Bundesgerichtshof Urteil, 10. Okt. 2017 - X ZR 144/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 10. Oktober 2017 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck, die Richter Dr. Grabinski, Dr. Bacher und Dr. Deichfuß sowie die Richterin Dr. Kober-Dehm
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte ist Inhaberin des am 2. April 2002 - unter Inanspruchnahme
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- der Priorität einer US-amerikanischen Patentanmeldung vom 2. April 2001 - angemeldeten und mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 390 810 (Streitpatents). Patentanspruch 1, auf den die weiteren Patentansprüche 2 bis 19 unmit2 telbar oder mittelbar rückbezogen sind, hat in der Verfahrenssprache folgenden Wortlaut: "An electrophoretic display comprising an electrophoretic medium (100; 200; 300) comprising a plurality of particles (108; 108, 218; 218, 320) suspended in a suspending fluid (106; 206; 306), the particles (108; 108, 218; 218, 320) being capable of moving through the fluid (106; 206; 306) upon application of an electric field to the medium (100; 200; 300), the display further comprising at least one electrode (110, 112) arranged adjacent the medium and capable of applying an electric field to the medium , the display being characterized in that the fluid (106; 206; 306) has dissolved or dispersed therein a polymer having a number average molecular weight in excess of 20,000, the polymer being essentially nonabsorbing on the particles (108; 108, 218; 218, 320)." Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei
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- nicht neu und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Zudem offenbare das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Die Beklagte hat das Streitpatent wie erteilt und in der Fassung von elf Hilfsanträgen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit sein Gegenstand über Hilfsantrag 9 hinausgeht. Mit ihrer Berufung verteidigt die Beklagte das Streitpatent im Hauptantrag weiterhin in der erteilten Fassung sowie mit zwei Hilfsanträgen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen und erstrebt mit der von ihr eingelegten Berufung die uneingeschränkte Nichtigerklärung des Streitpatents. Gegenüber der Berufung der Klägerin verteidigt die Beklagte das Streitpatent in der Fassung des patentgerichtlichen Urteils sowie mit sechs Hilfsanträgen.
Entscheidungsgründe:
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- Die Berufung der Beklagten ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die Berufung der Klägerin ist ebenfalls zulässig, aber nicht begründet.
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- I. Das Streitpatent betrifft eine elektrophoretische Anzeige.
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- 1. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, eine solche Anzeige verfüge im Vergleich zu Flüssigkristallanzeigen über eine gute Helligkeit , einen guten Kontrast, einen großen Betrachtungswinkel, einen Bistabilitätszustand und einen geringen Leistungsverbrauch. In diesem Zusammenhang ("herein") würden die Ausdrücke "bistabil" und "Bistabilität" entsprechend ihrer herkömmlichen Bedeutung verwendet. Sie bezögen sich auf Anzeigen, deren Anzeigeelemente einen ersten und einen zweiten Anzeigezustand aufwiesen, welche sich in wenigstens einer optischen Eigenschaft unterschieden. Das Element nehme den jeweiligen Anzeigezustand an, nachdem es über einen Adressierungsimpuls endlicher Dauer angesteuert worden sei, und dieser Zustand habe eine Zeitdauer von wenigstens einigen Zeittakten (Abs. 1). Die Bistabilität sei jedoch nicht unbegrenzt. Die Anzeigen würden lang7 sam verblassen, so dass ein Bild, das über längere Zeit erhalten bleiben solle, einer periodischen Auffrischung bedürfe. Auch sei es bekannt, "Austastimpulse" in regelmäßigen Intervallen vorzusehen, die aber zunächst die Steuerung aller Pixel der Anzeige auf einen ersten optischen Zustand (z.B. weiß) und dann eine Schaltung aller Pixel der Anzeige auf den entgegengesetzten optischen Zustand (z.B. schwarz) und anschließend das Schreiben des gewünschten Bildes erforderten. Da sowohl bei der Auffrischung als auch bei der Austastung Energie verbraucht werde, sei es erwünscht, die insoweit erforderlichen Intervalle möglichst zu verlängern (Abs. 6). Die Bildstabilität in elektrophoretischen Anzeigen werde vor allem durch
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- die Sedimentierung der Pigmentpartikel unter Schwerkraft begrenzt. Die Stabilität des Bildes könne zwar durch eine Erhöhung der Viskosität verbessert werden , da die Rate der Sedimentierung annähernd umgekehrt proportional zur Viskosität der flüssigen Phase sei, in der die Pigmentpartikel suspendiert seien. Die Erhöhung der Stabilität durch Erhöhung der Viskosität gehe jedoch mit ei- ner Verlängerung der Zeiten einher, welche die Pigmentpartikel benötigten, um sich bei einem Wechsel der Anzeige durch das flüssige Medium zu bewegen. Zwar könne höheren Schaltzeiten infolge erhöhter Viskosität auch durch eine Erhöhung der angelegten Spannung entgegengewirkt werden, dies führe aber wiederum zu einem höheren Energieverbrauch (Abs. 7). 2. Vor diesem Hintergrund liegt dem Streitpatent das technische Prob9 lem zugrunde, die Bistabilität bei einer elektrophoretischen Anzeige zu verbessern. 3. Das soll nach der Lehre aus Patentanspruch 1 in der erteilten Fas10 sung durch folgende Vorrichtung erreicht werden: 1. Elektrophoretische Anzeige mit a. einem elektrophoretischen Medium und b. wenigstens einer Elektrode. 2. Das elektrophoretische Medium weist auf: a. eine Vielzahl von Partikeln, b. ein Suspendierungsfluid und c. ein Polymer. 3. Die Partikel sind a. in dem Suspendierungsfluid suspendiert und b. in der Lage, sich durch das Fluid zu bewegen, nachdem an das Medium ein elektrisches Feld angelegt ist. 4. Die Elektrode ist a. in der Lage, ein elektrisches Feld an das Medium anzulegen, und b. benachbart zu dem Medium angeordnet. 5. Das Polymer a. ist in dem Fluid gelöst oder dispergiert, b. besitzt ein zahlenmäßiges durchschnittliches Molekulargewicht von mehr als 20.000, c. ist im Wesentlichen nicht-absorbierend auf den Partikeln ("being essentially non-absorbing on the particles").
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- 4. Die erfindungsgemäße Lehre ist wie folgt zu erläutern:
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- a) Aus Sicht des Fachmanns, der vom Patentgericht zutreffend als Diplom-Chemiker oder Diplom-Physiker mit Hochschulabschluss, guten Kenntnissen auf dem Gebiet der physikalischen Chemie und mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der elektrophoretischen Anzeigetechnik bestimmt worden ist, sind unter einer elektrophoretischen Anzeige nach Merkmal 1 allein Anzeigeelemente zu verstehen, bei denen ein elektrisches Feld an das Medium zur Bewirkung eines Wechsels von einem Anzeigezustand zu einem anderen Anzeigezustand angelegt wird, nicht aber Anzeigen, bei denen dies auch zur Aufrechterhaltung eines Anzeigezustands erfolgt. Dieses Verständnis entspricht der Definition einer elektrophoretischen Anzeige in der Beschreibung des Streitpatents und trägt dem Ziel der Erfindung Rechnung, den zur Aufrechterhaltung der Bistabilität erforderlichen Energieaufwand möglichst gering zu halten, indem die Bistabilität verbessert und dadurch ein Auffrischen des Bildes oder ein Ansteuern der optischen Zustände seltener erforderlich wird.
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b) Das Polymer soll nach Merkmal 5c im Wesentlichen nicht-absorbierend auf den Partikeln sein. Damit ist nicht gemeint, dass das Polymer nicht in der Lage sein darf, die Partikel "zu absorbieren" (= verschwinden zu lassen). Einem solchen rein sprachlichen Verständnis des Merkmals steht bereits entgegen , dass Polymermoleküle zwar tatsächlich (in aller Regel) nicht in der Lage sind, Partikel zu absorbieren, eine solche (Nicht-)Eigenschaft aber keinen Beitrag zur Erreichung des erfindungsgemäßen Ziels einer Verbesserung der Bildstabilität der elektrophoretischen Anzeige leisten würde. Entsprechend wird in der Beschreibung erläutert, dass das Polymer zweckmäßigerweise ein Kohlenwasserstoff -Polymer sei, das im Wesentlichen frei von funktionellen Gruppen, wie z.B. ionisierbaren oder ionischen Bestandteilen sei, die bewirken könnten, dass das Polymer mit chemischen Bestandteilen der elektrophoretischen Partikel zusammenwirkt oder physikalisch nach der Oberfläche der elektrophoretischen Partikel adsorbiert (Abs. 31: "… , that may cause the polymer to interact with chemical sites on the electrophoretic particles, or to physically adsorb to the surfaces of the electrophoretic particles."). Dem entnimmt der Fachmann, dass mit einem "auf den Partikeln nicht-absorbierenden Polymer", erfindungsgemäß ein Polymer bezeichnet wird, das mit der Oberfläche der Partikel weder aufgrund einer chemischen Bindung noch aufgrund einer physikalischen Anhaftung (Physisorption) assoziiert ist. Ausgeschlossen von der Lehre des Patentanspruchs 1 sind damit Polymere, die aufgrund Physisorption als Adsorbat an der Oberfläche des Partikels als Adsorbens haften, ohne dass sich deren elektronische Struktur grundlegend verändert. Ausgeschlossen sind aber auch Polymere , die aufgrund chemischer Bindung mit den Partikeln assoziiert sind.
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- Das gilt nicht nur für chemische Bindungen, bei denen für die Beweglichkeit des Polymers über die Oberfläche des Partikels signifikant weniger Aktivierungsenergie benötigt wird als für eine Ablösung von der Oberfläche, sondern auch für solche chemische Bindungen, bei denen die jeweils benötigte Energie annähernd gleich ist. Der Sachverständige der Klägerin möchte in seiner gutachterlichen Stellungnahme zwar im genannten Sinne unterscheiden, indem er in ersterem Fall von einer Adsorbat-Substrat-Bindung spricht, welche die Klägerin als eine der physikalischen Anhaftung (Physisorption) vergleichbare chemische Anhaftung (Chemisorption) ansieht, während er in letzterem Fall eine chemische Bindung im herkömmlichen Sinne ("Aufpfropfen" oder "Grafting") annimmt (vgl. Gutachten Prof. H. , NK 22 Rn. 21 ff.; vgl. auch Rn. 14, 20). Ob eine solche Unterscheidung unüblich ist, wie das Patentgericht ausgeführt hat, kann dahingestellt bleiben. Sie hat jedenfalls, worauf das Patentgericht zu Recht weiterhin abgestellt hat, keine Grundlage im Streitpatent, das hinsichtlich des in Merkmal 5c verwendeten Begriffs des für die Partikel imWesentlichen nicht-absorbierenden Polymers bei chemischen Bindungen nicht zwischen Chemisorption und "Aufpfropfen" bzw. "Grafting" unterscheidet, sondern eine chemische Bindung des Polymers auf der Oberfläche der Partikel insoweit unterschiedslos im Wesentlichen ausschließt (vgl. Abs. 51).
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- c) Das Patentgericht hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass Merkmal 5c mit der Einschränkung "im Wesentlichen nicht-absorbierend" den Umstand berücksichtigt, dass selbst wenn die Partikel, das Polymer und das Lösungsmittel mit dem Ziel gewählt worden sind, eine dauerhafte Assoziation des Polymers auf der Oberfläche der Partikel effektiv zu vermeiden, aufgrund des dynamischen Gleichgewichts nicht auszuschließen ist, dass sich bei einer Momentaufnahme vereinzelt Polymermoleküle auf der Oberfläche der Partikel befinden. Der demgegenüber von der Klägerin erhobene Einwand, mit der Einschränkung eines "im Wesentlichen nicht-absorbierenden" Polymers könne auch der Umstand angesprochen sein, dass nur ein geringer Teil der Polymerkette in Kontakt mit der Partikeloberfläche sei, weil diese im Wesentlichen aus (mit den Partikeln nicht in Kontakt stehenden) "tails" und "loops" bestehe und nur aus wenigen (mit den Partikeln in Kontakt stehenden) "train"-Bereichen, überzeugt nicht. Mit der Lehre des Streitpatents soll ein Zusammenwirken des Polymers mit chemischen Bestandteilen der Partikel oder eine physikalische Adsorption des Polymers an der Oberfläche der Partikel möglichst vermieden werden (vgl. Abs. 51). Damit stünde es nicht in Einklang, Polymerketten nicht auszuschließen, wenn sie nur in wenigen "train"-Bereichen auf der Partikeloberfläche adsorbiert sind.
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- II. Das Patentgericht hat, soweit für die Berufungsentscheidung relevant , zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
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- Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei nicht patentfähig, weil er dem Fachmann aus dem Stand der Technik nahegelegt worden sei. Aus der internationalen Anmeldung WO 98/03896 (NK7) sei eine elekt18 rophoretische Anzeige entsprechend den Merkmalen 1 bis 4 bekannt. Die Entgegenhaltung erwähne auch, dass die Partikel zur Verbesserung der Bistabilität - außer beim Anlegen eines elektrischen Feldes - relativ unbeweglich sein sollten , gebe aber nicht an, wie dies erreicht werden solle. Es fehle zudem an Angaben über das Molekulargewicht des Polymers und ob dieses an der Oberfläche adsorbiert werde oder nicht.
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- Zur Verwirklichung der Vorgabe aus der NK7, ein Polymer zur Verbesserung der Bistabilität hinzuzugeben, habe der Fachmann auf sein Fachwissen zurückgegriffen. Welchen Einfluss Polymere auf kleine Partikel in einer Suspension haben könnten, werde in Tabelle 1.4 des Lehrbuchs von D.H. Napper (Polymeric Stabilization of Colloidal Dispersions, Academic Press Inc. London 1983, NK20, S. 17) gezeigt. Ausgehend von dem in den Figuren 3C und 3D der NK7 gezeigten Beispiels sei es naheliegend, eine Stabilisierungsmethode zu verwenden, bei der das Polymer nicht an die Partikel anhafte, da deren Ober- fläche bereits mit anderen Molekülen besetzt sei, nämlich den Farbstoffen. Es kämen somit in einer Auswahl die Effekte der Verarmungsstabilisierung (depletion stabilisation) und der Flockenbildung durch Verarmung (depletion flocculation ) in Frage.
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- In den weiteren Kapiteln des Lehrbuchs (NK20a, NK20b und NK20c) würden die Effekte der freien Polymere auf die Suspension näher ausgeführt. Dabei werde im Kapitel 17 auch der Einfluss des Molekulargewichts auf die Verarmungsstabilisierung untersucht und ein Zusammenhang zur benötigten Polymerkonzentration hergestellt. In Tabelle 17.1 werde gezeigt, dass bei einem höheren Molekulargewicht derselbe Effekt mit einer geringeren Konzentration eintrete. Da der Fachmann daran interessiert sei, die Zusatzstoffe in ihrer Konzentration so gering wie möglich zu halten, weil dies auch die Viskosität in geringerem Maße beeinflusse, liege es nahe, aus der Tabelle mit Molekulargewichten von 4.000 bis 300.000 ein Polymer mit einem hohen zahlenmäßig durchschnittlichen Molekulargewicht zu wählen, also insbesondere einem Wert von über 20.000. Das gelte auch für die bei elektrophoretischen Anzeigen üblicherweise vorhandenen nichtwässrigen Suspensionen, wie Absatz 17.2.2 erkennen lasse, wo beispielsweise ein Polymer mit einem Molekulargewicht von 2x106 eingesetzt worden sei.
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- Auch in einem von R.A. Williams vorveröffentlichten Fachbuch (Colloid and Surface Engineering: Applications in the Process Industries, ButtenworthHeinemann Ltd., Oxford, 1992, NK8, S. 124 f.) sei beschrieben, wie das Problem der Sedimentation auf Grund unterschiedlicher Dichten vermieden werden könne. Darunter seien als Lösung auch Polymere im Dispergiermittel genannt. Der Fachmann werde diese Polymere mit den in der NK7 erwähnten gleichsetzen , wenngleich es in der NK8 um wasserbasierte Suspensionen gehe. Die in der NK8 beschriebenen Polymere hätten ein Molekulargewicht von 1 bis 5x105 und damit deutlich über 20.000. In der NK8 werde als ein Mechanismus des Wirkens der Polymere die "depletion flocculation" dargestellt, die darauf beruhe, dass die Polymere, wie etwa Zelluloseether, nicht auf den Partikeln adsorbierten.
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- III. Das Urteil des Patentgerichts hält den Angriffen der Berufung der Beklagten nicht stand. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 wurde dem Fachmann durch die NK7, das Lehrbuch von D.H. Napper (NK20 bis NK20c) und das Fachbuch von R.A. Williams (NK8 und NK8a) nicht nahegelegt.
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- 1. Suchte der Fachmann zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents, die Bistabilität bei einer elektrophoretischen Anzeige zu verbessern, ohne gleichzeitig den Energieverbrauch oder die Schaltzeit der Anzeige zu erhöhen, war allerdings auch die NK7 für ihn von Interesse.
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- Die Entgegenhaltung befasst sich in einer Ausführungsform mit einem mikroverkapselten Tintensystem, das durch ein elektrisches Feld betätigt wird, das zur Adressierung durch untere und gegebenenfalls auch obere Elektroden geeignet ist und das mittels zweifarbiger, zweipoliger Mikrokügelchen, einem elektrophoretischen Färbungssystem, flüssigem Kristall, einem elektrolumineszenten Färbungssystem oder dielektrophoretischem Effekt arbeitet (NK7, S. 2, Z. 22 ff.; vgl. auch Ansprüche 1 ff., S. 23 ff.). Das mikroverkapselte Tintensystem wird dem Fachmann im Hinblick auf ein elektrophoretisches System anhand eines Ausführungsbeispiels in Figur 3B gezeigt, die nachfolgend wiedergegeben wird, und in der Beschreibung der NK7 näher erläutert. Danach kann eine Mikrokapsel 120 positiv geladene Partikel einer Farbe 210 und negativ geladene Partikel einer weiteren Farbe 220 aufweisen, so dass sich mit Anlegen eines elektrischen Feldes durch die Elektroden 100 und 110 eine der Farben in Abhängigkeit von der Polarität des Feldes an die Oberfläche bewegt und infolgedessen eine Farbänderung wahrgenommen wird (NK7, S. 9, Z. 22 ff.). Nicht offenbart ist jedoch, dass in dem Fluid des elektrophoretischen Mediums ein Polymer gelöst oder dispergiert ist.
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- 2. Bei dem in den Figuren 3C und 3D, die ebenfalls nachfolgend wiedergegeben werden, offenbarten Ausführungsbeispiel kann eine Mikrokapsel 120 u.a. einen Farbstoff einer gegebenen Chargenpolarität 230 und einen Farbstoff einer anderen Chargenpolarität 240 aufweisen. Unter Anwendung eines elektrischen Feldes wird die Farbstoffsubstanz 230 distal zu den reduzierten, oxidierten, Protonen donatierenden, Protonen absorbierenden oder lösenden Mitteln 240 gehalten. Wird das elektrische Feld aufgehoben, können sich die Farbstoffsubstanzen verbinden, um einen Komplex 245 eines zweiten Farbzustandes 245 zu bilden, wie er in Figur 3D dargestellt ist (NK7, S. 10, Z. 7 ff.).
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- Dieses Ausführungsbeispiel ist keine elektrophoretische Anzeige im Sinne des Streitpatents. Zwar bewegen sich die Farbstoffsubstanz 230 und ihr Reaktionspartner 240 bei Anlegen des elektrischen Feldes auseinander, um von dem in Figur 3D gezeigten Anzeigezustand zu dem in Figur 3C gezeigten Anzeigezustand zu wechseln. Das elektrische Feld muss jedoch auch nach Erreichen des in Figur 3C gezeigten Anzeigezustands weiterhin solange anliegen, wie dieser Anzeigezustand aufrechterhalten bleiben soll. Erst wenn der in Figur 3C gezeigte Anzeigezustand wieder in den in Figur 3D gezeigten Anzeigezustand geändert werden soll, wird das elektrische Feld ausgeschaltet, so dass sich die Farbstoffsubstanz 230 und ihr Reaktionspartner 240 wieder verbinden können, um den Komplex 245 und damit den zweiten Farbzustand zu bilden. Anders als bei der erfindungsgemäßen elektrophoretischen Anzeige wird das elektrische Feld also nicht allein zur Herbeiführung eines anderen Bildzustandes angelegt, sondern dient das Anlegen des elektrischen Feldes der Herbeiführung und der Aufrechterhaltung eines von zwei Bildzuständen, indem das An- und Ablegen des elektrischen Feldes jeweils eine chemische Reaktion herbeiführt , die zu einer Farbänderung der Substanz und damit zu einem anderen Bildzustand führt.
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- 3. Hinsichtlich des in den Figuren 3C und 3D gezeigten Ausführungsbeispiels wird in der Beschreibung der NK7 weiterhin in einem Satz ausgeführt, dass ein zusätzliches Gel oder Polymermaterial dem Inhalt der Mikrokapsel zu- gesetzt werden könne, um eine Bistabilität des Systems zu erreichen, so dass die Bestandteile relativ unbeweglich seien, es sei denn, es werde ein elektrisches Feld angelegt (NK7, S. 10, Z. 22 ff.: "An additional gel or polymer materi- al may be added to the contents of said microcapsule in order to effect a bistability of the system such that said constituents are relatively immobile accept on application of an electric field"; gemeint ist aber hinsichtlich des letzten Halbsat- zes offensichtlich: "… except on application of an electric field.").
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- Nach Ansicht der Beklagten bezieht sich dieser Satz auf den in Figur 3D gezeigten und in der Beschreibung zuvor erläuterten Bildzustand nach Abschaltung des elektrischen Feldes, dessen Stabilität durch die Zugabe von Gel oder Polymaterial verbessert werden solle. Gegen ein solches Verständnis spricht jedoch der Begriff "einer Bistabilität des Systems", wenngleich dieser durch die Verwendung des unbestimmten Artikels "ein" eine sprachliche Relativierung erfährt. Mit "Bistabilität" ist nach allgemeiner Definition die Eigenschaft eines Systems gemeint, zwei mögliche stabile Zustände einzunehmen, wobei der Wechsel von einem zum anderen Zustand durch einen äußeren Impuls bewirkt wird (vgl. etwa auch Streitpatentschrift, Abs. 2). Zudem soll "eine Bistabilität des Systems" durch das Zusetzen eines Gels oder Polymermaterials "erreicht" werden. Beides ist mit der Beschreibung des dem genannten Satz vorangehenden Ausführungsbeispiels (NK7, S. 10, Z. 22 ff.) nicht vereinbar, wonach der in Figur 3C gezeigte Bildzustand durch Anwendung des elektrischen Feldes erreicht und aufrechterhalten wird und der in Figur 3D gezeigte Bildzustand erreicht und aufrechterhalten wird, nachdem das elektrische Feld abgestellt worden ist (NK7, S. 10, Z. 7 ff.). Aus Sicht des Fachmanns spricht daher viel dafür, dass mit dem genannten Satz (S. 7, Z. 22 ff.) ein elektrophoretisches System angedeutet wird, bei dem der Wechsel zwischen den in den Figuren 3C und 3D gezeigten Bildzuständen durch Anlegen eines elektrischen Feldes und die Stabilität des Bildzustands zwischen den Wechseln - "eine Bistabilität des Systems" - durch die Zugabe von Gel oder Polymermaterial "erreicht" werden soll.
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- Ein solches Verständnis steht in Einklang mit den Ansprüchen 22 und 23 der NK7. Anspruch 22 beschreibt eine elektronische Anzeige, bei der die Anzeigeelemente - insoweit entsprechend der Beschreibung des in Figur 3C und 3D gezeigten Ausführungsbeispiels (vgl. NK7, S. 9, Z. 31 ff.) - einen Farbstoff, der mit einem Kopf einer Charge assoziiert ist, und ein reduzierendes, oxidierendes oder lösendes Mittel, das mit einem Kopf einer entgegengesetzten Charge assoziiert ist, umfassen. Beide (Farbstoff und Mittel) können dazu veranlasst werden, einen ersten Farbzustand infolge der Anwendung eines elektrischen Feldes einer ersten Art und einen zweiten Farbzustand infolge der Anwendung eines zweiten (elektrischen) Feldes zu bewirken (NK7, S. 25, Z. 25 ff.). Anspruch 23, der sich auf Anspruch 22 rückbezieht, sieht darüber hinaus in einer von zwei Alternativen das Vorhandensein "eines bistabilen Moleküls" vor (NK7, S. 26, Z. 8 ff.).
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- 4. Wird vor diesem Hintergrund davon ausgegangen, dass in dem genannten Satz der NK7 eine elektrophoretische Anzeige mit Bistabilität angedeutet wird, kann dem Patentgericht dennoch nicht in der Annahme beigetreten werden, dass es für den Fachmann nahelag, ein Polymer in dem Fluid zu lösen oder zu dispergieren, das im erfindungsgemäßen Sinne "im Wesentlichen nichtabsorbierend" auf den Partikeln ist.
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- Entgegen den Ausführungen des Patentgerichts sieht sich der Fachmann - ausgehend von dem in den Figuren 3C und 3D gezeigten Ausführungsbeispiel und dem genannten Satz der NK7 - nicht vor die Aufgabe gestellt, die Bistabilität durch Zugabe eines Polymers "zu verbessern". Vielmehr geht es der NK7 an dieser Stelle darum, Gel oder Polymermaterial der Mikrokapsel zuzusetzen, um eine Bistabilität des Systems "zu erreichen". Dieser Ansatz erklärt sich vor dem Hintergrund, dass die Stabilität der beiden Bildzustände im Ausgangsbeispiel der Figuren 3C und 3D durch Anwendung des elektrischen Feldes (in Figur 3C gezeigter Bildzustand) bzw. Abschalten des elektrischen Feldes und dadurch mögliche Bildung der Komplexe 245 (in Figur 3D gezeigter Bildzustand) erreicht wird (NK7, S. 10, Z. 7 ff.). In dem im letzten Satz genannten abgewandelten Beispiel der Figuren 3C und 3D dient das elektrische Feld (nach obigem Verständnis ) hingegen der Herbeiführung der Wechsel von einem zum anderen Bildzustand und soll die Bistabilität der jeweiligen Bildzustände bzw. die relative Unbeweglichkeit der Bestandteile durch die Zugabe von Gel oder Polymermaterial erreicht werden.
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- Bei diesem Ausgangspunkt hatte der Fachmann keine Veranlassung, sich allgemein mit Stabilisierungsmethoden anhand von Fach- und Lehrbüchern zu befassen, um die Stabilisierungsmethode herauszufinden,mit der sich "eine Verbesserung" der Bistabilität einer elektrophoretischen Anzeige erreichen lässt, wie sie etwa in der Streitpatentschrift angesichts des Dilemmas diskutiert wird, dass die Sedimentierung der Partikel unter Schwerkraft zwar durch eine Erhöhung der Viskosität verbessert werden kann, diese jedoch mit einer Verlängerung der Zeiten einhergeht, die die Partikel benötigen, um sich bei einem Anzeigenwechsel durch das flüssige Medium zu bewegen (vgl. Streitpatentschrift , Abs. 7). Vielmehr ging sein Augenmerk auf Grundlage des im genannten Satz abgewandelten Ausführungsbeispiels der Figuren 3C und 3D der NK7 dahin herauszufinden, wie Bistabilität bei einer elektrophoretischen Anlage überhaupt erreicht werden kann.
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- Insoweit lehrte ihn beispielsweise die US-amerikanische Patentschrift 6 113 810 (NK2), dem Medium einer elektrophoretischen Anzeige zur Herstellung einer thermodynamischen und stabilen Dispersion mit positiv und negativ geladenen Partikeln eine Mischung aus Ladungssteuerungsmitteln und sterischen - mithin nicht an der Oberfläche der Partikel haftenden (vgl. etwa NK20, S. 13 f.) - Stabilisatoren zuzugeben (NK2, Sp. 6, Z. 61 ff.). Der US-amerikanischen Patentschrift 5 914 806 (NK1) entnahm er insoweit, dass bei einer elektrophoretischen Anzeige die Pigmentpartikel durch in Suspendierungsfluid gelöste oder dispergierte Polymere stabilisiert werden können (NK1, Sp. 4, Z. 37 f.). Hingegen zeigt die Klägerin nicht auf und es ist auch sonst nicht ersichtlich , dass sich aus dem Stand der Technik eine auf die Herstellung von Bistabilität bei elektrophoretischen Anzeigen bezogene Anregung zur Verwendung eines Polymers ergab, das im oben erläuterten Sinne der Erfindung "im Wesentlichen nicht-absorbierend auf den Partikeln" ist.
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- Entnahm der Fachmann dem Stand der Technik, wie etwa der NK2 oder der NK1, die Anregung, bei elektrophoretischen Anzeigen als Polymermaterial zur Erreichung einer Bistabilität bzw. einer relativen Unbeweglichkeit der Bestandteile , wenn kein elektrisches Feld angelegt wird, ein auf der Oberfläche der Partikel adsorbierendes oder chemisch bindendes Polymer zu verwenden, hatte er auch keinen Anlass mehr, sich mit Stabilisierungsmechanismen anhand von allgemeiner Fachliteratur zur polymerischen Stabilisierung von kolloidalen Dispersionen wie dem Lehrbuch von D.H. Napper (NK20 bis NK20c) oder dem Fachbuch von R.A. Williams (NK8 und NK8a) zu befassen, in denen neben der sterischen Stabilisierung allgemein auch die Verarmungsstabilisierung (depletion stabilisation) und die Flockenbildung durch Verarmung (depletion flocculation) aufgeführt und erläutert werden.
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- IV. Das Urteil des Patentgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar.
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- 1. a) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist gegenüber den weiterhin von der Klägerin entgegengehaltenen Druckschriften neu.
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- (1) Wie bereits das Patentgericht in seinem Hinweis vom 7. Mai 2015 zutreffend ausgeführt hat und worauf wegen der Einzelheiten verwiesen wird, offenbart die NK1 eine elektrophoretische Anzeige nach Maßgabe der Merkmale 1 bis 4 des Patentanspruchs 1. Die Pigmentpartikel werden durch in dem Suspendierungsfluid gelöste oder dispergierte Polymere stabilisiert (NK1, Sp. 4, Z. 37 f.), indem die Partikel kovalent an der Oberfläche der Partikel gebunden sind (NK1, Sp. 1, Z. 54 ff.). Zur Ausbildung der kovalenten chemischen Bindungen verfügen die Polymere und die Partikel über komplementäre chemische Funktionalitäten (NK1, Sp. 3, Z. 12 ff.). Da nach den obigen Erläuterungen Polymere , die kovalente chemische Bindungen mit den Partikeln bilden, wenn es sich dabei nicht nur um vereinzelte Polymermoleküle handelt, nach Merkmal 5c ausgeschlossen sind, fehlt es an einer Offenbarung der Lehre aus Patentanspruch
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- (2) Nichts anderes gilt im Ergebnis hinsichtlich der NK2. Auch diese Entgegenhaltung offenbart eine elektrophoretische Anzeige entsprechend den Merkmalen 1 bis 4. Unter anderem wird der Einsatz von Mischungen aus Ladungssteuerungsmitteln und sterischen Stabilisatoren zur Herstellung einer thermodynamischen und stabilen Dispersion mit positiv und negativ geladenen Partikeln vorgeschlagen (NK2, Sp. 6, Z. 61 ff.). Die Verwendung von Ladungssteuerungsmitteln , die nach den Angaben der Streitpatentschrift von den elektrophoretischen Partikeln "absorbiert" werden müssen, um ihre Funktion der Steuerung der Ladung der Partikel zu ermöglichen (Streitpatentschrift, Abs. 29), lässt - entgegen der Ansicht der Klägerin - nicht darauf schließen, dass die nach der NK2 ebenfalls einzusetzenden Stabilisatoren nicht an den Partikeln absorbieren. Dagegen spricht bereits, dass diese Stabilisatoren in der NK2 als "sterische" Stabilisatoren bezeichnet werden, womit aus Sicht des Fachmanns gemeint ist, dass eine Koagulation der Partikel durch mit diesen verbundene oder adsorbierte Makromoleküle vermieden wird (vgl. NK20, S. 13 f.; Piirma, "Polymeric Surfactants", Marcel Dekker Inc., New York 1992, S. 1 ff.; NK 11a, S. 4 f.).
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- (3) Auch in der US-amerikanischen Patentschrift 6 117 368 (NK3) und 5 360 689 (NK4) ist jedenfalls das Merkmal 5c nicht unmittelbar und eindeutig offenbart, wobei zur Begründung auf die Ausführungen des Patentgerichts im Hinweis vom 7. Mai 2015 verwiesen werden kann, denen die Klägerin nicht mehr in erheblicher Weise entgegengetreten ist.
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- b) Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Klägerin hat nicht aufgezeigt und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass sich dieser für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem zu 1. erörterten Stand der Technik ergeben hat.
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- 2. Die Erfindung nach Patentanspruch 1 wird durch das Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen konnte.
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- a) Das Patentgericht hat hierzu ausgeführt:
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- Der Fachmann wisse, dass die Adsorptionsneigung eines einzelnen Mo- leküls von der Energiebilanz, genauer der Bilanz der Gibbs’schen freien Enthal- pie, abhänge, was im Hinblick auf die erfindungsgemäße Lehre bedeute, dass neben den Molekülen, den Partikeln und der Temperatur auch das Lösungsmittel zu berücksichtigen sei. Bei der Adsorption handele es sich um einen dynamischen Prozess, was in Merkmal 5b durch das Attribut "im Wesentlichen" zum Ausdruck komme. Entsprechend werde der Fachmann die Partikel, das Polymer , das Lösungsmittel und die Temperatur so wählen, dass kein dauerhaftes Anhaften des Polymers auf der Oberfläche der Partikel erfolge, was aber aufgrund des dynamischen Gleichgewichts nicht ausschließe, dass einzelne Polymermoleküle auf der Oberfläche zu finden seien. Das Streitpatent gebe im Übrigen klare Anweisungen, welche Partikel zu verwenden seien, indem in den Ausführungsbeispielen Möglichkeiten für die Wahl der Partikel, des Lösungsbzw. Dispersionsmittels und des Polymers aufgezeigt würden. Etwa würden als Beispiele für die Partikel polymerbeschichtetes Titanoxid und polymerbeschichteter Ruß angegeben. Damit sei die Lehre hinreichend deutlich offenbart.
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- b) Die die Bejahung der Ausführbarkeit tragenden Feststellungen des Patentgerichts werden mit der Berufung der Klägerin nicht in einer Weise angegriffen , die konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit ergäbe (§ 117 Satz 1 PatG i.V.m. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Nach den Feststellungen des Patentgerichts ist die Adsorption ein dynamischer Prozess und findet im "im Wesentlichen" dann nicht statt, wenn es für das Molekül aus energetischen Gründen günstiger ist, in Lösung zu verbleiben statt sich an der Oberfläche des Partikels anzulagern, wobei als Einflussfaktoren neben den Molekülen, den Partikeln und der Temperatur auch das Lösungsmittel zu berücksichtigen ist (vgl. auch Gutachten Prof. H. , NK22 Rn. 35 ff.).
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- Die Klägerin hält die Lehre aus Patentanspruch 1 für nicht ausführbar, weil der Fachmann keine Messmethode kenne, mit der festgestellt werden könne , ob eine Adsorption stattfinde oder nicht. Zudem sei die Lehre durch den Begriff des "im Wesentlichen" Nicht-Adsorbierens in einem Maße unscharf, dass der Fachmann nicht wisse könne, ob Merkmal 5c erfüllt sei oder nicht. Darin kann ihr nicht beigetreten werden.
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- In der Streitpatentschrift wird dem Fachmann offenbart, wie er zur Ausführung der erfindungsgemäßen Lehre geeignete Polymere auswählen und mit Lösungsmittel kombinieren sowie die weiteren Einflussfaktoren bestimmen kann, um eine Adsorption des Polymers auf den Partikeln zu verhindern. Etwa wird ihm als Verfahren zur Wahl einer geeigneten Polymer/Fluid-Kombination vorgeschlagen, die intrinsische Viskosität der Kombination gegen das Molekulargewicht des Polymers aufzutragen, wobei solche Kombinationen geeignet seien, in denen der Anstieg des besten linearen Ausgleichs des Logarithmus der intrinsischen Viskosität gegen den Logarithmus des Molekulargewichts mindestens 0,5 beträgt, vorzugsweise aber im Bereich von etwa 0,55 bis etwa 0,8 liegen solle (Streitpatentschrift, Abs. 30). Als typisches Suspendierungsfluid wird ein aliphatischer Kohlenwasserstoff allein oder zusammen mit halogenisiertem Kohlenwasserstoff genannt und als ein in Kombination damit zweckmäßiges Polymer ein Kohlenwasserstoff-Polymer, das im Wesentlichen frei von funktionellen Gruppen, zum Beispiel ionisierbaren oder ionischen Bestandteilen, sei, die bewirken könnten, dass das Polymer mit chemischen Bestandteilen der elektrophoretischen Partikel zusammenwirke oder physikalisch nach der Oberfläche der elektrophoretischen Partikel adsorbiere. Als Beispiel für ein solches Polymer wird Polyisobutylen genannt (Streitpatentschrift, Abs. 31). Um sicherzustellen , dass das Polymer nicht im Wesentlichen von den elektrophoretischen Partikeln absorbiert werde, sei es überdies erwünscht, ein Polymer zu wählen, das chemisch höher als das Suspendierungsfluid und entsprechend leicht in diesem löslich sei (Streitpatentschrift, Abs. 30).
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- Dem Fachmann werden im Übrigen, wie das Patentgericht bereits erläutert hat, Ausführungsbeispiele an die Hand gegeben, die konkrete Vorschläge für die Ausführung der Partikel, des Lösungs- bzw. Dispersionsmittels und des Polymers, etwa das Ausführungsbeispiel "Preparation of Medium A Internal Phase" (Streitpatentschrift, Abs. 39). Soweit die Klägerin demgegenüber einwendet , es gebe keinen Beleg dafür, dass die Ausführungsbeispiele erfindungsgemäß seien, übersieht sie, dass nicht der Beklagten, sondern ihr als Nichtigkeitsklägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt, dass es dem Fachmann auch nach Kenntnisnahme der Angaben in der Beschreibung und den Zeichnungen der Patentschrift nicht möglich ist, die beanspruchte Lehre unter Einsatz seines Fachwissens ohne unzumutbare Schwierigkeiten auszuführen (BGH, Urteil vom 11. Mai 2010 - X ZR 51/06, GRUR 2010, 901 Rn. 31 - Polymerisierbare Zementmischung). Das ist dem Vorbringen der Klägerin jedoch nicht zu entnehmen. Vielmehr bezeichnet es der Sachverständige der Klägerin zwar als schwierig, ohne experimentellen Beweis oder detaillierte experimentelle Erfahrung mit ähnlichen Substanzen eine a priori Abgrenzung darüber vorzunehmen, ob ein Polymer adsorbierend oder nicht-adsorbierend sei (Gutachten Prof. H. , NK22 Rn. 37). Daraus ergibt sich aber zugleich, dass es nach sachverständiger Einschätzung für den Fachmann, der über mehrjährige Berufserfahrung auf dem Gebiet der elektrophoretischen Anzeigen verfügte, im Hinblick auf den Gegenstand von Patentanspruch 1 und gegebenenfalls nach Durchführung von Experimenten durchaus möglich war, festzustellen, ob ein Polymer adsorbierend oder nicht-adsorbierend ist.
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- Es mag sein, dass angesichts des Umstandes, dass es sich bei der Adsorption um einen von der Energiebilanz abhängenden dynamischen Prozess handelt, mit dem Begriff des auf den Partikeln "im Wesentlichen" nicht adsorbierenden Polymers nicht numerisch festgelegt ist, mit welchem Anteil die Adsorptionsplätze auf den Partikeln noch besetzt sein dürfen. Die Ausführbarkeit der Erfindung ist dadurch aber nicht in Frage gestellt, weil infolge dieser Einschränkung lediglich nicht ausgeschlossen ist, dass bei einer Momentaufnahme einzelne Polymermoleküle auf der Oberfläche der Partikel adsorbiert sind.
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- Schließlich greift auch der Einwand der Klägerin, der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei im Hinblick auf die Temperaturabhängigkeit der Adsorption des Polymers auf den Partikeln nicht über die gesamte Breite ausführbar, nicht durch. Zutreffend ist zwar, dass das Adsorptionsverhalten des Polymers neben anderen Faktoren auch durch die Temperatur beeinflusst wird. Entsprechend wird der Fachmann sich bei der Wahl des Fluids für ein bestimmtes Polymer auch an dem Temperaturbereich ausrichten, der für den Einsatzbereich der elektrophoretischen Anzeige relevant ist, wie auch bereits das Patentgericht ausgeführt hat. Dass dies für den Fachmann aufgrund der Angaben in der Streitpatentschrift nicht möglich ist, wird von der insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin nicht aufgezeigt. Vielmehr führt ihr Sachverständiger aus, dass sich die Eigenschaft des Lösungsmittels und damit das Adsorptionsverhalten der Polymere zwar im Bereich extremer Temperaturen von gut zu schlecht verändern könne, dass die Polymere in Theta-Lösungsmittel bei Raumtemperaturen aber idealerweise ein mäßig gutes bis gutes Lösungsmittelverhalten aufweisen sollten (Gutachten Prof. H. , NK22 Rn. 40 ff.).
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- Schließlich lässt sich die von der Klägerin geltend gemachte nicht hinreichend offenbarte Ausführbarkeit auch nicht daraus ableiten, dass der in dem vor dem Landgericht Mannheim zwischen den Parteien anhängigen Verletzungsverfahren bestellte Sachverständige auf Schwierigkeiten beim experimentellen Nachweis der chemischen Komponenten in den Mikrokapseln der als pa- tentverletzend beanstandeten Ausführungsform hingewiesen hat, da es sich insoweit um unterschiedliche Fragestellungen handelt, wie auch von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr in Frage gestellt worden ist.
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- V. Ist die Klage auf die Berufung der Beklagten abzuweisen, kann auch die Berufung der Klägerin keinen Erfolg haben.
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- VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
Deichfuß Kober-Dehm
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 24.09.2015 - 2 Ni 48/13 (EP) -
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Auf den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts, die verspätet vorgebrachten, die zurückgewiesenen und die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sind die §§ 529, 530 und 531 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Dabei tritt an die Stelle des § 520 der Zivilprozessordnung der § 112.
(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:
- 1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten; - 2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.
(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.
(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.
(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.
(1) Wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Sind die Kosten gegeneinander aufgehoben, so fallen die Gerichtskosten jeder Partei zur Hälfte zur Last.
(2) Das Gericht kann der einen Partei die gesamten Prozesskosten auferlegen, wenn
- 1.
die Zuvielforderung der anderen Partei verhältnismäßig geringfügig war und keine oder nur geringfügig höhere Kosten veranlasst hat oder - 2.
der Betrag der Forderung der anderen Partei von der Festsetzung durch richterliches Ermessen, von der Ermittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Berechnung abhängig war.