Bundesgerichtshof Urteil, 09. Dez. 2010 - IX ZR 60/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 1. Juli 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. GmbH (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin bot ihren Kunden die Möglichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Sie warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 vom Hundert und 14,07 vom Hundert. Die Beklagte erklärte am 25. März 1996 ihren Beitritt zu der Anlegergemeinschaft. Tatsächlich erlitt die Schuldnerin im Zeitraum der Beteiligung der Beklagten Verluste. Um diese zu verschleiern, leitete sie den Anlegern Kontoauszüge zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Die Gelder der Anleger wurden nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht mehr in Termingeschäften angelegt. Die Einlagen von Neukunden verwendete die Schuldnerin in der Art eines "Schneeballsystems" für Aus- und Rückzahlun- gen an Altkunden. Die Beklagte leistete eine Einlage von umgerechnet 76.262,59 €. Sie erhielt von der Schuldnerin am 15. August 2003 eine Auszahlung in Höhe von 103.626,01 €.
- 2
- Mit seiner auf Anfechtung gestützten Klage hat der Kläger zunächst die Rückgewähr der an die Beklagte geleisteten Auszahlung abzüglich der Einlage der Beklagten, somit 27.363,42 € sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.107,85 €, jeweils zuzüglich Zinsen verlangt. Das Landgericht hat der Klage in Höhe von 18.227,78 € zuzüglich anteiliger Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben. Gestützt auf eine Neuberechnung des Kontostandes der Beklagten unter Berücksichtigung des "realen Handelsergebnisses" , in welcher der Kläger Scheingewinne der Beklagten in Höhe von 39.686,04 € ausgewiesen hat, hat er die Klage im Berufungsverfahren auf diesen Betrag erweitert. Das Berufungsgericht hat der Klage in Höhe der ursprünglichen Klageforderung von 27.363,42 € zuzüglich entsprechender Rechtsanwaltskosten und Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
- 3
- Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
I.
- 4
- Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Insolvenzverwalter könne die Auszahlung der Schuldnerin in Höhe der Differenz zur ursprünglichen Einlage der Beklagten als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten. Dabei sei der Höhe nach auf die tatsächlich gezahlte Einlage abzustellen und nicht auf den vom Kläger im Rahmen der nachträglichen Berechnung ermittelten, nach der Verrechnung von Verlustzuweisungen und Bestandsprovisionen verbleibenden Restbetrag der Einlage. Die Bestandsprovisionen habe die Schuldnerin nicht verdient, weil sie die Anlagegelder nicht vertragsgemäß verwaltet, sondern im Rahmen des "Schneeballsystems" an Altanleger verteilt habe. Die "reale" Gewinn- und Verlustverteilung sei angesichts des von der Vertragslage gänzlich abweichenden Geschäftsmodells der Schuldnerin rein fiktiv.
II.
- 5
- Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand.
- 6
- 1. Bei der Beurteilung, in welchem Umfang der Kläger die Leistungen der Schuldnerin als unentgeltliche Leistungen nach § 134 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO zurückverlangen kann, hat das Berufungsgericht den richtigen Ausgangspunkt gewählt. Der Insolvenzverwalter kann die Auszahlung von in "Schneeballsystemen" erzielten Scheingewinnen durch den späteren Insolvenzschuldner als objektiv unentgeltliche Leistung nach § 134 Abs. 1 InsO anfechten (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2008 - IX ZR 195/07, BGHZ 179, 137 Rn. 6; vom 22. April 2010 - IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 6; jeweils mwN). Auszahlungen, mit denen - etwa nach einer Kündigung der Mitgliedschaft in der Anlegergemeinschaft - vom Anleger erbrachte Einlagen zurückgewährt worden sind, sind dagegen als entgeltliche Leistungen nicht anfechtbar (BGH, Urteil vom 22. April 2010 - IX ZR 225/09, ZIP 2010, 1455 Rn. 11).
- 7
- 2. Im Streitfall wurde innerhalb des Anfechtungszeitraums (vier Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, § 134 Abs. 1 InsO) das gesamte ausgewiesene Guthaben der Beklagten ausgezahlt und ihr Konto aufgelöst. Das Guthaben setzte sich aus der geleisteten Einlage und den der Beklagten zugeschriebenen fiktiven Gewinnanteilen zusammen. Die bei Teilauszahlungen zu beantwortende Frage, ob und in welchem Umfang von der Schuldnerin auf Scheingewinne oder auf die Einlage gezahlt wurde, stellt sich hier nicht.
- 8
- In dem a) über den Betrag der Einzahlung hinausgehenden Umfang handelte es sich um die Auszahlung von Scheingewinnen, die als unentgeltliche Leistung der Anfechtung nach § 134 Abs. 1 InsO unterliegt.
- 9
- b) Soweit die Auszahlung auf die ungeschmälerte Einlage erfolgte, sind die Voraussetzungen einer Schenkungsanfechtung hingegen nicht gegeben. Auf eine teilweise Unentgeltlichkeit auch dieses Teils der Auszahlung kann sich der Kläger nicht berufen.
- 10
- aa) Eine unentgeltliche Verfügung liegt vor, wenn der Schuldner einen Vermögenswert zugunsten einer anderen Person aufgibt, ohne dass ihm ein entsprechender Gegenwert zufließen soll. Entgeltlich ist dagegen eine Verfügung , wenn der Schuldner für seine Leistung etwas erhalten hat, was objektiv ein Ausgleich für seine Leistung war oder jedenfalls subjektiv nach dem Willen der Beteiligten sein sollte (BGH, Urteil vom 29. November 1990 - IX ZR 29/90, BGHZ 113, 98, 101 f; vom 18. März 2010 - IX ZR 57/09, ZInsO 2010, 807 f Rn. 9). Erbringt der Schuldner eine Leistung im Rahmen eines entgeltlichen Vertrags, ist seine Leistung entgeltlich, soweit durch sie eine bestehende Verbindlichkeit erfüllt wird. Gegenleistung ist dann die vom Schuldner erlangte Befreiung von seiner Schuld (MünchKomm-InsO/Kirchhof, 2. Aufl. § 134 Rn. 17a, 26; HK-InsO/Kreft, 5. Aufl. § 134 Rn. 11). Die Rückzahlung der Einlage der Beklagten war daher grundsätzlich nur insoweit entgeltlich, als die Schuldnerin nach den vertraglichen Vereinbarungen verpflichtet war, die Einlage an die Beklagte zurückzuzahlen.
- 11
- bb) Der Vertrag zwischen der Schuldnerin und der Beklagten war nicht nach § 138 BGB nichtig. Sittenwidrig war lediglich das von der Schuldnerin tatsächlich betriebene, nicht aber das mit der gutgläubigen Beklagten vereinbarte System der Kapitalanlage (vgl. BGH, Urteil vom 21. März 2005 - II ZR 140/03, ZIP 2005, 753, 756; vom 23. November 2010 - XI ZR 26/10, z.V.b.; Bitter/Heim, ZIP 2010, 1569, 1570). Soweit der Senat in seinem Urteil vom 22. April 2010 (IX ZR 163/09, ZIP 2010, 1253 Rn. 8, 12) in nicht entscheidungserheblicher Weise eine andere Beurteilung anklingen ließ, wird daran nicht festgehalten.
- 12
- cc) Die Beklagte war von Anfang an berechtigt, den vertragsgemäß eingezahlten Betrag zurückzuverlangen (§ 675 Abs. 1, § 667 Fall 1 BGB). Nach den vereinbarten Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Schuldnerin sollten allerdings Verluste aus den Anlagegeschäften mit den Beiträgen des Anlegers verrechnet werden (AGB Nr. 1.2, 5.2, 5.3) und die Schuldnerin als Vergütung eine monatliche Verwaltungsgebühr von 0,5 v.H. vom jeweiligen Vermögensstand erhalten (AGB Nr. 10.2). Diese Klauseln berücksichtigt die vom Kläger nachträglich erstellte "Verteilung des realen Handelsergebnisses und Neube- rechnung der Gebühren" in Verbindung mit der auf das Guthaben der Beklagten bezogenen "Realen Gewinn- und Verlustverteilung", in welcher der Kläger die Entwicklung des Kontos der Beklagten abweichend von den tatsächlich übersandten Kontoauszügen unter Verrechnung von in den Jahren 2000 bis 2003 eingetretenen Verlusten und angefallenen Verwaltungsgebühren darzustellen versucht.
- 13
- dd) Entgegen der Ansicht der Revision kann sich der Kläger auf diese Nachberechnung nicht stützen. Eine Verrechnung der anteiligen Verluste aus den in geringem Umfang noch getätigten Anlagegeschäften und der Verwaltungsgebühr mit der Einzahlung der Beklagten verstößt unter den gegebenen Umständen gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
- 14
- (1) Den Anspruch auf die Verwaltungsgebühr hat die Schuldnerin verwirkt. Nach gefestigter Rechtsprechung kann ein an sich begründeter Vergütungsanspruch nach dem Rechtsgedanken des § 654 BGB verwirkt sein, wenn ein Dienstverhältnis eine besondere Treuepflicht begründet und der Dienstleistende in schwerwiegender Weise diese Treuepflicht verletzt und sich dadurch als seines Lohnes unwürdig erweist. Das ist der Fall, wenn die Treuepflicht vorsätzlich , wenn nicht gar arglistig, mindestens aber in einer grob leichtfertigen Weise verletzt wird, die dem Vorsatz nahekommt (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2004 - IX ZB 349/02, BGHZ 159, 122, 131 f; Urteil vom 19. Mai 2005 - III ZR 322/04, WM 2005, 1480, 1481; Beschluss vom 23. September 2009 - V ZB 90/09, NZI 2009, 820 Rn. 8 f, 15; jeweils mwN.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Unstreitig hat die Schuldnerin die schon in den Jahren vor dem Beitritt der Beklagten eingetretenen hohen Verluste zu verschleiern versucht, indem sie zunächst Buchungen manipulierte, später fiktive gewinnbringende Anlagegeschäfte über ein nicht existierendes Konto vortäuschte und die Einzahlungen der Anleger entgegen der vertraglichen Vereinbarung weit überwiegend nicht mehr für neue Anlagen, sondern für Auszahlungen an Altkunden und für die laufenden Kosten verwendete.
- 15
- Das (2) dargestellte Vorgehen der Schuldnerin, die in betrügerischer Weise neue Anleger warb und ihre vertraglichen Verpflichtungen entsprechend ihrer vorgefassten Absicht grob verletzte, verbietet es auch, die Beklagte in der Weise am Vertrag festzuhalten, dass ihr Anspruch auf Rückzahlung der Einlage um die Verluste aus den wenigen noch getätigten Anlagegeschäften zu vermindern wäre.
Grupp Möhring
Vorinstanzen:
LG Waldshut-Tiengen, Entscheidung vom 15.08.2008 - 2 O 56/08 -
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 04.03.2010 - 4 U 133/08 -
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Annotations
(1) Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend. Eine Geldschuld ist nur zu verzinsen, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen; ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen eines erlangten Geldbetrags ist ausgeschlossen.
(2) Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist. Dies gilt nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muß, daß die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.
(3) Im Fall der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hatten, der Insolvenzmasse zur Verfügung stellt.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Was durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Schuldners veräußert, weggegeben oder aufgegeben ist, muß zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden. Die Vorschriften über die Rechtsfolgen einer ungerechtfertigten Bereicherung, bei der dem Empfänger der Mangel des rechtlichen Grundes bekannt ist, gelten entsprechend. Eine Geldschuld ist nur zu verzinsen, wenn die Voraussetzungen des Schuldnerverzugs oder des § 291 des Bürgerlichen Gesetzbuchs vorliegen; ein darüber hinausgehender Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen eines erlangten Geldbetrags ist ausgeschlossen.
(2) Der Empfänger einer unentgeltlichen Leistung hat diese nur zurückzugewähren, soweit er durch sie bereichert ist. Dies gilt nicht, sobald er weiß oder den Umständen nach wissen muß, daß die unentgeltliche Leistung die Gläubiger benachteiligt.
(3) Im Fall der Anfechtung nach § 135 Abs. 2 hat der Gesellschafter, der die Sicherheit bestellt hatte oder als Bürge haftete, die dem Dritten gewährte Leistung zur Insolvenzmasse zu erstatten. Die Verpflichtung besteht nur bis zur Höhe des Betrags, mit dem der Gesellschafter als Bürge haftete oder der dem Wert der von ihm bestellten Sicherheit im Zeitpunkt der Rückgewähr des Darlehens oder der Leistung auf die gleichgestellte Forderung entspricht. Der Gesellschafter wird von der Verpflichtung frei, wenn er die Gegenstände, die dem Gläubiger als Sicherheit gedient hatten, der Insolvenzmasse zur Verfügung stellt.
(1) Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten Sitten verstößt, ist nichtig.
(2) Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen.
(1) Auf einen Dienstvertrag oder einen Werkvertrag, der eine Geschäftsbesorgung zum Gegenstand hat, finden, soweit in diesem Untertitel nichts Abweichendes bestimmt wird, die Vorschriften der §§ 663, 665 bis 670, 672 bis 674 und, wenn dem Verpflichteten das Recht zusteht, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist zu kündigen, auch die Vorschriften des § 671 Abs. 2 entsprechende Anwendung.
(2) Wer einem anderen einen Rat oder eine Empfehlung erteilt, ist, unbeschadet der sich aus einem Vertragsverhältnis, einer unerlaubten Handlung oder einer sonstigen gesetzlichen Bestimmung ergebenden Verantwortlichkeit, zum Ersatz des aus der Befolgung des Rates oder der Empfehlung entstehenden Schadens nicht verpflichtet.
(3) Ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, die Anmeldung oder Registrierung des anderen Teils zur Teilnahme an Gewinnspielen zu bewirken, die von einem Dritten durchgeführt werden, bedarf der Textform.
Der Beauftragte ist verpflichtet, dem Auftraggeber alles, was er zur Ausführung des Auftrags erhält und was er aus der Geschäftsbesorgung erlangt, herauszugeben.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
Der Anspruch auf den Maklerlohn und den Ersatz von Aufwendungen ist ausgeschlossen, wenn der Makler dem Inhalt des Vertrags zuwider auch für den anderen Teil tätig gewesen ist.