berücksichtigung von Beschreibung und Figuren ausgerichteten Auslegung, dass das Lenkergetriebe so ausgelegt sein muss, dass es an der Verschwenkung des Stützrades in erheblicher Weise mitwirkt, wenn eine solche erfolgt.
18
a) Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung eines Patentanspruchs dessen Sinngehalt in seiner Gesamtheit und der Beitrag, den die einzelnen Merkmale zum Leistungsergebnis der Erfindung liefern, zu bestimmen. Denn für das Verständnis eines einzelnen technischen Merkmals ist zu- mindest im Zweifel die Funktion entscheidend, die es bei der Herbeiführung des erfindungsgemäßen Erfolgs hat. Dabei sind Beschreibung und Zeichnungen heranzuziehen, die die technische Lehre des Patentanspruchs erläutern und veranschaulichen und daher nicht nur für die Bestimmung des Schutzbereichs (Art. 69 Abs. 1 EPÜ, § 14 PatG), sondern ebenso für die Auslegung des Patentanspruchs zu berücksichtigen sind (vgl. BGH, Urteil vom 17.  Juli 2012 - X ZR 117/11, BGHZ 194, 107 Rn. 27 = GRUR 2012, 1124 - Polymerschaum). Patentansprüche sind dahin auszulegen, dass sich aus der Gesamtheit ihrer Merkmale ein sinnvolles Ganzes ergibt (vgl. BGH, Urteil vom 31. März 2009 - X ZR 95/05, BGHZ 180, 215 Rn. 16 = GRUR 2009, 653 - Straßenbaumaschine; Beschluss vom 8. Juli 2008 - X ZB 13/06, GRUR 2008, 887 Rn. 21 - Momentanpol II). Fordert der Patentanspruch die Eignung der geschützten Vorrichtung, einen bestimmten Vorgang ausführen zu können, und benennt er ein Mittel, über das diese Eignung erreicht werden soll, ist der Patentanspruch daher im Zweifel dahin auszulegen, dass das Mittel dazu vorgesehen ist und dementsprechend geeignet sein muss, an dem Vorgang, wenn er ausgeführt wird, in erheblicher Weise mitzuwirken.
19
b) Merkmalsgruppe 1.5, wonach das hintere nullseitige Stützrad von einer äußeren in eine innere Endposition verschwenkbar ist, bestimmt, dass die geschützte Kaltfräse so ausgestaltet sein muss, dass ein Schwenkvorgang im geforderten Ausmaß durchgeführt werden kann. Dies wird in Merkmal 1.8 dahin konkretisiert, dass das Stützrad über ein Lenkergetriebe von der äußeren Endposition in die innere Endposition verschwenkbar ist, wobei das Lenkergetriebe mit einer Antriebseinrichtung gekoppelt ist. Der damit zum Ausdruck kommende Bezug zwischen dem Lenkergetriebe und dem Verschwenkvorgang, der über dieses verwirklicht werden soll, ist aus Sicht des Fachmanns dahin zu verstehen , dass das Lenkergetriebe erfindungsgemäß als Mittel dafür vorgesehen ist und geeignet sein muss, in erheblicher Weise an der Bewegung mitzuwirken, mit der das Stützrad von der äußeren in die innere Endposition verschwenkt wird.

20
Der Patentanspruch fordert zwar nicht ausdrücklich, dass die Verschwenkung des Stützrades "durch" ein Lenkergetriebe erfolgt. Dem kommt jedoch in diesem Zusammenhang keine ausschlaggebende Bedeutung zu. Denn es findet sich weder im Patentanspruch noch in der Beschreibung ein Anhalt dafür, dass die Formulierung der Schwenkbarkeit "über" ein Lenkergetriebe dahin zu verstehen ist, dass es hinreichend sein soll, wenn das Lenkergetriebe dazu ausgelegt ist, eine Voraussetzung für die Schwenkbarkeit des Stützrades zu schaffen, ohne aber an der Schwenkbewegung selbst beteiligt zu sein. Durch die in Merkmal 1.8 gewählte Formulierung "über" ein Lenkergetriebe wird lediglich zum Ausdruck gebracht, dass an der Schwenkbewegung noch weitere im Anspruch nicht ausdrücklich genannte Elemente mitwirken können oder es Betriebszustände geben kann, in denen das Lenkergetriebe nicht an der Durchführung der Schwenkbewegung beteiligt ist.
21
c) Dieses Verständnis der anspruchsgemäßen Lehre wird auch durch den übrigen Inhalt der Patentschrift gestützt.
22
Nach der Beschreibung soll das Lenkergetriebe den aus dem Stand der Technik bekannten Schwenkmechanismus ersetzen, um auf diese Weise den vertikalen Platzbedarf für die Schwenkeinrichtung des Stützrades zu verringern, so dass sich die Sicht auf den Arbeitsraum vor der Arbeitseinrichtung verbessert. Hierzu ist das Getriebe erfindungsgemäß in einer unter dem Fahrstand befindlichen horizontalen Ebene angeordnet (Abs. 11, 12). Wenn es in diesem Zusammenhang heißt, durch die Horizontallage des Getriebes sei der Platzbedarf für die Schwenkeinrichtung mit dem Stützrad erheblich reduziert, so dass das Stützrad mit der Schwenkeinrichtung eine bessere Sicht auf den Arbeitsraum vor der Arbeitseinrichtung im ausgeschwenkten und eingeschwenkten Zustand zulasse (vgl. Abs. 11), kann dem, anders als die Klägerin meint, nicht entnommen werden, dass das Getriebe und die Schwenkeinrichtung getrennte Vorrichtungen sind. Vielmehr erschließt sich auch aus diesen Erläuterungen, dass das Lenkergetriebe Teil der Schwenkeinrichtung ist und an einem Schwenkvorgang zumindest mitwirkt, wie es auch für dasAusführungsbeispiel in der Beschreibung (Abs. 36) erwähnt ist.
23
Mit Blick auf die Antriebsvorrichtung, mit der das Lenkergetriebe nach Merkmal 1.8.3 gekoppelt ist, erläutert die Beschreibung weiter, dass auf diese Weise das Verschwenken des Stützrads von dem Fahrzeugführer auf dem Fahrstand an einem Bedienungspult veranlasst werden kann (Abs. 15). Auch darin kommt zum Ausdruck, dass es sich bei dem Lenkergetriebe um die Schwenkeinrichtung oder jedenfalls um ein maßgebliches Mittel handelt, über das der Schwenkvorgang durchgeführt wird.
24
Dem entspricht, dass bei sämtlichen in der Klagepatentschrift aufgezeigten beispielhaften Ausgestaltungen der geschützten Erfindung das Lenkergetriebe die Funktion hat, den Verschwenkvorgang durchzuführen. Ein Lenkergetriebe , das lediglich die Voraussetzungen für die Durchführung des Verschwenkvorgangs schafft, ohne an dem Vorgang selbst beteiligt zu sein, wird demgegenüber an keiner Stelle gezeigt.
25
2. Auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts zur Ausgestaltung der angegriffenen Kaltfräsen kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
26
Die vom Berufungsgericht als patentgemäßes Lenkergetriebe identifizierte Einheit aus Drehlagerarm und Klapparm mag zwar in der Phase des Ein- und Ausfahrens des Drehlagerarms als Lenkergetriebe wirken. Die nur bei ausgefahrenem Drehlagerarm mögliche Schwenkbewegung des Kettenlaufwerks ist hiervon aber entkoppelt. Durch das Ausfahren des Drehlagerarms wird nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zwar erst die Möglichkeit geschaffen, die Position des Kettenlaufwerks durch Verschwenken zu ändern. An der Schwenkbewegung selbst wirkt aber kein Lenkergetriebe mit. Das Mittel zur Durchführung des Verschwenkens sind die auf dem Drehlagerarm befindliche Drehachse und der Klapparm. Diese bilden auch nach dem weiten Verständnis des Berufungsgerichts und der Klägerin vom Begriff des Lenkergetriebes kein solches im Sinne des Klagepatents.
27
IV. Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben, soweit zum Nachteil der Beklagten entschieden worden ist.
28
Der Senat kann die Sache selbst entscheiden, weil zusätzliche Feststellungen weder erforderlich noch zu erwarten sind und die Sache daher entscheidungsreif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).
29
Nach dem Vorstehenden machen die angegriffenen Kaltfräsen von der Lehre des Klagepatents keinen Gebrauch, so dass die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts im zuletzt noch anhängigen Umfang zurückzuweisen ist.
30
Hinsichtlich des im Berufungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärten Unterlassungsanspruchs ist das klageabweisende Urteil des Landgerichts wirkungslos. Eines gesonderten Ausspruchs dieser Rechtsfolge bedarf es nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2015 - I ZR 176/12, GRUR-RS 2015, 10416 Rn. 4 - Gute Laune Drops II).
31
V. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 91a Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Bacher Grabinski Hoffmann
Kober-Dehm Marx
Vorinstanzen:
LG München I, Entscheidung vom 22.06.2016 - 21 O 6887/15 -
OLG München, Entscheidung vom 18.05.2017 - 6 U 3036/16 -
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(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.
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(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung um

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen. (2) Das Berufungsgerich

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Annotations

Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

(1) Im Falle der Aufhebung des Urteils ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts erfolgen.

(2) Das Berufungsgericht hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(3) Das Revisionsgericht hat jedoch in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist.

(4) Kommt im Fall des Absatzes 3 für die in der Sache selbst zu erlassende Entscheidung die Anwendbarkeit von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nach § 545 nicht gestützt werden kann, in Frage, so kann die Sache zur Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.