Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2011 - X ZR 107/07

bei uns veröffentlicht am11.10.2011
vorgehend
Bundespatentgericht, 2 Ni 1/04, 01.03.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 107/07 Verkündet am:
11. Oktober 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 11. Oktober 2011 durch den Richter Keukenschrijver, die Richterin
Mühlens, die Richter Dr. Grabinski und Dr. Bacher sowie die Richterin
Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 1. März 2007 verkündete Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagten sind eingetragene Inhaber des aufgrund einer Anmeldung vom 26. Februar 1993 und unter Inanspruchnahme der Priorität einer deutschen Anmeldung vom 26. Februar 1992 erteilten europäischen Patents 0 626 911 (Streitpatents), das eine Kontrollvorrichtung für den Luftdruck von luftbereiften Fahrzeugrädern betrifft. Es umfasst in der erteilten Fassung 19 Patentansprüche, wegen deren Wortlaut auf die Streitpatentschrift verwiesen wird.
2
Die Klägerinnen haben geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Sie haben sich u.a. auf die US-Patentschrift 4 734 674 (D1), die US-Patentschrift 4 319 220 (D3), die italienische Patentschrift 1 219 753 (D12) und die US-Patentschrift 4 163 208 (D54) gestützt.
3
Die Beklagten haben Klageabweisung beantragt und das Streitpatent mit neun Hilfsanträgen beschränkt verteidigt.
4
Das Patentgericht hat die Klageverfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Mit dem angefochtenen Urteil hat es das Streitpatent für nichtig erklärt.
5
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie verteidigen das Streitpatent in einer Fassung, in der die Patentansprüche 1 und 2 wie folgt lauten (Änderungen in Anspruch 1 gegenüber der erteilten Fassung kursiv): 1. Kontrollvorrichtung für den Luftdruck in der Luftkammer von luftbereiften Fahrzeugrädern mit einer am Fahrzeugrad angeordneten Messeinrichtung, welche ein Drucksignal ausgibt; einer am Fahrzeugrad im Inneren des Schlauchs oder des Reifens angeordneten Sendeeinrichtung, welche das von der Druckmesseinrichtung ausgehende Drucksignal aufnimmt und ein diesem entsprechendes Drucksendesignal aussendet, einer in der Sendeeinrichtung vorgesehenen SendeSteuereinrichtung , welche die Ausstrahlung des Sendesignals steuert, einer in der Sendeeinrichtung vorgesehenen Signalgenerierungseinrichtung , welche ein Identifikationssignal generiert, das für die individuelle Sendeeinrichtung charakteristisch ist, wobei diese Steuereinrichtung bewirkt, dass dieses Identifikationssignal zumindest einmal vor oder nach der Ausstrahlung des Drucksendesignals ausgestrahlt wird; einer im Abstand zum Fahrzeugrad angeordneten Empfangseinrichtung , welche das von der Sendeeinrichtung ausgestrahlte Sendesignal empfängt, wobei die Empfangseinrichtung einen Speicher aufweist, in dem ein der zugehörigen individuellen Sendeeinrichtung nach einem vorgegebenen Kriterium zugeordnetes Identifikations-Vergleichssignal abgespeichert ist, welches veränderbar ist, um das Identifikationssignal und das Identifikations-Vergleichssignal von Sende- und Empfangseinrichtung aneinander anzupassen; einer Anzeigeeinrichtung, welche mit der Empfangseinrichtung verbunden ist und Daten als Zahlen oder Symbole anzeigt, welche von dem von der Empfangseinrichtung empfangenen Sendesignal abgeleitet sind; einer in der Empfangseinrichtung angeordneten Vergleichseinrichtung , welche prüft, ob das von der Sendeeinrichtung ausgestrahlte Identifikationssignal dem in der Empfangseinrichtung gespeicherten Identifikations- und Vergleichssignal zugeordnet ist, wobei eine Weiterverarbeitung der von der Empfangseinrichtung aufgenommenen Signale nur dann erfolgt , wenn das von der Empfangseinrichtung empfangene und das in der Empfangseinrichtung gespeicherte Identifikations -Vergleichssignal das Zuordnungskriterium erfüllen, wobei die im Fahrzeugrad angeordnete Druckmesseinrichtung ein für den Druck repräsentatives elektrisches Drucksignal ausgibt, wobei die Empfangseinrichtung mit einer Schalteinrichtung verbunden ist, welche ein Umschalten der Empfangseinrichtung vom normalen Betriebsmodus, in dem der Luftdruck kontrolliert wird, in einen Paarungsmodus ermöglicht, in welchem die Empfangseinrichtung das von jeder Sendeeinrichtung übertragene Identifikationssignal empfängt und als Identifikations -Vergleichssignal, bevorzugt mit einer Zuordnung der jeweiligen Radposition, abspeichert, wobei das in der Sendeeinrichtung gespeicherte Identifikationssignal ein senderspezifisches Identifikationsmuster enthält, welches für jede Sendeeinrichtung fest vorgegeben ist, und wobei die Kontrollvorrichtung so gestaltet ist, dass im Paarungsmodus keine zufällige Veränderung des gespeicherten Identifikationssignals stattfindet. 2. Kontrollvorrichtung gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , dass die Kontrollvorrichtung so gestaltet ist, dass nach dem Umschalten der Empfangseinrichtung in den Paarungsmodus eine der folgenden Maßnahmen durchgeführt wird:
a) die Intensität der von der Sendeeinrichtung ausgestrahlten Signale in der Empfangseinrichtung festgestellt wird,
b) das Signal von der Empfangseinrichtung empfangen und ausgewertet wird, welches die Sendeeinrichtung nach einer in der Luftkammer des Fahrzeugrades manuell vorgenommenen Druckänderung aussendet,
c) die Sendeeinrichtung eine Empfangsantenne aufweist und die Empfangseinrichtung ein Abfragesignal aussendet und nach dem Aussenden des Abfragesignals die Signalintensität der empfangenen Signale der Sendeeinrichtung feststellt ,
d) die Sendeeinrichtung eine Empfangsantenne aufweist und die Empfangseinrichtung ein Abfragesignal aussendet und das Signal empfängt und auswertet, welches nach einer manuell vorgenommenen Druckänderung von der Sendeeinrichtung ausgestrahlt wird,
e) die Sendeeinrichtung eine Empfangsantenne aufweist und die Empfangseinrichtung das Signal empfängt und auswertet , welches von der Sendeeinrichtung ausgestrahlt wird, nachdem sie über ihre Empfangsantenne ein Signal mit einer hohen Intensität empfängt,
f) die Empfangseinrichtung das Signal empfängt und auswertet , nachdem im Sendegerät ein Reedkontakt durch einen in die Nähe der Sendeeinrichtung gebrachten Magneten geschaltet wird,
g) die Empfangseinrichtung das Signal empfängt und auswertet , welches die Sendeeinrichtung ausstrahlt, nachdem eine Schalteinrichtung, die am Ventil vorgesehen ist, betätigt wird.
6
Die Klägerinnen bitten um Zurückweisung der Berufung. Sie machen geltend , der verteidigte Gegenstand des Streitpatents gehe über die ursprünglich eingereichte Fassung des Streitpatents hinaus; die Erfindung sei auch nicht so vollständig und deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Darüber hinaus sei die beanspruchte Kontrollvorrichtung nicht patentfähig, denn sie sei weder neu, noch beruhe sie auf erfinderischer Tätigkeit.
7
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. D. J. , Hochschule O. , Institut für Angewandte Forschung, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


8
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
9
I. Das Streitpatent betrifft eine Kontrollvorrichtung für den Luftdruck in Luftkammern von luftbereiften Fahrzeugrädern.
10
1. Nach der Patentbeschreibung werden derartige Kontrollvorrichtungen insbesondere für die Messung des Luftdrucks von Kraftfahrzeugrädern verwen- det. Die Einstellung des Reifendrucks und seine Überwachung sind danach zum einen für die Betriebssicherheit des Kraftfahrzeugs von Bedeutung. Ein fehlerhafter, insbesondere zu geringer Luftdruck in einem Fahrzeugreifen bewirke eine erhöhte Walkarbeit der Reifenflanken, wodurch die Temperatur des Reifens stark erhöht und die Festigkeit der Reifenflanke herabgesetzt werde. Dadurch bestehe die Gefahr der plötzlichen Zerstörung des Reifens während des Fahrbetriebs, was zu schweren Verkehrsunfällen führen könne. Die Reifendruckkontrolle habe zum anderen auch wirtschaftliche Bedeutung, da ein falsch eingestellter Luftdruck zu erhöhtem Reifenverschleiß und vorzeitigem Ersatz des Reifens führe. Ein zu niedriger Reifendruck verursache zudem einen erhöhten Kraftfahrstoffverbrauch.
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Um diese Nachteile zu vermeiden, muss nach der Patentbeschreibung der Luftdruck regelmäßig, bei Lastkraftwagen sogar täglich, überprüft werden. Im Stand der Technik seien verschiedene Methoden bekannt, den Reifenluftdruck mittels eines am Fahrzeugrad angeordneten Drucksensors zu messen und dieses Messergebnis in geeigneter Weise dem Fahrer anzuzeigen. In der Praxis sei die Realisierung derartiger Kontrollvorrichtungen mit Schwierigkeiten verbunden. Das Fahrzeugrad rotiere während der Fahrt und eine mechanische Übertragung der Messsignale vom drehenden Rad auf den nicht rotierenden Teil des Fahrzeugs sei in der Regel aus Platzgründen nicht möglich. Deshalb müsse die Übertragung des Messsignals drahtlos erfolgen. Dafür biete sich neben der Infrarotübertragung und der Ultraschallübertragung vor allem eine elektromagnetische Signalübertragung an. Letztere könne jedoch wegen der im Fahrzeug vorhandenen zahlreichen elektrischen Signalquellen, wie z.B. der Zündanlage, der Lichtmaschine, elektrisch betriebener Gebläse usw., störanfällig sein. Außerdem gebe es zahlreiche externe Störquellen, wie z.B. Straßen- bahnsignalanlagen oder Radiosender, die die Übertragung beeinflussen könnten.
12
Durch das Streitpatent soll eine Kontrollvorrichtung zur Verfügung gestellt werden, durch die eine zuverlässige Erfassung und Anzeige des Luftdrucks und der Luftdruckänderung in der Luftkammer eines luftbereiften Fahrzeugrades ermöglicht wird (Patentschrift Sp. 2, Z. 34 bis 40).
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2. Zur Lösung dieses Problems sieht Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung eine Kontrollvorrichtung für den Luftdruck in der Luftkammer von luftbereiften Fahrzeugrädern vor, die folgende Merkmale aufweist: 1. eine (Druck)Messeinrichtung, 1.1 die am/im Fahrzeugrad angeordnet ist und 1.2 ein für den Druck repräsentatives elektrisches Drucksignal ausgibt, 2. eine Sendeeinrichtung, 2.1 die am Fahrzeugrad im Inneren des Schlauchs oder des Reifens angeordnet ist, 2.2 das von der Druckmesseinrichtung ausgehende Drucksignal aufnimmt und 2.3 ein diesem entsprechendes Drucksendesignal aussendet ; 3. in der Sendeeinrichtung sind vorgesehen: 3.1 eine Signalgenerierungseinrichtung, die ein Identifika- tionssignal generiert, das 3.1.1 ein senderspezifisches Identifikationsmuster enthält und für die individuelle Sendeeinrichtung charakteristisch ist, 3.1.2 fest vorgegeben ist und 3.1.3 in der Sendeeinrichtung gespeichert ist, 3.2 eine Sende-Steuereinrichtung, die 3.2.1 die Ausstrahlung des Drucksendesignals steuert und 3.2.2 bewirkt, dass das Identifikationssignal zumindest einmal vor oder nach der Ausstrahlung des Drucksendesignals ausgestrahlt wird; 4. eine Empfangseinrichtung, die 4.1 im Abstand zum Fahrzeugrad angeordnet ist, 4.2 das von der Sendeeinrichtung ausgestrahlte Sendesignal empfängt und 4.3 einen Speicher aufweist, in dem ein IdentifikationsVergleichssignal abgespeichert ist, das 4.3.1 der zugehörigen individuellen Sendeeinrichtung nach einem vorgegebenen Kriterium zugeordnet ist und 4.3.2 veränderbar ist, um Identifikationssignal (Merkmal 3.1) und Identifikations-Vergleichssignal aneinander anzupassen, 5. eine Anzeigeeinrichtung, die 5.1 mit der Empfangseinrichtung verbunden ist und 5.2 von dem empfangenen Sendesignal abgeleitete Daten als Zahlen oder Symbole anzeigt, 6. eine Vergleichseinrichtung, die 6.1 in der Empfangseinrichtung angeordnet ist, 6.2 prüft, ob das von der Sendeeinrichtung ausgestrahlte Identifikationssignal dem in der Empfangseinrichtung gespeicherten Identifikations-Vergleichssignal zugeordnet ist, und 6.3 eine Weiterverarbeitung der von der Empfangseinrichtung aufgenommenen Signale nur dann erlaubt, wenn das Zuordnungskriterium erfüllt ist, 7. eine Schalteinrichtung, die 7.1 mit der Empfangseinrichtung verbunden ist und 7.2 ein Umschalten der Empfangseinrichtung vom normalen Betriebsmodus, in dem der Luftdruck kontrolliert wird, in einen Paarungsmodus ermöglicht, in dem 7.2.1 die Empfangseinrichtung das von jeder Sendeeinrichtung übertragene Identifikationssignal empfängt und als Identifikations-Vergleichssignal abspeichert und 7.2.2 keine zufällige Veränderung des gespeicherten Identifikationssignals stattfindet.
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3. Einige Merkmale bedürfen besonderer Betrachtung.
15
a) Die Messeinrichtung (Merkmalsgruppe 1) kann als Drucksensor, aber auch als bloßer Druckschalter ausgestaltet sein. Die Formulierung des Anspruchs lässt dies offen. Auch im allgemeinen Teil der Patentbeschreibung ist die nähere Ausgestaltung der Messeinrichtung nicht näher erläutert; erst bei der Beschreibung des ersten Ausführungsbeispiels ist ein Drucksensor 18 erwähnt (Sp. 7, Z. 48). Wie der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, kann der Druck sowohl durch einen Druckschalter, der eine Signalleitung schaltet, als auch durch einen Drucksensor gemessen werden. Der Sachverständige hat zwar auch angegeben, dass bei Verwendung des Drucksensors die Entscheidung über die Bewertung des gemessenen Druckwerts in einer Auswerte- und Anzeigeeinheit im Fahrzeug erfolgen kann. Das Streitpatent verlangt indessen nur eine Anzeige, die z.B. ein vom Sendesignal abgeleitetes Symbol anzeigt (Merkmal 5.2); hierfür genügt die Über- oder Unterschreitung eines vorgegebenen Druckwerts, wie die Patentschrift auch ausdrücklich ausführt (Sp. 6, Z.19 bis 29 u. Sp. 8, Z. 4 bis 7).
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b) Das Merkmal 3.1 ist dahin zu verstehen, dass die Signalgenerierungseinrichtung ein physikalisches Identifikationssignal erzeugt. Bereits die erteilte Fassung des Patentanspruchs spricht davon, dass das Identifikationssignal für die individuelle Sendeeinrichtung charakteristisch ist (Merkmal 3.1.1). Dies ist selbstverständlich, denn sonst wäre das Signal zur Identifikation nicht geeignet. Die Angabe, es handele sich um ein senderspezifisches Identifikationsmuster , fügt dem, auch aus Sicht des gerichtlichen Sachverständigen, sachlich nichts Wesentliches hinzu. Der weitere Zusatz, dass das Identifikationssig- nal für jede Sendeeinrichtung fest vorgegeben sein soll (Merkmal 3.1.2), scheint zunächst im Widerspruch zu der vorgesehenen Generierung zu stehen. Wird ein Signal generiert, so ist es aus fachmännischer Sicht nicht fest vorgegeben , sondern wird nach einem bestimmten Algorithmus erzeugt. Die Beschreibung sieht jedoch ausdrücklich vor, dass das Identifikationssignal der Sendeeinrichtung bereits bei der Herstellung "eingespeichert" wird (Sp. 5, Z. 44 bis 50). Bei sinnvoller Auslegung des Streitpatents kann das Merkmal 3.1 nicht im Sinne einer Signalerzeugung nach einem bestimmten Algorithmus verstanden werden. Die Signalgenerierungseinrichtung ist deshalb mit dem Sachverständigen dahin zu interpretieren, dass sie das physikalische Identifikationssignal erzeugt und nicht ein Bitmuster oder eine Kennung generiert.
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c) Nach Merkmal 7.2.2 ist die Kontrollvorrichtung so gestaltet, dass im Paarungsmodus "keine zufällige Veränderung des gespeicherten Identifikationssignals stattfindet". Das in der Sendeeinrichtung gespeicherte Identifikationssignal , also die Kennung, wird im Paarungsmodus in der Empfangseinrichtung gespeichert. Bei diesem Vorgang soll - so auch die Vorstellung der Beklagten - eine zufällige Veränderung der Kennung ausgeschlossen sein, die etwa in der Werkstatt beim Reifen- oder Räderwechsel durch die Identifikationssignale dort abgestellter anderer Fahrzeuge erfolgen könnte. Einrichtungen oder Maßnahmen, mit denen im Paarungsmodus eine zufällige Änderung der Kennung verhindert und sichergestellt werden soll, dass auch das "richtige" Signal eingeschrieben wird, sind im verteidigten Patentanspruch 2 bezeichnet.
18
d) Nach Merkmal 2.1 ist die Sendeeinrichtung am Fahrzeugrad im Inneren des Schlauches oder des Reifens angeordnet. Nach der Beschreibung ist die Sendeeinrichtung "am" Fahrzeugrad angeordnet und kann unmittelbar am Ventil, "d.h. im Inneren des Schlauches oder des Reifens", befestigt sein (Sp.
2, Z. 56 bis Sp. 3, Z. 3). Die Anordnung einer Einrichtung "am Rad" oder "am Ventil" unterscheidet sich von der Anordnung "im Inneren des Schlauches oder Reifens", wie sie die Beklagten jetzt beanspruchen. Die Befestigung am Ventil besagt nicht notwendig, dass die Sendeeinrichtung sich im Radinneren befindet.
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II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet.
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Es könne dahinstehen, ob der Gegenstand des Anspruchs 1 in seiner erteilten Fassung neu sei, denn er sei für den Fachmann, einen Diplomingenieur (FH) der Elektrotechnik mit speziellen Kenntnissen und Erfahrungen sowohl in der Messtechnik als auch in der Steuer- und Regelungstechnik, Datenverarbeitung sowie Nachrichtentechnik, durch die italienische Patentschrift 1 219 753 (D 12) nahegelegt gewesen. Der Entgegenhaltung lägen die gleichen Probleme zugrunde wie der erfindungsgemäßen Reifendruckkontrollvorrichtung; es solle eine zuverlässige Erfassung und Anzeige des Reifenluftdrucks ermöglicht werden. Die Lösung erfolge mit der dort vorgestellten Kontrollvorrichtung für den Reifendruck, die die Merkmale des Oberbegriffs und darüber hinaus auch das kennzeichnende Merkmal des Patentanspruchs 1 zeige. Der Sender sei zwar im Rad angebracht; der Fachmann schließe jedoch aus anderen Stellen der Beschreibung, dass auch eine Anordnung am Rad möglich sei, was im Übrigen in seinem konstruktiven Ermessen liege. Die "Symbole" S1 bis S4 enthielten das codierte Signal der jeweiligen Sendeeinrichtung, während die Symbole S5 bis S16 die Empfangseinrichtung identifizierten. Zwar würden mit der Symbolkette S0 bis S20 Identifikations- und Druckinformationen in einem einzigen Signal gesendet , aber innerhalb der Signalkette erfolge die Identifikation vor der Druckinformation , womit der Fachmann den Hinweis auf die erste Alternative des Merkmals 3.2.2 erhalte. Die Vorrichtung weise mit der in der Entgegenhaltung beschriebenen Lernphase bereits einen erfindungsgemäßen Paarungsmodus zum Lernen neuer Sender und eine hohe Zuverlässigkeit gegen Störeinflüsse auf und gebe damit dem Fachmann die entscheidende Anregung zum Umschalten vom normalen Betriebsmodus in den Paarungsmodus.
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Auch der Gegenstand der Hilfsanträge beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
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III. Dieser Beurteilung tritt der Senat für die mit der Berufung verteidigten Patentansprüche im Ergebnis bei.
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1. Der Gegenstand der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 ist neu.
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a) Die US-Patentschrift 4 734 674 (D1, deutsche Übersetzung D1a) betrifft eine Anlage zum Überwachen des Drucks in einem Reifen und zum Anzeigen eines abnormalen Reifendrucks für den Fahrzeugführer. Die Warnanlage umfasst mindestens einen Reifendruckdetektor. Dieser ist auf dem Reifenventilschaft eines Fahrzeugs montiert und in Strömungsverbindung mit dem Inneren eines Luftreifens. Im Inneren des Detektors, koaxial in einer zylindrischen Konstruktion angeordnet, befindet sich ein Druckwandler zum Erfassen des Drucks im Reifen, der einen Elektroschalter betätigt, wenn ein bestimmter Druckwert über- oder unterschritten ist (D1, Sp. 3, Z. 49 bis 55; Sp. 1, Z. 62 f.) Weiter ist ein Sensor vorgesehen, der erfasst, ob der Schalter offen oder geschlossen ist. Dieser Sensor aktiviert einen Transmitter, wenn der Schalter im Zustand eines Minderdrucks ist. Der Transmitter überträgt dann das Schaltsignal per Funk an einen in dem Körper vorhandenen Zähler, der den Transmitter deaktiviert und somit die Batterie schont, wenn die Signalimpulsfolgen so oft wie vorgesehen übertragen sind. Ein vorgesehener Empfänger kann so programmiert werden, dass er die unterschiedlichen Signalimpulsfolgen identifizieren und unterscheiden kann (D1, Sp. 5, Z. 4 ff.), und zwar so, dass er jeden beliebigen Detektorcode oder jede Kombination von Detektorcodes identifizieren kann (D1, Sp. 5, Z. 26 bis 28). Dabei beinhaltet das Wort "programmierbar", wie der gerichtliche Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, auch die Speicherbarkeit des Codes, wobei die Codeeingabe durch DIP-Schalter erfolgt und mehrere Codes programmiert werden können ("sequentiell in den Mikroprozessor eingegeben", D1, Sp. 14, Z. 26 bis 28); die D1 offenbart hier einen Programmiermodus (Lernmodus, Paarungsmodus), der durch eine von Hand ausgelöste Eingabe erreicht wird.
25
Vom Gegenstand des Streitpatents unterscheidet sich die Entgegenhaltung hiernach jedenfalls dadurch, dass im Paarungsmodus der D1 die Codes von Hand mit Hilfe von DIP-Schaltern programmiert werden, während das Streitpatent im Paarungsmodus die empfangenen Codes auflistet und Mittel angibt, sie den Empfängern zuzuordnen (Merkmale 4.3 und 7).
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b) Das italienische Patent 1 219 753 (D12, deutsche Übersetzung D12a) betrifft ein System für die Übertragung von Meldungen von mehreren Sensoren an eine Zentraleinheit, insbesondere zur Erkennung von Betriebsanomalien in festen und beweglichen Bestandteilen von Maschinen und Fahrzeugen. Das Patent bezieht sich im Besonderen auf Systeme zur Überwachung des Reifendrucks in den Rädern von Fahrzeugen. Das Übertragungssystem der D12 ist damit für das technische Gebiet und auch für den Anwendungsbereich offenbart , mit dem sich auch das Streitpatent beschäftigt.
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aa) Das System der D12 weist einen Drucksensor auf, der einen Schalter auslöst, wenn der erlaubte Druckbereich über- oder unterschritten wird (D12, S. 5 f.). Dies entspricht nach dem vorstehenden Merkmal 1.
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bb) Das in D12 vorgestellte System verfügt über einen Sender, der innerhalb des Fahrzeugrads ("montato all’interno della ruota", D12, S. 6 oben) angebracht ist, mit diesem rotiert und der einem Drucksensor zugeordnet ist. Je nach der von dem Drucksensor erzeugten Meldung ist der Sender in der Lage, ein Signal über einen Hochfrequenzoszillator und eine Antenne zu senden (D12, S. 6). Dies entspricht der Sendeeinrichtung nach Merkmalsgruppe 2 des Streitpatents, wobei der Hochfrequenzoszillator die Sendeeinrichtung darstellt. Der Sender soll innerhalb des Fahrzeugrads angebracht sein; darin liegt eine Anordnung am Fahrzeugrad (gegebenenfalls auch im Inneren des Schlauchs oder des Reifens) nach Merkmal 2.1 des Streitpatents.
29
cc) Die D12 offenbart auch eine Signalgenerierungseinrichtung, die ein Identifikationssignal generiert, das ein senderspezifisches Identifikationsmuster enthält und für die individuelle Sendeeinrichtung charakteristisch ist (Merkmale 3.1, 3.1.1).
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Hierzu wird unter anderem auf den Seiten 8 ff. der D12 der Aufbau der vom Sender (10) übertragenen "stringa di simboli" (Bitsequenz) wie folgt beschrieben : Mit S1 bis S4 sind vier Bits benannt, die den Sender - seine Adresse, z.B. ein bestimmtes Rad, an dem der Sender angebracht ist - kennzeichnen. Die zweite Bitgruppe (S5 bis S16) soll die in einem Speicher (100) abgelegte Information übertragen, die den Empfänger und damit die Zentraleinheit identifiziert , für die die Meldung bestimmt ist (D12, S. 8 f.). Die dritte Bitgruppe S17 bis S20 (Testsymbol, Alarmsymbol, Batteriesymbol, periodische Meldung) enthält die zu übertragende Meldung.
31
Die zweite Bitsequenz trägt "pseudokausalen Charakter" (D12, S. 12 unten ). Der Betrieb des Systems sieht, wie im Weiteren erläutert wird, eine anfängliche Lernphase vor, die im Wesentlichen den Zweck hat, das Laden einiger Zeichenketten S5 bis S16 in den Speicher (200) des Empfängers (20) zu gestatten, die als Schlüssel für den Empfang von vom Sender (10) übertragenen Meldungen benutzt werden und den Empfänger (20) am irrtümlichen Empfang von Meldungen hindern, die von anderen Sendern ausgestrahlt werden (D12, S. 20 f.). Nach Einlegen einer Batterie werden alle möglichen Werte für den Inhalt des Speichers (100) durchlaufen. Mit Drücken einer Prüftaste (106) wird der Inhalt des Speichers auf einen "pseudozufälligen" Wert "eingefroren" (D12, S. 21 f.). Dieser Code hat die Bedeutung eines Identifikationssignals und ist nach Abspeicherung im Sender (Merkmal 3.1.3) zusammen mit der Codefolge S1 bis S4 für den Sender charakteristisch.
32
dd) Hingegen fehlt es in dem System der D12 an einem für jede Sendeeinrichtung fest vorgegebenen Identifikationssignal (Merkmal 3.1.2), da die Werte für die Bitfolge S1 bis S4 über ein Codiergerät (z.B. einen DIP-Schalter 17) eingegeben werden (D12, S. 10 unten, 22 oben) und die Werte S5 bis S16 wie dargestellt "zufällig" erzeugt werden.
33
ee) Der Kern des Senders ist ein Schaltkreis (14), der vorteilhafterweise innerhalb eines COP-822-Schaltkreises implementiert wird (D12, S. 10). Bei dem Schaltkreis COP 822 handelt es sich nach den Ausführungen des Sachverständigen um einen 8-Bit-Mikroprozessor, der programmiert werden kann.
Dies entspricht der im Streitpatent (Merkmal 3.2) vorgesehenen SendeSteuereinrichtung , die die Ausstrahlung des Drucksendesignals steuert.
34
Merkmal 3.2.2, wonach die Steuereinrichtung bewirkt, dass das Identifikationssignal zumindest einmal vor oder nach der Ausstrahlung des Drucksendesignals ausgestrahlt wird, ist in der D12 bereits im Aufbau der oben dargestellten Codesequenz beschrieben. Das Identifikationssignal wird gleichzeitig mit dem Meldesignal, das auch die Druckinformation enthält, und in der Zeichenkette vor diesem übertragen (D12, S. 17).
35
ff) Auch die Merkmale 4.1 und 4.2, wonach die Empfangseinrichtung im Abstand zum Fahrzeugrad angeordnet ist und das von der Sendeeinrichtung ausgestrahlte Sendesignal empfängt, finden sich, wie bereits ausgeführt, in der Offenbarung der D12: Das vom Sender (10) ausgestrahlte Signal wird vom Empfänger (20) empfangen und über einen Dekodierschaltkreis (26) in den Speicher (200) des Empfängers übertragen (D12, S. 22 f.).
36
gg) Dies gilt auch für die Merkmale 4.3 bis 4.3.2, die den Speicher der Empfangseinrichtung und das dort abgespeicherte IdentifikationsVergleichssignal betreffen. Auf Seite 17 der D12 wird die Speicherung im Empfänger beschrieben. Das Identifikations-Vergleichssignal ist hier die Codefolge S5 bis S16, eine pseudokausale logische Symbolkette, die der Kette entspricht, die von einem entsprechenden Sender für die Kommunikation mit dem Empfänger verwendet wird. Das Identifikations-Vergleichssignal ist gemäß Merkmal 4.3.2 veränderbar, denn nach Erzeugung der Codefolge S5 bis S16 wird diese zum Empfänger übertragen und damit als für die künftige Kommunikation maßgeblich festgelegt (D12, S. 23 Mitte).
37
hh) Eine Anzeigeeinrichtung, wie sie Merkmalsgruppe 5 des Streitpatents vorsieht, ist ebenfalls (D12, S. 19 f.) beschrieben.
38
ii) Die Merkmalsgruppe 6 besagt, dass die in der Empfangseinrichtung angeordnete Vergleichseinrichtung das ausgestrahlte Identifikationssignal mit dem in der Empfangseinrichtung gespeicherten Identifikations-Vergleichssignal vergleicht und das empfangene Signal nur weiter verarbeitet, wenn die verglichenen Signale das Zuordnungskriterium erfüllen, d.h. die gleiche Kennung aufweisen. Auch nach der D12 (S. 24 Mitte) werden Meldungen nur als gültig erkannt, wenn sie die Symbolkette S5 bis S16 enthalten, die in der entsprechenden Stelle vom Speicher während der Lernphase gespeichert wurden. Andernfalls wird die Meldung als von einem zu einem anderen System gehörenden Sender kommend verworfen. Damit werden nur Meldungen ausgewertet, die das Zuordnungskriterium, also die gleiche Kennung S5 bis S16, erfüllen.
39
jj) Die Merkmalsgruppe 7 des Streitpatents beschreibt die mit der Empfangseinrichtung verbundene Schalteinrichtung und den Paarungs- oder Lernmodus , in dem die Empfangseinrichtung das von jeder Sendeeinrichtung übertragene Identifikationssignal empfängt und es als Identifikations-Vergleichssignal abspeichert. Diesen Modus kennt auch die D12 (vorstehend dd). Ebenso ist eine Schalteinrichtung vorhanden, die mit der Empfangseinrichtung verbunden ist und deren Umschalten vom Normalbetrieb zum Paarungsmodus ermöglicht (Merkmal 7.2):
40
Um die Lernphase einzuleiten, muss die Batterie in den Sender eingelegt werden (vorstehend cc). Soll neu programmiert werden, muss die Batterie herausgenommen und wieder eingesetzt werden (D12, S. 24 f.). Durch die am Sender befindliche Taste (106) wird die Erzeugung des (neuen) Senderidentifi- kationscodes ausgelöst. Dies rechtfertigt zwar nicht die Schlussfolgerung, dass in der Entgegenhaltung mittels einer Schalttaste vom Normalmodus in den Paarungsmodus um- und wieder zurückgeschaltet wird. Denn damit soll in erster Linie erreicht werden, dass die Empfangseinrichtung nur dann eine neue Senderkennung entgegennimmt, wenn sie dazu in den Paarungsmodus geschaltet worden ist.
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Das Umschalten vom Normalmodus in den Paarungsmodus und wieder zurück ergibt sich bei der D12 aber daraus, dass der Speicher (200) durch eine Taste 200' aktiviert und nach Ende der Lernphase durch erneutes Betätigen der Taste 200' gegen Codierung seines Inhalts resistent gemacht wird (D12, S. 25 unten). Daraus folgt, dass die Taste (= Schalter) 200' auch wieder betätigt werden muss, um vom Betriebs- in den Lernmodus zurückzuschalten. Dies hat auch der gerichtliche Sachverständige unter Rückgriff auf die D12 bestätigt, indem er das Wort "naturalmente" (D12, S. 25 unten) mit"natürlich" übersetzt und ausgeführt hat, dass das Vorhandensein der Taste 200‘ und ihre Betätigung , um den Empfänger in den Lernmodus zu schalten, eine Selbstverständlichkeit ist. Das kurzzeitige Herausnehmen der Senderbatterie, das bei dem System der D12 zur Durchführung einer neuen Programmierung notwendig ist (D12, S. 25 oben) verändert nicht den Ablauf des Umschaltvorgangs vom Betriebs - in den Lernmodus und zurück. Der Sachverständige hat hierzu angegeben , dass das Betätigen der am Sender angebrachten Taste 106 nicht notwendigerweise eine Neuprogrammierung des Codes bedeutet, sondern nur das Testbit auslöst, das z.B. verwendet werden kann, um die Position eines Senders zu identifizieren.
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kk) Zusätzliche Maßnahmen gegen die "zufällige" Abspeicherung eines "falschen" Identifiikations-Vergleichssignals (wenn man Merkmal 7.2.2 so versteht und für zulässig hält), sind in der D12 nicht getroffen.
43
ll) Nach alldem sind die Merkmale 3.1.2 und 7.2.2 in der D12 nicht offenbart.
44
c) Die übrigen in das Verfahren eingeführten Entgegenhaltungen liegen weiter ab und nehmen den Gegenstand des verteidigten Anspruchs 1 ebenfalls nicht vorweg.
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2. Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit, da er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergab (Art. 56 EPÜ).
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a) Das Fachgebiet, zu dem die Lehre des Streitpatents gehört, ist - wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat - die (drahtlose) Nachrichtenübertragung , genauer die Messdatenübertragung unter Nutzung von Funkwellen. Insbesondere bezieht sich die Lehre des Streitpatents auch auf Anordnungen und Mittel aus dem Gebiet der digitalen Nachrichtenübertragung, das auch die Gebiete der Nachrichtencodierung umfasst. Fachleute, die sich mit diesem technischen Gebiet beschäftigen und Neuerungen auf dem Gebiet der digitalen Nachrichtenübertragung entwickeln, sind überwiegend Fachhochschulingenieure mit einem Studium der Elektrotechnik als Grundlage, wovon auch das Patentgericht ausgegangen ist. Der Sachverständige gibt hierzu weiter an, die im Streitpatent beschriebenen Vorgänge seien im Prioritätszeitpunkt Lehrinhalt von Hochschulveranstaltungen gewesen. Es habe ein enger Bezug zur Praxis bestanden, so dass damals ein Fachmann in der Industrie mit durchschnittli- cher Qualifikation über dieses Wissen verfügt habe, unabhängig davon, ob er in der Autoindustrie, der Luftfahrtindustrie oder der Kommunikationstechnik tätig gewesen sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten, die auf die besonderen Randbedingungen bei der drahtlosen Messung von physikalischen Messwerten in einem Fahrzeugrad hinweisen, bedarf es danach keiner unterschiedlichen Ausbildung, um etwa ein drahtloses Schließsystem für Fahrzeuge, ein Messdaten -Übertragungssystem im Sinne einer Drucküberwachung bei Reifen, elektronische Zündungen oder elektronische Sitzheizungen zu entwickeln.
47
b) Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist, wovon auch die Parteien übereinstimmend ausgehen, die D12. Sie unterscheidet sich vom Gegenstand des verteidigten Patentanspruchs 1 durch das nicht fest vorgegebene Identifikationssignal des Senders und durch das Fehlen weiterer Maßnahmen gegen eine "Zufallspaarung".
48
c) Zum vorgegebenen Identifikationssignal wird in der D12 ausgeführt, der Benutzer müsse sorgsam verhindern, dass die Dekodiergeräte (17) verschiedener Sender (10) auf die gleiche Abfolge S1 bis S4 synchronisiert würden (D12, S. 23 f.). Dies bietet dem wie unter a) dargelegt qualifizierten Fachmann Anlass zu erwägen, durch eine vorgegebene Kennung insoweit Benutzerfehler zu vermeiden. Nach den überzeugenden Angaben des Sachverständigen waren Verfahren zur Vermeidung von Fehlübertragungen bereits aus den digitalen Bussystemen, z.B. aus lokalen Netzen wie dem Ethernet, bekannt. Bei derartigen Verfahren muss der Identifikationscode im Transmitter (Sender) fest gespeichert sein, solange das System in Betrieb ist. Der individuelle Code kann entweder bereits beim Hersteller oder im Feld vergeben werden. Beide Arten der Codevergabe waren zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents, insbesondere auch bei den digitalen Bussystemen, bekannt.

49
d) Für den Fachmann hat es auch nahegelegen, sicherzustellen, dass im Paarungsmodus keine zufällige Veränderung des gespeicherten Identifikationssignals stattfindet (Merkmal 7.2.2). Das fest vorgegebene, von jeder Sendeeinrichtung übertragene Identifikationssignal wird im Paarungsmodus als Identifikations -Vergleichssignal abgespeichert (Merkmal 7.2.1); dieses "gespeicherte Identifikationssignal" soll nicht zufällig verändert werden (Merkmal 7.2.2). Dabei gibt die Formulierung "nicht zufällig veränderbar" mit Blick auf den Begriff "gespeichert" dem Merkmal keinen weiteren Sinngehalt, da ein fest gespeichertes Signal nicht zufällig veränderbar ist. Dies bedeutet nichts anderes, als dass nicht nur das Identifikationssignal im Sender fest gespeichert ist (Merkmal 3.2.1), sondern auch die Abspeicherung dieses Signals als IdentifikationsVergleichssignal im Empfänger sicher erfolgen soll. Eine Anregung, bei derartigen Speichervorgängen Maßnahmen gegen ein vorsätzliches oder ungewolltes unerlaubtes Eindringen von dritter Seite in Betracht zu ziehen, erhält der Fachmann aus der D12. Dort (D12, S. 25) wird vorgeschlagen, nicht nur den Inhalt des Speichers (100) des Senders zuverlässig zu sichern, sondern auch den Speicher (200) des Empfängers durch erneutes Betätigen der Taste gegen Veränderungen zu sichern und somit den Paarungsmodus abzuschließen. Der verteidigte Patentanspruch 1 des Streitpatents schlägt vor, das gespeicherte Signal im Paarungsmodus unverändert zu lassen. Mit Blick auf die in der D12 offenbarten Maßnahmen beruht dies nicht auf erfinderischer Leistung.
50
IV. Auch der Gegenstand des neu formulierten Patentanspruchs 2 ist nicht patentfähig.
51
1. Das Patentnichtigkeitsverfahren dient der Nichtigerklärung eines Patents , soweit ein gesetzlich vorgesehener und vom Kläger geltend gemachter Nichtigkeitsgrund vorliegt. Es eröffnet in diesem Umfang dem Patentinhaber die in der Sache veranlassten Verteidigungsmöglichkeiten, es dient aber nicht der Gestaltung des Patents; diese Funktion ist allein dem Patenterteilungsverfahren zugewiesen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann das Patent im Nichtigkeitsverfahren in diesem Rahmen vom Patentinhaber eingeschränkt verteidigt werden (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 14. September 2004 - X ZR 149/01, GRUR 2005, 145 - Elektronisches Modul; Urteil vom 23. Februar 1988 - X ZR 93/85, BGHZ 103, 262 - Düngerstreuer).
52
Nach diesen Vorgaben ist die beschränkte Verteidigung auch mit Patentanspruch 2 zulässig. Bei Patentanspruch 2 handelt es sich um einen Unteranspruch , da er sich auf eine "Kontrollvorrichtung gemäß Anspruch 1" und damit auf den Hauptanspruch 1 zurückbezieht. Die Besonderheit in der Formulierung dieses Anspruchs besteht darin, dass nach einem Obersatz sieben einzelne Maßnahmen aufgezählt sind, die nach dem Wortlaut des Anspruchs alternativ und nicht kumulativ gelten sollen. Es handelt sich also in der Sache um sieben Unteransprüche, in die Merkmale aus der Beschreibung aufgenommen worden sind. Mit den Varianten des Patentanspruchs 2 soll der Paarungsmodus sicher gestaltet werden.
53
Die Merkmale 2a bis 2g sind in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen , deren Beschreibungstext mit der Beschreibung des Streitpatents übereinstimmt , offenbart. Die Feststellung der Intensität der von der Sendeeinrichtung ausgestrahlten Signale ergibt sich aus der Patentbeschreibung in Spalte 13, Zeilen 8 bis 24, die Auswertung des Signals nach einer manuellen Druckänderung , die als aktives Paaren bezeichnet wird, aus Spalte 13, Zeilen 41 bis 51. Das Aussenden eines Abfragesignals durch die Empfangseinrichtung und die anschließende Feststellung der Signalintensität ist in Spalte 14, Zeilen 3 bis 47 aufgezeigt. Damit kann das zentrale Empfangsgerät die einzelnen Sendegeräte hintereinander abfragen. Die Auswertung des Signals nach einer manuellen Druckänderung findet sich in demselben Abschnitt. Das Empfangen eines Signals mit hoher Intensität wird in Spalte 16, Zeilen 56 ff. und die in den Merkmalen 2f und 2g dargestellte Methode der Paarung wird in Spalte 17, Zeilen 26 bis 36 beschrieben.
54
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 2 beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit (Art. 56 EPÜ).
55
Patentanspruch 2 ist auf Anspruch 1 rückbezogen, sein Obersatz gilt für alle Maßnahmen a bis g. Ziel der einzelnen Maßnahmen ist, wie bereits ausgeführt , eine zusätzliche Absicherung des Paarungsmodus gegen Fehlpaarungen. Patentanspruch 2 erreicht dieses Ziel zum einen durch die Auswertung zusätzlicher Signale (2a Signalintensität, 2b manuell geänderter Druck, 2f Schaltung eines Reedkontakts, 2g Betätigung einer (sonstigen) Schalteinrichtung am Ventil ), zum anderen durch einen bidirektionalen Signalfluss, bei dem zunächst ein "Startsignal" vom Empfänger zum Sender geschickt wird (2e; Triggern des Messvorgangs), gegebenenfalls kombiniert mit einem der Zusatzsignale 2a oder 2b (2c und 2d). Derartige Maßnahmen sind mit Ausnahme von 2b in den Entgegenhaltungen beschrieben.
56
a) Die Variante 2a beinhaltet die Anweisung, die Intensität der von der Sendeeinrichtung ausgestrahlten Signale zu messen. Nach den Angaben des Sachverständigen ist die Messung der Empfangsintensität typischerweise in jedem Funkempfänger möglich und meist auch vorhanden. Die Methode der Zuordnung der Signale über die Empfangsintensität ist in der US-Patentschrift 4 319 220 (D3), die ein Reifendruckalarmsystem (Alarm System for Monitoring Pressurized Vehicular Tires) beschreibt, offenbart. Dort heißt es in Spalte 14, Zeilen 32 bis 35 "…wherein individual antennas…are used in close proximity to the active wheels for added strength of reception and for identification of wheel source location…". Auch wenn hier die Messung der Signalintensität in Zu- sammenhang mit dem System der verteilten Antennen genannt ist, wird der Fachmann durch die D3 angeregt, diese Zuordnungsmethode auch für die Vorrichtung des Streitpatents zu verwenden. Denn die D3 offenbart einen dem Paarungsmodus des Streitpatents vergleichbaren Vorgang durch die Verwendung eines Handgeräts zur Identifikation des individuellen Rads oder Reifens. Der Fachmann entnimmt auch der US-Patentschrift 4 163 208 (D54), wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, als Mittel für die Unterscheidung benachbarter Fahrzeuge die Auswertung der Signalstärke.
57
b) Bei Durchführung der Maßnahme nach Variante 2c wird nicht auf den regelmäßigen Sendepuls gewartet; man kann den Messvorgang selbst auslösen. Dazu ist erforderlich, eine bidirektionale Kommunikation herzustellen, denn der Empfänger soll jetzt auch senden können ("…und die Empfangseinheit ein Abfragesignal aussendet…"). Die bidirektionale Signalübermittlung (2e) und auch die Abfragemethode, also die Auslösung der Messung durch die zentrale Empfangseinheit, sind in der D3 vorgeschlagen ("Regardless of whether used only for reception of signals for the wheel units, or for both reception and transmission of power to the wheel units, so long as a common frequency is used, a single antenna will do…", Sp. 14, Z. 62 ff).
58
c) Die Anspruchsvarianten 2e, 2 f und 2g haben gemein, dass der Sender in jedem Rad mit einem Betätigungselement ausgerüstet wird, das eine Messung auslöst und daraufhin eine Nachricht an die zentrale Empfangseinheit absetzt. Die Varianten unterscheiden sich nur in der Ausführung, die in 2e über ein intensives Funksignal, in 2f magnetisch über einen Reedkontakt und in 2g durch Betätigung einer am Ventil vorgesehenen Schalteinrichtung, also durch eine Taste, erfolgt. Sie erfordern einen direkten Eingriff am Rad, wodurch nicht der Messwert manipuliert, sondern eine eigene unterscheidbare Nachricht ausgelöst wird. Das Patentgericht hat ausgeführt, dass nach der D3 z.B. die Empfangseinrichtung in Form eines Handstabes (hand-held antenna/transmitter test unit 502, D3, Sp. 19, Z. 27 ff.) Abfragesignale aussendet und auf die im Reifen angeordnete Sendeeinrichtung reagiert. Zwangsläufig muss dann auch in der Sendeeinrichtung ein Empfänger zum Erkennen von Abfragesignalen der Empfangseinrichtung vorhanden sein. Die Aktivierung des Signals in der Sendeeinrichtung erfolgt drahtlos. Für die Ausführung dieser Funktion verschiedene technische Möglichkeiten vorzusehen - per Funk, magnetisch, per Taste - gehört zur Routinearbeit des durch ein Studium der Nachrichtentechnik ausgebildeten und mit Praxiserfahrung versehenen Fachmanns und stellt keine erfinderische Leistung dar.
59
d) Variante 2b stellt die Methode unter Schutz, den Messwert an dem zu paarenden Rad manuell gezielt zu verändern und an dieEmpfangseinrichtung zu übertragen. Diese prüft, bei welchem Identifikationssignal diese Druckänderung auftritt und speichert dann das entsprechende Identifikationssignal für die gewählte Radposition ab. Diese Methode erhöht die Sicherheit des Paarungsvorgangs (vgl. Sp. 13, Z. 41 bis 51 des Streitpatents). Für sie ist keine konkrete Beschreibung aus dem Stand der Technik ersichtlich. Ihre Anwendung kann der Fachmann jedoch dem allgemeinen technischen Fachwissen entnehmen. Anspruch 2b verlangt eine Manipulation der zu messenden physikalischen Größe (des Luftdrucks im Reifen), um die Quelle (den manipulierten Reifen) identifizieren zu können. Nach den Ausführungen des Sachverständigen ändert der Fachmann für die Signalübertragung in Fällen wie diesem, in denen keine verdrahtete Übertragung vorliegt, den Messwert, der ohnehin übertragen wird. Denn Fachleute denken in erster Linie daran, Einrichtungen, wie hier den Sensor , einfach zu gestalten; bei der Einführung zusätzlicher Signale könnte der Sensor empfindlich reagieren und in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt werden. Wenn sonach der Fachmann bestrebt ist, technische Vorrichtungen so wenig aufwendig wie möglich zu gestalten, wird er zur Übertragung des manuell veränderten Drucksignals das schon vorhandene Signal verwenden. Dabei liegt, so der Sachverständige, eine Wirkkette vor, die ausgehend vom Reifendrucksensor über die Codierung und die Funkstrecke zum Empfänger führt. Wird am Anfang der Wirkkette manipuliert, ist am Ende eine Änderung feststellbar. Eine Zuordnung des geänderten Signals zu seiner Quelle ist bei Anwendung dieser Maßnahme grundsätzlich immer möglich, da die Manipulation (Druckänderung) an einem bestimmten Reifen, dessen Position bekannt ist, erfolgt. Sie kann - wie ausgeführt - durch das bereits vorhandene Signal geschehen und erfordert keine zusätzlichen technischen Mittel. Sie ist damit nicht das Ergebnis einer erfinderischen Leistung.
60
e) Die Variante 2d enthält eine Kombination aus den Varianten 2c und 2b. Bei der Auswahl dieser Merkmalszusammenstellung handelt es sich um eine beliebige Aggregation mehrerer voneinander unabhängiger, für sich jeweils nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhender Maßnahmen. Dies wird schon aus der Gesamtgestaltung des Patentanspruchs 2 deutlich, der die einzelnen Maßnahmen zur Zuordnung im Paarungsmodus alternativ nebeneinanderstellt. Ein entscheidendes Kriterium für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit in derartigen Fällen ist, ob die nebeneinander gestellten einzelnen Merkmale funktional zusammenwirken und sich auf diese Weise eine über die bloße Addition hinausgehende Wirkung einstellt (vgl. BPatG, Urteil vom 1. Dezember 2010 - 4 Ni 60/09, juris; Bacher/Melullis in Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl., § 1 Rn. 78; Keukenschrijver in Busse, Patentgesetz, 6. Aufl., § 1 Rn. 100). Dies ist hier nicht der Fall. Die Kombination aus den Maßnahmen in 2b und in 2c, die beide Eingriffe von außen (Druckänderung bzw. Auslösen des Abfragesignals) beinhalten, wirkt nicht erkennbar zusammen. Die Maßnahmen sind schlicht nebeneinander gestellt; ein über die bloße Addition hinausgehender Effekt ist nicht erkennbar.
61
f) Nach alldem sind die in Patentanspruch 2 vorgeschlagenen Maßnahmen aus den auf dem Fachgebiet des Streitpatents liegenden Entgegenhaltungenoder dem allgemeinen Fachwissen bekannt. Selbst wenn die Maßnahmen nicht ausnahmslos für den erfindungsgemäßen Zweck beschrieben sein sollten, war der Fachmann, der den Paarungsmodus sicherer ausgestalten wollte, bestrebt , die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger um einen zusätzlichen Parameter zu ergänzen, der dazu beitragen konnte, Fehlpaarungen zu vermeiden. Zu diesem Zweck bot sich dem Fachmann an, auf die bekannten Maßnahmen zurückzugreifen.
62
V. Hinsichtlich der Unteransprüche 3 bis 19 ist ein weitergehender erfinderischer Gehalt von den Beklagten weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 12. Dezember 2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 Rn. 42 - Schussfädentransport; Urteil vom 29. September 2011 - X ZR 109/08, zur Veröffentlichung vorgesehen - Sensoranordnung).
63
VI. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.
Keukenschrijver Mühlens Grabinski
Bacher Schuster

Vorinstanzen:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 01.03.2007 - 2 Ni 1/04 (EU) -

Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2011 - X ZR 107/07

Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2011 - X ZR 107/07

Referenzen - Gesetze

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Patentgesetz - PatG | § 121


(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend. (2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über d
Bundesgerichtshof Urteil, 11. Okt. 2011 - X ZR 107/07 zitiert 3 §§.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 97 Rechtsmittelkosten


(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

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Bundesgerichtshof Urteil, 29. Sept. 2011 - X ZR 109/08

bei uns veröffentlicht am 29.09.2011

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 109/08 Verkündet am: 29. September 2011 Wermes Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ:

Bundesgerichtshof Urteil, 14. Sept. 2004 - X ZR 149/01

bei uns veröffentlicht am 14.09.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 149/01 Verkündet am: 14. September 2004 Groß Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ : nei

Bundesgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2006 - X ZR 131/02

bei uns veröffentlicht am 12.12.2006

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL X ZR 131/02 Verkündet am: 12. Dezember 2006 Potsch Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in der Patentnichtigkeitssache Nachschlagewerk: ja BGHZ : ne

Referenzen

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 149/01 Verkündet am:
14. September 2004
Groß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ : nein
BGHR : ja
elektronisches Modul
PatG (1981) §§ 81 ff., 110 ff.
Ein Gegenstand, der durch das erteilte Patent zwar offenbart, von ihm aber
nicht geschützt ist, kann im Patentnichtigkeitsverfahren nicht nachträglich in das
Patent einbezogen und unter Schutz gestellt werden.
BGH, Urt. v. 14. September 2004 - X ZR 149/01 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 14. September 2004 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richterinnen Ambrosius und
Mühlens und den Richter Asendorf

für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Klägerin, die im übrigen zurückgewiesen wird, wird das Urteil des 2. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 15. März 2001 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt: Das europäische Patent 0 674 828 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seiner Patentansprüche 1-5 dadurch teilweise für nichtig erklärt , daß an die Stelle des Patentanspruchs 1 in seiner erteilten Fassung folgender Patentanspruch 1 tritt, die Patentansprüche 2 und 3 entfallen und die Patentansprüche 4 und 5 auf den neuen Patentanspruch 1 rückbezogen werden: "1. Elektronisches Modul, insbesondere Speichermodul, das an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Leiste (16, 17) aufweist zur Aufnahme und Halterung des Moduls in dazu korrespondierenden Nuten (26) zweier U-förmiger Schienen eines Kunststoffträgers, mit einem Kunststoffrahmen (1), der eine bestückte Leiterplatte (2) aufnimmt und der an seiner Ober- und Unterseite eine elektrisch leitende Abdeckung (7, 8) trägt, welche sich bis auf die Leisten (16, 17) erstreckt, wobei - auf beiden Seiten eine Abdeckung (7, 8) vorhanden ist und - der Kunststoffrahmen (1) im Umfangsbereich Ausnehmungen (10) aufweist, in welche rechtwinklig abgebogene Laschen (11, 18) der beiden Abdeckungen (7, 8) hineinragen und auf Grund Federkraft aneinanderliegen und so eine elektrische Verbindung zwischen den Abdeckungen (7, 8) herstellen und - der Kunststoffrahmen (1) im Umfangsbereich weitere Ausnehmungen (10) aufweist, die derart ausgebildet sind, daß sie mit hineinragenden Haken (12) der Abdeckungen eine Rastverbindung eingehen." Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin ein Viertel, die Beklagte drei Viertel.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldungen 92 17 265 und 92 17 302 vom 17. Dezember 1992 am 8. Dezember 1993 international angemeldeten , mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 674 828 (Streitpatents). Das in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlichte Streitpatent betrifft eine "Vorrichtung mit einem Kunststoffträger zur Aufnahme und Halterung eines elektronischen Moduls" und umfaßt 14 Patentansprüche. Die allein angegriffenen Patentansprüche 1 bis 5 haben folgenden Wortlaut: "1. Elektronisches Modul, insbesondere Speichermodul, das an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Leiste (16, 17)

aufweist zur Aufnahme und Halterung des Moduls in dazu korrespondierenden Nuten (26) zweier U-förmiger Schienen eines Kunststoffträgers, mit einem Kunststoffrahmen (1), der eine bestückte Leiterplatte (2) aufnimmt und der an seiner Oberund /oder Unterseite eine elektrisch leitende Abdeckung (7, 8) trägt, welche sich bis auf die Leisten (16, 17) erstreckt. 2. Elektronisches Modul nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet , - daß auf beiden Seiten eine Abdeckung (7, 8) vorhanden ist und - daß der Kunststoffrahmen (1) im Umfangsbereich Ausnehmungen (10) aufweist, in welche rechtwinklig abgebogene Laschen (11, 18) der beiden Abdeckungen (7, 8) hineinragen und eine elektrische Verbindung zwischen den Abdekkungen (7, 8) herstellen. 3. Elektronisches Modul nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet , - daß der Kunststoffrahmen (1) im Umfangsbereich weitere Ausnehmungen (10) aufweist, die derart ausgebildet sind, daß sie mit hineinragenden Haken (12) der Abdeckungen eine Rastverbindung eingehen. 4. Elektronisches Modul nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet , - daß die Rastverbindung unlösbar ist. 5. Elektronisches Modul nach einem der Ansprüche 2 bis 4, dadurch gekennzeichnet, - daß die beiden Abdeckungen (7, 8) identisch sind." Die Klägerin hat geltend gemacht, daß der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 5 des Streitpatents gegenüber dem Stand der Technik, wie ihn insbesondere die Veröffentlichungen der europäischen Patentanmeldungen 0 417 648 A2 (K3), 0 459 044 A1 (K4), zwei Datenblätter von Mitsubishi K.K. (K5 und K6), eine Veröffentlichung in „Elektronik“ vom 17./19. August 1988, S. 42/43 (K7) und ein Beitrag von Cathérine Gross in „Electronique“ Nr. 21, Oktober 1992, S. 80 bis 82, sowie von der Mitsubishi Electric Corporation 1991 gefertigte IC-Cards bildeten, nicht patentfähig sei. Sie hat beantragt, das Streit-

patent im Umfang seiner Patentansprüche 1 bis 5 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte hat Patentanspruch 1 des Streitpatents in einer eingeschränkten Fassung verteidigt, bei der der letzte Satzteil folgende Fassung erhalten sollte:
"welche sichzur elektrischen Kontaktierung eines Bezugspotentials bis auf die Leisten (16, 17) erstreckt", und auf die sich die Patentansprüche 2 bis 5 bei unverändertem Wortlaut zurückbeziehen sollen, und im übrigen die Abweisung der Klage begehrt.
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent entsprechend der eingeschränkten Verteidigung der Beklagten teilweise für nichtig erklärt und die Klage im übrigen abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die weiterhin die Nichtigerklärung des Streitpatents für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang seiner Patentansprüche 1 bis 5 begehrt. Zusätzlich stützt sich die Klägerin u.a. auf den PCMCIA PC Card Standard Release (November 1992; K11), die US-Patentschrift 4 955 817 (K12), die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 406 610 A2 (K13) sowie verschiedene Datenblätter (K14-K16).
Die Beklagte tritt dem Rechtsmittel nur insoweit entgegen, als sie das Streitpatent mit weiter eingeschränkten Patentansprüchen verteidigt, und zwar mit Patentansprüchen 1 bis 8 nach Hauptantrag, hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 7 nach Hilfsantrag 1 und Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2,

auf den sich, wie sie in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, die erteilten Patentansprüche 4 und 5 zurückbeziehen sollen.
Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:
"1. Vorrichtung mit einem Kunststoffträger und mit einem elektronischen Modul, insbesondere mit einem Speichermodul, das an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Leiste (16, 17) aufweist zur Aufnahme und Halterung des elektronischen Moduls in dazu korrespondierenden Nuten (28) zweier U-förmiger Schienen des Kunststoffträgers,
- wobei das elektronische Modul einen Kunststoffrahmen (1) aufweist, der eine bestückte Leiterplatte (2) aufnimmt und der an seiner Ober- und Unterseite eine elektrisch leitende Abdeckung (7, 8) trägt, welches sich bis auf die Leisten (16, 17) erstreckt,
- wobei im Kunststoffträger zur Aufnahme und Halterung des Moduls zwei elektrisch leitende Blattfedern (29, 30, 31, 32) auf den Innenseiten der Schenkel mindestens einer Uförmigen Schiene (37, 38) des Kunststoffträgers einander gegenüberliegend angeordnet sind zur Kontaktierung der Abdeckungen (7, 8) des Moduls im Bereich der Leiste (16, 17) und
- wobei die Blattfedern (29, 30, 31, 32) an mindestens einem Ende durch ein das Joch der Nut in der U-förmigen Schiene übergreifendes Teil (33, 34) miteinander verbunden und mit

mindestens einer Fahne (47, 48) zur elektrischen Verbindung mit einem Bezugspotential versehen sind und
- wobei die Schienen (26, 38, 27, 37) zweigeteilt sind und daß das Schienenanfangsteil (20) in dem Schienenendeteil (21), das einen Steckverbinder für das elektronische Modul aufweist , durch eine lösbare Rastverbindung befestigt ist."
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet:
"1. Vorrichtung mit einem Kunststoffträger und mit einem elektronischen Modul, insbesondere mit einem Speichermodul, das an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Leiste (16, 17) aufweist zur Aufnahme und Halterung des elektronischen Moduls in dazu korrespondierenden Nuten (28) zweier U-förmiger Schienen des Kunststoffträgers,
- wobei das elektronische Modul einen Kunststoffrahmen (1) aufweist, der eine bestückte Leiterplatte (2) aufnimmt und der an seiner Ober- und Unterseite eine elektrisch leitende Abdeckung (7, 8) trägt, welches sich bis auf die Leisten (16, 17) erstreckt,
- wobei im Kunststoffträger zur Aufnahme und Halterung des Moduls zwei elektrisch leitende Blattfedern (29, 30, 31, 32) auf den Innenseiten der Schenkel mindestens einer U-förmigen Schiene (37, 38) des Kunststoffträgers einander gegenüberliegend angeordnet sind zur Kontaktierung der Abdeckungen (7, 8) des Moduls im Bereich der Leiste (16, 17) und

- wobei die Blattfedern (29, 30, 31, 32) an mindestens einem Ende durch ein das Joch der Nut in der U-förmigen Schiene übergreifendes Teil (33, 34) miteinander verbunden und mit mindestens einer Fahne (47, 48) zur elektrischen Verbindung mit einem Bezugspotential versehen sind und
- wobei eine Fahne (47, 48) als Fortsatz am Ende einer Blattfeder (30, 32) ausgebildet ist, der um 180° gebogen a n der Außenseite des Schenkels zurückgeführt und mit einer Lasche (45, 46) versehen ist, die eine Grundplatte (44) des Kunststoffträgers im Bereich einer Bohrung zur Befestigung auf einer weiteren Leiterplatte abdeckt und
- wobei die Schienen (26, 38, 27, 37) zweigeteilt sind und daß das Schienenanfangsteil (20) in dem Schienenendeteil (21), das einen Steckverbinder für das elektronische Modul aufweist , durch eine lösbare Rastverbindung befestigt ist."
Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet in der Fassung, in der ihn die Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung verfolgt hat:
"1. Elektronisches Modul, insbesondere Speichermodul, das an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Leiste (16, 17) aufweist zur Aufnahme und Halterung des Moduls in dazu korrespondierenden Nuten (26) zweier U-förmiger Schienen eines Kunststoffträgers, mit einem Kunststoffrahmen (1), der eine bestückte Leiterplatte (2) aufnimmt und der an seiner Ober- und Unterseite eine elektrisch leitende Abdeckung (7, 8) trägt, welche sich bis auf die Leisten (16, 17) erstreckt, wobei - auf beiden Seiten eine Abdeckung (7, 8) vorhanden ist und - der Kunststoffrahmen (1) im Umfangsbereich Ausnehmungen (10) aufweist, in welche rechtwinklig abgebogene La-

schen (11, 18) der beiden Abdeckungen (7, 8) hineinragen und auf Grund Federkraft aneinanderliegen und so eine elektrische Verbindung zwischen den Abdeckungen (7, 8) herstellen und - der Kunststoffrahmen (1) im Umfangsbereich weitere Ausnehmungen (10) aufweist, die derart ausgebildet sind, daß sie mit hineinragenden Haken (12) der Abdeckungen eine Rastverbindung eingehen." Im Auftrag des Senats hat Professor Dr.-Ing. G. R. ,
ein schriftliches , Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


Die zulässige Berufung führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils und zur weitergehenden Teilnichtigerklärung des Streitpatents, nämlich in dem Umfang, in dem die Patentansprüche 1-5 über die Fassung gemäß Hilfsantrag 2 der Beklagten hinausgehen.
I. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent nur mit diesem Hilfsantrag im Umfang der allein angegriffenen Patentansprüche 1-5 in zulässiger Weise.
1. In den Fassungen des erteilten Patents und des angefochtenen Urteils verteidigt die Beklagte die angegriffenen Patentansprüche des Streitpatents nicht mehr. An ihre abweichende Verteidigung in erster Instanz ist sie im Berufungsverfahren nicht gebunden (Sen.Urt. v. 17.2.2004 - X ZR 48/00, GRUR 2004, 583 - Tintenstandsdetektor, für die Berufung des Patentinhabers; v. 4.5.1995 - X ZR 29/93, GRUR 1996, 757, 758 - Zahnkranzfräser; st. Rspr.).

2. In den Fassungen, in denen sie diese Patentansprüche nach Hauptantrag und nach Hilfsantrag 1 verteidigen will, kann sie dies allerdings nicht tun, da sie hierdurch den Nichtigkeitsgrund der Erweiterung des Schutzbereichs des Streitpatents (Art. II § 6 Abs. 1 Nr. 4 IntPatÜG; Art. 138 Abs. 1 Buchst. d EPÜ) schaffen würde (vgl. u.a. Sen. Urt. v. 12.11.1996 - X ZR 103/94, bei Bausch, Nichtigkeitsrechtsprechung in Patentsachen, BGH 1994-1998, 378, 383 - Deckengliedertor; Busse/Schwendy, PatG 6. Aufl. 2003, Rdn. 25 zu § 22 PatG mit umfassenden Nachw. in Fußn. 9; Schulte, PatG 6. Aufl. 2001 Rdn. 123 zu § 81 PatG). Die angegriffenen Patentansprüche 1-5 schützen nämlich jeweils nur elektronische Module als solche, während die Patentansprüche 6-14 "Kunststoffträger zur Aufnahme und Halterung eines elektronischen Moduls" betreffen. Der Gegenstand, für den die Patentinhaberin im Weg einer geänderten Verteidigung nach Hauptantrag und erstem Hilfsantrag Schutz haben will, ist demgegenüber eine "Vorrichtung mit einem Kunststoffträger und mit einem elektronischen Modul". Selbst wenn ein solcher Gegenstand durch das erteilte Patent offenbart werden sollte, wird er von ihm aber, da nicht in einem Patentanspruch unter Schutz gestellt, nicht geschützt. Eine nachträgliche Einbeziehung eines solchen, vom Streitpatent nicht geschützten Gegenstands in dieses ist im Patentnichtigkeitsverfahren nicht möglich. Ein Gegenstand, der durch das erteilte Patent zwar offenbart, von ihm aber nicht geschützt ist, kann im Patentnichtigkeitsverfahren nicht nachträglich in das Patent einbezogen und unter Schutz gestellt werden. Das Patentnichtigkeitsverfahren dient der Nichtigerklärung eines Patents, soweit bei ihm ein gesetzlich vorgesehener und vom Nichtigkeitskläger geltend gemachter Nichtigkeitsgrund vorliegt, und eröffnet in diesem Umfang dem Patentinhaber die in der Sache veranlaßten Verteidigungsmöglichkeiten, es dient aber nicht darüber hinaus der Gestaltung des Patents; diese Funktion ist vielmehr einzig dem Patenterteilungsverfahren zugewiesen (vgl. BGHZ 103, 262, 266 - Düngerstreuer

).



Daß das Patent im Nichtigkeitsverfahren vom Patentinhaber eingeschränkt verteidigt werden kann, rechtfertigt sich aus diesen Grundsätzen. Die Rechtsprechung hat es zugelassen, daß der einer Nichtigkeitsklage ausgesetzte Patentinhaber nur einen beschränkten Inhalt des Patents verteidigt und auf diese Weise eine Beschränkung des Prozeßstoffs herbeiführt, ohne daß er den vom Gesetz dafür an sich vorgegebenen Weg des Beschränkungsverfahrens (§ 64 PatG) beschreiten muß (BGHZ 21, 8, 11 f. - Spritzgußmaschine I; seither st. Rspr.; vgl. Benkard/Rogge, PatG 9. Aufl. § 22 Rdn. 33; Busse, PatG 6. Aufl. § 83 Rdn. 36; Schulte, PatG 6. Aufl. § 81 Rdn. 118, 143). In der Sache ist dies jedenfalls dadurch gerechtfertigt, daß ein Verlangen, im Rahmen des im Patentnichtigkeitsverfahren zur Überprüfung Stehenden ein gesondertes Beschränkungsverfahren durchzuführen, eine von der Sache nicht gebotene Erschwerung der Möglichkeiten des Patentinhabers bedeuten würde, das Patent in einem sich als schutzfähig erweisenden Umfang zu verteidigen. Das durch Richterrecht geschaffene Institut der beschränkten Verteidigung im Nichtigkeitsverfahren hat sich in der Praxis bewährt und ist aus dem Nichtigkeitsverfahren des deutschen Rechts nur mehr schwer hinwegzudenken. Die Selbstbeschränkung muß sich sachlich freilich immer in dem durch das Beschränkungsverfahren vorgegebenen Rahmen halten (vgl. BGHZ aaO - Spritzgußmaschine I), also zu einer (zulässigen) Einschränkung des Patents führen (vgl. hierzu Benkard/Schäfers aaO § 64 Rdn. 15; Busse/Schwendy aaO § 64 PatG Rdn. 32). Demgegenüber bedeutete die Zulassung der Einbeziehung vom Streitpatent nicht umfaßter Gegenstände durch eine Änd erung des Patents im Nichtigkeitsverfahren keine Einschränkung, sondern ein zugunsten des Patentinhabers korrigierendes Wiederaufgreifen des Erteilungsverfahrens, das dem deutschen Recht grundsätzlich fremd ist und deshalb selbst dann nicht in Betracht kommen kann, wenn im Einzelfall feststellbar sein sollte, daß eine Erweiterung des Schutzbereichs (ausnahmsweise) ausgeschlossen werden kann.

3. Was die Verteidigung des Streitpatents mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 und den auf diesen rückbezogenen Patentansprüchen 4 und 5 betrifft, handelt es sich zunächst bei der Ersetzung der Formulierung "Oberund /oder Unterseite" durch "Ober- und Unterseite" um eine Beschränkung auf eine von zwei Lösungsalternativen, die ohne weiteres zulässig ist. Bei den zusätzlich aufgenommenen Merkmalen, "wobei auf beiden Seiten eine Abdekkung vorhanden ist", "der Kunststoffrahmen im Umfangsbereich Ausnehmungen aufweist, in welche rechtwinklig abgebogene Laschen der beiden Abdekkungen hineinragen und auf Grund Federkraft aneinanderliegen und so eine elektrische Verbindung zwischen den Abdeckungen herstellen" und "der Kunststoffrahmen im Umfangsbereich weitere Ausnehmungen aufweist, die derart ausgebildet sind, daß sie mit hineinragenden Haken der Abdeckungen eine Rastverbindung eingehen", handelt es sich um solche, die sowohl in den ursprünglichen Unterlagen (Patentansprüche 2 und 3 der PCT-Anmeldung) als zur Erfindung gehörend offenbart als auch im Streitpatent in seiner erteilten Fassung (ebenfalls Patentansprüche 2 und 3) genannt sind. Ihre Aufnahme in den Patentanspruch 1 beschränkt diesen mithin in zulässiger Weise.
II. Das Streitpatent betrifft, soweit es von der Nichtigkeitsklägerin angegriffen ist, ein elektronisches Modul, bei dem es sich insbesondere um ein Speichermodul handeln kann. Nach der Beschreibung des Streitpatents sind durch elektronische Module, die in einem Kunststoffträger auf einer Leiterplatte aufgenommen werden, Systemkomponenten mit einem variablen Speicherausbau realisierbar. Dabei muß das Modul den Anforderungen an die Industrietauglichkeit genügen (vgl. Beschr. Sp. 1 Z. 9-19).
Durch das Streitpatent soll ein Modul bereitgestellt werden, das mit einfachen Mitteln eine gute elektromagnetische Verträglichkeit gewährleistet und Potentialverschiebungen zwischen dem Modul und seiner Umgebung vermeidet (Beschr. Sp. 1 Z. 20-27). Die Beschreibung des Streitpatents spricht in die-

sem Zusammenhang insbesondere die Ausgestaltung der Rastverbindungen zwischen Abdeckungen und Kunststoffrahmen, also die mechanische Verbindung , und die Ausgestaltung der Kontaktierungsstellen im Umfangsbereich der Abdeckungen, also die elektrische Verbindung, an (Beschr. Sp. 1 Z. 42-52).
III. Das elektronische Modul nach dem mit Hilfsantrag 2 in der Formulierung in der mündlichen Verhandlung verteidigten Patentanspruch 1 weist folgende Merkmale auf:
1. an zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Leiste 1.1 zur Aufnahme und Halterung des Moduls 1.2 in dazu korrespondierenden Nuten zweier Uförmiger Schienen eines Kunststoffträgers, 2. einen Kunststoffrahmen, 2.1 der eine bestückte Leiterplatte aufnimmt und 2.2 an seiner Ober- und Unterseite eine elektrisch leitende Abdeckung trägt, 2.2.1 die sich bis auf die Leisten erstreckt, 2.3 der im Umfangsbereich Ausnehmungen aufweist, 2.3.1 in die rechtwinklig abgebogene Laschen der beiden Abdeckungen hineinragen, die 2.3.2 auf Grund Federkraft aneinanderliegen und so 2.3.3 eine elektrische Verbindung zwischen den Abdeckungen herstellen, und 2.4 im Umfangsbereich weitere Ausnehmungen aufweist , 2.4.1 die derart ausgebildet sind, daß sie mit hineinragenden Haken der Abdeckungen eine Rastverbindung eingehen. Dabei ist der Verweis auf weitere Ausnehmungen (Merkmal 2.4), wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend und von den Parteien unwidersprochen ausgeführt hat, dahin zu verstehen, daß es sich gegenüber den Ausnehmungen (mit elektrischer Funktion) in Merkmal 2.3 um zusätzliche Ausnehmungen (mit mechanischer Funktion) handelt. Der gerichtliche Sachverständige hat dies weiter dahin erläutert, daß das Streitpatent

in seiner verteidigten Fassung von dem bekannten Konstruktionsprinzip der Funktionstrennung Gebrauch macht, indem es mechanische und elektrische Verbindung trennt, und dadurch - anders als bei der Integration verschiedener Funktionen in einem Element - eine optimale Anpassung des Elements an die jeweilige Funktion erlaubt.
IV. Der Gegenstand des gemäß Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruchs 1 ist neu, weil im Stand der Technik ein elektronisches Modul mit seinen sämtlichen Merkmalen nicht vorbeschrieben ist (Art. 52, 54 EPÜ). Hinsichtlich des nach Hilfsantrag 2 beschränkten Patentanspruchs 1 kann der Senat nicht feststellen, daß der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit vorliegt, weil sich die Lehre dieses Patentanspruchs für den Fachmann, einen Elektronikingenieur, in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergeben hätte (Art. 52, 56 EPÜ); dies geht zu Lasten der das Patent angreifenden Klägerin.
1. Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 417 648 A2 beschreibt eine IC-Karte mit integrierter Schaltung, die einen Rahmen mit einer Öffnung umfaßt, die mit einer oberen und einer unteren Oberfläche ausgebildet sein kann, mit einer im Rahmen enthaltenen elektronischen Einheit und einer Platte, die die Öffnung überdeckt, wobei der Rahmen mit einer Vielzahl von Aussparungen am Rand versehen ist und die Platte eine entsprechende Zahl von elastischen Vorsprüngen (25, 26) aufweist, die sich an den Aussparungen im Rahmen entsprechenden Stellen befinden. Dabei erstreckt sich jeder der elastischen Vorsprünge, der aus einem vorspringenden Stück (25a) und aus einem durch Umbiegen des vorspringenden Stücks gebildeten Haken (25b) besteht , senkrecht zur Plattenoberfläche in vertikaler Richtung. Jede der Aussparungen (27, 28) besteht aus einem Eingangsraum und einem Bodenraum, dessen Innenwand eine Schräge bildet. Die elastischen Vorsprünge sind derart geformt , daß ihr Haken bei Einführen in die Aussparung zunächst elastisch ver-

formt wird, bis der Bodenraum erreicht wird, in dem der Haken sich elastisch zurückstellt und mit der Innenwand des Bodens in Eingriff kommt. Eine Rastverbindung entsteht dabei nicht, wie dies etwa Figur 12 zeigt:

2. Figur 1 der vorveröffentlichten europäischen Patentanmeldung 0 406 610 A2 zeigt ein elektronisches Modul, insbesondere ein Speichermodul:

Dieses Modul weist an (jeweils) zwei gegenüberliegenden Seiten jeweils eine Längsleiste des Kunststoffrahmens 5 auf, die zur Aufnahme des Moduls in dazu korrespondierende Nuten 22 zweier U-förmiger Schienen eines Steckverbinders 20 dient (Merkmale 1, 1.1 und 1.2). Dabei ist in der inneren Randfläche des Steckverbinders 20 eine Kantenführungsnut 22 vorgesehen. Die elektrische Kontaktierung erfolgt über Verbindungselemente 8, die die obere und die untere

Platte verbinden und intern mit einem Masseanschluß der Leiterplatte 2 verbunden sind (Beschr. Sp. 2 Z. 43-46). Die Figuren 2 und 3 zeigen dabei die Aufnahme einer bestückten Leiterplatte in dem Kunststoffrahmen (Merkmale 2, 2.1):

An Ober- und Unterseite ist eine metallische, d.h. elektrisch leitende Abdichtung vorgesehen, die sich - wie Figur 1 zeigt - bis auf die Längsleisten des Rahmens 5 erstreckt (Merkmale 2.2, 2.2.1).
Dagegen zeigt die Entgegenhaltung nicht das Merkmal, daß der Kunststoffrahmen im Umfangsbereich Ausnehmungen aufweist, in die die rechtwinklig abgebogenen Laschen der beiden Abdeckungen hereinragen. Damit ist die

Merkmalsgruppe 2.3 insgesamt dem Fachmann nicht nahegelegt. Auch für eine Funktionstrennung zwischen elektrischer und mechanischer Verbindung (Merkmalsgruppe 2.4) bietet die Veröffentlichung keine Anregungen. Die mechanische Verbindung als solche ist in der Veröffentlichung nicht angesprochen. Anders als beim Streitpatent steht die Abschirmung in einer elektrisch leitenden Verbindung mit dem Masseanschluß der Leiterplatte der im Abschirmungsbereich untergebrachten elektrischen Einheit.
3. Die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 0 459 044 A1 zeigt eine IC-Karte, bei der einerseits die Festigkeit der Verbindung der beiden Platten mit dem Rahmen erhöht ist und andererseits die mechanische Verbindung aus elektrisch leitfähigem Material hergestellt wird, wodurch mechanische und elektrische Verbindung miteinander integriert werden; vgl. Beschr. Sp. 2 Z. 15-22: "… provide an IC card in which the strength of bonding of both panels to the frame is enhanced and the necessity for the potential equalizer spring for electrically connecting both panels is eliminated so as to reduce the number of parts and to facilitate the assembly"; übersetzt: "… IC-Karte, bei der die Festigkeit der Verbindung beider Platten mit dem Rahmen erhöht ist und die Notwendigkeit der Verwendung der Potentialausgleichsfeder zum elektrischen Miteinanderverbinden der beiden Platten eliminiert ist, so daß die Zahl der Teile reduziert ist und die Montage erleichtert wird." Dies läuft der Zielsetzung einer Funktionstrennung nach dem mit Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruch 1 des Streitpatents diametral entgegen.
4. Auch der Prospekt von Hosiden Electronics Co. Ltd. (K16) zeigt nur einen Sandwich-Aufbau des Moduls und keinen besonderen Aufbau des Rahmens im Sinn des hilfsweise verteidigten Patentanspruchs 1.
5. Anregungen in Richtung auf eine Funktionstrennung zwischen mechanischer und elektrischer Verbindung geben auch die übrigen Entgegenhaltun-

gen nicht. Der Fachmann kann ihnen keine Hinweise entnehmen, wie mechanische und elektrische Verbindung zueinander auszugestalten sind. Allerdings war ihm das Prinzip der Funktionstrennung, das das Modul nach dem mit Hilfsantrag 2 verteidigten Patentanspruch 1 verwirklicht, als allgemeines Konstruktionsprinzip geläufig, auch war ihm, wie der gerichtliche Sachverständige in der mündlichen Verhandlung überzeugend ausgeführt hat, bekannt, daß die Funktionstrennung eine optimale Funktionsanpassung ermöglicht. Daraus folgt jedoch noch nicht, daß der Fachmann Anlaß hatte, sich Gedanken in Richtung auf eine Entwicklung zu machen, die das Prinzip der Funktionstrennung verwirklichte. Wie etwa der europäischen Patentanmeldung 0 459 044 A1 zu entnehmen ist, wurde eine hohe Zahl von Teilen zum Prioritätszeitpunkt des Streitpatents durchaus als nachteilig angesehen (Beschr. Sp. 2 Z. 2-11). Das spricht gegen die Annahme, daß es für den Fachmann zum Prioritätszeitpunkt in dem Sinn naheliegend war, zur verteidigten Lösung des Streitpatents zu gelangen, daß er (im Sinn des in der Praxis insbesondere des Europäischen Patentamts entwikkelten "could-would"-Ansatzes; vgl. etwa Benkard, EPÜ, 2002, Art. 56 Rdn. 60; Kroher in Singer/Stauder, EPÜ, 2. Aufl. 2000, Art. 56 Rdn. 58 ff.) die Lösung nicht nur hätte finden können, sondern auch tatsächlich vorgeschlagen hätte.
V. Die Unteransprüche 4 und 5 werden durch ihre Rückbeziehung auf den erfolgreich verteidigten Patentanspruch 1 in der Fassung des zweiten Hilfsantrags mitgetragen.

VI. Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 PatG in Verbindung mit §§ 91, 92 Abs. 1, 97 ZPO.
Melullis Keukenschrijver Ambrosius
Mühlens Asendorf
42
VII. Ein eigenständiger erfinderischer Gehalt des auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentanspruch 2 ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Die Gesichtspunkte, die das Naheliegen des Patentanspruchs 1 begründen , stehen auch den infolge Kategoriewechsels, der eine Behandlung als Unteranspruch ausschließt, eigenständig zu prüfenden (a.A. BPatG, Urt. v. http://juris.bundespatentgericht.de.cgi-bin/rechtsprechung.document.py?gericht%20=bpatg&Art=en&Datum=2006-8&Nr=917&pos=11&anz=82&blank=1.pdf [Link] http://juris.bundespatentgericht.de.cgi-bin/rechtsprechung.document.py?gericht%20=bpatg&Art=en&Datum=2006-8&Nr=917&pos=11&anz=82&blank=1.pdf - 22 - 24.8.2006 - 4 Ni 7/05 (EU), Umdruck S. 15; im Internet unter http://juris.bundespatentgericht.de.cgi-bin/rechtsprechung.document.py?gericht =bpatg&Art=en&Datum=2006-8&Nr=917&pos=11&anz=82&blank=1.pdf) Patentansprüchen 4 und 5 entgegen. In den Vorrichtungsmerkmalen dieser Patentansprüche kann nichts die Erfindung Tragendes gesehen werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 109/08 Verkündet am:
29. September 2011
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Sensoranordnung
Wenn sich der Gegenstand eines Patentanspruchs als nicht patentfähig erweist
, führt dies nicht ohne weiteres dazu, dass auch der Gegenstand eines auf
ihn zurückbezogenen Unteranspruchs als nicht patentfähig angesehen werden
kann. Das Patent ist aber auch hinsichtlich des angegriffenen Unteranspruchs
für nichtig zu erklären, wenn weder geltend gemacht wird noch sonst ersichtlich
ist, dass die zusätzlichen Merkmale zu einer anderen Beurteilung der Patentfähigkeit
führen.
Der Erwerber des Patents, der einem vor der Eintragung des Rechtsübergangs
eingeleiteten Nichtigkeitsverfahren auf Seiten des Beklagten beitritt, ist nicht
streitgenössischer Nebenintervenient.
BGH, Urteil vom 29. September 2011 - X ZR 109/08 - Bundespatentgericht
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. September 2011 durch die Richter Keukenschrijver, Gröning,
Dr. Bacher und Hoffmann sowie die Richterin Schuster

für Recht erkannt:
Die Berufung und die Anschlussberufung gegen das am 16. Juli 2008 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das europäische Patent 866 971 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland insoweit für nichtig erklärt wird, als es über folgende Fassung der Patentansprüche hinausgeht: 1. Steueranordnung für ein Rückhaltemittel in einem Kraftfahrzeug - mit einer Sensoranordnung zum Erkennen eines Aufpralls, mit einer Vorrichtung (11, 12) zum Aufnehmen einer Beschleunigung (LS1, LS2, QS1, QS2) in jeder Fahrzeughälfte (LH, RH), bezogen auf die Fahrzeuglängsachse (A-A´), wobei jede Vorrichtung (11, 12) einen Längsbeschleunigungssensor (111, 121) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung in Richtung der Fahrzeuglängsachse (A-A´) und einen Querbeschleunigungssensor (112, 122) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung quer zur Fahrzeuglängs-achse (A-A´) aufweist , - mit zwei Steuergeräten (31, 32), wobei jedes Steuergerät (31, 32) eine Vorrichtung (11, 12) und eine ihr zugeordnete Auswerteeinheit (21, 22) zum Auswerten der von den Vorrichtungen (11, 12) gelieferten Signale (LS1, LS2, QS1, QS2) und zum Erzeugen von Steuersignalen (S) für Rückhaltemittel (4) abhängig davon aufweist, - bei der beide Steuergeräte (31, 32) über eine Leitung (3) zur Codesignalübertragung miteinander verbunden sind, und - bei der das eine Steuergerät (31) in der linken Fahrzeughälfte (LH) und das andere Steuergerät (32) in der rechten Fahrzeughälfte (RH) angeordnet ist.
2. Insassenschutzsystem mit einer Steueranordnung nach Anspruch 1, mit mindestens einem Rückhaltemittel (42) zum Seitenaufprallschutz und mit mindestens einem Rückhaltemittel (41) zum Frontaufprallschutz in jeder Fahrzeughälfte (LH, RH), bei dem die in der linken Fahrzeughälfte (LH) angeordneten Rückhaltemittel zum Seitenaufprallschutz (421) und zum Frontaufprallschutz (411) elektrisch mit der in der linken Fahrzeughälfte (LH) angeordneten Auswerteeinheit (21) verbunden sind, und bei dem die in der rechten Fahrzeughälfte (RH) angeordneten Rückhaltemittel zum Seitenaufprallschutz (422) und zum Frontaufprallschutz (412) elektrisch mit der in der rechten Fahrzeughälfte (RH) angeordneten Auswerteeinheit (22) verbunden sind.
Von den Kosten der Berufungsinstanz tragen die Beklagte zwei Drittel und die Klägerin ein Drittel. Die Klägerin trägt ferner ein Drittel der zweitinstanzlichen Kosten der Nebenintervention.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Die Beklagte war Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 866 971 (Streitpatents), das sie im Laufe des Rechtsstreits an die Streithelferin übertragen hat. Das Streitpatent ist am 9. Dezember 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 195 46 358 (BK2, Prioritätsdokument) vom 12. Dezember 1995 angemeldet worden. Es betrifft eine Sensoranordnung für ein Kraftfahrzeug zum Erkennen eines Aufpralls. Patentanspruch 1, auf den die übrigen Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der erteilten Fassung in der Verfahrenssprache Deutsch: "Sensoranordnung für ein Kraftfahrzeug zum Erkennen eines Aufpralls, mit einer Vorrichtung (11, 12) zum Aufnehmen einer Beschleunigung (LS1, LS2, QS1, QS2) in jeder Fahrzeughälfte (LH, RH), bezogen auf die Fahrzeuglängsachse (A-A’), dadurch gekennzeichnet, dass jede Vorrichtung (11, 12) zwei Beschleunigungssensoren (111, 112, 121, 122) mit unterschiedlich gerichteten Empfindlichkeitsachsen aufweist."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit, und beantragt, das Streitpatent für nichtig zu erklären.
3
Die Beklagte hat das Streitpatent in einer geänderten Fassung verteidigt, die die nachfolgend wiedergegebenen Patentansprüche 1 bis 3 sowie die unmittelbar oder mittelbar auf Patentanspruch 3 zurückbezogenen Patentansprüche 4 bis 7 umfasst: "1. Steueranordnung für ein Rückhaltemittel in einem Kraftfahrzeug - mit einer Sensoranordnung zum Erkennen eines Aufpralls, mit einer Vorrichtung (11, 12) zum Aufnehmen einer Beschleunigung (LS1, LS2, QS1, QS2) in jeder Fahrzeughälfte (LH, RH), bezogen auf die Fahrzeuglängsachse (A-A´), wobei jede Vorrichtung (11, 12) einen Längsbeschleunigungssensor (111, 121) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung in Richtung der Fahrzeuglängsachse (A-A´) und einen Querbeschleunigungssensor (112, 122) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung quer zur Fahrzeuglängs-achse (A-A´) aufweist , - mit zwei Steuergeräten (31, 32), wobei jedes Steuergerät (31, 32) eine Vorrichtung (11, 12) und eine ihr zugeordnete Auswerteeinheit (21, 22) zum Auswerten der von den Vorrichtungen (11, 12) gelieferten Signale (LS1, LS2, QS1, QS2) und zum Erzeugen von Steuersignalen (S) für Rückhaltemittel (4) abhängig davon aufweist, - bei der beide Auswerteeinheiten (21, 22) über eine Leitung (3) zur Codesignalübertragung miteinander verbunden sind, und - bei der das eine Steuergerät (31) in der linken Fahrzeughälfte (LH) und das andere Steuergerät (32) in der rechten Fahrzeughälfte (RH) angeordnet ist.
2. Insassenschutzsystem mit einer Steueranordnung nach Anspruch 1, mit mindestens einem Rückhaltemittel (42) zum Seitenaufprallschutz und mit mindestens einem Rückhaltemittel (41) zum Frontaufprallschutz in jeder Fahrzeughälfte (LH, RH), bei dem die in der linken Fahrzeughälfte (LH) angeordneten Rückhaltemittel zum Seitenaufprallschutz (421) und zum Front[en]aufprallschutz (411) elektrisch mit der in der linken Fahrzeughälfte (LH) angeordneten Auswerteeinheit (21) verbunden sind, und bei dem die in der rechten Fahrzeughälfte (RH) angeordneten Rückhaltemittel zum Seitenaufprallschutz (422) und zum Frontaufprallschutz (412) elektrisch mit der in der rechten Fahrzeughälfte (RH) angeordneten Auswerteeinheit (22) verbunden sind.
3. Steueranordnung für ein Rückhaltemittel in einem Kraftfahrzeug - mit einer Sensoranordnung zum Erkennen eines Aufpralls, mit einer Vorrichtung (11, 12) zum Aufnehmen einer Beschleunigung (LS1, LS2, QS1, QS2) in jeder Fahrzeughälfte (LH, RH), bezogen auf die Fahrzeuglängsachse (A-A’), wobei jede Vorrichtung (11, 12) einen Längsbeschleunigungssensor (111, 121) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung in Richtung der Fahrzeuglängsachse (A-A’) und einen Querbeschleunigungssensor (112, 122) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung quer zur Fahrzeuglängsachse (A-A’) aufweist , - mit einer Auswerteeinrichtung (2) zum Auswerten der von den Vorrichtungen 11, 12) gelieferten Signale (LS1, LS2, QS1, QS2) derart, dass Signale (LS1, LS2, QS1, QS2) der aufprallortentfernten Fahrzeughälfte (LH, RH) in die Auslöseentscheidung für Rückhaltemittel der aufprallortnahen Fahrzeughälfte (LH, RH) miteinbezogen werden, und zum Erzeugen eines Steuersignals (S) für das Rückhaltemittel (4) abhängig davon."
4
Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit es über eine Fassung hinausgeht, die die verteidigten Patentansprüche 1 und 2 um- fasst, und die weitergehende Klage abgewiesen. Dagegen wenden sich die Klägerin mit der Berufung und die Beklagte mit der Anschlussberufung.
5
Die Klägerin strebt weiterhin die vollständige Nichtigerklärung des Streitpatents an. Die Beklagte verteidigt das Streitpatent mit einem gegenüber der ersten Instanz geringfügig geänderten Hauptantrag und sieben Hilfsanträgen.
6
Nach dem Hauptantrag der Beklagten soll die in erster Instanz verteidigte Fassung des Streitpatents dahin modifiziert werden, dass es in Patentanspruch 1 im vorletzten Spiegelstrich statt "Auswerteeinheiten (21, 22)" nunmehr "Steuergeräte (31, 32)" heißt.
7
Nach Hilfsantrag I soll in den Patentansprüchen 1 und 3 gemäß der in erster Linie verteidigten Fassung hinter den Worten "Steueranordnung für ein Rückhaltemittel in einem Kraftfahrzeug" jeweils eingefügt werden: ", nämlich für mindestens ein Rückhaltemittel zum Seitenaufprallschutz in jeder Fahrzeughälfte, bezogen auf die Fahrzeuglängsachse, und mindestens ein Rückhaltemittel zum Frontaufprallschutz,"
8
Nach Hilfsantrag II sollen in den Patentansprüchen 1 und 3 gemäß Hauptantrag die Worte "wobei jede Vorrichtung (11, 12) einen Längsbeschleuni- gungssensor … und einen Querbeschleunigungssensor … aufweist" jeweils ersetzt werden durch: "wobei jede Vorrichtung (11, 12) aus einem Längsbeschleunigungssensor … und einem Querbeschleunigungssensor … besteht"
9
Nach Hilfsantrag III sollen die Patentansprüche 1 und 3 sowohl mit den in Hilfsantrag I als auch mit den in Hilfsantrag II vorgesehenen Änderungen versehen werden.
10
Mit den Hilfsanträgen IV bis VII wird das Streitpatent jeweils nur im Umfang der Patentansprüche 1 und 2 verteidigt, deren Fassung derjenigen nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen I bis III entspricht.
11
Im Auftrag des Senats hat Prof. Dr.-Ing. M. ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und ergänzt hat.

Entscheidungsgründe:


12
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die ebenfalls zulässige Anschlussberufung hat nur insoweit Erfolg, als die erstinstanzliche Einfügung "Auswerteeinheiten (21, 22)" ersetzt wird durch "Steuergeräte (31, 32)".
13
I. Das Streitpatent betrifft eine Sensoranordnung für ein Kraftfahrzeug zum Erkennen eines Aufpralls.
14
1. Nach den Ausführungen im Streitpatent waren im Stand der Technik Anordnungen dieser Art bekannt, bei denen in den Seitentüren jeweils ein Querbeschleunigungssensor zur Erkennung von Fahrzeugbeschleunigungen quer zur Fahrzeugachse und in einem zentralen Steuergerät zwei um jeweils 45° zur Fahrzeuglängsachse versetzt angeordnete Beschleunigungssensoren zur Erkennung eines Frontaufpralls angebracht waren.
15
Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, eine Sensoranordnung zur Verfügung zu stellen, die bei geringem Aufwand an Beschleunigungsaufnehmern eine zuverlässige Auslösung bei gleichzeitiger Verhinderung von Fehlauslösungen bereitstellt.
16
2. Zur Lösung dieses Problems sieht Patentanspruch 1 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung eine Steueranordnung vor, die folgende Merkmale aufweist: A Die Anordnung dient der Steuerung eines Rückhaltemittels in einem Kraftfahrzeug.
B Die Anordnung umfasst eine Sensoranordnung zum Erkennen eines Aufpralls. B1 In jeder Fahrzeughälfte (LH, RH) ist eine Vorrichtung (11, 12) zum Aufnehmen einer Beschleunigung (LS1, LS2, QS1, QS2), bezogen auf die Fahrzeuglängsachse (A-A’), angeordnet. Diese Vorrichtung weist auf: B2 einen Längsbeschleunigungssensor (111, 121) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung in Richtung der Fahrzeuglängsachse und B3 einen Querbeschleunigungssensor (112, 122) zum Erfassen einer Fahrzeugbeschleunigung quer zur Fahrzeuglängsachse.
C Die Anordnung umfasst zwei Steuergeräte (31, 32). C1 Das eine Steuergerät (31) ist in der linken Fahrzeughälfte (LH) angeordnet. C2 Das andere Steuergerät (32) ist in der rechten Fahrzeughälfte (RH) angeordnet.
D Jedes Steuergerät weist (eine der Vorrichtung (11, 12) zugeordnete ) Auswerteeinheit (21, 22) auf D1 zum Auswerten der von den Vorrichtungen (11, 12) gelieferten Signale (LS1, LS2, QS1, QS2) und
D2 zum Erzeugen von Steuersignalen (S) für Rückhaltemittel (4) abhängig von diesen Signalen.
E Beide Steuergeräte (31, 32) sind über eine Leitung (3) zur Codesignalübertragung miteinander verbunden.
17
Nach Patentanspruch 3 in der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung weist die Steueranordnung die Merkmale A und B sowie das nachfolgend aufgegliederte Merkmal D' auf: D' Die Anordnung umfasst eine Auswerteeinrichtung (2) D1' zum Auswerten der von den Vorrichtungen (11, 12) gelieferten Signale (LS1, LS2, QS1, QS2), und zwar derart, dass Signale (LS1, LS2, QS1, QS2) der aufprallortentfernten Fahrzeughälfte (LH, RH) in die Auslöseentscheidung für Rückhaltemittel der aufprallortnahen Fahrzeughälfte (LH, RH) miteinbezogen werden, und D2' zum Erzeugen eines Steuersignals (S) für das Rückhaltemittel (4) abhängig von diesen Signalen.
18
Der Unterschied zwischen den beiden Lösungen liegt hauptsächlich darin, dass nach Patentanspruch 1 zwei separate Auswerteeinheiten (21, 22) vorgesehen sind, die zusammen mit den in Merkmal B vorgesehenen Vorrichtungen (11, 12) in jeweils einem Steuergerät (31, 32) in der linken und der rechten Fahrzeughälfte angeordnet sind, wobei die Steuergeräte über eine Leitung miteinander verbunden sind, während von Patentanspruch 3 auch Anordnungen mit nur einer Auswerteeinrichtung (2) erfasst werden, die die Steuersignale von beiden Beschleunigungsaufnehmervorrichtungen in der in Merkmal D1' näher festgelegten Weise auswertet.
19
3. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.
20
a) Die in beiden Patentansprüchen in Merkmal B vorgesehene dezentrale Anordnung der Beschleunigungssensoren eröffnet die Möglichkeit, genaue Informationen über den Ort des Aufpralls zu gewinnen.
21
Die bei einem Aufprall entstehenden Kräfte treten aufgrund der plastischen und elastischen Eigenschaften der Karosserie bei zunehmendem Abstand vom Aufprallort mit zunehmender Zeitverzögerung (Abs. 9 und 13) und mit abnehmender Intensität auf. Ein näher an der Aufprallstelle angeordneter Sensor liefert deshalb andere Messwerte als ein weiter entfernt angeordneter Sensor.
22
Dies kann dazu genutzt werden, die auf einer Fahrzeugseite angeordneten Rückhaltemittel (Airbags oder Gurtstraffer) nur dann auszulösen, wenn die auf dieser Seite angeordneten Beschleunigungssensoren ein entsprechendes Signal liefern. Genaue Informationen können gewonnen werden, wenn die Signale der auf beiden Seiten angeordneten Sensoren miteinander verglichen und die Rückhaltemittel nur dann ausgelöst werden, wenn beide Werte bestimmte Kriterien erfüllen.
23
Die Nutzung dieser Möglichkeit ist nur in der verteidigten Fassung von Patentanspruch 3 (dort Merkmal D1') und den darauf zurückbezogenen Patentansprüchen vorgesehen. Nach der insgesamt zulässigerweise verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 (dort Merkmal E), die insoweit auf die erteilte Fassung von Patentanspruch 5 zurückgeht, ist hingegen nur vorgesehen, dass die beiden Steuergeräte über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden sind. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, beide Signale in der beschriebenen Weise zu nutzen, aber keine Festlegung getroffen, dass dies tatsächlich zu geschehen hat.
24
Die Leitung zur Codesignalübertragung kann auch dafür genutzt werden, dass beim Ausfall eines Steuergeräts das verbleibende Steuergerät zur Steuerung sämtlicher Rückhaltemittel genutzt wird (Abs. 21).
25
b) Nach der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 muss die Anordnung (mindestens) zwei Steuergeräte umfassen (Merkmal C), die jeweils eine Vorrichtung mit einem Längs- und einem Querbeschleunigungssensor und eine ihr zugeordnete Auswerteeinheit aufweisen (Merkmal D) und die über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden sind (Merkmal E).
26
Entgegen der Auffassung der Klägerin werden damit Anordnungen, bei denen die Auswerteeinheit oder eine Auswerteeinrichtung mit mehreren logisch getrennten Auswerteeinheiten an zentraler Stelle im Fahrzeug angeordnet ist, nicht erfasst. Zwar könnte die Formulierung, dass die Auswerteeinheit der Vorrichtung mit den Beschleunigungssensoren zugeordnet ist, bei isolierter Betrachtung auch diese Möglichkeit einschließen. Nach der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 ist jedoch zusätzlich erforderlich, dass das Steuergerät die Auswerteeinheit umfasst. Daraus ergibt sich, wie auch der gerichtliche Sachverständige ausgeführt hat, dass sowohl die Beschleunigungssensoren als auch die Auswerteeinheit einen Bestandteil des Steuergeräts bilden und an der gleichen Stelle im Fahrzeug angeordnet sind. Dieses Verständnis wird bestätigt durch die Ausführungen in der Beschreibung, wonach bei dem in Figur 2 wiedergegebenen Ausführungsbeispiel, das mit der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 korrespondiert, jede Vorrichtung zum Erkennen einer Beschleunigung mit einer zugeordneten und räumlich bei ihr angeordneten Auswerteeinheit verbunden ist (Abs. 42). Die in Figur 1 wiedergegebene alternative Ausführungsform , die nur eine zentrale Auswerteeinheit umfasst, hat in der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 hingegen keinen Niederschlag gefunden.
27
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:
28
Der Gegenstand von Patentanspruch 3 in der verteidigten Fassung sei durch den Inhalt der im Prioritätsintervall veröffentlichten Entgegenhaltung K6 (BK3, Vogt und Witt) nahegelegt. Dieser Patentanspruch könne sich nicht auf die geltend gemachte Priorität stützen. Im Prioritätsdokument sei nur eine Anordnung mit zwei getrennten, über eine Leitung miteinander verbundenen Steuergeräten offenbart, nicht aber eine Anordnung mit einer einzigen integralen Auswerteeinrichtung. Dass eine derartige Abwandlung im Griffbereich des Fachmanns gelegen habe, reiche für eine Offenbarung gemäß den Prinzipien der Neuheitsprüfung nicht aus. In BK3 sei zwar auch eine Anordnung mit zwei getrennten Auswerteeinheiten beschrieben. Dem Fachmann seien am Prioritätstag aber sowohl integrale, baulich einheitliche als auch verteilte Auswerteeinheiten geläufig gewesen. Deshalb habe er ohne erfinderische Überlegungen zum Gegenstand von Patentanspruch 3 in der verteidigten Fassung gelangen können.
29
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung sei nicht durch den Stand der Technik nahegelegt. In einigen Entgegenhaltungen (K8, K10 und K15) seien Anordnungen mit mehreren Sensoren, aber nur einem Steuergerät offenbart. In anderen Entgegenhaltungen (K4 = BK10, K7 = BK9 und K10) seien zwar Anordnungen mit mehreren Steuergeräten offenbart; diese seien aber nicht wie beim Streitpatent über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden. Aus diesen Entgegenhaltungen und dem übrigen Stand der Technik habe sich für den Fachmann auch keine Anregung ergeben, die einzelnen Vorrichtungen in der in Patentanspruch 1 festgelegten Weise anzuordnen.
30
III. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Wesentlichen stand.
31
1. Der Gegenstand der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 ist patentfähig.
32
a) Der Gegenstand dieses Patentanspruchs ist neu.
33
(1) Der im Prioritätsintervall veröffentlichte Aufsatz von Vogt und Witt (Restraint System Electronics, in: Automotive Engineering, August 1996, S. 27-31, BK3) gehört hinsichtlich dieses Anspruchs nicht zum Stand der Technik im Sinne von Art. 54 Abs. 2 EPÜ. Maßgebliches Datum ist insoweit gemäß Art. 89 EPÜ der Anmeldetag des Prioritätsdokuments. Dieses betrifft dieselbe Erfindung wie die verteidigte Fassung von Patentanspruch 1.
34
Gemäß Art. 87 Abs. 1 EPÜ kann die Priorität einer früheren Anmeldung in Anspruch genommen werden, wenn die nachfolgende Anmeldung dieselbe Erfindung betrifft. Nach der auch vom Patentgericht herangezogenen Rechtsprechung des Senats ist diese Voraussetzung erfüllt, wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGH, Urteil vom 30. Januar 2008 - X ZR 107/04, GRUR 2008, 597 Rn. 17 - Betonstraßenfertiger ; Urteil vom 9. Dezember 2008 - X ZR 124/05, GRUR 2009, 390 Rn. 23 - Lagerregal; Urteil vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 389 ff. = GRUR 2002, 146 - Luftverteiler).
35
Im Prioritätsdokument wird ein Insassenschutzsystem für ein Fahrzeug zum Auslösen von jeweils mindestens einem Rückhaltemittel zum Front- und Seitenaufprallschutz mit zwei Steuergeräten offenbart. Gemäß Patentanspruch 1 des Prioritätsdokuments umfasst jedes Steuergerät einen Längsbeschleunigungssensor , einen Querbeschleunigungssensor und eine Auswer- teeinheit, die die von den Sensoren gelieferten Daten auswertet und unter bestimmten Voraussetzungen für die Auslösung der Rückhaltemittel sorgt. Das eine Steuergerät ist in der linken Fahrzeughälfte angeordnet, das andere in der rechten Fahrzeughälfte. Beide Steuergeräte sind über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden. Damit sind alle Merkmale der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 offenbart.
36
Ob im Prioritätsdokument auch Ausgestaltungsformen offenbart sind, bei denen die beiden Auswerteeinheiten über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden sind, bedarf keiner Entscheidung, weil die in zweiter Instanz verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 dieses Merkmal nicht mehr vorsieht. Die Beklagte war nicht gehindert, als Anschlussberufungsklägerin die in erster Instanz verteidigte Fassung dahin zu erweitern, dass die genannte Verbindung nicht zwischen den Auswerteeinheiten besteht, sondern zwischen den beiden Steuergeräten, deren Teil die Auswerteeinheiten sind (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 1994 - X ZB 9/94, BGHZ 128, 149, 154 = GRUR 1995, 210 - Lüfterkappe).
37
(2) Der Aufsatz von Wetzel (Steuerung eines MehrfachRückhaltesystems , Automobiltechnische Zeitschrift 96 (1994), 618 f., BK4) befasst sich mit der Frage, an welcher Stelle die Sensoren für die Feststellung eines seitlichen Aufpralls zweckmäßigerweise angebracht werden. Die zentrale Anbringung im Bereich des Fahrzeugtunnels, die für Messstellen für einen Frontalaufprall als üblich bezeichnet wird, habe sich bei ersten Messungen nicht als ohne weiteres geeignet erwiesen. Durch Vermeiden der kritischen Stellen (Tunnel und Quersicken) lasse sich ein wesentlich besseres Ergebnis erzielen. Deshalb werde bei einem neueren System ein "Assistent-Sensor" in der Nähe der Aufprallstelle, zum Beispiel auf einem Querträger oder bei steifer Tür auch dort eingesetzt. Die Information über den Crashzustand werde dem Zentralgerät übermittelt, das die vorverarbeitete Information des "Assistenten" mit Rich- tungsinformation und geringen Beschleunigungsdaten bestätige und zum Triggersignal ergänze. In Bild 2 der Entgegenhaltung wird eine schematische Zeichnung wiedergegeben, die ein Zentralgerät im Bereich des Tunnels und je ein ausgelagertes Sensorsystem in der rechten und der linken Fahrzeughälfte zeigt.
38
Damit sind die Merkmale A, B1 und B3 offenbart. Die beiden "AssistentSensoren" können ferner als Steuergeräte mit den Merkmalen C1, C2, D1 und E angesehen werden, weil sie die Beschleunigungsdaten nicht nur erfassen und weiterleiten, sondern vorverarbeiten und daraus die Informationswerte "mittelschwerer Crash", "schwerer Crash" oder "Crash von gegenüberliegender Seite" erzeugen. Das Zentralgerät ergänzt diese Informationen um die Angaben "Richtung erkannt (Li/Re)", "mittelschwerer Crash", "schwerer Crash".
39
Nicht offenbart ist Merkmal D2. Das Steuersignal für die Rückhaltemittel wird nicht von den "Assistent-Sensoren", sondern vom Zentralgerät erzeugt, auch wenn dieses die vorverarbeiteten Informationen dieser Sensoren mit berücksichtigt.
40
Nicht offenbart ist ferner das Merkmal B2. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann den Ausführungen in BK4 nicht entnommen werden, dass die "Assistent-Sensoren" auch Sensoren für einen Frontalaufprall aufweisen. In Abschnitt 3 der Entgegenhaltung ("Prinzipbeschreibung") wird zwischen einer Messstelle für den Frontalaufprall ("Tunnelgegend") und den Messstellen für einen seitlichen Aufprall unterschieden. Dies deutet darauf hin, dass der zur Feststellung eines Frontalaufpralls erforderliche Längssensor an anderer Stelle angeordnet ist als der "Assistent-Sensor". Den Ausführungen in Abschnitt 4 ("Systembeschreibung"), wonach die Richtungsinformation durch die Auswertung von zwei in einem Winkel angeordneten Beschleunigungsaufnehmern gewonnen wird, kann entgegen der Auffassung der Klägerin ebenfalls nicht ent- nommen werden, dass diese beiden Aufnehmer in den Assistent-Sensoren angebracht sind. Nach den weiteren Ausführungen in diesem Abschnitt wird die Richtungsinformation nicht von den "Assistent-Sensoren" geliefert, sondern vom Zentralgerät.
41
Vor diesem Hintergrund führt die vom gerichtlichen Sachverständigen angestellte Überlegung, aus Sicht des Fachmanns komme auch eine Ausgestaltung in Betracht, bei der bereits die "Assistent-Sensoren" eine Richtungsinformation liefern und deshalb sowohl einen Quer- als auch einen Längsbeschleunigungssensor aufweisen, nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Selbst wenn der Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens in der Lage gewesen wäre, eine solche Lösung aufzufinden, enthalten die Darlegungen in BK4, wie auch der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, keinen Hinweis darauf.
42
(3) In der im Jahr 1975 veröffentlichten japanischen Offenlegungsschrift Shō-50-149026 (BK9) ist ein Aufprallsensor für Insassenschutzgeräte offenbart, der aus mehreren Verzögerungssensorpaaren besteht, die jeweils auf der Beifahrer - und auf der Fahrerseite angeordnet sind.
43
In der Beschreibung wird anhand von schematisch dargestellten Messwerten dargelegt, dass die in einzelnen Teilen der Karosserie auftretenden Verzögerungen in Abhängigkeit des Aufprallwinkels, des Aufprallgegenstands und der Aufprallstelle differieren. Wenn beispielsweise die linke Vorderseite einer Karosserie mit einem Winkel von 30° und einer Geschwindigkeit von 50 km/h gegen eine Wand pralle, trete auf der linken Fahrzeugseite bereits nach vier Millisekunden eine Beschleunigung von 15g auf. Auf der rechten Fahrzeugseite werde dieser Wert erst nach 43 Millisekunden erreicht.
44
Um auch für solche Situationen eine zuverlässige Auslösung der Insassenschutzgeräte zu gewährleisten, wird in BK9 vorgeschlagen, in der linken und der rechten Fahrzeughälfte jeweils ein Sensorpaar anzuordnen. In einem der beiden näher geschilderten Ausführungsbeispiele werden dazu Sensoren ohne besondere Richtungsfähigkeit eingesetzt. Die Auslösung des Insassenschutzgeräts erfolgt nur dann, wenn beide Sensoren eines Paars aktiviert werden, um Fehlfunktionen zu vermeiden. Die beiden Sensorpaare sind in der Weise gekoppelt , dass jedes von ihnen sowohl die Anlassvorrichtung für das auf der rechten Seite angebrachte Insassenschutzgerät als auch die Auslassvorrichtung für die linke Seite auslöst.
45
In einem zweiten Ausführungsbeispiel enthalten die Sensorpaare Verzögerungssensoren mit Richtungsfähigkeit. In der dazu gehörenden Figur 4 sind die zu einem Paar zusammengefassten Sensoren jeweils in einem Winkel von 90° zueinander versetzt angeordnet.


46
Nach den ergänzenden Angaben in der Beschreibung werden auch bei dieser Ausführungsform beide Anlassvorrichtungen (11, 12) aktiviert, wenn ei- nes der beiden Sensorpaare aktiviert wird. Zur Aktivierung eines Sensorpaars genügt hier, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, die Aktivierung eines einzelnen Richtungssensors.
47
Damit sind zwar die Merkmale A, B und C, entgegen der Auffassung der Klägerin aber nicht die Merkmale D und E offenbart.
48
Weder die Sensorpaare (13, 14) noch die Anlassvorrichtungen (11, 12) sind Steuergeräte mit den in Merkmal D beschriebenen Funktionen. Wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt und auch die Klägerin nicht in Zweifel gezogen hat, wurden im Zeitpunkt der Veröffentlichung von BK9 mechanische Aufprallsensoren eingesetzt, die die Funktion eines elektrischen Schalters hatten. Dies entspricht der Darstellung in den Figuren 3 und 4. Die in BK9 offenbarten Sensoren geben mithin keine Signale aus, die in den Anlassvorrichtungen oder an anderer Stelle ausgewertet und zum Erzeugen eines Steuersignals herangezogen werden können. Sie geben vielmehr selbst das Steuersignal, indem sie bei ihrer Aktivierung eine Verbindung zwischen der Stromquelle (8) und den beiden Anlassvorrichtungen herstellen. Dieses Signal wird durch mechanische Vorgänge in den Sensoren ausgelöst und nicht durch ein Steuergerät , das von den Sensoren erzeugte Signale auswertet.
49
Damit fehlt es auch, wie das Patentgericht ebenfalls zutreffend dargelegt hat, an einer Leitungsverbindung zur Codesignalübertragung im Sinne von Merkmal E. Zwar sind die beiden Sensorpaare in Figur 4 in Parallelschaltung angeordnet und damit, wie die Klägerin im Ansatz zutreffend darlegt, über eine Leitung miteinander verbunden. Diese Leitung dient aber nicht der Übertragung von Codesignalen im Sinne des Streitpatents, sondern der Spannungszufuhr zu beiden Anlassvorrichtungen, also zur Übertragung des Auslösesignals.
50
(4) In der Abhandlung von Härtl et al. (Physically Different Sensor Concepts for Reliable Detection of Side-Impact Collisions, BK7) werden zwei verschiedene Konzepte zur Erkennung eines Seitenaufpralls vorgestellt.
51
Eines dieser Konzepte sieht vor, innerhalb der Fahrzeugtür eine als Satellit bezeichnete Vorrichtung anzubringen, die aus einem Drucksensor und einer Schaltung zur Signalkonditionierung und Entscheidungsfällung besteht. Kommt es innerhalb der Tür zu einem Druckanstieg, der bestimmte Kriterien erfüllt, wird ein Seitenairbag ausgelöst.
52
Das andere Konzept sieht vor, innerhalb der Fahrzeugtür oder in deren Nähe eine Beschleunigungssensorik anzubringen, die die als bekannt bezeichnete Single-Point-Sensing-Technologie nutzt. Das Signal des im "g-Satellit" angeordneten herkömmlichen Beschleunigungsmessers wird an einen Mikrocontroller weitergeleitet, der es anhand bestimmter Kriterien auswertet und gegebenenfalls die Zündung des Airbags auslöst. Entscheidende Bedeutung für die Funktionssicherheit wird dem Anbringungsort des Sensors beigemessen. Bei einer Anbringung in der Fahrzeugtür sei es schwer, zwischen einem Aufprall und einer Missbrauchsituation zu unterscheiden. Bei einer Anbringung außerhalb der Tür könne hingegen klar zwischen diesen beiden Fällen unterschieden werden. An welcher Stelle der Mikrocontroller angeordnet ist, wird nicht ausdrücklich dargelegt. Im Zusammenhang mit den Erwägungen zum Anbringungsort des Sensors wird ausgeführt, bei hinreichend steifer Fahrzeugstruktur könnten die Signale eines zusätzlichen Querbeschleunigungssensors im zentralen Steuergerät mit den Signalen der Satelliten kombiniert werden, um eine Aufprallsituation festzustellen.
53
In den Ausführungen zum zweiten Konzept ist eine Anordnung mit den Merkmalen A und B3 offenbart. Aus dem Zusammenhang kann zudem ent- nommen werden, dass ein Sensor der beschriebenen Art wie in Merkmal B1 vorgesehen auf beiden Seiten des Fahrzeugs angebracht werden kann.
54
Nicht offenbart ist hingegen, dass der Beschleunigungssatellit auch einen Längsbeschleunigungssensor aufweist, wie dies in Merkmal B2 vorgesehen ist.
55
Nicht offenbart ist ferner, dass die in der Nähe der Türen angebrachten Beschleunigungssensoren zugleich Steuergeräte im Sinne von Merkmal C mit den Merkmal D beschriebenen Funktionen sind, also die gelieferten Signale auswerten und ein Steuersignal für die Auslösung des Airbags erzeugen. Diese Funktion kommt zwar den beim ersten Konzept beschriebenen "Satelliten" zu. Weder aus dem Wortlaut noch aus dem Zusammenhang der Ausführungen kann aber entnommen werden, dass dies auch für die nach dem zweiten Konzept vorgesehenen Beschleunigungssensoren gilt. Die Ausführungen, wonach ein herkömmlicher Beschleunigungsmesser eingesetzt und dessen Signal an "den" Mikrocontroller weitergeleitet wird, und die Erwähnung eines zentralen Steuergeräts, das die von den Satelliten gelieferten Signale mit den Signalen eines zusätzlichen, zentral angeordneten Querbeschleunigungssensors kombiniert , sprechen entgegen der Auffassung der Klägerin eher dafür, dass der Satellit selbst keine Auswertungs- und Steuerungsfunktion hat.
56
Ebenfalls nicht offenbart ist Merkmal E. Erwähnt ist lediglich eine Verbindung der in der Nähe der Tür angebrachten Satelliten mit einem zentralen Steuergerät, nicht aber eine Leitungsverbindung zur Codeübertragung zwischen mehreren Steuergeräten.
57
(5) In der deutschen Offenlegungsschrift 38 11 217 (BK8) ist eine elektronische Einrichtung für die Sicherung von Fahrzeuginsassen offenbart, die aus mehreren Sensoren und einem zentralen Steuergerät besteht. Jede Sensoreinheit umfasst neben einem Sensor auch eine zugeordnete Auswerteschaltung, die die Ausgangssignale aufbereitet. Die aufbereitete Information kann über eine Schnittstelle an ein zentrales Steuergerät übermittelt werden. Besonderes Gewicht wird auf die Kommunikation zwischen dem Steuergerät und den Sensoren in der Einschaltphase gelegt. Hierfür werden mehrere alternative Ausführungsformen aufgezeigt. Bei einer dieser Ausführungsformen überwachen alle Sensoren die gemeinsame Verbindungsleitung zum Steuergerät und können so die von den übrigen Sensoren ausgesendeten Signale erkennen (BK8 Sp. 7 Z. 5-7).
58
Als Vorteil der offenbarten Lösung wird unter anderem angeführt, dass das System beim Ausfall einzelner Sensoren funktionsfähig bleibt, beispielsweise dadurch, dass das Steuergerät in diesem Fall die Informationen der verbliebenen Sensoren nach anderen Kriterien auswertet (BK8 Sp. 1 Z. 37 ff., Sp. 8 Z. 49 ff.). Die in den Sensoreinheiten enthaltenen Auswerteschaltungen können nach den Ausführungen in der Beschreibung unter anderem dazu genutzt werden , um dem zentralen Steuergerät nicht nur das eigentliche Ausgangssignal des jeweiligen Sensors zu übermitteln, sondern auch lediglich die Spitzenwerte, einen bestimmten Mittelwert, einen Integrationswert oder auch Fehlerinformationen , die auf einen schleichenden Leistungsabfall des Sensors hinweisen (BK8 Sp. 9 Z. 22-38). Der Einbauort der Sensoren wird nicht näher beschrieben. Als allgemeiner Vorteil der Erfindung wird hervorgehoben, die Sensoren könnten an einem geeigneten Einbauort angebracht werden (BK8 Sp. 9 Z. 56-60). Als vorteilhafte weitere Ausgestaltung wird die Anbringung mindestens eines weiteren Sensors im Steuergerät selbst angeführt, um eine Auslösung der Rückhaltemittel auch dann noch zu ermöglichen, wenn die externen Sensoren oder deren Verbindung zum Steuergerät wegen eines Defekts oder aufgrund des Unfallgeschehens ausfallen (BK8 Sp. 9 Z. 60 ff.)
59
Damit sind die Merkmale A, B1, C, D1 und E verwirklicht. Die in den Sensoreinheiten angebrachten Auswerteschaltungen dienen der Auswertung der von den Sensoren gelieferten Signale und können in dieser Funktion als Steu- ergeräte im Sinne des Streitpatents angesehen werden. Zumindest in einer der in BK8 offenbarten Ausführungsformen sind diese Geräte auch über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden.
60
Nicht offenbart ist die Kombination der Merkmale B2 und B3. Zwar mag der Fachmann aus dem allgemeinen Hinweis, die Sensoren könnten "an den dafür geeignetsten Einbauorten" angebracht werden, die Schlussfolgerung ziehen , zumindest die Querbeschleunigungssensoren dezentral anzubringen. Eine ausdrückliche oder zumindest konkludente Anregung, an der gleichen Stelle jeweils auch einen Längsbeschleunigungssensor anzubringen, lässt sich der Entgegenhaltung hingegen nicht entnehmen.
61
Nicht offenbart ist ferner das Merkmal D2. Die Steuersignale für die Auslösung der Rückhaltemittel werden nicht von den Auswerteschaltungen, sondern von dem zentralen Steuergerät erzeugt.
62
(6) In der US-Patentschrift 5 441 300 (BK10) wird ein in drei Dimensionen wirksamer Beschleunigungssensor offenbart, der für die Betätigung eines Airbag oder für eine aktive Federung bei der Steuerung von Karosseriebewegungen eingesetzt werden kann. In Figur 12 ist die schematische Abbildung eines Personenkraftwagens wiedergegeben, bei dem im Bereich des rechten und des linken vorderen Radkastens jeweils ein erfindungsgemäßer Sensor angebracht ist. Aus dem ebenfalls in Figur 12 wiedergegebenen Blockschaltbild ergibt sich, dass der Sensor aus mehreren feststehenden (1 bis 4) und einer beweglichen Elektrode (movable electrode), einem Detektor für die Erkennung von Kapazitätsschwankungen (50), einem Verstärker (51), einer Einheit zur Pulsbreitenmodulation (52) und einer Rechenausgabeeinheit (arithmetic output unit, 53) besteht. Nach den Ausführungen in der Beschreibung liefert die Rechenausgabeeinheit drei Spannungswerte, die die Beschleunigung in Richtung der drei Raumachsen angeben (BK10 Sp. 5 Z. 24-29).
63
Damit sind die Merkmale A, B, C und D1 offenbart, nicht aber das Merkmal E und entgegen der Auffassung der Klägerin auch nicht das Merkmal D2.
64
Wie das Patentgericht zutreffend dargelegt hat, kann die arithmetische Ausgabeeinheit (53) mit ihrer in der Beschreibung angegebenen Funktion als Steuergerät angesehen werden, das die von den Beschleunigungssensoren gelieferten Signale auswertet. Sie erzeugt daraus jedoch kein Steuersignal für die Rückhaltemittel, sondern lediglich drei Spannungswerte, die die gemessenen Beschleunigungswerte wiedergeben. Wo und in welcher Weise diese Werte in ein Signal für die Auslösung des Airbag umgesetzt werden, ist in BK10 nicht beschrieben.
65
(7) In der Veröffentlichung "Elektronik, die auf die Millisekunde entscheidet" (BK22) sind Auslösegeräte für Rückhaltesysteme aus dem Haus der Klägerin offenbart. Dazu gehört ein Seitenairbag-Auslösegerät mit der Bezeichnung SSU1, das als "völlig eigenständig" bezeichnet und als dessen Standardfunktion die Überwachung und Aktivierung je eines Seitenairbag-Zündkreises angegeben wird (BK22 S. 7 Mitte). In einem Blockdiagramm ist eine Schnittstelle dargestellt, über die dieses Gerät mit einer Diagnosevorrichtung verbunden ist (BK22 S. 7 unten). Eine Diagnoseschnittstelle weist auch das ebenfalls in BK22 beschriebene zentrale Auslösegerät AB7.1 auf (BK22 S. 7 oben).
66
Damit sind die Merkmale A, B, B1, B3 und die Merkmalsgruppen C und D offenbart.
67
Nicht offenbart ist, wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, das Merkmal B2. Aus den Ausführungen in BK22 kann nicht entnommen werden, dass die auf beiden Fahrzeugseiten angebrachten Auslösegeräte vom Typ SSU1 einen Längsbeschleunigungssensor aufweisen.
68
Entgegen der Auffassung der Klägerin kann den Ausführungen in BK22 ferner nicht entnommen werden, dass die beiden Steuergeräte vom Typ SSU1 über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden sind, wie dies in Merkmal E vorgesehen ist. Die in BK22 dargestellte Diagnoseschnittstelle könnte zwar theoretisch so ausgestaltet werden, dass sie auch zur Codesignalübertragung zwischen den beiden Steuergeräten geeignet ist. Hierfür bedürfte es aber, wie der gerichtliche Sachverständige bestätigt hat, weiterer Maßnahmen , insbesondere einer geeigneten Software, die eine solche Kommunikation zwischen den Steuergeräten ermöglicht. BK7 enthält keine Hinweise oder Anregungen, die Diagnoseschnittstelle in dieser Weise auszugestalten.
69
b) Zutreffend ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
70
(1) Im Stand der Technik waren verschiedene Anordnungen bekannt, bei denen ein zentrales Steuergerät - teils mit, teils ohne eingebaute Sensoren - mit dezentral in der linken und der rechten Fahrzeughälfte angeordneten Sensoren kombiniert wird. Bei einigen dieser Anordnungen sind die dezentral angeordneten Sensoren - anders bei der in der Streitpatentschrift abgehandelten Anordnung nach der (im Prioritätsintervall veröffentlichten) deutschen Offenlegungsschrift 44 25 846 (BK5) - auch dafür geeignet, sowohl eine Längs- als auch eine Querbeschleunigung zu erfassen. Bei allen diesen Anordnungen erfolgt die Umsetzung der von den Sensoren gelieferten Messwerte in ein Steuersignal jedoch in einer zentralen Vorrichtung.
71
(2) Diese Veröffentlichungen gaben dem Fachmann, einem Diplomingenieur der Fachrichtung Maschinenbau oder Elektrotechnik mit mehrjähriger Erfahrung bei der Entwicklung von Insassenschutzsystemen für Fahrzeuge, keine Veranlassung, auch die zuletzt genannte Funktion in die dezentral angeordneten Sensorvorrichtungen auszulagern.
72
In BK4 sind zwar gewisse Ansätze in diese Richtung offenbart, indem darauf hingewiesen wird, dass die Vorverarbeitung der von den Sensoren gelieferten Daten im Assistenten dazu führt, dass die Anzahl und die Frequenz der zu übermittelnden Informationen klein gehalten werden kann. Dies gab dem Fachmann jedoch auch bei ergänzender Berücksichtigung von allgemeinem Fachwissen keine hinreichende Veranlassung, über eine bloße Vorverarbeitung der Sensordaten hinaus die gesamte Logik zur Erzeugung des Steuersignals für die Auslösung der Rückhaltemittel in die dezentralen Vorrichtungen auszulagern , so dass ein zentrales Steuergerät - von dessen Vorhandensein die Ausführungen in BK4 unausgesprochen ausgehen - entbehrlich wird.
73
Entsprechendes gilt für die Ausführungen in den Entgegenhaltungen BK8 und BK10. Auch dort sind die dezentral angeordneten Sensoreinheiten zwar mit gewissen Steuerungsfunktionen und in BK8 sogar mit der Fähigkeit versehen, die von den übrigen Sensoren ausgegebenen Informationen entgegenzunehmen. Dies wird dort jedoch nicht zum Anlass genommen, die Erzeugung des Steuersignals für die Rückhaltemittel in die externen Einheiten auszulagern. Der Schwerpunkt der Ausführungen in BK8 betrifft das möglichst zuverlässige Zusammenspiel zwischen den externen Sensoreinheiten und dem zentralen Steuergerät. Diese Überlegungen wären zu einem großen Teil obsolet, wenn auf ein zentrales Steuergerät verzichtet würde, wie dies in der verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 geschützt werden soll.
74
In der Entgegenhaltung BK7 werden zwar Sensoren offenbart, die zugleich für die Auslösung der Rückhaltemittel eingesetzt werden. Eine solche Anordnung wird dort aber nur im Zusammenhang mit Drucksensoren aufgezeigt. Bei der als Alternative dargestellten Anordnung mit Beschleunigungs- sensoren werden die Signale der Sensoren demgegenüber an einen zentralen Mikrocontroller weitergeleitet. Weder aus BK7 noch aus sonstigen Veröffentlichungen oder aus allgemeinen Fachkenntnissen ergaben sich hinreichende Hinweise darauf, dass einzelne Merkmale aus den beiden in BK7 alternativ dargestellten Lösungskonzepten kombiniert werden können, so dass auch bei Verwendung von Beschleunigungssensoren das im Stand der Technik übliche zentrale Steuergerät entfallen kann.
75
Die Ausführungen in BK9 führen nicht zu einer anderen Beurteilung. In dieser Veröffentlichung, die von der Verwendung mechanischer Beschleunigungssensoren ausgeht, sind die Beschleunigungserkennung und die Erzeugung des Auslösesignals zwar in einer Vorrichtung zusammengefasst. Diese Zusammenfassung ergibt sich aber aus dem anderen Konstruktionsprinzip, das den eingesetzten Sensoren zu Grunde liegt. Ausgehend von den am Prioritätstag bekannten Anordnungen, bei denen die von den Beschleunigungssensoren erzeugten Signale in einer zentralen elektronischen Steuerungsvorrichtung ausgewertet und unter Anwendung von mehr oder weniger komplexen Regeln zur Erzeugung des Auslösesignals genutzt werden, hätte sich der Fachmann vom seither erreichten Stand der Technik weitgehend lösen und die Eigenschaften einer als überholt betrachteten Sensortechnologie auf die elektronischen Sensoren übertragen müssen.
76
Auch aus BK22 lassen sich keine ausreichenden Anregungen für eine Ausgestaltung nach Patentanspruch 1 entnehmen. Dort werden die Seitenairbag -Auslösegeräte SSU1 zwar als "völlig eigenständig" bezeichnet. Es finden sich aber keine Hinweise darauf, diese Auslösegeräte mit einem Längsbeschleunigungssensor auszurüsten und dessen Signale in die Entscheidung über die Auslösung des Seitenairbags mit einzubeziehen.
77
(3) Die vom gerichtlichen Sachverständigen aufgezeigten allgemeinen fachlichen Zusammenhänge führen ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung.
78
Nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen führt die Festlegung der für ein Insassenschutzsystem benötigten Teilsysteme und der von diesen zu erfüllenden Funktionen nicht ohne weiteres zu einer Vorentscheidung hinsichtlich der räumlichen Verteilung oder Anordnung dieser Teilsysteme im Fahrzeug. Der oben behandelte Stand der Technik gab dem Fachmann indes keine hinreichende Veranlassung, die dort offenbarten Vorschläge zur räumlichen Verteilung und Anordnung der einzelnen Komponenten grundlegend in Frage zu stellen und alle damit zusammenhängenden Fragen von Grund auf neu zu thematisieren. Zwar hätte der Fachmann, wie der gerichtliche Sachverständige im Einzelnen aufgezeigt hat, die Möglichkeit gehabt, aufgrund von bekannten Prinzipien und Lösungsansätzen zum Gegenstand des Streitpatents zu gelangen. Weder die oben behandelten Veröffentlichungen noch sonstige Umstände gaben jedoch Anlass, diesen Weg zu beschreiten.
79
2. Der Gegenstand der mit dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen verteidigten Fassung von Patentanspruch 3 ist nicht patentfähig. Er beruht jedenfalls nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
80
a) In diesem Zusammenhang zählt auch die im Prioritätsintervall veröffentlichte Entgegenhaltung BK3 zum Stand der Technik. Eine Steuerungsanordnung mit den Merkmalen A, B und D' ist im Prioritätsdokument nicht als zur Erfindung gehörend offenbart.
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Im Prioritätsdokument wird ein Insassenschutzsystem beschrieben, das zwei Steuergeräte aufweist, von denen jedes einen Längsbeschleunigungssensor , einen Querbeschleunigungssensor und eine Auswerteeinheit enthält und die über eine Leitung zur Codesignalübertragung miteinander verbunden sind. Als Vorteil einer solchen Anordnung wird in der Beschreibung des Prioritätsdokuments unter anderem aufgeführt, dass die Steuergeräte an den Stellen im Fahrzeug angeordnet seien, die ohnehin eine große Anzahl von Sensorikund Aktuarikeinrichtungen wie Seitenairbags, Gurtstraffer, Sitzbelegungssensoren , Querbeschleunigungssensoren, Kindersitzerkennungseinrichtungen und dergleichen enthielten (BK2 S. 3 Z. 8-12). Ferner könne die Zahl der Steuergeräte von drei auf zwei verringert werden, während bei herkömmlichen Systemen Querbeschleunigungssignale gleich vor Ort, also dezentral in einer vorverarbeitenden Auswerteeinheit ausgewertet würden (BK2 S. 3 Z. 13-17). Außerdem sei ein Totalausfall des Systems unwahrscheinlich, weil beim Ausfall eines der Steuergeräte dessen Auslösefunktionen vom verbliebenen Steuergerät übernommen werden könnten (BK2 S. 3 Z. 19-26). Die Anordnung der Steuergeräte bei dem Fahrer- bzw. Beifahrersitz ermögliche gleichzeitig eine kurze Leitungsführung zu Sitzbelegungserkennungs- und Kindersitzerkennungssensoren (BK2 S. 3 Z. 33 bis S. 4 Z. 2). In der einzigen Figur des Prioritätsdokuments ist je ein Steuergerät im Bereich jedes Vordersitzes dargestellt. Patentanspruch 1 des Prioritätsdokuments, auf den die übrigen Patentansprüche zurückbezogen sind, betrifft ebenfalls ausschließlich ein Insassenschutzsystem mit zwei Steuergeräten , von denen eines in der linken und das andere in der rechten Fahrzeughälfte angeordnet ist.
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Entgegen der Auffassung der Beklagten führt der Umstand, dass weite Passagen in der Beschreibung des Prioritätsdokuments sich mit der Frage befassen , in welcher Weise die Signale der Beschleunigungssensoren ausgewertet werden können, nicht dazu, dass auch Systeme als zur Erfindung gehörend offenbart sind, bei denen es nur eine Auswerteeinrichtung gibt. Zwar mag es zur Realisierung der beschriebenen Verfahren ausreichen, wenn das System jeweils zwei Längs- und zwei Querbeschleunigungssensoren, aber nur eine Auswerteeinrichtung umfasst. Den Ausführungen im Prioritätsdokument kann jedoch nicht entnommen werden, dass auch solche Systeme, bei denen auf die in der Beschreibung geschilderten Vorteile des Vorhandenseins von zwei Steuergeräten vollständig verzichtet wird, zur offenbarten Erfindung gehören. Sowohl nach der Beschreibung als auch nach dem Wortsinn der im Prioritätsdokument formulierten Patentansprüche gehört es vielmehr zu den unabdingbaren Merkmalen der offenbarten Erfindung, dass nicht nur die Sensoren, sondern auch die Steuergeräte redundant ausgelegt sind.
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Dass es aus Sicht des Fachmanns nahegelegen haben mag, diese Lehre in Richtung auf Systeme mit nur einer Auswerteeinrichtung abzuwandeln, führt zu keiner anderen Beurteilung. Eine Priorität kann nur dann beansprucht werden , wenn die mit der Nachanmeldung beanspruchte Merkmalskombination in der Voranmeldung nicht nur nahegelegt, sondern in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist.
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Der von der Beklagten angeführte Grundsatz, wonach bei der Beschränkung auf ein Ausführungsbeispiel nicht unbedingt alle Merkmale des Ausführungsbeispiels in den Patentanspruch aufgenommen werden müssen, führt ebenfalls nicht zu einer anderen Beurteilung. Für die Anwendung dieses Grundsatzes ist nur Raum, soweit der Gesamtheit der ursprünglichen Unterlagen entnommen werden kann, dass auch Ausführungsformen ohne die in Rede stehenden Merkmale als zur Erfindung gehörend offenbart sind (vgl. BGH, Urteil vom 16. Oktober 2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 Rn. 30 - Sammelhefter II). Dies ist hier aus den genannten Gründen nicht der Fall.
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b) Der Gegenstand der mit dem Hauptantrag verteidigten Fassung von Patentanspruch 3 ist durch die Entgegenhaltung BK3 jedenfalls nahegelegt.
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(1) In BK3 werden verschiedene Möglichkeiten zur Anordnung von Sensoren und Steuereinheiten (electronic control units) zur Auslösung von Rückhaltemitteln in Kraftfahrzeugen aufgezeigt. Hierbei wird unterschieden zwischen Systemen mit Fernzündschaltung (remote firing circuitry), bei denen die Schal- tungen für die Auslösung der einzelnen Rückhaltemittel nicht in einer zentralen Steuereinheit, sondern in der Nähe der jeweiligen Zündpille (firing squib) angeordnet sind, und Systemen mit intelligenten Knoten (intelligent nodes), bei denen mehrere Steuereinheiten eingesetzt werden, die über einen Kommunikationskanal miteinander verbunden sind. Ein Ausführungsbeispiel für ein System mit intelligenten Knoten, das in Figur 4 der Entgegenhaltung illustriert ist, umfasst insgesamt drei Steuereinheiten, von denen eine im Bereich des linken und eine im Bereich des rechten Vordersitzes angebracht ist. Eine weitere Einheit ist an zentraler Position hinter dem Rücksitz angeordnet. Alle drei Steuereinheiten sind untereinander mit einem Bussystem verbunden. Die im Bereich der Vordersitze angebrachten Steuereinheiten dienen der Erfassung und Auswertung eines Seiten- oder Frontaufpralls und der Aktivierung der Rückhaltemittel auf der jeweiligen Fahrzeugseite. Die Beschleunigungssignalwerte werden jeweils auch an die andere Einheit übertragen. Als Vorteil dieser Anordnung wird angeführt, durch die Übertragung der Signalwerte könnten Unzulänglichkeiten bei der Erfassung eines Aufpralls kompensiert werden. Die Verfügbarkeit von zwei Längsbeschleunigungssensoren ermögliche ferner die Umsetzung einer Safing-Funktion.
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(2) Damit sind die Merkmale A, B, D1' und D2' offenbart.
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(3) Merkmal D', wonach die Anordnung "eine" Auswerteeinrichtung umfasst , ist ebenfalls offenbart, wenn dieses Merkmal - wofür vieles spricht - dahin auszulegen ist, dass auch weitere Auswerteeinrichtungen vorhanden sein können.
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(4) Selbst wenn Merkmal D' dahin auszulegen wäre, dass die Anordnung nur eine einzige Auswerteeinrichtung umfassen darf, wäre eine Ausgestaltung gemäß Patentanspruch 3 dem Fachmann durch die Ausführungen in BK3 jedenfalls nahegelegt.
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In BK3 wird als weiteres Beispiel für den Einsatz von intelligenten Knoten in Abbildung 3 ein System dargestellt, das drei zentral angeordnete, untereinander verbundene Steuereinheiten umfasst, an die unter anderem zwei in den beiden Vordertüren angebrachte "Satelliten" für die Erkennung eines Seitenaufpralls angeschlossen sind. Jeder dieser Steuereinheiten sind bestimmte Rückhalteeinrichtungen zugeordnet. Als Aufgabe der ersten Steuereinheit werden beispielhaft die Ansteuerung der Frontairbags und der Gurtstraffer sowie der linken und rechten Seitenairbags genannt (BK3 S. 31 links). Sowohl bei der Beschreibung dieser Ausführungsform als auch bei der Beschreibung der bereits erwähnten Ausführungsform gemäß Abbildung 4 werden die Vorteile einer Modularisierung und Standardisierung hervorgehoben.
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Dies gab dem Fachmann hinreichend Anlass, neben den in den Abbildungen 3 und 4 offenbarten Ausführungsformen auch ähnliche Ausgestaltungen in den Blick zu nehmen, und zwar auch eine Anordnung, bei der die seitlich angebrachten "Satelliten" wie in Abbildung 4 nicht nur zur Detektion eines Seitenaufpralls , sondern auch zur Detektion eines Längsaufpralls geeignet sind, die Auswerteeinrichtung für Front- und Seitenairbags aber wie in Abbildung 3 zentral angeordnet ist. Zwar musste sich der Fachmann hierzu von der aus anderen Entgegenhaltungen geläufigen Vorstellung lösen, dass die Längsbeschleunigungssensoren zweckmäßigerweise zentral angebracht werden. Hierzu gaben die in BK3 enthaltenen Ausführungen über die Vorteile einer Modularisierung jedoch hinreichende Veranlassung.
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c) Für den Gegenstand der mit den Hilfsanträgen verteidigten Fassung von Patentanspruch 3 ergibt sich keine andere Beurteilung.
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(1) Nach Hilfsantrag I werden die Rückhaltemittel dahin konkretisiert, dass mindestens eines dem Seitenaufprallschutz in jeder Fahrzeughälfte und mindestens eines dem Frontaufprallschutz dient. Dies führt zu keiner anderen Beurteilung im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit. Auch in BK3 werden Front- und Seitenairbags ausdrücklich als Beispiele für Rückhaltemittel aufgeführt. Bei dem in Abbildung 3 dargestellten Ausführungsbeispiel werden diese Rückhaltemittel auch über eine gemeinsame Steuerungseinrichtung angesteuert.
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(2) Nach Hilfsantrag II werden die Anforderungen an den Aufbau der Vorrichtung zum Aufnehmen einer Beschleunigung dahin konkretisiert, dass diese nicht nur je einen Längs- und einem Querbeschleunigungssensor umfasst , sondern aus diesen Teilen besteht. Dies betrifft die konkrete räumliche Ausgestaltung dieser Vorrichtung. Anlass, insoweit nach verfügbaren Alternativen zu suchen, gaben jedenfalls die Ausführungen in BK3 über die Vorteile einer Modularisierung und Standardisierung von Komponenten und die in den einzelnen Ausführungsbeispielen aufgezeigten Möglichkeiten, die einzelnen Funktionen eines Insassenschutzsystems an unterschiedlichen Stellen im Fahrzeug anzuordnen.
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(3) Die in Hilfsantrag III vorgesehene Kombination der beiden zusätzlichen Merkmale ist durch die aufgezeigten Ausführungen in BK3 ebenfalls nahegelegt.
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d) Dass die zusätzlichen Merkmale, die in der verteidigten Fassung der auf Patentanspruch 3 zurückbezogenen Patentansprüche 4 bis 7 vorgesehen sind, zu einer anderen Beurteilung der Patentfähigkeit führen könnten, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Dies trägt im Ergebnis die Entscheidung des Patentgerichts, das allerdings zu Unrecht darauf abgestellt hat, dass die Nichtigerklärung des Patentanspruchs 3 den nachgeordneten Patentansprüchen ohne weiteres die Grundlage entziehe.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG sowie § 92 Abs. 1, § 97 ZPO und § 101 Abs. 1 ZPO.
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Entsprechend § 265 Abs. 2 Satz 3 ZPO ist die Nebenintervenientin, die dem Rechtsstreit als Rechtsnachfolgerin der Beklagten beigetreten ist, nicht als deren Streitgenossin anzusehen.
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats hat die Veräußerung eines Patents entsprechend § 265 Abs. 2 Satz 1 ZPO grundsätzlich keinen Einfluss auf einen vor der Veräußerung eingeleiteten Nichtigkeitsrechtsstreit (BGH, Urteil vom 4. Februar 1992 - X ZR 43/91, BGHZ 117, 144, 146 - Tauchcomputer ). Die Regelung des § 265 Abs. 2 ZPO beruht auf dem allgemeinen Gedanken , dass der Beklagte nicht ohne weiteres die Möglichkeit haben darf, sich einem bestehenden Prozessrechtsverhältnis zu entziehen und den Kläger so dazu zu zwingen, einen neuen Prozess gegen einen anderen Gegner von neuem zu beginnen. Dieser Gedanke greift auch im Patentnichtigkeitsverfahren (BGHZ 117, 144, 146 - Tauchcomputer).
100
Zu den danach entsprechend anwendbaren Vorschriften gehört auch § 265 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Diese Vorschrift hindert den Rechtsnachfolger des Beklagten, der dem Rechtsstreit beigetreten ist, daran, entgegen § 67 ZPO Angriffs - und Verteidigungsmittel geltend zu machen, die mit Erklärungen und Handlungen des Beklagten in Widerspruch stehen. Sie stellt damit sicher, dass die prozessuale Lage des Klägers durch die Veräußerung des Patents nicht verschlechtert wird, und beruht mithin auf demselben allgemeinen Gedanken wie die beiden übrigen Sätze von § 265 Abs. 2 ZPO.
Keukenschrijver Gröning Bacher
Hoffmann Schuster
Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 16.07.2008 - 4 Ni 73/06 (EU) -

(1) In dem Verfahren vor dem Bundesgerichtshof gelten die Bestimmungen des § 144 über die Streitwertfestsetzung entsprechend.

(2) In dem Urteil ist auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden. Die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Prozeßkosten (§§ 91 bis 101) sind entsprechend anzuwenden, soweit nicht die Billigkeit eine andere Entscheidung erfordert; die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 bis 107) und die Zwangsvollstreckung aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen (§§ 724 bis 802) sind entsprechend anzuwenden.

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)