Bundesgerichtshof Urteil, 09. Dez. 2008 - X ZR 124/05

bei uns veröffentlicht am09.12.2008
vorgehend
Bundespatentgericht, 1 Ni 7/04, 19.04.2005

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 124/05 Verkündet am:
9. Dezember 2008
Potsch
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Lagerregal
Allein aus dem Fehlen eines Merkmals in einer Zeichnung einer Patentschrift kann
nicht geschlossen werden, dass es zur patentgemäßen Lehre gehört, dass dieses
Merkmal nicht vorhanden ist.
BGH, Urt. v. 9. Dezember 2008 - X ZR 124/05 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Dezember 2008 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis,
den Richter Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Asendorf
und Gröning

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 19. April 2005 verkündete Urteil des 1. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Beklagte ist Inhaber des unter anderem mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 588 394 (Streitpatents), das am 27. Juli 1993 unter Inanspruchnahme der Priorität der italienischen Patentanmeldung IT VI 920 135 vom 18. September 1992 angemeldet worden ist. Das Streitpatent betrifft ein Lagerregal mit beweglichen Gestellen und umfasst sechs Patentansprüche. Das Streitpatent ist im Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt mit geänderten Patentansprüchen aufrechterhalten worden.
2
In der Verfahrenssprache Französisch lautet Patentanspruch 1: "1. Magasin pour le stockage de plaques planes en verre, du type comprenant une série de châssis (1) inclinés, mobiles par rapport à un bâti-support (2), qui sont agencés pour permettre l'appui des plaques en verre à stocker, dans lequel les châssis (1) disposés inclinés tous dans le même sens sont montés sur des chariots (3) du type monobloc, les chariots (3) comprennent des galets roulants (4) qui portent les châssis (1) et par lesquels les châssis (1) sont mobiles transversalement, c'est-à-dire perpendiculairement à leur plan, sur le bâti-support (2) aussi du type monobloc, pour permettre l'extraction des plaques en verre contenues dans chaque châssis (1) en éloignant ledit châssis (1) par rapport aux suivants, le bâti-support (2) comprend deux supports en double T parallèles l'un à l'autre à chacun desquels sont associés deux galets roulants (4), agencés l'un derrière l'autre en direction de déplacement, de l'un des charios (3), chacun des supports en double T étant agencés de telle sorte que des traverses du support en double T parallèles les unex aux autres s'étendent dans l'horizontale, et dans lequel
i) soit il est prévu deux axes respectifs (16) associés aux deux galets roulants (4) sur le chariot (3) pour chaque support en double T, axes qui sont agencés de façon excentrique par rapport aux galets roulants (4) et sur lesquels est monté un tambour tournant respectif, l'un des tambours tournants étant agencé à l'extrémité antérieure en direction de déplacement et l'autre tambour tournant étant agencé à l'extrémité postérieure en direction de déplacement du chariot (3), et la traverse supérieure du support en double T associé se situant immédiatement au-dessus des tambours tournants; ii) soit les deux galets roulants (4) sont agencés entre les traverses parallèles les unes aux autres du support en double T associé, et la traverse supérieure du support en double T associé se situe immédiatement au-dessus des deux galets roulants (4)."
3
Wegen der übrigen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.
4
Die Klägerin hat mit ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Alternative i des Patentanspruchs 1 sei durch die japanische Patentveröffentlichung JP Hei 5-699 68 A vorweggenommen. Die Alternative ii des Patentanspruchs 1 beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
5
Sie hat beantragt, das Streitpatent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
6
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, Patentanspruch 1 des Streitpatents in der Fassung zweier Hilfsanträge aufrechtzuerhalten.
7
Dem ist die Klägerin entgegengetreten.
8
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent teilweise dadurch für nichtig erklärt, dass im Patentanspruch 1 die Alternative i gestrichen worden ist und sich die Patentansprüche 2 bis 6 auf den so geänderten Wortlaut des Patentanspruchs 1 rückbeziehen.
9
Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, mit der dieser in erster Linie die vollständige Abweisung der Nichtigkeitsklage beantragt. Hilfsweise beantragt er, das Streitpatent nur insoweit für nichtig zu erklären, als Patentanspruch 1 über die folgende Fassung hinausgeht, an die sich die erteilten weiteren Patentansprüche anschließen sollen.
Hilfsantrag 1
"Lagerregal für die Lagerung von flachen Scheiben aus Glas des Typs, der eine Reihe von geneigten Gestellen (1) enthält, die in Bezug auf einen Tragrahmen (2) beweglich sind, und die so angeordnet sind, dass sie das Abstützen der zu lagernden Glasscheiben gestatten, wobei die Gestelle (1), die alle in gleicher Richtung geneigt angeordnet sind, auf Einblock-Fahrgestellen (3) montiert sind, wobei die Fahrgestelle (3) Laufrollen (4) aufweisen, welche die Gestelle (1) tragen und durch welche die Gestelle (1) quer, d.h. senkrecht zu
ihrer Lagerebene, auf dem ebenfalls in einem Block ausgebildeten Tragrahmen (2) verfahrbar sind, um das Herausnehmen der in jedem Gestell (1) enthaltenen Glasscheiben durch Verschieben eines Gestells (1) relativ zu dem jeweils nächstfolgenden zu gestatten, wobei die ebene Lagerfläche der Gestelle (1) durch einen Verbund von in einer Ebene angeordneten Längs- und Querstreben gebildet ist, der ohne auf der Rückseite der Lagerfläche vorgesehene Stützen stehend mit dem Fahrgestell verbunden ist, wobei der Tragrahmen (2) zwei sich parallel zueinander erstreckende Doppel-T-Träger umfasst, denen jeweils zwei in Verfahrrichtung hintereinander angeordnete Laufrollen (4) eines der Fahrgestelle (3) zugeordnet sind, wobei jeder der Doppel-T-Träger derart angeordnet ist, dass parallel zueinander verlaufende Querstege des Doppel -T-Trägers sich in der Horizontalen erstrecken und wobei
i) entweder an dem Fahrgestell (3) zu jedem Doppel-T-Träger zwei den beiden Laufrollen (4) jeweils zugeordnete Achsen (16) vorgesehen sind, die exzentrisch zu den Laufrollen (4) angeordnet sind und auf denen jeweils eine Drehtrommel angeordnet ist, wobei eine der Drehtrommeln an dem in Verfahrrichtung vorderen und die andere Drehtrommel an dem in Verfahrrichtung hinteren Ende des Fahrgestells (3) angeordnet ist und wobei sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der Drehtrommel befindet; ii) oder die beiden Laufrollen (4) zwischen den sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen des zugeordneten Doppel-TTrägers angeordnet sind und sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen (4) befindet."
Hilfsantrag 2
"Lagerregal für die Lagerung von flachen Scheiben aus Glas des Typs, der eine Reihe von geneigten Gestellen (1) enthält, die in Bezug auf einen Tragrahmen (2) beweglich sind, und die so angeordnet sind, dass sie das Abstützen der zu lagernden Glasscheiben gestatten, wobei die Gestelle (1), die alle in gleicher Richtung geneigt angeordnet sind, auf Einblock-Fahrgestellen (3) montiert sind, derart, dass je ein Gestell (1) auf je einem Einblock-Fahrgestell (3) frei in geneigter Richtung von diesem abragend getragen ist, wobei die Fahrgestelle (3) Laufrollen (4) aufweisen, welche die Gestelle (1) tragen und durch welche die Gestelle (1) quer, d.h. senkrecht zu ihrer Lagerebene, auf dem ebenfalls in einem Block ausgebildeten Tragrahmen (2) verfahrbar sind, um das Herausnehmen der in jedem Gestell (1) enthaltenen Glasscheiben durch Verschieben eines Gestells (1) relativ zu dem jeweils Nächstfolgenden zu gestatten, wobei der Tragrahmen (2) zwei sich parallel zueinander erstreckende Doppel-T-Träger umfasst, denen jeweils zwei in Verfahrrichtung hintereinander angeordnete Laufrollen (4) eines der Fahrgestelle (3) zugeordnet sind, wobei jeder der Doppel-T-Träger derart angeordnet ist, dass parallel zueinander verlaufende Querstege des Doppel -T-Trägers sich in der Horizontalen erstrecken und wobei
i) entweder an dem Fahrgestell (3) zu jedem Doppel-T-Träger zwei den beiden Laufrollen (4) jeweils zugeordnete Achsen (16) vorgesehen sind, die exzentrisch zu den Laufrollen (4) angeordnet sind und auf denen jeweils eine Drehtrommel angeordnet ist, wobei eine der Drehtrommeln an dem in Verfahrrichtung vorde-
ren und die andere Drehtrommel an dem in Verfahrrichtung hinteren Ende des Fahrgestells (3) angeordnet ist und wobei sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der Drehtrommeln befindet; ii) oder die beiden Laufrollen (4) zwischen den sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen des zugeordneten Doppel-TTrägers angeordnet sind und sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen (4) befindet."
Hilfsantrag 3
"Lagerregal für die Lagerung von flachen Scheiben aus Glas des Typs, der eine Reihe von geneigten Gestellen (1) enthält, die in Bezug auf einen Tragrahmen (2) beweglich sind, und die so angeordnet sind, dass sie das Abstützen der zu lagernden Glasscheiben gestatten, wobei die Gestelle (1), die alle in gleicher Richtung geneigt angeordnet sind, auf Einblock-Fahrgestellen (3) montiert sind, derart, dass je ein Gestell (1) auf je einem Einblock-Fahrgestell (3) frei in geneigter Richtung von diesem abragend getragen ist, derart, dass die Gestelle (1) keine an der Rückseite ihrer Lagerfläche vorgesehene Stütze aufweisen und aus miteinander verbundenen Profilstäben bestehen, wobei die Fahrgestelle (3) Laufrollen (4) aufweisen, welche die Gestelle (1) tragen und durch welche die Gestelle (1) quer, d.h. senkrecht zu ihrer Lagerebene, auf dem ebenfalls in einem Block ausgebildeten Tragrahmen (2) verfahrbar sind, um das Herausnehmen der in je-
dem Gestell (1) enthaltenen Glasscheiben durch Verschieben eines Gestells (1) relativ zu dem jeweils Nächstfolgenden zu gestatten, wobei der Tragrahmen (2) zwei sich parallel zueinander erstreckende Doppel-T-Träger umfasst, denen jeweils zwei in Verfahrrichtung hintereinander angeordnete Laufrollen (4) eines der Fahrgestelle (3) zugeordnet sind, wobei jeder der Doppel-T-Träger derart angeordnet ist, dass parallel zueinander verlaufende Querstege des Doppel -T-Trägers sich in der Horizontalen erstrecken und wobei
i) entweder an dem Fahrgestell (3) zu jedem Doppel-T-Träger zwei den beiden Laufrollen (4) jeweils zugeordnete Achsen (16) vorgesehen sind, die exzentrisch zu den Laufrollen (4) angeordnet sind und auf denen jeweils eine Drehtrommel angeordnet ist, wobei eine der Drehtrommeln an dem in Verfahrrichtung vorderen und die andere Drehtrommel an dem in Verfahrrichtung hinteren Ende des Fahrgestells (3) angeordnet ist und wobei sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der Drehtrommeln befindet; ii) oder die beiden Laufrollen (4) zwischen den sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen des zugeordneten Doppel-TTrägers angeordnet sind und sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen (4) befindet."
10
Die Klägerin, die das Urteil des Bundespatentgerichts nicht angegriffen hat, tritt dem Rechtsmittel der Beklagten in vollem Umfang entgegen.
11
Als gerichtlicher Sachverständiger hat Prof. Dr.-Ing. B. K. , , ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


12
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
13
I. Das Streitpatent betrifft ein Regal mit beweglichen Gestellen. Es dient zum Lagern von flachen Gegenständen wie Scheiben aus Glas und weist geneigte bewegliche Gestelle zum Lagern dieser Gegenstände auf. Die Streitpatentschrift bezeichnet Regale als z.B. aus der IT A 213 199 bekannt, bei denen sämtliche Gestelle in gleicher Richtung geneigt sind, um Auflagenflächen für die Glasplatten zu schaffen und wobei die Gestelle in Bezug auf einen Tragrahmen verschiebbar sind. Die Streitpatentschrift sieht ebenfalls in dieser Weise geneigte Gestelle vor und bezeichnet es als Besonderheit des erfindungsgemäßen Lagerregals gegenüber den bekannten Lagerregalen, dass es mit einer Stützrahmenstruktur ausgerüstet sei, die den mobilen Grundgestellen eine Verschiebung senkrecht zu ihrer Ebene gestatte, um die Entnahme oder das Einsetzen zu lagernder Gegenstände aus den bzw. in die Gestelle zu ermöglichen (deutsche Übers. Rdn. 2). Das Lagerregal nach der Streitpatentschrift weist nach der Aufgliederung des Bundespatentgerichts folgende Merkmale auf: M1 Lagerregal für die Lagerung von flachen Scheiben aus Glas des Typs, der eine Reihe von geneigten Gestellen (1) enthält. M2 Die Gestelle (1) sind in Bezug auf einen Tragrahmen (2) beweglich. M3 Die Gestelle (1) sind so angeordnet, dass die das Abstützen der zu lagernden Glasscheiben gestatten. M4 Die Gestelle sind alle in gleicher Richtung geneigt angeordnet. M5 Die Gestelle sind auf Einblockfahrgestellen (3) montiert. M6 Die Einblockfahrgestelle weisen Laufrollen auf, die die Gestelle tragen. M7 Durch die Laufrollen sind die Gestelle auf dem Tragrahmen verfahrbar und zwar quer, d.h. senkrecht zur Lagerebene, um das Herausnehmen der in jedem Gestell enthaltenen Glasscheiben durch Verschieben eines Gestells relativ zum Nächsten zu gestatten. M8 Der Tragrahmen (2) ist ebenfalls in einem Block ausgebildet und umfasst zwei, sich parallel zueinander erstreckende Doppel -T-Träger. M9 Den Doppel-T-Trägern sind jeweils in Verfahrrichtung hintereinander angeordnete Laufrollen (4) eines der Fahrgestelle (3) zugeordnet. M10 Jeder der Doppel-T-Träger ist derart angeordnet, dass parallel zueinander verlaufende Querstege des Doppel-T-Trägers sich in der Horizontalen erstrecken. Und entweder: i) M11 An den Fahrgestellen (3) sind zu jedem Doppel-T-Träger zwei den beiden Laufrollen (4) jeweils zugeordnete Achsen (16) vorgesehen.
M12 Die Achsen (16) sind exzentrisch zu den Laufrollen (4) angeordnet. M13 Auf den Achsen (16) ist jeweils eine Drehtrommel angeordnet. M14 Eine der Drehtrommeln ist an dem in Verfahrrichtung vorderen Ende des Fahrgestells (3) angeordnet. M15 Die andere der Drehtrommeln ist an dem in Verfahrrichtung hinteren Ende des Fahrgestells (3) angeordnet. M16 Der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers befindet sich unmittelbar oberhalb der Drehtrommeln. oder: ii) M17 Die beiden Laufrollen (4) sind zwischen den sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen des zugeordneten Doppel -T-Trägers angeordnet. M18 Der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-T-Trägers befindet sich unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen (4).
14
Von den beiden Alternativen ist nach der rechtskräftigen Abweisung der Klage im Übrigen allein noch die durch die Merkmale M11 bis M16 bestimmte im Streit.
15
Die Lehre des Streitpatents besteht demnach darin, einerseits leicht angeschrägte Gestelle als Auflageflächen für die nahezu senkrecht stehenden Glasplatten zur Verfügung zu stellen und andererseits das Verschieben der Gestelle auch relativ zueinander zu ermöglichen, wobei verhindert wird, dass die Gestelle bei dieser Bewegung kippen.
16
Die Streitpatentschrift unterscheidet chariots (3), in der deutschen Übersetzung als Fahrgestell bezeichnet, und châssis (1), in der deutschen Übersetzung als Gestell bezeichnet. Nach Patentanspruch 1 sind die Gestelle auf "Einblock-Fahrgestellen" so montiert, dass sie auf einem Tragrahmen, der ebenfalls in einem Block ausgebildet ist, verfahrbar sind. Die Fahrgestelle weisen Laufrollen auf, die die Gestelle tragen und damit die Gewichtskräfte von Gestell und Glasscheibe aufnehmen. Ihrer Funktion nach sollen sie keine größeren Bewegungen auf dem Boden ausführen. Die Laufrollen sind so angeordnet , dass die Gestelle auf dem Tragrahmen senkrecht zu ihrer Lagerebene verfahrbar sind.
17
Über die Gestelle sagt die Streitpatentschrift aus, dass sie eine Fußplatte aufweisen, die von dem Fahrgestell getragen wird (deutsche Übers. Rdn. 23), und rigidifié (versteift) sind mit seitlichen Abdeckungen, die geöffnet werden können und als Sicherungsvorrichtung dienen (deutsche Übers. Rdn. 18).
18
Die Gestelle sind in gleicher Richtung geneigt angeordnet. Hierzu gibt die Streitpatentschrift an, dass damit geneigte Anlageflächen für die Glasplatten geschaffen werden sollen (deutsche Übers. Rdn. 1). Über die Ausgestaltung der Rückseite der Anlageflächen macht die Streitpatentschrift ebenso wenig Angaben wie über weitere mit der Schrägstellung der Gestelle möglicherweise anzustrebende oder einhergehende Vorteile, etwa eine platzsparende Anordnung der Gestelle.
19
Ebenso sagt die Streitpatentschrift nichts über das Vorhandensein oder das Fehlen einer Stütze an der Rückseite der Lagerfläche aus. Eine solche Stütze ist allerdings in der Figur 10 der Streitpatentschrift nicht vorhanden. Allein daraus, dass in der zeichnerischen Darstellung eine solche Stütze nicht zu erkennen ist, kann jedoch nicht auf das (negative) Merkmal geschlossen werden , dass sie bei dem patentgemäßen Gestell nicht vorhanden sein soll oder gar nicht vorhanden sein darf. Für ein derartiges Verständnis der streitpatentgemäßen Lehre wären jedenfalls weitere Anhaltspunkte erforderlich, die in diese Richtung weisen. Der gerichtliche Sachverständige hat dazu jedoch dargelegt , dass der Fachmann auch bei der Ausgestaltung der Lagerfläche gemäß der Lehre des Streitpatents im Gegenteil das Vorhandensein einer Stütze eher erwarte. Als ein solcher Fachmann ist ein Maschinenbauingenieur mit Fachhochschulbildung und mit Erfahrung in der Konstruktion von Vorrichtungen auf dem Gebiet der Lagertechnik anzusehen. Ohne dass die Streitpatentschrift ihm entsprechende Hinweise gibt, wird ein solcher Fachmann allein aus der Skizze nicht schließen, dass bei dem Lagerregal nach der Streitpatentschrift eine Stütze nicht vorhanden sein soll. Ein solcher Hinweis ist der Streitpatentschrift jedoch an keiner Stelle zu entnehmen.
20
Zu den Begriffen "Einblock-Fahrgestell" und "in einem Block ausgebildeter Tragrahmen" enthält die Streitpatentschrift keine weiteren Angaben. Beide Begriffe sagen - wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend dargelegt hat - ohne weitere Erläuterung für den Fachmann nicht mehr aus, als dass die Bestandteile von Fahrgestell und Tragrahmen nicht ohne weiteres trennbar, sondern z.B. durch Verschweißen oder Verschrauben zu einer Einheit zusammengefügt sind, mithin einen homogenen Block bilden.
21
Bei der Erörterung der Figuren 7, 8 und 10 der Streitpatentschrift gibt die Beschreibung für die allein noch streitbefangene Variante i an, dass, um dem Kippmoment entgegenzuwirken, exzentrische Achsen vorgesehen sind, auf denen Drehtrommeln verkeilt sind, um das Zurückprallen der Fahrgestelle, die jedes Gestell tragen, zu vermeiden, falls dieses in Schräglage arbeitet (deutsche Übers. Rdn. 28). Hiervon unterscheidet sich die Variante ii dadurch, dass bei dieser die beiden Laufrollen eines Fahrgestells zwischen den sich parallel zueinander erstreckenden Querstegen des zugeordneten Doppel-T-Trägers angeordnet sind und sich der obere Quersteg des zugeordneten Doppel-TTrägers unmittelbar oberhalb der beiden Laufrollen befindet. Durch diese Anordnung werden die Laufrollen auch zur Abstützung von Kräften genutzt, die entstehen, wenn das Gestell beim Verfahren zu kippen droht.
22
Die Figuren 7 bis 10 und die dazu gehörige Beschreibung waren nicht Teil der Prioritätsunterlagen, wie auch der Beklagte nicht in Zweifel zieht.
23
II. Die Priorität der italienischen Voranmeldung vom 18. September 1992 kann für den erteilten Patentanspruch 1 nur teilweise, nämlich insoweit in Anspruch genommen werden, als es um die Alternative ii des Patentanspruchs 1 geht. Die Alternative i ist in der italienischen Voranmeldung nicht als zur angemeldeten Erfindung gehörend offenbart. Zur Beurteilung dieser Frage ist der Gesamtinhalt dieser Voranmeldung zu ermitteln. Über das dort Beschriebene hinaus ist nach der Rechtsprechung des Senats auch das offenbart, was der Fachmann als selbstverständlich oder nahezu unerlässlich ergänzt oder was er bei aufmerksamer Lektüre ohne weiteres erkennt oder in Gedanken ohne weitere Überlegung gleich mitliest. Eine Lehre zum technischen Handeln geht dagegen über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, wenn die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen nicht erkennen lässt, dass sie als Gegenstand von dem mit der Anmeldung verfolgten Schutzbegehren umfasst sein soll (BGHZ 128, 270, 277 - Elektrische Steckverbindung; BGHZ 148, 383, 389 - Luftverteiler; Sen.Beschl. v. 05.10. 2000 - X ZR 184/98, GRUR 2001, 140,141 - Zeittelegramm). Abwandlungen hingegen, mögen sie auch naheliegend sein, gehören nicht zum Offenbarten (Benkard/Melullis, EPÜ, Art. 54 Rdn. 68; PatG 10. Aufl., § 3 Rdn. 35; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 3 Rdn. 100).
24
In diesem Sinne konnte ein Fachmann der italienischen Voranmeldung auch die Alternative i nicht entnehmen. In der italienischen Patentanmeldung wird die Kippsicherung nicht ausdrücklich erwähnt. Erreicht wird sie allerdings durch die den Figuren 4 und 5 zu entnehmende Anordnung, bei der die Laufrollen den Zwischenraum zwischen den Querstegen des Doppel-T-Trägers im Wesentlichen ausfüllen. Selbst wenn der Leser dieser Schrift erkannte, dass die Laufrollen einerseits der rollenden Lagerung der Fahrgestelle dienten und andererseits als Kippsicherung mit dem oberen Steg des Doppel-T-Trägers zusammenwirkten , so bedurfte es weitergehender Überlegungen, um zu der Alternative i zu gelangen. Für die Verwirklichung der Variante i war die Einführung weiterer in der Patentschrift weder dargestellter noch in ihrer Funktion angesprochener Elemente erforderlich; auch sonst finden sich keine Hinweise auf alternative Lösungen für das nicht behandelte Problem. Diese mögen nahegelegen haben, insbesondere ohne erfinderisches Bemühen aufzufinden gewesen sein; unmittelbarer Bestandteil der dargestellten Lösung sind sie damit jedoch nicht. Die Priorität der italienischen Patentanmeldung kann daher nur hinsichtlich der Alternative ii in Anspruch genommen werden.
25
III. Zu Recht hat das Bundespatentgericht festgestellt, dass die durch Patentanspruch 1 geschützte Lehre mit der Alternative i durch die japanische Patentveröffentlichung JP Hei 5-699 68 A (D 5) offenbart und deshalb nicht neu ist. Diese Schrift ist am 23. März 1993 veröffentlicht worden, mithin vor dem maßgeblichen Zeitrang der Anmeldung des Streitpatents (27. Juli 1993). Die japanische Schrift betrifft eine Vorrichtung zur Zufuhr von Flachglas zu einer Verarbeitungsmaschine. Die Flachgläser sind in Rahmengestellen (19) stehend angeordnet (Übers. S. 2 letzter Abs.), die wie Figur 6 zeigt, geneigt angeordnet sind. Die Beschreibung gibt an, dass die Rahmengestelle (19) so ausgeführt sind, dass Räder (21) auf Schienen (20) laufen, die parallel zum waagerechten Element (4) verlaufen (Rdn. 18).
26
Die Figur 6 zeigt unter diesen Rädern Elemente, die nicht in der Beschreibung erwähnt werden. Diese weisen Drehtrommeln auf, die von Achsen getragen sind, die exzentrisch zu den Laufrollen angeordnet sind. Dies entspricht der Alternative i des Patentanspruchs 1 des Streitpatents. Soweit der Beklagte geltend macht, dass der japanischen Schrift keine Hinweise auf das Zusammenwirken zwischen den Drehtrommeln und dem oberen Steg des Doppel -T-Trägers zu entnehmen seien, ergibt sich solches auch nicht aus der Streitpatentschrift. Die Streitpatentschrift gibt zu dieser Ausführungsform nur an, dass damit das Zurückprallen der Fahrgestelle vermieden werde. Diese Funktion ist aber auch bei der japanischen Schrift die einzig sinnvolle Auslegung der dargestellten Elemente.
27
Die Parteien streiten nicht darüber, dass das Regal nach der japanischen Schrift alle Merkmale der obigen Merkmalsgliederung aufweist mit Ausnahme der Merkmale M1, M4, M5 und M8. Die Übereinstimmung in diesen Merkmalen bedarf hier deshalb keiner weiteren Begründung. Zu den Merkmalen M1, M4, M5 und M8 macht der Beklagte geltend, das Regal nach der japanischen Schrift zeige keine in gleicher Richtung geneigten Gestelle (Merkmal M1, M4). Die Fahrgestelle seien bei dem Regal nach der japanischen Schrift keine EinblockFahrgestelle (Merkmal M5). Auch sei der Tragrahmen nicht in einem Block ausgebildet (Merkmal M8).
28
Die japanische Schrift geht von einem Stand der Technik aus, bei dem Flachgläser stehend in Rahmengestellen angeordnet sind (deutsche Übers. Rdn. 2). Figur 6 dieser Schrift zeigt, dass das Rahmengestell geneigt angeord- net ist. Die Beschreibung (deutsche Übers. Rdn. 17) gibt weiter an, dass die beladenen Rahmengestelle so aneinandergereiht sind, dass sie parallel zur Laufrichtung liegen. Dazu müssen die Gestelle in gleicher Richtung geneigt sein. Wie oben dargestellt, gibt die Streitpatentschrift nichts zur Ausgestaltung der Rückseite der Auflageflächen an. Entscheidend ist daher ausschließlich, dass die Auflageflächen geneigt sind. Dies aber ist in der japanischen Schrift in Figur 6 dargestellt.
29
Wie bei der Auslegung der Lehre des Streitpatents bereits ausgeführt, ist den Begriffen "Einblock-Fahrgestell" und "in einem Block ausgebildeter Tragrahmen" , nicht mehr zu entnehmen, als dass diese Bestandteile des Regals aus Elementen zu einer Einheit zusammengefügt sind. In diesem Sinne sind diese Merkmale auch bei dem Regal nach der japanischen Schrift verwirklicht.
30
Damit offenbart diese Schrift vollständig die Lehre des Patentanspruchs 1 des Streitpatents in der Alternative i. Demnach ist eine der in Patentanspruch 1 genannten Alternativen für die Ausgestaltung der Kippsicherung nicht neu, weshalb das Bundespatentgericht das Streitpatent im Umfang der Alternative i des Patentanspruchs 1 zu Recht für nichtig erklärt hat. Dies gilt ebenso für die nachgeordneten Unteransprüche 2 bis 6 in der Rückbeziehung auf diese Alternative.
31
IV. Auch in der Fassung des Hilfsantrags 1 ist Patentanspruch 1 des Streitpatents in seiner Alternative i nicht patentfähig. Diese unterscheidet sich durch das Hinzufügen der Merkmale, dass - die ebene Lagerfläche der Gestelle durch einen Verbund von in einer Ebene angeordneten Längs- und Querstreben gebildet wird, - der Verbund von in einer Ebene angeordneten Längs- und Querstreben ohne auf der Rückseite der Lagerfläche vorgesehene Stützen stehend mit dem Fahrgestell verbunden ist.
32
Das erste dieser Merkmale beruht auch in Zusammenschau mit den weiteren Merkmalen jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Die Lagerfläche aus in einer Ebene angeordneten Längs- und Querstreben ist, wie das Bundespatentgericht zu Recht ausgeführt hat, die nächstliegende Möglichkeit, ein Rahmengestell zu konstruieren. Das Fehlen der Stütze ist - wie oben bei der Auslegung des Patentanspruchs 1 des Streitpatents bereits ausgeführt - kein (negatives ) Merkmal der Lehre des Streitpatents; das Fehlen einer solchen Stütze ist daher in der Patentschrift nicht als Teil der beanspruchten Lehre offenbart. Mit dieser Ergänzung kann Patentanspruch 1 des Streitpatents demgemäß nicht aufrechterhalten werden. Dies gilt gleichermaßen für den Hilfsantrag 3, bei dem ebenfalls auf das Fehlen der Stütze an der Rückseite der Lagerfläche abgestellt wird.
33
Die in Hilfsantrag 2 vorgenommene Ergänzung besteht darin, dass je ein Gestell auf je einem Einblock-Fahrgestell frei in geneigter Richtung von diesem abragend getragen wird. Auch dies wird durch die japanische Vorveröffentlichung vorweggenommen. Auch dort handelt es sich um ein einheitliches Fahrgestell , auf dem der Tragrahmen nach oben gerichtet und geneigt angeordnet ist.
34
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG, § 97 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Mühlens
Asendorf Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 19.04.2005 - 1 Ni 7/04 (EU) -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Dez. 2008 - X ZR 124/05

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 09. Dez. 2008 - X ZR 124/05

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

Patentgesetz - PatG | § 14


Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.
Bundesgerichtshof Urteil, 09. Dez. 2008 - X ZR 124/05 zitiert 4 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d

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Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 109/08 Verkündet am: 29. September 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

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Der Schutzbereich des Patents und der Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZR 184/98 Verkündet am:
5. Oktober 2000
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zeittelegramm

a) Wenn der durch den erteilten Patentanspruch festgelegte Gegenstand
lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen definiert
ist, kommt eine Nichtigerklärung regelmäßig nicht in Betracht; eine
Streichung oder Ersetzung von Merkmalen im Patentanspruch scheidet
aus.

b) In einem solchen Fall dürfen zur positiven Beantwortung der Frage der
Patentfähigkeit des Anspruchs Erkenntnisse, die erst die nachträgliche
Ä nderung vermittelt, nicht herangezogen werden.
BGH, Beschluß vom 05. Oktober 2000 – X ZR 184/98 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 5. Oktober 2000
durch den Richter Dr. Jestaedt als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. Melullis,
Scharen, Keukenschrijver und die Richterin Mühlens

beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Gründe:


I. Der Beklagte war eingetragener Inhaber des deutschen Patents 30 15 312 (Streitpatents), das auf einer am 22. Oktober 1981 offengelegten Anmeldung vom 21. April 1980 beruht und acht Patentansprüche umfaßt, wobei Patentanspruch 1 folgenden Wortlaut hat:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsverhältnisse bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des Senders DCF 77 nach dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, daß bei jedem Sekundenimpuls die durch Störungen verursachten Abweichungen der Zeitsignale von idealen Rechtecksignalen im Empfänger selbst automatisch ermittelt werden und davon Qualitätskennzahlen ab-
geleitet werden, die auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und daß diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann."
Mit seiner Nichtigkeitsklage hat der Kläger geltend gemacht, das Streitpatent gehe über die Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus; außerdem fehle es an einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik. Seine weitere Behauptung, das Streitpatent offenbare die darin beschriebene Lehre nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne, hat der Kläger im Berufungsverfahren fallengelassen.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Hiergegen hat sich der Beklagte mit der Berufung und dem Begehren gewendet,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das Streitpatent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten;
hilfsweise,
das Streitpatent mit einem acht Patentansprüche umfassenden Anspruchssatz aufrechtzuerhalten, wobei Anspruch 1 wie folgt lautet:
"Verfahren zum Anzeigen der Empfangsqualitätsverhältnisse bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des für Funkuhren in Deutschland zuständigen Senders, nach dem Einschalten, mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit,
d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t , daß bei jedem Sekundenimpuls die Empfangsqualität mit den zugehörigen Qualitätskennzahlen aus den durch Störungen verursachten Verformungen des Sekundenimpulses automatisch ermittelt wird, daß die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und daß diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald eine vollständige Zeitinformation empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann."
Der Kläger ist diesem Begehren entgegengetreten.
Der Senat hat ein schriftliches Gutachten des Dipl.-Ing. U. A., Stuttgart, eingeholt.
In Anbetracht des mittlerweile erfolgten Zeitablaufs des Streitpatents haben die Parteien den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend für in der Hauptsache erledigt erklärt. Die Parteien beantragen wechselseitig ,
dem Gegner die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.
II. Die übereinstimmende Erledigungserklärung hat zur Folge, daß die Parteien nicht mehr um die Frage der Nichtigerklärung des Streitpatents streiten und das hierzu ergangene Urteil des Bundespatentgerichts hinfällig ist; gemäß § 110 Abs. 3 PatG a.F. in Verbindung mit § 91 a ZPO ist nur noch über die Kosten des Rechtsstreits zu befinden. Diese Entscheidung hat auf der Grundlage des bis zur übereinstimmenden Erledigungserklärung von den Par-
teien Vorgebrachten sowie der bis dahin erhobenen Beweise und ihrer Ergebnisse zu erfolgen. Das führt zur Aufhebung der Kosten gegeneinander. Denn der Senat vermag nach dem bisherigen Beweisergebnis nicht zuverlässig zu erkennen, welche Partei ohne die Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache obsiegt hätte.
A. Die Nichtigkeitsklage war bis zu dem den Anlaß der übereinstimmenden Erledigungserklärung bildenden Zeitablauf des Streitpatents nicht wegen Unzulässigkeit abweisungsreif.
Die förmliche Nichtigerklärung eines Patents, dem Patentfähigkeit nicht zukommt oder dessen Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde ursprünglich eingereicht worden ist, liegt für sich schon im öffentlichen Interesse und macht damit die Nichtigkeitsklage statthaft. Der vorliegende Fall ist entgegen der Auffassung des Beklagten nicht durch Umstände geprägt, die rechtfertigen könnten, diesen Grundsatz ausnahmsweise nicht anzuwenden (vgl. Sen.Urt. v. 13.01.1998 - X ZR 82/94, GRUR 1998, 904 - Bürstenstromabnehmer ). Da der Kläger der deutsche Repräsentant einer Firmengruppe in Hongkong ist, die nach Deutschland Uhren lieferte, bei deren Betrieb nach der Behauptung des Beklagten das patentgemäße Verfahren Anwendung findet, bestand bis zum Zeitablauf des Streitpatents ein Interesse des Klägers an der Nichtigerklärung, um einen ungestörten Vertrieb dieser Uhren sicherzustellen.
B. Der sachliche Ausgang des Rechtsstreits war zum Zeitpunkt der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien offen.
1. Das Streitpatent betrifft den Bereich der Funkuhrempfänger mit einer Anzeigeeinrichtung für die Uhrzeit. In Deutschland werden für solche Empfänger seit dem Jahre 1972 kodierte Zeitinformationen von dem Sender DCF 77 ausgestrahlt. Seine Trägerfrequenz wird dazu mit Sekundenimpulsen amplitudenmoduliert , indem eine Absenkung der Trägeramplitude (auf etwa 25 %) für die Dauer von genau 100 Millisekunden oder 200 Millisekunden erfolgt, wobei der Beginn der Absenkung den genauen Sekundenbeginn und ihre Dauer eine logische Null (100 Millisekunden) bzw. eine logische Eins (200 Millisekunden) kennzeichnen. 59 Sekundenimpulse kodieren auf diese Weise ein vollständiges Zeittelegramm. Es enthält die aktuellen Informationen über das Jahr, den Monat, das Datum, den Wochentag, die Stunde, die Minute, die Sommer- bzw. Winterzeit und läßt - im Wege des Abzählens vom Beginn der Minute an - auch die Sekunde erkennen.
Wird der Funkuhrempfänger eingeschaltet, kann die Anzeigevorrichtung Zeitdaten nur anzeigen, wenn mindestens einmal ein vollständiges Zeittelegramm erkannt worden ist. Wann dies der Fall ist, hängt von den Empfangsverhältnissen am Aufstellungsort des Funkuhrempfängers ab. Selbst bei besten Empfangsverhältnissen kann es wenigstens drei Minuten dauern, bis die aktuellen Zeitdaten angezeigt werden. Bei ungünstigen Empfangsverhältnissen kann diese Zeit weit überschritten werden; wird eine vorhandene Störquelle nicht beseitigt, der Empfänger nicht an einem anderen Ort aufgestellt oder seine Antenne nicht anders ausgerichtet, kann eine Anzeige sogar gänzlich mißlingen.
Während der Zeit, in welcher der Funkuhrempfänger keine Zeitdaten angeben kann, ist sein Benutzer im Unklaren, wie lange er voraussichtlich auf eine zuverlässige Funkuhrzeit wird warten müssen bzw. ob deren Anzeige am
gewählten Aufstellungsort unter den dort bestehenden Empfangsverhältnissen überhaupt gelingen wird. Die Qualität der dort zu empfangenden Sekundenimpulse ließe sich zwar mit einem Oszillographen sehr rasch beurteilen; es kann jedoch nicht vorausgesetzt werden, daß dem Benutzer einer Funkuhr ein solches Meßgerät zur Verfügung steht.
Eine gewisse Abhilfe war im Stand der Technik durch die Anbringung einer Leuchtdiode versucht worden, die sofort dann, wenn sich der Empfänger auf die Sekundenimpulse synchronisiert hat, im Sekundentakt aufleuchtet. Dies vermag zu vermitteln, daß der Funkuhrempfänger arbeitet; es handelt sich hierbei jedoch lediglich um eine sehr grobe Anzeige.
Die Erfindung soll demgegenüber ein Verfahren angeben, das eine brauchbare Anzeige der Empfangsverhältnisse bei Funkuhrempfängern ohne zusätzliche Anzeigemittel ermöglicht.
Anspruch 1 gibt hierzu ein Verfahren an, das
1. bei Funkuhrempfängern für die binärkodierten Zeitsignale des Senders DCF 77
2. mit einer Anzeigevorrichtung für die Uhrzeit
durchzuführen ist, indem
3. a) nach dem Einschalten

b) in dem Empfänger selbst


c) automatisch

d) bei jedem Sekundenimpuls

e) die durch Störungen verursachten Abweichungen der Zeitsignale von idealen Rechtecksignalen ermittelt werden,

f) davon Qualitätskennzahlen abgeleitet werden,
4. die Qualitätskennzahlen auf der Anzeigevorrichtung im Sekundentakt zur Anzeige gebracht werden und
5. diese Anzeige abgeschaltet wird, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann.
2. Nach dem zu berücksichtigenden Sach- und Streitstand kann nicht festgestellt werden, ob der erteilte Anspruch 1 und die hierauf unmittelbar bzw. mittelbar rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 8 aus dem in §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG genannten Grunde für nichtig zu erklären gewesen wären oder ob die Geltendmachung dieses Nichtigkeitsgrundes nicht zu einer Ä nderung der genannten Patentansprüche geführt hätte.

a) Den Inhalt der nach §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG maßgeblichen ursprünglichen Anmeldung bildet alles, was ihr der mit durchschnittlichen Kenntnissen und Fähigkeiten ausgestattete Fachmann des betreffenden Gebiets der Technik als zur angemeldeten Erfindung gehörend ent-
nehmen kann. Eine Lehre zum technischen Handeln geht deshalb über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus, wenn die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen nicht erkennen läßt, daß sie als Gegenstand von dem mit der Anmeldung verfolgten Schutzbegehren umfaßt sein soll (Sen.Urt. v. 21.09.1993 - X ZR 50/91, Mitt. 1996, 204 - unzulässige Erweiterung).

b) Daß ein solcher Fall gegeben ist, ist insbesondere dann zu erwägen, wenn der erteilte Anspruch aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns eine andere Erfindung zum Gegenstand hat als die ursprüngliche Anmeldung. Damit , daß etwas patentiert wird und bei der eigenen geschäftlichen Tätigkeit als geschützt zu beachten ist, das gegenüber dem der Fachwelt durch die ursprünglichen Unterlagen Offenbarten ein "Aliud" darstellt, braucht nicht gerechnet zu werden. Ein solcher Patentanspruch gefährdet die Rechtssicherheit für Dritte, die sich auf den Inhalt der Patentanmeldung in der eingereichten und veröffentlichten Fassung verlassen. Dies kann eine Nichtigerklärung des erteilten Patents erfordern, wenn der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG geltend gemacht ist. Es ist nicht ausgeschlossen , daß auch hier ein solcher Fall gegeben ist.

c) Der Nichtigkeitsgrund der §§ 22 Abs. 1 1. Altern., 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG kommt hier zwar nicht bereits deshalb in Betracht, weil das patentgemäße Verfahren in der erteilten Fassung mit einem auf die Zeitsignale des Senders DCF 77 ausgerichteten Funkuhrempfänger durchzuführen ist, der für binärkodierte Zeitsignale bestimmt sein soll. Angesichts des Sendebeginns des Senders DCF 77 im Jahre 1972 kann ohne weiteres angenommen werden, daß Fachleute zur Zeit der Anmeldung des Streitpatents im Jahr 1980 wußten, daß nach gesetzlicher Bestimmung und tatsächlicher Beschaffenheit er derjenige Sender ist, von dem die Zeitsignale ausgestrahlt werden, die in Deutschland
ansässige Benutzer von Funkuhren benötigen, um sich die für sie aktuellen Zeitdaten anzeigen zu lassen. Diese Kenntnis veranlaßte, die im Hinblick auf einen Patentschutz für Deutschland eingereichten Anmeldeunterlagen jedenfalls auch mit bezug auf diesen Sender zu lesen und zu verstehen. Auch der gerichtliche Sachverständige hat es in seinem schriftlichen Gutachten als naheliegend bezeichnet, daß sich die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auf den Sender DCF 77 bezögen. Da dieser auf der Basis binärkodierter Zeitsignale arbeitet, war damit zugleich auch dieses Teilmerkmal der fraglichen Anweisung des erteilten Patentanspruchs 1 als zur angemeldeten Lehre gehörend erkennbar.
Nach dem der Beurteilung zugrundezulegenden Sach- und Streitstand kann auch der weitere Vorwurf, die Anweisungen zu 3 c und d sowie 5 des erteilten Patentanspruchs 1 seien nicht ursprungsoffenbart, nicht als berechtigt angesehen werden. Die ursprüngliche Beschreibung erläuterte den gemachten Vorschlag dahin, daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpulse empfangen werden; die durch Zahlen darstellbare Qualität werde in Form derartiger Qualitätskennzahlen im Sekundentakt an die vorhandene Ziffernanzeigevorrichtung gegeben. Diese Darstellung betont das impulsgenaue Arbeiten. Dies führte zu der Erkenntnis, daß vorschlagsgemäß eingeschlossen ist, die erforderliche Ermittlung bei jedem Sekundenimpuls vorzunehmen. Daß außerdem die automatische Ermittlung von vornherein zu der angemeldeten Erfindung gehört, wurde dem Fachmann jedenfalls durch den sich an den bereits wiedergegebenen Beschreibungsteil der ursprünglichen Unterlagen anschließenden Hinweis deutlich, wonach ein automatisches Zeichenerkennungsverfahren verwendet werden könne, wodurch Qualitätskennzahlen ohnehin anfielen. Das Merkmal 5 schließlich war in den ursprünglichen Unterlagen im wesentlichen durch den Anspruch 4 des damaligen Anspruchssatzes offenbart.
Danach soll die Anzeige der Empfangsqualität nach dem Einschalten der Funkuhr bis zur ersten Darstellung der Uhrzeit erfolgen. Das ist gleichbedeutend mit der Anweisung die Anzeige abzuschalten, sobald ein vollständiges Zeittelegramm empfangen wurde und zur Anzeige gebracht werden kann.
Soweit das Bundespatentgericht eine nicht ursprungsoffenbarte Ausdrucksweise in dem angeblich von dem Beklagten geprägten Begriff des Zeittelegramms gesehen hat, hat das eingeholte Sachverständigengutachten die Unrichtigkeit dieser Bewertung ergeben. Die ursprüngliche Beschreibung nahm durch die bereits erwähnte Textstelle im ersten Absatz auf die Notwendigkeit des vollständigen Empfangs eines Intervalls mit kodierter Information Bezug. Damit ist ersichtlich der Empfang einer vollständigen Zeitinformation gemeint. Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel, daß das - wie der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt hat - aus der Sicht des Durchschnittsfachmanns ohne Ä nderung der Bedeutung auch durch den Begriff des vollständigen Zeittelegramms ausgedrückt werden kann.

d) Eine vergleichbar eindeutige Festlegung läßt das schriftliche Sachverständigengutachten jedoch hinsichtlich des Merkmals 3 e nicht zu.
In der Ursprungsbeschreibung ist neben der wiederholt erwähnten Angabe , daß ermittelt werde, mit welcher Qualität die Sekundenimpulse empfangen werden, ein idealer Sekundenimpuls als vollkommen ungestört bezeichnet. Ergänzend ist ausgeführt, daß eine Abweichung des diesem Zustand annäherungsweise zugewiesenen Zahlenwerts die entsprechende Störung und Verformung der Impulse angebe. Dies kennzeichnete den angemeldeten Vorschlag in der Weise, wie es in dem Hilfsantrag des Beklagten seinen Niederschlag gefunden hat, dahin, daß die Empfangsqualität (mit den zugehörigen
Qualitätskennzahlen - Merkmal 3 f) aus den durch Störungen verursachten Verformungen des Sekundenimpulses ermittelt wird. Eine weitere Konkretisierung , auf welche Weise dies geschehen soll, war in den Ursprungsunterlagen dagegen nicht enthalten.
Der Sachverständige hat dies dahin ausgedrückt, in den Anmeldeunterlagen bleibe unklar, wie die Qualität der empfangenen Sekundenimpulse erkannt werde. Dies kann möglicherweise dahin verstanden werden, daß die Ursprungsunterlagen insoweit allenfalls aufgabenhaft formuliert waren und dem Fachmann eine Lösungsmöglichkeit nicht eröffneten. Dies wiederum kann aus der Sicht des die ursprünglichen Anmeldungsunterlagen und das erteilte Patent vergleichenden Fachmanns bedeuten, daß letzteres als auf eine anders geartete Lehre zum technischen Handeln gerichtet erscheint.

e) Mit seiner Aussage kann der gerichtliche Sachverständige freilich auch gemeint haben, daß der durch den erteilten Patentanspruch 1 festgelegte Gegenstand lediglich enger als in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen definiert ist, weil er eine zur Lösung des der Erfindung zugrundeliegenden Problems dienende, in den Anmeldungsunterlagen allgemein gehaltene Anweisung in einer Weise konkretisiert, die dem Durchschnittsfachmann durch die Ursprungsunterlagen nicht offenbart war. Die Patentierung eines "Aliud" durch den erteilten Patentanspruch 1 hätte dann nicht festgestellt werden können.
Infolge der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Parteien war der Senat gehindert, durch Befragung des gerichtlichen Sachverständigen insoweit eine weitere Sachaufklärung herbeizuführen, die notwendig gewesen wäre, weil der gerichtliche Sachverständige bei Abfassung seines schriftlichen Gutachtens ersichtlich nicht erkannt hat, daß hier eine für die rechtliche Beur-
teilung der Sache bedeutsame Abgrenzungsfrage besteht, deren Beantwortung sich nach dem Verständnis des Fachmanns richtet und deshalb sachverständiger Aufklärung bedurft hätte. Es kann danach nicht festgestellt werden, daß eine Nichtigerklärung des erteilten Patentanspruchs 1 und der hierauf rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 wegen Patentierung eines "Aliud" zu erfolgen gehabt hätte.

f) Andererseits kann nach dem zugrundezulegenden Sach- und Streitstand auch nicht festgestellt werden, daß der erteilte Patentanspruch 1 eine bloße Einschränkung des angemeldeten Gegenstandes beinhaltet, was im vorliegenden Fall zu seinem Fortbestand geführt hätte, weil dann eine Nichtigerklärung weder aus dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit noch aufgrund einer gesetzlichen Regelung des deutschen Patentrechts geboten gewesen wäre.
Durch die wortsinngemäße Benutzung der durch den erteilten Anspruch 1 patentierten Lehre wird ohne weiteres auch vom Gegenstand der ursprünglichen Anmeldung Gebrauch gemacht. Denn hierbei wird auch eine Ermittlung vorgenommen, wie sie im Merkmal 3 e des ursprünglich hilfsweise verteidigten Anspruchs 1 vorgeschlagen und - wie ausgeführt - ursprungsoffenbart ist. Dasselbe gilt für jedwede sich dem Fachmann aufgrund des Merkmals 3 e in seiner erteilten Fassung erschließende Abwandlung. Das Gebot der Rechtssicherheit ist damit im Falle des Bestandes der erteilten Patentansprüche gewahrt. Es verlangt, daß ein interessierter Dritter erkennen kann, ob eine existente oder geplante Ausführung in fremde Ausschließlichkeitsrechte eingreift, sowie daß die mögliche Erkenntnis sich nicht aufgrund nachträglicher Umstände als unrichtig erweist. Wie schon der früher anwendbare § 26 Abs. 5 Satz 2 PatG a.F. legt ferner auch der seither geltende § 38 Satz 2 PatG ledig-
lich fest, daß aus Ä nderungen, die den Gegenstand der Anmeldung erweitern, Rechte nicht hergeleitet werden können. Was das den Schutzbereich betreffende Interesse, also den Umfang eines entstandenen Patentrechts anbelangt, ist auch diesem Grundsatz bereits durch Beibehaltung der engeren Formulierung des erteilten Patentanspruchs Genüge getan. § 14 PatG, der gemäß Art. 11 § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 5 IntPatÜG den Schutz bestimmt, den ein deutsches Patent gewährt, das auf eine nach dem 1. Januar 1978 getätigte Anmeldung hin erteilt ist, verhindert, daß insoweit zum Nachteil interessierter Dritter auf weiteren Inhalt der Anmeldung zurückgegriffen werden kann. Es bleibt deshalb nur Sorge zu tragen, daß im übrigen, also was die Entstehung von Patentrechten anbelangt, aus der Ä nderung Rechte nicht hergeleitet werden können. Hierfür bedarf es der Nichtigerklärung erteilter Ansprüche des Streitfalls jedoch nicht. Es ist lediglich notwendig, die Erkenntnisse, die erst die nachträgliche Ä nderung vermittelt, nicht zur positiven Beantwortung der Frage ihrer Patentfähigkeit heranzuziehen.
Ob wegen dieser Notwendigkeit ein entsprechender erläuternder Hinweis im Patent erforderlich sein kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil sich der sachliche Streit der Parteien erledigt hat und nur noch über die Kosten des erledigten Rechtsstreits zu entscheiden ist. Eine Streichung des Merkmals 3 e im erteilten Patentanspruch 1 und/oder seine gleichzeitige Ersetzung durch die möglicherweise allgemeinere Anweisung, die durch die ursprünglichen Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist, scheidet nach dem Vorgesagten allerdings aus; eine solche Ä nderung mißachtete § 22 Abs. 2 2. Alt. PatG.
3. Der danach mögliche Erfolg der Berufung des Patentinhabers war auch nicht wegen des ferner geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes des Feh-
lens der Patentfähigkeit (§§ 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 PatG) ausgeschlossen. Sein Bestehen wäre - wie zuvor ausgeführt - im Hinblick auf das Merkmal 3 e anhand der Offenbarung in den ursprünglichen Unterlagen zu prüfen gewesen. Das bisherige Beweisergebnis erlaubt jedoch nicht die Feststellung, daß die danach zu würdigende Lehre zum technischen Handeln, die - wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat und auch von den Parteien nicht in Zweifel gezogen wird - nicht bekannt war, nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht. Diese Erkenntnis ist wesentlich beeinflußt einmal von dem Umstand, daß zum Anmeldezeitpunkt die Entwicklung bei Funkuhrempfängern sich noch im Anfangsstadium befand, zum anderen von der schriftlichen Ausführung des Sachverständigen , der der maßgeblichen Lehre Erfindungshöhe zugesprochen hat, weil sich aus anderen Bereichen der Funkübertragung Problemlösungen für den hier interessierenden Bereich kaum hätten übernehmen lassen. Unter diesen Umständen hatte der Senat davon auszugehen, daß überhaupt erst einmal zu erkennen war, daß bei Funkuhrempfängern eine wirkliche Übertragungsqualitätsanzeige sinnvoll sei; ferner mußte erkannt werden, daß sich auch bei Empfängern, die Informationen aufgrund der jeweiligen Länge von empfangenen Impulsen erhalten, die Empfangsqualität ermitteln lasse, daß dies bei Funkuhrempfängern aufgrund der bei ihnen eingesetzten Technik ebenfalls möglich sei, und schließlich, daß sich die Qualität durch entsprechende Kennzahlen darstellen lasse. Gefordert war danach die erstmalige Zurverfügungstellung einer tauglichen Empfangsqualitätsfeststellung nebst -anzeige auf dem Gebiet der Funkuhrempfängertechnik. Angesichts des geringen Entwicklungsstandes dieses Gebiets der Technik rechtfertigen sich hieraus durchgreifende Zweifel, daß die vermittels der Anmeldung vorgeschlagene Lösung einem Durchschnittsfachmann nahegelegen habe.
4. Eine dem Beklagten günstigere Kostenentscheidung rechtfertigt sich nicht in Anbetracht seines ursprünglichen Hilfsantrages. In der Fassung dieses Hilfsantrages hätte das Streitpatent nämlich nicht Bestand haben können, weil der Schutzbereich des Patentanspruchs 1 und damit auch derjenige der hierauf rückbezogenen Unteransprüche gegenüber den erteilten Ansprüchen erweitert wäre (§ 22 Abs. 1 2. Altern. PatG). Der erforderliche Tatbestand ergibt sich insoweit jedenfalls aus dem Fehlen des Merkmals 3 b im Anspruch 1 des ursprünglichen Hilfsantrages. Sein Gegenstand ist damit insoweit weiter als der des erteilten Patentanspruchs, was auch den Schutzbereich dieses Anspruchs erweitert.
Jestaedt Melullis Scharen
Keukenschrijver Mühlens

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)